Kitabı oku: «Zucker im Tank», sayfa 4

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Gernhardt lachte dröhnend. “Das kannst du vergessen, da sind nur ausgewählte Gäste zugelassen. Aber ich habe einen älteren Fernsehauftritt von Garth aufgenommen, willst du mal sehen?“

Bevor Tibor antworten konnte, schob Gernhardt bereits eine Kassette in einen Videorekorder ein. Tibor faszinierte allein schon die Tatsache, dass jemand noch ein solches Gerät besaß und anscheinend auch noch aktiv nutzte. Die Qualität der Aufnahme ließ Rückschlüsse darauf zu, wie oft das Band schon überspielt worden war. Sie stammte aus der Hessenschau und zeigte das Rathaus von Ginsberg. Garth und Villeroy stiegen hinten aus einem dunklen BMW und waren sofort von Presseleuten umringt.

“Der Typ neben Garth ist Villeroy, sein Anwalt“, erläuterte Gernhardt. Garth knipste gerade sein gewinnendstes Lächeln an und stellte sich bereitwillig den Mikrofonen. Er spulte eine vorbereitete Presseerklärung herunter, von der alle Anwesenden vorher wussten, dass sie völlig uninteressant und nichtssagend werden würde.

“Wer ist der Fahrer?“

“Das ist Viktor. Er war sein Bodyguard und hat sich um die zwielichtigen Aktionen gekümmert.“

“Sieht ziemlich finster aus.“

“Viktor war nützlich, als es darum ging, Gangstermethoden anzuwenden. Aber er hat auch in die eigene Tasche gewirtschaftet. Es kam zu einem ziemlich heftigen Zerwürfnis, als Viktor versuchte, auf eigene Faust im Ort aufzuräumen. Er hat ein Gebäude in Brand gesteckt, in dem sich drei Leute befanden. Einer davon war Felix. Und mich hat er an einen Baum gebunden. Der Kerl war ein richtiger Psychopath. Wir können alle froh sein, dass er weg ist.“

Gernhardt spulte die Kassette weiter vor zu einer weiteren Sendung der Hessenschau. “Nach dem katastrophalen Wochenende im letzten Juni wehte Garth ein heftiger Wind entgegen. Die Leute gingen nicht mehr so ehrfürchtig mit ihm um. Jetzt pass auf“, sagte er und stieß Tibor leicht an.

“Herr Garth, was sagen Sie zu den Behauptungen, Sie würden für Ihre Bauprojekte alte Menschen aus ihren Geburtshäusern vertreiben?“

“Ich kenne sie“, sagte Tibor. “Ihr Name ist Thea, Felix hat uns vorhin bekannt gemacht.“

“Sie kam damals nach Ginsberg, um über die Ausschreitungen zu berichten, und ist danach einfach geblieben. Die Lady ist eine richtige Walküre.“

Gernhardt kicherte, als sich Garths Gesicht auf dem Bildschirm dunkelrot färbte. Villeroy hatte seinen Arbeitgeber von der Seite beobachtet und erkannte den Moment, um die Zügel zu übernehmen.

“Was bilden o “, brauste Garth auf, doch die letzte Silbe blies er bereits gegen Villeroys Hinterkopf. Tibor registrierte anerkennend die Professionalität des Anwalts. Für den durchschnittlich interessierten Zuschauer sah es keine Sekunde so aus, als wäre Villeroy in die Bresche gesprungen, um seinen Klienten vor einer Dummheit zu bewahren. Seine Bewegung war unauffällig und elegant, seine Stimme klang ruhig und kontrolliert. Man musste einfach den Eindruck haben, Garth habe das Wort weitergegeben und die Kamera sei auf Villeroy geschwenkt.

“Nun, es wird immer Menschen geben, die sich Veränderungen in den Weg stellen, weil sie sie nicht kennen und deshalb fürchten“, begann der Anwalt mit samtweicher Stimme und Tibor konnte seine Medienwirksamkeit nur bewundern. “Unsere Projekte dienen in erster Linie dazu, die gesamte Umgebung als wirtschaftlichen Standort zu stabilisieren und damit für zukünftige Investoren interessant zu machen. Wie Sie wissen, sind die Ginsberger Cremeteilchen inzwischen weit über die Ortsgrenzen hinaus berühmt. Dasselbe erhoffen wir uns auch für andere Branchen. Was die Vorwürfe angeht, wir würden Menschen aus den Häusern vertreiben, in denen sie ihr ganzes Leben verbracht haben, so kann ich dies nur empört zurückweisen. Es macht mich wirklich wütend, wenn ich sehen muss, mit welchen Methoden die Gegner des Fortschritts hier arbeiten. Sie verbreiten völlig gewissenlos böswillige Gerüchte, die rechtschaffene Bürger in Angst und Schrecken versetzen. Nicht nur verhindern sie damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern nehmen auch den Verlust von Einnahmen für den Ort bereitwillig in Kauf. Ich nenne ein solches Verhalten rücksichtslos und in hohem Maße unsozial.“

“Aber Sie können doch nicht leugnen, dass es Pläne gibt, zwei Häuser, die an das Grundstück grenzen, komplett einzustampfen. Oder sind diese Kopien, die uns zugespielt wurden, etwa Fälschungen?“, setzte Thea Richler sofort nach.

“Nein, die Pläne, auf die sie anspielen, sind echt. Aber sie stammen noch aus der Vorbereitungsphase, wenn ich das mal so sagen darf. Sehen Sie, zu Beginn eines Projektes werden Dutzende von Konzepten entwickelt, das heißt aber nicht, dass man tatsächlich in Erwägung zieht, diese zu verwirklichen. Man spielt eben alle Möglichkeiten durch, die sich eröffnen.“

“Aber dieses Konzept wäre für Herrn Garth natürlich das kostengünstigste.“

Villeroy lächelte Thea Richler an. “Ich muss zugeben, dass dieser Entwurf, dermaßen aus dem Konzept gerissen, wirklich sehr bedrohlich wirken muss. Aber es ist das Werk gewissenloser Populisten, die sich den Entwurf auf kriminellem Wege angeeignet und veröffentlicht haben. Durch sie wurden die Bürger derart verunsichert und verängstigt. Ich sage das aus vollster Überzeugung ¡ und da dürfen Sie mich ruhig zitieren ¡ Herrn Garths Pläne werden niemandem in dieser Region schaden. Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen.“

Villeroy drehte sich zu Garth und gemeinsam gingen sie zum Eingang des Rathauses. Gernhardt schaltete den Apparat ab. “Aus seinen Plänen wurde nichts, weil er ein paar sehr mächtige Männer verärgert hat. Das habe ich ihm von Herzen gegönnt, aber es reicht nicht aus.“

“Weiß man inzwischen, wer die Pläne der Presse zugespielt hat?“, wollte Tibor wissen.

“Ja, es war einer von Garths eigenen Leuten. Ich glaube, er hieß Moorhaus. Er hat eine Weile die Keksfirma geleitet, zumindest, bis es rauskam. Garth hat dafür gesorgt, dass er innerhalb weniger Stunden arbeitslos, obdachlos und mittellos war.“

“Ich glaube, Tibor hat jetzt genug Horrorgeschichten über den Ort gehört“, sagte Felix.

“Klar, du hast dich ja entschlossen, die Augen zu schließen und den Kopf unten zu halten. Aber ich beabsichtige zu kämpfen.“

Felix verdrehte die Augen und machte Tibor ein Zeichen mit dem Kopf, ihm nach draußen zu folgen. Tibor verabschiedete sich von Gernhardt, der ihn mit einer knappen Geste entließ.

“Was meint Leo damit, dass er kämpfen will?“

Felix seufzte und führte seinen Freund in das sogenannte Arbeitszimmer seines Onkels. Schweigend standen sie nebeneinander und betrachteten das handgemalte Plakat, auf dem nur zwei Worte standen: WÄHLT GERNHARDT!

“Oh Mann“, seufzte Tibor nach einer Weile.

“Das kannst du laut sagen“, pflichtete Felix ihm bei, seufzte ebenfalls und wechselte dann das Thema. “Wie geht es eigentlich deinen Eltern?“

“Sie treiben sich in der Weltgeschichte rum und genießen ihre Pensionen. Vom Erlös des Hausverkaufs haben sie sich ein Wohnmobil zugelegt und damit sind sie das ganze Jahr über unterwegs.“

“Es gibt schlimmere Schicksale.“

Gemeinsam spazierten sie über den Hof. Dahinter führte eine Wiese an den Fluss. Dort hatten sie eine nicht unbeträchtliche Zeit ihres Heranwachsens verbracht, Bier getrunken und über Dinge geredet, die Jungs ihres Alters beschäftigten.

Tibor genoss den Anblick. “In solchen Augenblicken hat man das Gefühl, nie weg gewesen zu sein.“

“Kann ich dir nicht sagen ¡ ich war nie weg.“

Felix hatte den Ort nie verlassen, aber das schien für ihn in Ordnung zu sein. Er wäre auch an keinem anderen Ort glücklicher, solange er dort mit seinem Onkel lebte. Bei dem Gedanken an Leo Gernhardt musste er innerlich grinsen. Ein gerechter Gott, mit Sinn für Humor, würde die Ginsberger genau auf diese Weise strafen.

Tibor kickte einen Stein in die Lahn. “Früher haben wir oft hier gesessen.“

“Damals haben wir Bier bei Oma Droste gekauft und es ihr anschließend in die Hecke gepinkelt. Selten war mir meine Rolle in der Gesellschaft so klar wie in diesem Kreislauf.“

“Würde mir gefallen, aber leider kann ich nicht bleiben“, sagte Tibor. “Ein andermal gerne.“

Felix verzichtete darauf, zu erwähnen, dass es Oma Droste längst nicht mehr gab, genauso wenig wie ihr Haus.

“Versteh mich nicht falsch, Felix, ich finde es wirklich nett, die alten Zeiten aufleben zu lassen, aber ich habe den Eindruck, so richtig gut geht es dir nicht?“

Felix zuckte nur mit den Achseln.

Tibors Blick wurde noch eine Spur besorgter. “Das hat aber nichts mit dem kleinen Drogenlager zu tun, das in Flammen aufgegangen ist, oder?“

“Quatsch, wo denkst du hin. Damit habe ich nichts am Hut. Niemand, den ich kenne, macht so einen Mist.“

“Das beruhigt mich. Ich glaube dir, aber wer noch? Wenn ich dir irgendwie helfen kann o

Felix winkte ab. “Das ist nicht dein Problem.“

“Ich würde dir wirklich gerne helfen, egal wie.“

“Danke, aber ich hoffe, das wird nicht nötig sein. Ich werde genau das tun, was Leo mir immer vorwirft: die Augen schließen und meinen Kopf unten halten.“

“Ich lass dir auf jeden Fall meine Handynummer da. Wenn ich dir schon nicht helfen soll, willst du trotzdem vielleicht mal darüber reden. Okay?“

Felix nahm die Visitenkarte entgegen und steckte sie in seine Hemdtasche.

Tibor legte einen neuen Kontakt auf seinem Smartphone an und ließ sich von Felix seine Nummer diktieren. Dabei sah er auch die Uhrzeit. “Ich muss los.“

“Ich bringe dich noch zu deinem Wagen.“

“Die paar Meter kann ich laufen, kein Problem“, wehrte Tibor ab.

“Quatsch, wer weiß, wann ich wieder Gelegenheit habe, etwas für dich zu tun.“

Gernhardt schlurfte an ihnen vorüber und murmelte: “In Marokko kannst du sehen, wie ein Tuareg ein Kamel lenkt. Hier ist es umgekehrt.“

Felix hatte aufgehört zu zählen, wie oft sein Onkel diesen Spruch nun schon gebracht hatte. Er schob Tibor nach draußen und fuhr ihn zurück zur Brandstelle, wo der Volvo parkte.

Tibor schüttelte ihm zum Abschied die Hand. “Es war wirklich schön, dich mal wiederzusehen. Ich wünschte, es wäre unter anderen Umständen geschehen.“

“Das nächste Mal bringst du eben mehr Zeit mit“, beruhigte Felix ihn, doch nachdem Tibor losgefahren war, wurde er das Gefühl nicht los, dass sein Freund mit der Bemerkung etwas anderes gemeint haben könnte. Er wunderte sich nicht darüber, dass Tibor so schnell wieder verschwand. Auch früher hatte er die Gesellschaft anderer Menschen gemieden und alle auf Distanz gehalten. Dieses eigenbrötlerische Wesen hatte er offensichtlich bewahrt und noch ausgebaut. Felix wusste, dass seinem Freund Nähe unangenehm war, und niemand hatte Tibor damals nähergestanden als er. Aber ihre Beziehung war durch die lange Trennung abgekühlt. Eines Tages sind eben alle Geschichten erzählt, die meisten viele Male.

Kapitel Sechs

Die Straße ließ in einer lang gezogenen Kurve die letzten Häuser hinter sich und endete vor der Einfahrt zu Garths Anwesen. Tibor hielt vor dem schmiedeeisernen Tor und betrachtete einen Moment lang die kitschigen Metallrosen, die zwischen den Gitterstäben eingesetzt waren, dann schüttelte er grinsend den Kopf und drückte den Klingelknopf an der Sprechanlage auf der linken Seite. Ein Knacken signalisierte ihm, dass die Anlage auf Empfang war, also sagte er seinen Namen. Die Flügel des Tores setzten sich in Bewegung und schwangen nach innen. Tibor fuhr durch das Eingangsportal. Auf beiden Seiten des Weges erstreckten sich weite Rasenflächen, die den Lebensunterhalt mehrerer Gärtner sichern konnten. Auf der rechten Seite schloss eine dichte Tannenreihe das Gelände zum Dorf hin ab, gegenüber bildete der Waldrand eine natürliche Grenze. Im Halbdunkel der Bäume konnte Tibor einen hohen Drahtzaun ausmachen. Sein Blick folgte dem Weg, der weit vor ihm einen Bogen machte und in einem Ring dicht gewachsener Bäume verschwand. Er versuchte das Wohnhaus auszumachen, sah aber nur penibel zurückgestutzte Natur. Je näher er der Baumgruppe kam, die sich wie eine Insel aus dem kurz geschnittenen, grünen Meer erhob, desto mehr wuchsen seine Zweifel, dort überhaupt ein Haus zu finden. Als er jedoch dem Bogen des Kieswegs folgte, tat sich vor ihm eine Lücke in der Vegetation auf.

“Was für eine himmelschreiende Scheiße“, murmelte Tibor ungläubig. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, eine mondäne Villa, reich und geschmacklos verziert, irgendetwas in der Art. Aber dieses Haus erinnerte eher an ein fehlgeschlagenes architektonisches Experiment. Obwohl er sich nicht mit Baustilen auskannte oder sie hätte benennen können, machte er doch mindestens drei verschiedene allein auf der Vorderseite des Hauses aus. Ein Architekt, der etwas auf sich hielt, verband Funktion, Schönheit und Rhythmus harmonisch miteinander und sorgte dafür, das Gebäude in Einklang mit der Umgebung zu bringen. Garth schien von all dem noch nichts gehört zu haben. Er hatte sich das Schlimmste aus jeder Epoche herausgesucht und einen Idioten gefunden, der es ihm zusammensetzte.

Tibor parkte seinen Volvo zwischen den neuesten Modellen von BMW und Mercedes und stieg aus. Von drinnen hörte er gefällige Musik. Er stieg die wenigen Stufen zur Haustür hinauf und bemerkte, dass die Tür nur angelehnt war. Die Sicherheitsstandards ließen doch einiges zu wünschen übrig, dachte er beim Eintreten. Die hohen Räume waren groß und hell, die Wände weiß oder eierschalenfarben. Die prägnanten Farben kamen von den Möbeln und dezent platzierten Gemälden. So geschmacklos das Haus von außen wirkte, so stilsicher war es im Inneren eingerichtet. Er schob sich zwischen teuer gekleideten Menschen aller Altersschichten hindurch in den großen Eingangsbereich, der als Sammelbecken für ankommende Gäste diente. Rechts von ihm schwang sich eine breite Treppe in eleganter Kurve in den ersten Stock hinauf und einige Gäste waren bereits auf die unteren Stufen ausgewichen, um dem Andrang zu entgehen. Tibor schob sich weiter, bis er zu einem kleinen Saal kam, der etwas tiefer lag. Treppenstufen führten auf drei Seiten herab, sodass er die Menschenmenge vor sich bequem überblicken konnte. Massive Säulen an allen vier Ecken rahmten eine Fläche ein, die manchem mittelständischen Betrieb als Fabrikhalle genügt hätte. Die Decke war so weit entfernt, dass man sie nur erahnen konnte und mit bunten Tüchern abgehängt. Der Raum erweckte den Eindruck, des Öfteren für derartige Veranstaltungen verwendet zu werden. Das Büffet bestand aus raffiniert gebastelten Houres d´ouvre, Wassermelonen an einem Berg aus gestoßenem Eis, Krabbencocktails, Obstfiguren, Steaktoasts und vielfarbigen Dips. Auf der gegenüberliegenden Seite ging es ebenerdig zur Terrasse hinaus.

Neben den Flügeltüren machte Tibor die Bar aus. Er durchquerte die Menge und drängte sich gegen die Theke. Ein junger Mann, der augenscheinlich zum dienenden Volk gehörte, grüßte ihn freundlich und fragte ihn nach seinen Wünschen. “Ein Bier und den Gastgeber.“

“Bier gehört nicht zu den geduldeten Getränken und der Gastgeber hat sich bisher nicht blicken lassen. Wie wäre es mit einer Weißweinschorle und der Gastgeberin?“

Tibor empfand sofort tiefe Sympathie. “Ich nehme an, die wollen alle.“

“Dann ist das jetzt Ihre Chance. Sie steht direkt neben Ihnen.“ Der Barkeeper grinste breit. Zumindest er schien seinen Spaß zu haben.

So lässig, wie es noch möglich war, drehte Tibor sich zur Seite.

“Sie sind Tibor Hendricks“, stellte Erika Garth fest, und Tibor fühlte sich ziemlich überrumpelt. Sie war tatsächlich so atemberaubend, wie Fotos es vermuten ließen. Allerdings sah sie ihn gerade missbilligend an.

“Mein Mann hat mir von Ihnen erzählt. Ich persönlich halte ja wenig von Menschen wie Ihnen, aber was soll s. Möchten Sie vielleicht etwas Stärkeres trinken? Sie sehen blass aus.

“Das wird wohl besser sein.“

Sie wandte sich an den Barkeeper. “Mixen Sie ihm einen Martini.“

“Wo finde ich Ihren Mann?“

“Versuchen Sie es in seinem Arbeitszimmer, dort verbarrikadiert er sich gerne mit seinem Gefolge.“

“Äh, dann werde ich mich ihm mal vorstellen“, sagte Tibor und nahm sein Glas entgegen. “Wo ist das Arbeitszimmer?“

Sie wies mit einer gelangweilten Geste auf eine große, hölzerne Tür neben dem Eingang.

“Irgendwelche Tipps, bevor ich ihm gegenübertrete?“, fragte Tibor und lächelte.

“Ja, widersprechen Sie ihm nicht.“

Bevor sich Tibor bedanken konnte, hatte sie ihm bereits den Rücken zugekehrt. Er durchquerte den Saal ein weiteres Mal und stellte unterwegs den unberührten Drink auf das Tablett einer Serviererin. Vor der Tür des Arbeitszimmers rückte er seinen Anzug zurecht und klopfte an, doch seine schmerzenden Knöchel ließen vermuten, dass kein Geräusch die Dicke des Holzes durchdrang. Also trat er einfach ein. Garth stockte mitten im Satz und sah ihn einen Augenblick lang ziemlich unfreundlich an. Dann kniff er die Augen kurz zusammen und seine Gesichtszüge hellten sich merklich auf. “Ah, kommen Sie nur herein“, sagte er mit der Nonchalance, die Spinnen den Besuchern ihrer Netze entgegenbrachten.

Tibor hatte zahlreiche Fotos von ihm gesehen. Promobilder, auf denen er in milder, väterlich-nachsichtiger Weise lächelte oder mit einem verschmitzt-charmanten Grinsen mit der Kamera kokettierte. Als er nun vor Tibor trat, wirkte er wie ein Mann, der ungeduldig und gereizt war und dies zu überspielen versuchte, indem er sich weltmännisch gab. Er machte eine einladende Geste, die auch die Anwesenden im Raum einschloss.

“Ich darf kurz vorstellen: Max Krabbe, unser örtlicher Mediziner und Volker Villeroy, mein Anwalt.“

Tibor nickte ihnen grüßend zu.

“Und dieser junge Mann, meine Herren, ist Tibor Hendricks“, stellte Garth ihn vor. “Herr Hendricks arbeitet seit Kurzem für mich.“

Kapitel Sieben

Felix parkte den Touareg in der Parallelstraße oberhalb des Rathauses und nahm die Treppe zwischen den Schrebergärten nach unten. Er entdeckte eine bekannte Person an der Spitze der Reportertraube.

Hauptkommissar Martin Besher gab gerade sein erstes Statement zum aktuellen Fall ab. Er befand sich nur selten in offizieller Funktion in Ginsberg. Felix ging davon aus, dass er in der Dienststelle in Weilburg das kürzeste Streichholz gezogen hatte und deshalb diesen Fall übernehmen musste. Vor einem Jahr noch hätte es sich ein Polizist, der Wert auf seine Karriere legte, zweimal überlegt, ob er sich in die Belange von Ginsberg mischte. Oder ganz konkret: Ob er Bürgermeister Garth in die Quere kommen wollte. Doch inzwischen hatten sich die Verhältnisse geändert. Garth hatte viele einflussreiche Freunde verloren, die zwischen ihm und Maiwald wählen mussten. Keinem von ihnen war die Wahl schwergefallen.

Charles Maiwald hatte dafür gesorgt, dass Garth wieder ein Normalsterblicher geworden war.

Felix war froh darüber, Besher zu treffen, denn sie kannten sich schon länger dank der zahlreichen dummen Aktionen von Onkel Leo.

Der Hauptkommissar war ziemlich groß. Mit Hut erreichte er sicher die zwei Meter. Aufgrund seiner Größe und seines souveränen Auftretens war er eine eindrucksvolle Erscheinung. Aber wenn man ihn schon einmal bei einem Auftritt mit seiner Country-und-Western-Band erlebt hatte, fiel es einem schwer, den knallharten Ermittler in ihm zu sehen. Felix jedenfalls sah immer den großen Kerl im schweißnassen Unterhemd, der seinen Bass spielte oder einen Cowboyhut schwenkte und dabei Laute ausstieß, als würde er eine Viehherde vor sich hertreiben.

“Howdy, Partner“, sagte Felix und erntete einen bösen Blick. Besher mochte es nicht, auf seine andere Identität angesprochen zu werden, wenn er sich im Dienst befand. Er glaubte, dass er dadurch an Autorität einbüßte, was natürlich nicht ganz von der Hand zu weisen war. Aber wenn man unter dem Bandnamen Happy Trail tourte, durfte man nicht empfindlich sein. Zuvor waren sie einige Male als Die sixtinische Kapelle aufgetreten, aber der gut gemeinte Rat eines befreundeten Anwaltes veranlasste sie zu einer Umbenennung.

In letzter Zeit waren Felix und er seltener aufeinandergetroffen, was aber nicht daran lag, dass Gernhardt altersmilde geworden wäre oder weniger Unsinn trieb. Die Ursache bestand vielmehr in der mangelnden Aktivität von Garth. Seine Veranstaltungen waren die einzigen Ereignisse, die Leo Gernhardt noch veranlassen konnten, seine selbstgerechte Entrüstung zu mobilisieren.

Beshers Aufenthalt im Ort gab Felix die Gelegenheit, den Polizisten einmal in einem anderen Umfeld zu begegnen und zu erleben, wie Besher zur Abwechslung einmal Garth auf die Füße trat. Also für das Gute kämpfte.

“Wo ist Leo?“, erkundigte sich Besher. “Ich hatte angenommen, ihn mit Megafon und Flagge auf einem Autodach anzutreffen.“

“Erstaunlich, nicht wahr? Ich würde ja behaupten, sein Wahlkampf nimmt ihn zu sehr in Anspruch, aber das wäre eine Übertreibung.“

Gernhardts Wahlkampf war mit sehr bescheidenen Mitteln geführt worden. Er hatte recht günstige Plakate herstellen lassen, die zwei Worte in schwarzer Schrift auf weißem Grund zeigten. Sein einziger Slogan war ein Imperativ: WÄHLT GERNHARDT!

Sein Onkel hatte sich zuvor zwar ein paar weitere Werbeslogans überlegt, doch Felix musste Tränen über sie lachen und war deshalb die einzige Person geblieben, die sie jemals zu hören bekommen hatte. Gewohnt beleidigt hatte Gernhardt ihn daraufhin nicht mehr mit einbezogen, was Felix nur recht gewesen war. Die übrigen Kandidaten hatten eine Feier zum Wahlausgang geplant. Der Neue von außerhalb hatte das La Cucaracha gebucht und Garth plante in seinem Haus zu feiern. Nur Gernhardt hatte darauf verzichtet, obwohl ihm der Rote Ochse sogar angeboten worden war. Doch er würde zu Hause bleiben und alle Gratulanten von seinem Grundstück verjagen. Da Felix seinem Onkel keine Chancen einräumte, war er gelassen geblieben und hatte sich auch in diesem Punkt aus der Planung herausgehalten. Er hatte seine Zweifel an dieser Kandidatur in jeder erdenklichen Form ausgedrückt und sogar eine Liste der peinlichen Auftritte seines Onkels verfasst, um sie als Argumentationshilfe zu verwenden. Allerdings schien ihn die Erinnerung mehr zu belasteten als Leo.

Einen positiven Effekt hatte die Kandidatur allerdings tatsächlich: Leo riss sich zusammen und hatte es tatsächlich geschafft, seit nunmehr zehn Wochen nicht mehr in Konflikt mit der Polizei gekommen zu sein. In einigen Fällen lag das zwar nur daran, dass man ihn nicht erwischt hatte, aber immerhin. Er verhielt sich weitgehend so, wie er es für einen Anwärter auf das Bürgermeisteramt für angemessen hielt. Dass dies noch sehr weit von allgemein akzeptiertem und vorbildlichem Verhalten entfernt war, schien ihn nicht zu stören.

“Alle auf der Wache haben Leos Kandidatur für einen Scherz gehalten“, sagte Besher.

“Ging mir genauso. Schließlich hat er schon einmal gegen Garth verloren und damals hat Leo sich sogar Mühe gegeben.“

“Ehrlich?“, fragte Besher erstaunt. “Noch mehr dieser kindischen Sabotageakte? Kaum vorstellbar, wie er das zeitlich geschafft haben soll.“

Felix schüttelte grinsend den Kopf. “Nein, richtiger Wahlkampf, mit öffentlichen Auftritten und einem Stand in der Ortsmitte. Auf seine Guerillaaktionen hat er sich erst später verlegt.“

“Was bis heute eine bescheuerte Idee ist.“

Felix zuckte mit den Schultern. “Leider kam er bei seinen ganzen Aktionen immer mit Verwarnungen davon. Eine ordentliche Vorstrafe hätte vielleicht dafür gesorgt, dass er die Finger davon lässt.“

“Leo soll eine Lehre aus etwas ziehen? Wenn überhaupt, wäre es ihm höchstens ein Ansporn.“

“Das klingt aber nicht nach viel Vertrauen in unser Rechtssystem.“

“Dein Onkel ist die Ausnahme jeder Regel“, antwortete Besher. “Außerdem halten Vorstrafen oder eine kriminelle Vergangenheit nicht alle Leute davon ab, in die Politik zu gehen.“

“Womit wir wieder beim amtierenden Bürgermeister wären.“

“Kein Kommentar“, sagte Besher. Es waren zu viele Reporter in der Nähe, die seine Äußerungen aufschnappen könnten. “Aber ich habe gleich eine Pressekonferenz mit ihm.“

“Dann ist es wohl besser, wenn Garth uns nicht zusammen sieht. Ich bin Persona non grata in unserem Rathaus.“

“Nicht nur wegen Garth nehme ich an“, sagte Besher.

Wie auf Stichwort trat Chloe Garth aus dem Gebäude und durch eine Folge unglücklicher Richtungsentscheidungen und die blockierende Menge standen sie sich urplötzlich gegenüber. Seine Ex-Frau sah in ihrer Aufmachung zum Anbeißen aus, aber das tat sie immer. Niemand konnte sich Chloe Garth in Leggins vorstellen, solche Kleidungsstücke passten nicht zu ihr. Nicht einmal Felix gelang das und er hatte mit ihr zusammengelebt. Im Vergleich zu ihr wirkte Felix, als käme er gerade von einer Hangover-Party. Sie waren das beste Beispiel dafür, wie sich Gegensätze anzogen.

Wie immer, wenn sie sich zufällig im Ort begegneten, wurden sie von den Umstehenden mehr oder weniger verstohlen beobachtet. Meist fehlte nicht viel, dass sich ein Kreis um sie bildete, als erwarte man einen Ringkampf zwischen ihnen oder eine heftige Versöhnung.

“Chloe“, sagte Felix.

“Felix“, sagte Chloe.

Dann waren sie aneinander vorbei und die Ginsberger wurden wieder schneller und bewegten sich wieder auf ihr jeweiliges Ziel zu. Allerdings mit einer Spur von Enttäuschung. Die beiden waren als Paar das Interessanteste gewesen, was Ginsberg an Prominenz zu bieten hatte. Die Prinzessin und der o tja, es hatte Bezeichnungen für Felix gegeben. Allesamt nicht besonders schmeichelhaft, aber es galt eben, den Kontrast zwischen ihnen zu betonen.

Felix kam es seltsam vor, mit dreiundzwanzig schon eine Ex-Frau zu haben. Er war noch viel zu jung für eine Ex-Frau. Eine Verlobte fand er angemessen, aber er war seiner Zeit wohl zwei Schritte voraus. Er dachte von Chloe nie als seine Ex-Frau, in seinen Gedanken kam dieser Begriff nicht vor. Für seinen Onkel, der ihren Namen nur äußerst selten benutzte, war sie stets: Garths Tochter. Es war ein Makel, der schwerer lastete als jede eigene Leistung, die sie in ihrem Leben vollbringen könnte. Chloe hatte Gernhardt immer ein wenig eingeschüchtert. Sogar mehr als ein wenig. Nicht, weil sie Garths Tochter war. Das mochte bei anderen funktionieren, aber bei ihm bewirkte es nur das Gegenteil. Es war ihr ganzes Wesen, das ihm in ihrer Gegenwart ein Gefühl von Minderwertigkeit und Mittelmäßigkeit einflößte. Sie sprach drei Sprachen und beherrschte jede einzelne davon besser als Gernhardt seine Muttersprache.

Kurz darauf trat auch ihr Vater aus der Tür der Gemeindeverwaltung und entdeckte Felix sofort. Seine Augen glühten hinter der Sonnenbrille auf. Es konnte allerdings auch ein Lichtreflex auf den Gläsern gewesen sein. Garth fasste seine Tochter am Arm und führte sie davon. Dabei hatte Chloe überhaupt nicht die Absicht gehabt, ihrem Ex-Mann zu begegnen oder sich mit ihm zu unterhalten. Doch es gehörte zur Absprache zwischen Vater und Tochter, dass Felix nicht mehr Bestandteil von Chloes Leben war. Dafür bemühte sich Garth, über die Existenz seines ehemaligen Schwiegersohns hinwegzusehen und seine Anwesenheit im Ort zu tolerieren. Etwas, das ihm in letzter Zeit immer schlechter gelang.

Felix und Besher sahen ihnen nach, wie sie zum Nebengebäude gingen, in dem sich der Versammlungssaal befand. Der einzige Raum der Gemeindeverwaltung, der groß genug war für die bevorstehende Pressekonferenz.

“Ich gehe mal besser mit, bevor er ohne mich anfängt“, sagte der Hauptkommissar und klopfte Felix aufmunternd auf die Schulter. “Aber lass mich dir noch eins sagen: Du bist mein persönlicher Held, weil du sie zur Heirat überreden konntest.“

“Ich musste sie eigentlich nicht überreden. Und wenn, dann wäre es mir wohl kaum gelungen.“

“Und auch noch Pia. Eine tolle Frau. Beide zur gleichen Zeit“, strahlte Besher für einen Moment und wechselte dann zur Trauermiene. “Und dann auf einmal keine mehr von beiden.“

Die Wandlung auf Beshers Gesicht war beeindruckend, so, als habe er den Verlust ertragen müssen und nicht Felix. Er nickte seinem Bewunderer zu, weil er das Gefühl hatte, Besher trösten zu müssen.


Die Gernhardts betrachteten sich schon immer als Gründer des Ortes. Anfang des 18. Jahrhunderts trug noch fast jeder zweite Bewohner des Ortes diesen Nachnamen. Die Verwandtschaftslinie war zwar etwas verzwickt, aber mit Geduld und ausreichend Papier ließ sich der weitverzweigte Stammbaum darstellen, der die meisten alteingesessenen Familien Ginsbergs zumindest streifte. Knapp zweihundert Jahre später gab es nur noch die Witwe Gernhardt, ihre beiden Töchter, die den Namen bei der Heirat ablegen würden, und ihren Sohn, dem man nachsagte, dass er sich nicht viel aus weiblicher Gesellschaft mache. Die Witwe hatte ihrem Mann auf dem Sterbebett versprechen müssen, den Familiennamen nicht aussterben zu lassen. Als hätte es sonst nichts gegeben, um das sie sich sorgen müsste. Zum Beispiel, wie sie die Familie mit dem so ungemein wichtigen Namen ernähren sollte. Zu dieser Zeit suchte man sich seinen Partner im eigenen Dorf oder höchstens im Nachbarort und es kam zu manch glückloser Verbindung. Es geschah nicht selten, dass sich Kinder aus verfeindeten Familien verliebten, so wie in Shakespeares Werk oder den überspannten Sippen bei Mark Twain. Natürlich kam es dabei nur selten zu Mord und Totschlag. Die Familien rauften sich entweder zusammen oder das glückliche Paar verließ den Ort und wurde fortan von den Verwandten totgeschwiegen. Zwei Weltkriege und die allgemeine Mobilität durch den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt mischten den Ginsberger Genpool ordentlich durch. Die Witwe Gernhardt war lange verstorben, ihre Töchter längst verheiratet und weggezogen. Nur der Sohn war in Ginsberg geblieben und hatte die Gerüchte um seine sexuelle Orientierung Lügen gestraft, indem er einen Jungen und ein Mädchen zeugte. Den Jungen nannte er Leopold, das Mädchen Ursula. Damit wäre der Fortbestand des Namens für die nächste Generation gesichert gewesen, doch Leos Ehe blieb kinderlos und Hochzeitspläne seiner Schwester waren unter dem Aspekt der Namensfortführung eher belanglos. Da diese später allerdings unverheiratet niederkam, rettete sie den Namen Gernhardt für eine weitere Generation.

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