Kitabı oku: «Heidejagd», sayfa 2

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„Okay“, sagte Inka, „ihr wolltet den Abend alleine verbringen. Was hat eure Entscheidung geändert?“

„Der Anruf von Peer. Konstantin wollte mit mir Mathe üben, aber Peer meinte, er solle kein Weichei sein, Mathe und ich würden ihm nicht weglaufen, aber das Spiel sich so schnell nicht wiederholen. Und dass Max, Jannik, Peer und die Mädchen, Amanda, Kristina und Klara, auch dabei wären. Um elf Uhr ginge es am Parkplatz beim Seestübchen los.“ Lea biss sich auf die Unterlippe. „Es ist schwer, sich aus der Clique zu lösen, ohne dabei überheblich zu wirken. Alleingänge werden nicht gern gesehen, womöglich gibt es Streit. Ich hab Konstantins Entscheidung verstanden, als er eingewilligt hat.“

„Peer hat euch also am Freitagabend zu dem Spiel überredet.“

„Ja, Konstantin. Er wollte nicht sagen, dass wir alleine sein wollten, die anderen hätten ihn aufgezogen.“

„Kamen alle deine Mitschüler mit Fahrrädern zum See?“

„Ja.“

„Und mit dem Spiel habt ihr wann begonnen?“

„So um halb zwölf. Peer hat die Spielregeln erklärt und Jannik eine Flasche Gin rumgereicht.“

„Wer ist Peer? Wer ist Jannik?“, fragte Inka, den Blick den eingetroffenen Eltern und ihren Kindern zuwerfend.

„Peer ist der Kleinere, der Dunkelhaarige. Jannik ist der Größere, der mit den Dreadlocks“, antwortete Lea.

„Wie ging es weiter?“

„Jeder hat etwas Alkohol getrunken, dann haben wir die Westen angezogen und die Gewehre geladen. Die Jungs gaben uns einen zehnminütigen Vorsprung. Wir Mädchen sind Richtung Waldbad. Klara ist zum Wassertretbecken, Amanda zum Jugendzeltplatz und Kristina Richtung Campingplatz Mühlenkamp. Eine Stunde später, nach Ende des Spiels, wollten wir uns wieder auf dem Parkplatz treffen. Ich war mit Konstantin am Waldbad verabredet.“

„Und haben die Jungen die verabredeten zehn Minuten eingehalten?“

„Ja, kann sein. Ich hab mich vor ihnen im Gebüsch versteckt.“

„Woher habt ihr die Westen, die Gewehre und die Farbe?“

„Peer hat die Sachen von einem Freund seines Vaters besorgt.“

„Erzähl mir, wann dir das Untier begegnet ist und wann du deinen Lehrer gefunden hast.“

Lea Ohlsen stupste mit der Turnschuhspitze in den Sandboden und holte tief Luft. „Wie ich sagte, wir Mädchen rannten los durch den Wald, am Waldbad haben wir uns getrennt und jeder ist in seine Richtung. Dass ich mich mit Konstantin am Waldbad treffen wollte, haben wir niemandem erzählt. Wir wollten das dämliche Spiel nicht mitmachen, sondern für uns alleine sein. Sollten sie sich alle gegenseitig abknallen. So um halb eins hab ich immer noch auf Konstantin gewartet. Alles war still, nur ab und an hörte ich ein Gewehr knallen und einen kurzen Aufschrei. Es ging Mädchen gegen Jungen, wer verliert, muss die nächste Party bezahlen. Konstantin und ich wären übrig geblieben und das Spiel wäre unentschieden ausgegangen, so haben wir es vereinbart. Doch Konstantin kam nicht. Dabei wusste er doch, dass ich den Wald schon am Tage nicht mochte und dann bei Nacht erst recht nicht. Außerdem war mir eisig kalt. Als ich wieder zum Parkplatz zurückgehen wollte, hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Es raschelte und knackte. Ich dachte, es wäre einer der Jungs, der mir gefolgt war. Sicher Peer. Mit Peer war ich vor Konstantin zusammen. Irgendwie ist er noch immer sauer auf mich. Er wollte nur das eine, wie bei seinen anderen Freundinnen, ich aber nicht.“

„Wie lange lief eure Beziehung?“

„Nicht lange. Zwei Wochen. Peer ist einer von den beliebtesten Jungs in der Schule. Alle Mädchen stehen auf ihn. Er ist zwar nicht so groß und muskulös, aber er sieht toll aus.“

„Also Peer ist der dunkelhaarige junge Mann, der neben der zierlichen blonden Frau im Jogginganzug steht?“

„Ja, das ist seine Mutter. Den Bachs gehört das Reiterhotel in Rehlingen. Seine Mutter ist Turnierreiterin und der Vater …“, Lea stockte, „weiß ich eigentlich nicht so genau. Ich glaub, er züchtet irgend so eine amerikanische Rassepferdeart. Teuer und edel, wie alles bei den Bachs.“

„Und dann bist du mit Konstantin zusammengekommen. Wie lange geht das schon mit euch?“

„Wir sind fast ein Jahr zusammen. Konstantin ist anders, er versteht mich. “

Inka nickte. „Wie ging es weiter?“

„Na ja, ich hab noch einen Augenblick gewartet und mir eingeredet, dass die Geräusche ein Reh oder ein Hirsch, ein Wildschwein oder ein Hase verursacht. Doch es knackte immer mehr im Gebüsch, und dann war da der stechende Geruch, faulige Eier, so etwas in der Art. Ich hab nach Konstantin gerufen, leise, aber so laut, dass er mich hätte hören müssen. Doch er tauchte nicht auf. Plötzlich griff jemand von hinten auf meine Schulter, und als ich mich umdrehte, sah ich Jannik ins Gesicht. Er stank nach Schnaps und sicher hatte er wieder einen Joint geraucht. Er zielte mit dem Gewehr auf mich und brüllte: Hab ich dich erwischt, du Bitch. Ich riss ihm das Gewehr aus der Hand und warf es ins Gebüsch. Er fluchte wie wild und krabbelte auf allen Vieren am Boden herum, um es wiederzufinden. Ich bin Richtung Kiosk davongerast und einmal rund ums Bad gelaufen. Hinter mir schrie Jannik – ich kriege dich, ich kriege dich. Er leuchtete mit der Taschenlampe hinter mir her, schoss, aber traf mich nicht. Jannik ist ein Zornkopf. Immer schnell auf hundertachtzig. Ein eingebildeter Spinner, genauso wie Peer. Beide haben so viel Hirn wie ein Eimer Pokémons.“

Inka krauste die Stirn. Von Pokémons hatte sie gehört, doch einordnen konnte sie diese Dinger nicht. Bevor sie weiter überlegen konnte, begann Lea neu.

„Jedenfalls hab ich Jannik abgehängt oder er hat es aufgegeben, mich zu verfolgen. Dann bin ich zurück zum Waldbad, weil ich sehen wollte, ob Konstantin endlich da ist. Aus der Ferne hörte ich Geschrei und Geballere, aber um mich herum war alles ruhig. Mir war wieder so kalt und ich hatte auch keine Lust mehr, auf Konstantin zu warten. Als ich zum Parkplatz aufbrechen wollte, hörte ich ein Brummen und Knurren und roch wieder diesen widerlich stechenden Gestank. Das war echt spooky. Erst dachte ich, Jannik hat mich wieder erwischt, doch als ich mich umgedreht hab, sprang dieses Tier mit den roten glühenden Augen aus dem Gebüsch und starrte mich an. Aus seinem Maul kam Schaum, wie bei einem tollwütigen Hund. Es stand auf zwei Beinen, hatte große spitze Zähne und streckte seine Pranken nach mir aus.“

„Ein Tier, das auf zwei Beinen stand?“

„Ja, auf den Hinterbeinen. Es war ein Werwolf, der mich fangen wollte.“

„Ein Werwolf in der Lüneburger Heide. Bist du dir da sicher, Lea? Ich meine, es war dunkel und …“

„Nein! Ja, natürlich bin ich mir sicher! Ich weiß doch, wie diese Viecher aussehen“, trotzte die Siebzehnjährige. „Außerdem war es hell, der Vollmond schien. Ich hab den Wolf genau gesehen. Er stand nur ein paar Meter von mir entfernt.“

„Ein paar Meter reichen aus, um sich zu täuschen. Es war eine gespenstische Atmosphäre, der Vollmond schien und …“

Wieder unterbrach das Mädchen. „Nein. Ich hab mich nicht geirrt. Es war ein Werwolf. Er war mindestens zwei Meter groß, hatte lange spitze Zähne, war am ganzen Körper behaart und seine Augen haben rot geglüht“, wiederholte sie beharrlich. „Er machte einen Satz auf mich zu, packte mich an den Oberarmen und riss sein Maul noch weiter auf. Die langen spitzen Zähne sah ich deutlich vor mir. Er schüttelte mich erst an den Armen, dann an der Schulter. Ich hab so gut, wie ich konnte, wild um mich geschlagen und mit den Füßen an seine Beine getreten. Er hat gestöhnt und ließ mich für einen kurzen Augenblick los. Da konnte ich mich befreien. Ich bin einfach losgerannt. Immer weiter Richtung Parkplatz.“

„Hast du nicht um Hilfe gerufen?“

„Doch, natürlich. Ja, ich glaub schon. Ich weiß es nicht. Ich bin nur gerannt und gerannt. Aber ich war ja schon fast wieder an der Brücke und die anderen noch irgendwo im Wald. Hinter mir dieses unheimliche Schnaufen und Knurren. Auf der Brücke bin ich gestolpert und über etwas Weiches gefallen. Als ich aufstand, sah ich, dass es Hendrik ist, über den ich gefallen war. Überall war Blut. Dann kam Klara über die Brücke gerannt.“

„Klara?“

„Ja, sie ist meine beste Freundin. Amanda und Kristina auch, aber Klara und ich sind auf einer Wellenlänge. Wir wollen beide nach dem Abitur in Heidelberg Medizin studieren.“

„Verstehe. Wie ging es weiter? Was war mit der Bestie?“

„Die war verschwunden. Glücklicherweise kamen Max und Kristina aus dem Wald. Max hat alle auf ihren Handys angerufen und gesagt, sie sollen sofort zur Brücke kommen. Wir waren so entsetzt über … Hendrik war ein toller Lehrer.“

„Du hast deinen Biologielehrer mit Vornamen angesprochen?“

„Das haben wir alle, er war Vertrauenslehrer. Er war echt cool.“

„Habt ihr euren Lehrer auf der Brücke angefasst?“

„Er war tot und voller Blut! Nein!“ Angewidert verzog Lea das Gesicht. Ihre Stirn- und Nasenpartie krauste sich wie bei einer alten Frau. „Natürlich haben wir ihn nicht angefasst! Nur ich, ich bin ja über ihn gestolpert und …“ Lea wischte ihre Handflächen über die Seiten ihrer Jeans.

„Haben deine Schulkameraden die Bestie gesehen?“

„Ich sag doch, die waren nicht in meiner Nähe. Klar hab ich ihnen erzählt, dass mich ein Werwolf verfolgt hat, aber Peer meinte, ich sei verrückt, das wäre wohl mein Running Gag des Tages und ich hätte zu viele Horrorfilme gesehen. Jannik hat gesagt, ich hab ihm wohl einen Joint geklaut und heimlich im Wald geraucht. Sie haben mich ausgelacht.“

„Und Maximilian Grünhagen?“

„Der hat natürlich mitgelacht. Klar. Wir Mädchen fanden es nicht lustig, außer Kristina, die hat sich zu den Jungs gesellt. Das hat mich echt geärgert, die kann sich meine Freundschaft abschminken. Aber irgendwie war das klar. Kristina von Kleist, reich und verwöhnt. Ihre Partys sind begehrt. Wer bei den von Kleists eingeladen wird, der gehört dazu. Ihnen gehört das riesige Gestüt am Ortsrand. Es ist noch größer als das Reiterhotel der Bachs in Rehlingen.“ Lea verdrehte die Augen. „Mich interessiert dieses Gehabe nicht. Wer hat das größte Haus, Boot und Auto?“

„Wo war Konstantin? Hat er dich auch ausgelacht?“

„Nein. Konstantin hat sich mit Peer, Max und Jannik gestritten. Sie sollten mich in Ruhe lassen, sonst schickte er ihnen seine Rechte, das wäre dann der Running Gag des Tages, nicht ihr blödes Lachen.“ Lea strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht, die an ihrer nassen Wange klebte. Über ihrer rechten Augenbraue und der rechten Wange hatte sie eine blutende Schürfwunde, und ihre Hände waren von Büschen und Zweigen zerkratzt. Auf ihrem dunkelblauen Blouson und ihrer Bluejeans zeigten sich Blutspuren, die von ihrem Sturz über ihren Lehrer herrührten.

„Er wollte es gleich mit allen dreien aufnehmen? Du hast einen tollen Freund, Lea“, sagte Inka, dann: „Aber wieder zurück. Hat Konstantin gesagt, warum er nicht zu eurem verabredeten Treffpunkt gekommen ist?“

„Ich hab gar nicht gefragt. Ich war nur froh, dass er bei mir war.“

„Natürlich. Ihr standet inzwischen alle auf der Brücke. Was geschah weiter?“

„Klara sagte, wir müssen sofort die Polizei rufen. Peer riss ihr aber das Handy aus der Hand. Er meinte, niemals würde er einen toten Biolehrer melden und schon gar keinen Werwolf. Wenn rauskäme, dass sie ein Paintballspiel veranstaltet hätten, er die Sachen aus der Halle des Kumpels seines Vaters heimlich ausgeliehen hätte, könne er sich für die nächsten Monate im Keller einquartieren. Sein Alter würde garantiert vor Wut kochen und ihm alle Vorzüge einschließlich der Kreditkarte streichen. Mir war das egal, ich hab mein Handy aus der Hosentasche gezogen und die Hundertzehn gerufen. Auch Jannik hat geflucht und mich wieder als Bitch beschimpft. War logisch, dass Ärger mit der Polizei auch Ärger mit den Eltern bedeutete, so angetrunken, wie er war. Peer sagte, er würde abhauen, auf den Zoff hätte er keinen Bock. Konstantin hielt ihn am Arm fest. Er müsse dableiben, wie wir anderen. Wenn nicht, hielte er garantiert nicht den Mund, sondern würde rausposaunen, wer am Spiel teilgenommen hat. Peer ist trotzdem abgehauen. Jannik auch, er meinte, seine Alten würden das schon klären.“

„Wie hat er das gemeint? Klären?“

„Seine Eltern sind Rechtsanwälte. Macht Jannik Unsinn … na ja, er ist von den Herzog-Brüdern das schwarze Schaf in der Familie, aber seine Eltern pauken ihn immer wieder aus der Scheiße.“

Inka nickte. „Das soll es geben.“

„Max und Jannik sind Peer über die Laufstrecke der Seepromenade hinterher, die wir einmal die Woche mit unserem Sportlehrer laufen. Doch weit sind sie nicht gekommen, weil ein Streifenwagen die Auffahrt zum See hochkam und sie einfangen hat. Diese Idioten.“

„Habt ihr den Fußabdruck über dem Kopf eures Lehrers gesehen?“

„Ja klar, aber dass mich ein stinkendes Ungeheuer, dieser Werwolf, verfolgt hat, hat trotzdem niemand geglaubt. Selbst Konstantin hat mich skeptisch angesehen. Ich kann es ja selber nicht glauben, aber es war so. Ich schwöre es. Einfach grauenhaft. Dieses Vieh wollte mich töten.“

„Und das geschah, bevor du Hendrik gefunden hast. Ist das richtig?“, vergewisserte sich Inka erneut.

„Ja, diese stinkende Bestie hat mich bis auf die Brücke gejagt, bis ich über Hendrik gestolpert bin. Als ich aufgestanden bin, war sie plötzlich verschwunden und Klara kam mir entgegen.“

„Und das Zeichen der …“

„Sie meinen die Wolfsangel“, nahm Lea Inka das Wort aus dem Mund. „Sicher haben wir das gesehen. Taucht ja geschichtlich im Unterricht immer wieder auf. Hermann Löns, Hitler, Himmler und so. Bei uns an der Hofeinfahrt liegt auch ein Grenzstein mit dem Zeichen.“

„Ja, der ist vielerorts zu finden“, bestätigte Inka. Sie erinnerte sich an ihren Vater, als der vor dem großen grauen Grenzstein an ihrer Hofeinfahrt stand. Mutter wollte den Stein entfernen, aber Vater war dagegen, weil es ein Stück Geschichte sei. Irgendwann pflanzte Mutter Bodendeckerpflanzen um den Stein, die im Laufe der Jahre mit immergrünen Blättern den Stein und seine Geschichte fest umschlossen. „Wie spät war es, als du Hendrik gefunden hast?“

„Es muss halb zwei gewesen sein. Es war so … so schrecklich“, flüsterte Lea. Tränen rannen über das Gesicht der Schülerin. „Hendrik war ein wirklich netter Lehrer“, schniefte sie. „Ich hör noch immer die schweren dumpfen Schritte, das Keuchen und Schnaufen, die brennenden Augen, die mich verfolgten. Ich hatte eine Höllenangst. Das Tier war so gewaltig groß. Und dann Hendriks blutiges Gesicht und sein zerfetzter Oberkörper. Ich glaub … ich glaub, mir wird schlecht.“ Lea eilte hinter die Schranke und erbrach sich neben einem Wacholder.

„Es tut mir sehr leid. Eine Leiche zu finden, ist schwer zu verkraften“, sagte Inka, während sie sich neben Lea stellte, ihr den Rücken streichelte und ihr ein Paket Papiertaschentücher reichte. Im Hintergrund waren die Stimmen der Eltern und Schüler zu hören, die von ihren Kollegen befragt wurden. Im Licht der Scheinwerfer sah Inka, wie die letzten Fahrräder in Kofferräumen verstaut wurden. „Ich könnte dir einen Psychologen …“

„Nein“, wehrte Lea ab und wischte sich mit einem Taschentuch über den Mund. „Ich schaff das schon. Außerdem sind meine Eltern Psychologen. Ich will nur nach Hause, die Klamotten ausziehen und unter die Dusche.“ Sie sah an ihrer blutverschmierten Jacke und der Jeans herunter.

„Das kannst du auch“, sagte Inka.

Sie sah Lea nach, wie sie in die Arme ihrer Eltern flüchtete, als wäre wieder eine Bestie hinter ihr her. Ein Werwolf. Wie sollte sie das nur glauben? Doch was hatte das Mädchen dann im Wald gesehen? Konnte es ein verkleideter Mitschüler gewesen sein, der Lea erschrecken wollte? Aber warum? Und wer hatte Stunden zuvor den Lehrer getötet? Oder spielten dem Mädchen in der Dunkelheit ihre Wahrnehmung und der Alkohol, den sie getrunken hatte, einen Streich? Womöglich war nicht nur die Flasche Gin, sondern auch ein Joint herumgereicht worden. Unmerklich schüttelte Inka den Kopf.

Jannik Herzog debattierte mit seinen Eltern, wobei er heftig schwankte und sich immer wieder an den Kotflügel des SUV seiner Eltern lehnen musste, um nicht umzufallen. Inka sah, wie sein Vater ihn an den Oberarmen packte und aufrichtete. Beim Vorbeigehen schnappte sie Wortfetzen auf. „Verdammt! Reiß dich zusammen! Wieder mal du! Beispiel an deinem Bruder! Angestellt! Ehrenrunde! Nachspiel!“

Kapitel 2

Wolfgang Kohlhase, der Reporter des Hanstedter Heideblattes, traf am Tatort ein.

„Du meine Güte, der hat mir noch gefehlt. Hat er am See geschlafen oder warum taucht er jetzt schon auf, es ist gerade kurz vor drei am Morgen?“, fragte Inka ihre Kollegen Mark und Amselfeld, als sie den Reporter in seinem weißen Transporter über die schmale asphaltierte Auffahrt bis vor die Absperrung fahren sah. Sie konnte den Kerl einfach nicht ausstehen. Mit seinem Transporter, in dem es aussah wie in einer Raumstation, war er zu jeder Tageszeit an jedem Heideort präsent. Und ob Diebstahl, Wohnungsbrand oder Mord, seine Mediengeilheit fand keine Grenzen. Grenzen, die er gerne in seinen Artikeln mit eigener Meinung überschritt und ausufernd ausschmückte.

Wolfgang Kohlhase wuchtete seine massigen Kilos aus dem Wagen und winkte Inka mit seinem Basketballcape zu. Knapp eins sechzig groß, untersetzt und kaum Haare auf dem Kopf, sah der Reporter in seiner Jogginghose aus, als käme er gerade aus dem Bett. Inka konnte sich dem Gedanken nicht verwehren, dass er tatsächlich in seinem Transporter nächtigte, um so schneller am nächsten Geschehen zu sein.

„Kohlhase, was treiben Sie hier?“, fragte Inka. Mit schnellen Schritten eilte sie auf den Reporter zu, der sich unter dem Absperrband hindurchzudrücken versuchte.

„Was ist los, Frau Brandt? Schlecht geschlafen? Ich mach nur meine Arbeit.“ Er richtete sich vor Inka auf.

„Es gibt keine Auskunft.“ Sie verwies den Reporter zurück hinter die Absperrung.

„Aber ein Mädchen …“, er nickte in die Gruppe der Eltern und Schüler, „… ist über eine Leiche gestolpert. Wie ich hörte, war der Täter ein Werwolf. Das ist eine Sensation, die die Heidebevölkerung erfahren muss.“

„Wir haben einen Toten, ja, aber mehr gibt es für Sie nicht zu schreiben. Es gibt keinen Namen oder weitere Ermittlungen, die ich Ihnen preisgeben werde, und es gibt keinen Werwolf. Also verschwinden Sie.“

„Haben die Schüler etwas mit dem Mord zu tun? Den Wolf mit Silberkugeln erlegt? Wurde jemand gebissen? Wird es eine Gestaltwandlung geben?“ Kohlhase war nicht zu stoppen. „Ich sehe Grünhagen aus der Steuerkanzlei und die Bachs vom Reiterhotel. Und da drüben stehen Anwalt Herzog und der vom Autohaus, der Sahlmann, Arztfamilie Ohlsen, das Hübner Schauspielerehepaar, die von Kleists sind da und die Doktoren Waldmann ebenfalls. Ihre Kinder gehen alle auf das Eliteprivatgymnasium unseres Heidepastors Wilhelm Bode in Amelinghausen. Stimmt’s, Frau Brandt?“ Er hob die Hand und stach mit einem seiner Wurstfinger durch die Luft in Richtung des Cafés, neben dem sich die Schüler in kleinen Grüppchen mit ihren Eltern aufhielten.

„Ende der Woche gibt es eine Pressekonferenz, auf der Sie sich informieren können.“ Ohne einen Gruß drehte sich Inka um. Sie hörte, wie der Kameraauslöser klickte und kleine Blitze wie Pfeile an ihr vorbeischossen. Inka warf dem Reporter einen Schulterblick zu. „Verschwinden Sie, Kohlhase, sonst lass ich mir für Sie etwas einfallen.“

Als Kohlhase zu seinem Wagen schlurfte, trudelte der nächste Nachrichtenvan ein. Die Nachricht, dass ein Werwolf in der Lüneburger Heide am Lopausee in Amelinghausen gesichtet wurde, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Eine hochgewachsene Brünette stieg aus ihrem Wagen. Wie bei Kohlhase hing ihr eine Kamera um den Hals, die bei jedem ihrer schweren Schritte über ihrem Bauch hin und her baumelte. Auf der Seite ihres schwarzen Vans las Inka in weißer Aufschrift LAN-Fernsehen.

„Guten Morgen“, sagte sie. „Entschuldigung, das Händeschütteln hab ich mir abgewöhnt.“ Sie lächelte. „Sie müssen Frau Brandt sein.“ Ohne auf Inkas Antwort zu warten, plauderte sie munter weiter. „Ich bin Beas Mutterschaftsvertretung.“ Sie winkte Mark zu, der inmitten der Eltern stand und Personalien aufnahm. „Mark weiß Bescheid, dass ich hier bin.“

„So, na dann. Was kann ich für Sie tun?“, fragte Inka.

„Mir erzählen, was hier los ist. Ein Werwolf soll am Lopausee sein Unwesen treiben und gemordet haben. Was sagen Sie dazu, Frau Brandt? Was ist wahr daran und was nicht?“

„Frau …“

„Entschuldigung, ich hab mich nicht vorgestellt. Helma Flöter.“

„Frau Flöter, ich weiß nicht, was Sie mit meinem Kollegen Mark Freese besprochen haben, aber ich werde Ihnen zu diesem Zeitpunkt keine Auskunft erteilen.“ Inka spiegelte sich in den Brillengläsern der Reporterin. Und auch ohne in einen Spiegel zu sehen, erkannte sie, dass sie verdammt müde aussah.

„Och, kommen Sie, Frau Kommissarin. Nur ein paar kleine Details, so unter dem Tisch. Ich muss doch was über den Sender laufen lassen. Sind Drogen und Alkohol bei den Kids im Spiel? Das Elitegymnasium war ja vor einem Jahr bereits in den Schlagzeilen. Nur die eine Frage, Bea ist doch …“, begann sie munter ohne einen Anflug von Müdigkeit zu dieser frühen Morgenstunde.

„Woher stammen Ihre Informationen über den Werwolf, Frau Flöter?“

„Aber, aber, Frau Brandt, Sie wissen doch, wir Reporter dürfen unsere Quellen nicht preisgeben.“ Helma Flöter blinzelte verschwörerisch. „Aber so unter der Hand, ein paar Informationen austauschen, das …“, begann die Reporterin, als Inka sie barsch unterbrach.

„Ich weiß nicht, was Sie für eine Vorstellung von meiner Arbeitsmoral haben, Frau Flöter, aber um es klar auszudrücken, es gibt keine Sonderbehandlung, nur weil Bea mit meinem Kollegen verheiratet ist. Sie werden die Pressekonferenz, die möglicherweise in der nächsten Woche stattfindet, abwarten müssen. Einen schönen Tag.“

Inka drehte sich um und ließ die Fernsehreporterin stehen, die hinter ihr herrief, sie möge ihr wenigstens eine Frage beantworten. In der Vergangenheit waren die Presse und das Fernsehen bei der Suche nach Zeugen oder Verdächtigen öfter eine Hilfe gewesen, und die Frage der Reporterin nach Alkohol war, so wie Jannik schwankte, durchaus berechtigt. Trotzdem konnte sie die neugierigen Fragen der Reporter nicht ausstehen. Bea, mit vollem Namen Joulie Sophie Beatrice de Leclerc, seit vier Monaten Marks Ehefrau, benahm sich zurückhaltend und bewies Diskretion, bis Fritz Lichtmann, Inkas Chef, ihren Artikel abgesegnet hatte. Eine Übereinkunft, die funktionierte. Mit Helma Flöter würde er nicht warm werden, das war gewiss. Sie sah zu Mark, der seinen Notizblock zuklappte und mit großen Schritten auf sie zueilte.

„Na, bist du durch?“, fragte Inka und beobachtete, wie sich die letzten Elterngruppen mit ihren Kindern auflösten.

„Ja. Rommel nimmt die letzten zwei Personalien auf“, sagte Mark. „Das war die Flöter.“ Mark wippte mit dem Kinn zum Fernsehvan, der über den Sandweg Richtung Hauptstraße davonrollte. „Sag mir nicht, sie wusste, was hier los war?“

„Sie meinte, du wüsstest, dass sie hier auftaucht.“

„Sicher nicht!“, protestierte Mark. „Bestimmt hat sie sich mit Kohlhase zusammengerottet.“

Inka nickte. „Ich frag mich nur, woher die beiden das mit dem Werwolf haben.“

„Na, woher wohl? Kohlhase hat wieder den Polizeifunk abgehört, was sonst?“, sagte Mark und wippte mit dem Kinn zum Transporter, in dem der Reporter weiter auf Nachrichten hoffend ausharrte.

Inkas Handy klingelte. Amselfeld ruft an, las sie auf dem Display.

„Ja, Kollege“, sagte sie.

„Wir haben den Platz gefunden, an dem Schubert angegriffen wurde.“

Inka suchte mit den Augen die Umgebung ab. Weit konnte Amselfeld nicht sein, seine Stimme klang, als würde er neben ihr stehen. „Wo sind Sie?“

„Neben dem Parkplatz. Ungefähr zehn Meter von Ihnen entfernt.“

Inka scannte erneut die Umgebung. Durch das winterlich lichte Buschwerk auf dieser Seite des Sees stachen die Scheinwerfer der restlichen Autos, die kreuz und quer auf dem Parkplatz standen. Hinter dem Absperrband auf dem Weg der Seepromenade stand Amselfeld und winkte mit den Armen in der Luft, als wolle er eine Schar Fliegen vertreiben.

„Ja, ich sehe Sie, Amselfeld. Ich komme.“

Fridolin Kärcher und sein Team der Spurensicherung stellten erneut Scheinwerfer auf, verteilten, wie am Tatort, Schildchen mit Nummern. Vom gleißenden Licht angelockt, umschwärmten ganze Heerscharen von Insekten die von einem Metallgeländer umzäunte kleine Plattform, die in den See hineinführte. Neben einer Holzbank standen eine Flasche Champagner und zwei Gläser. Ein brauner Ledersneaker lag in einer Blutspur.

Inka sah über den See, der vom Mondlicht und von den Scheinwerfern angestrahlt wie eine große ausgebreitete silberne Folie glänzte. Rechts hinter dem See lag die rasenbewachsene Lichtung, dann der dichte Wald und dahinter die Hauptstraße, die in weitere Heideorte führte.

„Habt ihr hier auch Fußabdrücke gefunden?“, fragte Mark.

„Du meinst von einem Werwolf.“ Fridolin Kärcher schmunzelte. „Sieh her. Zwei große Abdrücke, Größe achtundfünfzig, wie neben dem Opfer. Was für ein Tier hinterlässt solche riesigen Abdrücke?”

„Ein Bär.“ Mark musterte den Fußabdruck skeptisch.

„Hier in der Heide? Ein Bär? Du hast dich wohl in der Landschaft geirrt. Oder hast du irgendwo gehört, dass bei uns heutzutage noch Bären rumlaufen?“

„Mir fällt gerade ein … vor einer Woche gastierte ein Zirkus in Amelinghausen“, sagte Amselfeld. „Der ließ zwei Tanzbären im Programm auftreten.“

„Sollte diese Quälerei nicht längst verboten sein?“, brüskierte sich Inka.

„Ja. Ich bin mit meinen Kleinen nur hingegangen, weil nichts von Tierakrobatik in der Werbung stand. Ansonsten boykottiere ich den Zirkus, der mit Tieren arbeitet.“

„Das ist richtig“, mischte sich der Kriminaltechniker ein. „Ebenso im Zoo. Was haben eine Giraffe, ein Zebra, ein Nilpferd und was weiß ich noch, eingesperrt hinter Gittern, bei uns in Deutschland zu suchen? Noch schlimmer sind die Delfinarien, in denen die Tiere im Kreis in einem gefliesten Becken herumschwimmen“, empörte sich Fridolin.

Inka wusste, dass sich Fridolin in seiner Freizeit für den Tierschutz einsetzte und Mitglied in einer Organisation war, die sich gegen Missstände des vermeintlichen Tierwohls auflehnte. „Ich stimme euch ja zu, aber kommen wir für den Augenblick auf den Fall zurück.“ Sie nickte zum Fußabdruck. „Ist es möglich, dass der Abdruck auch von einem Menschen stammt?“

„Das wäre Schuhgröße achtundfünfzig. Den Riesen musst du mir zeigen.“

„Vielleicht ein Waldarbeiter, der …?“

„Um diese Jahreszeit sind keine Waldarbeiter unterwegs, Inka. Und selbst wenn, gäbe es einen Schuhabdruck und keinen Fußabdruck.“ Kärcher wies auf die langen Zehen und Krallenspuren, die sich deutlich in den Sand und das Blut gegraben hatten.

„Was soll es sonst gewesen sein? Ein Werwolf, den Lea Ohlsen gesehen haben will und der Hendrik Schubert und eine Frau angefallen hat, die sich hier“, Inka wies auf die Champagnerflasche und die Gläser, „bei einem Stelldichein, einem Heiratsantrag oder was auch immer getroffen haben?“

„Wir haben nur ein Opfer“, resümierte Amselfeld.

„Möglich, dass die Frau vom Angreifer verschleppt wurde.“

„Wohin, Fridolin? Vielleicht in eine Wolfshöhle? Verdammt, jetzt sag mir nicht, dass du, trotz deiner Tierliebe, diesen Unfug glaubst. Das sind doch alte Geschichten, die irgendwer verbreitet und Hermann Löns irgendwann zu Papier gebracht hat. Werwolf, so ein Blödsinn.“ Lea Ohlsens Aussage kam ihr in den Sinn. Eine riesige stinkende Bestie mit roten glühenden Augen, die sie verfolgt hatte.

„Das hab ich ja nicht gesagt, aber …“

Inka winkte ab. Wie konnte Fridolin Kärcher an solch einen Unsinn glauben? „Was ist mit der Flasche Champagner und den Gläsern?“

„An einem der Gläser befinden sich Lippenstiftspuren.“

„Das passt zu dem Ring in Schuberts Hand. Das ganze Drumherum sieht tatsächlich nach einem Heiratsantrag aus“, sinnierte Inka.

„Wobei er gestört wurde“, ergänzte Mark.

„Ich hab noch etwas für euch.“ Fridolin sah sie süffisant schmunzelnd an. In der Hand hielt er den dunkelbraunen Sneaker, der Inka bereits bei Betrachtung der Plattform aufgefallen war.

„Was ist mit dem Sneaker?“, wollte sie wissen.

„Es ist ein Damenschuh der Größe achtunddreißig. Braunes Leder, kaum getragen und ein Markenschuh der Firma Dassenberg. Ziemlich teuer. Meine Frau hat sich vor vier Wochen die gleichen Schuhe gegönnt, nur in Knallrot. Hier, sieh auf das Emblem an der Innenseite“, erklärte er. „Es sollte nicht schwer festzustellen sein, welchem Aschenputtel dieser Schuh gehört. Es gibt nur ein Geschäft in der Heide, das diese Schuhe führt, und das hat seinen Sitz in der Bahnhofstraße der Lüneburger Innenstadt.“

„Einen zweiten Schuh habt ihr nicht gefunden?“, fragte Inka. Erst ein Werwolf und jetzt Aschenputtel. Es reicht, dachte sie, während sie die goldfarbene Stickerei des Schuhs betrachtete.

Kärcher verneinte. „Aber einen weiteren Fußabdruck mit Faserspuren, der von schwarzen Socken stammt und Richtung See weist. Die Frau hat den Schuh verloren, als sie in den See gesprungen ist.“

„Die Frau ist in den See gesprungen, bist du dir da sicher, Fridolin?“

„Absolut. Der Abdruck zeigt Richtung See und hört kurz vor der Kante der Plattform auf. Möglicherweise ist sie im See ertrunken, weil …“

„… die Bestie sie vorher getötet hat“, vervollständigte Mark den Satz des Kriminaltechnikers.

„Dann hätte sie schwer springen können“, berichtigte Fridolin.

„Ich glaub da nicht dran“, mischte sich Inka ein. „Die Blutspuren entfernen sich vom Geländer der Plattform.“

„Die Blutspuren ja, Inka, aber nicht der Fußabdruck, der eindeutig von einer Frau stammt. Sie ist in den See gesprungen oder meinetwegen wurde sie geschubst, geworfen oder was euch lieber ist. Aber es sind die einzigen Abdrücke in Größe achtunddreißig, die hier zur Plattform führen und hier enden. Ihr müsst davon ausgehen, dass nur der Lehrer angegriffen wurde. Vielleicht hat er von der Frau abgelenkt und seinen Angreifer Richtung Brücke gelockt. Ich sag den Soltauer Kollegen, sie sollen Taucher schicken.“

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26 mayıs 2021
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