Kitabı oku: «Heidejagd», sayfa 3

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„Ich verstehe das nicht, Mark“, sagte Inka, während sie nachdenklich die Plattform verließ. „Wieso rennt der Lehrer zur Brücke? Hatte er kein Auto dabei? Der Parkplatz ist nur zehn Meter entfernt.“

Inka drehte sich dem Kriminaltechniker entgegen und rief: „Habt ihr einen Personalausweis gefunden?“

„Nein. Wir haben nur das, was Teresa gefunden hat. Am Tatort und im nahen Umkreis lag nichts, aber wir suchen weiter.“

„Danke. Also gut“, sagte sie wieder an Mark gewandt. „Dann fahren wir jetzt in die Schule.“ Sie ging Richtung Parkplatz, auf dem sich die letzten Eltern mit ihren Kindern auf den Heimweg machten.

„Jetzt?“

Inka sah auf ihre Armbanduhr. Kurz nach drei Uhr. „Hast recht, ist etwas früh. Fahren wir nach Hause und treffen uns um neun Uhr am Gymnasium.“

Kapitel 3

Direktor Willibald Busch öffnete seine Anzugjacke und setzte sich schnaufend in seinen Ledersessel hinter seinen Schreibtisch. Ein kleiner stämmiger Mann, der mit ruhigen Bewegungen und einem Lächeln auf dem Gesicht Gemütlichkeit ausstrahlte.

„Hendrik Schubert, tot, ermordet. Ich kann es nicht fassen“, sagte er, verblüfft über diese Neuigkeit. Er griff sich an seine rosenbedruckte Krawatte, die gelockert über seinem weißen Hemd lag, und rückte sie ein Stückchen nach rechts. „Wer hat das getan?“

„Das wissen wir leider nicht. Aber darum sind wir hier. Acht Schüler Ihres Gymnasiums haben gestern Abend seine Leiche am Lopausee gefunden. Eigentlich hat nur Lea Ohlsen das Opfer gefunden“, verbesserte Inka und setzte sich in den von Busch angebotenen Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch.

„Sie sagten, es waren acht Schüler unseres Gymnasiums.“

„Ja. Sie haben am See ein Paintballspiel veranstaltet.“

„Paintball?“ Willibald Busch schüttelte den Kopf und auf seiner Stirn bildeten sich Falten. „Bestimmt gehörten Peer Bach und Jannik Herzog auch zu der Gruppe. Oder?“ Der Direktor registrierte Marks Nicken.

„Sind diese Schüler auffällig an Ihrem Gymnasium?“, fragte Mark nach.

„Auffällig. Was meinen Sie?“ Busch wartete keine Antwort ab. „Welcher Schüler ist heutzutage nicht auffällig?“, sagte er schnell.

„Wir denken an Alkohol und Drogen, nicht an dumme Jungenstreiche wie: Hurra, die Schule brennt“, sagte Mark.

„Verstehe. Natürlich. Ja, wir sind mit diesen Problemen konfrontiert worden. Leider. Vor einem guten halben Jahr wurden wir aufmerksam. Genauer, Hendrik, also Herr Schubert, bemerkte Veränderungen an den Schülern. Er kam zu mir ins Büro und äußerte seinen Verdacht, dass ein paar Schüler der elften Klasse sich eigenartig aufführten, schwankten, nach Alkohol rochen. Ich sagte ihm, er könnte sich getäuscht haben und dass wir abwarten und keinen Wirbel machen sollten. Schließlich sind wir eine Privatschule, und wenn die Presse davon wieder Wind bekommt, dann …“ Busch griff zum Wasserglas, das neben einer Mineralwasserflasche stand. „Verstehen Sie, es sind viele Akademikerkinder, die wir unterrichten. Das macht schnell die Runde. Und dieser Mord wirft auch kein gutes Licht auf unsere Schule.“ Er stellte das Glas, ohne getrunken zu haben, wieder neben die Flasche.

„Sie meinen, so wie vor einem Jahr, als ein Dealer vor Ihrer Schule gefasst wurde und sich herausstellte, dass es einer Ihrer Schüler war, der die Drogen vertickte.“

Willibald Busch wand sich auf seinem Stuhl und druckste herum, dann sagte er: „Dieser Schüler wurde umgehend unserer Einrichtung verwiesen. Seitdem ist kein Fall mehr aufgetreten. Die Lehrerschaft veranlasste eine weitreichende Aufklärung, um die Schüler über den Alkohol- und Drogenmissbrauch und die katastrophalen Folgen aufzuklären.“

„Und dennoch haben wir am Lopausee die Reste eines Joints gefunden.“

Willibald Busch zuckte nervös die Schultern. „Und der ist von einem Schüler unserer Einrichtung?“

„Davon gehen wir aus.“

„Sie haben einen Verdacht, Herr Kommissar?“

„Wir arbeiten daran.“

„Ich werde mich ebenfalls persönlich darum kümmern“, antwortete Willibald Busch. Nickend, seine Worte unterstreichend, sah er von Inka zu Mark.

„Wie viele Schüler ausnahmslos reicher Eltern unterrichten Sie an Ihrem Gymnasium?“, wollte Mark wissen.

Willibald Busch räusperte sich, dann sagte er: „Um die zweihundert Kinder. Ich müsste nachsehen.“

„Das ist nicht nötig. Aber mich würde interessieren, wie hoch das monatliche Schuldgeld ist.“

„Sie wollen ein Kind an unserer Schule anmelden?“, stellte Busch die Gegenfrage.

„Nein. Für die Schule ist mein Sohn noch zu klein. Also?“

„Um die dreitausend Euro. Der Betrag hängt von den finanziellen Mitteln der Eltern ab und wird individuell errechnet.“

„Das ist ordentlich.“ Mark pustete. „Kommen wir zurück auf Hendrik Schubert. War er verheiratet?“

„Ja, das war er. Allerdings ist Hendrik aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen.“

„Sie haben persönliche Einblicke in die Familiensituation der Schuberts?“

„Hendrik hat es mir erzählt. Wir gehen untereinander offen mit den Lebenssituationen des jeweiligen Kollegen um. Hendrik hat sich wegen einer anderen Frau von Susanne getrennt. Anna Weiler. Vielleicht kennen Sie sie sogar. Ihr gehört die Windparkfirma Kobarski & Weiler in Schwindebeck.“

„Nein.“ Inka schüttelte den Kopf und sah zu Mark, der ebenfalls verneinte. „Sie kennen Herrn Schuberts Frau?“

„Susanne. Natürlich. Sie unterrichtet an unserer Schule Religion.“

„Wir brauchen Hendrik Schuberts neue Adresse. Und wir müssen mit seiner Frau sprechen.“

„Natürlich. Meine Sekretärin wird Ihnen die aktuelle Adresse heraussuchen. Ich weiß aber, dass er zu seinem Vater auf den Campingplatz Mühlenkamp gezogen ist.“

„Das ist einer der zwei Campingplätze, die am Lopausee liegen?“

„Am Lopausee. Ja, ganz genau, Frau Kommissarin.“

„Hendrik Schubert war Biologielehrer und Vertrauenslehrer. Wie war er so zu den Schülern? Eher streng oder eher locker? Gab es Schwierigkeiten, hatte er Streit mit einem Schüler? Wir hörten, die Schüler sprachen ihn mit dem Vornamen an.“

„Hendrik war bei jedem Schüler beliebt. Und bei uns ist es üblich, dass die Schüler ihre Lehrer beim Vornamen ansprechen. Es sind junge Erwachsene, und ein Du ist vertraulicher und einfacher auszusprechen.“

„Und bei den Schülerinnen war er ebenfalls beliebt?“

„Natürlich auch bei den Schülerinnen. Was soll das heißen?“

„Herr Schubert war sechsunddreißig Jahre alt und durchaus als attraktiv anzusehen.“ Inka blickte auf eine Bilderfront an der linken Wandseite, die Lehrerporträts zeigte.

„Sie meinen, ob er … Nein, das muss ich verneinen.“ Willibald Busch folgte Inkas Blick. „Hendrik hätte nie und nimmer … Nein. Obwohl, ja, es gab die ein oder andere Schülerin aus der zwölften Klasse … Hendrik erzählte darüber im Lehrerzimmer. Marlene ist achtzehn geworden und die einzige Tochter einer Arztfamilie, verwöhnt und durchaus eine hübsche junge Frau. Sie war, Schüler würden sagen, rattenscharf auf Hendrik. Sie ist ihm nach der Schule hinterher, hat ihn ein paar Wochen gestalkt. Als dies nicht aufhörte, habe ich sie in die Parallelklasse versetzt, in der Anja, Frau Matthiesen, den Biologieunterricht gibt. Ab da war Schluss und auch, als sie merkte, dass Hendrik ihre Verführungskünste ignorierte.“

„So einfach, Schluss? Weiter nichts?“

„Weiter nichts. Hendrik hätte es erzählt. Wie ich sagte, wir gehen sehr offen mit allen Problemen um.“

„Gab es unter den Kollegen Reibereien? Neid?“

„Nein, bei uns herrscht ein harmonisches Lehrerkollegium. Ich hätte es bemerkt, hätte es Unstimmigkeiten oder sogar Streit gegeben.“

„Seit wann unterrichtete Herr Schubert an Ihrer Schule?“

„Drei Jahre. Er kam zusammen mit seiner Frau.“

Susanne Schubert war eine zweiunddreißigjährige Brünette. Kurze Ponyfransen umrundeten ihr schmales Gesicht. Ihr dezentes Make-up belief sich auf Wimperntusche und einen roséfarbenen Lippenstift. Sie trug Bluejeans und einen kakifarbenen dicken Wollpullover mit V-Ausschnitt, unter dem ein dunkelblauer Blusenkragen hervorstach. Sie war nicht größer als Inka mit ihren ein Meter zweiundsechzig, auch wenn sie in ihren hochhackigen Pumps so wirkte oder wirken wollte.

„Das ist ja grauenhaft. Wie schrecklich.“ Susanne Schubert drückte die Fingerspitzen der rechten Hand vor den Mund. In ihre Augen traten Tränen. „Wer, ich meine, wer kann das getan haben?“, fragte sie und nestelte nach einem Taschentuch aus ihrer Hosentasche.

„Wir haben gehofft, dass Sie uns darüber etwas sagen könnten. Hatte Ihr Mann Streit mit einem Kollegen, Freund, Nachbarn oder …?“

„Nein, nicht dass ich wüsste. Außer mit unserem Direktor.“

„Worum ging es bei dem Streit?“

„Eigentlich um eine Lappalie. Hendrik wollte mehr Stunden für seinen Unterricht, um seinen Schülern die Heide und die Natur noch näher zu bringen. Busch hat es abgelehnt. Der Topf für die Finanzierung wäre leer. Sie haben darüber gestritten. Immer wieder. Hendrik meinte, er könne ja die Eltern der Schüler um eine Spende bitten. Aber Busch setzte dagegen. Der letzte Spendenaufruf wegen des neuen Bodenbelags der Turnhalle sei gerade zwei Monate her und er könne nicht schon wieder die Hand ins Portemonnaie der Eltern stecken.“ Susanne Schubert schnäuzte ins Taschentuch und lehnte den Rücken stützend gegen die Flurwand.

„Herr Busch erzählte, Ihr Mann würde bei seinem Vater auf dem Campingplatz Mühlenkamp wohnen.“

„Ja, das ist richtig. Er ist zu seinen Eltern in das Mobilheim gezogen, vorübergehend, bis er eine Wohnung findet, finden wollte.“

„Warum haben Sie sich getrennt?“

„Hendrik …“ Susanne zog ein weiteres Papiertaschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich die Nase. „Hendrik hatte nur seine Arbeit im Kopf. Er war mit Leib und Seele Biologielehrer. Aber nicht nur das, nach der Schule war er in der Heide mit Flora und Fauna beschäftigt. Unsere Ehe … ich saß ständig alleine zu Hause. Mit der Zeit haben wir uns voneinander entfernt. Irgendwann lebten wir nur noch als Bruder und Schwester zusammen. Wir haben uns respektiert, vertraut, aber … Na ja, es fehlte das Zusammensein, die gemeinsame Zeit, die Zärtlichkeit und die Leidenschaft, wenn Sie verstehen. Er hat mich nicht mehr als Frau gesehen, eher als Partner einer Wohngemeinschaft. So konnte es nicht weitergehen. Das haben wir beide eingesehen und die Scheidung eingereicht“, ergänzte sie.

„Frau Schubert, war der Grund Ihrer Trennung nicht eher eine andere Frau?“

„Nein! Natürlich nicht! Hendrik hätte mich nie betrogen.“

„Kennen Sie Anna Weiler?“

„Nein. Wer soll das sein?“

„Frau Weiler ist die Inhaberin der Windparkfirma Kobarski & Weiler aus Schwindebeck.“

„Nein. Noch nie gehört. Mich interessieren diese Türme nicht.“

„Aber Ihren Mann als Biologielehrer, und, wie Sie selbst sagen, als Naturfreund hätten diese Anlagen interessiert. Es ist doch möglich, dass er auf seinen Naturexkursionen durch die Heide Frau Weiler begegnet ist.“

„Alles ist möglich. Nur können wir ihn nicht mehr fragen“, antwortete Susanne scharfzüngig.

„Warum hat Ihr Mann sich keine eigene Wohnung gesucht?“

„Woher soll ich das wissen? Mir hat er nichts mehr von seinen Zukunftsplänen erzählt. Ich weiß nur, dass die Hilde, Walters Frau, Hendriks Mutter, in Bayern bei ihrer Schwester zu Besuch ist. Hendrik meinte, sie käme in zwei oder drei Wochen zurück und dann würde er aus dem Mobilheim wieder ausziehen. Er hätte noch viel vor in seinem Leben. Was es ist, hat er mir nicht verraten. Nur, dass es für mich sowieso nichts wäre.“

„Wollte Ihr Mann ebenfalls in ein Mobilheim ziehen? Das Haus aufgeben und ohne Schulden leben? Meinte er diese Veränderung, die nichts für Sie gewesen wäre?“

„Nein, Hendrik würde nie in so eine kleine Bude ziehen, dazu ist er zu freiheitsliebend. Er braucht Platz und die Weite um sich herum. Enge, wie in einem Mobilheim, würde ihn erdrücken.“

„Ihr Schwiegervater wohnt auf einem Campingplatz. Vielleicht wollte Ihr Mann sich einschränken, um in der Nähe seiner Eltern zu leben.“

„Niemals. Haben Sie nicht zugehört? Hendrik war kein Campingtyp. Und seine Eltern hatten keine andere Wahl. Walter war als Schlosser selbstständig und hat kaum für seine Rente einbezahlt. Hilde war Hausfrau. Es ging ihnen gut. Doch jetzt ist nichts übrig geblieben. Das, was er an Rente hat, reicht zum Überleben, aber nicht für eine normale Miete. Für ihr Angespartes haben sie das Mobilheim gekauft.“

„Haben Sie und Ihr Mann Kinder?“

„Nein, wir wollten noch zwei Jahre warten, bis das Haus abbezahlt ist, und uns dann entscheiden, aber …“ Susanne schluckte.

„Gibt es eine Lebensversicherung?“

„Ja. Wir haben beide eine abgeschlossen, schon vor Jahren.“

„Sie werden das Haus erben.“

„Ich denke ja. Wie gesagt, es gibt keine Kinder.“

„Wird die Versicherungssumme reichen, um das Haus abzubezahlen?“

„Wenn Sie glauben, dass ich meinen Mann umgebracht habe, weil ich das Haus erben will, sind Sie auf dem falschen Weg. Wir haben ab und an gestritten, ja, aber … ich hätte ihn nie umgebracht, ich … ich habe ihn geliebt, irgendwie.“

„Ihr Mann hatte zwanzigtausend Euro bei sich, als wir ihn fanden. Haben Sie eine Ahnung, woher das Geld stammt?“

„Nein. Zwanzigtausend? Nein. Wir haben kaum zweitausend auf unserem Konto. Der größte Teil, den wir verdienen, geht für die Abzahlung des Hauses drauf.“

„Wo waren Sie gestern Abend gegen zweiundzwanzig Uhr?“, wollte jetzt Mark wissen.

„Zu Hause, alleine, ich hab die Geschichtsstunde für heute vorbereitet.“

„Sie sind Religionslehrerin.“

„Nicht nur, ich unterrichte auch Geschichte. Allerdings nur einmal die Woche, als Aushilfe für meine Kollegin. Wir teilen uns die Stelle.“

„Kann es sein, dass Sie in der Vergangenheit mit Ihren Schülern über das Zeichen der Wolfsangel gesprochen haben?“

„Das Thema bearbeiten wir seit drei Wochen. Warum fragen Sie?“

„Weil neben dem Kopf Ihres Mannes dieses Zeichen gemalt wurde.“ Dass das Zeichen mit Blut geschrieben wurde, wie der Fußabdruck des imaginären Werwolfs, verschwieg Inka.

Susanne Schuberts Blick wanderte aus dem Flurfenster hinunter auf den Schulhof. Eine Gruppe Jugendlicher stand an der roten Backsteinmauer neben dem Eingang und lachte laut.

„Glauben Sie, es war einer der Schüler, der meinen Mann ermordet hat?“, fragte sie, ohne die Kommissare anzusehen.

„Das können wir derzeit nicht sagen. Wie war das Verhältnis Ihres Mannes zu den Schülern? War er beliebt oder gab es Streitigkeiten?“

„Er war beliebt. Besonders bei den Schülerinnen. Sie haben ihn angehimmelt, doch er hat sich nichts daraus gemacht. Klar, er war stolz und fühlte sich geehrt, welcher Mann wäre das nicht, aber mehr wurde nicht daraus. Er ist da ganz souverän mit umgegangen und hat es als Jungmädchenschwärmereien abgetan. Er hat sie ignoriert, wenn sie ihm nach der Schule nachgestellt haben. Ihnen klargemacht, dass er verheiratet ist.“ Susanne lehnte sich mit dem Rücken an das Fensterbrett. Die Sonne schien in den Raum und verlieh ihren brünetten Haaren einen rötlichen Schimmer.

„Und das hat funktioniert? Ich kann mir vorstellen, dass die ein oder andere Schülerin das nicht so locker gesehen hat.“

„Na ja, da gab es eine, die war schon hartnäckig. Marlene hieß sie. Manchmal stand sie stundenlang vor unserem Haus, schickte ihm Liebesbriefe, Pralinen, Blumen, rief mitten in der Nacht an, sie buchte sogar einen gemeinsamen Wochenendflug nach New York. Das ging ein halbes Jahr. Als sie nicht aufhörte, hat Busch sie in eine andere Klasse versetzt.“

„Und dann war Ruhe?“

„Nein, dann ging es erst richtig los. Sie war wütend und hat unsere Fenster und Hauswände beschmiert. Herzchen, kopulierende Paare, Liebesschwüre, dann Totenköpfe und grässliche Monstergestalten.“

„Ein Werwolf vielleicht?“, mischte sich Mark ins Gespräch.

„Ja, alles Mögliche. Werwolf, Vampir, Teufelgestalten und, und, und. Sie war da sehr kreativ und auch begabt, das muss ich zugeben. Aber warum fragen Sie?“

„Ihr Direktor erzählte, Marlene hätte nach der Versetzung das Stalking eingestellt“, sagte Mark, ohne Susannes Frage zu beantworten.

„Nein, hat sie nicht. Wir haben es im Lehrerkollegium nur nicht mehr an die große Glocke gehängt. Wir wollten die Geschichte unter uns klären und mit Marlene und ihren Eltern reden. Wir führten ein vernünftiges sachliches Gespräch. Marlene hat eingesehen, dass wir gezwungen gewesen wären, sie anzuzeigen, wenn sie nicht aufgehört hätte, Hendrik nachzustellen. Das hat gewirkt.“

„Ab da war der Spuk vorbei?“

„Ja.“ Susanne Schubert nickte und rieb die Hände über ihre Oberarme, als würde sie frösteln. Mit skeptischem Blick sah sie die Kommissare an. „Marlene ist eine verzogene Göre. Ihre Eltern arbeiten als Schönheitschirurgen in der Hamburger Rothenbaumchaussee. Mit einer Anzeige hätten wir für die Schule und die Westmann-Hofs einen Skandal heraufbeschworen, das musste nicht sein.“

Mark hielt Inka die Fahrstuhltür des Schulgebäudes auf. „Nimmst du ihr die Geschichte ab?“, fragte er, während er im Display auf das Erdgeschoss drückte. „Ich meine, gut, es kommt immer wieder vor, dass Schülerinnen sich in ihre Lehrer vergucken, aber so drastisch mit Wochenendtrip und an die Wände geschmierten Monstergestalten?“

„Liebe geht seltsame Wege und kann schon recht sonderbare Formen annehmen. Und eine junge Frau, gerade dem Teeniealter entwachsen, fühlt sich schnell zurückgewiesen, nicht schön oder begehrenswert. Wer weiß, was in ihrem Kopf herumspukt, um ihr Ziel zu erreichen. Vielleicht sucht sie nur Aufmerksamkeit, die sie zu Hause selten oder gar nicht findet.“ Inka dachte an Kollege Fallers Worte der alleingelassenen und vernachlässigten Kinder.

„Du meinst, diese Marlene kriegt alles, was sie sich wünscht, nur keine elterliche Zuwendung.“ Die Kabinentür schloss sich und der Fahrstuhl setzte sich sanft ruckelnd in Bewegung.

„Genau. Ein Pflänzchen, das in der Kindheit zu wenig gewässert wird, verkümmert und wächst schief und krumm.“

Ein Pling verriet ihren Halt. Die Kabinentür öffnete sich und ein Schwall kaltes Nikotin strömte mit drei männlichen Jugendlichen in die Kabine, bevor Inka und Mark aussteigen konnten.

„Hm, ein außergewöhnlicher Vergleich“, erwiderte Mark, als sie sich an den Jugendlichen vorbeigedrängelt hatten und über den verlassenen Schulhof zum Parkplatz gingen.

„Ja, aber es ist so. Kinder brauchen Urvertrauen, und wenn sie das nicht bekommen, kann das früher oder später zu traumatischen Folgen führen. Ich hatte das Thema in Lübeck bei der Geburtsvorbereitung“, sagte Inka erklärend und rutschte auf den Beifahrersitz in Marks Wagen, dann klingelte ihr Handy. Fritz ruft an, stand auf dem Display.

„Morgen, Fritz, was macht deine Erkältung?“

„Sie hält sich hartnäckig.“

„Hast du schon gehört, was bei uns los ist?“

„Ich hab mit Frauke telefoniert, als ich euch nicht erreichen konnte. Sie sagt, wir haben einen toten Lehrer, der von einem Werwolf angegriffen wurde. Warum habt ihr euer Telefon ausgestellt?“

„Weil wir dich mit deiner Erkältung nicht in die kalte Nacht scheuchen wollten. Außerdem waren wir eben in der Schule des Lehrers und haben mit seiner Frau, die dort ebenfalls unterrichtet, und mit dem Direktor gesprochen.“

„Was ist das für ein Blödsinn? Werwolf. Was ist am See los? Wer hat das Hirngespinst in die Welt gesetzt?“

„Acht Schüler des Amelinghausener Pastor-Bode-Eliteprivatgymnasiums haben ein nächtliches Paintballspiel veranstaltet. Eine Schülerin, Lea Ohlsen, behauptet, sie wurde von einem Werwolf angegriffen und verfolgt, bis sie über den toten Biologielehrer auf der Holzbrücke gestolpert ist.“

„Aus dem Pastor-Bode-Eliteprivatgymnasium? Verdammt! Sind da wieder Drogen im Spiel, so wie vor einem Jahr?“

„Möglich. Lea erzählte von einem Joint, den ein Mitschüler am See geraucht hat, bevor das Paintballspiel begann.“

„Wundert mich, dass es nur ein Joint war. Die Kinder, die dort in die Schule gehen, sind so stinkreich, dass sie an mehr als nur Joints rankommen könnten. Wann begreifen die endlich, wie sie sich schaden? Früher …“, begann Lichtmann und stöhnte kurz auf, „… na ja, das kann man nicht vergleichen. Früher hatten wir auch einen Kaiser.“ Inka hörte, wie ihr Chef am anderen Ende der Leitung nieste.

„Gesundheit. Mark und ich glauben nicht an den Quatsch über den Werwolf, der die Schülerin verfolgt und womöglich Hendrik Schubert getötet hat. Du kennst unsere Meinung zu diesem paranormalen Kram. Dennoch vermutet Teresa, nach der ersten Sichtung des Toten, dass der Lehrer durchaus von einem Bären oder einem anderen großen Tier angefallen worden sein könnte.“

„Ein Bär? Bei uns in der Heide? Ist das eine Löns-Geschichte, in der es noch Haide anstatt Heide hieß und wo noch Bären in der Haide lebten und die Bauern noch Haidjer waren?“, fragte Fritz Lichtmann erstaunt.

„Und die Haidjer die Römer aus dem Land trieben, weil sie keinen Zins zahlen wollten, und es erbitterte blutige Kämpfe gab, die die Haidjer allerdings verloren. Woraufhin sie dann doch Zins zahlten, sich taufen ließen und Christen wurden. Was aber nur scheinheiliges Getue war, denn pflügten sie auf dem Feld, lagen neben ihnen der Speer und die Armbrust. Und noch etwas: An Werwölfe glaubten die Haidjer nur bedingt. Es gab einen Bauern, der Wulf hieß, dieser rief eine Gruppe ins Leben, die sich ab da Werwölfe nannte und jeden niedermetzelte, der sich an Alten, Kindern und Frauen vergriff, ihn tötete oder ausraubte. Zumindest schrieb das Hermann Löns in seinem Werk Der Werwolf“, mischte sich Mark geschichtlich ein.

„Wow, und ich dachte, du hast den Geschichtsunterricht verpennt.“ Inka lachte und Fritz stimmte ein. „Aber zurück“, sagte sie. „Wir sind auf dem Weg zum Vater des Lehrers, der in einem Mobilheim auf dem Campingplatz Mühlenkamp lebt. Dort wohnte Hendrik Schubert, seitdem er sich von seiner Frau getrennt hatte.“

„Der Platz liegt nur ein paar Meter neben dem Lopausee. Wir vermuten, er wollte nach dem Angriff von der Plattform dorthin flüchten, auf der er sich mit einer Frau, möglicherweise seiner Geliebten, getroffen hat. Allerdings schaffte er es nur bis zur Holzbrücke, auf der hat ihn der Täter eingeholt. Einen Raubmord schließen wir aus, da wir das Opfer mit einem Diamantring und zwanzigtausend Euro in der Tasche fanden“, setzte Mark nach.

„Moment. Das Opfer hat sich auf der Aussichtsplattform am See mit einer Frau, aber nicht mit seiner Frau getroffen? Und er hatte einen Haufen Geld und ein teures Schmuckstück dabei?“, fragte Lichtmann nach.

„Ja. Wir vermuten, dass er mit Anna Weiler, der Unternehmerin der Windparkfirma Kobarski & Weiler, am See war. Laut Auskunft des Schuldirektors war sie Hendriks neue Flamme.“

„Die Weiler war in der Nacht auch am See? Ich kenne sie, oberflächlich, ein Bekannter beim … das führt zu weit. Aber neulich waren Charlotte und ich auf ihrer Veranstaltung der geplanten Windparkanlage eingeladen, die sie nahe Schwindebeck hochziehen will. Die Weiler und ihr Partner, der Kobarski, haben ordentlich aufgetischt und damit meine ich nicht das Büfett, sondern die Windkrafträder, die sie am Naturschutzgebiet aufstellen wollen. Allerdings las ich vor ein paar Tagen von einem Baustopp. Es geht um eine bedrohte Vogelart.“ Fritz Lichtmann zögerte. „Wie hieß der Flattermann noch, irgendetwas mit Pfeifer … na ja, fällt mir wieder ein.“

„Ob sie die Frau war, mit der sich Schubert getroffen hat, können wir nicht eindeutig sagen, dazu fehlt uns der zweite Schuh“, erklärte Mark.

„Ein Schuh?“

„Richtig. Aschenputtel hat einen Sneaker verloren, als sie laut Spusi in den See gesprungen ist oder geschubst wurde. So lautet Fridolins Aufstellung der Untersuchung.“

„Du hast das mit Blut gemalte Zeichen der Wolfsangel neben Schubert vergessen, Mark“, setzte Inka nach. Sie hörte, wie ihr Chef am anderen Ende erneut nieste.

„Eine Wolfsangel? Sagt mir jetzt nicht, wir bekommen es mit den Nazis zu tun?“, näselte Fritz.

„Wir hoffen nicht. Kurier du dich aus und lass dich von Charlotte verwöhnen.“

„Charlotte soll mich verwöhnen, wann denn? Sie arbeitet, falls du es vergessen hast. Meinen Männerschnupfen werde ich alleine los.“ Fritz lachte ins Telefon. „Meldet euch, sobald es Neuigkeiten gibt oder ihr Hilfe braucht.“

„Jawohl, Chef“, antwortete Inka schmunzelnd und legte auf.

Zehn Minuten später lenkte Mark den Wagen durch die Einfahrt auf den Campingplatz Mühlenkamp und ließ das Fahrerfenster herunter. Walter Schubert stand vor seinem Mobilheim und rauchte. Aufmerksam beobachtete er den fremden Wagen, der vor seinem Gartenzaun parkte.

„Sind Sie Herr Schubert?“, fragte Mark aus dem Fahrerfenster.

„Der bin ich. Und Sie?“ Er drückte die Kippe in einen Aschenbecher, der auf dem Boden neben einer geöffneten Fliegengittertür stand. „Wissen Sie schon, wer es war?“, fragte er leise, als Mark Inka und sich dem Senior vorgestellt und den Grund ihres Besuches erklärt hatte.

Inka musste sich Mühe geben, ihre Tränen zurückzuhalten. In den Jahren bei der Polizei fiel es ihr immer schwerer, ihre Emotionen zu kontrollieren und einen neutralen Blick auf den Fall zu bewahren. Besonders nachdem Paula am Timmendorfer Strand verschwunden war und sie zwei Tage mit ihren Kollegen und Sebastian nach ihr gesucht hatten. Sie hatte Höllenqualen ausgestanden. Ein Kind zu verlieren, egal in welchem Alter, war das Schrecklichste, was Eltern passieren konnte. Ob nun durch einen Unfall, Mord, Entführung oder nur durch Verlassensein. Verlassene Eltern. Erwachsene Kinder, die von heute auf morgen den Kontakt zu ihnen abbrechen. Hanna erzählte ihr von einem befreundeten Ehepaar, dem es mit seiner Tochter so erging. Sie sagte, die Eltern sprachen davon, es hätte ihnen das Herz herausgerissen und sie wären von einem auf den anderen Tag um Jahre gealtert. Genauso hatte sich Inka in Lübeck gefühlt. Auch nachdem sie Paula wieder gesund in die Arme schließen konnte, war der Schmerz heute noch fühlbar. Und jetzt stand vor ihr ein Vater, der seinen Sohn verloren hatte und den er nie mehr in die Arme schließen konnte. Beim Anblick des trauernden Elternteils zog sich Inkas Herz schmerzhaft zusammen. Sie schluckte schwer. Sie war fest entschlossen, den grausamen und mysteriösen Tod von Hendrik Schubert aufzuklären.

„Es tut mir sehr leid, Herr Schubert“, sagte sie. „Können wir etwas für Sie tun? Es gibt eine Psychologin, die ich Ihnen schicken und die Ihnen beiseitestehen könnte.“

„Nein. Ich möchte nur alleine sein und meine Frau anrufen.“

„Ich verstehe“, antwortete Inka, „doch müssten wir Ihnen eine oder zwei Fragen stellen. Meinen Sie, das wäre möglich?“ Sie sah den Mittsechziger, der auf einem Gartenstuhl Platz genommen hatte, fragend an.

„Ja“, sagte er schwach, den Kopf gesenkt.

„Seit wann hat Ihr Sohn bei Ihnen gewohnt?“

„Seit drei Monaten. Anfang August ist er eingezogen.“

„Was war der Grund?“

„Den hat er uns nicht gesagt. Er meinte nur, wir sollen uns nicht beunruhigen, es wird alles gut. Wir haben gedacht, dass sich mit Susanne alles wieder einrenkt. Manchmal braucht man eine Auszeit von der Ehe.“ Walter Schubert zitterte. „Muss ich meinen Sohn identifizieren?“

„Nein“, antwortete Inka. Susanne Schubert hatte sich bereit erklärt, und das, obwohl Inka sie wegen des Zustandes der Leiche vorgewarnt hatte. „Seine Frau ist einverstanden, Ihren Sohn …“

„Ich will ihn sehen und meine Frau auch, das weiß ich“, presste Schubert zwischen Inkas Satz hervor. „Schnappen Sie den Kerl, der das getan hat.“

„Ja“, erwiderte Mark. „Noch eine Frage: Besaß Ihr Sohn ein Auto?“

„Nein, er ging zu Fuß oder ist mit dem Rad gefahren. Er war ein Naturfreund. Die Luft mit Abgasen zu verpesten, war gegen seine Überzeugung.“

„Ihr Sohn hatte eine Beziehung mit Anna Weiler. Hat er erzählt, dass er wieder heiraten will?“

Schubert lächelte angespannt. „Also war es doch schon so weit. Nicht nur eine kleine Auszeit, wie Hilde und ich gedacht haben. Auf dem Kühlschrank lagen Papiere, Hendrik wird sie vergessen haben. Sie kamen vom Gericht, aber … es könnte sich ja auch um andere Dinge gehandelt haben als … Wie will er heiraten, wenn er nicht geschieden ist?“, fragte Walter Schubert besinnend, dass sein Sohn sich weder scheiden lassen noch heiraten konnte. Unmerklich schüttelte er den Kopf, dann sah er Inka mit glasigen Augen an. „Und wer ist Anna Weiler?“

„Ihr gehört die Firma Kobarski & Weiler in Schwindebeck.“

„Das sagt mir nichts.“

„Frau Weiler plant den Bau einer neuen Windparkanlage.“

„Unser Sohn war mit einer Frau zusammen, die eine Windparkanlage bauen will? Das kann ich nicht glauben. Dem hätte er nie und nimmer zugestimmt, er war ein militanter Naturschützer.“

„Sind Sie sicher, ich meine …“

„Natürlich bin ich sicher. Er hat diese Anlagen verteufelt. Wisst ihr, hat er gesagt, wie viele Vögel diese Windräder das Leben kosten? Die Tiere geraten in die Rotorblätter oder fliegen gegen Masten. Es ist die zentrale Ursache des Artenschwundes, bei dem jedes Jahr Tausende Tiere sterben. Diese Offshoreanlagen seien das Aus für Vögel und Fledermäuse. Ich kann mich genau an seine emotionsgeladenen Ausführungen erinnern. Gerade letzte Woche, da sprachen wir …“ Der Senior zögerte kurz, schluckte, dann sagte er: „Hendrik war aufgeregt. Diese Anlagen seien ,Vogel-Schredderanlagen‘, gegen die massiv vorgegangen werden müsse.“

„Und doch scheint es so gewesen zu sein, Herr Schubert.“

„Ich kann das alles nicht glauben und ich würde jetzt wirklich gerne alleine sein.“

„Nur noch eine Frage. Erlauben Sie uns, ins Haus und in das Zimmer Ihres Sohnes zu gehen?“

„Bitte. Hendrik hat auf dem Sofa geschlafen, wir haben nur zwei Zimmer auf fünfundvierzig Quadratmetern.“

Das Wohnzimmer des Mobilheims war spartanisch und doch modern mit einer dunkelblauen Polstercouch, über deren Armlehne eine graue Wolldecke hing, einem weißen Sideboard, auf dem ein Flachbildschirm stand, und einem Highboard gleicher Farbe ausgestattet. Ein Gummibaum rankte seine Verzweigungen über die Fensterfront. Der Boden war mit praktischem PVC in heller Holzoptik ausgelegt. Die Wände schmückten Landschaftsbilder.

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26 mayıs 2021
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