Kitabı oku: «Heidejagd», sayfa 5
„Gar nichts braucht sie wiedergutzumachen, Tim. Sie hilft uns freiwillig und ohne Bezahlung jeden Samstag im Hofladen, das reicht.“
„Dir reicht es, Hanna, aber mir reicht es nicht. Auch mein Schlaf wird gestört oder hast du vergessen, dass wir verheiratet sind?“
„Tim, das geht zu weit. Ich denke, wir sprechen am Abend. Wie weit bist du mit der Vakuumierung des Fleisches?“, lenkte Hanna ab.
„Fertig. Ich bringe es dir in den Hofladen, vorausgesetzt, du hast mit den Kommissaren alles Wichtige des Tages besprochen.“
Hanna Sundermöhren stöhnte kopfschüttelnd auf. „Tim, halt die Luft an und lass uns weiterplauschen.“ Lächelnd wedelte sie mit einer Geste ihrer Hand Tim aus der Küche. „Dieser Mann ist ein Original“, sagte sie, als Tim sich wortlos umdrehte und in Gummistiefeln über den Hof Richtung Schlachthaus stapfte.
„Mehr als das“, erwiderte Inka und steckte sich den Rest Hirsebrot in den Mund.
„So“, sagte Hanna und beugte sich ein Stückchen über den Tisch, „nur ein Krümelchen, warum …“
„Einige Schüler des Pastor-Bode-Gymnasiums haben ein nächtliches Paintballspiel veranstaltet. Eine Schülerin behauptet, sie sei von einem Werwolf angefallen worden. Auf ihrer Flucht ist sie über den toten Biologielehrer gestolpert“, nahm Mark seiner Kollegin die Antwort ab.
„Nein, das gibt es doch nicht! Das Privatgymnasium?“ Hanna warf sich an die Rückenlehne des Stuhles. „Ein Werwolf hat den Lehrer getötet. Das ist ja wieder eine typische mystische Geschichte für die Lüneburger Heide. Wundert mich, dass da noch kein Regisseur vom Fernsehen drauf gekommen ist. Das wäre ein gefundenes Fressen, hier bei uns in der Gegend eine Krimiserie zu starten. Undeloh, Hanstedt, Schneverdingen, Amelinghausen, Wehlen, das sind geniale Orte für Dreharbeiten, meint ihr nicht? Und genug los ist hier auch.“
Mark lachte. „Da hast du recht, Hanna, unsere Heide bietet wirklich herrliche Schauplätze für Kriminalfälle und das zu jeder Jahreszeit. Aber ob wirklich ein Werwolf der Täter ist, wissen wir erst, wenn Teresa den Toten untersucht hat. Wir müssen auf die Ergebnisse warten.“ Mark biss vom Schmalzbrot ab und kaute.
„Sag mal, Schwesterherz“, sagte Inka, während sie mit dem Zeigefinger auf drei Hirsekörner tippte, die neben ihrem Teller lagen. „Liegt in der Hofeinfahrt noch der Grenzstein mit dem Zeichen der Wolfsangel?“ Sie leckte am Finger.
„Ich glaube ja. Allerdings ist er vollständig zugewachsen. Vater wollte ihn nicht entfernen, obwohl Mutter immer wieder gedrängt hatte, weil ihre Eltern im Krieg … na ja.“ Hanna verstummte für einen Augenblick. Oft hatte ihre Mutter ihr weinend von den Kriegsjahren ihrer Oma erzählt. „Erinnerst du dich nicht, wie sie auf dem Markt Unmengen an Bodendeckerpflanzen gekauft und sie rundherum um den Stein gepflanzt hat?“
Inka nickte.
„Was ist mit dem Zeichen?“
„So ein Zeichen wurde neben dem Toten gefunden“, übernahm Mark.
„Ihr meint, dass ein …“ Hanna stockte.
„Es gibt eine nationalsozialistische Gruppe, die sich angeblich in der Kronsbergheide in einer Höhle trifft. Hast du schon einmal davon gehört?“
„Nein. Die Kronsbergheide kenne ich natürlich. Es ist ein historischer Platz für Amelinghausen. Jedes Jahr im August wird die Amelinghausener Heidekönigin dort gewählt. Wusstet ihr, dass Jenny Elvers, die Schauspielerin und Sängerin, die bekannteste dieser Heideköniginnen, aus Amelinghausen stammt? Na, ist ja auch nicht so wichtig.“ Hanna winkte ab. „Mit Tim bin ich oft den Königinnen-Weg und den Sagenhafter-Hünen-Weg durch die Heide, in die Oldendorfer Totenstatt und um den Lopausee gewandert. Allerdings war das vor der Zeit unserer Racker.“ Sie wischte mit der Hand weitere Hirsekörner vom Tisch. „Aber ein Werwolf ist uns nie begegnet, das ist doch Medienblödsinn. Habt ihr einen Verdächtigen?“
„Wir sortieren“, beendete Inka das Gespräch. Mehr Ermittlungswissen durfte sie auch ihrer Schwester nicht verraten.
Kapitel 4
Anna Weiler saß hinter einem Glasschreibtisch und tippte auf der Tastatur eines Laptops.
„Ja bitte?“, fragte sie. Neben der Tastatur stand eine geöffnete Box Kosmetiktücher. Ein Teebeutelfähnchen baumelte am Rand eines hellblauen Keramikbechers, aus dem eine weiße Rauchsäule aufstieg und das Büro mit Pfefferminzgeruch füllte.
„Hauptkommissarin Inka Brandt und Kollege Mark Freese der Hanstedter Mordkommission“, stellte sich Inka vor, während sie ihren Ausweis Anna Weiler über den Schreibtisch entgegenhielt.
„Was kann ich für die Polizei tun?“, fragte sie näselnd. Sie schien irritiert.
„Sie sind Hendrik Schuberts Freundin“, begann Mark.
„Ja. Beziehungsweise nein, nicht mehr. Entschuldigung.“ Sie nieste, riss ein Kosmetiktuch aus der Box und schniefte hinein. „Ich hab mich ein wenig erkältet.“ Sie unterdrückte ein Husten.
„Seit wann sind Sie getrennt?“
„Warum will die Polizei wissen, ob ich einen Freund habe oder nicht?“
„Sobald dieser Freund tot aufgefunden wird, Frau Weiler. Also, seit wann?“, drängelte Mark.
„Hendrik ist … ist tot?“ Anna Weiler sah mit geweiteten Augen auf die Kommissare.
„Seit wann?“, wiederholte Mark.
„Vor drei Wochen haben wir uns getrennt.“
„Warum?“
„Was ist Hendrik geschehen?“
„Er wurde ermordet. Also?“
„Es gab Unstimmigkeiten zwischen uns.“
„Was waren das für Unstimmigkeiten?“
„Er wollte ein Kind, weil seine Frau nach einer Fehlgeburt keine mehr bekommen konnte. Ich hab gesagt, ich hätte bereits einen erwachsenen Sohn. Er hat mich bedrängt, bis ich die Beziehung beendet habe.“
„Wann haben Sie Hendrik das letzte Mal gesehen?“, fragte Inka, als ihr Handy klingelte. „Entschuldigung“, sagte sie, sah auf das Display und las Spurensicherung. Sie machte ein paar Schritte zur Eingangstür und nahm das Gespräch an.
„Fridolin hier, Inka. Die Fingerabdrücke auf der Champagnerflasche stammen ausnahmslos vom Opfer. Nur auf einem der zwei Gläser, dem mit dem Lippenstift, fanden wir auch andere Abdrücke. Wir haben sie durch die AFIS-Datenbank gejagt, aber die spuckt nichts aus. Der Lippenstift am Glas trägt die verführerische Marke Amour Rosé. Eine teure französische Marke, die nur Parfümerien führen. Der Sneaker, den wir gefunden haben, wurde tatsächlich in Lüneburg, wie ich vermutete, letzte Woche gekauft. Die Verkäuferin erinnerte sich an die unschlüssige Kundin. Zierlich und blond soll sie gewesen sein. Erst wollte sie schwarze Pumps, dann blaue, dann wieder Turnschuhe und so ging es immer hin und her, bis sie sich für die Sneaker entschieden hat.“
„Und was ist mit dem Blut auf der …, na, du weißt schon, stammt sie nur vom Opfer oder auch von einer anderen Person?“, fragte Inka flüsternd.
„Ah, du kannst gerade nicht reden. Verstehe. Nein, es gibt keine weitere DNA. Wir fanden nur das Blut des Opfers. Allerdings muss sich die Sneakerfrau im kalten See ordentlich unterkühlt und am rechten Fuß bis zur Wade mindestens Hämatome und möglicherweise sogar Holzsplitter zugezogen haben, weil sie an einer hölzernen Bodenplatte hängen geblieben ist. Längsseits des Holzes fanden wir Faserspuren eines Baumwollgewebes, das entweder von einem Rock, was aber unwahrscheinlich ist – welche Frau zieht schon Sneaker zu einem Rock an? –, oder von einer Hose stammen. Die Fingerabdrücke, die wir auf dem Metallgeländer fanden, können wir ebenfalls der Frau zuordnen. Apropos Fingerabdrücke, hat Frauke dir ausgerichtet, dass wir auf den zwanzigtausend Euro nur Hendrik Schuberts Fingerabdrücke sichern konnten? Alle anderen sind nicht registriert oder brauchbar.“
„Ja, hat sie, danke.“
„Super. Kollege Amselfeld war im Zirkus, der in Amelinghausen Station macht. Dort ist keiner der Bären ausgebüxt. Auf Schuberts Laptop ist nichts, was uns weiterbringt. Seine Dateien sind mit Berichten und Bildern mit Vogelbeobachtungen, Naturkunde und Vorbereitungen für seinen Lehrplan vollgestopft. Er hat nicht einmal eine Mailadresse, wie hinterwäldlerisch. Und zum Schluss: Im See haben die Soltauer Taucher außer verrosteten Fahrrädern, Reifen und sonstigem Unrat keine Leiche gefunden.“
„Dein Anruf kommt zur richtigen Zeit, Fridolin. Herzlichen Dank.“ Inka legte auf und wandte sich wieder dem Gespräch mit Anna Weiler zu. „Wo waren wir stehengeblieben … ach, richtig, wann Sie Ihren Freund zuletzt gesehen haben.“
„Letzte Woche irgendwann. Ich weiß es nicht mehr genau.“
„Das war nicht zufällig erst vor zwei Tagen am Lopausee, in dem Sie sich erkältet haben, als Sie in den See gefallen sind?“
„Nein. Das war letzte Woche in Schneverdingen, wir waren zum Essen verabredet. Was soll ich denn am See?“
„Sie haben vor drei Wochen die Beziehung beendet und gehen mit Ihrem Ex-Freund zum Essen?“, fragte Inka weiter, ohne auf Annas Frage einzugehen.
„Na und, nachdem wir alles geklärt hatten, haben wir uns im Guten getrennt.“
„Eben sagten Sie, es hätte Streit gegeben.“
„Ja, erst ja, dann haben wir uns vertragen und sind als Freunde auseinandergegangen, die zivilisiert zusammen essen gehen.“
„Marlene Westmann-Hof hat Hendrik Schubert gestalkt. Was wissen Sie darüber?“
„Ich hörte es.“
„Herr Schubert wird mit Ihnen darüber gesprochen haben.“
„Nein, es war kein Thema zwischen uns.“
„Besitzen Sie braune Sneaker der Marke Dassenberg?“
„Nein.“
„Aber Sie haben sie besessen.“
Anna Weiler stand auf, ging zum Fenster und lehnte sich mit dem Rücken an den Sims. „Was wollen Sie von mir? Ich hab Hendrik nicht umgebracht.“
„Sie waren vorgestern mit ihm am See verabredet.“
Stille.
„Frau Weiler, wir haben auf einem Sektglas Fingerabdrücke und Lippenstiftspuren der Marke Amour Rosé sowie einen Sneaker und Faserspuren einer Frau gefunden. Waren Sie diese Frau?“ Inka nickte zum Teebecher, an dem Lippenstiftspuren einen roséfarbenen Abdruck hinterlassen hatten.
Anna Weiler druckste, drehte den Kommissaren wortlos den Rücken zu und sah aus dem Fenster.
„Es ist für uns ein Leichtes, die gefundenen Spuren Ihrer DNA zuzuordnen und …“, mischte sich Mark ein.
„Na und, wenn schon. Ja, ich war am See“, sagte Anna und drehte sich zurück in den Raum. „Und? Deswegen hab ich Hendrik noch lange nicht umgebracht.“ Annas Stimme klang zunehmend heiserer.
„Was ist geschehen?“
„Er wollte, dass wir uns wieder vertragen. Wir haben Champagner getrunken und uns unterhalten, bis …bis dieses Vieh aufgetaucht ist. Mit einem Mal stand es da. Wir konnten nicht ausweichen.“
„Ein Vieh?“
„Kein Vieh in dem Sinne. Es war ein Werwolf. Mindestens zwei Meter groß, behaart, mit roten Augen, die mich an glühende Kohlen erinnerten. Er hatte riesige Pranken und Krallen, die mit schwarzem Fell überzogen waren und wie Messerklingen blitzten und sich gierig nach uns ausstreckten. Hendrik stellte sich schützend vor mich und sagte, ich solle in den See springen und ans andere Ufer schwimmen, dort wäre ich in Sicherheit. Erst wollte ich nicht, aber als die Bestie näher kam, bekam ich Panik und bin gesprungen, dabei hab ich einen Schuh verloren.“
„Was haben Sie getan, als Sie auf der anderen Seeseite ankamen?“
„Ich …“ Anna zögerte. „Ich bin nicht auf die andere Seite geschwommen, nur zehn Meter links ein Stückchen weiter an die untere Uferseite. Dort bin ich aus dem Wasser und zurück in meinen Wagen, der auf dem Parkplatz am Café stand.“
„Und Ihnen kam nicht der Gedanke, die Polizei zu rufen, als Sie aus dem See herauskamen?“, fragte Mark vorwurfsvoll.
„Das wollte ich ja, aber … ein Werwolf. Wer hätte mir diesen Angriff abgenommen?“
„Wir“, bestätigte Mark. „Wir wären der Anzeige nachgegangen, hätten Ihren Ex-Freund gefunden und vielleicht hätte er überlebt.“ Mark holte tief Luft. Das Wort Hilfeleistung hing in der Luft und blähte sich wie ein Ballon kurz vor dem Platzen auf.
„Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir leid. Ich war so durcheinander.“ Anna Weiler setzte sich an ihren Schreibtisch zurück. Sie zog den Teebeutel aus dem Becher und nahm einen Schluck vom inzwischen kalten Pfefferminztee.
„Das hilft Hendrik nicht mehr“, konstatierte Mark wütend.
Sie nickte zaghaft. „Wie, ich meine, es gibt keine Werwölfe, das ist doch alles … Mist, ausgemachter Blödsinn oder wie man das nennen will.“ Sie zupfte ein weiteres Kosmetiktuch aus der Box. „Warum wurde Hendrik umgebracht?“
„Das wüssten wir auch gerne, Frau Weiler“, antwortete Inka. „Aber vielleicht können Sie uns einen Grund nennen.“
„Nein, woher soll ich das wissen?“
„Immerhin hatten Sie … wie lange eine Beziehung zu Hendrik Schubert?“
„Ein Jahr“, antwortete Anna kurz.
„Wusste Hendriks Frau von Ihrer Beziehung?“
„Nein, bestimmt nicht. Niemand wusste von uns, auch Benedikt nicht. Hendrik kam zu mir, wenn er eine Freistunde hatte und mein Sohn in der Schule war. Oder wir haben uns in einem Hotel getroffen.“
„Das glaube ich Ihnen nicht, Frau Weiler. Eine Schülerin wusste, dass Sie die neue Frau in Hendrik Schuberts Leben sind. Warum also sollte nicht auch Ihr Sohn oder Hendriks Frau, die ebenfalls am Gymnasium unterrichtet, von Ihrer Beziehung gewusst haben?“
„Wie ich sagte, wir sind getrennt.“
„Und treffen sich mit Ihrem Geliebten zum Essen und zu einem Stelldichein am See und wollen sich nicht über Ihre Beziehung unterhalten haben. Worum ging es dann bei Ihrem gemeinsamen Treffen?“
„Es war kein Stelldichein!“, fuhr Anna auf. Ihre Stimme krächzte. „Zumindest nicht für mich.“
„Sie haben Champagner getrunken.“
„Ich sagte doch, Hendrik wollte unsere Beziehung wieder aufnehmen. Die Scheidung von seiner Frau lief und ich sei die Frau, die er heiraten wollte. Ich hab ihm gesagt, dass das so nicht funktioniert. Eine Frau gegen eine andere Frau austauschen, nur weil Eheprobleme auftauchen.“
„Sie haben ihn nicht abblitzen lassen, weil sie vermuteten, dass Hendrik eine weitere Frau, eine viel jüngere, am Start hat?“, fragte Mark und sah Anna fest ins Gesicht.
„Nein. Davon wusste ich nichts. Wer soll das sein?“
„Frau Weiler, eine Frage wäre noch offen“, begann Mark, ohne Anna zu antworten. „Rüdiger Kobarski, wann …?“
„Rüdiger gibt es seit einem halben Jahr nicht mehr“, würgte Anna Marks Frage ab. „Er hat die Firma verlassen. Er will in Ostholstein, wo er wohnt, sein eigenes Projekt starten.“
„Aber er war auf der Veranstaltung, bei der Sie Ihr neues Projekt vorgestellt haben.“
„Ja, aber nur, weil die Firma noch so heißt und ich bisher keine Zeit fand, eine Änderung vorzunehmen.“
„Was war der Grund seiner Anreise?“
„Wir haben die endgültige Übergabe besprochen.“
„Wie kam es zu Ihrer damaligen Zusammenarbeit?“
„Ich hab in Ahrensbök gewohnt. Rüdiger in Bad Schwartau. Eines Tages stand er bei mir im Büro und sagte, er würde gerne mit mir arbeiten und Teilhaber werden. Ich hatte gerade ein paar Ungereimtheiten zu bewältigen und wollte mich auch wohnlich verändern. Er kam zur rechten Zeit. Auch finanziell war er eine Stütze. Zudem kannte er sich im Metier, da er bereits in einer anderen Windparkfirma gearbeitet hatte, bestens aus. Er stand mit dreißig Prozent im Handelsregister als stiller Teilhaber. Irgendwann wollten wir zu gleichen Teilen die Firma leiten. Nach einem halben Jahr, nachdem wir mit der Firma nach Schwindebeck gezogen waren, wollte er plötzlich nicht mehr mit mir arbeiten, sondern nach Bad Schwartau zurück und sein eigenes Projekt starten.“
„Gab es dafür einen Grund? Hatten Sie Streit?“
„Er wollte fünfzig Prozent der Firmenanteile. Ich war nicht einverstanden, sondern pochte auf unseren Vertrag, der besagt, dass eine Prozenterhöhung erst nach sechs Jahren eines neuen Projekts befugt werden würde. Er war stinksauer und hat unsere Zusammenarbeit aufgelöst.“
„Das ging so einfach?“
Anna Weiler zuckte die Schultern. „Wer will schon mit einem unzufriedenen Partner zusammenarbeiten?“
„Verstehe. Nun arbeiten Sie ohne Partner, wobei Ihr neues Windanlagenprojekt gestoppt wurde.“
„Es ist nicht gestoppt, nur verschoben.“ Anna verzog das Gesicht. „Die Ordnungsamtfuzzis müssen ja immer etwas zu mosern haben, diese Wichtigtuer. War es das jetzt? Ich würde gerne weiterarbeiten.“ Sie nickte in Richtung eines Stapels Unterlagen, eines kleinen rechteckigen Turmes, der auf der linken Seite ihres Schreibtisches umzufallen drohte.
„Wo finden wir Ihren Sohn?“
Anna warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, dann: „Er wird beim Sport sein. Nach der Schule geht er dreimal in der Woche zum Fußballtraining auf den Platz nach Soderstorf.“
„Die lügt uns doch die Hucke voll“, begann Inka, als sie auf den Beifahrersitz von Marks Wagen rutschte. „Hast du gesehen, wie sie nervös wurde, als wir von einer jüngeren Frau erzählten? Keine Silbe nehme ich ihr ab.“
„Ich auch nicht, und sie hat ein Motiv. Möglich, dass sie am See mit Schubert gestritten hat, weil sie herausgefunden hat, dass es Marlene gab. Sicher hat er ihr von dem Stalking erzählt. Doch dann kriegt sie mit, dass an der Geschichte mehr dran war. Sie ist wütend, dass Hendrik sich mit Marlene, einer weitaus jüngeren Frau, einlässt und sie abserviert.“
„Dann hätte Hendrik aber keinen Verlobungsring in der Tasche gehabt und mit der Weiler Schampus am See getrunken.“
„Stimmt auch wieder, Inka. Aber das Sprudelwasser kann auch zur Versöhnung mit der Weiler gewesen sein und der Ring für Marlene.“
„Das würde erklären, warum er ihn in der Hosentasche behalten hat.“
„Wie auch immer. Die Weiler hat ein ebenso starkes Motiv, ihren Geliebten umzubringen, wie die gehörnte Ehefrau, die, ich bin mir sicher, ebenfalls von der Weiler und Marlene gewusst haben wird. Eine Geliebte ist ja vielleicht noch zu ertragen, aber zwei …“
„Aber was ist, wenn Marlene ihren Geliebten umgebracht hat? Wenn der Ring doch für Anna war und es stimmt, was sie sagt, und Hendrik sich mit ihr versöhnen wollte?“
„Weil er eingesehen hat, dass Marlene zu jung für ihn war. Meinst du das?“
„Genau. Dann nämlich hat Marlene ein Motiv.“
Den weiteren Nachmittag saß Inka an ihrem Schreibtisch ihrem Kollegen Mark Freese gegenüber. Sie streckte die Arme über den Kopf und gähnte. Draußen wollte es nicht so richtig hell werden. Eine feuchte Kälte lag in der Luft, zwängte sich durch den geöffneten Fensterschlitz und ließ sie frösteln. Sie stand auf, drehte die Heizung von Zwei auf Vier und kehrte wieder an ihren Schreibtisch zurück. Am heißen Kaffeebecher wärmte sie kurz ihre Hände, nahm einen Schluck und ging erneut die Informationen durch, die sie am Tatort zusammengetragen und gestern auf ihrem Computer gespeichert hatte. Bereits zum zweiten Mal las Inka die Aussagen der Jugendlichen und Hendriks Angehöriger durch. Sie stieß auf nichts Neues, das den Fall voranbrachte. Außer dass Konstantin noch immer vehement verschwieg, warum er sich nicht mit Lea am verabredeten Treffpunkt getroffen hatte. Was ihn zu Susanne und Anna auf die Verdächtigungsliste ganz nach oben katapultierte. War er der Werwolf? Aber warum wollte er seine Freundin erschrecken? Hatte er seinen Lehrer getötet? Konstantin war groß und kräftig und wäre durchaus ein ernst zu nehmender Gegner für den eher schmalen Hendrik Schubert gewesen. Was dagegen sprach, war sein Alibi, zur Tatzeit mit Lea zusammen gewesen zu sein.
Nach dem Besuch bei Anna Weiler waren sie auf den Sportplatz nach Soderstorf gefahren. Benedikt Weiler war mit neunzehn Jahren ein blonder junger Mann, der seine Sporteinheiten unter dem engen weißen T-Shirt nicht verheimlichte. Seinem Auftreten zufolge war er von seiner Mutter über ihren Besuch bereits informiert worden. Von dem nächtlichen Paintballspiel am See habe er gewusst, doch der kindische Quatsch interessiere ihn nicht. Außerdem war an diesem Abend ein Spiel gegen die Hanstedter Mannschaft angesetzt, bei dem er auf keinen Fall fehlen wollte. Vehement stritt er ab, mit Alkohol oder Drogen etwas zu tun zu haben, weder in der Schule noch in seiner Freizeit. Er wolle Profifußballer werden, da käme es nicht gut, wenn er sich zudröhnte. Auf die Frage, ob er die Baustoppverschiebung seiner Mutter genauer erklären könne, wich er aus. Es gehe um irgendein Getier in der Nähe beim Naturschutzgebiet, gab er lapidar Auskunft.
Benedikt hielt mit irgendetwas hinter dem Berg, das spürte Inka. Zwar schien er tatsächlich nichts von der Beziehung seiner Mutter mit Hendrik gewusst zu haben, was nicht bedeutete, dass er es nicht vor ein paar Tagen erfahren hatte. Was ihn für die Tatzeit freisprach, war sein Alibi, auf dem Fußballfeld mit seinen Sportkameraden einem Ball hinterhergerannt zu sein. Lea Ohlsens ängstlicher Gesichtsausdruck fiel Inka ein. Konstantin, ihr Freund, ein hübscher Junge, der seine Freundin im Arm hielt und versuchte zu trösten. Jemand oder etwas kam aus dem Gebüsch auf sie zu, und sie beharrte darauf, es sei ein Werwolf gewesen.
„Wie läuft's bei dir? Hast du was gefunden, was uns weiterbringt?“ Marks dunkelbraune Augen blickten sie an. Seit er vor drei Monaten Vater geworden war, erschien er ihr noch wachsamer, noch aufmerksamer als zuvor.
„Nein.“ Inka schüttelte den Kopf.
„Ich hoffe, Teresa schickt uns bald den Obduktionsbericht. Ich will endlich wissen, ob Hendrik von einem Bär oder einem Werwolf getötet wurde.“
„Mark, hör auf. Wir wissen beide, dass weder Bären noch Werwölfe in der Heide leben.“
„Dann war es doch ein Tierwesen oder wie heißen die anderen noch, von denen Amselfeld erzählt hat … Petplayer?“
„Weder noch. Faller sagt, es gab weder eine Sichtung, noch hat irgendeine Veranstaltung am See oder in der Heide dieser Fellnasen stattgefunden. Was ist mit Hendriks Anrufprotokoll, liegt es inzwischen vor?“
„Nein. Ich frag bei Frauke nach, ob sie schon was hat“, sagte Mark.
„Mach das, wir müssen wissen, wer ihn zuletzt angerufen hat. Vielleicht erfahren wir so, ob diese Marlene ihn noch immer gestalkt hat. Es ist traurig, Mark. Ein Mädchen, das zu Hause keine Liebe und Aufmerksamkeit bekommt, weil die Eltern sich nur um sich selbst kümmern. Und von den Jungs in der Schule meint es auch keiner ehrlich mit ihr.“
„Na ja, sie ist ja auch nicht gerade die freundlichste Person.“
„Sie ist kein kleines Mädchen mehr, Mark, sondern eine junge Frau, die sich nach Zuneigung sehnt, die sie von ihren Eltern anscheinend nicht bekommt. Sie ist auf der Suche, aber dass sie durch ihre Abenteuer ihre Situation verschlimmert, ist ihr nicht bewusst. Das wird der Grund gewesen sein, warum sie sich an Hendrik gehängt hat. Sie hat in ihm keinen Geliebten gesehen, sondern einen Vater. Vielleicht hat er ihr irgendwann im Unterricht ein Lächeln mehr geschenkt, vielleicht gab es eine unbeabsichtigte Berührung, die sie falsch interpretiert hat. In ihrem Alter lassen sich Mädchen leicht von Gefühlen leiten.“
„Wow, Frau Psychologin Inka Brandt. Wann machst du eine Praxis auf? Vielleicht mit Sebastian zusammen. Wie geht es ihm überhaupt? Hat er neue Erkenntnisse bezüglich des Kreuzers gesammelt?“
Inka stöhnte und rutschte mit dem Rücken an die gepolsterte Stuhllehne. „Gestern Abend hab ich mit ihm telefoniert. Dass der Kreuzer nicht der ist, den er vermutet hatte und auf den alle Beweise hinausliefen …“ Inka schüttelte den Kopf. „Zurzeit ist er in Hessen. Wo, wollte er mir nicht sagen. Dort gab es einen neuen Mord an einer jungen Perserin. Wieder die gleiche Vorgehensweise wie in Wilhelmsburg. Erst wurde ihre Begleitung angeschossen, dann die Frau erwürgt. Der Freund musste wieder alles mit ansehen. Es ist einfach grausam. Ich wünschte, ich könnte ihm helfen.“ Inka senkte den Blick auf die Tastatur, als hoffe sie, sie würde sich mechanisch in Bewegung setzen und den Namen des Täters, der deutschlandweit persische oder indische Frauen ermordete und auch Sebastians Frau und Tochter getötet hatte, auf ihren Bildschirm schreiben.
„Wir haben getan, was wir konnten, um ihm zu helfen. Jetzt müssen wir uns um unseren Fall kümmern. Vielleicht kriegen wir unseren Wolf ja schnell in den Käfig. Wann wollte Sebastian wiederkommen?“, fragte Mark.
Inka zuckte die Schultern und spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten. „Ich weiß es nicht“, sagte sie und wandte sich der Namensliste der Schülerinnen und Schüler zu, die am See auf dem Parkplatz mit ihren Eltern gestanden hatten. Einige Jugendliche wirkten nachdenklich und bedrückt, andere verhielten sich aufsässig und arrogant, wie Ebenbilder ihrer Eltern. Wer hatte den Biologielehrer umgebracht? Wer war so wütend auf ihn, dass er seinen Oberkörper und Teile seines Gesichtes regelrecht zerfetzt hatte? Und was für ein Monster hatte Lea Ohlsen und Anna Weiler gesehen und angegriffen? So unglaubwürdig, wie die Aussagen der Schülerin und der Unternehmerin klangen, sie sollte das Pferd nicht von hinten aufzäumen, sondern erst einmal abwarten, was Teresa bei der Obduktion herausfinden würde.
„Wir sollten den Kobarski auf jeden Fall befragen. Wer weiß, ob die Weiler uns den wahren Grund des Firmenausstiegs genannt hat?“, fuhr Mark in Inkas Gedanken.
„Ich hab ihm auf seinen Anrufbeantworter gesprochen und um Rückruf gebeten. Bisher hat er sich nicht gemeldet. Und morgen Abend ist das Treffen der Schwarzen Sonne. Was sind es überhaupt?“, fragte Inka nachdenklich. „Nazianhänger? Können wir sie so betiteln?“
„Bis wir wissen, was sich in der Kronsbergheide abspielt … ja“, bestätigte Mark. „Lass uns Feierabend machen, morgen ist auch noch ein Tag.“
„Stimmt“, erwiderte Inka, „und Bea und dein Kleiner warten bestimmt schon auf dich.“
„Ich vermisse ihn jede Sekunde. Ich mache mir Sorgen, ob es ihm gut geht. Jeden Abend, wenn ich nach Hause komme, entdecke ich Neues an ihm, obwohl er erst drei Monate alt ist.“
„Das gehört zum Elternsein. Die Sorge, ob es dem Kind gerade in dieser Minute gut geht, ob es einen ebenso vermisst oder fröhlich in sein Spiel vertieft ist und gar nicht an Mutter oder Vater denkt. Genieße die Zeit, in der er so klein ist, sie geht rasant schnell vorbei.“ Sie lächelte. „Aber noch einmal zum ehemaligen Partner der Weiler. Ich denke, es langt, wenn wir es vorerst telefonisch weiter versuchen, bevor wir uns auf die Reise nach Ostholstein machen. Wir haben hier genug zu tun. Sollte er sich bis morgen nicht melden, bitte ich die Bad Schwartauer Kollegen um Amtshilfe.“
„Ich versuche es noch einmal bei ihm“, sagte Mark und griff zum Telefonhörer.
„Nein, lass es gut sein, Mark. Mach du Feierabend. Ich kümmere mich um das Telefonat“, sagte Inka. „Ich hab noch ein paar Minuten, bevor ich Paula von Tilly holen muss.“
Rüdiger Kobarski war noch immer nicht zu erreichen. Inka hinterließ eine weitere Nachricht auf seinem Anrufbeantworter.
Nachdenklich blickte sie auf ihren Computerbildschirm und Hendrik Schuberts Leiche. „Wer war nur so wütend auf dich?“, fragte sie flüsternd, als Frauke Bartels in der Bürotür auftauchte.
„Na, Inka, findest du nicht nach Hause?“
„Ich bin gleich verschwunden. Ich will nur noch einmal das Umfeld des Lehrers durchsehen.“
„Da komm ich ja gerade recht. Mark sagte, ihr wartet auf das Anrufprotokoll des Lehrers. Es kam gerade rein.“ Frauke Bartels, die Mittzwanzigerin, war heute mit Kleidung und Make-up in die Flower-Power-Zeit eingetaucht. Eine bunte blumenbedruckte Hose, die ab dem Knie in Falten aufsprang, eine rosafarbene Tunika, ein Haarband, das mit vielen kleinen weißen Stoffmargeriten verziert war, froschgrüne Plastikohrringe sowie knallig gelb lackierte Fingernägel. Die Flower-Peace-Kette mit roten, blauen, gelben und lila Glassteinen rundeten die verflogenen Sechziger- und Siebzigerjahre ab. Täuschte sich Inka, oder hörte sie durch den Flur Mrs. Robinson, den Song des Gesangsduos Simon & Garfunkel, trällern? And here’s to you, Mrs. Robinson, Jesus loves you more than you will know. Eindeutig. Inka schmunzelte und nahm die Unterlagen entgegen, die ihr Frauke über den Schreibtisch reichte.
„Sag mal, Frauke, da du schon hier bist. Ich hörte, dein Schatzi hat für die Weiler mit seiner Elektrofirma einen Auftrag übernommen. Hat er zufällig etwas über den Baustopp gehört?“
„Bei Schatzis Auftrag geht es nicht um den Windpark, sondern nur um einen neuen Anschluss im Büro der Weiler. Aber er hat tatsächlich gehört, wie die Weiler am Telefon mit wem auch immer vom Bauamt, Ordnungsamt heftig debattiert hat. Der Baustopp wurde ausgesprochen, noch bevor die Weiler einen Spatenstich setzen konnte, weil am Bauort eine bedrohte Vogelart lebt. Warte, lass mich kurz überlegen, was hat Schatzi gesagt … der …“ Frauke zog die Stirn kraus. „Genau, der vom Aussterben bedrohte Goldregenpfeifer. Angeblich haben ihn Ornithologen am Rande des Naturschutzgebietes in der Nähe der Schwindequelle gesichtet, genau an der Stelle, an der die Weiler den ersten Turm errichten wollte.“
„Weißt du auch was von der Affäre zwischen dem Lehrer und der Weiler?“
„Nur vage. Schatzi hat die Weiler beim Knutschen in ihrem Büro mit einem Mann überrascht, den sie ihm als Hendrik vorgestellt hat. Denkst du an die Ehefrau des Lehrers als Täterin?“
„Sie hätte ein Motiv.“
Frauke Bartels nickte. „Hier, vielleicht helfen dir die Listen. Mir ist aufgefallen, dass die Handynummer von Marlene Westmann-Hof sehr häufig auftaucht. In den letzten zwei Wochen zu jeder Tages- und Nachtzeit.“ Frauke rutschte auf Marks Schreibtischstuhl und tippte mit dem gelb lackierten Zeigefinger auf eine markierte Rufnummer.
„Und es war nicht nur ein Abheben und Auflegen. Sogar um Mitternacht haben sie eine Viertelstunde telefoniert.“
„Ja, ist mir aufgefallen. Und hier, ein Dienstagabend um zweiundzwanzig Uhr, eine halbe Stunde.“ Fraukes Zeigefinger rutschte eine Spalte weiter. „Die lügen euch die Hucke voll. Von wegen, diese verwöhnte Göre hat ihn nicht mehr gestalkt.“
„Sie hat ihn nicht gestalkt, Frauke, die hatten eine Beziehung. Warum sonst telefonieren sie zusammen so lange mitten in der Nacht? Wir werden sehen, ob uns diese Erkenntnis weiterhilft. Wir brauchen die Protokolle und die GPS-Daten von Anna Weiler, Susanne Schubert und Marlene Westmann-Hof. Wo haben sie sich aufgehalten, wo sind sie hingefahren? Die letzten drei Wochen reichen. Kannst du dich darum kümmern?“
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