Kitabı oku: «Tatort Ostsee», sayfa 15
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Sophie saß noch immer in der Konditorei. Sie hatte einen Milchkaffee nach dem anderen getrunken und über die Sache mit dem Scheuerpulver nachgedacht. Zwischendurch schlich Ben sich immer wieder in ihre Gedanken. Sie freute sich wirklich über die Einladung zum Essen, auch wenn sie sich schwer vorstellen konnte, was Ben in seinem klapprigen Bus denn servieren wollte. Endlich flog die Tür auf und Lutz trat ein.
»So, hier ist das Teil«, brummte er und schmiss die Plastiktüte mit der Zahnbürste auf den Tisch. »Ich muss sofort wieder los. Der ganze Mist hat mich von der Arbeit abgehalten.«
»Ich danke dir. Du bist ein Schatz!«
Lutz verdrehte die Augen und ging zur Tür. Dann stoppte er und sah sich noch mal um. »Hör zu, Sophie. Du steckst deine Nase da ganz schön tief rein. Sei vorsichtig.«
Sophie war fast gerührt. »Mach dir mal um mich keine Sorgen. Unkraut vergeht nicht.« Er nickte und verschwand. Sophie winkte der Kellnerin, um vier Milchkaffee und ein ungegessenes Sandwich zu bezahlen. Sie gab der Kellnerin ein gutes Trinkgeld, weil sie fast das Gefühl hatte, bei ihrem langen Aufenthalt einen Teil der Miete schuldig zu sein. Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass sie versprochen hatte Sushi mitzubringen. »Ach, entschuldigen Sie noch mal?«, fragte sie die Kellnerin. »Wo ist denn hier in der Nähe eine Sushibar?« Die junge Frau sah sie irritiert an. »Ein japanisches Restaurant?«
Die Kellnerin beschrieb ihr den Weg. Vertraulich fügte sie noch hinzu, dass dort alles sehr teuer sei. Ein paar Minuten später saß Sophie in ihrem Wagen. Sie fand das Restaurant ohne Schwierigkeiten. Mittlerweile hatte sie Hunger wie ein Tiger. Sie bestellte die halbe Karte und wartete an der Theke auf das Essen. Neben ihr saß ein kleiner Mann in einem schlecht sitzenden Anzug. Er stopfte Makiröllchen in sich rein und telefonierte nebenbei. Seine Stimme war so unangenehm hoch, dass sie sich mit geschlossenen Augen vorstellen konnte, neben Micky Mouse zu sitzen. Sie konnte gar nicht anders, als zuzuhören.
»Ne, die haben wieder nichts erzählt auf der PK. Kennst doch diesen Sperber. Macht immer auf seriös und verscheißert uns nur … Nein, ich bin mir sicher, dass die da einen Serienmörder suchen. Ja, war eine geile Idee, heute schon damit aufzumachen, aber wir setzen noch einen drauf … Wer ist denn da noch so abgesoffen, sagen wir mal in den letzten zwei Jahren … Du guck doch mal nach Fotos im Archiv. Ja, so ne blonde Wasserleiche wäre schick … Ja genau.«
Sophie war entsetzt. Wussten diese sogenannten Journalisten denn gar nicht, dass Menschen wie Hanjo ihnen glaubten und es mit der Angst zu tun bekamen? Serienmörder! Es waren zwei Frauen ermordet worden, beide auf dieselbe Art und Weise. Aber zwei Todesfälle waren doch keine Serie. Aber was, wenn es der Anfang einer Serie war?
Hanjo sah sich in der Küche um. Alles war aufgeräumt, die Spülmaschine lief und der Boden war gewischt. Die neue Aushilfskraft war wirklich die Erlösung. Ein nettes, etwas dickes Mädchen mit einer Brille und kurzen roten Locken. Keine Schönheit, hatte Hanjo mit etwas Bedauern festgestellt, doch sie war eine Frau, die zupacken konnte und darauf kam es schließlich an. Nachdem er ihr alles gezeigt hatte, hatte sie sofort nach Eimer und Putzlappen gegriffen und die längst überfälligen Regale ausgewischt. Als die ersten Gäste zum Mittagessen gekommen waren blitzte das Bistro und das Mädchen hatte gut gelaunt die Bestellungen entgegengenommen. Er musste nicht ein einziges Mal aus der Küche kommen. Sie hatte alles im Griff und er musste sich nur um die Zubereitung der bestellten Gerichte kümmern. Hanjo lächelte zufrieden. Anja hatte sich jetzt wirklich eine Pause verdient. Hanjo goss zwei Tassen Kaffee ein und legte ein paar seiner kostbaren Kekse auf einen Teller. Sie polierte gerade die Theke, als er in die Gaststube kam.
»Schluss jetzt! Es wird wirklich Zeit für eine Pause.« Er stellte das Tablett auf den Tresen und lächelte sie väterlich an.
»Danke, Hanjo!« Anja warf den Lappen ins Spülbecken. Ihre Wangen waren gerötet und ein paar verschwitzte rote Löckchen klebten in ihrer Stirn. »Ein Kaffee ist jetzt genau das Richtige. Ich habe heute noch gar keinen getrunken. Das muss man sich mal vorstellen. Normalerweise bin ich koffeinabhängig! Es macht mir Spaß hier! Die Gäste sind so nett! Alle gut gelaunt und braun gebrannt. Eigentlich unvorstellbar, oder?« Anja sah kurz über ihre Schulter. »Nach all den Morden?«
»Was meinst du denn mit all den Morden? Es gab zwei … äh … Todesfälle. Es ist nicht mal sicher, was überhaupt passiert ist.«
Anja schüttelte den Kopf und griff nach der Zeitung. »Aber hier steht es doch! Ein Serienkiller! Wie im Film!«
Hanjo starrte geschockt auf den Artikel. Serienmörder? Nein! Sophie hatte ihm doch erklärt, dass die Journalisten alles aufbauschen müssten, um die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben. »Mädchen, nicht alles, was in der Zeitung steht, entspricht der Wahrheit«, erklärte er. »Und die Polizei weiß das auch. Kein Grund zur Panik. Früher oder später wird bestimmt alles aufgeklärt. Wir können nur hoffen, dass dieser Artikel nicht die Touristen abschreckt.«
»Ja, wäre schade, wenn ich nicht mehr gebraucht würde. Hab doch gerade erst angefangen. Ich bin gern hier. Ist fast wie Urlaub.«
Hanjo freute sich, dass ihr die Arbeit gefiel. »Wie Urlaub? Du hast für drei geschuftet. Heute Mittag war ganz gut was los und einer der Surflehrer hat ein paar Tage frei.«
Anja putzte sich ihre Brille an ihrem T-Shirt ab. »Ach, da ist noch ein Lehrer? Auch so ein hübscher?« Sie errötete und rührte verlegen ihren Kaffee um.
»Wenn du Ben hübsch findest, dann ist Olli auch dein Typ«, lachte Hanjo.
Sie sah ihn entsetzt an. »Um Himmels willen, nein! Ben ist natürlich nicht mein Typ, sondern ein Kollege, aber ich glaube, viele Frauen finden ihn sehr attraktiv.« Sie trank verlegen einen Schluck Kaffee.
Hanjo hatte keinen Zweifel, dass Anja nachts von einem Mann wie Ben oder Olli träumte.
Aber sie war absolut nicht deren Typ. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Er kannte doch seine Jungs! Die hatten Geschmack!
Tina und Pelle sprangen gleichzeitig auf, als sie Sophies BMW auf die Auffahrt fahren hörten. Eine Minute später stand Sophie mit einem großen Karton auf der Terrasse. »Wo warst du denn so lange? Ich habe so einen Hunger. Ich sabbere schon wie Pelle«, erklärte Tina vorwurfsvoll. Sophie stellte den Karton auf den Tisch und nahm die gewaltige Sushiplatte heraus. »Das ist doch viel zu viel!«, staunte Tina. »Hast du die Kinder mit eingeplant? Die essen doch keinen rohen Fisch.«
»Apropos. Hast du die Kinder verschenkt?«
Tina riss fragend die Augenbrauen hoch.
»Na, es ist so ruhig hier.«
Tina lachte. »Die gucken fern. Kleines Geheimnis zwischen ihnen und mir. Stefan ist nämlich dagegen, aber ich muss auch mal eine halbe Stunde Ruhe haben. Bis jetzt haben die beiden auch brav dicht gehalten. Ich habe ihnen allerdings auch ziemlich deutlich gemacht, dass es sonst ein für alle Mal vorbei ist mit Tom, Jerry und Co.«
»So kenn ich dich ja gar nicht«, kicherte Sophie.
Mit großem Appetit machten sie sich über die japanischen Häppchen her. Tina liebte Sushi. Auf Anraten des Arztes hatte sie in der Schwangerschaft darauf verzichten müssen.
»So was Feines hatte ich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr. Ich werd mich heute daran überfressen!«, sagte Tina und leckte sich die Finger ab. Sophie starrte ins Leere. »Sophie? Hallo! Jemand zu Hause?«
»Was?«, fragte Sophie verwirrt. »Endschuldige, ich bin gerade irgendwie woanders.«
Tina schüttelte belustigt den Kopf und tunkte ein Makiröllchen in die Sojasoße. »Lass mich raten. Bei Ben?«
»Er geht mir schon durch den Kopf.«
»Die letzte Nacht bei dem Hippie muss ziemlich gut gewesen sein!«
Sophie rollte mit den Augen. »Da ist noch was.«
Tina sah sie neugierig an.
»Ich hab Ollis Zahnbürste mitgehen lassen und sie einem Bekannten in der Gerichtsmedizin gebracht. Man hat Spermaspuren an Sarahs Leiche gefunden.«
Tina ließ entsetzt das Stück Maki auf den Teller fallen.
»Du hast was? Sag mal, bist du total wahnsinnig geworden? Wenn Stefan davon erfährt, dann gnade dir Gott! Was soll der Scheiß?«
»Dein Mann verdächtigt ihn auch.«
»Mein Mann ist bei der Kripo! Dass du ein bisschen Feriendetektiv spielst und herumschnüffelst, ist eine Sache. Aber jetzt greifst du in die laufenden Ermittlungen ein!«
»Quatsch! Das mach ich doch gar nicht. Es ist total inoffiziell. Nur ein Freundschaftsdienst. Niemand weiß, wem die Zahnbürste gehört.«
Tina feuerte ihre Serviette auf den Teller. »Sag mal, wie blöd bist du eigentlich? Dein Bekannter weiß zumindest, dass sie derselben Person gehören könnte, die das Sperma, sagen wir mal, verloren hat. Was tust du Olli da an?«
»Ach Tina, vielleicht passt es ja nicht zusammen.«
»Darum geht es doch gar nicht! Es ist illegal und total bescheuert. Ich kann nicht glauben, dass du das wirklich getan hast. Und was beweist das schon? Sie hatten eben Sex und auf dem Nachhauseweg hat irgendein Irrer sie ertränkt. Willst du dich wichtig machen?«
»Sie ist nicht in der Ostsee ertrunken.«
»Dann hat sie jemand in ihrer Wohnung überfallen und an den Strand geschleppt. Olli ist ein Surflehrer, kein Killer.«
Tina sprang auf. »Ich glaube, Finn schreit. Krieg dich wieder ein, Sophie. Olli! So was Bescheuertes. Und unlogisch bist du auch noch. Olli lebt in einem Wohnmobil. Er hat die Frauen ja wohl kaum in seinem Waschbecken ertränkt.«
»Nein, warum sollte er auch?«, zischte Sophie.
Tina drehte sich wütend um und sah sie fragend an.
»Ja! Du bist nicht auf dem neusten Stand, Frau Kommissarin. Olli hat eine Badewanne in seinem Wohnmobil!«
Sophie blieb allein auf der Terrasse sitzen. Ihre Gedanken spielten Achterbahn. Olli hatte eine Badewanne, aber machte ihn das gleich zu einem Mörder? Außerdem hatte sie Tina mit ihrer Schnüffelei wirklich sauer gemacht. Sie hätte einfach die Klappe halten sollen. Wie sollte Tina auch sonst reagieren? Ihr Mann war bei der Kripo. Sie brachte Tina in echte Schwierigkeiten, Freundschaft hin oder her. Es war doch logisch, dass Tina sich auf die Seite ihres Ehemannes stellte. Pelle legte seinen Kopf auf ihre Knie. »Na, Dicker. Frauchen hat Mist gebaut. Komm mal her.« Pelle sprang begeistert an ihr hoch und leckte über ihr Gesicht. »Das reicht jetzt!«, lachte Sophie. »Ich liebe dich über alles, aber ich küsse lieber Zweibeiner!« Ihr Handy klingelte und sie zuckte erschrocken zusammen. »Sophie Sturm«, meldete sie sich knapp.
»Ben hier. Alles im grünen Bereich?«
»Bitte?«
»Na, du warst vorhin ein bisschen … komisch. Ich will dich nicht bedrängen, Sophie. Wenn du lieber allein sein willst, ist das in Ordnung. Auch wenn dir dann ein ziemlich feines Essen entgeht.«
Sophie schloss die Augen, um sich sein Gesicht besser vorstellen zu können. Was redete Ben da eigentlich? Natürlich wollte sie mit ihm essen. »Ich war im Stress«, versicherte sie. »Glaub mir, ich komme sehr gern. Ich liebe Abendessen in lauen Sommernächten und ich würde dich sehr gerne sehen. Ach, hast du Olli eigentlich erreicht?«
»Bis jetzt noch nicht. Ich hatte ehrlich gesagt auch keine Zeit. Und gleich habe ich noch eine Einzelstunde. Die war gar nicht geplant, aber was soll ich machen? Der Rubel muss ja rollen.«
Sophie überlegte kurz. Sie fühlte sich wirklich mies dabei, Ben für ihre Zwecke zu benutzen, aber sie steckte schon zu tief drin. »Wann kommt Olli wieder?«
»Irgendwann morgen. Hoffentlich ist er dann ein bisschen drüber weg.«
»Das ist alles so furchtbar. Olli muss Sarah tierisch vermissen. Gestern noch ein glückliches Paar und peng! Irgendein Schwein bringt seine Liebe einfach um.«
»Na, ganz so war es ja nicht«, gab Ben zögernd zu. »Sarah hatte Schluss gemacht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Olli immer noch die Hoffnung hatte, dass sie es sich anders überlegen würde, wenn der ganze Meisterschaftsstress erst mal vorbei ist.«
Sophie versuchte ruhig zu bleiben und ganz normal zu klingen. »Es ist immer blöd, wenn der eine mehr liebt als der andere.«
»Wohl wahr«, bestätigte Ben. »Ich muss los! Und ich freu mich sehr auf heute Abend.«
Sophie beendete das Gespräch und atmete tief durch. Sarah hatte Schluss gemacht? Wenn die Proben tatsächlich übereinstimmten, was hatte das dann jetzt zu bedeuten? Wieso hat Sarah dann mit ihrem Exfreund geschlafen?
Tina kam zurück auf die Terrasse und balancierte zwei Becher Kaffee in der einen Hand. In der zweiten hielt sie die Babyschale mit Finn. Sie stellte die Becher auf den Tisch und legte Finn auf eine Decke. »Lass das Sushi stehen! Ich war noch lange nicht fertig!«, knurrte sie.
Sophie sah sie reumütig an. »Tina, es tut mir leid.«
»Du guckst ja schon wie dein Labrador!« Tina musste fast lachen. »Entspann dich. Hier ist Kaffee!«
»Ich bring die Zahnbürste unauffällig zurück. Versprochen!«
Tina nickte und nahm sich ein Sushimi vom Tablett. »Ich hätte mich nicht so aufregen sollen. Schließlich hätte ich damit rechnen müssen, dass du dich an keine Regeln hältst. Warum auch? Aber wenn man drei Kinder hat, ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass man für jeden Mist Regeln aufstellt und sauer wird, wenn diese gebrochen werden. Ach, ich rede wirr. Kaum Schlaf, Stefan kaum da und ich sehe schon aus wie ein Zombie!«
»Du spinnst ja. Du hast nie besser ausgesehen.«
»Danke! Das geht runter wie Öl. Aber modeln könnte ich nicht mehr! Du dagegen …«
Sophie rollte mit den Augen. »Wer will schon in durchgeknallten Kleidern über einen Catwalk laufen? Für uns beide wäre das Geschäft heute sowieso nichts mehr. Wir sind zu hübsch! Jetzt wollen die Agenturen magersüchtige Junkies. Erinnerst du dich noch an Stella?«
»Skinny Stella?« Tina nickte. Diese Bohnenstange würde sie nie vergessen. »Na klar! Die sehe ich ja auch heute noch ständig in den Modemagazinen. Was ist eigentlich aus Laura geworden?« Tina wunderte sich, dass ihr nach all den Jahren die Namen ihrer damaligen Modelkolleginnen wieder einfielen.
»Laura ist nach Hollywood gegangen«, erklärte Sophie. »Der große Durchbruch lässt natürlich auf sich warten. Aber sie hatte schon ein paar winzige Nebenrollen in Serien. Ab und zu schickt sie mir eine frustrierte Mail. Lustig, wie verschieden sich das Leben für jede Einzelne von uns seitdem entwickelt hat. Damals hatten wir auf jeden Fall eine tolle Zeit.«
»Stimmt. Wir waren jung und brauchten das Geld!« Sophie lachte und Tina dachte an ihre WG-Zeit zurück.
»Ich wollte nach New York!«, schmunzelte Tina. »Schon als ich nach Hamburg zog, dachte ich, ja, ich liebe die Stadt! Mein Bedarf an Wiesen, Stränden und kleinen kuscheligen Häusern war echt gedeckt. Ich wollte in eine kleine Wohnung ins East Village ziehen, eine mit Feuerleiter.«
»Wo du dann Moon River gesungen und dich mit der Gitarre begleitet hättest. Klar!«
»Wer weiß? Fakt ist aber, dass ich hier bin. Ich lebe wieder auf dieser Insel, damit die Gören in der Natur aufwachsen können. Nix New York.«
»Aber du machst es doch richtig. Ich wuchs in einer kleinen Wohnung am Stadtrand auf. Meine Eltern arbeiteten meistens und ich trug immer den Haustürschlüssel um den Hals, damit ich ihn nicht verliere. In der Schule war ich die Bohnenstange und musste mir blöde Sprüche anhören, weil ich größer war als die meisten Jungs. Na ja, du kennst die Geschichte schon.«
Tina lachte zustimmend.
»Bevor ich es vergesse«, unterbrach Sophie die Reise in die Vergangenheit. »Ich bin heute zum Abendessen nicht da. Ben will mich bekochen.«
»Kochen?« Tina kicherte. »Du meinst, er macht eine Dose Ravioli auf einem Campingkocher warm! Du und Ben, das ist schon eine schräge Geschichte. Zugegeben, er sieht ziemlich gut aus. Wer hätte das damals gedacht. Er war der dünnste kleine Junge überhaupt.«
»Du kennst Ben schon aus Kindertagen?«
Tina nickte. »Ich hatte das vollkommen vergessen. Gestern ist es mir dann plötzlich wieder eingefallen. Ben war damals in meiner Parallelklasse. Das ist hier eine kleine Insel. Ben kannte Fenja übrigens auch.«
33
Stefan saß mit Ingo und Robert in seinem Büro. Bei einer Tasse Kaffee warteten sie gemeinsam auf Enno Gerken von der Spurensicherung.
»Ich habe noch mal mit Ollis Mutter gesprochen«, erklärte Robert. »Ihr Sohn ist mit seinem Auto weg. Ein Golf drei, dunkelblau. Wir haben das Kennzeichen und fahnden nach der Karre.«
»Und wenn er seinen Wagen irgendwo abgestellt und sich verpisst hat?«, warf Stefan ein.
»Wir haben bereits die Flughäfen angerufen«, informierte ihn Ingo. »Von Hamburg, Bremen oder Lübeck ist er jedenfalls nicht geflogen. Die haben keinen Oliver Konrad auf den Passagierlisten. Sollen wir noch andere Flughäfen überprüfen?«
Stefan schüttelte den Kopf. »Nein, erst mal nicht. Er könnte genauso gut mit der Bahn gefahren sein oder per Anhalter.«
»Frau Konrad will die Namen von zwei Freunden aus seiner glanzlosen Studentenzeit raussuchen. Ach, und dann ist da noch so ein Tobias«, erinnerte sich Robert wieder. »Ollis Mum wusste aber auch nicht mehr, wie der weiter heißt. Nur, dass der in Hamburg lebt.«
Stefan nickte unzufrieden. »Robert, ruf doch gleich bei Frau Konrad an und helfe Mum dabei, sich zu erinnern. Oder noch besser: ruf Broder an. Der kennt doch alle, die mal auf Fehmarn gelebt haben. Wenn es sich um einen Jugendfreund handelt, dann haben wir bald seinen vollen Namen.«
Robert nickte und machte sich eine Notiz. Stefan stand auf und ging zum Fenster. Warum hatte er einfach keine Idee? »Ingo? Nur für den Fall. Überprüf doch kurz die Krankenhäuser. Vielleicht hat der Irre sich die Pulsadern aufgeschnitten und wir wissen noch nichts davon.«
Ingo brummte seine Zustimmung. Die Tür wurde geöffnet und Enno betrat den Raum. »Moin. Entschuldigt die Verspätung.«
Stefan ging zurück an seinen Schreibtisch. »Jetzt bist du ja da. Und ich hoffe mit Neuigkeiten. Kaffee?«
Enno nickte und setzte sich auf einen freien Stuhl. »Unsere Hoffnung war, dass der Täter Fingerabdrücke hinterlassen hat, als er die Leichen transportierte. Tja, aber leider hat er wohl Handschuhe getragen. Der Fundort der Leichen hat nach all den Tagen auch nicht mehr hergegeben. Wir haben nichts gefunden.«
Stefan schnaubte. »Was ist mit Fußspuren?«
Gerken schüttelte den Kopf. »Da gibt es keine Spuren mehr. An der Stelle, an der Sarah Müller gefunden wurde, klettern täglich unzählige Surfer über den Deich.« Enno sah in die Runde und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Jungs.«
Stefan rührte schweigend in seinem Kaffee. Dieser Fall war einfach verhext. »Verdammt!«
»Eine Kleinigkeit habe ich aber für euch. Würde mich mit leeren Händen doch gar nicht in dieses Büro wagen.«
Stefan überhörte die dämliche Bemerkung. »Was?«
»Franck hat doch diese weißen Partikel unter den Nägeln beider Opfer gefunden. Und der gute Mann hatte einen Geistesblitz, worum es sich dabei handeln könnte. Das Labor hat ein paar Tests gemacht. Wir wissen jetzt, was das ist.«
Stefan starrte ihn an, wie eine Schlange das Kaninchen. Enno lehnte sich wieder zurück und lockerte seinen albernen Schlips.
»Getrocknete Scheuermilch! So ein Zeug eben, mit dem man Waschbecken und Badewannen sauberschrubbt. Scheuermilch löst sich nicht auf. Meine Frau meinte allerdings, dass man deshalb gründlich nachspült. Entweder hatte euer Mann es ziemlich eilig oder er kann nicht putzen.«
Stefan legte seinen Kopf auf die Handflächen und kratzte mit den Fingernägeln seine Kopfhaut. Scheuermilch! Die Frauen hatten Scheuermilch unter den Nägeln, weil sie in ihrem Todeskampf versucht hatten, an den Wänden einer Wanne Halt zu finden. Jetzt hatten sie einen Tatort. Sie mussten die richtige Badewanne nur noch finden.
»Scheiße!«, fluchte er laut.
Tobias rollte rasant durch die Wohnungstür. »Hallo, bist du da?«, rief er gut gelaunt. »Ich bin früher weg. War nicht viel los und wozu hat man Angestellte. Olli?«
Tobias zog die Tür zu und fuhr in die Küche. Olli schien noch unterwegs zu sein. Das hatte man nun davon, wenn man sich um einen alten Kumpel kümmern wollte. Tobias schaltete die Espressomaschine an und fuhr durch das Wohnzimmer, um die kleine Terrassentür zu öffnen, die in seinen winzigen Schattengarten führte. Es war stickig in der Wohnung. Draußen waren es über 30 Grad und es lag ein Gewitter in der Luft. Zurück in der Küche packte er die eingekauften Lebensmittel in den Kühlschrank. Er würde heute eine Paella machen und zur Vorspeise Melone mit Serranoschinken. Gut gelaunt schaltete Tobias das Radio ein: ›It never rains in Southern California‹. Aber hier hoffentlich schon! Plötzlich fuhr er zusammen. Das Wohnzimmer hatte ausgesehen wie sonst. Wo waren Ollis Sachen? Er ließ die Melone fallen und fuhr zurück. Nicht nur von Olli fehlte jede Spur, auch seine Klamotten waren weg. Auf dem Tisch lag ein Zettel: ›Vielen Dank fürs Essen und dein offenes Ohr. Bin spontan nach St. Peter-Ording aufgebrochen. Lass mir den Kopf durchpusten.‹
Tobias schüttelte den Kopf und knüllte die Notiz zusammen. Er war ein bisschen beleidigt, dass Olli einfach so abgehauen war, doch auf der anderen Seite beneidete er ihn. Er war gesund und hatte eben die Möglichkeit, einfach seine Pläne zu ändern und spontan ans Meer zu fahren, um zu kiten. Wütend ließ er die Faust auf den Tisch krachen. Er hasste die Spur von Selbstmitleid, die in ihm hochkam. »Jetzt dreh nicht durch!«, beschimpfte Tobias sich selbst. Ihm ging es wirklich nicht schlecht. Er war nicht isoliert, sondern durch sein Geschäft noch mitten in der Szene. Plötzlich klingelte es an der Tür. Tobias öffnete in der Hoffnung, dass Olli zurückgekommen war.
»Herr Schuhmacher?«, fragte ein ihm fremder Mann.
»Ja?«
»Schölzel von der Kripo Lübeck. Darf ich kurz eintreten? Ich habe nur eine Frage.«
Tobias zuckte mit den Schultern und fuhr zur Seite.
»Wir sind auf der Suche nach Oliver Konrad. Er ist ein, ähm, wichtiger Zeuge. War er zufällig hier?«
Tobias nickte und freute sich, dass seine Beine nicht zittern konnten. »Ja, er war hier. Nun ist er aber weg. Ich habe es selbst gerade erst gemerkt. War in meinem Surfshop ›The Wave‹. Der Laden ist gleich um die Ecke.«
»Wissen Sie vielleicht, wo er hin wollte?«
Tobias schluckte und machte ein nachdenkliches Gesicht. In Wirklichkeit überlegte er, ob er dem Kommissar von der Notiz erzählen sollte. »Keinen Schimmer«, sagte er schließlich.
»Verdammt! Vielen Dank, Herr Schuhmacher. Ich lass Ihnen meine Karte da. Nur für den Fall, dass Herr Konrad sich bei Ihnen melden sollte.«
Tobias nahm sie entgegen und nickte freundlich. Dieser Schölzel war schon wieder aus der Tür, als er sich noch einmal umdrehte.
»Herr Schuhmacher. Sie sind doch ein alter Freund von Oliver Konrad. Ist er Ihnen irgendwie verändert vorgekommen? Irgendwie bedrückt?«
Tobias zuckte mit den Achseln und hob die Augenbrauen. »Mir ist nichts dergleichen aufgefallen. Natürlich hat er von der schrecklichen Sache erzählt, die auf Fehmarn passiert ist. Ist doch klar.«
»Danke noch mal«, sagte der Kommissar und trat nach draußen.
Tobias schloss die Tür und atmete tief durch. Olli war ganz und gar nicht normal gewesen. Er hatte das erst auf den Liebeskummer und dann auf den Verlust geschoben. Tobias beschloss, statt des Espressos doch lieber ein Bier zu trinken. Er hatte der Polizei nicht die Wahrheit gesagt und er kam nicht dahinter, warum er das getan hatte. Sie suchten einen Zeugen, keinen Täter. Oder dachten sie vielleicht, dass Olli…? Tobias öffnete die Bierflasche mit einem Feuerzeug und trank einen Schluck. Er hatte richtig gehandelt. Olli war ein feiner Mensch. Sollte die Polizei sich eben ein bisschen mehr Mühe geben, ihn zu finden. Er würde seinen Freund nie verraten. Das war er ihm schuldig. Nach seinem Unfall damals hätte niemand damit gerechnet, dass er jemals woanders leben würde als in einem Pflegeheim. Fast alle Kumpels hatten irgendwann den Kontakt abgebrochen. Olli war einer der wenigen, der mit ihm, dem Krüppel, noch befreundet war. Wahrscheinlich musste Olli sich einfach nur ablenken. Nach St. Peter-Ording zu fahren war doch eine super Idee! Er hätte an seiner Stelle das Gleiche gemacht. Kiten! Aber hatte Olli denn überhaupt ein Brett dabei?
Tina saß mit Antonia und Paul auf der Terrasse und war dabei, Ravioli auf zwei Teller zu verteilen. Sophies Verabredung mit Ben hatte sie auf die Idee gebracht, den Kindern eine Dose warm zu machen. Die Kinder liebten das Zeug. Begeistert machten sie sich über die Nudeltaschen her. Pelle lag sabbernd unter dem Tisch. Als Sophie kam, sprang er begeistert auf. Sie trug eine ausgewaschene Jeans und ein tief ausgeschnittenes schwarzes Top. »Ganz schön sexy für ein Essen auf dem Campingplatz«, stellte Tina fest.
»Es ist eine Einladung zum Dinner. Da habe ich mich eben für das kleine Schwarze entschieden. Außerdem ist es schwül hier draußen.«
»Das wird heute noch ein Gewitter geben. Jede Wette. Ich hoffe, das Anwesen deines Kavaliers ist wasserdicht. Die Kinder wollten unbedingt draußen essen. Sie hoffen auf Blitz und Donner.« Immer mehr dunkle Wolken zogen auf. »Du solltest mit dem Auto fahren«, schlug Tina vor. »Da braut sich wirklich was zusammen.«
»Ach was, ich gehe zu Fuß. Bis das losgeht, dauert es bestimmt noch. Und es wird nicht die ganze Nacht regnen. Außerdem finde ich es spannend, durch den Sturm zu laufen.«
»Ich verstehe. Nomen est omen. Na, wie du meinst. Hast du die Zahnbürste?«
Sophie klopfte auf ihre Handtasche und nickte. »Das wird eine leichte Nummer.«
»Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass der arme Olli sich damit wieder die Zähne putzt und nicht ahnen kann, dass sie in der Zwischenzeit in den Händen eines Leichendoktors war.«
»Der Leichendoktor hatte mit Sicherheit Handschuhe an«, beschwichtigte Sophie. »Ich werde mal losgehen. Pelle kann sich dann noch ein bisschen müde toben.«
»Damit er nicht stört?«, witzelte Tina. Sophie sah sie genervt an. »Ich hör schon auf. Soll ich dich fürs Frühstück mit einplanen?«
Sophie stöhnte. »Du bist wirklich wie eine Mama. Bis morgen!«
Sie verabschiedete sich von den Kindern und ging mit Pelle in Richtung Strand. Tina sah ihr grinsend nach. Ihre Freundin wirkte richtig aufgekratzt. Sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie selbst zuletzt Schmetterlinge im Bauch gehabt hatte. Nicht, dass sie mit Sophie hätte tauschen wollen. Sie liebte Stefan über alles. Aber nach all den Jahren gab es eben nicht mehr viele Überraschungen. Es war doch merkwürdig, überlegte Tina. Als Teenager war man jede Woche in jemand anderen verknallt und dachte, man würde es nicht überleben, wenn man einen Korb bekam. Die Gefühle waren so intensiv gewesen und doch schwärmte man nie lange für denselben. Sie selbst war als Teenager in fast jeden coolen Jungen der Schule mal verliebt gewesen. Der dünne Benny war aber mit Sicherheit nicht unter ihren Favoriten gewesen. Der war damals immer so komisch. Ja, er war ein richtiger Einzelgänger. Ben interessierte sich nur für Tiere. Zu Hause hatte er angeblich einen halben Zoo. Tina erinnerte sich wieder. Sie hatte ihre Eltern mal über Benny reden hören, als sie noch klein war. Sie sprachen darüber, dass der Junge einem leidtun könne, weil seine Zwillingsschwester in der Wanne ertrunken war, als beide erst drei Jahre alt waren. Tina bekam ein ungutes Gefühl. Vielleicht wäre es besser, wenn sie Sophie anrief und ihr von der alten Geschichte erzählte. Sie ging zum Telefon und wählte Sophies Handynummer. Warum ging sie nicht ran? Ein Schrei ließ Tina zusammenzucken. Dann war das Heulen von Paul zu hören. Antonia rannte ihr bereits entgegen.
»Mama, Paul blutet! Er ist hingefallen! Voll gegen den Blumenkübel.«
Tina legte auf und rannte ins Haus. Sie bemerkte nicht, dass auf dem Wohnzimmertisch das Display von Sophies Mobiltelefon blinkte: ›Ein Anruf in Abwesenheit‹.
Ben hatte seinen Bus aufgeräumt, das Bett bezogen und Kerzen aufgestellt. Diese Maßnahmen machten aus seinem Bus zwar keine Luxussuite, aber es wirkte gemütlich. Er wohnte eben in einem klapprigen Transit. Er würde ihr nichts vormachen. Ben stellte zwei Stühle und einen Tisch vor den Bus und legte einen bunten Sarong als Tischdecke über die Platte. Noch war es zu hell, um die Kerzen anzuzünden, aber nach Sonnenuntergang würde die Kulisse sicher sehr romantisch wirken. Schließlich sollte sie einen ganz besonderen Abend erleben. Er hoffte nur, dass das Wetter ihm keinen Strich durch die Rechnung machen würde. Ben war gerade dabei eine Flasche Rotwein zu öffnen, als Sophie plötzlich vor ihm stand. »Hey! Da bist du ja schon.« Ben nahm sie in die Arme und küsste sie zart. »Ich hab deinen Wagen gar nicht kommen hören.«
»Pelle und ich sind gelaufen! Wir haben den ganzen Nachmittag faul im Garten gesessen und uns war nach Bewegung.«
»Schön, dass du da bist.« Er gab Sophie einen stürmischen Kuss und riss sie fast um.
»Langsam«, lachte sie. Ihre Tasche rutschte ihr von der Schulter und fiel zu Boden. Der Inhalt kullerte über den Rasen. Ben half ihr, die Sachen wieder einzusammeln.
»Was ist das denn?«, fragte er grinsend und griff nach der Zahnbürste. »Das finde ich aber süß, dass du dir ein Souvenir mitgenommen hast. Ein Andenken an unsere gemeinsame Nacht!«
»Souvenir?« Sophie sah ihn verwirrt an. »Quatsch! Das ist Ollis. Ich muss sie heute Morgen in Gedanken versehentlich eingesteckt haben.«
»Ollis? Nee, die ist mit ihm verreist. Das ist meine. Ich habe sie wie verrückt gesucht.« Ben lachte und steckte sie zurück in Sophies Tasche. »Bitte behalt sie. Ich habe noch eine. Wein?« Sophie starrte ihn an, als habe sie einen Geist gesehen. »Süße? Möchtest du ein Glas Wein?« Sie nickte und setzte sich langsam auf einen Stuhl. Er schenkte die beiden angeschlagenen Wassergläser voll. »Aufpassen! Da ist ne Macke im Glas. Du hast aber das gute! Nur auf einer Seite anschlagen.« Sophie lächelte und trank einen Schluck. »Ist alles paletti?«, fragte er forschend.
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