Kitabı oku: «Wettbewerbsvorteil Gender Balance», sayfa 2
Blick in den Rückspiegel
Wir leben im 21. Jahrhundert, in dem es für Frauen in unserer westlichen Welt selbstverständlich ist, arbeiten gehen zu dürfen. Das war nicht immer so. Natürlich hatten und haben Politik und Gesetzgebung Einfluss auf unsere Rollenbilder. Schauen wir nur ein paar Jahrzehnte zurück. Vieles erscheint uns heute völlig weltfremd.
Der Anteil der für Lohn arbeitenden Frauen stieg in der Zeit der Industrialisierung an und machte dadurch das Thema erstmals zu einer großen sozialen Frage. Vor allem die Arbeitsbedingungen, der Arbeitsschutz und die Frage einer gerechten Entlohnung für Frauen standen dabei im Blickpunkt. Frauen, die sich mit dem Thema auseinandersetzten, initiierten mit ihren Ideen, Worten und Schriften die Frauenbewegung. Diese sorgte letztendlich dafür, dass wir heute ein wesentlich ausgeglicheneres Verhältnis haben als damals. Ein paar Zahlen dazu: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die tägliche Arbeitszeit in Frankreich auf elf Stunden beschränkt – darunter fiel auch Frauen- und Kinderarbeit. Der »Berufszählung« von 1907 zufolge waren im Deutschen Reich 28 Prozent der erwachsenen Frauen außerhalb des Privathaushalts berufstätig. Drei Millionen Frauen arbeiteten zusätzlich in anderen Haushalten, 400 000 in Industrie und Gewerbe. Von diesen 400 000 waren 43 953 »Heimarbeiterinnen«, 34 000 Wäscherund Plätterinnen, 37 000 Schneiderinnen und 22 000 Näherinnen.
Die Welt hat also prinzipiell schon länger kein Problem mehr damit, dass Frauen arbeiten. Es geht jedoch darum, als was sie arbeiten. Solange es – überspitzt formuliert – nur um »niedere Dienste« ging, wurde der Zuwachs an Arbeitskraft begrüßt – schließlich diente das zu diesem Zeitpunkt ja auch den Männern, die durch körperliche Verausgabung oder Kriegsverwundungen auf das zusätzliche Einkommen ihrer Frauen angewiesen waren.
1958 erfolgte der nächste große Schritt in Deutschland: Ab nun durften Frauen ohne Zustimmung des Ehemanns einer Arbeit nachgehen. Das entsprechende Gesetz lautete: »Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.« Selbstverständlich? Heute vielleicht. In Deutschland durften Frauen bis 1957 ohne Zustimmung ihres Ehemanns nicht einmal ein eigenes Bankkonto eröffnen. Eine weitere Reform erfolgte in den 1960er- und 70er-Jahren. In Deutschland wurde festgelegt, dass die Ehepartner ihre Verbindung so gestalten, »dass die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann«. In Österreich wurden durch die Familienrechtsreform im Jahre 1975 Mann und Frau sogar weitgehend gleichgestellt, und es wurde versucht, geschlechtsspezifische Zuweisungen abzubauen. Im Jahr 1976 wurde in Deutschland dann per Gesetz das »paritätische Ehemodell« beschlossen: »Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen. […] Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein.« Seitdem sind 40 Jahre ins Land gezogen, und wir beschäftigen uns noch immer mit Sexismus. Wer hat »Schuld«, dass die Entwicklung wieder ins Stocken geraten ist? Die Antwort ist einfach: Wir alle! Wir alle sind als Teil von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dafür verantwortlich, dass diese alten Stereotype noch immer existieren und gelebt werden.
Aussagen wie »Die Mutter gehört zum Kind und das Kind zur Mutter« sind auch heute noch allgegenwärtig – ausgesprochen und unausgesprochen. Die Politik nutzt dies gerne, um sich von der Verantwortung zu befreien, zusätzliche Kinderbetreuungsplätze zu schaffen und aufzuklären, wie wichtig die frühe Sozialisierung von Kindern unter Gleichaltrigen ist. Warum gehen denn Kinder in Frankreich, Dänemark, Norwegen, Schweden oder Holland schon sehr früh in den Kindergarten? Die Einstellung unterscheidet sich gravierend: In diesen Ländern gehen Mütter bereits drei bis sechs Monate nach der Geburt ihrer Kinder wieder arbeiten. Wie stehen diese Länder wirtschaftlich da? Sehr gut. Und: Sie weisen keine höhere Kriminalitätsrate auf als andere Nationen. Kinder, die täglich ein paar Stunden in Kindergruppen verbringen, enden also nicht als Schwerverbrecher oder Sozialhilfeempfänger. Ganz im Gegenteil: Sie erlangen durch die Gemeinschaft der Gruppe wichtige Sozialkompetenz. In diesen Ländern wird auf eine Qualität der Kinderbetreuungsplätze geachtet, die die Entwicklung der Kleinen von Anfang an unterstützt und sie zu selbstständigen Menschen heranwachsen lässt.
Diese Sichtweise ist bei uns jedoch noch nicht überall angekommen. Dabei ist es Tatsache, dass zwei berufstätige Elternteile einen multiplizierten Beitrag für die Gemeinschaft und Gesellschaft leisten – da zwei Menschen Sozialbeiträge und Pensionsvorsorgen einzahlen.
So viel zum kleinen Gender-Balance-Utopia. Wie stark wir sozial geprägt sind, wusste ich vor meiner Schwangerschaft nur aus Büchern. Danach erlebte ich es hautnah und unverblümt: Bei mir war körperlich lange nichts davon zu sehen, dass ich schwanger war, weil ich viele der typischen Symptome nicht hatte und ich auch bis einige Tage vor der Geburt voll am Arbeitsleben teilnahm. Als Selbstständige ist es fast unmöglich, sich eine Auszeit zu gönnen. Ich nahm auch davon Abstand, meinen KundInnen von meiner Schwangerschaft zu erzählen, da mir das eine befreundete Unternehmerin empfohlen hatte. Sie hatte mir keine expliziten Gründe für diese Empfehlung genannt. Aber ich sollte bald sehr gut verstehen. Sprung ins Jahr 2013 – von Frau zu Frau:
Ich lege die Hand auf meinen bereits sichtbaren Babybauch, als ich mich mit einer Auftraggeberin bei einem Großgruppenworkshop mit Frauen treffe. Als sie mich sieht, legt sie ihre Stirn in Falten, und ich höre ein erstauntes »Was ist denn da passiert?!«. Ich blicke gespielt überrascht an mir hinunter: »Oh! Ich glaube, da wächst etwas!« Sie schaut mich an und begreift, wie unpassend ihre Aussage war. Dennoch ist sie noch immer sichtlich irritiert und meint: »Warum hast du mir nichts gesagt? Wann ist es denn so weit?« Ich antworte: »Nun, es steht ja nicht im Vertrag, dass ich eine Schwangerschaft ankündigen muss. Der Geburtstermin ist in einem Monat.« Darauf sie: »Aber, was ist, wenn du nicht mehr arbeiten kannst, oder wenn du krank wirst?« Ihre unübersehbare Irritation nervt und belustigt mich zugleich. Jetzt will ich es wissen: »Hättest du mich für dieses große Projekt beauftragt, wenn du das vorher gewusst hättest?« Sie sieht mich an und sagt ohne Zögern: »Sicher nicht!«
Aussagen wie »Die Mutter gehört zum Kind und das Kind zur Mutter« sind auch heute noch allgegenwärtig.
Ich kann es nicht fassen! Diese Frau ist selbst zweifache Mutter und Gender-Beauftragte eines Unternehmens. Wenn sie so denkt, hat dann Gleichbehandlung überhaupt eine Chance? Kurz darauf – ich bin immer noch schwanger – halte ich einen Workshop. Eine Teilnehmerin kommt nach dem Ende der Veranstaltung auf mich zu und gratuliert mir herzlich. Sie ist alleinerziehende Mutter, und wir kommen über unsere vielen Herausforderungen ins Gespräch. Ich sage ihr, dass ich Mütter aufrichtig bewundere, die so vieles alleine organisieren und bewältigen. Sie fragt mich sehr wohlwollend, was das denn jetzt für mich bedeutet, und wie ich beruflich mit der Rolle als Mutter umgehen werde. Ich erzähle ihr von meinem Plan, nach dem Mutterschutz weiterzuarbeiten, da mein Mann einen Teil der Betreuung übernehmen wird. Plötzlich kippt die Stimmung – der Frau steht das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. In abfälligem Ton hält sie mir plötzlich einen Vortrag darüber, was für ein schlechter Mensch ich sei und dass mein Kind ein Recht darauf habe, dass ich rund um die Uhr meinen Pflichten als Mutter nachkomme. Ihre Tirade endet mit dem Satz: »Ihnen ist hoffentlich klar, dass Ihr Kind emotional verwahrlosen wird!«
Woher kommt dieses Klischee? Es begegnete mir auch danach bei einer Reihe weiterer Veranstaltungen als fixe Idee in der geistigen Welt von Frauen und Männern. Ich erinnere mich an eine Diskussionsrunde mit berufstätigen Müttern, in der ein Sozialarbeiter zum Besten gab: »Wenn beide Elternteile arbeiten, tragen sie dazu bei, dass ihre Kinder in einer Wohlstandsverwahrlosung enden. Drogen, Vernachlässigung der Sozialkompetenz …« Er stellte die berufstätige Frau an den Pranger und hing ihr die Schuld für die vermeintliche Verwahrlosung der Kinder um. Ich hinterfragte das natürlich und entdeckte, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen wurden. Die Tatsachen, dass er in seiner Tätigkeit mit mehr verwahrlosten Jugendlichen konfrontiert ist und es mehr berufstätige Frauen gibt, wurden kurzerhand verkettet – ohne jeglichen wissenschaftlichen Hintergrund. Er konnte keine Zahlen nennen, sondern verwies immer wieder auf Einzelfälle von Familien, in denen Eltern sich nicht um ihre Kinder kümmerten. Ob die Mütter in all diesen Fällen berufstätig waren, wusste er gar nicht.
Es ist mir bis heute ein Rätsel, warum diese Fixierung auf die Mutter als »Bewahrerin der Kinder« sich so lange hält. Es braucht nur etwas gesunden Menschenverstand, um dies aufzulösen: Eine Bergbäuerin verbrachte die meiste Zeit auf dem Feld, ohne dass ihre Kinder verwahrlosten. Ich kenne auch eine Vielzahl von alleinerziehenden Müttern und Vätern, deren Kinder sehr früh lernen mussten, selbstständig zu denken und zu handeln – eindeutig nicht zu ihrem Nachteil. Zudem stellt sich mir die Frage: Warum wird der Mann meist auf die Rolle des Geldboten reduziert? Wir leben in einer Gesellschaft, die immer noch von dem Gedanken geprägt ist, dass Erziehung und Sozialisierung nur von der Mutter weitergegeben werden kann, und ich rede hier nicht davon, was die Soziologie sagt und meint, sondern von dem, was tatsächlich gelebt wird.
Mütter und Väter sind wichtig für die Erziehung, sagt die Wissenschaft. Gelebt wird in den meisten Familien aber immer noch etwas anderes. Was ist mit dem Ansatz von Mehrgenerationenhaushalten? Welchen Anteil hat die Gesellschaft an der Erziehung unserer Kinder? Wie funktioniert es, dass afrikanische Stämme Kinder gemeinsam im Familienverbund großziehen und Frauen auch einmal ein »fremdes« Kind an ihrer Brust saugen lassen? Wo gemeinsames Leben zur Tagesordnung gehört und nicht jeder Einzelne in seiner Wohnung lebt und von anderen nichts wissen will? Erziehung geschieht dort in der Gemeinschaft. Entsprechend weit ist der soziale Horizont dieser Menschen.
Der Einfluss von Kultur und Glaube
Für mich persönlich sind die geistigen Grenzen zwischen den verschiedenen Teilen Europas immer schon eine Herausforderung gewesen. Ich lebte und arbeitete lange Zeit als Österreicherin in Holland und durfte damals schon erfahren, wie es ist, wenn Frauen und Männer einander auf Augenhöhe begegnen, die Gesellschaft Kinder als Segen und nicht als Bürde erlebt und es selbstverständlich ist, dass Frau und Mann arbeiten gehen. Mein Nachname stammt übrigens nicht aus dieser Zeit. Meine Urgroßeltern haben ihn in die Familie gebracht. Leider habe ich sie nie kennengelernt, aber einige dieser typisch holländischen Verhaltensweisen dürften irgendwie in mir stecken. Während meiner Zeit in Amsterdam habe ich das Thema »Mann / Frau« oder auch Ansichten über die gleichgeschlechtliche Ehe sehr oft mit Holländern diskutiert. Immer wenn ich vom österreichischen Meinungsbild berichtete, waren sie sichtlich irritiert über diese geschilderte Engstirnigkeit, die zeigt: Immer noch leben Millionen von Menschen nicht nur in Österreich, sondern in vielen europäischen Ländern übrig gebliebene Ansätze eines jahrhundertealten Patriarchats.
Eine große Rolle spielt natürlich auch das Frauenbild in den Religionen. Egal ob Christentum, Islam oder Buddhismus – fast alle Glaubensgemeinschaften haben einen Mann als »Oberhaupt«. Der Glaube prägt genauso unser Bild der Gesellschaft und füttert Stereotype. Dass Frauen sich wie im Islam verschleiern müssen und ihre Sexualität vor der Ehe nicht frei leben sollen, stellt für manche Menschen eine Art von Unterdrückung dar. Wenn Priester nicht heiraten, Männer nicht Männer lieben dürfen und die Ehe der einzig legitime Weg des Zusammenlebens ist, stellt das aber genauso eine Einschränkung für den einen oder anderen dar.
Übrigens: Auch der Glaube und die dazugehörigen Richtlinien verändern sich laufend. Nicht immer mussten sich Frauen im Islam verhüllen. Nicht immer war es ihnen verboten, ein Auto zu lenken. Religion ist einfach ein probates Instrument, um Macht über andere auszuüben. Und da an diesen Schalthebeln hauptsächlich Männer sitzen, ist auch die Form der Machtausübung männlich geprägt.
Aber so einflussreich Religionen auch in den letzten Jahrhunderten waren und vielleicht zum Teil heute noch sind: Es sind nicht mehr allein Gottesgebote, die in erster Linie unsere Stereotype bestimmen. Diese sind vielmehr davon abhängig, welches Verhalten wir selbst als »typisch männlich« oder »typisch weiblich« einschätzen bzw. wie wir diese Verhaltensweisen wahrnehmen und bewerten. Politik, Gesellschaft, Erziehung und Sozialisierung sind dabei die wichtigsten Einflussfaktoren.
Schauen wir uns ein paar Beispiele an:
• Der »typische Mann« hat seine Emotionen unter Kontrolle, ist zielstrebig, ehrgeizig und durchsetzungsstark.
• Die »typische Frau« gilt als emotional, sozial orientiert, sicherheitsbedürftig und intuitiv.
• Wenn Menschen in fixen Denkmustern verhaftet sind, kann es leicht passieren, dass Begriffe wie »Draufgänger« oder »Schlampe« fallen, weil dann gleiches Verhalten von Mann und Frau unterschiedlich aufgefasst, beurteilt oder auch verurteilt wird.
• Ein Mann, der auf seinem Recht besteht, gilt als »hartnäckig«. Eine Frau mit dem gleichen Verhalten würden viele als »penetrant« bezeichnen. Er »setzt sich vehement durch«, sie wird »hysterisch«. Oder umgekehrt: Sie ist »sensibel«, er ist »nicht belastbar«.
Unsere Schubladen dienen dazu, eine Person zu »etikettieren«, um den Aufwand für jedes weitere Denken, Beobachten und Analysieren möglichst gering zu halten. Wir pauschalisieren und werden den individuellen Eigenschaften eines anderen Menschen nicht gerecht. Diese »Typisch-Mann / typisch-Frau«-Attitüde verändert sich jedoch. Frauen haben auf jeden Fall mehr Spielraum als früher und nutzen diesen auch. Sie treten selbstbewusster auf und geben neben der Familie dem Beruf einen größeren Raum als die Generationen davor.
Ich persönlich finde es ein bisschen schade, dass sich die Rolle der Männer im Vergleich dazu wenig verändert hat. Männer sind zwar als Väter präsenter als früher, aber ansonsten dominiert eher die Verunsicherung darüber, wie sich denn ein »typischer Mann« nun korrekt zu verhalten hat. Geht die Entwicklung in Richtung mehr Einfühlungsvermögen und Sanftmut oder zu einer Überbetonung der »alten« männlichen Paradeeigenschaften? Gender Balance heißt ja nicht nur, dass Frauen sich mehr emanzipieren, sondern auch die andere Seite: nämlich, dass Männer mit der neuen Balance eine Entspanntheit bekommen und ebenfalls neue Rollen einnehmen können. Auf den ersten Blick weist die momentane Situation eher Tendenzen auf, sich zu einer »vermännlichten Gesellschaft« zu entwickeln: Auf der einen Seite starke Frauen, die scheinbar ihren Mann stehen und alles unter einen Hut bekommen. Auf der anderen Seite Männer, die in ihrer Rolle verharren und ihre Pfründe nicht abgeben wollen.
Zum Schluss dieses ersten Teilkapitels möchte ich Ihnen – wie bei allen anderen Teilkapiteln auch – Denkanstöße geben. Ich nenne sie »Denkanstöße für Helden & Heldinnen«, denn wer Gender Balance versteht und lebt, ist für mich eine Heldin, ein Held! Ich möchte, dass diese Fragen Sie Stück für Stück in die eigene Reflexion führen, dass sie Ihren Arbeitsalltag beeinflussen und Sie so immer mehr zu »Helden & Heldinnen« der Gender Balance werden.
Denkanstöße für HELDEN & HELDINNEN
•Welche Rollenbilder und Denkmuster sind Ihnen präsent, und was löst das in Ihrer Umgebung aus?
•Was würde passieren, wenn jeder Mensch alles tun kann und Entscheidungen nicht danach beurteilt werden, ob sie ein Mann oder eine Frau trifft?
Klar mögen wir Frauen – aber Helden sind uns lieber
Ich stelle mir oft die Frage, ob Stereotype über Männer und Frauen auch noch in 30 Jahren existieren werden oder ob tatsächlich eine »Gleichheit« möglich sein wird. Dass es sinnvoll ist, in Unternehmen eine Gender Balance anzustreben, ist hingegen keine offene Frage mehr: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die unterschiedlichen Herangehensweisen der beiden Geschlechter eine größere Vielfalt an Lösungsansätzen hervorbringen. Wie das in der Praxis funktioniert, erlebe ich tagtäglich in meiner Tätigkeit als Organisationsberaterin. Vor allem bin ich fest davon überzeugt, dass in einem harmonischen, ausbalancierten Miteinander spektakuläre neue Unternehmenserfolge möglich sind.
Wenn sich Unternehmen erst einmal für den Gedanken erwärmt haben, das Potenzial von Gender Balance zu nützen, ist es immer wieder spannend, wie sich die handelnden Personen den Weg dorthin vorstellen. Männer begeistern sich zumeist für den Begriff »Empowerment« – wobei dieser meistens so ausgelegt wird, dass die weibliche Belegschaft lediglich motiviert werden muss, sich in den bestehenden Strukturen zurechtzufinden. (»Na, dann bringen Sie einmal unseren Frauen bei, wie man in unserem System in eine Führungsposition kommt. Dann wird das schon klappen mit der Quote.«) Die Erinnerung an ein derartiges Gespräch führt mich zurück in eine Zeit, in der in der Wiener Stadtpolitik die sogenannte 50-50-Regel ausgerufen wurde. Sprich: Die Geschlechterausgewogenheit sollte damals in Windeseile herbeiverordnet werden. Trotz dieses frischen Winds für die Gleichberechtigung dachten einige Frauen durchaus kritisch über diese Maßnahmen. Zum Beispiel ein weibliches Vorstandsmitglied: »Glauben Sie, mein Weg an die Spitze war leicht? Da muss man als Frau durch – und zwar ohne Sonderbehandlung. Erst dann ist man fähig, sich mit Männern zu messen und das System zu begreifen.« Starke Frauen, die es in diesem System bereits »nach oben« geschafft haben, fordern wie in diesem Fall die »harte Tour«, da sie der Meinung sind, dass man mit typischen weiblichen Verhaltensweisen nicht vorankommt.
Mir ist dieser Dialog deswegen so in Erinnerung geblieben, weil es mich frappant an meine Zeit als junge Technikerin erinnert hat. Die Straße zum Erfolg wurde als steiniger Weg gesehen, auf dem man sich hochzudienen hatte. Ein Beispiel von damals: Sagt der Obermonteur zum Lehrling: »Jetzt wirst du einmal zwei Jahre lang brav das Mittagessen holen und dich auf der Baustelle beweisen. Und wenn du es dann einmal geschafft hast, ein Rohr zu schweißen, wirst du irgendwann ein guter Arbeiter.« Sprich: Nur durch Härte kommen die Besten zum Vorschein. Die Praxis zeigt natürlich, dass ein ganz anderer Ansatz viel eher zum Ziel führt. Jene Lehrlinge, die von Anfang an aktiv unterstützt wurden, denen vertraut und einiges zugetraut wurde, waren jene, die am meisten und schnellsten lernten. Sie waren lange vor Abschluss ihrer Lehrzeit eigenverantwortlich tätig und leisteten einen wichtigen Beitrag zum Projekterfolg.
Antworten aus der Praxis
Das Schöne an meiner heutigen Tätigkeit ist, dass ich täglich Gelegenheit dazu habe, Theorie und Praxis zu vergleichen: Ich teste Menschen, warum sie sich wie verhalten. So wurde ich von einem Unternehmen aus der Baubranche mit mehr als 1000 MitarbeiterInnen gebeten zu analysieren, warum nicht mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Dazu befragte ich rund 300 Personen in Deutschland, Österreich und der Schweiz schriftlich und teilweise mündlich. Es handelte sich um Männer und Frauen in Führungspositionen, High Potentials, die sich für künftige Führungsaufgaben empfohlen hatten. Die Ergebnisse waren überraschend, weil sie sowohl von Männern als auch von Frauen angegeben wurden: Frauen seien in höheren Managementebenen nur willkommen, solange sie keine Kinder bekommen und so agieren wie Männer. Frauen wie Männer waren also der festen Überzeugung, dass Menschen nur dann Karriere machen können, wenn sie aggressiv, machthungrig, mutig, sachlich (nur ja nicht zu emotional!), durchsetzungsfähig und entschlossen sind. Als hinderlich für eine weibliche Karriere wurde (wiederum von beiden Geschlechtern) angesehen, wenn Frauen empathisch, emotional, kommunikativ und bescheiden sind. Ergänzung: Solche Frauen wären »zu weiblich« für eine Führungsposition. Einhelliger Tenor der Befragten: Das klassische Frauenführungsbild in diesem Unternehmen war eine Frau in weiblichem Körper, aber mit klaren männlichen Verhaltensweisen. Ein derartiges Mischwesen hätte zumindest eine Chance auf eine Spitzenposition in diesem Unternehmen.
Wenn Unternehmen von den Unterschieden zwischen Mann und Frau profitieren wollen, sollten die Unterschiede auch sichtbar und erlebbar sein.
Aber damit sind wir noch nicht mit allen »Schmankerln« meiner Befragung durch. Die weiblichen Befragten gaben weiter an, dass eine Frau an der Spitze meist der »bessere Mann« sei. Die Männer stimmten zu, drückten es aber unverblümter aus: »Toll, wenn eine Frau Eier hat«. »Eier« braucht es für die Frau in diesem Unternehmen allerdings auch bei der Familienplanung. Wenn sie verhindern will, im Falle einer Schwangerschaft fallen gelassen zu werden, muss sie sich auch als Mutter wie ein Mann verhalten. Sprich: sofort zurück an den Arbeitsplatz und den Partner – in diesem Fall den Mann – den Laden zu Hause schmeißen lassen. Doch spätestens an diesem Punkt wird die Geschichte absurd. Denn eigentlich will das gängige Schubladendenken ja, dass der Mann das Geld nach Hause bringt. Also der mit den echten Eiern.
Was zeigt uns diese Achterbahnfahrt durch die Gedankenwelt männlicher und weiblicher Keyplayer eines Unternehmens? Selbst mit gelebten »männlichen« Verhaltensweisen haben es Frauen schwer, ihren Karriereweg zu gehen. Spätestens als Mutter ist schlagartig nicht mehr klar, welche Erwartungen es zu erfüllen gilt, um »erfolgreich« zu sein.
Das Ergebnis dieser Befragung lässt sich auch noch eine Spur deutlicher ausdrücken: Frauen, die sich wie Mütter verhalten und sich Zeit für ihre Kinder nehmen wollen, enden als Sekretärinnen. Nur wenige haben verantwortungsvolle Positionen. Einerseits, weil sie dafür gar nicht mehr vorgesehen werden, und andererseits, weil die Frau durch die gelebte Mutterrolle »mehr Frau« wird. Eierstock statt Eier quasi. Und das wird ja – wie erwähnt – ganz und gar nicht als Führungsqualität erlebt.
Die Quintessenz der Analyse noch einmal ganz klar auf den Punkt gebracht:
• Verhält sich eine Frau wie ein Mann, darf sie Führungskraft werden.
• Verhält sich eine Frau wie eine Frau, wird es schwierig bis unmöglich, es »nach oben« zu schaffen.
Solche Ergebnisse sind keine Seltenheit. Wenn Unternehmen von den Unterschieden zwischen Mann und Frau bzw. von den Denk- und Handlungsweisen beider Geschlechter profitieren wollen, sollten die Unterschiede auch sichtbar und (er-)lebbar sein.
Meist werden nach einer Analyse die Ergebnisse mittels eines »Rückspiegelungsworkshops« dem Vorstand vor Augen geführt. Daran nehmen wenige Frauen in Führungspositionen teil. Diese Frauen waren dann auch bei der vorangegangenen Befragung mit von der Partie. Als wir den Vorständen die oben genannten Ergebnisse rückmeldeten, waren sie komplett irritiert und stellten erst einmal die angewandten Methoden infrage. Auch das begegnet mir im Zuge meiner Arbeit leider sehr oft. Wahrheit tut manchmal weh. Bei Zweifeln genügt meist eine Frage, um für klare Verhältnisse zu sorgen: »Wie sehen das die Damen in der Runde?« Erfahrungsgemäß können diese ihre Erschütterung über die Reaktionen der männlichen Vorstandsmitglieder fast nicht mehr bändigen. Erst wenn die männlichen Vorstände die Reaktion der – im Unternehmen geschätzten – Frauen unmittelbar erleben, wird sichtbar, dass es diese unreflektierten Haltungen im Unternehmen tatsächlich gibt.
Die Erkenntnis von zwei Vorständen nach einem ereignis- und diskussionsreichen Workshop-Tag war: »Es stimmt. Eigentlich wollen wir mehr Frauen. In Wahrheit dürfen aber nur männliche Verhaltensweisen an die Spitze, egal ob sie in einem weiblichen oder männlichen Körper stecken.« Zu diesem Zeitpunkt grinste ich in mich hinein und mir fiel das Sprichwort »Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besserung« ein. Für viele Unternehmen ist dieser Moment ein Durchbruch. Weil zum ersten Mal allen klar wird, worum es bei Gender Balance und gelebter männlicher Unternehmenskultur wirklich geht: Unterschiede bringen nur etwas, wenn sie auch gelebt werden dürfen.