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II. Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit

§ 130 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich › II. Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 1. Objektiver und subjektiver Rechtsschutz

1. Objektiver und subjektiver Rechtsschutz

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Der durch die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit gewährleistete Rechtsschutz wird üblicherweise als Prototyp objektiven Rechtsschutzes angesehen, vor allem im Vergleich zur deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit. In der Tat spielt insbesondere die Figur der subjektiven Rechte, die im Zivilrecht und in allgemeinen Einführungen in die Rechtslehre als ein Ausgangspunkt für das gesamte Rechtssystem dargestellt wird, im Verwaltungsprozessrecht nur eine sehr geringe Rolle. Anders als im deutschen Verwaltungsprozessrecht[56] muss für die Erhebung eines REP gegen eine Maßnahme der Verwaltung grundsätzlich nicht die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung geltend gemacht werden. Es genügt ein Interesse des Klägers an der Aufhebung der Verwaltungsmaßnahme.[57] Solch ein Interesse wird von der Rechtsprechung ziemlich großzügig anerkannt. Anders als in Italien[58] wird in Frankreich auch nicht zwischen subjektivem Recht und legitimem Interesse unterschieden. Die Entwicklung des französischen Verwaltungsrechts beruht vor allem auf der Zuständigkeit des CE für die Kontrolle von Verwaltungsmaßnahmen im Zuge eines REP. Der CE hat diesen Rechtsbehelf rasch zu einem allgemeinen Aufhebungsverfahren entwickelt, wobei die Unzuständigkeit der erlassenden Stelle (incompétence), Formmängel (vice de forme),[59] Rechtsverletzungen (violation de la loi – wörtlich: Verletzung der Gesetze) und der Ermessensmissbrauch (détournement de pouvoir)[60] mögliche Aufhebungsgründe sind.[61] Die Rechtsprechung des CE über den REP wurde von Edouard Laferrière ab den 1870er-Jahren als „procès fait à un acte“ (Prozess gegen einen Rechtsakt) umschrieben, d.h. als Klage gegen einen Akt der Verwaltung, was von der Rechtslehre allgemein übernommen worden ist. Sie hat in der in Art. 263 AEUV zugrunde gelegte Typologie zudem ein wichtiges Nachbild gefunden. Dies geht zurück auf Maurice Lagrange, der als Conseiller d’État Jean Monnet bei den Verhandlungen über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) unterstütze und maßgeblich an der Abfassung des Art. 33 EGKSV beteiligt war.

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Nichtsdestotrotz gab es im Rahmen der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit von Anfang an auch subjektiven Rechtsschutz, etwa in Form von Schadensersatzansprüchen gegen die Verwaltung. Deren Ausgangspunkt war nicht die Wahrung des öffentlichen Interesses, sondern der Schutz der Interessen der Einzelnen. Neben dem REP, mit welchem allein die Aufhebung einer Verwaltungsmaßnahme erreicht werden kann, existiert der sog. recours de plein contentieux (Verfahren mit unbeschränkter Urteilsmöglichkeit – RPC), über den Ansprüche sowohl auf Schadensersatz als auch auf die Erfüllung eines Vertrags oder auf jegliche andere Maßnahme der Verwaltung geltend gemacht werden können. Zu konkreten Anordnungen (injonctions) sind die Gerichte aber erst seit 1995 befugt.[62] Der RPC beruht nicht zwangsläufig auf der Verletzung eines besonderen Individualrechts; häufig stützt er sich auch lediglich auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes oder eines anderen allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Er dient aber gleichwohl dem Schutz individueller Interessen. Für den RPC gelten insoweit besondere prozessuale Regeln. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass die Unterscheidung zwischen REP und RPC lediglich dogmatischer Natur ist und seit den Zeiten Laferrières[63] vor allem aus didaktischen Gründen erfolgt. In der Sache handelt es sich hingegen nicht um zwei völlig verschiedene Klagearten, wie dies z.B. bei Nichtigkeitsklagen (Art. 263 AEUV), Untätigkeitsklagen (Art. 265 AEUV) und Schadensersatzklagen (Art. 268 AEUV) vor dem EuGH oder EuG der Fall ist. Zwar gibt es besondere prozessrechtliche Regeln – insbesondere bzgl. der Klagefrist oder der Vertretung durch einen Rechtsanwalt –, die nur gelten, wenn mit einer Klage isoliert die Aufhebung einer Verwaltungsmaßnahme begehrt wird. Dennoch sind beide Rechtswege nicht förmlich getrennt: Solange die Klagefrist für einen REP noch nicht verstrichen ist, kann ein RPC geändert bzw. erweitert werden und somit neben dem ursprünglichen Schadensersatzbegehren auch die Aufhebung des schadensverursachenden Aktes begehrt werden.

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Seit 1995 kann die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Verwaltung auch Anordnungen (injonctions) erteilen. Insoweit stimmt die Aussage, dass der REP nur zur Aufhebung einer Entscheidung führen kann, nicht mehr vollständig, denn eine solche Anordnung kann nunmehr auch im Rahmen eines derartigen Aufhebungsverfahrens beantragt werden.[64]

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Der Großteil der Klagen sind seit Jahrzehnten RPC. Insofern trifft das Klischee einer durch das Prinzip der objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle dominierten französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht zu. Richtig ist hingegen, dass sich französische Verwaltungsrichter weiterhin vor allem als Hüter der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns begreifen. Die Aufgabe, dem Einzelnen – sofern nötig – zu helfen, um sich gegen die Verwaltung zu verteidigen, kommt insoweit hinzu.

§ 130 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich › II. Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 2. Einordnung in das Schema der Gewaltenteilungslehre

2. Einordnung in das Schema der Gewaltenteilungslehre

a) Die Gewaltenteilung nach französischer Auffassung

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Mit der Verabschiedung des Gesetzes vom 16. und 24. August 1790[65] – das noch heute in Kraft ist – erteilte die Nationalversammlung alternativen Lösungen eine Absage, die Verwaltungsstreitigkeiten den ordentlichen Gerichten zuweisen oder spezialisierte Verwaltungsgerichte mit gewählten Richtern, die weder der Verwaltung, noch der Justiz angehören würden, errichten wollten. Ersteres wurde wegen den Missbräuchen der Parlements unter dem Ancien Régime abgelehnt; Letzteres, da auch Sondergerichte unter dem Ancien Régime nicht vor Missbrauch haltgemacht hatten. Die Nationalversammlung, die in Art. 16 Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers vom 26. August 1789 den Grundsatz der Gewaltenteilung niedergeschrieben hatte, ging dabei – wie u.a. René Chapus, die Koryphäe des französischen Verwaltungsprozessrechts, betont[66] – davon aus, dass das Gesetz dem Grundsatz der Gewaltenteilung entsprach. Für Montesquieu, den Schöpfer der Gewaltenteilungslehre, war die richterliche Gewalt, die von der vollziehenden Gewalt zu trennen war, lediglich beauftragt, über Verbrechen (crimes) und Streitigkeiten zwischen Privatpersonen (différents entre particuliers) zu entscheiden. Davon hat sich das französische Verfassungsrecht nie vollständig verabschiedet, auch wenn sich inzwischen ein rechtstaatliches System der checks and balances herausgebildet hat, in dem die absolute Herrschaft des Gesetzes als Instrument der Demokratie im Sinne von Rousseaus „volonté générale“ deutlich relativiert ist.

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Im heutigen französischen Verfassungsrecht kennt die Lehre von der Gewaltenteilung drei Elemente:[67] Erstens die Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative, die vollständig anerkannt ist. Zweitens wird zwischen politischen Verwaltungsorganen und -stellen einerseits, sowie richterlichen Organen und Stellen andererseits unterschieden, wobei die Letzteren von der Exekutive völlig unabhängig sein sollen. Frankreich ist ein Rechtsstaat, in dem Grundrechte, Normenhierarchie und Gewaltenteilung zu beachten sind. Aus diesem Grund soll sich die Judikative weder in die Gesetzgebung noch in die Gesetzesausführung einmischen, sodass die „ordentliche“ Gerichtsbarkeit grundsätzlich auch keine Kontrolle über Legislative und Exekutive ausüben kann. Daraus folgt der Grundsatz der Trennung zwischen „aktiver“ Verwaltung, d.h. der Anwendung und Ausführung der Gesetze in unstreitigen Fällen, einerseits und der Kontrolle der Verwaltung andererseits.[68] Letztere soll durch unabhängige Richter ausgeübt werden, die von den ordentlichen Richtern getrennt sein sollen, um eine Einmischung der Judikative in Aufgaben der Exekutive zu vermeiden. Die dogmatische Tauglichkeit dieser Konstruktion ist in Lehre und Politik seit langem umstritten.[69] Seit der 1848er-Revolution gab es jedoch keinen ernsthaften Versuch, daran etwas zu ändern.

b) Verhältnis zu den politischen Staatsorganen und zur Verwaltung

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Französische Verwaltungsrichter – besonders die Mitglieder des CE – stehen Verwaltung und Politik zwar nahe;[70] ihre materielle und intellektuelle Unabhängigkeit wird jedoch nicht bezweifelt, auch wenn in der Öffentlichkeit Auseinandersetzungen mit der „ordentlichen“ Gerichtsbarkeit thematisiert werden, wie etwa nach den Attentaten vom 13. November 2015 in Paris mit Blick auf die Anwendung des Notstandsgesetzes vom 3. April 1955.[71] Die Vorlage der Regierung zur Einfügung von Notstandsregelungen in den Text der Verfassung – die letztlich nicht umgesetzt wurde – wurde von den Ersten Vorsitzenden und den Ersten Staatsanwälten der CCass sowie des Tribunal de grande instance (Erstinstanzliches Gericht für Zivilsachen) von Paris heftig kritisiert, u.a. weil der ursprünglichen Formulierung zufolge verwaltungspolizeiliche Maßnahmen von Zivilbehörden „unter der Kontrolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ getroffen werden sollten. Das war an sich jedoch grundsätzlich nichts Neues und auch keine Abweichung von der gewöhnlichen Rechtslage, weswegen der CE empfahl, den Hinweis auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu streichen.[72] Die Zuständigkeitsverteilung zwischen den „ordentlichen“ und den Verwaltungsgerichten für den Schutz der persönlichen Freiheit (liberté individuelle) war Ausgangspunkt einer etwas scheinheiligen Auseinandersetzung, die mehr Ausdruck des Neids manch ordentlicher Richter gegenüber Mitgliedern des CE war, als Kritik an deren Unabhängigkeit. Dieser Neid resultiert wohl daraus, dass die École nationale de la magistrature – 1958 als Centre national d’études judiciaires gegründet und seit 1970 umbenannt –, an der die „ordentlichen“ Richter ausgebildet werden, niemals ein ähnliches Prestige hatte wie die ENA.[73] Letztlich spiegelte diese Auseinandersetzung die unterschiedlichen Einstellungen von ordentlicher, Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit in der Sache Melki und Abdeli[74] wider,[75] in der es um das verfassungsändernde Gesetz ging, durch welches die „question prioritaire de constitutionnalité“ eingeführt wurde.[76] Sowohl in Rechtslehre wie auch in der Öffentlichkeit ist die vollständige Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit zwar unbestritten; es wird jedoch diskutiert, ob die Nähe des CE zu Verwaltung und Politik insoweit nachteilig ist, da Verwaltungsrichter hierdurch den gleichen Korpsgeist wie die Verwaltung aufweisen könnten, oder ob diese Nähe eher einen Vorteil darstellt, da die Richter so über ein Fachwissen und ein Verständnis für die Arbeitsweise von Verwaltung und Politik verfügen, das es ihnen ermöglicht, bürokratischen Argumentationen besser entgegen zu wirken. Beide Standpunkte können mit etlichen Beispielen aus der Praxis aufwarten, ohne dass sich eine Ansicht durchgesetzt hätte.

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Die Auswahl der Verwaltungsrichter geschieht in der Regel durch öffentliche Wettbewerbsprüfungen, sog. Concours.[77] Richter am CE und Richter der Corps des tribunaux administratifs et des cours administratives d’appel sind zwei unterschiedliche Beamtenlaufbahnen, obwohl deren statuts, d.h. die gesetzlichen Regelungen, die die Ernennung und Laufbahn eines corps[78] regeln und im CJA niedergelegt sind, sehr ähnlich sind. Unterschiede bestehen hinsichtlich der Gehälter und insoweit, als gewisse Ämter in der Staatsverwaltung und in öffentlichen Anstalten regelmäßig Mitgliedern des CE vorbehalten sind. Hinzu kommt, dass der CE seinen Sitz im Palais Royal im Zentrum von Paris hat, wohingegen die Laufbahn der TA und CAA üblicherweise eine Reihe von Versetzungen mit sich bringt. Die Mitglieder beider corps werden allerdings aus Absolventen der ENA ernannt. Dabei hat die Regierung keinerlei Ermessensspielraum: Die Absolventen der ENA wählen ihr corps selbst, und zwar in der Reihenfolge der Prüfungsergebnisse und Ausbildungsbewertung. Im Regelfall wählen die bestplatzierten Absolventen den CE (bzw. die Cour des comptes oder die Inspection des finances); die Wahl eines Postens an einem TA erfolgt hingegen üblicherweise erst, nachdem bereits die Stellen im Außenministerium und einer Reihe anderer Ministerien (etwa im Finanzministerium) vergeben wurden. Außer in seltenen Einzelfällen spielen weder die Bewertungen der einzelnen rechtlichen Prüfungen noch die persönlichen Vorlieben der Kandidaten für einzelne juristische Fächer eine Rolle. Ein Teil der Stellen beider corps wird jedes Jahr ausschließlich für Kandidaten, die bereits Beamte bzw. ordentliche Richter sind, ausgeschrieben (recrutement au tour extérieur). Die Auswahl wird in diesen Fällen vom Conseil supérieur des tribunaux administratifs et des cours administratives d’appel, einem dem Conseil supérieur de la magistrature ähnlichen, unabhängigen Gremium der richterlichen Selbstverwaltung vorgenommen. Was den CE betrifft, werden die Auditeurs (niedrigste Stufe der Laufbahn, i.d.R. die jüngsten Mitglieder) ausschließlich unter ENA-Absolventen ausgewählt. Drei Viertel der Maîtres des requêtes (mittlere Laufbahnstufe) werden unter den Auditeurs mit drei bis vier Jahren Dienstalter, ein Viertel „au tour extérieur“ unter Kandidaten, die mindestens 30 Jahre alt sein und mindestens zehn Jahre im öffentlichen Dienst verbracht haben müssen, ernannt. Zwei Drittel der Conseillers d’État (höhere Laufbahnstufe) werden unter Maîtres des requêtes entsprechend dem Dienstalter ernannt, ein Drittel „au tour extérieur“; in beiden Fällen müssen die Kandidaten mindestens 45 Jahre alt sein. Hinzu kommt beim CE auch noch eine geringe Zahl – zwölf für die Conseillers d’État – sog. „außerordentlicher Mitglieder“ (membres extraordinaires), die von der Regierung für eine begrenzte Zeit ernannt werden und die nur an den beratenden Funktionen des CE, nicht aber an seiner Rechtsprechungsfunktion teilnehmen.

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Beförderungen und Versetzungen der Mitglieder beider corps erfolgen nach Dienstalter und werden vom Conseil supérieur des tribunaux administratifs et des cours administratives d’appel vorgenommen. Kein Verwaltungsrichter darf dabei gegen seinen Willen versetzt werden. Die Gehälter werden nach den allgemeinen Bestimmungen für Staatsbeamte festgesetzt, wobei Mitglieder des CE in die höchste Gehaltsstufe eingeordnet werden. Mitglieder dieser beiden corps (mit Ausnahme der membres extraordinaires des CE) heißen seit 1986 (wie die ordentlichen Richter und Richter der Cour de comptes) magistrats,[79] was vor allem symbolpolitisch von Bedeutung ist: Zwar gehören sie nicht der Judikative (autorité judiciaire) an, sind aber in jeder Beziehung unabhängige Berufsrichter. Wie auf die ordentlichen Richter sind die allgemeinen beamtenrechtlichen Regeln des Statut de la fonction publique (Beamtengesetz) nur insofern auf sie anwendbar, als der CJA keine Sonderregelungen enthält.

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Was die Kontrolle politischer Akteure angeht, so hat der CE seine anfängliche Zurückhaltung im 19. Jahrhundert nach und nach aufgegeben und langsam aber sicher seine Kontrolle über die Exekutive ausgedehnt. Es lässt sich allerdings nicht immer leicht bestimmen, welche Entscheidungen in diesem Zusammenhang noch aktuell sind. Dies trifft insbesondere auf die Theorie der sog. actes de gouvernement (Regierungsakte)[80] zu, deren Anwendungsbereich zwar zunehmend geringer wurde, in der Sache aber fortbesteht.[81] Die Theorie der actes de gouvernement versteht den Ausdruck gouvernement nicht im formal-organisatorischen Sinne, sondern funktional. Weil „Regierung“ insoweit als Ausdruck der Souveränität verstanden wird, weigert sich der CE Entscheidungen des Staatsoberhauptes oder des Regierungschefs, in manchen Fällen auch der Regierung, zu kontrollieren, obwohl er grundsätzlich hierfür zuständig wäre. In seinem Urteil Prince Napoléon[82] aus dem Jahr 1875 hat der CE jedoch die ursprüngliche Begründung für diese Weigerung – der politische Charakter der Entscheidung – aufgegeben und ist CdG David gefolgt. Dieser hatte in seinen Schlussfolgerungen ausgeführt, „für den außergewöhnlichen Charakter, außerhalb und über jeglicher gerichtlichen Kontrolle zu stehen, genüg[e] es nicht allein, dass eine Entscheidung der Regierung oder eines deren Vertreter im Ministerrat verabschiedet wurde oder von politischen Interessen diktiert sei“,[83] ohne aber ein eindeutiges Kriterium festzulegen, mit dem von vorneherein bestimmt werden kann, welche Entscheidungen keiner Kontrolle unterliegen. Entscheidungen, die auch heute noch als actes du gouvernement gelten, werden typischerweise in drei Kategorien eingeteilt: (1) Entscheidungen der Exekutive gegenüber dem Parlament,[84] (2) sog. pouvoirs propres des Staatsoberhauptes, die keiner Gegenzeichnung vom Regierungschef bedürfen, wie die Ausübung der Sonderrechte gem. Art. 16 CF,[85] die Auflösung der Nationalversammlung gem. Art. 12 CF,[86] die Anordnung eines Volksentscheids gem. Art. 11 CF[87] oder die Ernennung eines Mitglieds des CC gem. Art. 56 Abs. 1 S. 3 CF[88] sowie (3) außenpolitische Entscheidungen wie die Wiedereinführung von Nukleartests,[89] den Einsatz der Armee im Kosovo,[90] die Öffnung des französischen Luftraums für amerikanische und britische Militärflugzeuge[91] oder auch die Abstimmung des französischen Vertreters im Rat der EU.[92] Der CE kontrolliert in solchen Fällen zwar nicht die angefochtene Entscheidung selbst, er überprüft aber sehr wohl alle damit verbundenen Entscheidungen, die sich auf Einzelne besonders auswirken. Dies geschieht entweder auf der Grundlage der sog. théorie des actes détachables (Theorie der abtrennbaren Entscheidungen)[93] oder wegen Verletzung der Gleichheit vor den öffentlichen Lasten (rupture de l’égalité devant les charges publiques).[94] Seit 1990 legt der CE völkerrechtliche Verträge selbst aus, anstatt wie früher das Außenministerium zu befragen.[95]

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Grundsätzlich unterliegen alle Verwaltungsbehörden Frankreichs der gerichtlichen Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hierunter fallen der Staatspräsident, die Regierung, alle Stellen der Staatsverwaltung, die Gebietskörperschaften (35.400 Kommunen; 100 Départements; 18 Regionen, davon 13 in Europa[96] und fünf Übersee-Gebiete[97]; besondere Übersee-Gebietskörperschaften[98] und Neukaledonien) und die etwa 2.000 öffentlichen Anstalten des Staates und der Gebietskörperschaften (Sekundarschulen, Gymnasien und Universitäten, Spitale, Museen, usw.). Auch die sog. Autorités administratives indépendantes (Unabhängige Verwaltungsbehörden) unterliegen verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, mit Ausnahme des Conseil de la concurrence (Wettbewerbsrat), der von der Cour d’appel de Paris überwacht wird.[99] Eine nicht unwesentliche Anzahl von Mitgliedern des CE, der TA und der CAA sind darüber hinaus an öffentliche Anstalten, Autorités administratives indépendantes oder Gebietskörperschaften abgeordnet (en détachement).

c) Verfassungsrechtliche Dimension der Verwaltungsgerichtsbarkeit

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Wie bereits angedeutet, hat die Verwaltungsgerichtsbarkeit, und insbesondere der CE, auch eine bedeutsame verfassungsrechtliche Dimension.[100] Dies ergibt sich aus der sehr umfassenden Konzeption des acte administratif, wie sie vom CE entwickelt wurde und wie sie sich heute auch aus den Bestimmungen der CF über den Erlass von allgemein geltenden Vorschriften durch die Exekutive ergibt. In der CF sind drei Arten derartiger Rechtsakte vorgesehen: décrets zur Durchführung von Gesetzen (décrets d’application), die Gesetze lediglich ergänzen; ordonnances, d.h. Verordnungen auf Grund einer spezifischen, begrenzten Einzelermächtigung des Parlaments (Art. 38 CF), die auch Bereiche betreffen können, die nach Art. 34 CF eigentlich dem Parlament vorbehalten sind; und sog. décrets autonomes zur Regelung von Bereichen, die nicht nach Art. 34 CF grundsätzlich dem Parlament vorbehalten sind. In seiner Entscheidung IVG vom 15. Januar 1975[101] hat der CC den Fachgerichten beider Gerichtsbarkeiten die Kontrolle über die Einhaltung von verbindlichen Vorschriften völkerrechtlicher Verträge und des unionalen Sekundärrechts zugestanden[102] und die CCass und den CE damit im Ergebnis auch zu einer Art letztinstanzlicher Normenkontrolle ermächtigt. Dabei kann die CCass nur über die Nichtanwendung eines betreffenden Gesetzes oder einer Verordnung entscheiden, der CE darüber hinaus auch über die Aufhebung einer Verordnung oder eines Dekrets. Seit 1995 besitzt der CE daneben auch die Möglichkeit, die Regierung zum Erlass einer neuen, rechtmäßigen Vorschrift zu verpflichten, wobei er die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer solchen Vorschrift spezifizieren muss.[103]

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Seit der III. Republik (1875–1940) betrachtet sich der CE selbstbewusst als Hüter der Grundrechte. Zum ersten Mal geschah dies, als er Entscheidungen der Bürgermeister und Präfekten überprüfte, die die verwaltungspolizeilichen Befugnisse auf kommunaler Ebene bzw. Ebene der Departements ausüben. Dabei schuf er Kriterien, die der deutschen Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeitskontrolle – auch wenn sie etwas einfacher sind – ähneln, und hob alle „permanenten und absoluten“ Verbote von Aktivitäten und Verhalten in der öffentlichen Sphäre auf. Auf dieser Grundlage entwickelte sich die Rechtsprechung zur Demonstrations- und Versammlungsfreiheit sowie zur Glaubens- und Meinungsfreiheit.[104] Über die Kontrolle der Maßnahmen des Innenministers gegen Zeitungen, die dieser als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit ansah, entstand eine Rechtsprechung zur Pressefreiheit.[105] In seiner beamtenrechtlichen Zuständigkeit entwickelte er ferner eine Rechtsprechung zum Streikrecht.[106] Beachtung verdient schließlich die Rechtsprechung des CE zur Berufsfreiheit, etwa bei der Abwägung zwischen der kommunalen Wirtschaftstätigkeit und der Freiheit des Gewerbes und der Industrie. Seit 1954 gibt es im dritten Studiumsjahr die Vorlesung „Libertés publiques“ (öffentliche Freiheiten), in der die Rechtsprechung des CE – neben der Rechtsprechung der CCass zur persönlichen Bewegungsfreiheit – einen großen Stellenwert belegt; seit den 1970er-Jahren wurde sie ergänzt durch die Rechtsprechung des CC und seit den 1980er-Jahren durch die Anwendung der EMRK seitens der ordentlichen Gerichte. Seit den 1980er-Jahren hat auch der Begriff der droits fondamentaux (Grundrechte) den der „Libertés publiques“ verdrängt.[107]

§ 130 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich › II. Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 3. Stellung in der Gerichtsbarkeit

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