Kitabı oku: «Die Weisheit des Traumas», sayfa 4

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3. Emotionen:
Herz und Gehirn in Aktion

In jahrelanger Selbsterforschung entdeckte ich,

dass unser Gefühl von Wohlbefinden größtenteils

durch unsere Beziehungen und unsere Fähigkeit

bestimmt wird, diese Beziehungen,

wenn nötig, wiederherzustellen.

Das Potenzial, eine andere Person oder uns selbst

zu zerstören, ist genauso groß wie das,

uns oder jemand anders zu heilen.

Wir haben die Möglichkeit, den Körper zu regulieren

und Veränderungen in unserer äußeren Umgebung

vorzunehmen.

Wir sind aktiv an unserer Heilung beteiligt.

Die Frage ist jedoch: Sind wir bereit,

unsere eigene Kraft kennenzulernen?

Wie ich im vorhergehenden Kapitel beschrieben habe, geben Emotionen allem, was wir tun, Form und Richtung. Das Wort ›Emotion‹ kommt vom lateinischen ›emovere‹, was ›nach außen bringen‹ bedeutet. Emotionen werden durch unseren Körper ausgedrückt: mit Hilfe unserer Muskeln (z.B. Kopf-, Arm- und Beinhaltung) und dabei insbesondere durch unsere Gesichtsmuskulatur. Gesichtsausdruck und Körperbewegung geben anderen Menschen Einblick in unseren mentalen Zustand und unsere Absichten. Wenn wir böse schauen und uns erregt verhalten, reagiert die andere Person darauf möglicherweise, indem sie sich zurückzieht. Sind wir bedrückt, lädt das oft zu Fürsorge und Aufmerksamkeit ein. Angst warnt vor Gefahr.


Normalerweise sind wir intuitiv in der Lage, die Emotionen und die Haltung einer anderen Person zu ›lesen‹. Das tun wir, indem wir wahrnehmen, ob jemand angespannt oder entspannt ist und wie er sich verhält. Auch Ton und Klangfarbe der Stimme spielen hierbei eine Rolle. All dies gehört zur nonverbalen Kommunikation, zum Austausch von zwischenmenschlichen Botschaften mit Hilfe von nichtsprachlichen Signalen und Zeichen. Ohne Worte. Auch wer nichts sagt, kommuniziert ständig, weil unsere Gefühle permanent eingeschaltet sind.

Gefühle sind die Sprache des Körpers. Über die Körpersprache senden wir – zumeist vollkommen unbewusst – fortwährend Nachrichten aus. Zur nonverbalen Kommunikation gehören Haltung, Gestik, Mimik, Intonation, Blickkontakt und Atmung. Es geht dabei nie um richtig oder falsch, sondern vor allem darum, uns bewusst zu machen, dass wir immer etwas ausstrahlen, auch wenn wir nichts sagen – sei es beabsichtigt oder nicht.

Emotionen regen zum Handeln an. In der Evolutionsgeschichte sollte dieses Handeln Gefahren vermeiden, ihnen entkommen und eine Überlebenschance sichern. Wenn unser Körper im Überlebensmodus feststeckt und alle Energie auf den Kampf gegen unbewusste Feinde gerichtet ist, bleibt jedoch kein Raum mehr für Kreativität. Emotionen übernehmen dann die Regie und bestimmen unser Handeln, weil der Körper in derselben Wirklichkeit lebt wie das tatsächliche, belastende Erlebnis von früher.

Emotionen berühren das physische Herz, das über einen wichtigen Nerv reagiert: den Nervus vagus. Diese ›Leitbahn‹ ist direkt mit der Magengegend, dem Darm, dem Herzen und der Lunge verbunden. Er spielt eine wichtige Rolle bei Steuerung und Ausdruck von Emotionen. Die folgenden Sätze illustrieren den Zusammenhang von Körper und Emotionen: »Das schlägt mir auf den Magen«, »Es zerreißt mir das Herz« oder »Ich ersticke an meinen Gefühlen«.

Emotionen werden über das Herz im Körper gefühlt und anschließend im Kopf registriert. Solange wir die Emotionen im Kopf wahrnehmen können, ist alles in Ordnung, denn dann haben wir sie noch im Griff. Wenn allerdings das Herz nach einem Verlust gebrochen ist, wenn uns ein überwältigendes Ereignis einen Schlag in die Magengrube versetzt oder der Schreck uns bei einem ernsten Zwischenfall den Atem nimmt, wollen wir unbedingt alles unternehmen, um diese unangenehmen Gefühle zu beenden. Das ist nur logisch.

Nach dem Tod meines zweiten Mannes klammerte ich mich an eine neue Beziehung. Etwas später verstärkte ich mein Nicht-Fühlen-Können durch Alkohol und Drogen. In meiner Jugend hatte ich diesen Kreislauf schon einmal durchlaufen. Heute sehe ich dies als einen Versuch, dem unerträglichen körperlichen Schmerz der Emotionen zu widerstehen. Weil der Schmerz der Ereignisse nicht nur ein Trauma für Herz und Seele darstellt, sondern sich auch als Schmerz im Körper äußert, versuchen wir, den Körper zu betäuben.

Die Reaktionen Kampf, Flucht oder Erstarren stehen mit dem autonomen Nervensystem in Zusammenhang. Dieses besteht aus zwei Teilen, die eng zusammenarbeiten: das sympathische und das parasympathische Nervensystem.

Das sympathische Nervensystem reagiert auf Emotionen und ermöglicht schnelles Handeln, indem es Blut zu den Muskeln leitet, nachdem die Nebennieren das Signal erhalten haben, Adrenalin auszuschütten. Adrenalin erhöht den Blutdruck und den Puls, damit wir kämpfen oder fliehen können. Das parasympathische Nervensystem regt Funktionen an, die auf Selbsterhaltung gerichtet sind, zum Beispiel Wundheilung und Verdauung. Dieses System wirkt eigentlich ›gegen Emotionen‹. Man könnte das eine System das Gaspedal und das andere die Bremse nennen. Der Magen kann sich buchstäblich aufregen und daraufhin verschwindet der Appetit.

Das parasympathische Nervensystem sorgt dafür, dass wir den Neurotransmitter Acetylcholin herstellen. Dieser verlangsamt den Puls und bewirkt, dass die Muskeln sich entspannen. Bei jeder tiefen Einatmung aktivieren wir das sympathische Nervensystem, langsames Ausatmen wiederum stimuliert das parasympathische Nervensystem. Über die Atmung können wir unseren Puls verlangsamen oder beschleunigen – und die Stressreaktion beenden.


Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung des amerikanischen HeartMath Institute von 1991, die den Zusammenhang zwischen Emotionen und Herzratenvariabilität (HRV) bestätigt. Sie haben mithilfe von Messungen die HRV ‒ die Zeitintervalle zwischen Herzschlägen ‒ untersucht. Was kam dabei heraus? Unser Herzrhythmus verändert sich ständig und die HRV zeigt, wie hochempfindlich das Herz auf emotionale Veränderungen reagiert. Die HRV zeigt auch, ob ein kohärenter Herzrhythmus vorhanden ist, und liefert wichtige Informationen über unsere Resilienz und Vitalität.

Die Informationen zu der HRV lassen sich auf zwei Arten nutzen: zur Diagnostik und als Feedback. Die Diagnostik dient vor allem der wissenschaftlichen Forschung, das Feedback dagegen der jeweiligen Person selbst.


Durch ruhiges Ein- und Ausatmen und beim Fühlen einer positiven Emotion zeigt die HRV ein harmonisches Muster. Das liegt daran, dass hier Atmung und Puls aufeinander abgestimmt sind. Atem, Emotionen und Gefühle wirken sich also auf den Herzrhythmus aus. Das Ausmaß, in dem das stattfindet, ist bei jedem Menschen anders. Dieses Feedback bringt uns schnell Erkenntnisse über unsere eigene Physiologie. Yogis in Indien haben gezeigt, dass sie beide Nervensysteme allein durch ihre Atmung beeinflussen können. Viele Meditationen beginnen damit, ein langsames Ausatmen zu üben. Darauf komme ich später, im Bereich über den intelligenten Körper, zurück.

Emotionen erzeugen einen Erregungszustand und damit eine erhöhte Wahrnehmung im Körper und lassen uns dadurch fühlen, dass wir leben. Es gibt zwei Arten von Emotionen: Die erste kostet uns Energie, die zweite schenkt uns Energie. Zur ersten Sorte von Emotionen gehören Wut, Angst, Ohnmacht, Scham, Schuld, Trauer, Hass, Misstrauen und Eifersucht. Sie alle sorgen für Erregung in unserem Körper. Zur zweiten Gruppe gehören Emotionen wie Dankbarkeit, Liebe, Mitgefühl, Empathie und Vergebung. Sie schenken uns körperliche Ruhe.

Es ist bekannt, dass Menschen weniger schnell von Schmerz und Trauma überwältigt werden, wenn sie gut in soziale Strukturen eingebettet sind und sich in ihren Beziehungen zu anderen stark verbunden, sicher und geliebt fühlen. Als traumatisierter Mensch war man in der Vergangenheit leider meist jemandem oder etwas ausgesetzt, der oder das schweren Schaden verursacht hat. Wir sind dann derart verletzt, dass wir nicht nur damals unmöglich entkommen konnten, sondern auch später nicht.

Wenn wir in einer überwältigenden, traumatischen Erfahrung gefangen wurden, in der wir nicht sofort etwas unternehmen konnten, wurde der natürliche Kampf- oder Fluchtreflex des emotionalen Gehirns behindert. Dass wir nicht den Weg aus diesem Trauma wählen, sondern stattdessen aufgeben, ist eine natürliche Überlebensreaktion. Dies kann zu Dissoziation führen und sorgt dafür, dass diese Erfahrungen abgespalten und im Lauf des Lebens zerkleinert werden. Bei frühkindlicher Traumatisierung äußert sich das häufig in Form von Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensschwierigkeiten in späteren Jahren. Wir bleiben oft unbewusst hängen, zum Beispiel in der Angst, die uns vertraut ist, und daher gehen wir in höherem Alter keine neuen Risiken mehr ein.

Ob jung oder alt, wir alle schütten bei Verletzungen mehr Stresshormone aus als üblich. Später kann dies zu extremer Unrast oder auch zum Zusammenbruch führen. Wir erzeugen diese Stresshormone nämlich weiter, auch wenn die Gefahr längst vorüber ist.

Normalerweise wechselt unser Stresshormonsystem nach einer superschnellen Reaktion auf eine Gefahr genauso geschwind zurück in seinen Normalzustand, sobald die stressbehaftete Situation wieder vorbei ist. Bei Menschen mit einer chronischen Stressstörung aufgrund eines traumatischen Erlebnisses wurde jedoch festgestellt, dass das Stresshormonsystem sein Gleichgewicht nicht mehr findet. Auf lange Sicht gerät somit der ganze Körper aus der Balance. Wir leben nicht mehr, sondern überleben nur noch, da die emotionalen Reaktionen immer wieder getriggert und durchlebt werden.

In den letzten Jahren zeigte die neuropsychiatrische Forschung immer klarer, dass chronischer Stress eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Depressionen und möglicherweise sogar von Demenz spielt. Der Neurobiologe Paul Lucassen schreibt über die Auswirkungen auf das Gehirn: »Bei Depressionen, Demenz und auch bei Angststörungen und Schizophrenie beobachten wir Wissenschaftler eine Schrumpfung der präfrontalen Hirnrinde und des Hippocampus und dem gegenüber ein Wachstum der Amygdala. Außerdem zeigt sich eine Funktionsstörung dieser Gehirnbereiche.«3


Vor allem drei Gehirnbereiche leiden stark unter Stress. Zunächst ist da der präfrontale Cortex, der Bereich hinter der Stirn, mit dem wir Regie über unser Leben führen. Er ist sozusagen der Regisseur unseres Gehirns. Unter chronischem Stress treten in diesem Bereich bei vielen ausführenden Funktionen Lücken auf, die uns behindern, wenn wir planen, Prioritäten setzen, Angst und Panik im Zaum halten und angemessen auf unerwartete Zwischenfälle reagieren wollen.

Lucassen ist der Ansicht, dass sich unter chronischem Stress in weiten Teilen des »präfrontalen Cortex die Ausläufer von Gehirnzellen, die sogenannten Dendriten, zurückziehen. Auch die Verzweigungen dieser Ausläufer werden kürzer oder verschwinden, und dadurch verlieren die Gehirnzellen den Kontakt miteinander.« Infolgedessen funktioniert dieser Gehirnbereich nicht mehr richtig, was unter anderem zu chaotischeren Plänen, nicht regulierten Emotionen und Konzentrationsmangel führt.

Ein zweiter Gehirnbereich, der Hippocampus, schrumpft bei langanhaltendem Stress. Er ist der Mittelpunkt unseres Gedächtnisses und reguliert unsere Stimmung und unsere Reaktion auf Stress. Versuchstiere und Menschen, die unter chronischem Schlafmangel oder Depressionen leiden, haben einen kleineren Hippocampus. Ein schwaches Gedächtnis ist die Folge, aber auch mangelhafte Erholung unseres Körpers nach einem stressigen Zwischenfall. Dieser Teil des Gehirns regelt nämlich auch das Absenken des in die Höhe geschossenen Stresslevels. Funktioniert er nicht richtig, entsteht ein alles untergrabender Teufelskreis.

Zum Schluss folgt als drittes die Amygdala, ein etwa mandelgroßer Gehirnbereich, mit dem wir Gefahr signalisieren und unser Verhalten entsprechend anpassen – meist in Form von Angst oder Aggression. Bei chronischem Stress reagiert die Amygdala genau umgekehrt im Vergleich zum Hippocampus: Es bilden sich mehr Ausläufer und Verzweigungen an den Gehirnzellen. Menschen und Tiere, bei denen dies geschieht, reagieren ängstlicher oder aggressiver. Bei Menschen mit einer Angststörung oder einer schweren Depression ist die Amygdala oft hyperaktiv und nimmt an Umfang zu.

Insbesondere einschneidende Erlebnisse in der Jugend – zum Beispiel der Verlust eines Elternteils, schwere Vernachlässigung und Misshandlung oder Missbrauch –, machen Menschen anfällig für Depressionen und Angststörungen. Das Durcheinander im Stresssystem ist in diesen Fällen schwerwiegend und hartnäckig. Etwas Spannung gehört zum Leben, aber chronischer Stress kann das Gehirn stark in Unordnung versetzen und es gelingt dann nicht mehr, die Stresshormone auf ein Ruhelevel zu bringen.

Wenn immer neue unangenehme Erlebnisse in unser Leben dringen, bleibt zu wenig Zeit, damit die Stresshormone wieder auf ein normales Level sinken können. Hier handelt es sich um giftigen, unkontrollierbaren Stress, bei dem das Stresssystem entgleist.


Starke Angst und großer Stress können sich so anfühlen, als ob wir unseren Körper kurz verlassen. Das stört wiederum die Funktion des Gedächtnisses. Wer sich in seinem Körper nicht wohlfühlt, erinnert sich schlecht und fühlt anders.

Wie findet man heraus, ob jemand nicht in seinem Körper zu Hause ist? Wie bereits beschrieben, kann es sein, dass Menschen sich bei einschneidenden emotionalen Erlebnissen der Wirklichkeit entziehen. Sie sind dann einfach mal weg und erinnern sich später nicht mehr an das, was geschehen ist. Der schwedische Gehirnforscher Henrik Ehrsson hat mit einem Versuch an Studenten gezeigt, dass Erinnerungen schlechter gespeichert werden, wenn sich jemand stärker von sich selbst losgelöst fühlt. Auf Gehirnscans war zu sehen, dass die Aktivität des Hippocampus – dort werden Erinnerungen an persönliche Ereignisse gespeichert – deutlich verändert war, wenn die Studenten Erinnerungen an Situationen hervorholten, die sie ›außerhalb ihres Körpers‹ erlebt hatten.

Mit einer speziellen 3D-Brille verschob Ehrsson das Ich-Gefühl seiner Testperson (129 Studenten) an einen Ort außerhalb ihres Körpers. Ein Professor unterhielt sich mit den Studenten, während sie sich entweder außerhalb ihres Körpers fühlten oder ganz normal in ihm anwesend waren. Diese Person stellte Fragen zu drei Themenbereichen, zu denen die Studenten vorher Texte zu lesen bekommen hatten: Poesie, Gehirnforschung und Mechanik. Zwischendurch wurde über Versagen oder über die Bedeutung von Wissen gesprochen. Auf diese Art hinterließ das Ereignis besonders viel Eindruck bei den Studenten.

Der Professor war ein Schauspieler, aber das wussten die Teilnehmer nicht. Der Schauspieler wiederum wusste nicht, ob die Testpersonen in ihrem Körper waren oder nicht. Eine Woche später mussten die Testpersonen so detailliert wie möglich erzählen, woran sie sich erinnern konnten. Wie der Raum aussah, was dort geschah, was der Professor sagte, wie sie sich fühlten.

An die Erlebnisse, die sie außerhalb ihres Körpers erfahren hatten, erinnerten sich die Studenten signifikant weniger (42 %). Das lag nicht daran, dass sie abgelenkt waren.

Unter Stress werden zwei Hormone ausgeschüttet, die sehr unterschiedlich auf das Gehirn Einfluss nehmen: Cortisol und Adrenalin. Der Hippocampus hat Rezeptoren, die auf Cortisol reagieren. Dies erschwert die Aufnahme und Integration einer Erinnerung. Wenn die Stressreaktion lange genug anhält, kann Cortisol sogar toxisch auf das Gehirn wirken und die Gedächtnisfunktion schwer schädigen. Adrenalin wiederum hat einen ähnlichen Einfluss auf die Funktion der Amygdala, sodass bestimmte Erinnerungen sogar verstärkt werden.

Die Kombination von Emotionen bei einem einschneidenden, überwältigenden Erlebnis sorgt dafür, dass wir uns ganz anders fühlen als zu ›normalen‹ Zeiten, da das innere chemische Gleichgewicht grob gestört wird. Hält diese Störung zu lange an, werden wir mitunter körperlich krank. Wann dieser Punkt erreicht ist, lässt sich nicht vorhersagen. Das Gehirn hat riesige Speicherkapazitäten und merkt sich bestimmte einfache Handlungen, Fertigkeiten, Haltungen, emotionale Reaktionen, unbewusste Reflexe und Verhaltensweisen. Alles wird abgespeichert: alle Arten von gelernter Information sowohl aus dem Denken (Neocortex) als auch aus dem Erleben (limbisches/emotionales Gehirn).

Gehirnforscher nennen dies das nicht-deklarative Gedächtnis. Wir haben etwas schon so oft getan, dass es zur zweiten Natur geworden ist. Wir brauchen nicht mehr darüber nachdenken, weil es vollständig mit uns verwoben ist.

Während der Dissoziation sind wir im wörtlichen und übertragenen Sinn für kurze Zeit an einem anderen Ort oder eine andere Person, ähnlich wie im Film K-PAX (2001) des Regisseurs Ian Softley mit Hauptdarsteller Kevin Spacey. In diesem Film behauptet der Protagonist, von einem anderen Planeten zu stammen, wo man äußerst liebevoll, respektvoll und gleichberechtigt miteinander umgeht. Als er in New York am Grand-Central-Bahnhof entdeckt wird, ist es allen ein Rätsel, was mit ihm los ist. Er erzählt, er heiße Prot und stamme vom Planeten K-Pax. Daraufhin wird er in eine psychiatrische Einrichtung gebracht, wo ein interessierter Psychiater die Frage zu untersuchen beginnt, ob er wirklich von einem anderen Planeten oder psychotisch ist. Während Prots Klinikaufenthalts geschehen seltsame Dinge mit den Menschen auf der Station und er inspiriert alle um ihn herum, das Beste aus sich zu machen.

Erst am Ende des Films erkennen die Zuschauer, dass der Protagonist aufgrund von Trauer innerlich völlig zerbrochen ist. Eines Tages war er von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte seine Frau und seine beiden Töchter ermordet in ihrem Haus vorgefunden. Daraufhin verließ er diese Wirklichkeit.

Im Film ist gut zu sehen, wie Dissoziation funktioniert. Der Mann irrt umher und ist geistig und emotional nicht mehr anwesend. Er erzählt allen, er sei ein Wesen von einem anderen Planeten. Der Film zeigt außerdem, dass der Körper noch lange weiter normal atmet, verdaut und Zellen erneuert und einfach so tut, als ob nichts wäre. Und ebenso, dass die Umwelt oft vor einem Rätsel steht, wenn es um die Frage geht, was tatsächlich vorgeht.

Bei der Erstarrungsreaktion geschieht etwas Besonderes und zugleich für unser Bewusstsein sehr Komplexes und Verwirrendes. Der Körper reagiert dabei auf zwei Systeme, die gleichzeitig aktiviert werden. Wir bremsen sozusagen mit dem einen Fuß und geben mit dem anderen Gas. Wenn wir das im Auto tun, wissen wir, was die Folge ist: Der Motor brennt durch.

In der Erstarrungsreaktion werden das sympathische und das parasympathische Nervensystem gleichzeitig aktiviert. Das sympathische Nervensystem bereitet den Körper auf die Flucht vor, das parasympathische Nervensystem sorgt dafür, dass sich der Herzschlag verlangsamt, der Atem stockt, die Muskeln erschlaffen und der Stoffwechsel herunterfährt. Anschließend werden Endorphine freigesetzt, sodass wir keinen Schmerz spüren und uns sogar ganz ausschalten können. Wir sind damit aus dem Jetzt herausgetreten, die Dissoziation ist vollständig. In diesem Augenblick haben wir unsere Fähigkeit, ein Problem zu lösen, völlig verloren. Ein Kurzschluss ist aufgetreten.

Die beiden entgegengesetzten Bewegungen in unserem Inneren sorgen dafür, dass wenn wir aus der Erstarrung zurückkehren und das Bewusstsein wiedererlangen, langsam erkennen, was geschehen ist. Wir haben allerdings inzwischen einen großen Teil der Erinnerungen verloren. Wir wissen, dass etwas Schwerwiegendes geschehen ist, kommen aber nicht darauf, was genau. Verwirrung ist die Folge. Die Erstarrungsreaktion kommt oft bei Menschen vor, die schon in jungen Jahren traumatisiert wurden und in der Kindheit eine chaotische Bindung erlebt haben.


Der Adrenalinschub, den wir bekommen haben, kann allerdings auch umgekehrt wirken. Wir können danach süchtig werden, ohne uns dessen bewusst zu sein. Durch diesen Kick fühlen wir uns lebendig. Unbewusst beginnen wir, die Probleme in unserem Leben – nachteilige Umstände, negative Beziehungen und traumatische Erlebnisse, Abhängigkeit von Drogen, Alkohol, Medikamenten, Spielen, Zigaretten und Sex, ungesunde Ernährung, Schulden, Arbeitslosigkeit oder unangenehme Arbeit –, mit dem Adrenalinschub zu assoziieren. Nur er gibt uns schließlich das Gefühl, dass wir leben. Mit der Zeit gewöhnen wir uns so stark an die Stresssubstanzen und die negativen Emotionen, die sie hervorrufen, dass diese Bestandteil unseres Alltags werden. Fertig ist der Teufelskreis.

Der große Nachteil dabei ist, dass diese Substanzen stark süchtig machen und uns so in unseren nachteiligen Umständen festhalten. Das nennt man Übererregtheit. Immer wieder taucht ein neuer negativer, vernachlässigender Partner auf und wir schaffen es nicht, die Abhängigkeit von Drogen, Alkohol, Zigaretten, Glücksspiel oder Sex zu durchbrechen. Die Schwierigkeiten bleiben und die Geschichte scheint sich ständig zu wiederholen. Hier müssen wir wissen, dass unser Körper auf eine solche Zukunft konditioniert ist, basierend auf den Erfahrungen aus der Vergangenheit und den dazugehörenden Stress-Substanzen. Unser Körper lebt jedes Mal aufs Neue in derselben Realität.

Wenn wir von Stress-Substanzen gesteuert werden, haben uns unsere selbst geschaffenen Umstände fest im Griff und erhalten unsere volle Aufmerksamkeit. Wir werden egozentrisch, entwickeln Selbstmitleid oder werden genusssüchtig. Aus manchen Opfern werden dabei Täter. Wenn wir nach Emotionen süchtig sind, die uns eigentlich nur helfen zu überleben, ist der Entzug schwierig. Hier liegt in vielen Fällen die Ursache von Selbstvernichtung oder der Vernichtung anderer. Eine Sucht kann man nicht einfach ablegen.


Negative Emotionen Positive Emotionen

Emotionen setzen bestimmte Stoffe frei. Candace Pert zeigt in ihrem Buch Moleküle der Gefühle4, wie unsere interne Chemie in Form von Neuropeptiden und ihren Rezeptoren die biologische Grundlage für unser Bewusstsein bildet und wie sie sich als Emotionen, Überzeugungen und Erwartungen manifestiert – und so unser Erleben und unsere Reaktion auf die Welt stark beeinflusst. Der Nachweis von Peptiden im Körper führte zu einem grundlegenden Richtungswechsel in der modernen Medizin. Bis zu dieser Entdeckung war man der Ansicht, dass diese Stoffe nur im Gehirn vorkämen und nannte sie daher ›Neuropeptide‹.

Perts Forschung zeigt, wie wichtig das Zusammenspiel von Immunologie, Endokrinologie, Neurophysiologie, Psychologie und Biologie ist. Sie entwickelte eine umfassende Theorie dazu, wie unsere Gedanken und Emotionen in der Lage sind, sowohl Krankheit als auch Gesundheit in unserem Körper zu erschaffen.

Perts Entdeckung, dass an allen Systemen im Körper Neuropeptide und Rezeptoren beteiligt sind, wurde zur Grundlage für einen neuen Zweig der Wissenschaft, der Psychoneuroimmunologie (PNI). Ausgangspunkt der PNI ist, dass alle unsere Organe und Organsysteme auf biochemischer Ebene mithilfe von Molekülen, die Informationen übertragen – den Neuropeptiden –, miteinander kommunizieren. Sie stehen also ständig in Kontakt. Das spielt eine bedeutende Rolle bei der Entstehung und Erhaltung von Krankheit oder Gesundheit. Pert trat für eine Veränderung der etablierten Theorien zu psychosomatischen Krankheiten ein – du bist ein Herz-und-Gehirn-Phänomen!

Wissenschaft und Medizin waren jahrhundertelang davon überzeugt, dass Gedanken und Emotionen ihren Ursprung ausschließlich im Gehirn haben und keine Auswirkung auf den Körper und seine Gesundheit haben. Pert zeigt, dass Emotionen und Gedanken unter dem Einfluss der Neuropeptide – den ›Gefühlsmolekülen‹ – aus dem Körper aufsteigen und durch den frontalen Cortex im Gehirn in Geschichten und Ideen umgesetzt werden, die zu unseren Erwartungen, Überzeugungen und anderen Filtern passen.

Ihre Theorie untermauert verschiedene westliche ›alternative‹ Therapiemethoden in ihrer Sicht auf Krankheit, Gesundheit und Heilung. Daneben weist sie überraschend viele Übereinstimmungen mit der östlichen Betrachtungsweise von Gesundheit und Krankheit auf, die besagt, dass der wichtigste Grund für Krankheiten im falschen Umgang mit Emotionen liegt. Im Jahrtausende alten Ayurveda zum Beispiel – einer traditionellen Heilmethode aus Indien – steht die in beide Richtungen funktionierende Verbindung zwischen Körper und Geist im Mittelpunkt.

Um 1980 kam ich über den niederländischen Psychiater Jan Foudraine (1929-2016) erstmals mit diesen anderen Erkenntnissen in Kontakt. Jan Foudraine war nicht nur Psychiater, sondern auch Psychotherapeut und Publizist und zudem unter dem Namen Swami Deva Amrito bekannt. Er gab an unserer Akademie eine Lesung aus seinem soeben erschienenen Buch Wer ist aus Holz?5 Seine Vision berührte mich.

Foudraine war ein Schüler des indischen Philosophen Sri Mohendra Rajneesh (später Osho genannt) und betrachtete die Psychiatrie immer stärker aus einer mystischen, philosophischen Perspektive. Er trat schon damals für mehr Fühlen und Sprechen und weniger Medikamente ein, für stärkeres Hören auf den Körper und auf das Zuhören der wahren Geschichten. Foudraine brachte mich zum ersten Mal mit körperorientierten Therapien und Meditation in Kontakt.

Angst, Schmerz, Schuld und Wut führen zu spezifischen, erkennbaren Reaktionen und erschaffen verschiedene Seinszustände. Idealerweise hat eine emotionale Reaktion einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Nach einem schmerzhaften oder überwältigenden Erlebnis folgt ein Zeitraum, in dem diese Reaktion anhält, die so genannte Refraktärzeit. In dieser Refraktärzeit beginnt der Körper, chemisch zu reagieren.

Jede Emotion hat eine spezifische chemische Zusammensetzung im Körper. Emotionen können uns die Vorstellung geben, dass das, was wir fühlen, wahr ist. Ich war mir wirklich sicher, dass ein Skorpion in meinem Ärmel steckte (Kapitel 2, Seite 63) und dass ich das Tier gespürt hatte.

Bleibt solch eine emotionale Reaktion über kurze Zeit erhalten, nennt man das eine Stimmung. Die Stimmung kann schwanken zwischen Wut und Trauer, zwischen Hass und Eifersucht, zwischen Angst und Panik, oder zwischen Fröhlichkeit und Überschwang. Dauert eine Emotion allerdings lange, dann wird sie meist zum Teil unsere Persönlichkeit. Dann sagen wir zueinander: »Diese Person hat einen ausgesprochen wütenden oder ängstlichen Charakter.«


Solange etwas nicht verarbeitet ist, bleiben die Stresshormone, die der Körper ausschüttet, um sein Leben zu retten, infolge von anhaltenden emotionalen Reaktionen und Verteidigungsmechanismen im Kreislauf. Der Stirnlappen – die Kamera, die Ausschau hält –, schaltet auf ›schwarz‹. Bei schweren Traumata spalten sich Erfahrungen ab, sodass Emotionen, Gedanken, körperliche Wahrnehmungen, Bilder, Gerüche und Geräusche ein Eigenleben führen.

Wenn ich als Kind in ein Krankenhaus kam, nahm ich sofort einen bestimmten Geruch wahr und fühlte eine Empfindung, die ich nicht gleich einordnen konnte. Mir wurde auf der Stelle schlecht und ich bekam beklemmende Angst. Das Atmen fiel mir schwer und mein Bauch tat weh. Als ich acht Jahre alt war, wurde ich mit diesen Magenschmerzen sogar akut ins Krankenhaus aufgenommen, nachdem ich mit meinem Vater einen kranken Onkel besucht hatte.

Zehn Jahre später machte ich als Pflegeschülerin ein Praktikum auf einer Kinderstation. Während dieser Zeit wurde ich sehr traurig und ertrug es überhaupt nicht, die kranken Kinder stechen zu müssen oder sie auch nur zu sehen. Ich spürte, dass es einen Zusammenhang mit meinem eigenen, langwierigen Krankenhausaufenthalt als Baby gab. Viele Jahre später entdeckte ich, wie solch schmerzhafte und unangenehme Erfahrungen abgespaltet im Unterbewusstsein feststecken.

Kinder mit Verhaltensproblemen und Wutausbrüchen bekommen oft schon in jungen Jahren viel Aufmerksamkeit. Es gibt allerdings auch Kinder, die wie betäubt sind und die man kaum wahrnimmt. Man merkt bei diesen ›abwesenden‹ Kindern, dass die Trennung zwischen dem Gefühl und dem Selbst vollkommen verschwunden ist. So ein Kind war ich. Ich schaltete ab. Kam zu nichts. Viele Behandlungsmethoden zielen leider darauf, jemanden weniger empfindsam für seine Vergangenheit zu machen. Aber was ist, wenn man sich sowieso an nichts erinnern kann?

Sinnliche Erinnerungen können sich uns bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit im Hier und Jetzt aufdrängen. Wir erleben sie dann so, als ob sie erneut stattfinden würden. Es sind Rückblenden in die Vergangenheit und damit eine Wiederholung des damaligen Erlebens. Die Gehirnstrukturen, die uns damals im Stich ließen, werden auch im Hier und Jetzt noch angesprochen, und wir haben keine Ahnung, warum wir auf etwas völlig ›Normales‹ wie einen Besuch im Krankenhaus so reagieren. Ähnliches erlebe ich seit dem Selbstmord meines Mannes, wenn ich einen Film sehe, in dem jemand von einem Gebäude springt. Andere Menschen sagen und denken: »Es ist nur ein Film.« Für Traumatisierte fühlt es sich dagegen echt an.

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Hacim:
365 s. 43 illüstrasyon
ISBN:
9783964420459
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