Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 22

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d) Verdrängung der Sonderregelung für Zeitgesetze in § 2 Abs. 4 StGB durch Art. 49 Abs. 1 S. 3 GRCh?

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Die Frage, unter welchen Voraussetzungen § 2 Abs. 4 StGB von Art. 49 Abs. 1 S. 3 GRCh verdrängt wird, ist nicht abschließend geklärt. Die hier bestehende Kontroverse wurde im Zusammenhang mit der Einschränkung von Grundfreiheiten Angehöriger von Mitgliedstaaten, die neu der EU beigetreten waren (Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen), und dem späteren Wegfall dieser Einschränkungen wurde ebenso diskutiert[270] wie die Rechtsprechung des BGH[271] zur Berücksichtigung (abgeschaffter) Antidumpingzölle.[272] Der EuGH hat bislang zu dieser Frage nicht Stellung genommen, obwohl im Fall Awoyemi in Folge der noch nicht abgelaufenen Umsetzungsfrist für die Richtlinie die Nichtanwendung des nationalen Strafrechts zeitlich absehbar geworden war und damit die Gefahr bestand, dass die Strafnorm ihre verhaltenssteuernde Wirkung verlieren könnte. Der EuGH legte dar, dass das Gemeinschaftsrecht nicht verbiete, dass nationale Gerichte für die Zwecke der Anwendung des nationalen Rechts nach einem Grundsatz ihres Strafrechts die günstigeren Bestimmungen des EG-Rechts berücksichtigen, auch wenn das Gemeinschaftsrecht keine dahin gehende Verpflichtung enthalte.[273]

III. Klassische Fragestellungen

1. Rückwirkungsverbot

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Das Rückwirkungsverbot wirft eine Reihe von Grundsatzfragen auf, wie die großen Debatten, die in jüngerer Zeit um § 2 StGB geführt worden sind[274], zeigen: die rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfrist für NS-Morde,[275] die sogenannte Parteispendenaffäre,[276] die strafrechtliche Beurteilung „staatsverstärkter“ Kriminalität in der früheren DDR[277] und das Strafrecht der Außenwirtschaft und der Finanzsanktionen,[278] das zunehmend an praktischer Bedeutung gewinnt. Hinzu kommen Entscheidungen des EuGH zum zeitlichen Geltungsbereich von Strafgesetzen, in denen sich das Gericht mit dem Verhältnis des Vorrangs des Unionsrechts zum strafrechtlichen Milderungsgebot und zum Verbot der strafbegründenden bzw. –verschärfenden (unmittelbaren) Wirkung einer Richtlinie auseinander setzen musste.[279]

a) Tötungen an der innerdeutschen Grenze

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Eine zentrale Frage des Rückwirkungsverbots ist die nach seiner Reichweite bzw. nach seiner Einschränkbarkeit. Hiermit haben sich das Bundesverfassungsgericht[280] und der EGMR[281] insbesondere in ihren Entscheidungen zu den Tötungen an der innerdeutschen Grenze (sogenannte Mauerschützenfälle) auseinandergesetzt. Hierbei ging es um die Frage, ob Personen, die Todesschüsse an der ehemaligen innerdeutschen Grenze zu verantworten haben, nach der Wiedervereinigung wegen Totschlags oder Mordes verurteilt werden konnten. Der Einigungsvertrag schreibt für diese Konstellation die Anwendung des Strafrechts der DDR vor (Art. 8 EV und Art. 315 EGStGB[282]). § 27 des Grenzgesetzes der DDR hatte eine Befugnis zum Gebrauch der Schusswaffe statuiert, „um die unmittelbar bevorstehende Ausführung … einer Straftat (d.h. des “ungesetzlichen Grenzübertritts“) zu verhindern“, „wenn kein anderes Mittel Erfolg verspricht“, wobei das Leben von Menschen „möglichst zu schonen“ ist. Hierbei kam es entscheidend darauf an, ob diese Vorschrift im Lichte des DDR-Selbstverständnisses oder nach bundesdeutschem bzw. menschlich westlich-menschenrechtlichen Verständnis auszulegen ist. Der EGMR hat sich der Sache nach für die zweite Möglichkeit entschieden und deshalb die Taten wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als nicht gerechtfertigt angesehen.[283] Damit wurde aber die Orientierungsfunktion des Rückwirkungsverbots unterlaufen.[284]

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Das Bundesverfassungsgericht hat die Strafbarkeit der Verantwortlichen aufgrund des Totschlagtatbestandes des DDR-Strafgesetzbuchs durch den BGH[285] bestätigt und damit begründet, dass der Rechtfertigungsgrund des DDR-Rechts wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unbeachtlich sei. Befürworter einer Unanwendbarkeit des DDR-Rechtfertigungsgrundes wenden dabei die so genannte Radbruch'sche Formel[286] an,[287] die einen Kernbereich des Unverfügbaren enthält, allerdings nicht ermöglicht, eine schärfere Linie zu ziehen.[288] Entsprechend will das Bundesverfassungsgericht die Formel auf extreme Ausnahmefälle – „extremes Unrecht“ – beschränken[289] und die Formel mithilfe völkerrechtlicher Normen präzisieren und positivieren.[290] Die DDR war zwar an den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gebunden, der in Art. 6 die willkürliche Tötung von Menschen verbietet und in Art. 12 Einschränkungen der Ausreisefreiheit zulässt, jedoch war der Pakt nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt und deshalb zur Konkretisierung der Radbruch'schen Formel nicht geeignet.[291] Wohl aber kann in den Fällen eines völkerrechtlichen Verbrechens auf Art. 7 Abs. 2 EMRK zurückgegriffen werden, der eine rückwirkende Bestrafung zulässt, wenn die Tat zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar waren (Rn. 87).

b) Geltung des Rückwirkungsverbots für Maßregeln der Besserung und Sicherung?

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Im Strafrecht wird grundsätzlich zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung differenziert. Nur erstere sollen dem Rückwirkungsverbot unterliegen, während für Maßregeln das jeweils geltende Gesetz gelten soll (§ 2 Abs. 6 StGB). Diese Zweispurigkeit des Strafrechts wurde zunehmend in Frage gestellt[292], nachdem die Entwicklungen des Maßregelrechts in den letzten Jahrzehnten zur Entstehung eines einheitlichen, stark aufeinander bezogenen Sanktionssystems geführt haben, das die von der Rechtsprechung betonte scharfe Trennung von Strafen und Maßregeln[293] nicht mehr getragen hat[294] und eine unterschiedliche Behandlung von Strafen und Maßregeln nicht mehr rechtfertigen konnte.[295] Gleichwohl geht die herrschende Meinung nach wie vor davon aus, dass es sich bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht um Strafen handelt, die ihren Grund in der konkreten, schuldhaften Fehlentscheidung einer freien, selbstverantwortlichen Person haben, sondern um Maßnahmen, die – losgelöst von dem Erfordernis eines für den Täter zuvor unmittelbar einsichtigen Rechtssatzes – an der Gefährlichkeit anknüpfen.[296]

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Auch das BVerfG hat sich in seinen Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EGMR für die Anerkennung und Beibehaltung der Zweispurigkeit der Strafrechtsfolgen ausgesprochen und eine klare und trennscharfe Abgrenzung der Strafe von der Maßregel vorgenommen, mit der Folge, dass es die Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG auf Maßregeln abgelehnt hat.[297] Demgegenüber hat der EGMR im Jahre 2009 und in Folgeentscheidungen die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK qualifiziert[298], und zwar auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung, bei der der weitgehend ähnliche Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung eine zentrale Rolle spielte.[299]

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Im Jahre 2011 hat das BVerfG[300], als es sich erneut mit der Sicherungsverwahrung und ihrer Einordnung als Strafe befassen musste, sich weder für eine Korrektur seiner Entscheidung aus dem Jahre 2004 entschieden, noch gegen die Entscheidung des EGMR: Es hielt am zweispurigen System fest und verneinte erneut den Strafcharakter der Sicherungsverwahrung[301], monierte aber zugleich, dass sich die Sicherungsverwahrung im Hinblick auf ihren tatsächlichen Vollzug zu sehr einer Strafe angenähert habe. Es wird also nicht die Aufgabe der Zweispurigkeit, sondern deren konsequente Einhaltung bei der Vollstreckung der Sanktion gefordert. Die Sicherungsverwahrung wurde als besonders gravierende Sanktion bezeichnet, als „Sonderopfer“, das strengen Grenzen unterworfen werden müsse[302], weil die Sicherungsverwahrung nicht auf dem Beweis einer begangenen Straftat, sondern auf einer bloßen Prognose der Gefährlichkeit beruhe.[303] Hierbei sieht das BVerfG die Legitimation der Strafe zutreffend darin, dass eine Tat schuldhaft begangen wurde.[304] Strafe sei Reaktion auf schuldhaftes Verhalten, die dem Schuldausgleich dient; dies sei die zentrale Funktion der Strafe.[305] Ihre Berechtigung liege in der Schuld des Betroffenen.[306] Damit ist das BVerfG der These von der Verwischung der Zweispurigkeit durch Schaffung eines einheitlichen, stark aufeinander bezogenen Sanktionssystems entgegentreten und hat sich für eine klarere Einhaltung der Zweispurigkeit auch im praktischen Vollzug ausgesprochen.

2. Milderungsgebot und intertemporale Ahndungslücken

a) Anforderungen an eine Ahndungslücke

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Im Kontext gesetzlicher Neuregelungen treten immer wieder Fehler des Gesetzgebers auf, die zu einer Ahndungslücke führen. Als Beispiel kann die Strafbarkeit der Marktmanipulation durch das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz genannt werden, bei der es zu einer eintägigen temporalen „Ahndungslücke“ gekommen ist, weil der deutsche Gesetzgeber die bisherigen Strafnormen der Marktmanipulation durch eine sonstige Täuschungshandlung bereits zum 2. Juli 2016 aufgehoben und außer Kraft gesetzt hat.[307] Zwar hat der Gesetzgeber die neuen Strafvorschriften bereits zum 2. Juli 2016, also gleichsam „nahtlos“ in Kraft gesetzt. Diese verwiesen auf die Vorschriften der MAR (Market Abuse Regulation) als blankettausfüllende Verhaltensnormen, die jedoch erst ab dem 3. Juli 2016 in Geltung traten, also erst einen Tag bzw. 24 Stunden später als die Außerkraftsetzung der alten die Strafbarkeit begründenden Normenkette. Hierbei handelte es sich offenbar um ein kurioses Versehen, zu dem es im Rahmen des komplexen Gesetzgebungsprozesses gekommen war.[308]

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Der 5. Strafsenat des BGH verneinte eine Ahndungslücke, obwohl die in Bezug genommenen unionsrechtlichen Regelungen erst seit dem 3. Juli 2016 in den Mitgliedstaaten der EU als unmittelbar geltendes Recht anwendbar seien. Die Verweisungen in den Strafgesetzen auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften am 2. Juli 2016 seien nicht „ins Leere“ gegangen. Vielmehr führten die Bezugnahmen in den Strafnormen dazu, dass die EU-rechtlichen Regelungen bereits vor ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit durch den Bundesgesetzgeber im Inland für (mit)anwendbar erklärt worden seien. Es sei der Wille des deutschen Normgebers ersichtlich, unionsrechtliche Vorschriften ungeachtet ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit im nationalen Recht in eine Blankettnorm aufzunehmen. Es sei daher nicht zweifelhaft, dass der Gesetzgeber eine lückenlose Ahndung von Marktmanipulationen und Insiderhandel erreichen wollte.[309]

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Diese Entscheidung ist erkennbar von dem Willen getragen, eine Ahndungslücke für die Dauer des 2. Juli 2016 zu verneinen. Allerdings ist zweifelhaft, ob dem nationalen Gesetzgeber das Recht zusteht, eine unionsrechtlich noch nicht geltende Norm über eine strafrechtliche Verweisung in Geltung zu setzen[310] und dadurch das intertemporale Strafrecht zu unterlaufen: Eine Ahndungslücke führt zur Straffreiheit. Mit dem Beginn der Strafbarkeitslücke greift das Milderungsgebot des § 2 Abs. 3 StGB ein und schließt eine Strafbarkeit ab diesem Zeitpunkt aus.

b) Möglichkeiten zur Schließung einer intertemporalen Ahndungslücke durch den Gesetzgeber

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Fraglich ist allerdings, ob der Gesetzgeber im Falle einer Ahndungslücke die Möglichkeit hat, eine solche Ahndungslücke durch ein gesondertes Gesetz nachträglich zu schließen.[311]

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Das BVerfG ermöglicht es dem Gesetzgeber, im Falle einer kurzzeitigen Ahndungslücke, die durch ein Versäumnis des Gesetzgebers entstanden ist, das mildeste Gesetz für den Täter ausnahmsweise nicht für anwendbar erklärt hat.[312] Eine Nichtberücksichtigung einer zwischenzeitlichen Gesetzesaufhebung wird allerdings unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes problematisch, wenn die Straflosigkeit über eine längere Zeitspanne besteht[313] und nicht nur wenige Wochen andauert.[314] Unter Berufung auf die Entscheidung BVerfGE 81, 132, 137 hat das BVerfG[315] in Bezug auf das Fahrpersonalgesetz die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber eine zwischenzeitlich entstandene Ahndungslücke nachträglich schließen kann, ohne gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG zu verstoßen. Die zunächst bestehende Ahndungslücke sei durch eine spätere explizite gesetzliche Anordnung der Strafbarkeit geheilt worden. Dem stünde das Grundgesetz nicht entgegen, weil dem Meistbegünstigungsprinzip kein spezifisch verfassungsrechtlicher Schutz zukomme; es sei weder von Art. 103 Abs. 2 GG umfasst, noch liege eine von Art. 3 Abs. 1 GG untersagte Ungleichbehandlung vor. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Täters sei nicht entstanden, das allgemeine Willkürverbot sei nicht verletzt. Im konkreten Fall hatte der Gesetzgeber mit § 8 Abs. 3 FPersG eine Regelung getroffen, nach der das Milderungsgebot des § 4 Abs. 3 OWiG nicht zur Anwendung kommen sollte. Der Gesetzgeber hatte also explizit seinen Fehler korrigiert, indem er nachträglich das Milderungsgebot kraft spezialgesetzlicher Regelung angeordnet hat.[316]

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Beide Entscheidungen des BVerfG sind noch vor Inkrafttreten der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ im Jahr 2009 ergangen und berücksichtigten deshalb ausschließlich das nationale Milderungsgebot. Nunmehr ist die Grundrechtecharta als Primärrecht bei der Durchführung des Unionsrechts durch die nationalen Gerichte anwendbar und gibt den Grundrechtsschutz vor, soweit es um die Durchführung des Unionsrechts geht.[317] Art. 49 Abs. 1 S. 3 EU-Grundrechtecharta garantiert das in Art. 15 Abs. 3 IPbpR als Menschenrecht garantierte Milderungsgebot[318] als Grundrecht. Dem Täter muss also die ihn nachträglich begünstigende Änderung der Rechtslage kraft Unionsverfassung zu Gute kommen.[319] Dadurch soll zum einen dem Gleichheitsgrundsatz und dem Schutz vor Willkür sowie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung getragen werden.[320] Die Frage der Vorhersehbarkeit für den Bürger ist beim Milderungsgebot ohne Bedeutung.[321] Selbst kurze Ahndungslücken führen zur Straffreiheit von Alttaten.[322] Durch die Aufnahme dieses Gebots in die Grundrechtecharta ist das strafrechtliche Meistbegünstigungsprinzip rechtlich auf eine neue Grundlage gestellt und mit Verfassungsrang garantiert, so dass einer nachträglichen Korrektur einer Ahndungslücke nunmehr die Unionsverfassung entgegenstehen kann.[323]

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Art. 52 Abs. 1 GRCh gestattet auch für Art. 49 Abs. 1 S. 3 GRCh gesetzlich vorgesehene Einschränkungen. Diese müssen allerdings den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie den Wesensgehalt des eingeschränkten Rechts achten. Einschränkungen dürfen nach Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Bei der Auslegung dieses Schrankenregimes sind das übrige Primärrecht, die EMRK, gemeinsame Verfassungsüberlieferungen sowie die Erläuterungen zur Auslegung der Charta gebührend zu berücksichtigen. Die Charta ist aber in Anlehnung an die EMRK darauf verpflichtet, einen wirksamen Grundrechtsschutz zu gewährleisten.[324] Dies bedeutet, dass Unionsgrundrechte nicht beliebig durch einfachgesetzliche Regelungen eingeschränkt werden dürfen.

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Eine Einschränkung in Fällen der Ahndungslücke bei der Umsetzung von Unionsrecht durch die Gesetzgebungsorgane könnte damit begründet werden, dass gleichheitswidrige Begünstigungen einzelner Bürger zu vermeiden sind, die nicht auf einer besseren Rechtserkenntnis beruhen. Außerdem sollen Taten nicht ohne überzeugenden Grund ungeahndet bleiben, an deren Unrechtscharakter keine Zweifel bestehen, während vor der Gesetzgebungspanne abgeurteilte und nach ihrer Beseitigung begangene identische Taten uneingeschränkt bestraft werden. Bei einer solchen Argumentation, so zutreffend Gaede[325], bliebe jedoch unberücksichtigt, dass der Gesetzgeber bei der Strafgesetzgebung von vornherein unter einer besonderen Sorgfaltspflicht steht und dem Bestimmtheitsgebot Rechnung tragen muss. Ihm darf nicht gestattet werden, seine eigene Fehlleistung auf Kosten der Einschränkung eines europäischen Grundrechts ohne jede begrenzende Rechtfertigungslast zu korrigieren. Der Bürger darf gerade darauf vertrauen, dass gesetzliche Änderungen der Rechtslage vom Gesetzgeber auch tatsächlich gewollt sind. Der nicht sorgfältig arbeitende Gesetzgeber muss sich an seiner Entscheidung festhalten lassen, wenn er keine Gründe benennen kann, die über die allgemeinen Gründe für die Schaffung des Tatbestandes hinausgehen. Deshalb verstoßen Korrekturen unfreiwilliger Ahndungslücken grundsätzlich gegen Art. 49 Abs. 1 S. 3 GRCh.

7. Abschnitt: Geltungsbereich des Strafrechts › § 30 Zeitlicher Geltungsbereich › Ausgewählte Literatur

Ausgewählte Literatur


Dannecker, Gerhard Das intertemporale Strafrecht, 1993.
Dannecker, Gerhard Strafrecht in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1996, 869 ff.
Dannecker, Gerhard/Freitag, Robert Zur neueren europäischen und deutschen Strafgesetzgebung im Recht der Außenwirtschaft und der Finanzsanktionen, ZStW 116 (2004), S. 797 ff.
Dannecker, Gerhard/Stoffers, Kristian F. Rechtsstaatliche Grenzen für die strafrechtliche Aufarbeitung der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze, JZ 1996, 490 ff.
Erb, Volker Die Schutzfunktion von Art 103 Abs. 2 GG bei Rechtfertigungsgründen, ZStW 108 (1996), S. 271 ff.
Flämig, Christian Steuerrecht als Dauerrecht: zur Einordnung des steuergesetzlichen Parteienfinanzierungsrechts in den Regelungsbereich des § 2 des Strafgesetzbuches, 1985.
Gaede, Karsten Zeitgesetze im Wirtschaftsstrafrecht und rückwirkend geschlossene Ahndungslücken, wistra 2011, 365 ff.
Gleß, Sabine Zum Begriff des mildesten Gesetzes (§ 2 III StGB), GA 2000, 224.
Laaths, Wolfgang Das Zeitgesetz gemäß § 2 Abs. 4 StGB unter Berücksichtigung des Blankettgesetzes, 1991.
Mohrbotter, Kurt Garantiefunktion und zeitliche Herrschaft der Strafgesetze am Beispiel des § 250 StGB, ZStW 88 (1976), S. 923 ff.
Neumann, Ulfried Rückwirkungsverbot bei belastenden Rechtsprechungsänderungen der Strafgerichte? ZStW 103 (1991), S. 331 ff.
Rüping, Hinrich Blankettnormen als Zeitgesetze, NStZ 1984, S. 450.
Satzger, Helmut Anwendungsbereich des Vorrangprinzips, JZ 2005, 998 ff.
Satzger, Helmut Die Europäisierung des Strafrechts. Eine Untersuchung zum Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Strafrecht, 2001.
Schreiber, Hans-Ludwig Zur Zulässigkeit der rückwirkenden Verlängerung von Verjährungsfristen früher begangener Delikte, ZStW 80 (1968), S. 348 ff.
Schreiber, Hans-Ludwig Rückwirkungsverbot bei einer Änderung der Rechtsprechung im Strafrecht? JZ 1973, 713 ff.
Schröder, Christian Zur Fortgeltung und Anwendbarkeit des Tatzeitrechts trotz Rechtsänderung, ZStW 112 (2000) S. 44 ff.
Schünemann, Bernd Nulla poena sine lege? Rechtstheoretische und verfassungsrechtliche Implikationen der Rechtsgewinnung im Strafrecht, 1978.
Seeger, Hermann Ueber die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze, 1862.
Sommer, Ulrich Das „mildeste Gesetz“ im Sinne des Paragraphen 2 Abs. 3 StGB, 1979.
Werle, Gerhard Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fortsetzungstat und zeitlich gestreckter Gesetzesverletzung, 1981.

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