Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 28
3. Irrtümer über das Strafanwendungsrecht
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Welche Rechtsfolgen Fehlvorstellungen über den räumlichen Geltungsbereich nach sich ziehen, hängt maßgeblich von der Natur der Regelungen der §§ 3 bis 7, 9 StGB ab. Die herrschende Meinung ordnet die strafanwendungsrechtlichen Voraussetzungen als objektive Bedingungen der Strafbarkeit ein.[204] Schließlich sei es eine völkerrechtliche Frage, wie weit die nationale Strafgewalt reicht. Die Antwort hierauf könne nicht in das Belieben eines Einzelnen gestellt werden oder von dessen Vorstellungen abhängen, sondern sei nach objektiven Kriterien zu bestimmen.[205] Fehlvorstellungen über die Voraussetzungen der §§ 3 bis 7, 9 StGB, z.B. über den Begehungsort der Tat (§ 9 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB) oder über die Staatsangehörigkeit des Opfers (§ 7 Abs. 1 StGB), sollen demnach zumindest keinen Tatumstandsirrtum begründen.[206]
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Selbst auf dem Boden der herrschenden Ansicht bleiben Irrtümer über den räumlichen Geltungsbereich indessen nicht stets völlig unbeachtlich. Denn die Einordnung der Voraussetzungen des Strafanwendungsrechts als objektive Bedingungen der Strafbarkeit bedeutet nicht, dass ihnen kein Unrechtsgehalt zuteilwird.[207] Vielmehr bleibt zu berücksichtigen, dass sich die Beurteilung eines Verhaltens als Unrecht erst auf der Grundlage einer spezifischen Rechtsordnung ergibt. Auch die konkrete verletzte Rechtsordnung stellt somit einen eigenen Bezugspunkt für einen Irrtum dar.[208] In eine ähnliche Richtung argumentiert der BGH, wonach – aufgezeigt an dem Schutz der inländischen Strafrechtspflege durch den Tatbestand der Strafvereitelung gemäß § 258 StGB – einem Verbotsirrtum unterliege, wer die vom verwirklichten Straftatbestand umfasste spezifische Rechtsgutsverletzung nicht als Unrecht erkenne.[209] Fehlvorstellungen über die Anwendbarkeit einer Strafrechtsordnung können demzufolge einen Verbotsirrtum nach sich ziehen.[210]
III. Aktuelle und zukünftige Herausforderungen
1. Reichweite des nationalen Strafrechts im Internet
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Ein ungeklärtes Problem bildet nach wie vor die Anwendbarkeit des nationalen Strafrechts auf Straftaten im Internet. Für Straftaten, die mittels des Internets begangen werden, d.h. Rechner und Computernetzwerke als Tatmittel einsetzen, sind zunächst die allgemeinen Grundsätze heranzuziehen. Der Tätigkeitsort gemäß § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB liegt demzufolge am Ort der auf die Tatbestandsverwirklichung gerichteten Handlung (Rn. 71), d.h. dort, wo der Täter an seinem netzwerkfähigen Gerät sitzt und Befehle etc. über das Internet sendet. Der Erfolgsort im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB bleibt dort zu verorten, wo die von der jeweiligen Strafvorschrift erfassten Auswirkungen eintreten (Rn. 72), häufig somit an dem Ort, an dem sich der Zielrechner befindet, der im Rahmen der Tat angesprochen wird. Wer sich also beispielsweise von Kanada aus unbefugten Zugriff auf einen Zielrechner in Portugal verschafft, begeht eine entsprechende Straftat sowohl in Kanada als auch in Portugal. Wer von den Niederlanden aus Lebenserhaltungssysteme in einem Krankenhaus in Japan manipuliert und dadurch den Tod eines Patienten hervorruft, begeht die Tat sowohl in den Niederlanden als auch in Japan. Es versteht sich von selbst, dass die zur Illustration genannten Staaten beliebig gewählt und ohne Verlust einer inhaltlichen Aussage auch durch allgemeine Platzhalter A, B, C etc. ersetzt werden können.
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Denkbar erscheint, ebenso das Strafrecht derjenigen Staaten anzuwenden, über deren Territorium die via Internet verbreiteten Befehle, Daten etc. befördert werden. Einer solchen Lösung steht aber bereits das praktische Element entgegen, dass der Nachweis des konkreten Datenweges mit enormen Schwierigkeiten verbunden wäre, vor allem die dezentrale Struktur des Internets mit seinen Routern zur Folge hat, dass selbst Teile ein und derselben transferierten Datei über verschiedene Wege vom Ausgangs- zum Zielrechner gesendet werden können. Insbesondere lassen sich hier jedoch die Überlegungen zum Transitdelikt übertragen, wonach allein die Beförderung von Tatobjekten oder Tatmitteln grundsätzlich noch nicht die Ausübung der nationalen Strafgewalt legitimiert (Rn. 78). Demzufolge begründet allein die Versendung von Daten über das Territorium eines Staates noch nicht die Anwendbarkeit dessen Strafrechtsordnung.
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Während somit auf Straftaten mittels des Internets die allgemeinen Grundsätze zum Strafanwendungsrecht ohne weiteres übertragen werden können, bereiten Straftaten im Internet, d.h. rechtswidrige Veröffentlichungen in dessen mannigfaltigen Kommunikationsdiensten, nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Aufgrund der dezentralen Struktur und zugleich fehlenden Abhängigkeit des Internets von staatlichen Grenzen können Inhalte, die jemand von seinem Rechner in einem bestimmten Staat aus im Internet (z.B. auf Webseiten, in Meinungsforen oder auf Plattformen sog. sozialer Netzwerke) ohne Zugangsbeschränkung veröffentlicht, grundsätzlich weltweit abgerufen werden. Äußerungen im Internet ist folglich gemein, die Hoheitsgewalt und das Territorium zahlreicher, in der Regel sogar sämtlicher Staaten der Welt zu betreffen; insoweit kann von einem sog. multiterritorialen Delikt (Rn. 77) gesprochen werden. Bereits den Abruf oder sogar die bloße Abrufbarkeit solcher Daten in einem Staat ausreichen zu lassen, damit dessen Strafrecht Anwendung findet, führte jedoch dazu, dass sich jegliche frei im Internet veröffentlichte Äußerung an den Strafrechtsordnungen sämtlicher Staaten der Welt messen lassen müsste. Es würden letztlich somit die jeweils restriktivsten nationalen Strafgesetze über die Strafbarkeit von Inhalten im Internet entscheiden.[211]
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Es gibt verschiedene Ansätze, mit den geschilderten Besonderheiten des Internets zu verfahren.[212] So wurden insbesondere in den Anfängen der Diskussion Vorschläge unterbreitet, die an die technischen Eigenschaften des Internets anknüpfen wollten, um die Reichweite der nationalen Strafgewalt bei Äußerungen im Internet zu bestimmen. Beispielsweise plädierte Sieber für die Anerkennung eines sog. Tathandlungserfolgs als Erfolg im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB.[213] Darunter sei „jede vom Täter verursachte, ihm zurechenbare und im einschlägigen Tatbestand genannte Folge seiner Handlung“ zu verstehen.[214] Bei der Tathandlung des Zugänglichmachens, die viele Äußerungsdelikte enthalten, würde daher an jedem Ort ein Erfolgsort begründet werden, an dem der Täter die Möglichkeit zur Kenntnisnahme eröffne. Dies setze bei der Verbreitung von Inhalten im Internet voraus, dass der Täter Daten aktiv (mittels sog. Push-Technologie) auf einen Rechner weiterleite, während bei Veranlassung eines Datentransfers durch einen Dritten (mittels sog. Pull-Technologie) ein Tathandlungserfolg abzulehnen bleibe.[215] Im Ergebnis zumindest ähnlich, wenngleich bei § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB verortet, schlug vornehmlich Cornils vor, bei Äußerungsdelikten im Internet einen Handlungsort nicht nur am Aufenthaltsort des Täters, sondern auch an dem Standort desjenigen Rechners anzunehmen, auf welchem der Täter gezielt und kontrolliert eine Datei speichert.[216] Diese differenzierten Vorschläge vermögen indes nicht zu überzeugen, weil sie zu sehr an die technischen Besonderheiten des Internets und somit zu sehr an den Zufall (z.B. der Belegenheit des vom Täter adressierten Servers) anknüpfen.[217] Sofern eine Ausweitung des Handlungsortes erwogen wird,[218] bleibt außerdem einzuwenden, dass die geschilderten Ansätze den Handlungsbegriff zu überspannen drohen und vor allem nicht mehr hinreichend zwischen der Handlung und ihren Folgen differenzieren.[219] Demzufolge befindet sich der Handlungsort (auch und gerade bei Straftaten im Internet) allein an dem Ort der körperlichen Präsenz des Täters.[220]
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Mittlerweile wird erfreulicherweise wieder versucht, bei allen tatsächlichen Besonderheiten des Internets eine Lösung aus den rechtlichen Grundsätzen des Strafanwendungsrechts zu erarbeiten. Hierbei bleibt vorab zu bemerken, dass die meisten Äußerungsdelikte wie z.B. die Verbreitung pornographischer Schriften gemäß §§ 184 ff. StGB oder die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a StGB abstrakte Gefährdungsdelikte darstellen, eine Verletzung oder auch nur konkrete Gefährdung des jeweils geschützten Rechtsguts als tatbestandlichen Erfolg deshalb gerade nicht voraussetzen. Die Diskussion konzentriert sich demzufolge darauf, ob abstrakte Gefährdungsdelikte einen „zum Tatbestand gehörende(n) Erfolg“ im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB aufweisen. Die herrschende Meinung verneint dies aus den geschilderten Gründen (Rn. 74), so dass bei abstrakten Gefährdungsdelikten in der Regel nur an den Handlungsort im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB angeknüpft werden kann. Sämtliche Inhalte, die vom Ausland aus über das Internet verbreitet werden, unterfielen demzufolge nicht dem deutschen Strafrecht.[221] Konsequenterweise hat der Dritte Strafsenat des BGH einen Angeklagten vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a StGB freigesprochen, der von Tschechien aus Bilddateien mit Hakenkreuzen auf ein Internet-Videoportal geladen hat.[222]
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Nach der vorzugswürdigen Gegenansicht (Rn. 75) wäre eine Anwendung des § 86a StGB in dem vorstehenden Fall nicht schon deswegen kategorisch ausgeschlossen, weil es sich bei der Vorschrift um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. Vielmehr käme jedenfalls dann die Anwendbarkeit des nationalen Strafrechts in Betracht, wenn das geschützte Rechtsgut tatsächlich beeinträchtigt bzw. zumindest konkret gefährdet wird und daher der betroffene Staat auch die Ausübung seiner Strafgewalt beanspruchen darf. Gleiches gilt für abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte wie die Volksverhetzung gemäß § 130 StGB, die eine als gefährlich eingestufte Tätigkeit unter der zusätzlichen Voraussetzung unter Strafe stellen, dass sie geeignet ist, das geschützte Rechtsgut zu verletzen. Insoweit hob der Erste Strafsenat des BGH in seiner Toeben-Entscheidung zunächst zu Recht hervor, dass sich die Auslegung des „zum Tatbestand gehörenden Erfolgs“ im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB nicht an den Kategorien der allgemeinen Tatbestandslehre und deren Differenzierung zwischen Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten orientiere. Maßgeblich sei vielmehr der Gesetzeszweck des § 9 StGB, der Beeinträchtigungen und Gefährdungen von Rechtsgütern unterbinden wolle, welche der jeweilige Straftatbestand gerade schütze.[223] Der Erste Strafsenat verstand diesen nicht unzutreffenden Ausgangspunkt sodann aber allzu weit und schien letzten Endes allein infolge der freien Abrufbarkeit einer englischsprachigen Holocaustleugnung, die ein australischer Staatsbürger auf einer auf einem australischen Server gespeicherten Webseite äußerte, im Inland eine konkrete Eignung der Äußerung zur Friedensstörung hierzulande und somit auch die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts zu bejahen.[224] Auch der notwendige völkerrechtlich legitimierende Anknüpfungspunkt ergebe sich aus dem Gewicht des im konkreten Fall von § 130 StGB geschützten inländischen Rechtsguts und dessen objektivem besonderen Bezug zum inländischen Staatsgebiet.[225] Dies bedeutete aber letztlich, allein aus dem Schutzgut eines nationalen Straftatbestandes und dem ihm von dem nationalen Gesetzgeber verliehenen Gewicht den notwendigen völkerrechtlich legitimierenden Anknüpfungspunkt ableiten zu können, so dass dieser Voraussetzung nahezu jede eingrenzende Funktion gegenüber der nationalen Strafgewalt genommen würde.[226] Wie sich die (eine eher extensive nationale Strafgewalt befürwortende) Toeben-Entscheidung des Ersten Strafsenats und die jüngere (eher restriktive) Entscheidung des Dritten Strafsenats zur Verbreitung von Hakenkreuzen von Tschechien aus miteinander vereinbaren lassen sollen, ist nicht ersichtlich. In einer weiteren Entscheidung (zu einer Holocaust-Leugnung während einer Versammlung in der Schweiz vor unter anderem deutschen Zuhörern) hat sich hingegen der Dritte Strafsenat von der Toeben-Entscheidung deutlich distanziert und verneint, dass das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens zum Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB gehöre.[227]
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Unabhängig von der Diskussion um einen etwaigen Erfolgsort abstrakter Gefährdungsdelikte ergeben sich jedenfalls bei Erfolgsdelikten im Internet in der Regel Jurisdiktionskonflikte. So ist an sich auf jegliche Beleidigung in einem Forum oder in einem Kommentar eines sozialen Netzwerks das deutsche Strafrecht anwendbar, weist § 185 StGB doch wegen seines Kundgabecharakters überall dort einen Erfolgsort auf, wo die ehrverletzende Äußerung wahrgenommen werden kann.[228] Gleiches gilt für Verletzungen des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, z.B. für die unbefugte Veröffentlichung von Nacktbildern im Internet, soweit die einzelnen Tatmodalitäten des § 201a Abs. 1 StGB als Erfolgsdelikte angesehen werden (näher → BT Bd. 4: Brian Valerius, Verletzung des Rechts am eigenen Wort und Bild, § 13 Rn. 24 f.). Zumindest in diesen Konstellationen bleibt somit der Frage nachzugehen, ob wirklich jeder Staat nur deswegen seine Strafgewalt beanspruchen kann, weil die nach seiner Rechtsordnung strafbaren Inhalte auch von seinem Territorium aus abgerufen werden können, selbst wenn sie etwa nach der Rechtsordnung des Heimatstaates des Täters legal sein sollten.[229] Am verbreitetsten dürfte insoweit ein Ansatz sein, der bei sozialschädlichen Verhaltensweisen im Internet einen besonderen territorialen Bezug zum Inland fordert, damit deutsches Strafrecht anwendbar ist, und ansonsten § 9 Abs. 1 StGB teleologisch reduzieren will.[230] Denkbar wäre des Weiteren, eine Rangfolge der einzelnen Begehungsorte zu erstellen – schließlich weisen die genannten multiterritorialen Delikte in der Regel nur einen Handlungs-, aber eine Unzahl von Erfolgsorten auf (Rn. 77) – und den Handlungsort als primären Anknüpfungspunkt für die nationale Strafgewalt heranzuziehen. Der Erfolgsstaat könnte hingegen sein Strafrecht nur dann anwenden, wenn die Tat auch am Handlungsort mit Strafe bedroht ist bzw. der Handlungsort keiner Strafgewalt unterliegt.[231] Unabhängig von solchen dogmatischen Lösungsversuchen blieben freilich internationale Vereinbarungen zu begrüßen, in denen die einzelnen Staaten selbst ihre Zuständigkeiten für Straftaten im Internet regeln und gegenseitig begrenzen.[232]
2. Grenzüberschreitende Kooperation
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Bei der Bestimmung der Reichweite der nationalen Strafgewalt kann auch die zunehmende grenzüberschreitende berufliche Zusammenarbeit Schwierigkeiten bereiten. Nicht zuletzt Forschungsvorhaben werden inzwischen häufig international betrieben und können insbesondere dann Strafbarkeitsrisiken für sämtliche Beteiligte begründen, wenn sie ein (zumeist ethisch wie auch) rechtlich in der Staatengemeinschaft umstrittenes Projekt zum Gegenstand haben. Exemplarisch kann insoweit auf die Forschung an embryonalen Stammzellen verwiesen werden, die nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nur durch die Abtötung von Embryonen gewonnen werden können und deren Gewinnung (sowie die darauf aufbauende Forschung) demzufolge in den einzelnen Staaten äußerst unterschiedlich geregelt ist. Das Spektrum reicht von den Extremen der uneingeschränkten rechtlichen Gestattung solcher Forschungsvorhaben (z.B. in Großbritannien und in den Niederlanden) einerseits und einem völligen Verbot (z.B. in Polen und Italien) andererseits bis hin zur eingeschränkten Zulässigkeit (wie in Deutschland unter den Voraussetzungen der §§ 4 f. StZG).
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Sofern sich an solchen grenzüberschreitenden Projekten verschiedene Personen von verschiedenen Staaten aus beteiligen, sind auch die ggf. unterschiedlichen nationalen rechtlichen Regelungen einschließlich etwaiger Straftatbestände im Blick zu behalten. Da das Strafanwendungsrecht jedenfalls in Deutschland keine Kollisionsregelung enthält und das begrenzende „lex loci“-Erfordernis nur in § 7 StGB aufgenommen wurde, können sich insbesondere von Deutschland aus an dem Projekt teilnehmende Personen in der Regel nicht darauf berufen, dass ggf. in einem anderen Staat die rechtliche Zulässigkeit des Projekts außer Frage steht, selbst wenn es dort hauptsächlich betrieben wird. In diesem Fall begründet bereits die eigene Mitwirkung an dem jeweiligen Vorhaben von Deutschland aus hierzulande einen Handlungsort gemäß § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB für Täter bzw. gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 Var. 2 StGB für Teilnehmer, so dass eine Inlandstat gegeben und somit deutsches Strafrecht unabhängig von der Rechtslage am Hauptort des Projekts anwendbar ist. Für den Teilnehmer regelt § 9 Abs. 2 S. 2 StGB sogar ausdrücklich, dass für die Teilnahme an einer Auslandstat vom Inland aus das deutsche Strafrecht gilt, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist.
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Bei Auslandstaten sind vor allem bei Forschungsvorhaben zudem § 5 Nr. 12 und 13 StGB zu beachten, sofern es sich bei dem Wissenschaftler um einen Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten handelt. Dies betrifft vor allem verbeamtete Wissenschaftler an staatlichen Universitäten. Hingegen sind Forscher an privaten Hochschulen oder auch an Max-Planck-Instituten bei gleicher wissenschaftlicher Tätigkeit wegen ihrer fehlenden Verbeamtung nicht erfasst.
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Die vorstehenden Strafbarkeitsrisiken betreffen allerdings nicht nur Forscher im Inland, sondern auch Projektbeteiligte, die allein im Ausland tätig werden. Einen etwaigen Erfolgsort ebenfalls einmal nur im Ausland unterstellt, wäre auf ihre Forschungsbeiträge wegen ihres eigenen lediglich ausländischen Tätigkeitsortes das deutsche Strafrecht in der Regel an sich nicht anwendbar. Etwas anderes ergibt sich allerdings wegen der nach herrschender Meinung weitgehenden Zurechnung von Begehungsorten zwischen den einzelnen Beteiligten (Rn. 81 ff.). Sollte an einem vollständig im Ausland stattfindenden und dort rechtlich zulässigen Projekt jemand aus Deutschland als (Mit-)Täter mitwirken und hierzulande das Vorhaben strafrechtlich untersagt sein, würde den Beteiligten im Ausland der Tätigkeitsort ihres (Mit-)Täters zugerechnet werden. Für die im Ausland tätigen Forscher läge somit gleichfalls eine Inlandstat vor und wäre deutsches Strafrecht anwendbar, und zwar unabhängig davon, ob das Gesamtvorhaben im Ausland straflos ist. Ebenso würde im Ausland tätigen Teilnehmern der Tätigkeitsort des hierzulande aktiven (Mit-)Täters über § 9 Abs. 2 S. 1 Var. 1 StGB zugerechnet werden.[233] Ein solches Ergebnis erscheint durchaus fragwürdig. Schließlich besteht der einzige Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf die im Ausland tätigen Wissenschaftler in der Mitwirkung einer Person von Deutschland aus. Unberücksichtigt bleibt hingegen völlig, dass sie sich regelkonform mit den Vorschriften ihres Aufenthaltsstaates verhalten, in dem das Projekt maßgeblich betrieben wird.
3. „Straftatentourismus“
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Angesichts der mittlerweile alltäglichen grenzüberschreitenden Kommunikation und der gestiegenen Mobilität erscheint eine an staatliche Grenzen gebundene Hoheitsgewalt schon fast als Anachronismus. Der einzelne Staat ist nahezu machtlos und vermag selbst mit Strafvorschriften das Verhalten seiner Bevölkerung nicht zu steuern, wenn es jedem ohne Weiteres möglich ist, sich in einen insoweit liberaleren Staat zu begeben und dort die hierzulande strafbare Tat im Einklang mit der dortigen Rechtsordnung zu begehen. Beispiele für ein solches Verhalten werden bereits praktiziert und sind nicht nur rein theoretischer Natur. So werden Spätabtreibungen in den Niederlanden vorgenommen, die einen Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen noch bis zur 22. Schwangerschaftswoche und nicht „nur“ bis zur 12. Schwangerschaftswoche wie in Deutschland zulassen.[234] Die Rede ist diesbezüglich von einem „Abtreibungstourismus“.[235] Eine ähnliche Situation ist im Bereich der Sterbehilfe im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Tätigkeit von Sterbehilfegesellschaften vorzufinden. Der hier praktizierte „Sterbetourismus“ dürfte nach der Einführung des zum 10. Dezember 2015 in Kraft getretenen § 217 StGB durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015[236] voraussichtlich weiter zunehmen.
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Unterschiedliche (straf)rechtliche Regelungen in den einzelnen Staaten lassen sich auch bei dem Umgang mit Äußerungen nicht zuletzt in den Kommunikationsdiensten des Internets bemerken. Das Spektrum der zu bekämpfenden Inhalte reicht insoweit von ehrverletzenden Kundgaben oder sonstige Persönlichkeitsrechte des Betroffenen beeinträchtigenden Veröffentlichungen (z.B. die unbefugte Publikation von Nacktbildern) bis hin zu links- wie rechtsextremistischer Propaganda und kinderpornographischen Dateien. Aufgezeigt am Beispiel des Umgangs mit rechtsextremistischen Äußerungen sind insoweit in Deutschland anlässlich seiner leidvollen Geschichte restriktive Regelungen zu verzeichnen, welche die Auseinandersetzung mit volksverhetzenden und ähnlichen Erklärungen dem Strafrecht überlassen und nicht nur der gesellschaftlichen Diskussion überantworten wollen. Wer sich hiesigen rechtlichen Konsequenzen entziehen will, begibt sich ggf. in einen ausländischen Staat, der z.B. die Leugnung des Holocaust oder die Verbreitung von Symbolen des NS-Regimes nicht unter Strafe stellt, um von dort aus – etwa über die Kommunikationsdienste des Internets – entsprechende Inhalte auch nach Deutschland zu verbreiten.[237]
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Fraglich ist, wie ein Staat auf solche Formen des „Straftatentourismus“ mit seinen beschränkten, grundsätzlich auf das eigene Territorium bezogenen Möglichkeiten reagieren soll. Auf rein nationaler Ebene stehen dem Gesetzgeber im Wesentlichen grundsätzlich zwei gangbare Wege zur Verfügung. Zum einen ist denkbar und wird in letzter Zeit auch zunehmend praktiziert (Rn. 53), die Staatsgewalt auf bestimmte Auslandstaten auszudehnen, indem die entsprechenden Strafvorschriften in den Katalog des § 5 StGB aufgenommen werden.
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Ein anderer Weg, die nationale Strafgewalt auszudehnen, um auch im Ausland vorgenommene Handlungen zu sanktionieren, die nach der eigenen Rechtsordnung als kriminell eingestuft werden, ist die Anknüpfung an Vorbereitungshandlungen im Inland. In jüngerer Zeit wurde dieses Verfahren etwa bei der Einführung der eigenständigen Strafvorschrift der Zwangsheirat in § 237 StGB angewandt, als in dessen Abs. 2 die sog. Heiratsverschleppung unter Strafe gestellt wurde, die der an sich zu bekämpfenden erzwungenen Eheschließung vorangeht. Die Zwangsheirat als solche findet aber nicht selten im Ausland statt, so dass hierauf die nationale Strafgewalt nicht ohne weiteres erstreckt werden kann (zur Heiratsverschleppung → AT Bd. 1: Brian Valerius, Strafrecht und Interkulturalität, § 25 Rn. 64).
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Solche Entwicklungen sind nicht völlig unkritisch zu begleiten. Es gilt, die Grenzen der eigenen Staatsgewalt anzuerkennen und zu begreifen, dass der nationale Gesetzgeber allein ohnmächtig ist, um gegen die Formen des Straftatentourismus oder auch gegen Verhaltensweisen im Generellen wirkungsvoll vorzugehen, die nach hiesiger Werteordnung strafwürdig erscheinen. Hier die grundsätzlich zur Verfügung stehenden Wege wie nicht zuletzt eine Erweiterung des Katalogs des § 5 StGB überzustrapazieren, zeugt weniger von einer Lenkungsgewalt des Gesetzgebers, sondern beinhaltet eher eine Missachtung anderer staatlicher Souveräne und droht den völkerrechtlichen Nichteinmischungsgrundsatz zu verletzen. Im Ausland dürfte ein derartig einseitiges Vorgehen des Gesetzgebers auch zu Recht einen befremdlichen Eindruck ob des demonstrierten Selbstbewusstseins des Gesetzgebers hinterlassen, seine Werteordnung auch außerhalb des eigenen Territoriums mit Mitteln des Strafrechts schützen und verbreiten zu wollen.[238] Nationale Alleingänge sind somit grundsätzlich nicht empfehlenswert, wenn entsprechende Verhaltensweisen wirklich bekämpft werden sollen und nicht nur die eigene Bevölkerung durch ein vermeintlich entschlossenes Auftreten beruhigt werden soll. Vielfach werden hierfür nur diplomatische Mittel verbleiben, um für das eigene Verständnis zu werben und entsprechende völkerrechtliche bi- und multilaterale Vereinbarungen zu schließen. Dieser Weg ist zwar lang und beschwerlich und führt nicht einmal sicher zum Ziel, ist aber nationalen Alleingängen vorzuziehen.[239]