Kitabı oku: «Seinesgleichen», sayfa 2

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Heil Lexer!

Reinhold Lexer hieß ein Kurzzeitparteiobmann der Kärntner ÖVP (1999–2000). Im Banne Jörg Haiders suchte seine dahinschwindende Partei nach Gegenstrategien.

Vor Jahren hörte ich einem Wiener Professor zu, der als Experte für das Ansehen Österreichs im Ausland galt. Zu viel Mozart, sagte dieser Mann. Sie kennen von uns nur Mozart. Die Trapp-Familie ist beliebt, kein Zweifel, aber hauptsächlich bei der älteren Generation. Nicht bei den Entscheidungsträgern! Den Machern! Den Investoren! Bekümmert blätterte der Fachmann in einer Statistik. Mozart und dann lange nichts, sagte er. Glauben Sie ja nicht, das spielt keine Rolle! Nur mit Lebensart und Gemütlichkeit kriegt man kaum Touristen, geschweige denn Investitionen ins Land! Es geht um den Standort!

Langsam redete er sich warm. Unsere Technik-Kompetenz wäre ja vorhanden, aber wir wissen nicht, wie wir sie denen verkaufen sollen. Niki Lauda? Vergessen Sie den! Der ist auch nur ein Minderheitenprogramm. Adolf Hitler! Das wäre was! Er wisse allerdings, fügte der Professor nach einer Pause hinzu, in der ihm der betretene Gesichtsausdruck seines Zuhörers aufgefallen war, auf Hitler – der ja zweifelsohne ein Österreicher gewesen sei – dürfe man nicht stolz sein.

Er selbst sei kein Nazi, das brauche er wohl nicht zu betonen. Aber wahr sei, was wahr bleibe: Der Russlandfeldzug, ja, die Aufrüstung zum Weltkrieg insgesamt sei doch eine logistische Leistung der Extraklasse gewesen! Wenn man sich werbetechnisch damit nur irgendwie schmücken könnte, wäre viel gewonnen …

Den verrückten Professor hatte ich bald vergessen. Jetzt, emporgewirbelt durch den Kärntner ÖVP-Pallawatsch, tauchte er wieder in meiner Erinnerung auf. Die ÖVP im Sommer wäre zweifellos ebenfalls eine eigene Studie wert. Die „richtige Sau“16 heißt heuer Adolf Hitler. Kaum hatte sich der neue Kärntner ÖVP-Obmann in seinem Sessel zurückgelehnt, begrüßte ihn ein sogenanntes Strategiepapier von 64 Seiten Umfang, das er auszugsweise in der Zeitung nachlesen konnte. Strategiepapiere von Parteien sind meist das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Beschäftigungstherapie für Funktionäre, wenn’s gut geht. Belastungsmaterial für die Presse, wenn man Pech hat.

Die ÖVP hatte Pech. „Vorbild Hitler“ titelte das Magazin Profil, das verdienstvollerweise die Schweinerei aufdeckte und nun das Recht der ersten Empörung lustvoll auskostete. Die Kärntner ÖVP hatte sich den deutschen Konservativen Günter Rohrmoser eingeladen, einen gestandenen Rechten, der Folgendes referierte: „Die Frage politischen Erfolges ist keine Frage der Quantität; um provokative Vorbilder zu bringen: Adolf Hitler war das siebente Mitglied der NSDAP … Mao Tse-tung war das zwölfte Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas … Wie groß die Bewegung am Anfang ist, ist für den in der Zukunft liegenden politischen Effekt völlig gleichgültig.“

Nun hat die Kärntner ÖVP zum Unterschied von Männern, die vor achtzig Jahren in Münchner oder Singapurer Hinterzimmern saßen, bereits eine kleine Vorgeschichte, sodass ihr „politischer Effekt“ eher in der Vergangenheit als in der Zukunft zu liegen droht. Der konservative deutsche Sozialphilosoph Rohrmoser17 spielte bei der ideologischen Vorbereitung der deutschen Wende von Brandt und Schmidt zu Kohl18 seine Rolle; den Kärntner Schwarzen empfiehlt er das für ihn wenig überraschende Rezept, nach rechts zu rücken, Künstler zu diffamieren („diese Schweinereien“, „diese Ungeheuerlichkeiten im Kolig-Saal“ – welche, sagt er nicht) und den Nationalismus aus der Mottenkiste zu holen.

Dann aber kommt’s: „Gemeinsame Partizipation muss mit Symbolen für alle gegenwärtig werden und von allen als Ausdruck dessen empfunden werden, was sie bewegt. Das ist die Wichtigkeit von Symbolen. Und das haben eben die Nazis in einer genialen Weise verstanden … Genau auf diesen (das Profil verbessert stillschweigend in ‚diesem‘) Punkt des rituellen Setzens von Symbolen und Darstellungen ist Hitler genial gewesen.“ Die armen ertappten ÖVPler jaulten auf in Distanzierungen aller Arten, als man ihnen das vorhielt. Der neue Parteiobmann war natürlich gerade am Klo, als Rohrmoser referierte und so weiter.

Dabei könnte bei dieser Passage bis auf den Namen Hitlers jeder moderne Polit-Marketingleiter mit. Worüber regen sich die Betroffenen auf?

Goebbels war ein genialer Regisseur, kein Zweifel. Hitler ein faszinierender Politikschauspieler. Das Stück hatte halt Schwächen, wie ja auch die Technologieoffensive seinerzeit zwar Jobsjobsjobs ohne Ende schuf, sich letztlich aber in der Gesamtkostenrechnung als etwas teuer erwies.

Rohrmoser ist mehr als ein verschrobener Professor! Aber er ist kein Nazi, nur ein bornierter Rechter. Das wirkliche Drama an dieser vorgeblichen Hitler-Affäre besteht darin, dass keiner merkt, wo das Problem liegt. Dass es nämlich einem Extremisten des Marketing wie Hitler darum ging, die Sphäre des Demokratisch-Politischen abzuschaffen. Diese Sphäre besteht in Öffentlichkeit und Verfassung, sie lebt von Diskussion und Argument. Stattdessen setzten die Marketingleute auf Faszination, also auf Überwältigung durch Bilder und Inszenierungen, auf die Aufhebung kritischer Distanz und auf die Ausschaltung der freien Meinungsbildung.

Das Problem ist nicht ein tolpatschiger Hitlerbezug, das Problem ist, dass niemand diesen Unterschied zu erkennen scheint. Was zu diskutieren wäre, sind die Unvereinbarkeiten zwischen Marketing und Politik. Dann könnte man auch darüber reden, ob die ÖVP den Vorschlägen Herrn Rohrmosers folgen und nach rechts driften oder sich mit der von Andreas Khol19 vorgeschlagenen Bürgergesellschaft schwer tun will. So bleibt der Eindruck einer „ordentlichen Beschäftigungspolitik“ der Kärntner ÖVP. Sie beschäftigt Kommentatoren wie mich. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.

Falter 30/99 vom 28.7.1999

Teil II 1999–2006 Eine Wende und ihre Folgen
Wende ist Schande

Die Nationalratswahl 1999 bringt ein verblüffendes Ergebnis. Die Sozialdemokraten werden stärkste Partei, Jörg Haider ist Zweiter und Wolfgang Schüssel muss in die Opposition; das hat er für den Fall versprochen, dass die ÖVP Dritte wird.

Schande. „Heil Haider“ titelt der seriöse englische Guardian. Vor Übertreibungen sei gewarnt. Nervensache ist Ehrensache, mitten in der, jawohl, Schande. 28 Prozent aller wählenden Österreicher haben Jörg Haiders FPÖ aus unterschiedlichsten Motiven ihre Stimme gegeben. Sie sind noch weniger das Problem als ihr Führer. Er ist die FPÖ (manche seiner Kandidaten wissen nicht einmal, was sie tun) und er hat bisher allzu vieles offen gelassen, als dass man ins Normalitätsgerede einstimmen könnte. Er ist ein Rechtsextremist und ein Hetzer. 28 Prozent für ihn sind eine Schande.

Noch eine Schande: Die Wahlbeteiligung war so niedrig wie noch nie; und demgemäß erhielten die ehemals großen Parteien SPÖ und ÖVP jeweils so wenig Stimmen wie nie zuvor in der Zweiten Republik. Gewonnen haben neben den Freiheitlichen die Grünen; das freut. Aber die Summe des Rechtsrucks freut nicht: Statt etwa 50:50 steht es nun 40:60 für rechts. Aus dem Parlament geflogen ist das Liberale Forum Heide Schmidts20, das ungefähr so viele Stimmen verlor wie die FPÖ dazugewann. Auch das eine Schande.

Und zugleich normal. Die Wende. Einer der Oberzyniker unter den Wendemagazineuren, Christian Ortner21, spricht von einer „wohlerworbenen“ Niederlage – wohlerworben, damit spielt er auf die Rechte und Privilegien an, die eine satte politische Kaste sich zuschanze. Damit wird aber zugleich jenes Recht auf sozialen Ausgleich diskreditiert, das jede gerechte Politik im Schilde führen sollte. Sie würde bedeuten: nicht Geschenke gut gelaunter Pop-Faschisten, sondern gesellschaftspolitisch motiviertes Gegensteuern gegen den neoliberalen Trend, der die Einkommensscheren öffnet und beim Flexibilisieren gleich auch noch jene sozialen Zusammenhänge pulverisiert, welche die Modernisierungsverlierer schützen. Eine Normalität, die auf dieses Gegensteuern verzichtet, ist eine Schande.

Noch größer die Schande, dass die Sozialdemokratie sich derart entpolitisiert hat. Die immer wieder aufgemachte Rechnung, doch das kleinere Übel zu wählen, wurde vertan. Das Erbe der Vorgänger wurde verspielt. Auf Franz Vranitzkys22 politisch grundierten ostentativen Antinationalsozialismus und seine stille Abscheu vor allem, was davon parasitierte, ob Waldheim oder Haider, folgte eine Taktik des Ausweichens. Klima trat einen Schritt zur Seite, in der Meinung, er sei ein Torero, der den Stier vorbeibrausen lasse. In Wirklichkeit war er ein Manndecker, der den wendigen Stürmer ziehen ließ. Eine Schande, wie man sich täuschen kann. Dass aus Bruno Kreiskys23 Erbe nicht die Idee, aber zumindest das Bild einer modernisierten sozial orientierten Politik zu gewinnen wäre, darauf scheint niemand zu kommen. Lieber orientiert man sich an Blair, Schröder und Jospin24, die zwar jeder für etwas anderes stehen, was aber egal ist, weil sie den so genannten Menschen draußen sowieso nichts bedeuten. Haider hingegen, bei aller sich überschlagenden Modernität, steht treu zu seiner Kriegsgeneration.

Ausländerfeindliche Parolen in einem gebietsweise unterschiedlich geführten Wahlkampf haben offenbar niemanden davon abgehalten, Haider zu wählen; moralische Schranken wurden keine errichtet. Im Gegenteil: Wer wundert sich über die Stimmung, wenn Politiker den Stimmungsmachern wie der Kronen Zeitung nachgeben, mit ihnen paktieren, ihnen also indirekt Recht geben? Schande! Der ressentimentgeladene Boulevard einerseits und die Neoliberalen coolen Larrys andererseits haben zugepackt; die Roten hielten sich für die Zange, waren aber die Nuss. Und dann zahlen sie noch astronomische Beträge für Inserate an jene Zeitung, die ihr Grab schaufelt. Affenschande! Immerhin: Siebzig Prozent der österreichischen Wählerschaft will Herrn Haider dezidiert nicht.

Wolfgang Schüssel hat es geschafft. Ich habe den alten Fuchs unterschätzt; er hat mit seinen Attacken und Profilierungsversuchen Kanten gezeigt, er hat wenigstens die eigenen Leute aufgerüttelt. Dass die Staatspartei ÖVP hinter die FPÖ rutscht, das wollte die Wählerschaft nicht. Die Themen waren zum Verzweifeln, aber auf die kam es nicht an. Im Wesentlichen hat sie sowieso Haider vorgegeben, zumindest vermochte er, es so darzustellen. Die SPÖ verwechselt ja Themen mit Botschaften, sozusagen Politik mit Diplomatie, die Sache mit ihrer verfeinerten Umsetzung.

Wende. Eine Republik von Nazis? Nein. Jetzt kommen Koalitionsverhandlungen. Das ist eine wirklich gefährliche Drohung, denn der Wirtschaftsbund wird Wolfgang Schüssel in die große Koalition zwingen; der Preis, den er dafür verlangt, sein Gesicht zu verlieren und doch nicht als Dritter in die Opposition zu gehen, wird astronomisch sein, erst recht, sollte er doch Zweiter werden. Das traditionelle Zweiparteiensystem ist ad acta gelegt; Schüssel hat von allen dreien die besten Karten. Die schlechtesten hat Viktor Klima, der gerade noch die Sperrminorität im Parlament gegen den Nato-Beitritt und die Drohung, in Wien Rot-Schwarz durch Rot-Grün zu ersetzen, auf seiner Seite hat.

Es deutet aber alles darauf hin, dass es – nach Schüssels großem Poker – die Sozialpartner schon richten werden. Zufrieden feixt der Karawankendachs aus den Kulissen. Was ihn groß macht, bleibt erhalten. Die Neuerfindung der Politik wird wegen dringender Koalitionsverhandlungen vorläufig vertagt, bis zum nächsten Wahlkampf. Dann werden die Österreicher kriegen, was nicht einmal 15 Prozent von ihnen wirklich wollen: Kanzler Haider. Was sie wirklich wollen, eine andere, eine konturierte Art von Politik, das kriegen sie erst recht nicht. Das ist dann nicht einmal mehr eine Schande. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.

Falter 40/99 vom 6.10.1999

Sand in der Kiste

Kaum hatten die EU-14 ihre Sanktionen verhängt, reagierte der ORF mit einem „Österreich-Gespräch“. Ein Land sprach mit sich über sich und blieb dabei unter sich.

Österreich-Gespräch. Stumm steht man noch eine Woche nach dem Unfassbaren vor dieser Schöpfung. Österreich-Gespräch. 1,4 Millionen haben zugesehen, obwohl im anderen Programm eine Übertragung aus der Champions League lief. Ja, das Gespräch. Der Anfang des Denkens, der Zivilisation, der Philosophie und der Demokratie. Ja, Österreich: das schöne, das geschichtsbeladene, das unschuldige Land. Und dann das. Österreich sprach mit sich. Ein Selbstgespräch zu hundert?

Eine fantastische Darbietung inszenatorischer Cleverness. Altfüchsisch eingefädelt vom Oberchampion der medialen Verhältnisse, vom ORF-Generalintendanten Gerhard Weis25, der den General in seinem Titel durch strategische Raffinesse rechtfertigte: So viel Sand in der Kiste war noch nie! So viel Sand, den man einander in die Augen streute, bis sich die Spuren verloren, das Sandmännchen kam und alles am Sand war.

Dann trumpfte ein bis dato schweigsamer Germanist auf und brachte Medienkritik ins Spiel. Medienkritik in den Medien, das haben wir am allerliebsten. Figuren, die mitspielen, nicht ohne ihr Mitspielen zu thematisieren, die ihre Rolle spielen, aber kritisch gebrochen. Werner Welzig26, der Hubsi Kramar27 für Philologen. Der gepflegte Situationist für Ihren persönlichen Salon. Der interventierende Querdenker für die ins Selbstgespäch verstrickte Nation.

In konzentrischen Kreisen hatte man die Sprechenden angeordnet, die Wichtigsten innen, die weniger wichtigen außen; manch gedrückte Miene ward da sichtbar zum Zeichen, wie schwer ihr Träger am Bedenken leide, erst so spät oder gar nie mehr dranzukommen in diesem Gespräch. Zuinnerst freilich befand sich, wie bei konzentrischen Kreisen üblich, nichts. Als müsse im Zentrum der Aufregung etwas frei sein, blieb die zentrale Stelle des Steins, der die Wellen geschlagen hatte, leer. Sorgenvoll und doch zufrieden, der Leerstelle einen Rahmen gegeben zu haben, meldete sich der Intendant und eröffnete und grüßte, wie nur im gastlichen Österreich eröffnet und gegrüßt wird. Vor Kurzem noch bestand im Eröffnen und Grüßen der Kern von Politik! Lang ist’s er.

Es gehe nun darum, aufeinander zuzugehen, sagte der grüßende Generalintendant zu den Menschen, die um das Nichts herumsaßen und nicht vorhatten, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Sie saßen gleichsam aufeinander zu. Nur die Moderatoren bewegten sich und standen einander und ab und zu auch der Kamera im Weg. Der Bundeskanzler28, ein reines Lamperl, perplex über alles, was ihm widerfährt, seit er Kanzler ist, wundert sich über all das, nur nicht darüber, dass er Kanzler ist. Ja, wenn er das geahnt hätte! Er hätte alles genauso gemacht. Die Vizekanzlerin29, diese Prachtfigur, ein böser Weißclown mit einer großen Rüsche des unschuldigsten Unverständnisses um den Hals, nur der stechende Blick kullert aus dem Herzerlgesicht: Wie kann man bloß so zu uns sein, zu uns Jörgl-Lamperln? Das würde ich aber dann bitte gern nicht nur einseitig diskutieren, sondern da muss man auch!

Ein echtes Lamperl-Logo war geschaffen worden; es prangte hinter und über den aufeinander zusitzenden Menschen drinnen. Die Schrift war klar und sagte „Österreich-Gespräch“; ein krummer Doppelstrich schwang sich darunter hinweg, wie eine Brücke oder ein Regenbogen, eine Straße auch – ein Buckel gar? Nein! – ein schwungvolles Zeichen jedenfalls, etwas Liebes, Vertrautes, Hügelig-Süßes, etwas grafisch und ideell zwischen Tonis Freilandeiern und einem Schaffleisch-Biobauern (reine Lamperln) Oszillierendes.

Ach, dieser Gerhard Weis. Schon in seiner Begrüßung hatte sich der Abend erfüllt. Die Wunschliste der Eingeladenen sei lang gewesen, sagte er. Welch wunderbarer Doppelsinn! Nicht alle konnten kommen, sollte das heißen, aber auch: Viel mehr, als wir zulassen konnten, wollten kommen. Das war ja der Hauptsinn der Veranstaltung. Weis durfte zeigen, wer die Liste befehligt: noch immer der ORF. Wer was sagte, war doch völlig wurscht. Wichtig war es, dabei zu sein. Der Chefredakteur, der da am Tisch sitzt, hat es auf die Liste geschafft. Der vor der Kiste hockt und nachher beleidigte Kommentare schreibt, dem bleibt wieder einmal die bittere Rolle des kleinen Arschlochs. Viele sind wir, aber nur wenige von uns wissen es auch. Nationaler Schulterschluss – dass ich nicht lache! Wer möchte denn nicht, dass Maier Hermann und Götschl Renate30 den Ski-Weltcup gewinnen, wer hätte nicht gern, dass uns Onkel Frank31 den Weltmeistertitel im Fußball kauft? Na also.

Wenn es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hilft, soll mir fast alles recht sein. In der Neuen Zürcher Zeitung stand der knappe, aber umso treffendere Satz: „Mangelt es am Kapitalmarkt Österreichs an institutionellen Anlegern, so gibt es in öffentlichen Diskussionen zu viele institutionelle Redner.“ Land der Listen. Außer den General- und sonstigen Intendanten nahmen teil: die Regierungsspitzen, der Kommissar, der Chef der SPÖ, Politiker aus Deutschland und Frankreich, Wirtschaftsleute, Unternehmer, Gewerkschafter, Chefredakteure, Theaterleiter, Bischöfe, Wissenschaftler, Exponenten von Kunst, Kultur, Volk und naturgemäß des Fremdenverkehrs, des eigentlichen Gesamtkunstwerks Österreichs. Österreich ist Fremdenverkehr zugunsten der Eigenen. „Ernst zu nehmende Bedenken sind von uns ernst zu nehmen und in einem Dialog hier von uns auszuräumen.“ An diese Logik des Verteidigungsministers Herbert Scheibner32 (FPÖ) kann man nur noch glauben. Aber das war wie gesagt völlig egal. Die Leitung steht. Können Sie uns hören, Brüssel? Wundervoll! Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.

Falter 12/00 vom 22.3.2000

Tötet Schlingensief!

Der Theatermann weiß, wie man im Land der Doppelbödigkeit eine Provokation inszeniert. Er stellte einen Container vor die Wiener Staatsoper und schrieb drauf: „Ausländer raus!“

Hausbau hat Konjunktur; besser gesagt, die Metaphern vom Hausbau. Das Fenster der Gelegenheit, die sich öffnende Tür der Klugheit und natürlich der Baucontainer. Fenster und Tür wurden von Schüssel und Ferrero zwar beschworen, aber nicht geöffnet. Der Container vor der Oper, ersonnen vom so genannten Theaterprovokateur Christoph Schlingensief33, wurde zwar bewohnt, hauptsächlich aber beschimpft. Gefüllt mit Asylanten, geschmäht von der Kronen Zeitung, umstritten von den Bösen und gefeiert von den Guten stand er eine Woche derart im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, dass man schon allein deswegen den Hut vor Schlingensief ziehen muss (der Titel meines Textes stammt übrigens von ihm, und er bedeutet, ins Deutsche übersetzt, nichts anderes als: „Lies mich!“).

Hören Sie aber jetzt nicht auf zu lesen! Wir wollen uns mit jenen beschäftigen, die Schlingensief angegriffen und sich dabei vergriffen, um nicht zu sagen verhoben haben. Der Mann bringt Österreich auf den Punkt, das hat seit Peymann34 keiner mehr so gut gemacht, und Schlingensief ist viel billiger! Er hat aus allen Akteuren das Beste herausgeholt, er hat FPÖ und Kronen Zeitung von Tag zu Tag mehr motiviert, bis diese endlich seine Aktion mit ihrer Schlagzeile krönte: „Container-Show kostet Millionen.“

Festwochen-Chef Luc Bondy35 sei zufrieden, berichtete die Krone, „er brauchte den Provokateur Schlingensief, um seine Kunstschickeria zufrieden zu stellen.“ Tatsächlich, war da nicht tagtäglich eine Schar dunkel gekleideter Damen und Herren, Kanapees und Gläschen bei der Hand, die den Container umlagerte? Ich habe mich die ganze Zeit schon gefragt, wer das sein kann. Natürlich! Die Kunstschickeria!

Wer einfacher zu sehen vermag als die Krone, sieht Einfaches: Hier die Republik Dichand36, dort der Provokateur Schlingensief, der alle in den Schlingen seines Double Bind fängt. Sie lassen sich gern fangen, und sie sind fangbares Material. Wer Schlingensief als Fallensteller kritisiert, sollte nicht vergessen, dass der listige Mann im Kanzleramt das Doppelspiel ebenfalls recht gut beherrscht: erst die Sanktionen auslösen, alle Warnungen in den Wind schlagen und dann alle zum nationalen Schulterschluss vergattern. Oder der alte Mann in der Muthgasse: erst hetzen, dann die Freiheit der Presse in Anspruch nehmen! Und wenn einer nicht hetzt, sondern die allgemeine Doppelbödigkeit künstlerisch ziemlich geradlinig ausdrückt, ihm die Freiheit der Kunst absprechen!

Man ist ja viel an parademokratischem Gedankengut gewohnt, aber was die jüngste Krone-Kampagne an Verfassungsverständnis zutage förderte, war doch ein starkes Stück. „Sogar Hilmar Kabas hätte sich seine Lump-Hump-Dump-Affäre37 erspart, hätte er zeitgerecht bei Kulturstadtrat Marboe38 das Privileg der ‚künstlerischen Freiheit‘ eingeholt. Und erst der Windholz39 aus NÖ!“ (Kurt Seinitz40, Kronen Zeitung). Künstlerische Freiheit in Anführungszeichen, versteht sich.

Das Land der Doppelbödigkeit, in dem der Justizminister in der Redaktion anruft - „Grüssi, Böhmdorfer41“ -, um mitzuteilen, die Staatsanwaltschaft werde Schlingensief wegen Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetzes anklagen, hat es bisher verabsäumt, dieselbe Staatsanwaltschaft anzuweisen, gegen Herrn Windholz oder andere mutmaßliche NS-Wiederbetätiger vorzugehen. Der FPÖ-Minister entwickelt Sensibilität wegen Wiederbetätigung! Die Krone jault auf: Verhetzung! Im Land, wo die Lüge längst zur offiziellen Politikform einer Regierungspartei wurde, wo das frische Verkünden der Unwahrheit in Wahrheit nur die Quote steigert, da regen die sich über Schlingensief auf! Schon toll. Aber nur logisch.

Auch ich habe für ein Bild des anderen, des besseren Österreich demonstriert. Aber in Christoph Schlingensiefs Spiel den patriotischen Klettermaxen abzugeben, um einen Slogan zu entfernen, der sich deutlich auf der Spielebene befand und also innnerhalb der Theaterrealität, das wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Selbstverständlich gab es Möglichkeiten, sich nicht in Schlingensiefs Inszenierung zu begeben: Man brauchte ja nur zuzusehen.

Bei den Inszenierungen der Regisseure vom Ballhausplatz und von der Muthgasse fällt das offenbar schon schwerer. Aus Angst vor Umfragen und Schlagzeilen gerieren sich die Grünen und Roten als Oberpatrioten und beten unter dem Druck der öffentlichen Meinung den Blödsinn vom „Österreich, das nicht so ist“ nach. Natürlich ist Österreich nicht so, aber ein erheblicher Teil seiner Wähler ist halt doch so, und das wird man doch noch sagen dürfen, ohne mittels Schulterschlusses erwürgt zu werden. Selbst die Demonstranten, die den Rassismus schlagen, wo sie ihn treffen, fühlten sich bemüßigt, den Schandfleck zu beseitigen, und haben - danke, Schlingensief! - den Test „als österreichische Bevölkerung“ bestanden.

Stadtrat Marboe musste sich von Hans Dichand eine „Steuergeld vernichtende Niete“ nennen lassen und fasste eine fette, fiese Kampagne aus, an der sich federführend auch der Ex-Kunstkanzler-Sprecher Joe Kalina42 beteiligte. Natürlich wird Marboe die Krone nicht klagen, aber vielleicht springt ja Böhmdorfer ein und verständigt die Staatsanwaltschaft. Marboe hat übrigens völlig Recht, wenn er auf der Freiheit der Kunst beharrt und den geforderten Eingriff verweigert. Zusätzliche Geschmacksurteile sind allerdings seine Privatsache. Er sollte sie für sich behalten, sie helfen ihm auch bei der Krone nicht. Dort hilft nur – immerhin das hat Wolfgang Schüssel vorgemacht –, wenn man sich nicht einschüchtern lässt. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.

Falter 25/00 vom 21.6.2000

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