Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 48

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II. Aufbau der Gesetze

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In systematischer Hinsicht kehrten die Partikularstrafgesetzbücher zu der von Feuerbach durchbrochenen Tradition zurück. Der Titel über „Staatsverbrechen und Staatsvergehen“ eröffnete regelmäßig den Besonderen Teil, erst danach folgten „Privatverbrechen und Privatvergehen“. Keine Gefolgschaft fand das Bayerische Strafgesetzbuch mit seiner schematischen Trennung von Verbrechen und Vergehen. Deliktskomplexe wurden nicht mehr getrennt, sondern geschlossen innerhalb eines Abschnitts abgehandelt. Wie das bayerische Gesetzeswerk enthielten die vormärzlichen Strafgesetzbücher keine umfassende Normierung des gesamten materiellen Strafrechts. Ausgeklammert blieben insbesondere Polizeiverbrechen und das Militärstrafrecht.

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An der Spitze der vormärzlichen Strafgesetzbücher, innerhalb des „Allgemeinen Teils“[166], stand das Bekenntnis zum Gesetzlichkeitsprinzip, dessen Reichweite freilich unterschiedlich ausfiel. Hannover, Hessen und Baden statuierten ein ausdrückliches Rückwirkungs- und Analogieverbot.[167] Prägnant hieß es in Art. 1 des Strafgesetzbuchs für das Großherzogtum Hessen: „Nur diejenigen Handlungen oder Unterlassungen werden als Verbrechen oder Vergehen bestraft, welche vorher durch das Gesetz mit Strafe bedroht sind“. Andere Vormärzkodifikationen verwiesen ergänzend auf den Sinn des Gesetzes.[168] Solche Anordnungen stellten keinen Freibrief für Analogiebildungen dar, vielmehr brachten sie ein modernes Richterverständnis zum Ausdruck. In Abkehr vom mechanistischen Richterbild der Aufklärung gaben sie die Befugnis zur Gesetzesauslegung.[169] Vereinzelte Partikularstrafgesetzbücher gingen darüber hinaus und gestatteten Analogiebildungen zu Lasten des Täters, sofern seine Handlung von „dem Grunde der einzelnen Bestimmungen“ des Strafgesetzbuchs unzweifelhaft erfasst war.[170] Zur Begründung verwiesen etwa die braunschweigischen Motive auf ansonsten drohende Freisprüche, die im Widerspruch zur Volksansicht stünden.[171]

III. Wesentliche Inhalte

1. Strafensystem

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Die Strafgesetzgebungen des Vormärz drohten als schwerste Strafart ausnahmslos die Todesstrafe an. Exekutionen fanden öffentlich statt, intramurane Hinrichtungen setzten sich erst nach 1848 durch. Noch in den 1850er Jahren kam es in Deutschland zu öffentlichen Exekutionen, die – vergleichbar frühneuzeitlichen Hinrichtungsritualen – den Charakter von Massenspektakeln annahmen.[172] Die letzte öffentliche Exekution fand 1864 in Greiz (Fürstentum Reuß ä.L.) statt, danach wurden Todesurteile innerhalb der Gefängnismauern vollstreckt.[173] Im Vormärz ging die Anzahl der todeswürdigen Delikte kontinuierlich zurück, wobei das Strafgesetzbuch Braunschweigs mit lediglich zwei Kapitaldelikten (Mord und Hochverrat) die fortschrittlichste Regelung aufwies. Eine großzügige Gnadenpraxis sorgte dafür, dass im deutschen Vormärz lediglich ein geringer Anteil der ausgesprochenen Todesurteile tatsächlich vollstreckt wurde.[174] Qualifizierte Todesstrafen gehörten grundsätzlich der Vergangenheit an. Einen fragwürdigen Atavismus erlaubte sich der rückständige Hannoveraner Gesetzgeber, der Verurteilte noch 1840 im Rückgriff auf vormoderne Rechtsbräuche auf einer Kuhhaut zur Hinrichtungsstätte schleifen ließ (Art. 9 HannoverStGB).[175]

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An Freiheitsstrafen kannten die Partikularstrafgesetzgebungen Zuchthaus-, Arbeitshaus-, Gefängnis- und Festungsstrafen. Die entehrende Zuchthausstrafe war mit Arbeitszwang, schmaler Kost und dem Tragen gleichförmiger Anstaltskleidung verbunden.[176] Der Verurteilte verlor seine Ehrentitel, Ämter und Pensionsansprüche. Als Schärfung hielten manche Gesetzgebungen an körperlichen Züchtigungen fest, wobei Sachsen mit einem Maximum von 90 Rutenstreichen durch besondere Härte hervorstach.[177] In Sachsen und Hannover fand die Prügelstrafe zudem gegen Jugendliche und gesellschaftliche Außenseiter Anwendung.[178] Während die Zuchthausstrafe die schwerste Form des Freiheitsentzugs darstellte, stand die „ehrenhafte“ Festungshaft am unteren Ende der Skala. Ihre Legitimation blieb während des gesamten 19. Jahrhunderts umstritten. Der zur Festungshaft Verurteilte verbüßte seine Freiheitsstrafe unter privilegierten Umständen, streng getrennt von der üblichen Gefängnis- oder Zuchthauspopulation.[179] Die Anordnungsvoraussetzungen blieben vage. Abgehoben wurde auf die „besonderen Umstände“, „die Bildungsstufe“ oder die „bürgerlichen Verhältnisse“ des Verurteilten, die eine Gemeinschaft mit regulären Häftlingen als unverhältnismäßige Härte erscheinen ließen.[180] Das zeitgenössische Schrifttum sah in der Festungsstrafe ein überlebtes Standesprivileg, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz.[181] Die Befürworter des Instituts, das dem Code pénal unbekannt war, versuchten die Kritiker mit deren eigenen Waffen zu schlagen: Hinsichtlich der Strafwirkungen müssten stets die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten Berücksichtigung finden. Gebildeten aber könne der Umgang mit „rohen, zum Theil unflätigen Elementen“ jedoch „zehn- oder hundertmal weher tun als anderen“[182]. Die Festungsstrafe erschien hiernach geradezu als Verkörperung des Gleichheitsgrundsatzes. Um die Festungsstrafe als custodia honesta von dem Odium eines bürgerlichen Standesvorrechts zu befreien, hoben spätere Partikularstrafgesetzbücher nicht auf die Bildung ab, sondern auf die Ehrenhaftigkeit der Tatmotive. Eine „ehrenvolle“ Gesinnung freilich wurde in erster Linie Angehörigen der höheren Schichten zugesprochen und insbesondere zu Gunsten von Duellanten unterstellt.[183]

2. Dogmengeschichtliche Aspekte

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Aus der Vielfältigkeit vormärzlicher Strafgesetzgebung seien einige grundlegende dogmenhistorische Entwicklungen herausgegriffen. Auffallend ist zunächst die Abkehr von Grundentscheidungen des Bayerischen Strafgesetzbuchs. So erklärten Baden und Hessen bloße Vorbereitungshandlungen grundsätzlich für straflos und legten fest, dass fahrlässige Erfolgsverursachungen nur im Falle einer ausdrücklichen Strafandrohung zu ahnden waren.[184] Richtungweisend untersagte das hessische Strafgesetzbuch das Operieren mit Vorsatzpräsumtionen und verwies zur Feststellung der subjektiven Tatseite auf die richterliche Beweiswürdigung.[185] Auch die Tage einer „terroristischen Mathematik der Rückfallstrafen“ waren gezählt.[186] Zwar kannten die vormärzlichen Strafgesetzbücher gerade bei Diebstahlsrückfall empfindliche Strafschärfungen, doch eröffneten sie zugleich weite richterliche Ermessensspielräume.[187] Eine dem Bayerischen Strafgesetzbuch vergleichbar harte Linie findet sich allein im Strafgesetzbuch Sachsen-Altenburgs, das unter Vorwegnahme der Terminologie Franz v. Liszts von „unverbesserlichen Verbrechern“ bzw. „gemeinschädlichen Subjekten“ sprach und den Strafrahmen bei gewohnheitsmäßigem Diebstahl auf lebenslanges Zuchthaus erweiterte (Art. 240 Sachsen-AltenburgStGB). Keine Zukunft besaß indes die in der ersten Jahrhunderthälfte verbreitete Strafmilderung zugunsten reuiger Diebe. Bei Rückgabe des entwendeten Gutes war die Strafe unter bestimmten Voraussetzungen um die Hälfte zu reduzieren, gemäß der singulären braunschweigischen Regelung sogar zu erlassen.[188]

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Im Notwehrrecht zählten die Strafgesetzbücher das Eigentum und die Ehre durchweg zu den notwehrfähigen Rechten, verlangten jedoch im Gegensatz zur bayerischen Gesetzgebung einschränkend, „dass die Art und das Maß der Selbstverteidigung mit der Gefahr, zu deren Abwendung sie gebraucht wird, in einem angemessenen Verhältnisse stehe“.[189] Zwei aus dem gemeinen Recht vertraute Grundsätze galten fort: Die Subsidiarität der Notwehr gegenüber staatlicher Hilfe sowie der Vorrang des Ausweichens. Die Zurückhaltung gegenüber „gewaltsame(r) Privatverteidigung“ (Art. 49 HessenStGB) fand ihren Ausdruck darin, dass manche Gesetze dem Angegriffenen strafbewehrte Anzeigepflichten auferlegten.[190] Im Falle eines unverschuldeten Notstands gewährten die vormärzlichen Gesetzbücher regelmäßig Straffreiheit. Voraussetzung war die Begehung „einer gesetzwidrigen Handlung (…) zu Rettung seiner selbst oder seiner Angehörigen aus einer gegenwärtigen dringenden Gefahr für Leib und Leben (…)“[191]. In den vormärzlichen Gesetzgebungen finden sich außerdem Regelungen zu Einzelproblemen des Allgemeinen Teils, über die das heutige Recht schweigt. So erklärten einige Gesetzbücher die sog. actio libera in causa ausdrücklich für strafbar. Nach dem badischen Strafgesetzbuch schloss der „Zustand vorübergehender gänzlicher Verwirrung der Sinne oder des Verstandes (…) die Zurechnung dann nicht aus, wenn sich der Thäter durch Getränke oder andere Mittel absichtlich in solchen versetzt hatte, um in demselben ein im zurechnungsfähigen Zustande beschlossenes Verbrechen auszuführen (…)“[192]. Auch finden sich gesonderte Paragraphen für den error in persona sowie – vereinzelt – die aberratio ictus.[193] Ein Nötigungsnotstand versetzte den Handelnden in einen Zustand „mangelnder Freiheit“ und führte zur Straflosigkeit.[194] Keinen Zweifel ließen die Partikulargesetze an der Strafbarkeit des Überzeugungstäters. „Religiöser Wahn“ bzw. die Berufung auf übergeordnete Gebote der Religion oder des Gewissens entlasteten den Täter nicht.[195] Hinsichtlich der Behandlung Minderjähriger schließlich lässt sich während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine kontinuierliche Anhebung der Altersgrenzen beobachten.[196] Während die Zurechnungsgrenze in Bayern und Württemberg noch bei acht bzw. zehn Jahren gelegen hatte, trat die Strafmündigkeit in späteren Partikularstrafgesetzbüchern regelmäßig mit Vollendung des 12. Lebensjahres ein.[197] Strafunmündige waren der häuslichen Züchtigung zu überlassen oder polizeilichen „Besserungsmitteln“ ausgesetzt. Strafmilderungen aufgrund jugendlichen Alters blieben bis zu einem Alter von 16 bzw. 18 Jahren zulässig.[198]

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Im Besonderen Teil fällt die Rückkehr der „Sittlichkeitsdelikte“ ins Auge. Der Libertarismus der Aufklärer gehörte im Vormärz der Vergangenheit an. Keine der nach 1813 erlassenen Strafgesetzgebungen folgte Feuerbachs (später wieder aufgegebener) Entkriminalisierung homosexueller und sodomitischer Handlungen.[199] „Widernatürliche“ geschlechtliche Betätigungen wurden in Oldenburg u.a. mit körperlicher Züchtigung geahndet, in Hessen gar mit Zuchthausstrafen bis zu fünf Jahren.[200] Vereinzelte Gesetze verlangten als Korrektiv die Erregung öffentlichen Ärgernisses; eine Einschränkung, die in späteren Kodifikationen wegfiel.[201] Als „widernatürlich“ galten „Bestialität“ und Päderastie, nicht aber Onanie und weibliche Homosexualität.[202] Erste Pornographieverbote ergänzten den Katalog der „Sittlichkeitsdelikte“, die Strafbarkeit des Verbreitens und Ausstellens „unzüchtiger“ Schriften nahm ihren Anfang.[203] Der Ehebruch blieb kriminalisiert, wobei zahlreiche Gesetze an der bayerischen Regelung festhielten und den Fehltritt der (sittsamen) Ehefrau für strafwürdiger erachteten als den des (triebhaften) Ehemannes.[204] Hinsichtlich der umstrittenen Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag hielten die vormärzlichen Gesetzgebungen übereinstimmend am Prämeditationskonzept fest. Mord bedeutete hiernach – so schon die Formulierung des Bayerischen Strafgesetzbuchs – die „mit Vorbedacht beschlossene oder mit Überlegung ausgeführte“ Tötung eines anderen Menschen.[205] Obwohl die Wissenschaft früh herausgearbeitet hatte, dass das Überlegungsmerkmal zur Beschreibung schwersten, todeswürdigen Unrechts versagte, hielten sämtliche Partikularstrafgesetzbücher des 19. Jahrhunderts sowie später das Reichsstrafgesetzbuch an ihm fest.[206]

2. Abschnitt: Strafrechtsgeschichte › § 7 Deutsche Strafrechtsgeschichte seit dem Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 bis 1871 › F. Vom Konstitutionalismus des Vormärz zur Paulskirchenverfassung

F. Vom Konstitutionalismus des Vormärz zur Paulskirchenverfassung

I. Verfassungen als Kodifikationsersatz

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Die im Vormärz erlassenen Verfassungen enthielten prozessuale und gerichtsorganisatorische Garantien, die den fortgeltenden, vormodernen Prozessordnungen fremd bleiben mussten. Während über das materielle Recht eine „mächtige Kodifikationswelle“ hinwegging[207], blieb der tradierte schriftlich-geheime Inquisitionsprozess bis 1846/1848 unangetastet.[208] Dass die Reform des Strafprozessrechts ein Politikum ersten Ranges darstellte, erhellt die Aussage Karl Theodor Welckers, wonach es „im ganzen Rechtsgebiete, vielleicht im ganzen politischen Gebiete (…) nichts Wichtigeres (gebe) als den Strafproceß“[209]. Weil eine umfassende Verfahrensreform scheiterte, drängte das liberale Bürgertum auf die verfassungsrechtliche Verankerung prozessualer Mindeststandards. Justizgrundrechte bildeten im Vormärz gleichsam einen „Kodifikationsersatz“. So enthielten die frühkonstitutionellen Verfassungen klassische Justizgrundrechte wie den Schutz der richterlichen Unabhängigkeit oder die Garantie des gesetzlichen Richters.[210] Die Errichtung von Ausnahmegerichten sollte ebenso der Vergangenheit angehören wie Urteilsbestätigungen oder Machtsprüche des Herrschers.[211] Dagegen gelang es nur vereinzelt, den besonderen Gerichtsstand des Adels aufzuheben.[212] Die Regenten behielten das von den Aufklärern angefeindete Begnadigungsrecht, einschließlich des Rechts auf Niederschlagung eines laufenden Verfahrens (sog. Abolitionsrecht).[213] Angesichts der Verhältnisse in den vormärzlichen Polizeistaaten nahmen die Habeas-Corpus-Rechte breiten Raum ein. So verlangten die vormärzlichen Verfassungen durchgehend die zeitnahe Information über den Festnahmegrund und eine richterliche Entscheidung über die Haftfortdauer.[214]

II. Die Frankfurter Reichsverfassung als strafrechtlicher Wendepunkt

1. „Politische Professoren“

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Über die rechtsgeschichtliche Bedeutung der Paulskirchenverfassung ist sich das heutige Schrifttum weitgehend einig.[215] Die „Verfassung des deutschen Reiches“ vom 28. März 1849 verkörpert das liberal-demokratische Programm des vormärzlichen Bürgertums. Sie begründete rechtsstaatliche Traditionen, an welche die Weimarer Verfassung und das Bonner Grundgesetz anzuknüpfen vermochten. Zu ihren besonderen Leistungen zählen der Grundrechtskatalog, die Ausbildung einer Verfassungsgerichtsbarkeit, ein im europäischen Vergleich fortschrittliches Wahlrecht sowie die konsequente Beseitigung ständischer Vorrechte. Auch für die Reform des Straf- und Strafverfahrensrechts gingen von der Frankfurter Reichsverfassung entscheidende Impulse aus.[216] Vor einem Blick auf ihr strafrechtliches Reformprogramm gilt es daran zu erinnern, dass sich unter den Paulskirchenabgeordneten zahlreiche prominente Rechtswissenschaftler befanden, darunter Carl Georg Beseler, Carl Joseph Anton Mittermaier, Robert v. Mohl, Jodocus Donatus Hubertus Temme, Karl Theodor Welcker, Heinrich Albert Zachariae und Eduard v. Simson, der spätere erste Präsident des Reichsgerichts.[217] Andere Abgeordnete waren im Vormärz als „Demagogen“ ihrer Ämter enthoben und strafrechtlich verfolgt worden, unter ihnen die ehemaligen Mitglieder der „Göttinger Sieben“ Wilhelm Eduard Albrecht, Friedrich Christoph Dahlmann, Georg Gottfried Gervinus und Jakob Grimm. Unter den „politischen Professoren“ der Frankfurter Nationalversammlung spielte Mittermaier die bedeutendste Rolle.[218] Der Heidelberger Strafrechtler trat u.a. als Präsident des Vorparlaments, als Mitglied des Ausschusses für die Reichsverfassung und als Vorsitzender des Ausschusses für Gesetzgebung in Erscheinung. Zu Mittermaiers Verdiensten zählt sein Eintreten für das in der Paulskirchenverfassung verankerte grundsätzliche Verbot der Todesstrafe.

2. Justizgrundrechte und Gerichtsorganisation

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Die Frankfurter Reichsverfassung erweiterte den Schutzbereich der Justizgrundrechte. § 177 Abs. 3 FRV stärkte den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit durch die Anordnung strikter Inamovibilität. Ohne Zustimmung des Betroffenen blieb die Versetzung untersagt, selbst wenn sie formal eine „Beförderung“ bedeutete.[219] Konsequenter als die Vormärzverfassungen beseitigte § 176 FRV den privilegierten Gerichtsstand des Adels und hob zudem die verbreitete Patrimonialgerichtsbarkeit auf (§§ 167 Nr. 1, 174 S. 2 FRV).[220] Entsprechend den frühkonstitutionellen Verfassungen garantierte § 175 FRV den gesetzlichen Richter und schloss die Errichtung von Ausnahmegerichten kategorisch aus. Einen Traditionsbruch bedeutete der Ausschluss jeglicher polizeilicher Strafgewalt (§ 182 Abs. 2 FRV).[221] Verfassungsrechtliches Neuland betrat § 138 FRV, indem er die Habeas-Corpus-Rechte auf (präventiven) polizeilichen Gewahrsam ausdehnte (Abs. 3) und überdies für den Regelfall die Haftentlassung anordnete, sobald der Angeschuldigte Kaution leistete oder einen Bürgen stellte.[222] Keine Aufnahme in die Frankfurter Reichsverfassung fand indes das in mehreren Partikularstrafgesetzbüchern und einigen Landesverfassungen verankerte Gesetzlichkeitsprinzip. „Nulla poena sine lege“ war Mitte des 19. Jahrhunderts ein anerkannter Grundsatz des einfachen Rechts, bis zu seiner Erhebung zum „rechtsstaatlichen Fundamentalgrundsatz“ sollte ein weiteres Jahrhundert vergehen.

3. Verfahrensrevolution

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Die Ereignisse des Jahres 1848 gaben den Anstoß zu einer umfassenden Reform des Strafverfahrensrechts. Es bedurfte einer Revolution, um dem öffentlich-mündlichen Strafprozess, dem Anklagegrundsatz und dem Schwurgericht zum Sieg zu verhelfen. Waren zuvor sämtliche Reformversuche gescheitert, so erließen die deutschen Partikularstaaten nunmehr in rascher Folge Strafprozessordnungen oder Einführungsgesetze, die den sog. reformierten Strafprozess etablierten.[223] Obwohl die Frankfurter Reichsverfassung das deutsche Strafverfahren grundlegend umgestaltete, wurden die betreffenden Paragraphen einmütig und ohne nähere Diskussion angenommen.[224] Erst das Schwurgericht, so die Vorstellung der Abgeordneten, biete die Gewähr für eine unabhängige und obrigkeitlichen Einflüssen entzogene Justiz.[225] Unübersehbar ist die politische Stoßrichtung: Urteilen sollte das Schwurgericht „jedenfalls in schwereren Strafsachen und bei allen politischen Vergehen“ (§ 179 Abs. 2 FRV) sowie „über Preßvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden“ (Art. 143 Abs. 3 FRV). Die Etablierung von Schwurgerichten war untrennbar mit der Durchsetzung der freien richterlichen Beweiswürdigung verknüpft. Staatsabhängige Berufsrichter nach ihrer „aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung“ urteilen zu lassen, erschien als gänzlich indiskutabel, in den Worten Welckers gar als eine „Ermächtigung zu Justizmorden“[226]. Mit der Einführung des neuen Verfahrenstyps war das letzte Wort allerdings nicht gesprochen. Die „Reform des reformierten Strafprozesses“, insbesondere die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung des Anklageprozesses und dem Wert oder Unwert des Schwurgerichts, zählte in den nachfolgenden Jahrzehnten zu den zentralen justizpolitischen Themen.[227]

4. Sanktionsverbote

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Die Paulskirchenverfassung schloss entehrende oder unmenschliche Strafarten aus.[228] § 135 FRV beseitigte die im linksrheinischen Preußen, in Bayern und Oldenburg fortgeltende Strafe des bürgerlichen Todes. § 172 FRV untersagte, wie schon die meisten Verfassungsurkunden des Vormärz, die Strafe der Vermögenseinziehung. § 139 FRV verbot die Strafe des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung.[229] Die spektakulärste strafrechtliche Bestimmung der Paulskirchenverfassung war indes die Abschaffung der Todesstrafe zu Friedenszeiten. In namentlicher Abstimmung votierte eine deutliche Mehrheit (256 vs. 175) für die Annahme von § 139 FRV: „Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt, oder das Seerecht im Falle von Meutereien sie zuläßt, (ist) abgeschafft“. Erst ein Jahrhundert später und nach mehreren gescheiterten Anläufen konnte mit Inkrafttreten des Grundgesetzes das Versprechen der Paulskirche eingelöst werden.[230] Dem Votum der Frankfurter Abgeordneten war eine emotionale Debatte vorausgegangen.[231] Wie im Parlamentarischen Rat der Nachkriegszeit versuchten die Befürworter der Todesstrafe, die Anträge der Abolitionisten mit formalen Erwägungen abzuwehren. Nicht die Verfassung sei der rechte Ort für eine solche Bestimmung, sondern das Strafgesetzbuch.[232] Inhaltlich verwiesen die Befürworter auf die Abschreckungswirkung, den Sühnegedanken und das „Gerechtigkeitsgefühl des Volkes“.[233] In leidenschaftlichen Beiträgen sprachen die Gegner von „Barbarei“ und „einem Schandfleck der Gesetzgebung“.[234] Andere brachten vor, dass dem Staat nicht das Recht zustehe, seinen Bürgern das Leben zu nehmen; ein Einwand, der weder religiös noch – wie bei Beccaria – kontraktualistisch motiviert war.[235] Einem idealisierenden liberal-bürgerlichen Weltbild verhaftet, betrachtete man es vielmehr als Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn der Staat die „unendliche Bildungs-, Besserungs- und Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen“ missachte.[236] Während die in späteren Parlamentsdebatten vielfach beschworene Gefahr von Fehlurteilen in der Paulskirche unerwähnt blieb, bestritten die Abolitionisten unter Heranziehung statistischen und rechtsvergleichenden Materials durchweg die Abschreckungswirkung der Todesstrafe. Als richtungweisend erwies sich der Debattenbeitrag Mittermaiers, der unter ausdrücklichem Verzicht auf philosophische Erwägungen jegliche verhaltenssteuernde Wirkung der Todesstrafe in Abrede stellte.[237]