Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 49

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5. Wirkungen

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Trotz ihres Scheiterns markiert die Paulskirchenverfassung einen Wendepunkt in der deutschen Strafrechtsgeschichte. In prozessualer Hinsicht steht das Jahr 1848 für das faktische Ende des gemeinrechtlichen Prozederes. Bis auf wenige rückständige (Klein-)Staaten herrschte fortan der sog. reformierte Strafprozess, d.h. ein öffentlich-mündliches, unmittelbares Verfahren.[238] Die Einführung des neuen Prozesstyps stand in engem Zusammenhang mit der Etablierung des Schwurgerichts. Nach dem Scheitern der Revolution gerieten dessen Anhänger in die Defensive. Sachsen beseitigte das Schwurgericht 1855, Preußen entzog ihm die Zuständigkeit für Staatsverbrechen (1853) und Pressevergehen (1854).[239] Mit Blick auf die Justizgrundrechte und Justizorganisation setzte die Paulskirchenverfassung rechtsstaatliche Standards, an denen sich nachfolgende Verfassungsurkunden messen lassen mussten.[240] Im Bereich des Verhaftungsrechts blieb das Schutzniveau des § 138 FRV unerreicht.[241] Bei den Strafarten läutete die Paulskirchenverfassung das Ende überkommener Sanktionen ein. Bereits unter dem Eindruck der Märzunruhen hatten zahlreiche deutsche Staaten jede Form von Körperstrafen verboten. Während der „bürgerliche Tod“ und die Ausstellung am Pranger nach 1848 endgültig der Vergangenheit angehörten, erwies sich die Prügelstrafe als zählebiger.[242] Selbst nach der Reichsgründung sollte es nicht an Vorstößen für ihre Wiedereinführung fehlen. Wegweisend wirkte schließlich die in § 139 FRV erklärte grundsätzliche Beseitigung der Todesstrafe. Dem Frankfurter Vorbild folgten 1848/49 zahlreiche deutsche Staaten, darunter die Königreiche Sachsen und Württemberg, das Kürfürstentum Hessen, die Großherzogtümer Baden, Hessen, Sachsen-Anhalt-Eisenach und Oldenburg sowie die freien Städte Bremen, Frankfurt und Hamburg.[243] Auch wenn diese in der Restaurationszeit bis auf wenige Ausnahmen (Oldenburg, Anhalt, Bremen) zur Todesstrafe zurückkehrten, hatte die Paulskirchenverfassung doch dazu beigetragen, dass die Todesstrafen-Abolition in den folgenden Jahrzehnten zu den beherrschenden rechtspolitischen Themen zählte.

2. Abschnitt: Strafrechtsgeschichte › § 7 Deutsche Strafrechtsgeschichte seit dem Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 bis 1871 › G. Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851

G. Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851

I. Überblick und Entstehungsprozess

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Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten trat am 1. Juli 1851 in Kraft.[244] Über die Strafgesetzbücher für den Norddeutschen Bund und das Deutsche Reich wirken seine legislatorischen Grundentscheidungen bis in die Gegenwart fort. Sein komplizierter Entstehungsprozess erstreckte sich über rund ein halbes Jahrhundert. Kein anderes deutsches Partikularstrafgesetzbuch blickt auf eine ähnlich wechselvolle Gesetzgebungsgeschichte zurück.[245] Vorangegangen war eine verwirrende Vielzahl veröffentlichter und unveröffentlichter Entwürfe. Diverse Justiz- bzw. Gesetzgebungsminister sowie zahllose Kommissionen und Deputationen wurden bei seiner Entstehung verschlissen. Zwischen 1828 und 1850 standen nicht weniger als zehn ausgearbeitete Entwürfe zur Diskussion. Während der Reformimpuls vor 1815 von der Antiquiertheit des Allgemeinen Landrechts ausgegangen war, rückte nach Napoleons Niederlage der Gedanke der innerpreußischen Rechtsvereinheitlichung in den Vordergrund. Königliche Verordnungen hatten das Strafrecht des Allgemeinen Landrechts und das Prozessrecht der Criminalordnung für den Großteil der 1814/15 wieder- bzw. neuerlangten Territorien in Kraft gesetzt.[247] Die Herstellung innerpreußischer Rechtseinheit misslang jedoch. Wie oben gezeigt, blieben linksrheinisch sowie rechtsrheinisch auf dem Gebiet des ehemaligen Großherzogtums Berg sowohl der Code d’instruction criminelle als auch der Code pénal in Geltung. Im vormals schwedischen Vorpommern und Rügen fand bis 1851 das überkommene gemeine Strafrecht Anwendung.[248] Als vierte Strafrechtsordnung galt überdies in Hohenzollern-Sigmaringen, das 1850 an Preußen gefallen war, das badische Strafgesetzbuch von 1845. Nicht allein der Antagonismus zwischen französischem und deutschem Recht erschwerte die Reformarbeiten, auch der Widerstreit zwischen restaurativen Regierungskräften und liberalem (rheinischem) Bürgertum ließ die Entstehung eines gesamtpreußischen Strafgesetzbuchs zu einer langwierigen „legislatorischen Zangengeburt“ werden, deren Verlauf im Folgenden skizziert sei:

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Der strafrechtliche Teil des Allgemeinen Landrechts war bereits zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens veraltet. Nach Korrekturen und Ergänzungen durch königliche Reskripte[249] hatte 1799 der Hallenser Strafrechtsgelehrte Ernst Ferdinand Klein den Auftrag für eine Gesamtrevision erhalten.[250] Noch das Publikationspatent zur Preußischen Criminalordnung (1805) stellte ein „Allgemeines Criminalrecht für die Preußischen Staaten“ in Aussicht, dessen Vorarbeiten jedoch angesichts der napoleonischen Kriege ebenfalls im Sande verliefen.[251] Nachdem die Ausdehnung altpreußischen Rechts auf die hinzugewonnenen Rheinprovinzen am hartnäckigen Widerstand der dortigen Eliten gescheitert war, begann mit der Bestellung des Grafen Danckelmann zum Justizminister (1825) „die eigentlich schöpferische Phase der preußischen Gesetzrevision“[252]. Frucht der Reformarbeiten war der vergleichsweise fortschrittliche Entwurf von 1830, der sich grundlegend vom Allgemeinen Landrecht abhob. Für einen Rückschlag sorgte die Ernennung des hochkonservativen Karl Albert v. Kamptz zum Minister für die Gesetzesrevision (1832), der im Schrifttum bis heute als „böser Geist“ der Reformen fortlebt.[253] Die unter seiner Ägide verfassten Entwürfe von 1833 und 1836 orientierten sich erneut am überkommenen Strafrecht; sie enthielten umfassende polizeirechtliche Vorschriften und kodifizierten das politische Strafrecht der Demagogenverfolgung.[254] „Herbe Arbeit“ habe es gekostet, so Berner, „den Herrn von Kamptz aus dem Gesetzgebungswerke wieder herauszurevidiren“[255]. Erst nach Übernahme des Ministeriums durch Friedrich Carl v. Savigny (Amtszeit 1842–1848) erreichten die preußischen Reformentwürfe das legislatorische Niveau zeitgenössischer Gesetzgebungen. Ungeachtet seiner Position im „Kodifikationsstreit“ arbeitete v. Savigny mit Nachdruck und gegen Widerstände an der Verabschiedung eines gesamtpreußischen Strafgesetzbuchs.[256] Der Entwurf von 1843 beruhte auf umfangreichen rechtsvergleichenden Vorarbeiten, der Entwurf von 1845 berücksichtigte die eingegangenen Stellungnahmen der Rechtswissenschaft sowie die Gutachten der acht preußischen Landtage.[257] Mit dem Entwurf von 1847 gewannen die hinzugezogenen rheinischen Juristen an Einfluss, der insbesondere im Entwurf von 1848 und der dort vollzogenen Dreiteilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen Ausdruck fand. Die revolutionären Ereignisse der Jahre 1848/1849 gaben den Anstoß für die rasche Vollendung des Reformwerks, das sich nunmehr – in Abkehr von jahrzehntelangen Vorarbeiten – am Code pénal orientierte (Entwurf von 1850).[258] Der preußische Gesetzgeber habe sich, wie Binding rückblickend polemisierte „von seinen endlosen Vorarbeiten ermüdet (…) schließlich einfach dem französischen Recht in die Arme (geworfen)“[259]. Am 14. April 1851 unterzeichnete Friedrich Wilhelm IV. das Gesetz zur Einführung des neuen Strafgesetzbuchs, das für Preußen erstmals nach 1815 die Rechtseinheit brachte. Die Vereinheitlichung des preußischen Strafprozessrechts sollte hingegen erst mit Inkrafttreten der Reichsstrafprozessordnung im Jahre 1879 gelingen.[260]

II. Aufbau des Gesetzes

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Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten enthielt 349 Paragraphen, womit es das wegen seiner systematischen Strenge gerühmte bayerische Strafrecht (459 Artikel) deutlich unterbot. Trotz seiner Kürze verzichtete auch das preußische Recht nicht gänzlich auf kleinteilige Kasuistik. So finden sich im Besonderen Teil detailreiche Qualifikationstatbestände des Diebstahls und Betrugs (§§ 217 f., 243 PrStGB) sowie zahlreiche Legaldefinitionen.[261] Im Allgemeinen Teil fehlten hingegen, anders als noch im Bayerischen Strafgesetzbuch, Begriffsbestimmungen zu zentralen dogmatischen Figuren (Vorsatz, Fahrlässigkeit, Mittäterschaft).[262] Der Aufbau des Gesetzes entsprach im Wesentlichen dem des Code pénal. Auf vorangestellte einleitende Bestimmungen (§§ 1–6 PrStGB) folgten drei Teile, die wiederum in zahlreiche Titel untergliedert waren.[263] An der Spitze des preußischen Strafgesetzbuchs stand die aus dem Code pénal übernommene Dreiteilung strafbarer Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen.[264] Gemäß § 1 PrStGB galten solche Delikte als Verbrechen, die mit Todesstrafe, Zuchthausstrafe oder Einschließung von mehr als fünf Jahren bedroht waren. Standen auf eine Handlung Gefängnisstrafen von mehr als sechs Wochen, Einschließung bis zu fünf Jahren oder Geldbußen von mehr als 50 Talern, so handelte es sich um Vergehen, bei geringeren Strafandrohungen um Übertretungen. Die systematische Grundentscheidung des preußischen Gesetzgebers wirkte sich auf die Versuchsstrafbarkeit aus. Der Versuch eines Verbrechens war stets strafbar, der eines Vergehens nur bei ausnahmsweiser gesetzlicher Anordnung (§§ 32, 33 PrStGB). Stets straflos blieb der Versuch einer Übertretung (§ 336 PrStGB). Auch ermöglichte die Dreiteilung der Delikte eine gerichtliche Kompetenzzuweisung, die sich in ihrer Klarheit und Bestimmtheit von der heutigen Regelung abhebt. Nach Art. XIII des „Gesetzes über die Einführung des Straf-Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten“ entschied der Einzelrichter über Übertretungen, ein aus drei Berufsrichtern bestehendes Kollegialgericht über Vergehen und das mit zwölf Laien besetzte Schwurgericht über Verbrechen.[265] Auf die Dreiteilung der strafbaren Handlungen folgte in § 2 PrStGB das Bekenntnis zum Gesetzlichkeitsprinzip: „Kein Verbrechen, kein Vergehen und keine Uebertretung kann mit einer Strafe belegt werden, die nicht gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde“. Mit dieser erst kurz vor Gesetzeserlass gewählten Formulierung – einer nahezu wörtlichen Übersetzung von Art. 4 Code pénal – statuierte der preußische Gesetzgeber ein strenges Rückwirkungs- und Analogieverbot.[266]

III. Wesentliche Inhalte

1. Strafensystem

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Als Hauptstrafen kannte das Preußische Strafgesetzbuch die Todesstrafe, Zuchthaus, Gefängnis, Einschließung sowie Geldbußen. Im Gegensatz zur Paulskirchenverfassung hielt der preußische Gesetzgeber die Todesstrafe für unverzichtbar, wobei er sich auf den Sühnegedanken, die notwendige Sicherung des Staates sowie auf das Volksbewusstsein berief.[267] Für nicht weniger als 14 Delikte, darunter auch für zahlreiche „Erfolgsqualifikationen“, drohte das Gesetz die Höchststrafe an. Für elf dieser Verbrechen war die Todesstrafe obligatorisch.[268] Die Vollstreckung erfolgte intramuran unter strikter Einhaltung eines festen Zeremoniells (§ 8 PrStGB: u.a. Glockenläuten, zwölf Zeugen), wobei in der Rheinprovinz die Guillotine zum Einsatz kam, im übrigen Preußen das Beil.[269] Eine ausgedehnte Begnadigungspraxis vermochte die Strenge des Gesetzes abzumildern, so dass lediglich ein Drittel der zum Tode Verurteilten tatsächlich exekutiert wurde.[270]

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Zwingende Folge jeder Zuchthausstrafe[271] war der dauernde, über die Zeit des Freiheitsentzugs hinausreichende Verlust der bürgerlichen Ehre (§§ 11, 12 PrStGB). Während der Strafzeit erlosch die Dispositionsfähigkeit über das Vermögen, der Verurteilte stand unter Vormundschaft (§ 11 Abs. 2 PrStGB). Der (ehemalige) „Zuchthäusler“ verlor u.a. das aktive und passive Wahlrecht sowie – soweit vorhanden – Titel und Adel.[272] Der weite Anwendungsbereich der Zuchthausstrafe verdeutlicht die Strenge des Gesetzes. Entehrende Zuchthausstrafen standen beispielsweise auf Meineid (§ 125 PrStGB), Körperverletzung mit schweren Folgen (§ 193 PrStGB), schweren Diebstahl, schwere Hehlerei (§§ 218, 238 PrStGB) und wiederholten Rückfall eines einfachen Diebstahls oder einer einfachen Hehlerei (§§ 219, 240 PrStGB). Als leichteste Form der Freiheitsstrafe kannte das Gesetz die „ehrenhafte“ Einschließung, die den Platz der Festungsstrafe einnahm. Der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz fand insofern Beachtung, als das preußische Strafrecht ihre Verhängung an die Begehung bestimmter Delikte knüpfte und nicht mehr – wie vormärzliche Strafgesetzbücher – an den sozialen Status des Verurteilten.[273] Indem jedoch die Einschließung neben leichteren politischen Delikten (§§ 63, 64, 66, 74, 76, 78 PrStGB) insbesondere als Sanktion für den Zweikampf vorgesehen war (§§ 164 ff. PrStGB), blieb sie in der Praxis weiterhin den höheren Ständen vorbehalten.

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Zur Erziehung und Besserung bestimmter „arbeitsscheuer“ Tätergruppen kannte das preußische Strafgesetzbuch die Einsperrung in ein Arbeitshaus. Zielgruppe dieser „Maßregel“ waren preußische Staatsbürger, die wegen Landstreicherei, Bettelei, Müßiggang oder gewerbsmäßiger Unzucht verurteilt worden waren (§§ 117–120, 146 PrStGB).[274] Die Unterbringung in einem Arbeitshaus nach ausgestandener Gefängnisstrafe war grundsätzlich obligatorisch, lediglich in Fällen gewerbsmäßiger Unzucht bestand richterliches Ermessen. Die Dauer der Unterbringung, im zeitgenössischen Schrifttum durchgehend als „korrektionelle Nachhaft“ bezeichnet, war in Lisztscher Terminologie „relativ unbestimmt“: Nicht Richter, sondern Landespolizeibehörden bestimmten den Entlassungszeitpunkt, wobei die Unterbringungsdauer drei bzw. ein Jahr (bei gewerbsmäßiger Unzucht) nicht überschreiten durfte (§§ 120, 146 PrStGB). 1856 erweiterte der Gesetzgeber die polizeilichen Befugnisse. Nunmehr oblag die Unterbringungsentscheidung (ausgenommen im Falle gewerblicher Unzucht) dem alleinigen Ermessen der Landespolizeibehörden.[275] An einem weiteren polizeilichen Sicherungsmittel entzündeten sich langwierige rechtspolitische Kontroversen. Preußischen Gerichten oblag bei zahlreichen Delikten die fakultative bzw. obligatorische Verhängung der sog. Polizeiaufsicht, die sich über einen Zeitraum von einem bis zu zehn Jahren erstreckte.[276] Den Landespolizeibehörden stand es in diesem Fall frei, gegen den Verurteilten Aufenthaltsverbote auszusprechen und jederzeit Hausdurchsuchungen vorzunehmen (§ 27 PrStGB). Erfolgte die Anordnung wegen Diebstahls, Raubs oder Hehlerei, ergänzten nächtliche Ausgehverbote die polizeiliche Überwachung (§ 28 PrStGB).

2. Dogmengeschichtliche Aspekte

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Aus dogmenhistorischer Perspektive unterscheidet sich das preußische Strafgesetzbuch mitunter deutlich von den vormärzlichen Strafgesetzgebungen. Auffallend ist bereits, dass dem Gesetz dogmatische Figuren wie die actio libera in causa oder der strafausschließende Notstand fremd blieben.[277] Als besonders markant aber erwies sich der Bruch mit Gesetzgebungstraditionen bei der Versuchsstrafbarkeit, im „Jugendstrafrecht“ und im Notwehrrecht. Unter Einfluss der rheinischen Juristen gelangte der aus dem Code pénal übernommene Grundsatz der Gleichbestrafung von Versuch und Vollendung in das Gesetz (§§ 32 PrStGB);[278] eine Regelung, die im Schrifttum als unvereinbar mit „deutschem Rechtsbewusstsein“ auf entschiedene Ablehnung stieß.[279] Strafandrohungen für versuchte Vergehen blieben vergleichsweise selten,[280] abweichend von heutiger Gesetzestechnik erfolgten sie innerhalb der jeweiligen Tatbestandsumschreibung.[281] Wenig Beifall fand das überaus harte, in dieser Form singuläre „Jugendstrafrecht“. Erst in der letzten Phase des Gesetzgebungsprozesses aus dem Code pénal übernommen, fehlte der preußischen Regelung eine absolute Untergrenze der Strafmündigkeit. Für Personen unter 16 Jahren eröffnete das Gesetz bei „fehlendem Unterscheidungsvermögen“ lediglich Strafmilderungsmöglichkeiten (§ 43 PrStGB).[282] Anklagen und Verurteilungen gegen Kinder waren somit grundsätzlich möglich, selbst Todesstrafen gegen Heranwachsende wurden vollstreckt.[283] Während das preußische „Jugendstrafrecht“ keine Zukunft hatte, wirkte der dritte Traditionsbruch des Gesetzes, die Ausgestaltung des Notwehrrechts, stilbildend. Das preußische Strafgesetzbuch zog den Kreis der notwehrfähigen Rechtsgüter denkbar weit und verzichtete überdies – entgegen den vormärzlichen Partikularstrafgesetzbüchern – auf Ausweichpflichten oder Angemessenheitsklauseln (§ 41 PrStGB).[284]

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Bei den Tötungsdelikten hielt das Gesetz am umstrittenen Konzept der Prämeditation fest. Es erweiterte den Anwendungsbereich des Mordtatbestands (§ 175 PStGB), indem es keine Privilegierungen für einverständliche Tötungen normierte. Frühere Partikularstrafgesetzbücher hatten die Tötung auf „das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getödteten“, zumal von Moribunden, deutlich milder geahndet.[285] Um der Todesstrafe zu entgehen, blieb in Preußen allein die Hoffnung auf Begnadigung.[286] Auf Strafzumessungsebene schließlich ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Einerseits trüben die zeitgenössisch kritisierten absoluten Strafandrohungen (Todesstrafe bzw. lebenslanges Zuchthaus) die Bilanz.[287] Andererseits gewährte das preußische Strafgesetzbuch bei der Strafzumessung weite richterliche Ermessensspielräume. Bei ausgewählten Tatbeständen stand es Richtern zudem frei, angedrohte Mindeststrafen unter Zuerkennung gesetzlich nicht näher bestimmter „mildernder Umstände“ signifikant zu unterschreiten.[288] Auch überließ die allgemeine Rückfallvorschrift (§ 58 PrStGB) dem Richter das „Ob“ der Strafschärfung. Gleiches galt grundsätzlich für spezielle Rückfallregelungen, die das Gesetz für verschiedene Vermögensdelikte etabliert hatte.[289]

IV. Weitere Entwicklung und wissenschaftshistorische Einordnung

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Schon bald nach seinem Erlass geriet das preußische Strafgesetzbuch in die Kritik; es „herrsche nur eine Stimme“ über die „zum Theil ganz ungerechtfertigte Härte“[290]. An diesem Urteil vermochten Randkorrekturen wenig zu ändern, zu denen sich der preußische Gesetzgeber wenige Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes veranlasst sah.[291] Ungeachtet aller Einwände führte preußisches Hegemonialstreben zu einer erheblichen Ausdehnung seines Anwendungsbereichs. Neben der Implementierung in annektierten Territorien sicherten freiwillige Adaptionen dem Preußischen Strafgesetzbuch schon vor Gründung des Norddeutschen Bundes die beherrschende Stellung. Nach Landsbergs viel zitiertem Diktum verkörpert das Preußische Strafgesetzbuch „die weitestgehende Eroberung (…), welche dem französischen Recht in Gesamtpreußen gelungen ist“[292]. In Teilen der älteren Strafrechtsgeschichte ist hingegen das Bestreben unverkennbar, den Einfluss Frankreichs herunterzuspielen, um die deutschen bzw. bayerischen Wurzeln des Reichsstrafgesetzbuchs zu betonen, ja überzubetonen. Maßgeblicher Vertreter dieser Richtung war Eb. Schmidt, für den „von Feuerbachs Bayerischem Strafgesetzbuch von 1813 (…) eine gerade Linie über das Preußische Strafgesetzbuch zum Reichsstrafgesetzbuch (hinführt)“[293]. Heute hat die ehemals hochpolitische Frage nach den „französischen Elementen im Preußischen Strafgesetzbuch“[294] ihre Brisanz verloren. Schon Berner war nationalistischen Tönen entgegengetreten, indem er die Anlehnung an den Code pénal – die zugleich das rückständige Allgemeine Landrecht überwand – als wiedergewonnenen Anschluss des preußischen Strafrechts „an den großen Europäischen Zusammenhang“ beschrieb.[295]

2. Abschnitt: Strafrechtsgeschichte › § 7 Deutsche Strafrechtsgeschichte seit dem Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 bis 1871 › H. Polizeistrafrecht

H. Polizeistrafrecht