Kitabı oku: «Die neue Gesellschaft», sayfa 10
Und als sie draußen waren und Viktor Grün in sein Auto stieg, klopfte ihm der Maestro auf die Schulter und sagte:
»Nun, wie gefällt Ihnen Ihr neuer Mitarbeiter?«
Viktor Grün schüttelte den Kopf:
»Ne! Solange er sich nicht abgewöhnt, bei Musik und Text einer Operette nach der Herkunft zu forschen, wird aus dem nie ein brauchbarer Textdichter!«
»Das legt sich!« suchte ihn der Maestro zu beruhigen. »Das ist die Gewissenhaftigkeit der Jugend.«
»Von einem Operettendichter verlange ich in erster Linie Großzügigkeit,« erwiderte Viktor Grün.
»Meinetwegen. Nennen Sieʼs, wie Sie wollen. Soviel steht fest: Mit neuen Gedanken erschwert man nicht nur dem Komponisten die Arbeit, sondern setzt sich auch in Widerspruch zu dem Publikum, das sich längst zu seinen Lieblingsmelodien bekannt hat. Was wir zu tun haben, ist lediglich: für eine neue Aufmachung zu sorgen.«
* * *
In den nächsten Wochen widmete sich Günther ganz den Arbeiten für das Examen.
Die Aussicht auf die Premiere hatte seine Arbeitskraft eher gefördert als gehemmt. Seine Stimmung war nicht schwer und bedrückt, wie es wohl sonst vor einem Examen der Fall ist. Sie war leicht und beschwingt und verlieh ihm Sicherheit. Das Gefühl, zu nichts zu taugen, das ihn so oft bedrückt und unsicher gemacht hatte, wich dem Bewußtsein, einen Wert zu haben. Die Frage, worin dieser Wert bestand, stellte er nicht. Dazu blieb Zeit genug nach dem Examen.
Das lag nun eines Tages hinter ihm. Er hatte es bestanden. Mit Auszeichnung und unter Befreiung vom Mündlichen.
Nun erst brachte »Die Neue Gesellschaft« eine Notiz, die in die anderen Blätter überging:
Ein achtzehnjähriger Bühnendichter. Der Text zu der neuen Hollschen Operette, die an der Residenzbühne ihre Uraufführung erlebt, stammt von Viktor Grün und dem achtzehnjährigen Sohne des bekannten Großindustriellen Leo Berndt.
Das übte eine starke Wirkung weit über die Bühnenkreise hinaus. Cäcilie, für die Holl und Mozart verwandte Begriffe waren, genau wie der Unterschied zwischen Heinz Tovote und Friedrich Schiller für sie lediglich zeitlicher Natur war, lebte sich schnell in die Rolle der Dichtermutter hinein.
»Wir müssen uns jetzt doppelt zusammennehmen,« sagte sie zu Leo, »denn wir gehen mit unserem Sohne in die Nachwelt über.«
»Was tun wir?« fragte Leo ängstlich.
»Hast du nie etwas von Goethes Mutter und der Frau von Stein gehört?«
»Nein,« versicherte Leo.
»Schlimm genug.«
»Wer ist das?«
»Nun,« erwiderte Cäcilie, »wie soll ich dir das erklären? Das hat man im Gefühl. Ich wenigstens habʼs, und ich weiß daher auch, was ich meinem Nachruhm schuldig bin.«
»Umso besser!« sagte Leo. »Dann erledige du das! Möglichst auch für mich mit. Ich habʼ für derartige Dinge weder Zeit noch Sinn.«
»Das ist ja das Unglück!« jammerte Cäcilie. »Daß du nicht entwicklungsfähig bist. ›Es wächst der Mensch mit seinen Millionen‹, singt ein anderer deutscher Dichter: oder, wie der Franzose sagt: ›Noblesse oblige!‹ Damit, daß du einen teuren Schneider hast und des Nachts seidene Pyjamas trägst, ist es nicht getan.«
»Was verlangst du von mir?«
»Daß du mit mir Stunden nimmst.«
»Was für Stunden?«
»In der deutschen Literaturgeschichte.«
»Zu was für einem Zweck?«
»Um die Vorläufer Günthers kennen zu lernen. Der Maestro hat mir seinen Freund, Doktor Ignatz Mohr, als Lehrer empfohlen.«
»Kostenpunkt?«
»Zwanzig Mark die Stunde. Für zwei Schüler verlangt er dreißig. Wir sparen also zehn Mark, wenn du teilnimmst.«
»Ich habe ja alles Verständnis für deine Sparmethode,« erwiderte Leo. »Aber ich glaube doch, daß es für uns alle vorteilhafter ist, wenn ich weiter meinen Geschäften nachgehe und derartige Dinge dir überlasse.«
Cäcilie zog verächtlich die Schultern in die Höhe:
»Eine nette Rolle wirst du ʼmal in der Geschichte spielen.«
»Dann kann ich mir auch nicht helfen,« erwiderte Leo. »Ich kann aus meiner Haut nicht heraus und bleibe bei meinen Fellen.« —
Frau Röhren beurteilte den Fall schon anders Sie las des Morgens beim Frühstück die Notiz und sagte:
»Sonderbar! Wenn es ein Gedichtbuch wäre oder ein Stück. Ich glaubʼ schon, daß in ihm etwas steckt. Aber den Text zu einer Operette? Unbegreiflich! Dazu gehört doch vor allem Geschäftssinn und Routine.«
»Na, die dürfte er ja von seinem Vater her haben,« meinte Röhren.
Und seine Frau erwiderte:
»Ich glaube, daß er seinem Vater sehr wenig ähnlich ist.«
»Das glaube ich auch,« sagte Suse.
Röhrens sahen sich an.
»Kennst du Herrn Berndt denn?« fragte der Vater.
»Nein, aber ich kenne Günther.«
»Spricht er dir viel von seinem Vater?«
Suse schüttelte den Kopf: »Nie.«
»Nun also, dann weißt du doch nicht, wie er ist«
»Er spräche gewiß von ihm, wenn er anders wäre.«
»Wie meinst du das – anders?«
»So wie Günther – oder wie du.«
Frau Röhren fuhr ihr zärtlich über das weiche Haar, lächelte gütig und sagte:
»Ganz recht, mein Kind. Du hast es im Gefühl.«
Aber dem alten Röhren behagte das nicht. Er sah Suse scharf an und sagte:
»Nein! Vater und Sohn, das läßt sich nicht trennen.«
Suse beugte sich über den Tisch und wurde rot.
Alle Welt beglückwünschte schon auf die Notiz hin Günther. Für die sehr jungen Mädchen aus den Röhrenschen Kreisen, in denen er bisher doch immer eine Art Außenseiter gewesen war, bekam er plötzlich eine starke persönliche Note, die fast ins Mystische ging. Die Bühne hatte an sich schon für sie etwas reizvoll Geheimnisvolles. Und nun gar die Residenzbühne, die ihnen verschlossen war und auf der man jetzt ein Stück von ihm vorbereitete! Kein Wunder, wenn der Zauber des Geheimnisvollen sich jetzt auf ihn übertrug, und daß ihre jungen Herzen keusch erbebten, wenn sie tanzend in seinen Armen hingen.
Aber auch für die jungen Leute war er nun ein anderer. Keiner schnitt ihn mehr. Der Qualitätsunterschied der Familie war für sie mehr als ausgeglichen. War doch die Möglichkeit gegeben, daß die Welt der Bühne, das Land der Sehnsucht, das alle männliche Jugend mit der Seele sucht, sich ihnen erschließen würde. So wurden sie seine Freunde, die bewundernd zu ihm aufsahen
Am meisten aber strahlte Frida. Als Günther sein Examen machte, waren die Proben schon in vollem Gange. Frida hatte das durch telephonische Anfrage in Erfahrung gebracht und war an einem der nächsten Vormittage unbemerkt in den dunklen Zuschauerraum geschlüpft. Hier saß sie von nun an jeden Tag, ließ keinen Blick von der Bühne und kannte bald jede Szene, jede Melodie, jeden Tanz. Es achtete niemand auf sie, und wer sie sah, hielt sie für irgend eine der vielen Angestellten, die zum Theater gehörten.
So!« sagte Frida, als Günther sein Examen bestanden hatte. »Und nun reden wir ʼmal von was anderem als ewig von Horaz und dem dummen Homer. Ich habe mir das nun lange genug mit Rücksicht auf dein Examen mit angehört. Jetzt haben die toten Dichter abgewirtschaftet! Es lebe das Leben!« Und dabei wies sie auf ihn.
»Ihr macht mich noch alle ganz verrückt!« wehrte Günther ab. »Erst muß man doch abwarten, was wird, ehe man feiert.«
»Na, soviel kann ich dir sagen,« erwiderte Frida, »wenn du, statt mit der Faust dazwischen zu fahren, noch lange abwartest, dann wird aus der Feier ein Begräbnis.«
»Was bedeutet das?«
»Daß deine Operette abstinkt, wenn die amerikanische Miß die fesche Samoanerin spielt.«
»Was ist das fürʼn Ausdruck?« rief Günther entsetzt.
»Kind!« spottete Frida. »Das kennst du nicht?
Das ist das dritte Wort des Direktors, wenn ein Sänger oder eine Sängerin den Mund auftut.«
»Ja, woher weißt du denn das?«
»Weil ich keine Probe versäumt habe.«
»Du?« fragte er ganz erstaunt.
»Du kannst beruhigt sein. Die beiden ersten Akte stehen. Im dritten hapertʼs noch. Aber die amerikanische Miß, die hätte Probiermamsell oder Stenotypistin bei deinem Onkel, dem schönen Alfred, werden sollen. Da paßt sie hin. Aber nicht zur feschen Samoanerin, dazu brauchtʼs Temperament, wie ich eins habe. Da! paßʼ auf!« – Und Frida schürzte sich behend den Rock hoch und tanzte dem erstaunten Günther zwischen der Garage und dem Palmenhaus der Berndtschen Villa eine Art Czardas vor, der nicht von schlechten Eltern war.
Günther sperrte Mund und Augen auf.
»Woher kannst du das?« fragte er.
»Weil ich drei Wochen lang mit angesehen habe, wie der Tanzmeister sich mit der Rex abgequält hat. So! Und nun gehʼ ins Theater und besetzʼ die Rolle um, wenn du Schneid hast.«
»Ja, wieso warst du denn . . .? – Ich denke, du arbeitest in der Redaktion der ›Neuen Gesellschaft‹?«
»Man kann doch auch ʼmal aussetzen und krank sein.« —
Zwölftes Kapitel
Wie Frida Linke sich in Viccy Ury verwandelte
Der nächster Probe wohnte Günther bei. Frida saß wie immer im Hintergrund auf einer der letzten Parkettreihen.
»Lieber Herr Berndt,« sagte der Direktor, nachdem er Günther den Hauptdarstellern vorgestellt hatte, »am besten, Sie setzen sich ganz ruhig ins Parkett und sehen sich die drei Akte einmal hintereinander an, um zu sehen, ob auch alles so ist, wie Sie es sich beim Schreiben gedacht haben. Aber ich sage Ihnen gleich: das Stück steht, einschneidende Änderungen sind ausgeschlossen.«
Günther setzte sich ruhig hin und sah sich die drei Akte einmal hintereinander an.
Nach dem ersten Akte, der sehr blödʼ war und auch nicht mit einer Silbe an eins seiner Gedichte erinnerte, sagte er sich: »Es wird noch kommen.«
Und als der Direktor ihm zurief:
»Nu? Was sagen Sie? Istʼs so in Ihrem Sinne?« da schloß er die Augen und antwortete automatisch: »Ja!«
Frida war ein paar Bänke weiter nach vorn gerückt.
Viktor Grün erschien und begrüßte Günther.
»Na, Kollege, lassen Sie sich auch ʼmal sehen? Was sagen Sie zu dem Finale? Endlos, was? Aber glauben Sie, dieser Holl opfert einen Takt? Eher streicht er uns den halben Dialog.«
»So! so!« erwiderte Günther.
»Übrigens, wie gefällt Ihnen die Rex? Hübsche Person! Aber keine Stimme und ohne Charme. Amerikanisch steif. Man versteht kein Wort, wenn sie singt. Passen Sie auf, wie sie beim Duett im zweiten Akt abstinkt! Das wäre ein Schlager bei richtiger Besetzung! Aber der Direktor hatʼs gut, auf sie zu stehen. Er wird sein Wunder mit ihr erleben. Ich kenne die Kritik.«
Frida kicherte beifällig.
Viktor Grün wandte sich um.
»Da ist ja wieder die reizende Puppe,« sagte er laut und nickte ihr zu. »Kennen Sie sie?«
Jetzt sah sie auch Günther.
»Frida!« sagte er freudig und gab ihr die Hand.
Viktor Grün stellte sich vor.
»Auch vom Bau, mein Fräulein?« fragte er freundlich.
»Ja!« rief sie kühn. »Das heißt, ich studierʼ noch.«
Grün umfaßte sie mit einem Blick. Dann schnalzte er mit der Zunge und sagte:
»Große Zukunft – wer ist Ihr Lehrer?«
»Viktor Grün,« gab sie zur Antwort.
Er sah sie groß an und fragte sich: Wo steckt da der Witz. Er fand ihn nicht, wollte aber nicht unhöflich scheinen, lachte daher und rief: »Ausgezeichnet!«
Das verstand nun wieder Frida nicht. Und da sie weniger konventionell war, so fragte sie:
»Wissen Sie denn, wieso Sie mein Lehrer sind?«
Er schüttelte den Kopf.
»Weil ich Sie seit drei Wochen von hier aus beobachte.«
»Nicht möglich!«
»Sie können sich ja davon überzeugen.«
»Auf welche Art?«
»Indem Sie mich auf die Bühne stellen.«
»Als was?«
»Als was Sie wollen. So gut wie die machʼ ichʼs auch,« und dabei wies sie auf die Hauptdarstellerin, Miß Rex, die eben an der Seite des Direktors an Günther herantrat und sich ihm vorstellen ließ.
»Mister Berndt,« sagte sie und gab ihm die Hand.
»Das Textbook for die fesche Samoanerin ist das beste von alle Textbücher, wo ich habe gesehen in die letzten zehn Jahre. Ich bin glücklich zu singen die Rolle von das Haupt in die Samoanerin. Hoffentlich ich bin nach Ihrem Gesmack.«
»Danke sehr!« erwiderte Günther und verbeugte sich. —
Der zweite Akt mit dem großen Auftritt von Fräulein Rex war mitten im Gange. Die schöne Samoanerin tanzte. Der Ballettmeister rang verzweifelt die Hände.
»Tempo! Tempo!« rief er und gab mit den Füßen den Takt an. »Eins! zwei! drei! Eins! zwei! drei!« zählte er schnell hintereinander. Dann brach er ab und rief zur Musik herunter: »Schluß!« Und zu Fräulein Rex gewandt, sagte er:
»Sie tanzen nicht, sondern watscheln wie eine Ente!«
»Direktor!« schrie Miß Rex und drohte mit einem hysterischen Anfall. Sie riß in kurzen Zwischenräumen den Mund auf und schnappte nach Luft.
»Was fällt Ihnen ein, Tanzmeister!« brüllte der Direktor. »Ich bittʼ mir aus, daß Sie Miß Rex wie eine Dame behandeln.«
»I was!« rief jetzt vom Dirigentenpult her der Komponist. »Der Tanzmeister hat recht! Sie schmeißt uns die ganze Operette. Singen kann sie nicht, tanzen kann sie nicht!«
»Umbesetzen!« brüllte jetzt Viktor Grün, der noch immer neben Frida stand.
»Ausgeschlossen!« erwiderte der Direktor. »Miß Rex ist für die Rolle engagiert und bringt für 50.000 Mark Toiletten mit.«
»Dann stecken Sie eine andere in die Toiletten!« brüllte der Komponist.
»No, no, no, no!« japste Miß Rex und führte ihr Spitzentuch vor den Mund. »Jo, jo, jo, jo!« erwiderte Viktor Grün.
»Wir finden ja keinen Ersatz mehr,« vermittelte ihr Partner, der froh war, wie stark seine Leistung von der der Miß Rex abstach.
Da griff Frida beherzt nach der Hand Viktor Grüns und sagte leise: »Ich!«
Grün wandte sich zu ihr um.
Die sah ihm fest in die Augen und wiederholte:
»Ich! – Bitte versuchen Sieʼs!«
Grün schwankte einen Augenblick. Dann rief er:
»Das Fräulein hier ist bereit, den Versuch zu machen.«
Alle wandten sich ihr zu. Günther sagte wie abwesend:
»Frida?«
»Wer sind Sie?« fragte der Direktor von der Bühne herab.
Aber Frida lief, statt zu antworten, die kleine Treppe zur Bühne hinauf, trat an die Rampe und rief dem Komponisten zu:
»Den Tanz!«
Der Komponist hob den Taktstock, die Musik setzte ein, und Frida tanzte mit einer Hingabe und einem Feuer, daß der Tanzmeister die Arme hochschmiß und vor Vergnügen abwechselnd von einem Bein auf das andere sprang.
Als der Tanz zu Ende war, brachen alle in lauten Beifall aus. Nur Miß Rex war verschwunden und kehrte nicht wieder. Frida spielte die Rolle weiter und riß alle mit sich fort.
»Nun?« fragte Viktor Grün nach Schluß des zweiten Aktes den Direktor. »Habʼ ichʼn Blick? Was sagen Sie zu meiner Schule?«
»Lieber Grün,« erwiderte der Direktor. »Mein Kompliment!« Dann ließ er Frida in sein Büro kommen, sagte ihr eine Menge Freundlichkeiten und mochte mit ihr einen Vertrag.
»Unter welchem Namen wollen Sie auftreten?« fragte er sie. »Frida Linke, das klingt nicht weiter anreizend.«
»Allmächtiger!« rief jetzt Frida und dachte zum ersten Male an ihren Vater. »Das ist ja unmöglich.«
Sie gingen eine Reihe von Namen durch. Auch Viktor Grün und den Komponisten zogen sie zu Rate und einigten sich schließlich auf Viccy Ury. Dann besiegelte eine Flasche Irroy, die der Direktor zum besten gab, den Pakt.
Günther saß inzwischen träumend vor dem geschlossenen Vorhang. Als Viktor Grün nach dem dritten Akt auf ihn zuging und zu ihm sagte:
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Ihre kleine Freundin hebt das ganze Stück,« da sah er ihn groß an, stand auf und fragte:
»Was an dem Stück ist eigentlich von mir?«
Viktor Grün hielt die Frage erst für einen Witz und lachte. Als Günther sie aber mit tiefem Ernst wiederholte, stutzte er erst einen Augenblick und erwiderte dann:
»Nun, das läßt sich schwer sagen.«
»Ich will es aber wissen.«
»Gefällt es Ihnen nicht?«
»Sie haben mich belogen.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Daß diese Operette nichts, aber auch nichts,« wiederholte er lebhaft, »mit irgend einem meiner Gedichte zu tun hat.«
Auch Frida und der Direktor standen jetzt neben ihm.
»Erlauben Sie ʼmal,« widersprach Viktor Grün.
»Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß ich zu dem Couplet »Muschi, kleine Muschi!« durch Ihr Gedicht angeregt worden bin.«
»Durch welches?« fragte Günther.
Viktor Grün dachte nach:
»Wie hieß es nur, dies reizende Gedicht? – Richtig, jetzt entsinnʼ ich mich!« – Und er deklamierte:
»Weich liegst du in seidenen Kissen,
Es fließt das lockige Haar
Dir über Stirn und Wange
Und über dein Augenpaar.«
Frida stutzte. – Günther schüttelte verständnislos den Kopf. Und als Viktor Grün den zweiten Vers suchte, über die erste Strophe aber nicht hinauskam, da deklamierte Frida weiter:
Unter dem Spitzenhemdchen,
Mit dem Duft deines Körpers getränkt,
Schimmern die weißen Brüste,
An die ich mich jubelnd gehängt.
Und meine Hände tasten
Zärtlich an dir empor —
Stille, heilige Stunde,
In der ich an dich mich verlor.«
»Sie kennen es?« fragte Viktor Grün.
Frida lachte.
»So also gehst du mit meinen Versen um!« wandte sie sich an Günther. »Und gibst sie als deine aus.«
»Ich verstehe gar nicht,« erwiderte Günther.
»Ich habe diese Verse niemals gesehen.«
»Aber Sie haben sie nach Angabe Ihrer Frau Mutter doch mit sich herumgetragen!« sagte Viktor Grün.
Günther wußte von nichts.
»Ihre Frau Mutter hat sie in der Tasche eines Ihrer Röcke gefunden und sie uns glückstrahlend überantwortet.«
»Da habʼ ich sie heimlich hineingesteckt!« bekannte Frida.
»Du?« fragte Günther erstaunt. »Warum hast du das getan?«
Da fiel ihm Frida ganz ungeniert um den Hals und rief:
»Weil ich dich lieb habe, Günther!«
Der Direktor und Grün verzogen den Mund und sahen sich an.
Günther ließ den Kopf sinken und sagte leise:
»Dann ist die Operette also von dir!«
Dreizehntes Kapitel
Der Dichter wider Willen
Als Günther am Nachmittag desselben Tages seiner Mutter auf das bestimmteste erklärte: »Ich mache den Schwindel nicht mit,« war Cäcilie, die ihre große Hoffnung zusammenbrechen sah, einer Ohnmacht nahe, berief noch für den Abend des gleichen Tages den Familienrat und zählte in bewegten Worten die moralischen und materiellen Schäden auf, die ein Rücktritt Günthers zur Folge haben würde.
»Nicht nur er, dessen Zukunft ich in eure Hände legte, würde der Lächerlichkeit verfallen, wir alle, die ›Neue Gesellschaft‹, die sich so laut für ihn eingesetzt hat, träfe das gleiche Schicksal. Ein Skandal ohne Beispiel wäre die Folge. Und das Stigma der Lächerlichkeit würde ihm zeitlebens auf die junge Stirn gedrückt, die, wenn es uns gelingt, ihn umzustimmen, morgen der Lorbeer des Dichters schmücken könnte.«
Diese letzten Sätze, die der Maestro ihr aufgesetzt hatte, las sie ab.
»Darüber, daß ein Rücktritt Günthers, sowie überhaupt alles, was geeignet ist, einen von uns bloßzustellen, koste es was es wolle, vermieden werden muß, darüber sind wir uns wohl alle einig,« sagte Leo.
»Ach!« seufzte Cäcilie. »Wenn es nur eine Frage des Kostenpunktes und mit Geld gutzumachen wäre! Aber das ist es nicht. Ich habe alles mit ihm versucht. Er ist nicht zu bewegen.«
»Wie wäre es,« sagte Alfred, der Assessor, »wenn man einen Arzt zu Rate zöge.«
Alle sahen auf.
»Was sollte der tun?« fragte der Oberlehrer.
»Nun,« erwiderte Alfred, »ohne Frage befindet sich Günther zur Zeit in einem Zustand seelischer Erregung. Das Examen, die bevorstehende Premiere, die Vorgänge bei der heutigen Probe, das alles sind Dinge, die auf ein an sich schon sensibles Gemüt nachteilig wirken müssen. Und wir dürfen nicht vergessen: Wir haben ja nicht nur über seinen geistigen und sozialen Aufstieg zu wachen, auch sein körperliches Wohl, das ja schließlich eine Vorbedingung seiner geistigen und sozialen Entwicklung ist, muß Gegenstand unserer Sorge sein. Ich meine daher, daß für Günther nach den Erregungen der letzten Zeit ein mehrwöchentlicher Aufenthalt in einem erstklassigen Sanatorium gut sein würde.« Alle verstanden. Es war daher überflüssig und plump, als Cäcilie aufsprang und rief:
»Großartig! In der Zwischenzeit ist alles vorüber und sein Ruhm begründet.«
»Auch das!« stimmte der Assessor bei, »wenngleich für diesen Entschluß natürlich nur Rücksicht auf die Gesundheit in Frage kommt.«
»Versteht sich!« sagte der Maestro, und die andern nickten mit den Köpfen. Nur der Oberlehrer äußerte Bedenken. Er sprach von der Durchsichtigkeit des Zwecks, von der Gewissenlosigkeit des Arztes, der sich dazu hergäbe, von Freiheitsberaubung und Verdrehung des Rechts, das in diesem Falle auf seiten Günthers sei.
»Sie sind ein Tollpatsch, mein Herr!« rief Fiffi, die ihn einst Theodor genannt hatte und seine Frau gewesen war, nun als Herausgeberin der »Mode zur Neuen Gesellschaft« aber eine Rolle spielte.
»Ich vertrete das Recht und appelliere an euer Gewissen!« erwiderte der Oberlehrer, ohne Fiffi eines Blickes zu würdigen.
»Schulmeister!« rief Fiffi grob. Und als der Professor überlegen den Kopf schüttelte und in aller Ruhe sagte:
»Ich sehe darin weder einen Vorwurf noch eine Beleidigung,« da sprang Fiffi auf und schrie wütend:
»Humanist!«
Cäcilie schwang die Glocke und sagte:
»Wenn ich auch deiner Meinung bin, so darf ich doch Kränkungen irgend welcher Art nicht dulden. Wir sind hier lediglich Mitglieder des Berndtschen Familienrats. Was der einzelne in seinem Privatleben für eine Stelle einnimmt, ist Nebensache.«
»Ich muß sagen,« erklärte Leo, »daß auch mir der Gedanke, Günther, der ein Bild strotzender Gesundheit ist, in ein Sanatorium zu sperren, nicht sympathisch ist.«
»Vielleicht, daß man doch noch zu den Gedichten gelangt, die nach seinen eigenen Angaben ja tatsächlich vorhanden sind,« vermittelte der Maestro. »Die bieten dann vielleicht eine Handhabe zu einem ärztlichen Eingriff. Gymnasiastenlyrik hat meist einen Einschlag ins Psychopathische.«
»Ich lehne jede Teilnahme an einem solchen Versuch ab,« erklärte der Oberlehrer.
»Der Geist des Familienrats verlangt Einmütigkeit,« forderte Cäcilie.
»Um sie nicht zu stören, erkläre ich meinen Austritt!«
»Bravo!« rief Fiffi.
»Worunter hoffentlich nicht die freundschaftlichen Beziehungen zwischen uns leiden,« warf Leo ein.
Professor Sasse überlegte. Im Nebenzimmer deckten die Diener die Tafel zum Abendessen. Auf den trockenen Gaumen des Oberlehrers zauberte das Klirren der Gläser den Geschmack des 93er Ducru Brauaire. Der herbe Zug um die Mundwinkel verschwand. Die Lippen bewegten sich. »Aber gewiß!« sagte er. »Ich gehe solange ins Bibliothekzimmer.«
Aber Alfred, der Assessor, widersprach.
»Entweder, Herr Professor, Sie erkennen den mit Dreiviertel-Mehrheit gefaßten Beschluß des Familienrats an und erklären sich mit uns solidarisch, oder Ihre Ideen kontrastieren so stark mit den unsrigen, daß Sie eine Gemeinsamkeit in dieser Form mit Ihrem Gewissen nicht vereinbaren können. Das hätte dann natürlich auch Folgen auf Ihre Tätigkeit in der Redaktion der »Neuen Gesellschaft«, für deren Solidarität ich mich verantwortlich fühle.«
Der Oberlehrer erschrak; er zog die Stirn in Falten, rückte den Kneifer gerade und sagte mit Pathos, das echt war und die Bewegtheit seines Gemüts zeigte:
»Meine Lebensaufgabe, den Humanismus gegen die Reformatoren, die das Gymnasium verschandeln wollen . . .«
»Gut!« brach der Assessor die Rede ab. »Wir kennen den Tenor.«
»Sie wiederholen ihn ja jede Woche in der »Neuen Gesellschaft«,« rief Fiffi.
»Sie haben lediglich zu entscheiden,« fuhr der Assessor fort, »ob Sie die Fortführung Ihres Kampfes und Fortsetzung Ihrer Tätigkeit in der ›Neuen Gesellschaft‹ Ihrem Eigensinn opfern wollen oder nicht.«
»Die Frage ist falsch gestellt!« erwiderte der Professor.
»Möglich. Aber sie trifft das Wesentliche. – Also bitte!«
Die Brust des Professors hob und senkte sich. Er führte die Hand an die Stirn. Jeder Nerv spannte sich. Die Artikel seiner Gegner zogen mit riesenhaften Lettern an seinem geistigen Auge vorüber. Dazwischen das Klirren der Gläser, das in seinem Fieber zu vollen Akkorden anschwoll. —
»Nein!« rief er. »Nein! Ich kann das Glück Hunderttausender nicht einem Einzelschicksal opfern. Ich unterwerfe mich! Beschließen Sie! Ich bleibe und unterwerfe mich!«
»Gut!« sagte Leo. »Aber ein Schritt, wie er hier vorgeschlagen wird, kann nur im alleräußersten Fall in Frage kommen. So etwas haftet einem Menschen doch an! Denkt doch, mit achtzehn Jahren in einem Sanatorium. Schließlich kommt er noch in den Ruf, anormal zu sein.«
»Das ist für einen Dichter die beste Empfehlung,« erwiderte der Maestro. »Irgend einen Defekt geistiger Art hat jeder irgendwie bekannte Schriftsteller.« Und als Zeugen berief er sich auf den Theaterdirektor. Der nickte mit dem Kopfe und sagte:
»Mir ist in meiner langen Praxis jedenfalls kein gegenteiliger Fall begegnet.«
»Dann ist es ja die höchste Zeit, daß man etwas dafür tut,« sagte Cäcilie.
Schließlich aber setzten sich doch Leos Bedenken durch. Es sollte, ehe man zum Äußersten griff, ein letzter Versuch gemacht werden, Günther umzustimmen.
Die nächste Frage lautete: wer war am ehesten dazu geeignet?
Der Vater, die Mutter, Fiffi, der Maestro – jeder nannte einen andern, bis der Direktor aufstand und erklärte:
»Das kann nur Frida Linke.«
Alle sahen auf und glaubten, falsch verstanden zu haben.
»Wie kommen Sie denn auf die?« fragte Cäcilie.
»Im übrigen ist sie krank!« erklärte der Assessor. »Und fehlt schon drei Wochen.«
Da enthüllte der Direktor die Wandlung Frida Linkes in Viccy Ury, die auf alle, besonders aber auf den Assessor, starken Eindruck machte.
Cäcilie übernahm es, mit ihr zu reden. Damit war die Tagesordnung erschöpft; der Schmaus begann. —