Kitabı oku: «Die neue Gesellschaft», sayfa 11
Vierzehntes Kapitel
Wie Frida mit Frau Berndt um die Smaragdbrosche kämpfte
Bevor Cäcilie aber zu Worte kam, redete Franz Linke mit seiner Tochter.
»Also, was hast du mir zu sagen?« fragte er sie, als sie spät nachmittags hastig und abgespannt nach Hause kam.
»Ich bin nicht mehr in der ›Neuen Gesellschaft‹!«
»Was soll das heißen?«
»Ich komme da nicht vorwärts.«
»Wie kannst du das wissen, wo du kaum vier Wochen da bist?«
»Ich weiß es.«
»Wenn du tüchtig bist und was leistest . . .«
»Darauf kommt es nicht an.«
»Du weißt nicht, was du sprichst.«
»Doch! Der Assessor sagt, tüchtige Mädchen gäbe es wie Sand am Meer. Aber so hübsche wie mich fände man selten.«
»Was hat das mit deiner Arbeit zu tun?«
»Nichts.«
»Nun also.«
»Aber mit meiner Karriere.«
»Inwiefern?«
»Danach mußt du den Assessor fragen.«
»Stellt er dir etwa nach?«
»Er bemüht sich.«
»Ist er aufdringlich?«
»Das gerade nicht. – Er ist sehr gewandt und macht es geschickt. Man kann ihm nicht beikommen.«
»Mädel, das redest du dir ein.«
»Ich fühlʼ das.«
»Nimmt er sich etwa Zärtlichkeiten heraus?«
»So plump ist er nicht.«
»Nun also?«
»Er macht es anders. Er hat seine Technik. Es fällt jede drauf ʼrein. Das heißt: ich nicht. Ich bin zu hell. – Und vor allem: ich weiß, was ich will.«
»Was willst du?«
»Einen andern.«
»Wen?«
Frida schüttelte den Kopf.
»Das sagʼ ich nicht, bis ich ihn habʼ.«
»Bist du toll? – So aus der Art zu schlagen! Keins meiner Kinder macht mir so viel Sorge wie du.«
»Du wirst noch einmal mit mir zufrieden sein.«
»Sprich nicht in Rätseln! Sagʼ mir, was du vorhast.«
»Fürs erste gehʼ ich ʼmal zur Bühne.«
»Das tust du nicht!«
»Ich bin schon!«
»Was bist du?«
»Bei der Residenzbühne. Ich spiele eine der Hauptrollen in Günthers Operette und bekomme dreihundertfünfzig Mark Gage.«
Linke erschrak.
»Du phantasierst.«
»Traust du es mir nicht zu?«
»Als wenn das ginge! Von heutʼ auf morgen! Und selbst wenn: das ist kein Beruf. Vor allem nicht für dich! Du bist schon nicht die festeste.«
Frida zeigte ihm den Vertrag.
»Und das machst du, ohne mich zu fragen?« rief er, als er ihn gelesen hatte.
»Ich wußte, daß du es mir nicht erlauben würdest.«
»Weißt du nicht, was für ein leichtsinniges Leben da herrscht?«
»Es ist überall dasselbe. Ob nun der Theaterdirektor oder der Bürochef hinter einem her ist, was ist da fürʼn Unterschied? Kurzweiliger ist es auf alle Fälle und verdienen tut man das Dreifache.«
»So? Und die Versuchungen, die da an einen herantreten? Das Zusammenhocken in den Garderoben. Und alle Abende fort! Und überhaupt, die ganze Atmosphäre. Und sich womöglich im Trikot den Leuten zeigen – hältst du das vielleicht für anständig und für solide?«
»Für unsereins schon.«
»Was soll das heißen?«
»Nun, wenn ich um Beispiel die Tochter von Berndts oder von irgend soʼm andern Millionär wäre, möglich, daß es sich dann vielleicht nicht schicken würde. – Aber so!«
»Bist du was Schlechteres? Kommtʼs auf die Millionen an?« fragte er wütend.
»Ich glaubʼ schon.«
»Dann bist du im Irrtum! Deine Ehre ist genau so viel wert wie die jedes Tiergartenmädchens, deren Vater Millionär ist.«
»Das machʼ mal Frau Berndt klar.«
»Die ist mir nicht maßgebend. Aber Frau Röhren, zu der gehʼ und die fragʼ!«
»Möglich, daß sie dir recht gibt. Sagen läßt sich sowas leicht und hört sich auch schön an. Aber in Wirklichkeit, da ist es meist anders.«
»Wie bist du überhaupt dazu gekommen?« fragte Linke, der noch immer den Vertrag in der Hand hielt.
»Das weiß ich selbst nicht. Das war wohl Instinkt. Und du wirst zugeben, daß es eine Dummheit wäre, wenn ich das Talent nicht ausnutzte.«
»Wir reden darüber noch,« erwiderte er und gab ihr den Vertrag zurück. »Aber glaubʼ ja nicht, daß mich das etwa glücklich macht. Im Gegenteil! Das paßt nicht zu uns.«
»Glaubʼ nur, Vater, du wirst noch deine Freude an mir haben,« sagte sie geheimnisvoll.
»Hast du etwa noch eine Überraschung?«
»Ja. Das heißt: nicht heutʼ und nicht morgen. Aber in ein paar Jahren.«
»Setzʼ dir nur nicht zu viel in den Kopf. Du denkst dir das alles leichter als es ist.«
»Ich meinʼ ja was andres«
»Was meinst du?«
»Günther.«
»Was ist mit ihm?«
»Hättest du etwas dagegen, wenn er und ich . . .« sie brach ab und sah ihn an.
»Was bedeutet das? Du willst doch nicht etwa —?«
»Doch, Vater, ich will! Und was ich will, das setzʼ ich auch durch. Das kannst du mir glauben.«
»Wie denkst du dir das?«
»Sehr einfach: ich machʼ ihn in mich verliebt. Das heißt: ich bin schon mitten dabei.«
»Und dann?«
»Das ist doch klar! Dann werde ich seine Frau.«
»Du bist verrückt! Das bildest du dir doch nicht etwa im Ernst ein?«
»Doch! doch!« fuhr sie in Linkes Tonfall fort. – »Ich bin genau so viel wert wie jedes Tiergartenmädchen, deren Vater Millionen hat.«
Linke war im ersten Augenblicke platt. Frida traf ihn mit seiner eigenen Argumentation. Dann bekam er einen roten Kopf und fuhr auf:
»Du bist nicht bei Sinnen! In dir, da verdrehen sich alle Begriffe. Du bist wie aus einer andern Welt! Als wenn du gar nicht zu uns gehörtest! Aber das bittʼ ich mir aus, den Günther, den läßt du aus dem Spiele! Der geht dich nichts an.«
In diesem Augenblick klopfte es an die Tür und Cäcilie trat, ehe Linke noch »herein« sagte, ins Zimmer.
»O wie gut, daß Sie da sind, Frida! Ich muß mit Ihnen reden,« rief sie außer Atem.
»Da haben wirʼs!« dachte Linke und sagte:
»Ich kann mir schon denken, gnädige Frau! Ich rede gerade deswegen mit meiner Tochter. Ich bin außer mir: aber man kann seine Augen eben nicht überall haben.«
»Also setzen wir uns!« sagte Cäcilie, nahm Frida bei der Hand und zog sie mit sich zur Chaiselongue.
»Und Sie, Linke, bleiben hier. Es ist ganz gut, wenn Sie Bescheid wissen.«
»Ich weiß leider schon!« sagte er ernst.
»Umso besser! – Ja, ja, man hat es nicht leicht. Je größer die Kinder, umso größer die Sorgen!«
Dann wandte sie sich an Linke: »Das heißt, Sie können sich nicht beklagen.«
»Gewiß nicht!« erwiderte Linke. »Bis auf die jüngste« – und er wies auf Frida —, »habe ich nur Freude mit meinen Kindern.«
»Was heißt das?« fragte Cäcilie. »Grade auf Frida können Sie stolz sein. Denken Sie, die Karriere! Von der Schreibmaschine weg, mitten in die Kunst hinein! Wozu andere Jahre brauchen. Der Direktor sagt zwar, man könne sich noch kein abschließendes Urteil bilden, weil ihr die Rolle zweifellos besonders liegt. Er meinte sogar: Mein Sohn habe sie ihr direkt auf den Leib geschrieben.«
Linke sah sie groß an.
»Man nennt das so in der Bühnensprache,« fuhr sie fort. »Na, jedenfalls, was von uns geschehen kann, geschieht! Die ›Neue Gesellschaft‹ wird sich ganz besonders für Ihre Tochter einsetzen. Der Maestro schreibt selbst die Kritik. Es braucht natürlich niemand etwas von Ihrer Provenienz zu wissen. Da Sie sich Viccy Ury nennen – ich hätte mir an Ihrer Stelle ja lieber einen adligen Namen zugelegt – wird auch niemand auf den Gedanken kommen. daß Sie in Wahrheit Frida Linke heißen und die Tochter eines Do . . . .«
Linke räusperte sich.
»Nun, sagen wir ʼmal,« verbesserte sich Cäcilie, »immerhin doch dienenden Standes sind.«
»Darauf pfeifʼ ich!« sagte Frida . . . »Wem ich gefallen will, dem gefallʼ ich. Und wer sich in mich verliebt, der nimmt mich auch, wenn er weiß, daß ich Frida Linke heiße.«
»Ich sage Ihnen, Linke, Ihre Tochter ist geschaffen für den Beruf! Passen Sie auf, die macht bald ihr Glück!«
»Ich setzʼ schon durch, was ich will!«
»Sie hat recht, bei einer Künstlerin, da fragen die Männer nicht viel. Da drücken sie ein Auge zu – und wenn es sein muß, zwei.«
»Mir liegt an solchen Männern nichts!« sagte Linke
»Sie werden nichts dagegen haben, wenn sie eines Tages Frau Gräfin wird.«
»Ich werdʼ mich nicht freuen,« erwiderte Linke.
»Mir ist es lieber, sie kommt hin, wo sie hingehört. Art zu Art. Das ist schon immer das beste.«
»Nun, das wird sich alles finden. Hauptsache ist fürs erste ʼmal der Erfolg. Und vor allem: daß uns der Autor nicht das Konzept verdirbt.«
»Was bedeutet denn das?« fragte Frida
»Daß mein Sohn Günther künstlerische Bedenken hat, der Operette seinen Namen zu geben.«
»Quatsch!« platzte Frida heraus. Gleich darauf erschrak sie, und Linke warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Aber Cäcilie fand nichts dabei:
»Das sagen Sie!« erwiderte sie ruhig. »Aber ich als Mutter habe die Pflicht, über den Ruhm meines Sohnes zu wachen. Er kann in ein paar Jahren ein berühmter Mann sein. Was glauben Sie, was das heißt, bei unsern Mitteln! Wir können ihn in der ganzen Welt propagandieren.«
»Propagieren,« verbesserte Frida.
»Meinetwegen auch das!« sagte Cäcilie. »Mir ist schon alles gleich. Wenn er nur nachgibt und sich nicht vom Zettel streichen läßt.«
»Man muß mit ihm reden,« meinte Frida.
»Das tue ich seit vierundzwanzig Stunden ununterbrochen. Mir tut schon der Hals weh. Ich habe ihm alles Mögliche versprochen, wenn er nachgibt. Aber er will nicht. ›Und wenn du mir das Blaue vom Himmel herunterholst‹, hat er geantwortet, ›ich tue es doch!‹ »
Frida überlegte einen Augenblick. Dann sah sie Cäcilie groß an und sagte:
»Und was bekäme ich?«
»Wenn es Ihnen gelänge? Frida! Das wäre ein Glück für uns alle! Glauben Sie, daß Sie es fertig bringen? Ich will ganz offen sein: darum habe ich mich nämlich hier herunter bemüht, um Sie darum zu bitten.«
»Ich wäre auch zu Ihnen heraufgekommen, wenn Sie mich hätten rufen lassen.«
»Das ist wieder ʼmal durchaus nicht die richtige Form,« tadelte Linke. »Hier weiß man ʼmal wieder gar nicht, wer eigentlich die Gnädige ist.«
»Gott ja!« wehrte Cäcilie ab. »Ich weiß ja, ich vergebʼ mir was. Aber es steht doch so viel auf dem Spiele. Also« – wandte sie sich wieder an Frida —«wollen Sieʼs tun?«
»Sie sind mir noch eine Antwort schuldig, gnädige Frau!«
»Ach so! Ja! Natürlich! Also, was fordern Sie?«
»Was ist es Ihnen wert?«
»Frida!« sagte Linke vorwurfsvoll.
»Laß nur, Vater! Wir verstehen uns schon. Und es hört ja niemand. Also?« wandte sie sich wieder an Cäcilie.
»Verlangen Sie!« erwiderte die.
Frida, die schon seit ein paar Minuten Cäcilie sehr genau beobachtet hatte, trat jetzt einen Schritt auf sie zu und wies mit der schlanken Hand auf eine wertvolle Smaragdbrosche, die Cäcilie sonst nur des Abends trug – und auch dann nur, wenn »die Gäste sich lohnten«. Heute aber hatte sie die Brosche – wie man eine Fahne heraussteckt – als äußeres Zeichen der Freude über das bestandene Examen angelegt.
Cäcilie glaubte, sie treffe der Schlag. Sie legte, wie zum Schutze, die fleischige Hand auf die Stelle, wo die Brosche steckte, und rief im selben Augenblick, in dem Linke vorwurfsvoll sagte:
»Aber Frida! Was nimmst du dir heraus!«
entsetzt:
»Nein! nein! Um nichts in der Welt gebʼ ich die Brosche ʼraus. Die nicht! Jede andre! Da!« – Sie zog hastig einen Ring vom Finger. »Den Ring können Sie haben! Ein Prachtstück! Sehen Sie nur die Brillanten. Leo hat ihn mir um dreitausend Mark auf einer Auktion gekauft. Das heißt unter der Hand! Er ist in Wirklichkeit fünf wert. Da, nehmen Sie!« – Und sie hielt Frida erregt und zitternd den Ring hin.
Frida lächelte und sagte:
»Nein!«
Dabei ließ sie keinen Blick von Cäciliens Hand, die schon wieder schirmend die Brosche bedeckte.
»Hier!« rief Cäcilie, und streckte Frida die linke Hand hin. »Nehmen Sie alles, was ich hier an den Fingern habe. Ziehen Sie sie ab, einen Ring nach dem andern! Jedes Stück ist ein paar Tausend Mark wert.«
»Das ist ja unmöglich!« rief Linke. »Gnädige Frau! Das geht ja nicht!« »Sagen Sieʼs ihrer Tochter, daß es nicht geht!« bettelte Cäcilie. »Daß ich die Brosche nicht geben kann. Ich ruinierʼ mich ja!«
»Gehʼ hinaus!« befahl Linke.
»Nein!« schrie Cäcilie. »Bleiben Sie!«
»Ich befehle hier!« sagte Linke bestimmt und wies zur Tür.
Frida überlegte einen Augenklick, dann maß sie Cäcilie noch mit einem langen Blick und ging auf die Tür zu.
Cäciliens ganzer Körper war in Bewegung
»Großer Gott!« rief sie, »was tuʼ ich nur?« Frida legte eben die Hand auf die Klinke – langsam und behutsam.
Da löste Cäcilie mit zitternden Händen die Brosche von ihrem Kleide, stürzte auf Frida zu, rief:
»Da! – da! – Haben Sie – sie!« – drückte sie ihr in die Hand, heulte wie ein geschlagenes Tier laut auf und lief hinaus.
Auch Frida ging jetzt schnell mit ihrer reichen Beate aus dem Zimmer.
Linke starrte ihr nach und rief:
»Großer Gott! Wie komme ich nur zu so einem Kinde!«
Fünfzehntes Kapitel
Weshalb Günther nachgab
Aber auch Frida richtete mit ihren Bitten nichts bei Günther aus. Alles was sie erreichte, war eine Bedenkzeit bis zum nächsten Morgen.
»Dazwischen also liegt eine lange Nacht!« dachte sie. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf! Sie erwog alle Möglichkeiten. Bis zur letzten dachte sie alle durch. Diese letzte verwarf sie. – Und beschloß endlich, aufzubleiben und zu warten, bis er abends nach Haus kam.
Sie wußte, er war bei Röhrens. Zwar: wenn er von Röhrens kam, war er zu ihr nicht gerade am nettesten, sagte kaum: gute Nacht, schützte Müdigkeit oder Arbeit vor, eilte hinauf in sein Zimmer, wo dann meist noch stundenlang Licht brannte – während er sonst gern noch ein Weilchen mit ihr im Garten saß, plauderte, lachte, sich von ihr erzählen, wohl auch die Hand drücken und über die Stirn fahren ließ. Ein paarmal hatte er ihre Hand sogar festgehalten, den Arm um sie gelegt und sie herzhaft auf den Mund geküßt. Aber, war das geschehen, dann ging er ihr die nächsten Tage, wo er konnte, aus dem Wege und sah, wenn sie ihm doch über den Weg lief, scheu zur Erde, als wenn er sich etwas vorzuwerfen hätte.
Frida legte das falsch aus: Sie hielt es für Schamhaftigkeit und Scheu und dachte wohl auch, daß in seinem Unterbewußtsein ein wenig Zuneigung dabei im Spiele sei. —
Günther wurde heute bei Röhrens laut gefeiert. Alle beglückwünschten ihn zum Examen. Vor allem fragten sie voller Interesse nach der Operette, wollten von dem Verlauf der Proben, von der Besetzung, von dem Leben hinter der Bühne und den Aussichten des Stückes hören. So lernte er zum ersten Male das Glück kennen, Mittelpunkt eines Kreises zu sein, der ihn bisher kaum beachtet und nie für voll genommen hatte.
Als wenn sie sich mühten, ein an ihm begangenes Unrecht gutzumachen, so setzte jetzt jeder seinen Ehrgeiz darein, ihm ein paar anerkennende Worte zu sagen.
»Mit Ihren Jahren auf einer Berliner Bühne, lieber Herr Berndt,« sagte ein junger Assessor, der ihn bisher nie eines Blickes gewürdigt hatte, »alle Achtung! Sie könnenʼs noch weit bringen!«
Und das schöne Fräulein Margot, auf der stets aller Augen ruhten, wich nicht von seiner Seite.
»Sie sind der einzige Herr, mit dem man sich unterhalten kann,« sagte sie; »die andern sind alle trivial. Überhaupt Gesellschaften! Für tief angelegte ʼ Naturen gibt es doch nur ein gutes Buch oder« – und dabei schlug sie die schönen Augen zu ihm auf – »Theater!«
»Sie lesen viel?« fragte Günther.
»Alles!« erwiderte sie stolz.
Als die Musik zu einem Walzer einsetzte und der Tanzmeister rief: »Damenwahl!« – stürzten sämtliche jungen Mädchen nach der Richtung, in der Günther stand. Aber die schöne Margot, die noch von der letzten Polka her neben ihm stand, nahm ihn unter den Arm und schmeichelte:
»Nicht wahr, Herr Berndt, Sie machen mir das Vergnügen?«
Und während alle anderen Paare drei-, viermal während des Walzers ihre Tänzer wechselten, gab die schöne Margot Günther erst beim letzten Takte frei. Und auch da noch sagte sie: »Schade!«
Und als er sie zu einem der nächsten Stühle führte, flötete sie mit einem eigentümlichen Klang in der Stimme:
»Nicht wahr, Herr Berndt, Sie besuchen uns? Meine Eltern würden sich freuen.«
Günther verbeugte sich, dankte und sagte zu.
Und ehe sie sich setzte, schlug sie noch einmal die Augen zu ihm auf und sagte unvermittelt:
»Wir gehen im Frühjahr nach Locarno.«
»Es soll sehr schön da sein!« erwiderte er arglos.
»Sehr!« gab sie zur Antwort. Und während sie der Aufforderung des Assessors zum nächsten Tanze folgte, flüsterte sie Günther zu:
»In Locarno also!«
Und ähnlich erging es ihm an diesem Abend mit allen andern. Jeder gab in andrer Form dem Wunsche Ausdruck, die flüchtige Bekanntschaft mit ihm zu vertiefen.
Es war gegen Ende des Abends, als er mit Suse Röhren ins Gespräch kam.
»Ich freuʼ mich auch,« sagte sie. »Aber ich wünschte, es wäre erst vorüber.«
»Meinen Sie die Operette?« fragte Günther.
Sie sah ihn an und staunte.
»Was wohl sonst? Meine Eltern gehen auch hin. Überhaupt, wo man hinhört, wird davon gesprochen. Wenn Sie nur nicht durchfallen, Günther«
»Es würde mir schaden, nicht wahr?«
Sie sah ihn an.
»Es täte mir leid. Aber Sie dürften es sich nicht zu Herzen nehmen. Es braucht ja nicht gleich beim ersten Male der große Erfolg zu sein.«
»Sie meinen . . .«
»Nun, daß es dann vielleicht beim zweiten Male besser geht.«
»Und wenn ich überhaupt darauf verzichten würde, wenigstens diesmal mit meinem Namen hervorzutreten?«
»Aber nein! – Und dann, wo es doch jetzt jeder weiß.«
»Ich könnte sagen, daß die Hauptarbeit nicht ich gemacht habe.«
»Erstens würde man es nicht glauben. Und dann würde es dem Stück und vor allem Ihnen persönlich schaden.«
»Glauben Sie?«
»Ich bin überzeugt.«
»Was würde man davon halten?«
»Darf ich es sagen?«
»Bitte!«
»Aber Sie dürfen nicht böse sein.«
»Gewiß nicht.«
»Ich glaube, Sie würden sich damit lächerlich machen.«
Günther fuhr zusammen.
»Und Sie, Fräulein Suse, was wäre mit Ihnen?«
»Es würde mir weh tun.«
Andere kamen hinzu, und sie sprachen wieder von gleichgültigen Dingen.
Als sich Günther verabschiedete, sagte Suse:
»Das war doch vorhin nur so ein Gedanke von Ihnen?«
Günther schüttelte den Kopf.
»Dann versprechen Sie mir, daß Sie es nicht tun.«
Und Günther, der wußte, daß er für diese Welt, die sich ihm eben erschloß, für immer erledigt war, wenn er den Weg ging, den ihn das Gewissen wies, gab Suse die Hand und versprachʼs.
* * *
Es war Mitternacht, als er nach Hause kam. Frida stand am Fenster und erwartete ihn. Als er die Gartentür aufschloß, kam sie ihm entgegen.
»Du noch auf?« fragte er. »Es ist ja Nacht.«
»Und wenn du bis zum Morgen fortgeblieben wärst, schlafen kann ich doch nicht, ich hätte gewartet.«
Er sah sie an.
»Nun?« fragte sie lebhaft.
Er nickte.
»Ich habʼ es mir überlegt,« sagte er, »mein Name bleibt.«
»Günther!« jubelte Frida laut und fiel ihm um den Hals.
Er faßte sie um die Knöchel und machte sich frei.
»Laß das!« sagte er scharf, ließ sie stehen und lief ins Haus.
Frida stand verblüfft und sah ihm nach.
»Mir zuliebe tut er es nicht!« sagte sie laut und ballte die Fäuste.
Als sie wieder in ihrem Zimmer war, holte sie die Smaragdbrosche hervor und steckte sie an. Dann trat sie vor den Spiegel. Strahlend betrachtete sie sich. Und in ihrem Glück dachte sie nicht mehr darüber nach, wem zuliebe Günther seinen Entschluß wohl geändert haben könnte. —
Sechzehntes Kapitel
Wie Günther mit Viktor Grün seine nächste Operette schrieb
Die Operette hatte den üblichen Erfolg, und die Jugend des Textdichters, die durch kostspielige Propaganda geschickt genutzt wurde, verhalf ihr zu jener Sensation, ohne die sich keine Operette heute mehr auf dem Spielplan hält. Cäcilie ließ sich den Ruhm ihres Sohnes etwas kosten.
Fast alle illustrierten Zeitungen brachten Günthers Bild. In der »Neuen Gesellschaft« bekannte sich der Maestro als Entdecker des jungen Dichters, dem er eine große Zukunft prophezeite. Schon war die Rede von weiteren Werken. Komponisten rissen sich um die Vertonung, Theaterdirektoren um die Erstaufführung.
Günther zog sich von allem zurück und ging auf ein paar Wochen in die Berge. Er hatte nur einen Wunsch, sich vor sich selbst zu rehabilitieren. Das war nur dadurch möglich, daß er ein Werk schrieb, das ausschließlich von ihm war. Er saß jeden Tag zehn Stunden in seinem Hotelzimmer und schrieb. Statt einer Operette wurde es ein soziales Drama. Er las es Frida vor. Die meinte:
»Keine Rolle für mich! Und außerdem langweilig.«
Er gabʼs dem Maestro zu lesen.
Der raufte sich sein Künstlerhaar, gab ihm das Manuskript zurück und sagte:
»Um Gotteswillen; das ist ja schrecklich! Leute Ihrer Sphäre mit sozialen Anwandlungen gehören ins Sanatorium, aber nicht auf die Bühne. Bekämpfen Sie das ja rechtzeitig, damit es sich nicht festsetzt und zur fixen Idee wird. Das sind Kinderkrankheiten, die in Ihren Kreisen neuerdings epidemisch auftreten. Wenn Sie – was ich nicht einsehen kann – durchaus den Wunsch haben, an Ihrem nächsten Stücke mitzuarbeiten – in Gottes Namen, ich will mit Viktor Grün sprechen. Aber ich sage Ihnen gleich: er wird nicht entzückt sein.«
Und Viktor Grün war es in der Tat nicht.
»Denken Sie, ich habʼ meine Zeit gestohlen?« rief er, als der Maestro ihm Günthers Wunsch unterbreitete. »Das hält nur auf! Lassen Sie den jungen Mann seinen Ehrgeiz wo anders austoben als ausgerechnet in der Operette. Er soll froh sein, wenn er damit nichts zu tun hat. Reden Sie ihm das aus! Er denkt sich am Ende, das sei eine anregende Arbeit oder gar Kunst. Sagen Sie ihm, das ist ein Handwerk wie jedes andere. Nun ja, ein gutes Gedächtnis gehört dazu, aber die Hauptsache sind doch Uhr und Schere.«
Der Maestro berichtete Günther wortgetreu. Der aber bestand darauf. Und am nächsten Tage machte er sich zu Viktor Grün auf den Weg. Der hatte daraufhin, wovon Günther nichts wußte, seine Honoraransprüche erhöht.
»Also,« empfing er Günther, »statt die schöne Studentenzeit zu genießen, haben Sie sich in den Kopf gesetzt, mich hier bei der Arbeit zu stören! Nett ist das nicht von Ihnen!«
Günther widersprach sehr lebhaft. Und Viktor Grün erkannte, daß dagegen nicht anzukämpfen war.
»Gut!« sagte er. »Gehen wir an die Arbeit! Bitte!« und er bat ihn, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
Auf dem Tische lagen illustrierte Zeitungen, eine Unmenge Textbücher, eine Uhr, eine Papierschere, eine Tube Klebestoff, leeres Papier und zahllose Bleistifte.
Viktor Grün schob ihm die Schere hin.
»Also, fangen wir an!« sagte er.
Günther nahm die Schere auf und fragte erstaunt:
»Was soll ich denn damit?«
»Wir müssen zunächst doch ʼmal die drei Paare haben.«
»Was für Paare?«
»Na, die üblichen Operetten-Paare, die die Handlung machen, Couplets singen und sich im dritten Akte kriegen. Sie haben aber wirklich keine, Ahnung.«
»Ja . . . aber?« fragte Günther ganz ängstlich. »Wenn wir sie vor uns liegen haben und sie je nach Bedarf und Zeit auftreten und abtreten lassen können, so vereinfacht das enorm. Also los! Schneiden Sie irgend eine Frauensperson da aus! – So! – Nun schreiben Sie ʼrauf: Erste Soubrette! – Gut! Geben Sie her! – Nu ihr Partner. Da haben Sie ja soʼn Onkel.«
Günther sah ihn hilflos an.
»Na, worauf warten Sie denn? Der paßt doch bildschön! – So! – Schreiben Sie ʼrauf: Tenor. – Na, also, Sie sind ja gar nicht so unbegabt! – Und nun das zweite Paar – die zweite Soubrette. – So, und jetzt kommt ihr Bariton. Nun schnell noch die komische Alte und ihren Partner! – Famos!« —
Viktor Grün legte alle sechs Figuren ausgebreitet auf den Tisch. – Dann blätterte er in den Textbüchern. – »Hier! Das wäre zum Beispiel was! ›Die schöne Galathee‹. Das kennt zwar jeder, aber umso besser: Wiedersehn macht Freude. Wir ändern natürlich den Trick. Die Mühe muß man sich schon machen. Eine Büste, wie hier, kannʼs nicht sein, die zum Leben erwacht. Also, was kann außer einer Büste noch erwachen? Strengen Sie Ihre Phantasie ʼmal an.«
Dann stand er auf.
Günther saß noch immer, die Schere in der Hand, vor dem Tisch. Nicht fähig, einen Gedanken zu fassen, sah er bald auf die Puppen, die da ausgebreitet lagen und darauf warteten, daß sie von Viktor Grüns Gnaden zum Leben erweckt, tanzen und singen und alle möglichen anderen Allotria treiben durften. Dann wieder sah er zu Viktor Grün auf, der jetzt, mit aufeinander gebissenen Lippen und hochgezogener Stirn, mit großen, schweren Schritten durch das Zimmer stampfte und laut dachte:
»Also, was kann noch erwachen? Ein Scheintoter. Natürlich! – das läge am nächsten. Aber, wo ist da der Witz? Und Witz muß sein. Ohne den gehtʼs nicht. – Ein Bild! – Nicht übel! Was meinen Sie? Hm. Die Ähnlichkeit ist zu groß Büste – Bild, da hakt die Kritik ein. Die Brüder kommen auf alles. – Also – ʼmal anders ʼrum!«
Er trat an den Tisch heran und sah sich die Puppen an.
»Hm. Am besten natürlich, die erste Soubrette.« Er legte das Bild in die Mitte des Tisches, beugte sich darüber und starrte es an. »Bild – Büste – Mm. . . – Prachtvoll!« rief er plötzlich. – »Natürlich! Eine Mumie! Was sagen Sie dazu? Ist die Idee nicht grandios? Eine Mumie, die zu gesund tausend Jahre geschlafen hat und nun erwacht – für einen Abend! Na, wenn das kein Schlager wird! So ʼne olle Ramsestochter, die plötzlich in die moderne Welt versetzt wird. – Also das Stück ist fertig! Nu noch ein paar Couplets. Die kramen wir heraus!« – Dabei wies er wieder auf den Berg von Textbüchern. – »Und dann den Text. Aber nur nicht zu viel. Je weniger, umso besser. Und dann immer nur als Verbindung von einem Couplet zum andern.« – Er setzte sich wieder an den Tisch, nahm Bleistift und Papier und schob die Uhr heran.
»Also zehn nach acht bis viertel, halb elf, das sind hundertfünfundzwanzig Minuten, davon gehen ab: erste Pause fünf, zweite Pause fünfzehn, also zwanzig Minuten, bleiben hundertfünf. Durch drei Akte, macht pro Nase . . . ich meine pro Akt: fünfunddreißig Minuten. Pro Akt zwei Couplets, macht zwanzig, Auftrittslied, Finale, bleiben für den Text pro Akt fünfzehn Minuten. Also geschehen darf nicht viel, da wir viel Witze hineinnehmen« – er zog ein dickes, vollgeschriebenes Heft aus der Tasche und blätterte darin – »ich denke mir so acht bis zehn auf den Akt, lauter gute erprobte Sachen, – so muß man pro Akt mindestens sieben bis acht Minuten auf die Lachpausen rechnen. Hm! na, schön! – Wo soll se also nu erwachen, die Mumie? – Im Museum! Während irgend soʼn verrückter Engländer in ihre Betrachtung versunken ist, weil se zwei Sterne im Bädeker hat? . Was meinen Sie? Der ist so begeistert, daß er sie fürʼ schweres Geld erwirbt. Am Ende während der Fahrt über den Kanal? Was meinen Sie, wenn man so tausend Jahre eingepökelt gelegen hat, und plötzlich kitzelt einem die frische Seebrise um die Nase. Die Luftveränderung! Ich sage Ihnen, das ist noch nicht mal ʼn Wunder, wenn da selbst ʼne Mumie wieder zu sich kommt. Und dann das Leben da auf soʼm Ozeanschiff! Ich sage Ihnen, das ist eine Idee, das gibt Stoff für ein Dutzend Operetten. Von der Idee, da mausen die Operettendichter noch nach hundert Jahren bei uns!«
Er ging ans Telephon, nahm den Hörer ab und ließ sich mit dem Direktor der Residenzbühne verbinden.
»Also, Direktor, ich gratuliere! Die Operette ist so gut wie fertig! – Ich sage Ihnen, das wird ein Weltschlager. – Sie können die Proben für übermorgen ansetzen. Was noch fehlt, das bißchen Dialog, das machʼ ich am besten auf den Proben. – Auf Wiedersehen abends! Prost! äh. . . Adieu wolltʼ ich sagen.«
Dann ging er an den Tisch zurück.
»So! Das wäre die Operette! Das heißt, wegen der Gesangstexte, da müssen wir schon noch eine halbe Stunde drauf verwenden. Wie istʼs, paßt es Ihnen morgen?«
»Nein!« sagte Günther, obschon er nichts vorhatte.
»Na, das tut nix,« erwiderte Viktor Grün.
»Ihr Gewissen ist nun hoffentlich beruhigt und Sie überlassen das mir.«
Günther stand auf, reichte Viktor Grün flüchtig die Hand und ging.
In der nächsten Nummer brachte die »Neue Gesellschaft« in Sperrschrift die Notiz:
»Günther Berndt, dessen Operette ›Die fesche Samoanerin‹ nach ihrem Berliner Erfolg von über vierzig Bühnen zur Aufführung erworben wurde, ist mit einer neuen Bühnenarbeit beschäftigt, die ihrer Vollendung entgegengeht.«