Kitabı oku: «Teufel Marietta», sayfa 6
Um ein Uhr lunchten sie zu dritt im Hotel – und zwei Stunden später führte sie ihre beiden Freunde in den Juwelierladen, der in der Nähe des Hotels lag. Sie wählte sich mit viel Geschmack einen Ring. Es war eine Perle, die sich zu beiden Seiten innig an je einen Brillanten schmiegte.
»Wird der Preis recht sein?« fragte der Juwelier.
»Aber selbstverständlich!« erwiderte Amély, und wies auf ihre Begleiter: »Jeder der Herren zahlt die Hälfte!«
Joseph! dir fällt was ein!
Eine Groteske
Erstes Kapitel
Dichters Auszug
Kam man vom Müggelsee her und ging man die breite Chaussee entlang, die von Friedrichshagen nach Cöpenick führt, dann sah man, wenn es der Zufall wollte, an einer alten Kastanie ein kleines Schild. Trat man nahe heran, so las man: »Achtung! Lebensgefahr!! Blindschleichen!!!« Man wich unwillkürlich ein paar Schritte zurück, rief seinen Hund, der ahnungslos vorauseilte, nahm die Kinder an die Hand und ging auf der andern Seite der Chaussee in den Wald hinein. Und in dem Gefühl, einer ernsten Gefahr entrückt zu sein, genoß man um so freier die reine Luft, der Wald und See Kraft und Klarheit gaben.
Stieg aber doch mal ein beherzter Junge, der auf Blindschleichen jagte, mit angehaltenem Atem und klopfendem Herzen in der Richtung des Schildes in den Wald hinein, so lief er zwar nicht Gefahr, von einer giftigen Otter gebissen zu werden, wohl aber rannte er, wenn er sich, den Blick achtsam zur Erde gerichtet, ein paar hundert Schritte in dem Gehölz vorwärts gepürscht hatte, unfehlbar mit dem Schädel an eine Mauer. Und Beule und Schmerz sagten ihm, daß diese Mauer nicht von Pappe war.
Wenn aber selbst dieser sinnfältige Eindruck noch nicht genügte, wen Abenteuerlust und Neugier trotzdem weiter trieben, der stieß ein paar Meter weiter an ein Portal, das fest verrammelt war und an dem eine Tafel mit der Aufschrift hing: »Willst du deinen letzten Gang tun, so tritt ein. Erst aber prüfe dich, ob du daheim alles gerichtet hast.« Und darunter hing ein Klingelzug, dessen Knopf der wahrhaftige, grinsende Schädel eines Menschen war.
War es eine Satanssekte, die hinter diesen Mauern hauste? Oder hatte gar der Teufel leibhaftig hier sein Quartier aufgeschlagen?
Ach nein! Erich Hannes Merker der hinter diesen Mauern lebte, war weder der Teufel noch einer seiner Jünger. In weißseidener Pyjama saß er in einem Korbsessel auf der halbverdeckten Veranda und machte Verse. Erich Hannes Merker war ein deutscher Dichter, der die Einsamkeit liebte.
Es kannte ihn niemand. Und er tat auch nichts, damit sein Name unter die Menschen kam. Da die Vorsehung ihn mit einer reichen Rente bedacht hatte, so konnte Erich Hannes Merker sich diesen Luxus gestatten. Ihm war das Dichten Selbstzweck, und auf seinem Exlibris standen die Worte des Horaz: Odi profanum volgus et arceo. – Daher grübelte er auch nicht darüber nach, wann wohl seine Zeit kommen werde. Er glaubte an sich; und das genügte ihm.
Doch das stimmt nicht ganz. Einer gewissen Resonanz bedarf selbst der in sich gekehrteste Dichter. Also auch Erich Hannes Merker. Und er fand sie in der jungen, schlanken Margot, die nicht grade seine Frau war, die man aber dafür halten konnte, obgleich sie nur für ihn bedacht und besorgt – und ihm treu war.
Margot liebte Erich Hannes Merker um seiner selbst willen, liebte ihn wie nur Frauen lieben. Zwar wußte Margot, daß tief im Unterbewußtsein ihres Dichters Sehnsüchte nach Ruhm und Anerkennung schlummerten; aber sie tat nichts, um sie zu wecken. Denn Margot war nicht nur schlank und blond, sie war auch ein Berliner Kind und sagte sich, daß der Ruhm seine Liebe nicht grade befestigen würde. Und so war es denn von ihr nicht ganz selbstlos, wenn sie ihn in seinem Drang nach Abgeschlossenheit und Ruhe noch bestärkte.
Das sehr hübsche, schlanke, junge Fräulein Margot also stand in einem schneeweißen Batistkleidchen, kurzem Rock, weißen Schuhen und seidenen Strümpfen in dem Frühstückszimmer neben dem für Erich gedeckten Kaffeetisch. Über die große Veranda, die die ganze Südseite der Villa einnahm und in den Garten führte, schien die Morgensonne ins Zimmer.
Margot stand über den Tisch gebeugt und schälte mit peinlicher Sorgfalt einen Apfel, zerschnitt ihn in kleine Stücke, die sie sorgsam auf einen Teller verteilte.
Irgendwer öffnete behutsam die Tür und auf den Zehen schlich, zwei Zentner schwer, Masseur Kluge durch’s Zimmer.
»Es fehlen noch sechs Minuten an acht,« flüsterte Margot und wies auf eine alte Uhr, die auf dem Kamin stand.
»Ich lasse das Badewasser ein, bevor ich Herrn Doktor wecke,« flüsterte Kluge zurück und glich, wie er da mit seinem Riesengewicht noch immer auf den Zehen wippte, der Karikatur einer Tänzerin.
»Aber bitte, recht leise,« bat Margot! »Sie wissen, es verstimmt ihn für den ganzen Tag, wenn er vor der Zeit aufwacht.« – Und als der Masseur bis zur Tür war, flüsterte sie ihm noch zu – »und dann bitte: allmählich. – Sie wissen . . .«
»Seien Sie unbesorgt,« erwiderte Kluge, »ein Pfund jede Woche! mehr hole ich dem Herrn Doktor nicht herunter.«
»Es ist nur, damit seine Nerven nicht darunter leiden,« meinte Margot.
»Ich versteh schon,« sagte Kluge, »Fräulein können sich auf mich verlassen; ich schone die Kräfte des Herrn Doktor.«
Margot sah verlegen zur Erde.
»So war das nicht gemeint,« sagte sie, und Kluge schwebte aus dem Zimmer.
»Haben Sie mit dem Leiermann gesprochen?« fragte Margot den alten Diener, der unhörbar eingetreten war.
Der Alte nickte, trat dicht an Margot heran und flüsterte:
»Er behauptet, der Hof, auf dem er gestern gespielt hat, läge mindestens einen halben Kilometer von dem Grundstück hier entfernt. Es sei ganz unmöglich, daß man das von hier hören kann.«
»Ich hab’s aber gehört,« erwiderte Margot – »ganz deutlich! – und so gut, wie ich, kann es eines Tages der Doktor auch hören. – Er bekommt den Taler monatlich nur unter der Bedingung, daß er sich hier nicht hören läßt! sagen Sie ihm das!«
»Ich werd es ausrichten,« sagte Johann und nahm den Teller mit dem geschälten Apfel vom Tisch.
»Halt! da liegt noch ein Kern!« rief Margot und nahm ihn vom Teller. »Und passen Sie auf, daß der Herr Doktor den Apfel auch ißt, bevor er in die Wanne steigt.«
Johann versprach’s und ging auf den Zehen aus dem Zimmer.
Margot bereitete inzwischen das Frühstück. Sie schnitt ein Brötchen durch, bestrich es mit Marmelade und sagte: So! – die obere Hälfte mit Aprikose! – die untere mit Johannisbeer! – warf Zucker in die Tasse und zählte: eins, zwei, drei! – sah in die Teekanne und entschied: der muß noch ziehen! – Dann schob sie den Sessel zum Tisch, rückte ihn wieder ein wenig nach links, setzte sich, sprang auf und sagte: so! jetzt steht er richtig, grad seinem Lieblingsbaum, dem Rotdorn gegenüber! – Von der Veranda holte sie einen großen Strauß Blumen, die sie früh schon im Garten gepflückt hatte, und verteilte sie in die Vasen.
Der alte Diener brachte die Post.
»Ein Brief?« fragte Margot erstaunt – »als ob nicht jeden Tag etwas anderes wäre! Kein Tag geht ohne Unruhe ab!«
Sie nahm den Brief von dem Tablett, betrachtete ihn, schüttelte den Kopf und sagte: Von wem kann der sein? – Berlin N.W. – von seinen Eltern ist er also nicht! – Jedenfalls hat das Zeit bis nach dem Frühstück. Was Angenehmes wird es gewiß nicht sein. – Sie steckte den Brief zu sich, setzte sich und sah die Zeitungen durch: Nanu, wo ist denn die literarische Beilage? . . . ah da! sie legte sie vor Erichs Platz, entfaltete das Hauptblatt und las unterm Strich: »verkauft in der Ausstellung« . . . und entschied: interessiert ihn nicht; – sie las weiter: »Premiere deutsches Theater. Sappho auf Lesbos von Hugo v. Weyden.« – Hm, meinte sie, das ist schon eher etwas für ihn! – »Wirr – planlos.« »Oh!« jubelte sie auf! »das ist ja herrlich!« erschrak aber sofort über ihre laute Stimme, führte unwillkürlich die Hand zum Mund und sah ängstlich zur Tür. Dann sah sie wieder in das Blatt und las: »trotz allem dichterische Schönheiten« – sie stutzte und wiederholte: »trotz allem dichterische Schönheiten« – das könnte ihn verstimmen, dachte sie – »keine Spur von dramatischer Bewegtheit« – »kein eigener Gedanke.« – »Spiel mit Worten« – »auf die Nerven fällt« – »selbst seinen besten Freunden wurde es schwer . . .« – »Oh! rief sie diesmal gedämpft – »das ist ja prächtig!! das wird ganz seinen Appetit!« – Und sie belegte ihm daraufhin noch ein halbes Brötchen mit Marmelade. Dann legte sie das Zeitungsblatt auf seinen Platz und sah in die Beilage. »Das Neue Theater erwarb . . .« Sie schüttelte den Kopf: eine Annahme also! dachte sie – während sein »Odysseus auf Ithaka« seit fünfviertel Jahren ungelesen daliegt, ohne daß es möglich wäre, auch nur etwas über sein Schicksal zu erfahren. – Man muß froh sein, daß er nicht mehr dran denkt, entschied sie. Wozu ihn also durch diese Notiz erst wieder daran erinnern? das muß ihn ja verstimmen. – Sie zerknitterte das Blatt und warf es in den Papierkorb.
Inzwischen saß Erich Hannes Merker, wie jeden Morgen nach dem Bade, auf der sonnigen Veranda vor seinem Zimmer, dehnte und streckte sich, atmete tief die reine Luft des jungen Tages und deklamierte laut und mit Empfindung:
Es dringen Blüten aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch,
Und Freud und Wonne
Aus jeder Brust —
O Erd, o Sonne!
O Glück, o Lust!
O Lieb, o Liebe!
So golden schön,
Wie Morgenwolken
Auf jenen Höhn!
Und ringsum auf den hohen Bäumen saßen die Schwalben, Lerchen und Nachtigallen. Sie lauschten dem Meister, zwitscherten Beifall und sangen auch wohl mitten in den Vers hinein. Dann bekam seine Stimme einen feierlichen Klang; er fühlte sich eins mit der Natur, brach mitten im Wort ab, vergaß die Welt – und war Dichter.
Nach einer Weile stand er auf und ging voller Wohlbehagen die Veranda entlang bis zum Frühstückszimmer. Margot öffnete von innen die Tür. Er nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und küßte sie, wie jeden Morgen, auf Stirn, Augen und Mund. Und während seine Hände noch auf ihren Schultern lagen und er ihr in die schönen Augen sah, deklamierte er weiter:
Mädchen, Mädchen
Wie lieb ich dich!
Wie blinkt dein Auge!
Wie liebst du mich!
So liebt die Lerche
Gesang und Lust
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft.
Wie ich dich liebe
Mit warmem Blut
Die du mir Jugend
Und Freud und Mut
Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst,
Sei ewig glücklich
Wie du mich liebst.
Margot sah stolz und strahlend zu ihm auf und fragte:
»Ist das von dir?«
Erich schüttelte den Kopf und wies auf die Wand. Da hing Goethes Bild.
»Nein, Kind! das ist von dem andern!«
Margot schämte sich.
»Wie dumm ich bin, daß ich das nicht kenne,« sagte sie.
»Das liegt daran, daß du zuviel Zeit darauf verwendest, meine Gedichte auswendig zu lernen,« erwiderte er. Dann setzte er sich an den Frühstückstisch, dehnte sich voller Behagen, freute sich am Anblick des Rotdorns und nickte Margot, die jeder seiner Bewegungen folgte, zu.
Er schätzte Margots feines Empfinden und wußte, wenn sie ihm aus der Zeitung las, daß sie dies und jenes verschwieg, manches sogar entstellte, anderes wieder eigens für seine Stimmung herrichtete. Sie fühlte sich so in ihn hinein, daß sie oft besser als er selbst wußte, was im Augenblick grade für seinen Geist und sein Gemüt das Richtige war.
Erich wandte sich jetzt um und sah zur Uhr.
»Der Uhrmacher kommt gegen zwei,« sagte Margot, »wenn du deinen Spaziergang machst.«
»So findest du also auch, daß sie zu laut tickt?« fragte er.
»Nein! ich höre sie gar nicht. Aber ich habe gestern gemerkt, daß sie dich stört.«
Erich nickte und dankte ihr. – Die Türen zur Veranda standen weit offen.
»Wie schön! wie schön ist das alles!« rief Erich. – »Noch nie habe ich einen solchen Drang, zu schaffen, in mir gespürt, wie in diesem Sommer! Margot! Margot!« jauchzte er, nahm sie bei den Händen und zog sie zu sich auf den Schoß – »mein Ganymed wird eine Tragödie, um die sich die Direktoren der ganzen Welt reißen werden!«
Margot sah zu ihm auf und sagte:
»Ja, Erich, ich glaube an dich!«
»Und nach dem ersten Erfolge – weißt du, was wir da tun?« fragte er.
»Nun?«
»Dann bauen wir uns ein Häuschen in Tirol für den Winter; da können wir dann noch ungestörter leben als hier!«
»Stört dich hier irgendwas?« fragte Margot.
»Gewiß nicht!« versicherte Erich. »Aber weißt du, so nahe von Berlin, da schwebt man doch ständig in der Gefahr, daß irgendwer kommt und einen aus der Stimmung reißt.«
»Dafür sorge ich schon, daß das nicht geschieht,« versicherte Margot, und Erich drückte sie an sich und sagte zärtlich:
»Gewiß! ich weiß ja, was ich an dir habe.«
Lange saßen sie so. Plötzlich hörte man, wie jemand draußen »Hallo!« rief. Erich und Margot fuhren erschreckt auf und sahen sich an.
»Margot!« sagte Erich entsetzt, und Margot erwiderte zitternd:
»Erich!«
»Hast du gehört?« fragte er.
»Ja!« sagte sie ängstlich – »mir war auch so!«
»Glaubst du, daß jemand . . .?«
»Ich hoffe, nein! – wer sollte denn . . .?«
Und beide horchten regungslos mit angehaltenem Atem.
Draußen am Portal ging die Klingel.
Erich und Margot sprangen auf:
»Das ist zuviel!« stöhnte Erich.
Und Margot, die ganz hilflos war, rief: »Großer Gott!«
»Das ertrag ich nicht!« sagte Erich nervös.
Und Margot, die sich für alles verantwortlich fühlte, was im Hause geschah, jammerte:
»Ich kann mir gar nicht denken, wer sollte denn? – und dann um die Zeit . . .«
»Der Briefträger« – sagte Erich; »Du wirst sehen – unangenehme Post.«
»Der war schon da!« erwiderte sie – »und dann, der klingelt auch nicht . . . Johann erwartet ihn immer am Gitter – eben damit das Geräusch vermieden wird.«
»Ja, wenn man so schon am frühen Morgen aus seiner Stimmung gerissen wird,« sagte Erich verärgert, »kann man natürlich nichts Bedeutendes schaffen.«
Im selben Augenblick klopfte es an die Tür. Erich und Margot sahen sich entsetzt an.
»Es hat geklopft!« sagte Erich, und Margot erwiderte:
»Mir war auch so!«
»Was meinst du, daß man da tut?« fragte er.
Margot traten Tränen in die Augen.
»Ich weiß ja auch nicht,« sagte sie.
Da öffnete sich leise die Tür, und Johann der Diener, trat auf den Zehen, eine Visitenkarte in der Hand, ins Zimmer.
»Da haben wir’s!« rief Erich – »Besuch!« – und zu Johann gewandt, fragte er: »Also! wer?«
Johann sah auf die Karte und mühte sich den Namen zu entziffern:
»Direktor Josef Bla . . . Blat . . .
Blatsch . . .« es gelingt ihm nicht.
»Sieh du!« sagte Erich.
Und Margot nahm Johann die Karte aus der Hand und las:
»Direktor Josef Blacz . . . zin . . . zin . . .«
Erich sagte ungeduldig:
»Zeig’ her!« und Margot reichte ihm die Karte.
»Was?« rief er erstaunt. – »Blaczin . . . citsch, Bühnenverlag Orion.« – Der kommt zu mir heraus? – und mit einer gewissen Hochachtung fügte er hinzu: »Das ist der bedeutendste Agent und Impresario Deutschlands! – Woher kennt der mich denn? – ich bin ihm nie begegnet!«
»Ich weiß ja nicht, Erich,« sagte Margot, die ganz eingeschüchtert war; »am Ende will er etwas von dir!«
»Das ist sehr möglich! – Das ist sehr möglich! – Ich lasse bitten.«
Und Johann wies zur Tür und sagte:
»Da ist der Herr schon!«
Und Josef Blaczincitsch stürmte polternd ins Zimmer, ging auf Erich zu, drückte ihm stürmisch die Hand, sprach übermäßig laut, bewegte Arme und Hände und sagte:
»Küß die Hand, mein Lieber! Nein, wie ich mich freue! Und gesund sehen Sie aus! Kunststück! bei so einem Erfolg! Ich bin doch hoffentlich der erste Gratulant?« – Dabei sah er sich um und entdeckte Margot.
»O pardon!« rief er, trat auf sie zu, verbeugte sich und stellte sich vor: »Josef Blaczincitsch; küß’ die Hand, meine Gnädige! Ihnen darf man gewiß auch zu dem großen Erfolge Ihres Gemahls gratulieren.«
Erich und Margot, die von alledem kein Wort begriffen, standen ganz ratlos.
»Aber . . . ich weiß . . . gar nicht,« sagte Margot.
Josef Blaczincitsch fiel ihr ins Wort:
»Oh! Sie sind bescheiden! ich habe es auf den ersten Blick gesehen. Ich habe ein vorzügliches Auge für so etwas!« – Und er wandte sich zu Erich: »Sagen Sie, Doktor, hat die Gnädige nicht geholfen, nicht angeregt, nicht Ihren Geist beflügelt – oh, ich kann mir denken, wie die Gegenwart einer so schönen Frau auf die Phantasie eines Dichters wirken muß! Wie käme ein Mann in der Zeit der Luftschiffe und Automobile auch sonst dazu, ein Drama »Odysseus auf Ithaka« zu schreiben.«
Margot und Erich sperrten die Mäuler auf und sahen sich mit dem Ausdruck höchsten Erstaunens an.
»Waas?« sagten beide wie aus einem Munde.
Aber Blaczincitsch war einmal im Reden.
»Nur ein gottbegnadeter Dichter – an der Seite einer solchen Frau – konnte das schaffen!« sagte er, brach plötzlich ab, fuhr zusammen, zog eilig sein Notizbuch aus der Tasche, sagte halblaut: Josef, dir fällt was ein! machte sich Notizen und brabbelte vor sich hin: »Natürlich, die Fritzi is ja im August frei, die bring ich ans Trokadero.«
Erich, der gar nicht begriff, wieso Blaczincitsch von der Existenz seines Dramas eine Ahnung haben konnte, fragte:
»Ja, woher wissen Sie denn?«
»Woher ich weiß? – auch wenn ich nicht Josef Blaczincitsch wäre, wüßte ich! Ganz Berlin weiß! – in jedem Caféhaus – auf der Börse – in jedem Salon – überall spricht man heute von dem Dichter Erich Hannes Merker.«
Erich legte es sich wie ein Schleier über die Augen. »Ja, was bedeutet denn das?« fragte er ganz benommen.
»Ich bitt’ Sie!« rief Blaczincitsch. »Ein neuer Dichter im Neuen Theater! ist da etwa nichts? wenn neben Ibsen, Strindberg und Schnitzler plötzlich ein neuer Name Erich Hannes Merker auftaucht!« – dabei zog er mit größter Geschwindigkeit die Uhr heraus und hatte sie im selben Augenblick auch schon wieder in der Tasche.
Erich verschwamm jetzt alles vor den Augen.
»Der Bassermann, die Lehmann und die Grüning werden die Hauptrollen spielen. Sie sehen, ich weiß Bescheid! Kein Theater, das auf Reputation hält, wird an dem Stück vorübergehen können! Es ist ein Meisterwerk, wie es alle hundert Jahre höchstens einmal vorkommt! Wir werden den Leuten die schwersten Bedingungen machen – verstehen Sie wohl! wir ihnen!«
Margot schwankte auf Erich zu und mit vor Erregung erstickter Stimme sagte sie:
»Erich, ich glaube, dein Stück ist angenommen.«
Erich erwiderte ganz verträumt:
»Margot! wenn das wäre!!«
Josef Blaczincitsch redete wie ein Buch.
»Nun heißt es aber das Eisen schmieden, solange es heiß ist! Die Stunde des Erfolges nützen! Kein Tag darf jetzt mehr verloren werden!«
»Mir ist ganz wirr im Kopf,« sagte Erich – »alles dreht sich mir im Kreise.«
Josef Blaczincitsch interessierte das gar nicht.
»Ihr Name ist nun einmal auf den Markt geworfen!« rief er – »es gibt kein Blatt, das ihn nicht kennt. Millionen Menschen hören heute zum ersten Male von Johannes Merker. Jetzt heißt es, sie jeden zweiten Tag von neuem auf den Namen stoßen, bis er sie im Schlafe verfolgt und sie ihn nicht mehr loswerden.«
»Verzeihen Sie mir meine Verwirrung,« bat Erich. Aber ich bin so plötzlich aus meiner Ruhe . . .«
»Ruhe?« unterbrach ihn Blaczincitsch, »davon kann jetzt natürlich keine Rede mehr sein. Von heute ab gehören Sie der Welt, die einen Anspruch auf ihren Dichter hat. Man muß sie kennen, von Ihnen sprechen, Sie überall sehen wo was los ist!«
Margot hatte inzwischen, die Zeitung, die sie zuvor zerknittert und in den Papierkorb geworfen hatte, wieder hervorgesucht.
»Ja!« rief sie strahlend, »Erich! hier steht es! Ich ahnte ja nicht, daß du das bist« – und sie las:
Das Neue Theater erwarb für die neue Spielzeit außer Werken von Hauptmann und Schnitzler die Arbeit eines bisher unbekannten Dichters Erich Hannes Merker, das den Titel »Odysseus auf Ithaka« führt. Das Werk wird als erste Novität mit Bassermann, der Lehmann und Grüning in den Hauptrollen . . .
»Nu, was hab’ ich gesagt!« rief Blaczincitsch, und Margot las weiter:
. . . bereits Mitte September in Szene gehen —«
»Erich!« rief sie überglücklich und stürzte sich ihm an den Hals. Und beide tanzten wie die Kinder im Zimmer umher.
Blaczincitsch stand platt.
»Was!« rief er. »Sie wußten gar nicht? – Nach Frankfurt, München, Paris, London, Neuyork habe ich es bereits depeschiert. Und Sie sitzen hier, 70 Kilometer von Berlin – in fünfzig Minuten per Auto erreichbar – und wissen von nichts!«
Erich stand noch immer, die Augen weit aufgerissen, sprachlos da. Eine Fülle von Gesichten zog an ihm vorüber. Neue Gedanken mischten sich mit alten, die er längst überwunden hatte. Und aus alledem wuchs stark die große Hoffnung empor, die ihren Ausdruck in den Worten fand:
»Was wird die Welt da erst zu meinem Ganymed sagen!«
»Das wird davon abhängen,« erwiderte Blaczincitsch, »ob Sie diesen Vertrag hier unterschreiben.« – Und er holte mehrere Papiere aus der Tasche, von denen er eins ihm hinhielt.
»Was ist das?« fragte Erich ahnungslos und noch völlig in Gedanken.
Und Blaczincitsch erklärte:
»Sie wissen, der bedeutendste Dichter ist aufgeschmissen ohne einen tüchtigen Verleger.«
»Was tut der?« fragte Margot.
»Was tut der nicht, müssen Sie fragen. In erster Linie: er vertreibt! Das heißt: er fällt den Theaterdirektoren auf die Nerven. Ein Verleger, der das hartnäckig, individuell und mit Routine tut, erzielt damit in jedem zweiten Falle eine Annahme. – Ferner trägt er die Kosten für Drucklegung, Reisen, Prospekte, Porti, Propaganda, Telephongespräche – kurz, das einzige, was mein Büro wegen Überbürdung bisher noch nicht erledigt, ist die Herstellung der Stücke. Aber am Ende hat so ein Dichter doch auch den Wunsch, für mein Geld wenigstens etwas zu leisten.«
»Das Dichten ist doch aber auch die Hauptsache!« sagte Margot schüchtern.
»Was?« fragte Blaczincitsch erstaunt. »Glauben Sie das im Ernst? Das Talent, ein Stück zu schreiben, besitzt jeder halbwegs Gebildete; das Genie, es unterzubringen, unter Hunderttausend noch nicht Einer.«
»Ja aber . .« sagte Margot und wollte widersprechen; aber Blaczincitsch fiel ihr ins Wort:
»Meine Tüchtigkeit entscheidet! – Ein Dichter ist allemal ein schlechter Kaufmann.«
»Das mag ja stimmen,« erwiderte Margot und wandte sich an Erich. »Ich könnte mir wenigstens nicht vorstellen, daß du Bücher führst und mit den Theatern abrechnest. Sie müssen nämlich wissen, Herr Bl . . . Bla . . .«
»Blaczincitsch« half er ihr.
»Schon die Konferenzen mit den Direktoren, wie überhaupt jeder Verkehr, würde ihn völlig aus seiner Stimmung reißen – denn Erich braucht absolut Ruhe, wenn er etwas leisten soll.«
»Selbstverständlich!« bestätigte Blaczincitsch, »die absoluteste Ruhe! das läßt sich ja denken! Und darum eben . . .« und er entfaltete den Vertrag – »hier! Sie brauchen erst gar nicht durchzulesen – die Verpflichtungen liegen lediglich auf meiner Seite. Ich betreibe es nun einmal als Sport, Genies, wie Sie, in die Höhe zu bringen, ohne daß ich mich für meine Mühen belohnen lasse« – und er hielt ihm wieder den Vertrag hin.
Und Erich, der noch immer ganz benommen war, erwiderte:
»Aber ich weiß ja gar nicht – was meinst du Margot?«
»Einen Verleger wirst du ja wohl haben müssen,« sagte sie.
»Ich versichere Sie,« drängte Blaczincitsch, »es braucht sie durchaus nicht zu genieren, daß Sie 70% von den Tantiemen einstreichen – ich nur 30. Obgleich ich die Arbeit habe. Sie sind nicht der einzige! – und es ist, wie ich schon sagte, sozusagen eine Liebhaberei von mir.« – Plötzlich fuhr er zusammen, zog eilig sein Notizbuch aus der Tasche, sagte halblaut: »Josef, dir fällt was ein!« schrieb schnell etwas und steckte das Notizbuch blitzartig wieder in die Tasche. Dann wandte er sich wieder an Erich und sagte: »Also wirklich, mein lieber Merker,« klopfte ihm wie einem alten Bekannten auf die Schulter. »Sie vergeben sich nichts; ich sehe schon, daß ich auf meine Kosten komme.« Dabei drückte er ihm die Füllfeder in die Hand und hielt ihm den Vertrag unter die Nase.
Erich nahm zitternd den Halter und sah Margot fragend an:
»Gilt der Vertrag dann für alles, was Erich schreibt?« fragte sie.
»Aber nein, meine Gnädige!« erwiderte Blaczincitsch, »was denken Sie von mir! Natürlich nur für die dramatische Produktion! Andre Verleger wollen auch leben.«
»Sie glauben gar nicht,« sagte Margot, »wie schwer es ist, grade für Lyrik einen Verleger zu finden.«
»Man wird sich um seine Verse reißen,« versicherte Blaczincitsch, »sobald ich ihn in Europa berühmt gemacht habe.« Dabei hielt er noch immer den Vertrag vor Erichs Nase und sagte: »Bitte!«
»Und auf wie lange soll er sich binden?« fragte Margot.
»Ja das ist es eben!« meinte Blaczincitsch. »Sie müssen nämlich bedenken, daß ich mich doch immerhin in ein gewisses Risiko begebe – länger als auf 15 Jahre möchte ich daher nicht gern« – und dabei sah er blitzartig wieder nach der Uhr.
»Das ist ja ein halbes Leben,« rief Margot.
»Es freut mich, daß es Ihnen genügt,« erwiderte Blaczincitsch. »Ich fürchtete schon, Sie würden sich daran stoßen. – Also, dann sind wir uns ja über alles einig, mein lieber Merker! Sie sehen, mein Name steht schon darunter – es fehlt nur noch der Ihre.«
Und Erich unterschrieb den Vertrag mit zitternder Hand.
»So! der ist für mich!« sagte Blaczincitsch und steckte den Vertrag ein. Zog einen andern aus der Tasche: »dieser hier für Sie.« Und er gab ihm eine zweite Ausfertigung des Vertrages, schüttelte ihm kräftig die Hand und sagte:
»Also, auf die erste Million!«
Margot erschrak. Nie wurde in diesem Hause von Geld gesprochen. Und nun gar in dieser Verbindung empfand sie es fast wie eine Kränkung für Erich.
»Und nun, meine Gnädige,« wandte er sich an Margot – »eine Flasche Sekt! das Geschäft muß begossen werden.«
Margot, die das Wort Geschäft wie eine Ohrfeige traf, sagte zögernd:
»Erich trinkt nur Tee – Alkohol macht ihn müde.«
»Eine sehr schlechte Gewohnheit das!« erklärte Josef, »die Sie schleunigst abzulegen haben!« bedenken Sie, wie oft man Sie in den nächsten Monaten begießen wird.«
Und Margot, die nichts mehr für unmöglich hielt, fragte entsetzt:
»Was wird man?«
»Also hole eine Flasche!« sagte Erich, und Margot ging aus dem Zimmer.
Der Diener kam leise herein.
»Ein Telegramm für den Herrn Doktor,« flüsterte er und reichte es ihm auf dem Tablett.
Erich öffnete und sagte:
»Sonderbar! ein Freund gratuliert mir!«
»Wie kann er schon wissen, daß wir abgeschlossen haben,« fragte Blaczincitsch.
»Er gratuliert natürlich zu der Annahme des Stückes,« erwiderte Erich.
»Ach so!« sagte Blaczincitsch und sah über Erichs Schultern in das Telegramm:
»Wie heißt er? Königsberger?« – und er fuhr zusammen, riß sein Notizbuch aus der Tasche, rief: Josef, da fällt dir was ein! notierte, flüsterte: Königsberger Stadttheater Abrechnung fordern – und steckte blitzartig das Notizbuch wieder in die Tasche.
Draußen ging die Glocke. Zweimal kurz hintereinander.
Margot stürzte ins Zimmer: »Hast du gehört?« rief sie, »es hat schon wieder geklingelt.«
Und ehe Erich, der resigniert dastand, noch etwas erwidern konnte, sagte Blaczincitsch:
»Geben Sie acht! Die Konkurrenz tritt an.«
Abermals läutete es zweimal kurz hintereinander.
Blaczincitsch lachte auf:
»Natürlich!« sagte er – »das ist er.«
»Wer?« fragte Erich – »wie können Sie wissen?«
»Verlassen Sie sich darauf,« erwiderte Blaczincitsch – »ich weiß! ich kenne ihn an der Art des Klingelns.
Es ist der Halsabschneider und Theateragent Syrutschek! Seien Sie froh, daß Sie mit mir abgeschlossen haben.«
Im selben Augenblick kam auch schon Johann ins Zimmer und meldete flüsternd:
»Herr Direktor Sy . . . Sy . . . Sy . . .«
». . . rut« – half Blaczincitsch und Johann beendete:
». . . schek in einer sehr dringenden Angelegenheit.«
»Nu, was hab ich gesagt!« rief Blaczincitsch und lachte laut auf, »sehr dringende Angelegenheit! sagen Sie ihm, er soll früher aufstehen.« Und da Johann den Bescheid seltsam fand, und ihn ansah, so fuhr er fort: »er soll in zwei Stunden wieder kommen, Herr Doktor ist augenblicklich beschäftigt.«
Und Johann ging hinaus, kam aber gleich zurück und bestellte.
»Herr Direktor Sy . . . Sy . . .«
Josef klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »rut . . .«
». . . schek,« beendete Johann – »läßt sagen, er würde warten.«
»Gott können Sie danken, daß Sie diesem aufdringlichen Menschen nicht in die Hände gefallen sind.« Dann brach er plötzlich ab, fuhr zusammen und rief: »Josef, dir fällt was ein! – dabei suchte er überall an der Wand herum – ja? . . . wo haben Sie denn . . .?« fragte er – »oder ist bei Ihnen etwa nicht in jeden Zimmer . . . gar nur auf dem Korridor . . .?« – und er suchte immer weiter – »wo einen jeder hören kann.«
»Ja, was suchen Sie denn?« fragte Margot, und Blaczincitsch, der sich inzwischen überzeugt hatte, daß tatsächlich kein Telephon im Zimmer war, rief:
»Wahrhaftig nicht!« öffnete die Tür, durch die Johann gegangen war, und rief hinaus:
»He! Diener!«
In selben Augenblick fuhr er auch schon zurück. An der Tür erschien Syrutschek, steckte Kopf und Arme durch die Tür, rief und fuchtelte dabei mit den Händen:
»Schließen Sie nicht mit ihm ab, Herr Doktor! ich mach’s Ihnen billiger!«
Blaczincitsch warf ihm die Tür vor der Nase zu und wandte sich an Erich:
»Was sagen Sie dazu? Danken Sie Gott!«
Von der andern Seite trat trotz des Lärms, der jetzt im ganzen Hause herrschte, gewohnheitsgemäß noch immer auf den Zehen – Johann ins Zimmer.
»Endlich!« – rief Josef, »Mensch, was haben Sie bloß für’n Gang! Sie treten ja gar nicht auf! Sie schweben ja! – Verbinden Sie mich schleunigst mit Kurfürst 750.«
Johann sah ihn groß an.
»Merker!« sagte Josef, »den müssen Sie acht Tage bei mir in Training geben, damit er mal erst in Gang kommt.«
»Wir haben kein Telephon,« sagte Margot.
Blaczincitsch lächelte ungläubig:
»Machen Sie keine Witze!« sagte er – »ich habe keine Zeit!« – und sah blitzartig nach der Uhr.
»Auf mein Wort!« versicherte sie.
Ja, was bedeutet denn das?« fragte Josef und starrte sie verständnislos an. – »Ich hab’ schon mal gehört, daß jemand keinen Vakuumreiniger oder keine Warmwasserversorgung hat, obgleich mir auch das unverständlich ist – aber ’ne Villa, ’nen Diener, ’ne Frau soll man haben und kein Telephon! – Ja, Wie machen Sie denn das?«
»Solch Apparat würde Unruhe ins Haus bringen,« sagte Margot, »und Erich bei der Arbeit stören.«
»Wie kann einen so etwas stören?« erwiderte Blaczincitsch, und schüttelte den Kopf. »Mich beruhigt’s! Ich hätte keine fünf Minuten Ruhe zu arbeiten, wenn ich nicht wüßte, neben mir steht das Telephon. Oder nun gar des Nachts! Ohne den Apparat neben meinem Bett, würde ich kein Auge schließen – ich hätte einfach Angstgefühle.«