Kitabı oku: «Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln», sayfa 2
Um eine Daumenbreite
In Cuxhaven war die Reise losgegangen, und bald hätte sie dort auch ein Ende gefunden: ein Küstenmotorschiff wollte die LIBERIA IV mit aller Gewalt versenken – am hellichten Tage! Wenn es dem Kapitän der „Niederrhein“ aus Duisburg-Ruhrort nicht geglückt ist, so war das bestimmt nicht sein Verdienst.
Die LIBERIA IV lag am frühen Abend bekalmt1 da, als die „Niederrhein“ von achtern aufkam. Da kein Wind herrschte, hatten wir doppelt das Recht, beachtet zu werden. Der Dampfer kam bedrohlich auf die LIBERIA zu.
Nun wird’s aber Zeit, daß er ausweicht, dachte ich bei mir, mein Mast ist gute zwölf Meter hoch, den muß man doch sehen! Jedoch der Kapitän sah nicht. Es war kein Meter zwischen uns, als wir aneinander vorbeifuhren – die berühmte Daumenbreite!
In der Nordsee gab es dann harte Böen, im Kanal dicke Erbsensuppe und in der Biskaya den üblichen Weststurm. Mir fiel ein, was der deutsche Seglerkönig „Hein Mueck“ erklärt hatte, als ich mich von ihm verabschiedete: „Doktor, das Boot wird Sie nicht im Stich lassen, solange Sie das Boot nicht im Stich lassen.“ Graf Luckner sagte dasselbe anders: „Männer bezwingen Ozeane, nicht Boote!“
In der Biskaya brach die Motorenwelle. Motor und Umsteueranlage waren nicht ausgefluchtet gewesen; der Dorfschmied in Freiburg hatte sich besser auf das Beschlagen von Pferdehufen als auf moderne Motoren verstanden. Bei seinem Sohn wird’s wohl umgekehrt werden, aber solange konnte ich nicht warten.
Bei bestem Zylinderhutwetter warf die LIBERIA IV im nordspanischen Hafen La Coruña schüchtern ihren Anker. Sie hatte Glück im Unglück, denn dort traf sie den „Seefalken“, einen deutschen Hochseeschlepper, dessen erster Ingenieur mir half, Umsteueranlage und Motor millimetergenau auf Vordermann zu bringen. Der „Seefalke“ lag im geschützten Hafen La Coruña und war stets bereit, in Seenot geratene Dampfer aus ihrer mißlichen Lage zu befreien und abzuschleppen.
Allein um Kap Hoorn
Ich lag bereits ein paar Tage in La Coruña, als an einem Spätnachmittag eine schnittige weiße Yacht in den Hafen einlief. Es war die „Les 4 Vents“ von Marcel Bardiaux, der von nichts geringerem als von einer achtjährigen Weltreise zurückkehrte und nun auf dem Wege nach Frankreich war.
Da die Angestellten des Yachtclubs schon Feierabend gemacht hatten, bot ich Bardiaux meine Hilfe an. Wir vertäuten sein zehn Meter langes Boot an der LIBERIA IV und waren bald in Fachsimpeleien vertieft.
Bardiaux ist in Wassersportkreisen als einer der hervorragendsten Segler bekannt. Sein sportlicher Werdegang ist ebenso aufregend, wie seine Ideen originell sind. Seit seiner Jugend hat er Faltboote gebaut, Faltbootmeisterschaften gewonnen und größere Faltbootfahrten auf Flüssen und Meeren unternommen. Während der Besatzungszeit begann er in Frankreich mit dem Bau seiner jetzigen Yacht und stellte von der Schraube bis zum Kielbolzen, vom Mast bis zu den Segeln sämtliche Teile des Bootes selbst her. Im Sommer 1950 war es endlich so weit; seine Traumyacht lief vom Stapel.
Vor Beginn seiner Reise schon hatte er über sich und sein Boot eine Broschüre drucken lassen, in die die genaue Route seiner geplanten Weltumseglung eingezeichnet war – ein Verstoß gegen den Kodex der Hochseesegler auf dem Trockenen, und Bardiaux wurde entsprechend belächelt und verspottet.
„Welches Navigationssystem benutzen Sie denn auf Ihrer Reise?“ fragte ihn ein französischer Admiral in Le Havre.
Bardiaux hatte sich zwar schon mit genügend Literatur über Navigationssysteme und ihre praktische Anwendung versorgt, war aber noch nicht dazu gekommen, sie zu lesen. Darum antwortete er: „Ich weiß noch nicht, das wird sich erst auf der Fahrt herausstellen.“
Der Admiral wandte sich verächtlich ab und meinte unter dem gehorsamen Lachen der Umstehenden: „Wenn der heil um die Welt kommt, will ich kein Admiral mehr sein.“
Ein Segler hatte Bardiaux prüfend gefragt, wie dieser und jener Knoten heiße, den man da oder dort mache, und, als Bardiaux mit den Achseln zuckte, entsetzt ausgerufen: „Aber Sie sind ja gar kein Segler!“
Gewiß, Bardiaux mag damals noch kein erfahrener Yachtsegler gewesen sein, aber er hatte neben seinen vielen Erfahrungen im Faltboot einige menschliche Qualitäten, die für die Einhandfahrt auf dem Meere wichtiger sind als der Name eines Knoten. Freimütig bekannte er nach seiner Tour de monde: „Noch heute gibt es genügend Dinge, die ich zwar nicht mit ihrem seemännischen Fachausdruck kenne, mit denen ich aber in der Praxis oft genug zu tun hatte.“
In Dakar erlernte Bardiaux die astronomische Navigation und segelte gleich darauf in Rekordzeit nach Rio de Janeiro. Dort war zur gleichen Zeit ein französisches Schulschiff der Kriegsmarine vor Anker gegangen, und eine Zeitung in Rio kommentierte: „Zwei französische Boote in Rio eingetroffen. Das eine bemannt mit einem Mann, das andere mit 164 Ärmelstreifen“ – womit die Rangabzeichen der Offiziersanwärter gemeint waren.
Im Südwinter segelte Bardiaux von Ost nach West um das berüchtigte Kap Hoorn, nachdem er vorher in der gefährlichen Straße von Le Maire zweimal in einer Hohlsee gekentert war, als ihn die Strömung mit sieben Knoten Geschwindigkeit nach Westen riß und gleichzeitig der Wind mit 30 Knoten Geschwindigkeit aus Westen heranfegte. Nach dieser beispiellosen Leistung mußte er sich in Südchile ein ganzes Jahr lang von seinen Erfrierungen erholen.
Ein anderes Mal kam er mit einem blauen Auge davon, als er im Pazifik auf ein Riff lief. Dort war er auch von seiner geplanten Route abgewichen, weil er eine Einladung nach Neu-Seeland angenommen hatte. Weiter fuhr der Unermüdliche durch den Indischen Ozean nach Kapstadt, durch die Kariben nach New York und endlich über die Azoren nach La Coruña. Seine Leistung gewinnt noch an Bedeutung, wenn man bedenkt, daß er bereits im fünften Lebensjahrzehnt steht.
Das Geheimnis seines Erfolges? Vielleicht die Tatsache, daß er als früherer Faltbootführer ein weitaus engeres Verhältnis zum Meer hatte, als ein Yachtsegler es je haben kann.
Wenige Tage nach meiner Begegnung mit Bardiaux lief in La Coruña die „Nausikaa“ ein, ein 8,60 m langer Seekreuzer unter der Flagge des schweizerischen „Cruising Club“. Die Besatzung: drei junge Schweizer, die zur Verwirklichung ihres großen Traumes, auf eigenem Kiel nach Amerika zu segeln, jahrelang als Nachttaxifahrer zusätzliche Rappen verdient hatten. Ohne Sextant, ohne Logge, ohne kompensierten Kompaß waren sie gestartet, nur einen Wunsch hatten sie: irgendwo in Amerika ankommen!
Inzwischen erfuhr ich, daß ihr Traum doch nicht in Erfüllung gegangen ist, denn in Casablanca sind sich die drei in die Haare gekommen und haben die Fahrt aufgegeben.
Nebel am Ende der Welt
Als ich endlich La Coruña verließ, schien sich alles gegen einen Landfall in Vigo verschworen zu haben: erst Flaute, dann dickster Nebel bei fünf Windstärken, so daß man die Dampfer nicht mehr richtig hören konnte. Von Backbord ertönte ein Nebelhorn, von Steuerbord, von vorne, von achtern – ein Getute wie bei einer Verkehrsstockung! Meine Brille war stets beschlagen. Einmal sah ich das Licht eines Dampfers hoch über mir, so unheimlich nahe erschien es mir.
Es war Nacht, ich befand mich am „Ende der Welt“, beim sturmumwehten Kap Finisterre, dem nordwestlichsten Punkt der Iberischen Halbinsel.
Als es Tag wurde (aber was heißt im fetten Nebel Tag?) tastete ich mich wie ein Blinder an der mit unzähligen Riffs und Felseninseln gespickten Küste nach Süden vor. Hörte ich die Brandung zu laut grollen, gab ich Fersengeld und hielt aufs offene Meer zu. So kam ich schließlich in die Gegend, in der ich nach der Nordeinfahrt für Vigo suchen mußte. Und jetzt hatte ich Glück: in der hohen Atlantikdünung sah ich immer wieder einen Fischer aus den Wellentälern heraufschießen.
„Wo ist die Einfahrt nach Vigo?“ schrie ich ihm zu, und er brüllte zurück: „Aqui“ – hier!
Die Einfahrt ist etwa eine Seemeile breit, doch konnte ich weder das Festland auf der einen, noch die Felseninseln Cies auf der anderen Seite ausmachen. Plötzlich tauchte aus dem Nebel eine Boje vor dem Bug auf. Auch hatte der Wind in der Bucht nachgelassen, und endlich zeichnete sich hinter dem Nebelschleier die Silhouette der bergigen Bucht von Vigo ab. Unter Motor erreichte ich schließlich den Yachtclub.
Am Tage darauf kreuzte die große französische Yacht „Hygie“ auf, die zusammen mit mir von der Nachbarstadt EI Ferrol abgefahren war. Aber sie hatte zehn Besatzungsmitglieder an Bord, der Eigner trug also weit mehr Verantwortung als ich, und da er keinen Fischer getroffen hatte, war er dem einzig richtigen Entschluß gefolgt: er hatte draußen geankert und abgewartet.
Das ist ja immer wieder das Faszinierende und das Verruchte am Meer: gestern nervenaufreibende Flaute, heute wütender Sturm, morgen prächtigstes Segelwetter! Voraussagen treffen kann nur der Erfahrene, und auch ihm glückt es nicht immer.
Segelgepäck einer Lady
Ein paar Tage später traf per Flugzeug meine Verlobte ein, und wir unternahmen die schicksalsschwere Fahrt nach Madrid, von deren zweitem Teil schon die Rede war. Als wir, ein frischgebackenes Ehepaar, wieder in Vigo ankamen, empfing uns die Stadt mit scheußlichen Regengüssen, doch focht uns das wenig an.
Ich pullte Ilse zu unserem Boot, um ihre Sachen zu verstauen. Vorsorglich hatte ich ihr schon etwas Platz eingeräumt, doch viel Erfahrung mit den Bedürfnissen junger Damen schien ich nicht zu haben, sonst hätte ich mich nicht gewundert über das, was nun geschah. Und ich wunderte mich sehr. Da kam ein Fläschchen zum Vorschein … und noch eines, und noch eines und immer mehr.
Verwirrt und im Unklaren über den Zweck so vieler Flaschen fragte ich sie: „Sind die roten Bottels da alle für das Boot?“ Ich wurde belehrt, daß es sich um Nagellack handele, der mit dem jeweiligen Kleid harmonieren müsse. Der Kleider aber waren es noch mehr!
In meinen Briefen hatte ich Ilse immer wieder gewarnt vor dem, was sie auf dem Meer erwartete. Nichtsegler – Ilse kannte Segelboote bisher nur aus der Feme – glauben, eine Segelfahrt sei etwas Herrliches, die reinste Erholung, der beste Urlaub. Das stimmt auch – wenn man jeden Abend wieder an Land ist. Sobald man jedoch mehrere Tage auf dem Meer bleibt, nachts Wache schieben und tags Reparaturen machen muß, hört es mit der Segelherrlichkeit auf. Ilse würde es noch erfahren – – –
Ich ging an Deck, um an einem Sonnensegel zu nähen. Nach wenigen Minuten ließ ich meine Arbeit im Stich und stieg wieder hinunter. Ilse war immer noch beim Auspacken.
„… Und dann habe ich noch dieses Gedicht von einem Nachthemd. Ist es nicht wunderbar? Und, wenn du unbedingt willst, habe ich für dieses Rosa sogar einen Nagellack …“ Ob sie es ernst meinte, weiß ich bis heute nicht. Ich ließ mich fassungslos auf eine Stufe des Niederganges fallen: „Niña! Was soll denn bloß all dieser … dieser Krimskrams?“
Niña? Sie schaute mich mit großen Augen verständnislos an. Und seitdem heißt sie Niña, das spanische Wort für „kleines Mädchen“.
Niña war auch körperlich nicht gerade das, was man eine Athletin nennt; sie hatte aber dies: den Willen zu helfen und die Fähigkeit durchzuhalten. Und das ist viel mehr wert als Segelkenntnisse. Ob Nacht oder Sturm, sie hielt später ihre Ruderwache und bestätigte das alte Wort, nach dem Mann und Frau das beste Segelteam sind.
Vigo liegt an einer tief ins Land geschnittenen Bucht, die von mehreren vorgelagerten Inseln gegen atlantische Weststürme und groben Seegang gesthützt ist. Ein ideales Segelrevier für Anfänger oder auch genau die richtige Atmosphäre für Flitterwöchner. Zudem ist die Bucht vom Hauch des Abenteueuerlichen umwittert, von Überfall, Mord und Totschlag. Sie birgt einen Schatz und keinen legendären, sondern einen mit einem historischen Stammbaum: die Engländer versenkten 1702 hier die Silberflotte, die bis heute noch immer auf dem Meeresgrund ruht.
Welcher Seglerlehrling kann schon vorweisen, er sei in einer Bucht gesegelt, deren Boden aus Silber besteht? Die Niña konnte es. So versuchte ich, ihr das Segeln schmackhaft zu machen.
Eines stellte sie allerdings betrübt fest: eine Bank ist kein Ehebett und ein Boot kein schwimmendes Hotel …
Miesmuscheln hüten Silberschatz
Als wir in der Bucht umherkreuzten, wurden wir in der Enge von San Simon auf eine Gruppe von Frauen aufmerksam, die auf einem quadratischen Holzfloß einer geheimnisvollen Beschäftigung nachgingen. Da unsere Neugier geweckt war, legten wir kurz entschlossen bei ihnen an. Die Frauen sahen in ihren abgetragenen, schmutzigen Kleidern wie arme Bäuerinnen aus; sie waren jeglichen Alters, und sie schauten kaum von ihrer Arbeit auf, als wir auf ihr Floß kletterten. Als wir sie ansprachen, begannen sie schließlich verlegen zu lächeln.
Ja, es waren Bäuerinnen, Miesmuschelbäuerinnen sozusagen, sie sortierten ganze Berge dieser frischgeernteten Schalentiere. Ob sie wohl wußten, daß ihre Miesmuscheln, die sie an vielen im Wasser pendelnden Tauen züchteten, direkt über dem Silberschatz schwebten?
Die blauen Mies- oder Pfahlmuscheln finden wir auch bei uns im Norden. An Dalben, Pfählen, Felsen und Brückenfundamenten sitzen sie, und wenn ein Schiff zu lange: im Hafen liegen bleibt, kleben sie sich mit ihren Byssusfäden an die Giftfarbe des Dampfers und nehmen gar keine Rücksicht auf die Reputation der Patentfarbe und deren Herstellerfirma.
Sie haben Ähnlichkeit mit Austern. Wie schnell sie sich vermehren, bewiesen sie uns in den Niederlanden. Dort hatten während des letzten Krieges die abziehenden deutschen Truppen die Insel Walcheren unter Wasser gesetzt, indem sie die Deiche zerstörten. Und wer eroberte die Insel? Die Alliierten? Das Wasser? Ja, auch die und das! Aber festgesetzt und niedergelassen haben sich dort die Miesmuscheln.
Das fanden die Holländer heraus, als sie nach einem Jahr die Deiche wiederherstellten und das Wasser auspumpten. Überall klebten die Muscheln, an Häusern, an Wegweisern, an zurückgebliebenen Autos und zerstörten Tanks. Selbst auf die Bäume waren sie geklettert! Doch nie über die Wasserlinie hinausgedrungen.
Muscheln über Muscheln! Bis zu 30.000 Stück pro Quadratmeter!
Sie sind Kleinerzeuger einer klebrigen Masse, die an ihrem Fuß entlanglßuft und im Wasser sofort zu Fäden gerinnt. Mittels dieser Fäden hängen sie sich an irgendeinen Gegenstand – beispielsweise an die Taue der Miesmuschelbäuerinnen. Wollen sie „Höhensonne“ genießen, spinnen junge Muscheln ihre Fäden nach oben und seilen sich mit einem Klimmzug daran empor – eine peinlich langwierige Methode, aber Muscheln haben’s halt mit der Ruh’. Nahezu die Hälfte des Tages sind sie damit beschäftigt, sich frisches Wasser zuzuwedeln, damit ihre Kiemenbögen aus dem sie durchströmenden Wasser planktonischen Kleinkram herausfiltern können.
Viel werden sie da nicht schaffen? O doch: in einer einzigen Stunde fächeln sie sich mehrere Liter durch ihren Filterapparat! Und jeder Kubikliter Wasser enthält Tausende von pflanzlichen und tierischen Zellen.
Nicht in allen Teilen der Welt verzehrt man die Miesmuscheln mit solchem Genuß wie in England oder Barcelona oder auch auf unserem Boot. Das mag daran liegen, daß der Genuß von Muscheln, die in giftigen Abwasserbereichen leben, zum Tode führen kann.
Viele Feinde haben diese Tiere nicht. Ein Gegner ist die Möwe, die schwache Schalen zerbeißen kann, sich bei härteren jedoch eines Tricks bedient: sie steigt in die Luft, äugt, ob unter ihr felsiger Boden liegt und läßt die arme Miesmuschel fallen, die dann mit einem Knall zerplatzt, der für die Möwen der Umgebung zum Startschuß für den üblichen Streit wird.
Weil die Miesmuschel sich so eisenfest mit ihren Fäden an alles klammert, was von frischem Wasser umspült wird, glaubte sie, der Fuß sei wichtiger als der Kopf, und darum hat sie heute fast keinen Kopf mehr und keine Augen, ganz im Gegensatz zu ihren Vorfahren, die all diese Dinge noch besaßen und frei im Wasser umherschwammen.
Der Aufseher auf dem Muschelfloß schenkte Niña zu ihrer großen Freude einen halben Sack voller Muscheln. Offensichtlich dachte er beim Anblick ihrer schlanken Figur, sie werde bei mir nicht satt. Die folgenden Tage verzehrten wir dann mit großem Genuß in Rotwein und Zwiebeln gekochte Miesmuscheln.
Schließlich nahmen wir von Vigo Abschied; sein großzügig angelegter Yachtclub, der architektonisch den Aufbauten eines Dampfers gleicht, lag bald hinter uns; vor uns erhoben sich aus dem Dunst des Atlantischen Ozeans die Felseninseln Cies.
Der Vogel mit dem Rucksack
Niña, die inzwischen ihren Segelunterricht mit Erfolg absolviert hatte, steuerte das Boot in eine abgelegene Bucht der bis vor kurzem unbewohnten Nordinsel Cies.
Wir strebten durch Sand und dürres Gesträuch dem Süden der Insel zu, als ich plötzlich auf dunkle Wasservögel aufmerksam wurde, die kopfüber ins himmelblaue Meer tauchten. Alle Augenblicke kamen sie mit einem Fisch im Schnabel wieder an die Oberfläche und verschlangen ihn vor unseren Augen. „Komische Enten sind das“, meinte Niña.
Aber es waren Kormorane; sie tragen eine Art Rucksack in ihrem Schnabel: zwischen den Kiefern des unteren Schnabels ist die Kehlhaut elastisch und dient als Futterkrippe.
Im Gegensatz zu vielen anderen Tauchvögeln werden Kormorane im Wasser „naß“: ihr Gefieder ist wasserdurchlässig, sie müssen es sich nach jedem Fischzug mit den Flügeln trockenwedeln. Im Wasser haben sie einen so großen Tiefgang, daß man glauben könnte, ihre Füße seien aus Blei. Bei den Fischern sind diese Tiere nicht beliebt; sie werden als Konkurrenten betrachtet, die gierig ebenso viele Fische verzehren wie des Fisdlers Familie.
In Japan, China und vielen anderen Ländern „kaufen“ sich die Fischer ihre Konkurrenz auf: junge fleißige Kormorane – Kormorane sind immer fleißig – werden von ihnen dazu dressiert, von einem Boot aus auf Fische Jagd zu machen. Die Vögel tragen während ihrer Arbeit einen Hanfgarnring um den Hals, der sie daran hindert, größere Fische zu verschlucken. Jeder Fischer hat sechs bis zwölf Kormorane in seinem Boot, mit denen er jagt, denn die Arbeit erschöpft die Vögel rasch.
Nur ein einziger Vogel wird jeweils ins Wasser gelassen; er schluckt so viele Fische, wie sein Rucksack aufnehmen kann und kommt dann taumelnd zum Boot zurück, wo er von seinem Gebieter einen Klaps auf den Hals bekommt, damit er seinen Fang herauswürgt. Zur Belohnung erhält er großzügig kleinere, minderwertige Fische, die nicht verkauft werden können. Da die Kormorane gewandte Schwimmtaucher sind und gut eine Minute unter Wasser2 bleiben können, fangen sie in wenigen Stunden eine ansehnliche Zahl von Fischen.
Die Inseln wurden uns zum wahren Ferienparadies. Wir kraxelten in den Bergen herum, pflückten Brombeeren, badeten an einsamen Strandplätzen und suchten nach seltenen Muscheln. Doch da wir als moderne Menschen einen Fahrplan besaßen, kam bald die Stunde der Abfahrt.
Durch gefährliche Kanäle segelten wir nach dem Fischernest Bayona, das als erste Stadt der Alten Welt die Nachricht von der Entdeckung Amerikas erhielt. Dort hatte die Karavelle „La Linta“ unter dem Kapitän Martin Alonso Zuflucht vor einem schlimmen Sturm gesucht, nachdem sie schon einige Wochen zuvor vom Schiff des Kolumbus, der „La Niña“, in Höhe der Azoren durch einen Sturm getrennt worden war. Man macht nicht viel Aufsehens von diesem merkwürdigen Ereignis, nur eine kleine Inschrift erinnert daran. Doch hat es Bayona auch gar nicht nötig, sich damit wichtig zu machen, denn es besitzt eine Umgebung, die sich wie die Kulisse zu einem romantischen Theaterstück ausnimmt: sanft geschwungene Hänge, in Pinien- und Zypressenhaine gewandet, ein altes Schloß am Hafen und dahinter tiefblaue See.