Kitabı oku: «Die Versuchung des Elias Holl», sayfa 5

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Nachdem ich mich von Matthias, Marx Welser und Garb vor dem Rathaus verabschiedet hatte, schritt ich den Eisenberg hinab, um den Eindruck zu erwecken, ich ginge nach Hause. Doch dahin zog es mich nicht. Ich strebte über die Sterngasse hinter dem Rathaus dem Perlachturm zu. Der Schlüssel zum Aufgang hing wie immer versteckt hinter einer Blende am Haken, für Unwissende nicht zu sehen. Bis ganz nach oben ging ich. Ich wollte allein sein und weg von den Menschen. Hier oben war ich beides, zudem hatte ich alle anderen zu Ameisen gemacht. Die Sonne war bereits ein Stück weit nach Süden vorgedrungen. Ich blickte hinab auf den Neuen Bau; Hans sah ich, wie er den Gesellen die Schnapsration reichte. Zwar schien die Sonne, aber es war immer noch alles gefroren. Es würde solange einen guten Tropfen für die Männer geben, bis der erste Schnee wegtaute, hatte ich mit ihm ausgemacht. Er hielt mir die Treue und auch sein Wort, anders als Remboldt. Ich solle an mich halten, hatte der mich oben im Sitzungssaal geheißen. Als Heißsporn, der ich immer noch sei, obwohl schon einundvierzig Jahre alt, neige ich zu spontanen Wutausbrüchen. Mir wäre gut geraten, mich im Zügeln meines Temperaments zu üben, denn das verneble mir manchmal die wahre Sicht auf die Dinge. Um Klarheit zu schaffen, sage er es mir noch einmal in aller Deutlichkeit: Er habe mir versprochen, dass ich das neue Rathaus baue und dieses Versprechen werde er halten, bei seiner Ehre als Stadtpfleger! Er habe nicht gesagt, dass ich der Einzige sei, der es entwerfe. Zudem: Der Vorschlag, einen zweiten Architekten hinzuzuziehen, stammte nicht von ihm, sondern vom Kleinen Rat und wenn dieser einhellig etwas bestimmte, gäbe es kein Dagegenreden. Dass ich mich an der Betitelung ›Architekt‹ für Kager stieße, sei irrelevant und meiner persönlichen Herabminderung dessen Person geschuldet, die er nicht teile. Kager habe zur Genüge bewiesen, dass er entwerfen könne. Ich hätte die Freiheit, den Beschluss zu akzeptieren oder auch abzulehnen; die Tragweite einer Ablehnung aber solle ich jedoch in ihrer Tiefe ermessen: Es mache einen nicht unerheblichen Unterschied, geistiger Schöpfer eines unsterblichen Baudenkmals zu sein oder dessen Erbauer. Ich könne beides werden, wenn ich den besten Entwurf brächte. Diese Chance würde ich vergeben, wenn ich die Entwurfseingabe ablehnte und das Feld einem anderen, in diesem Fall Kager, überließe. Ich sei mir darüber wohl bewusst, hatte ich ihm geantwortet, letztlich war es bei der Fassade der Metzg und dem Zeughaus nicht anders gewesen; Heintz hatte da gewaltig seine Finger im Spiel gehabt; er hatte mich geschulmeistert und Matthias’ Entwürfe abgekanzelt. Remboldt bemerkte, seines Wissens hätte ich mit Kager stets gut kooperiert, er verstünde nicht, weshalb ich beim Rathaus so einen Zinnober veranstalte.

»Holl, ich erwarte mit mehr als nur Neugier Eure Entwürfe. Es ist mir vollkommen egal, ob diese, wie Marx Welser es angesprochen hat, in fruchtender Kooperation mit Kager entstehen oder im Alleingang. Die Sache ist zu dringlich, als dass ich auf solche kindischen Muskelspielchen eingehen könnte. Mir ist nur eines wichtig: In zwei Wochen liegen die ersten respektablen Zeichnungen und Visierungen auf dem Ratstisch!«

Mit diesen Worten hatte er die Unterredung beendet und sich jeglichen weiteren Disput darüber verbeten.

Ich rieb die Hände mit waschenden Bewegungen über Nase und Gesicht, nicht weil es hier oben frostig zog, oder ich mir die Müdigkeit fortwischen wollte, sondern um meine Gedanken zu glätten, die sich mir heiß und unruhig auf die Wangen legten. Natürlich hatte Remboldt Recht gehabt – bislang hatte ich mich stets mit Joseph und Matthias arrangiert. Aber das wollte ich nicht mehr, zumindest nicht bei diesem Projekt. Es konnte nicht angehen, dass ich nach all den Jahren und den vielen Bauten immer noch Hilfe beim Entwerfen brauchen sollte oder mit anderen kooperieren. Ich musste mich ein für alle Mal davon loslösen. Die großen Meister Palladio, Serlio und Bramante waren auch einmal an den Punkt gekommen, wo sie keines anderen mehr bedurften, sie hatten alles aus sich selbst heraus geschöpft. Das wollte auch ich erreichen. Es ging mir nicht um einfache Bauwerke wie Wasser- und Wehrtürme, um profane Bauten wie Wohnhäuser, Speicher- und Markthallen, die hatte ich schon lange im Einzelgang gemeistert. Das Rathaus! Einzig das Rathaus musste es sein. Ein mächtigeres und über alle Maßen imposanteres Gebäude würde in Augsburg nicht mehr errichtet werden. Und wenn dieses erst einmal stand, dann für immer und ewig. Es sei denn ein Unglück, schrecklicher als alle zuvor, mochte kommen und es niederreißen – doch das lag allein in Gottes Hand. Wenn der Herrgott dem Schöpfer und Erbauer des neuen Rathauses wohl gesonnen war, schützte er ihn und sein Werk bis in alle Ewigkeit. Ich wollte und konnte, mehr noch, ich musste sowohl dessen geistiger Schöpfer als auch dessen Erbauer sein, ganz wie Remboldt es ausgedrückt hatte. Kein Zweiter durfte mir da ins Handwerk pfuschen. Kager war gut, das stritt ich nicht ab, aber er war bloß ein Maler, kein Architekt. Er konnte schöne Visierungen zeichnen und Wände mit Figuren beleben, aber was wusste der von Achsenaufteilung, Symmetrie und Proportionen? Was von Grundrissen und Mauerstärken? Natürlich, er konnte sich kundig machen, wie er es früher schon getan hatte, und es war sicher, dass er sich die große Chance nicht entgehen ließe und mir mein Anrecht auf den alleinigen Ruhm streitig machte. Er würde sich mir in den Weg stellen, wie er es schon einmal in Venedig getan hatte, selbst wenn er im Nachhinein alles beschönigte und betonte, dass alles nur zu meinem Guten geschehen wäre. Dieses Mal musste ich Matthias aus dem Feld schlagen, ob er mein Freund war oder nicht! Ob mir das gelingen würde? Kaum hatte ich mir diese Frage gestellt, dachte ich an Vater. Er würde mich dafür schelten und mir den Ausspruch vom Zweifel zitieren, dass dieser das Gemüt vergifte und dem Gelingen wie ein Alb im Nacken sitze.

Ich stieg den Perlachturm hinab und besuchte die Baustellen, um mich abzulenken. Das gelang mir nur leidlich; die Poliere hatten alles im Griff, sodass ich zumindest für diesen Tag nicht mehr groß in Beschlag genommen wurde.

Als es dämmerte, strebte ich nach Hause. Das Atelier suchte ich nicht mehr auf, ich betrat gleich die Wohnung. Adelgund stand am Herd in der Küche und kochte.

»Wie geht es Rosina heute?«

»Meister Holl, Ihr werdet es kaum glauben, Eure Frau behält das Essen! Es muss jetzt auch nicht mehr nur Suppe sein. Heute Morgen hat sie zum ersten Mal wieder etwas Brot gegessen.«

»Kann ich zu ihr?«

»Ja, geht hinein, sie wird sich freuen, Euch zu sehen.«

Rosina lag wach und begrüßte mich mit einem milden Lächeln. Ihre Augen waren rot unterlaufen und grau war ihr Gesicht. Es mochte ihr wohl besser gehen, doch nicht so, wie ich nach Adelgundes Worten erhofft hatte. Rosina war immer noch sterbenskrank. Ich setzte mich zu ihr, küsste sie auf die Stirn und nahm ihre Hand.

»Adelgund hat dich gelobt! Du hast heut sogar Brot gegessen. Das ist ein gutes Zeichen!«

Rosina nickte, noch zu geschwächt für viele Worte. Ich spürte ihre knochigen Finger in meiner Hand und nahm meine andere dazu, um sie wie in einem wärmenden Kelch einzuschließen.

»Du wirst sehen, Liebes, mit jedem Tag wird es besser und besser. Heute hat seit langem wieder die Sonne geschienen. Bald ist Frühling, dann schmilzt der Schnee. Und wenn die ersten Weidenkätzchen treiben, bist du wieder mit den Kindern draußen an der Wertach.«

Rosina lächelte und drückte meine Hand. Mir wurde schwer ums Herz dabei. Sie war am gesunden und dennoch spürte ich ihre unsägliche Schwäche. Was, wenn sie einen Rückfall erlitt?

»Gibt … es … Neuigkeiten … von … der … Arbeit?«

Seit Tagen hatte ich ihre Stimme nicht mehr gehört. Es war erschreckend, wie gebrechlich Rosina klang und wie sie um Worte ringen musste. Die Pausen zwischen den einzelnen Worten zogen sich ins Unendliche. Ich unterdrückte meinen Drang, ihr von der neuen Rathausplanung zu erzählen.

»Der Neue Bau geht wohl voran. Und auch die anderen Bauten gedeihen. Alles läuft gut.«

»Das … freut … mich … für … dich! Lass … dich … umarmen.«

Ich beugte mich zu Rosina hinab und als sie versuchte, ihre dünnen kraftlosen Arme um mich zu legen, spürte ich zum ersten Mal wieder ihre Nähe. Sie war so fragil geworden. Ich hatte Angst, sie zerbreche unter meiner Last. Ich spürte, wie es mir flau im Magen wurde und mir der Schweiß hinter den Ohren rann; eben dieses Gefühl hatte mich heimgesucht an Marias Sterbebett. Ich war gefangen zwischen Fortgehen und Verweilen. Ich wollte Rosina nicht loslassen, niemals mehr, aber ich konnte es nicht ertragen zu bleiben. Ich zitterte, als ob Frost sich meiner bemächtigt hätte. Rosinas Schwäche schwächte auch mich. Ich würde nicht imstande sein, auch nur einen einzigen geraden Strich aufs Papier zu bringen, wenn ich noch länger bei ihr bliebe.

»Ich muss noch ins Atelier.«

Ich versuchte meine Stimme stabil zu halten. Weinerliches brachte keinen Mut hervor.

Rosina nickte. »Tu … das, mein … Liebster … Ich … muss … jetzt … schlafen. Bis … Morgen.«

»Ja, bis Morgen.«

Allein dieses ›Bis Morgen‹ machte mich schlucken und mir die Augen tränen. In ihrer leidvollen Not dachte sie an unser morgiges Wiedersehen, schöpfte Trost und Hoffnung aus der Kraft des Schlafes und dachte nicht daran, aus ihm nicht mehr erwachen zu können. So stark war sie. Ich wünschte mir diese Stärke zu besitzen. So wie ich auf dem Bau und bei allem im und um ihn herum dominierte, so schwach und hilflos war ich in solchen Momenten. Ich nahm ihre Hände an meinen Mund, küsste sie lange und legte sie sorgsam unters Laken. Rückwärts verließ ich das Zimmer, den Blick auf meinem geliebten Weib, das schon die Augen geschlossen hatte. Ich bekreuzigte mich und trat aus der Tür.

Adelgund hatte mir einen Teller Fleisch und einen Becher Wein aufgetischt. Beides wollte ich nicht anrühren.

»Ihr müsst etwas essen, Meister Holl, sonst brecht Ihr mir auch noch zusammen, und dann?«

Ich zwang mich zu jedem Bissen. Das Kauen fiel mir schwer. Als ich mit Mühe die Hälfte von Teller und Becher gelehrt hatte, ging ich nach unten ins Atelier. Dort heizte ich ein, zündete die Kerzen an, legte ein schönes neues Papier auf und setzte mich an den Tisch.

Eine lange Weile starrte ich nur auf den Bogen. Mir wollte nichts einfallen. Obwohl ich mir eine zweite Jacke übergezogen hatte, fror ich. Es glomm nur noch im Ofen. Ich legte Scheite nach und stierte ins Lodern. Nur langsam geriet Wärme in die klammen Hände. Ich wünschte mir den Sommer herbei, sah Rosina und mich an der Wertach im Gras sitzen und die Kinder im seichten Wasser herumtollen. Das Bild verblasste und wollte nicht zurückkehren. Ich setzte mich wieder an den Tisch, legte mir Lineal, Feder und Zirkel zurecht und begann das Raster aufzuzeichnen. Kaum ein paar Linien gezogen, warf ich die Feder hin. Es hatte keinen Zweck. Ich wusste nicht, wo anfangen, was zeichnen mit einem Kopf voller Sorgen. Ich sollte das neue Rathaus entwerfen, einen heroischen Bau von epochaler Größe, während meine Frau nur wenige Klafter von mir entfernt zwischen Tod und Leben schwebte. Ich rieb mir die Nasenwurzel. Müde war ich, sehr müde, und eigentlich hätte ich mich schlafen legen müssen, doch Scham überkam mich und ließ es nicht zu; ich schämte mich wie zu Kinderzeiten, wenn Vater mir etwas aufgetragen hatte und ich damit nicht zurechtgekommen war. Hier war es nicht Vater, es war einzig ich; ich schlug Hilfe aus, ein Hausmädchen zu bekommen und hatte außer dem läppischen Gang in die Unterstadt dahin gehend nichts weiter unternommen. Wie konnte ich nur? Ein Tag blieb mir noch, dann wäre Adelgund aus dem Haus und ich gänzlich allein auf mich gestellt. Es sei denn wirklich, dass Garb … Nein, der machte doch nur Sprüche … Aber Marx Welser? Der hatte doch auch Hilfe zugesagt. Ich musste einen erbärmlichen Eindruck bei denen erweckt haben. Der große Holl ganz klein und hilflos. Das durfte nicht sein. Ich griff Mantel und Mütze und verließ das Atelier.

Die Turmuhr schlug zehn, als ich im Dunkel über den Weinmarkt schritt. Kein Mensch querte meinen Weg über die kalten Gassen, nur Katzen und Ratten sah ich, die sich fauchend und fiepend über den Unrat hermachten. Schwarz standen die Häuser. Aus einem drang spärlicher Schein durch die geschlossenen Fensterläden; dorthin strebte ich, zum ›Prinz von Oranien‹. Thorwald Jannsen, der ursprünglich aus Hamburg stammte, hatte vor Jahren die Wirtschaft eröffnet. Ich besuchte sie – meist mit Auftraggebern oder Amtsleuten – nicht nur, weil ich mich gut mit Thorwalds hanseatischer Art vertrug, sondern weil er mir immer mal wieder Neuigkeiten aus dem Augsburger Leben erzählte, die mich sonst nicht erreichten. Als ich eintrat, waren noch fünf Gäste zugegen; drei würfelten, einer schlief, den Kopf im Genick, der Mund offen wie ein Ofenrohr, und einer steckte bis zu den Ohren zwischen den kindskopfgroßen Brüsten einer Hübschlerin.

Der ›Prinz von Oranien‹ und der ›Walfisch‹ beim Milchberg waren die einzigen Gaststätten mit einer Sonderschankkonzession bis um Mitternacht, weil sie auch Zimmer an Pilger vermieteten, die eben oftmals spät eintrafen. Durch eine Schlupfpforte in der Stadtmauer wurde ihnen auch des Nachts Einlass gewährt.

»Ah, der werte Meister Holl noch zu so später Stunde!«

Thorwald wischte sich die Finger an der Schürze ab und wir reichten einander die Hände.

»Solltet Ihr jetzt nicht im Atelier sein, beim Entwerfen? Ich weiß schon Bescheid … ein paar Ratsmitglieder haben heut Mittag beim Essen darüber geredet.«

»Mach mir ein gestauchtes Dunkles, Thorwald, und setzt dich kurz zu mir her!«

Mit einem »Wohl bekommt’s« brachte er das Bier und rückte zu mir auf die Bank.

»Was steht an, Meister Holl?«

»Ich will nicht lange rumreden, ich brauche ein Hausmädchen. Du kennst doch Gott und die Welt. Weißt du mir jemand?«

»Ich wüsste Euch gleich drei, nur ob Ihr die haben wollt, weiß ich nicht.«

»Was ist mit denen?«

»Sind ehemalige Huren, die es dick haben, von jedermann wie Vieh hergenommen zu werden; die wollen wieder anständig leben und arbeiten.«

»Ein redlicher Vorsatz. Wo ist das Problem?«

»Das müsst Ihr doch am besten wissen – Theorie und Praxis; bei Euch auf dem Plan sieht alles ganz gut aus, auf der Baustelle zeigt sich dann die Wahrheit. Bei denen ist’s ebenso: Einmal Hure, immer Hure. Zwischen Wollen und Wollen besteht ein Unterschied. Wenn die merken, dass sie fürs Geld richtig was tun müssen, dann stehen die schnell wieder in dunklen Häuserecken … oder stecken beim Hausherren unterm Laken, wenn die Frau außer Haus ist …«

»Vorurteile hast du keine, hm?«

»Holl, Ihr seid ein Edelmensch, aber ich weiß Bescheid übers Leben und die Weiber … Und die Hurenweiber, die sind eine ganz besondere Sorte.«

»Mag sein, damit kenne ich mich nicht aus. Jemand besseres weißt du nicht? Ich hab keine Zeit mehr. Bis Morgenabend brauche ich eine!«

»Tut mir leid, sonst weiß ich niemand. Aber … geht doch mal rüber zum Freisinger Georg, der könnte Euch weiterhelfen.«

»Der Wirt vom ›Mohrenkopf‹ am Predigerberg? Der hat doch schon zu!«

»Von Amts wegen ja, aber bis zwölf wird heut gewürfelt. Ihr müsst zur Hintertür und viermal klopfen, sonst macht der nicht auf.«

»Warum sind die drei Würfler da drüben am Tisch nicht bei ihm?«

»Beim Georg geht’s um Geld, und die da haben keines.«

Freisinger entpuppte sich ebenfalls als Reinfall. Der freute sich, als er auf mein Klopfzeichen hin öffnete, dachte er doch, mit mir sei ein letzter, gut gepolsterter Mitspieler gekommen. Umso enttäuschter war er dann, als ich nur wenige Minuten blieb und nicht einmal ein Bier bei ihm trank. Für Genuss hatte ich keine Zeit und auch keine Lust, mir brannte es unter den Nägeln.

Mit Ärger im Gemüt ging ich zurück nach Hause. Ich fluchte darüber kein Kindermädchen herzubekommen. Augsburg war voller Weibsbilder, es konnte doch nicht angehen, dass diese alles nur Huren waren, Kranke oder gar Aussätzige.

Meine Bitte, noch länger bei uns zu bleiben, schlug Adelgund am nächsten Morgen aus.

»Mei, Herr Holl, wegen mir gern. Aber im Sprengel sind zwei Ammen ausgefallen, da geht beim besten Willen nichts. Doktor Häberlin braucht mich. Zum Abend bin ich weg.«

»Ich geb dir einen Kreuzer extra, wenn du noch eine Woche bleibst!«

Adelgund verzog den Mund und schüttelte den Kopf.

»Adelgund, zwei Kreuzer!«

»Mir ist’s nicht ums Geld, Meister Holl. Mir ist’s um die anderen Frauen. Die brauchen mich ebenso wie die Ihre und die haben auch Ehemänner, die deswegen leiden.«

»Dann geh! Geh meinetwegen, ich komm schon zurecht!«

Ich zog mich an mit fahrigen Bewegungen und verließ das Haus.

Bevor ich mich auf den Weg zur Baustelle am Gymnasium bei Sankt Anna machte, richtete ich meine Schritte zum ersten Wohnhaus der Wintergasse in der Oberstadt. Den Klingelzug in der Hand, atmete ich tief und nahm mir vor, das armselige Bild, das ich gestern abgegeben hatte, wieder zurechtzurücken.

»Guten Morgen, mein Herr, Ihr wünscht?«

Was ich mir wünsche? Eine tüchtige Dienstmagd wie dich, lag mir auf der Zunge, als mir eine junge, noch dazu adrette Haushilfe öffnete.

»Ist der Hausherr zugegen?«

»Ja, das ist er, wen darf ich melden?«

»Sag ihm, Elias Holl, der Stadtwerkmeister sei da und wünsche ihn zu sprechen.«

»Oh, so tretet bitte ein. Ich gebe sogleich Bescheid.«

Die Dienstmagd führte mich in den Innenhof und bat mich, dort zu warten. Ich verspürte ein komisches Gefühl, als Bittsteller zu weilen in jenem Hof, dessen Arkaden ich geschaffen hatte. Und wäre meine Liebe zu Rosina nicht und nicht die Not, die unser Leben mit ihrem Leid heimsuchte, ich hätte den Weg in dieses Mannes Haus nicht angetreten.

»Na, das ist mir eine Überraschung!«, tönte es im klebrigen Überschwang vom oberen Gang in den Hof hinunter. »Der Herr Stadtwerkmeister höchstpersönlich macht mir seine Aufwartung, und das, wo er nicht einmal einen Auftrag von mir zu erledigen hat!«

Anton Garb stand an der Balustrade, die Hände aufgestützt und sah im wahrsten Sinne des Wortes auf mich herab. Dass er keine Anstrengung unternahm, sich zu mir hinunterzubegeben, bestätigte mich in all meiner Abneigung, die ich gegen überheblichen Popanz hegte.

»Was verschafft mir die Ehre?«

»Ich bin gekommen, um das Versprechen eines Edelmannes einzulösen«, gab ich zurück. »Das seid Ihr doch, ein Edelmann?«

»Man behauptet es zumindest. Weiß man’s, ob was dran ist?«

Eine passende Antwort hätte ich parat gehabt, doch ich besann mich. »Garb, Ihr wisst, es bereitet uns beiden Freude, uns ein wenig bissig zu begegnen, doch heut will ich diesem Spaß ausnahmsweise einmal absagen.«

»Ihr habt damit angefangen … mit Eurem zynischen Edelmann.«

»Verzeiht, wohl ein Versehen aus Gewohnheit. Ich möchte es dabei belassen.«

»Schade, wo ich mich gerade darauf gefreut hatte. Spitze Zunge schärft den Geist. Nicht bei allen muss ich mich in der Konversation so anstrengen wie bei Euch.«

Ich wusste, es war an mir, geradeheraus mein Anliegen auszusprechen. Kein einziges »Äh«, nicht der Hauch eines Ringens um Worte, gar eines mildtätigen Ersuchens durfte mir aus dem Munde kommen.

»Ich komme wegen des Kindermädchens. Ihr habt mir eines versprochen. Kann ich es sogleich mitnehmen?«

Das war forsch, doch die einzige Sprache, die Garb verstand. Mir war es einerlei, ob ich damit seine Hilfe verwirkte oder damit in seiner Schuld stünde. Mehr, als dass er sein großmäuliges Wort bräche, könnte nicht geschehen.

»Das Kindermädchen … Ja, ich erinnere mich. Ihr seid wahrlich in Nöten. Das Holl’sche Haus droht der Verwahrlosung anheimzufallen, ohne eine nette kleine Person, die man scheuchen kann …«

Ich atmete tief. Zu gerne wäre ich nach oben gegangen, um diesem fetten Widerling die Faust ins Labermaul zu stopfen oder den Schuh bis zum Knöchel in den Fettarsch zu rammen, dass es ihn über die Balustrade lupfte und er satt und schwer wie ein Mastschwein mit einem dumpfen Schlag im Hof aufträfe.

»So arg ist es nicht um uns bestellt. Mir geht es einzig darum, Euch beim Wort zu nehmen, dass Ihr mir gegeben habt.«

»Habe ich das? Und wenn, glaubt Ihr, ich hätte ein Hausmädchen bei mir auf Abruf in der Besenkammer stehen?«

»Ich sehe schon, es hat keinen Zweck. Ihr seid kein Edelmann«, sprach ich und schritt zum Ausgang, bemüht Ruhe zu bewahren. Das »Holl, wartet!« konnte mich nicht aufhalten. Ich nickte mit einem recht gequälten Lächeln Garbs Dienstmädchen zu, die mir vorauseilte, um die Tür zu öffnen.

Fest trat ich auf und schritt über die Gassen. Heute Abend würde ich also mit meiner todkranken Frau und fünf Kindern, davon eines ein Säugling, allein auf mich gestellt sein. Und das, wo ich neben meiner vielen Arbeit noch keinen einzigen Federstrich für das neue Rathaus gezogen hatte. Ich schritt an den Gaststuben vorbei, ›Zum weißen Lamm‹, ›Zur Goldenen Traube‹ und ›Zum Silbernen Becher‹ – sollte ich einkehren und mich besaufen? Groll und Missmut in Bier und Wein ertränken? Und dann? Das Elend dadurch noch verschlimmern? Nein, so dreist, so töricht war ich nicht. Es galt einzig einen kühlen Kopf zu bewahren und mit Klarheit zu überlegen, welche Möglichkeiten sich mir noch böten. Auf meine beiden Brüder konnte ich nicht zurückgreifen, Jonas war mit seiner Familie nach dem schwäbischen Ravensburg gezogen, um dort am Landvogteischloss zu arbeiten, und Esaias war nach dem nordischen Blumenthal umgesiedelt, nachdem seine Entlassung aus dem Geschworenenamt bewilligt wurde. Welser! Marx Welser hatte mir ebenfalls versprochen, ein Hausmädchen zu besorgen! Hatte er es versprochen oder nur in Aussicht gestellt? Was hatte er genau gesagt? Ich konnte mich nicht mehr an den Wortlaut erinnern. Während ich vor mich hinstapfte – und sicherlich den einen oder anderen Gruß nicht wahrnahm – versuchte ich verbissen, die Welser’schen Worte zurückzuholen. Nein, ein Versprechen konnte es nicht gewesen sein; mir fiel wieder ein, vor denen hütete er sich, ihretwegen, besser, des Bruches selbiger hatte er sich manchen geschäftlichen Ärger eingehandelt, wie man erzählte. Und selbst wenn er es mir versprochen hätte, würde ich nicht die Stirn besitzen, ihn gleich Garb in seinem Hause aufzusuchen. Marx Welser gab sich den Baumeistern und Künstlern gegenüber zwar loyal und interessiert, doch tatsächlich war unsereins kein standesgemäßer Umgang für ihn. Das Welsergeschlecht wie das Fugger’sche war im Grunde unnahbar für Leute wie mich, die nicht deren Stand innehatten.

Im Eilverfahren handelte ich alle Probleme auf den Baustellen ab, um wieder zurück zu Hause zu sein, noch ehe Adelgund fort wäre. Ich hastete geradezu durch die Oberstadt, um auf der Höhe des Merkurbrunnens von einer jungen Stimme aufgehalten zu werden:

»Meister Holl, so wartet!«

Es war Garbs Dienstmädchen, das ganz außer Atem mir hinterher eilte und mich bat, mit ihr ins Garb’sche Haus zu kommen. Ihr Herr habe mir etwas zu sagen. Ich dachte mir schon, was es sein würde; eine Maßregelung wegen meines ungebührlichen und respektlosen Benehmens. Ein Mann wie Garb würde das nicht hinnehmen und sich beim Baumeisteramt oder noch besser beim Kleinen Rat, am besten bei Remboldt persönlich über mich beschweren. Sollte ich mir das antun? Ich hatte doch ohnehin schon gefehlt, die Beschwerde würde mich so oder so erreichen, warum mich zweimal verdrießen lassen? Als ob das Quantum Not nicht schon groß genug war.

»Sag deinem Herren, die Strafpredigt kann er sich sparen. Ich habe andere Sorgen als mir das anzuhören!«

»Aber nein! Es ist wegen des Kindermädchens! Es wartet auf Euch!«

»Was?«

Abrupt blieb ich stehen. Das Mädchen schloss auf. Es erzählte mir, ihr Herr habe es geheißen, mich zu suchen und mir mitzuteilen, er sei sehr wohl ein Edelmann und er halte seine Versprechen. Ich solle kommen und das Hausmädchen abholen. Es warte auf mich mit gepackten Sachen.

Ich kratzte mich im Genick. Das kam überraschend.

»Sprichst du die Wahrheit?«

»Aber mein Herr! Ich lebe die Gebote!«

Also folgte ich der Dienstmagd. Die wenigen Minuten zu Garbs Haus fragte ich sie nach ihrem Namen, wie lange sie schon bei Garb in Diensten stünde, ob er ein guter Herr sei und natürlich, ob sie etwas über das Kindermädchen wisse, das bei mir Anstellung finden sollte.

Es heiße Florence, antwortete sie, und käme wie ihr Herr aus Genf. Seit vier Jahren arbeite es schon bei den Herrschaften und stünde recht wohl damit. Über das neue Mädchen wisse sie nicht viel, außer, dass Herr Garb gleich, nachdem ich das Haus verlassen hatte, gegangen sei, es zu holen. Es heiße Mechthild und sei … naja, sie wisse nicht recht … sie wolle nicht unhöflich erscheinen … es sei etwas … stämmig. Dies war die letzte Information, die ich von ihr erhielt, bevor wir ins Haus traten.

Mechthild wartete bereits im selben Hof, in dem ich zuvor gewartet hatte. Unwillkürlich rieb ich mir übers Kinn, als ich sie sah. Sie war nicht nur ›stämmig‹ – sie war dick. Mächtig dick. Im Grunde fett wie eine trächtige Sau. Sie übertraf noch Theresa, die massige Wirtin vom ›Eisenhut‹. Ich fragte mich, wie man sich in unseren mageren Zeiten so viel Speck anfressen konnte, wenn man nicht den Wohlhabenden angehörte. Teiggesichtig und hamsterbackig saß sie auf einer Sitztruhe und hatte ein großes Bündel und zwei Taschen neben sich stehen.

»Nun, Holl … habe ich zu viel versprochen?«

Garb kam im feinsten Werktagsstaat die Treppe herunter, stellte sich neben Mechthild und legte altväterlich seine Hand auf ihre Schulter. »Mechthild! Unser bestes Pferd im Stall …«

Sollte wollte ich das wörtlich nehmen? Neben ihr gab sich Garb geradezu schmal aus.

»Mechthild, dein neuer Dienstherr: Meister Holl, der Stadtwerkmeister …«

Mechthild erhob sich schwerfällig und machte einen plumpen Knicks. Ich nickte.

»Sie kann alles. Sie wäscht, putzt, kocht, stickt, plättet, schürt, …«

Wiehert?, kam es mir unwillkürlich in den Sinn.

»… und für Euch – oder Euer Weib, wie man’s nimmt – nicht unwichtig: Sie kann auch stillen.«

Garb bat mich kurz mit ihm zu kommen, bevor ich mit Mechthild das Haus verließe, es gäbe noch ein paar Dinge zu besprechen. Wir gingen in ein Zimmer nebenan. Garb schenkte uns Wein in edle Gläser, reichte mir eines und bot mir Platz an. Ich setzte mich in einen schweren, mit Brokat bezogenen Eichenstuhl.

»Also, Holl, Ihr habt es Euch bestimmt schon gedacht, Mechthild hat großen Hunger, um nicht zu sagen, einen sehr großen, ja, einen enormen Hunger. Den hat sie immer. Sie isst für drei, und dass muss sie auch, sonst bricht sie zusammen. Also erschreckt nicht, wenn sie wagenweise die Fressalien ankarrt; es trifft bei Euch keinen Armen.«

»Gibt es noch etwas anderes, was ich wissen sollte?«

»Mechthild arbeitet langsam, sehr langsam – verständlich, bei dem Gewicht … Also übt Euch in edelmännischer Geduld. Ich sage das nur, weil Euer rauer Ton bekannt ist.«

»Den schlag ich nur dort an, wo es Not tut … auf den Baustellen. Hat Mechthild auch Vorzüge?«

»Oh ja, natürlich. Sie ist eine wahre Fee in der Küche. Ja, die Küche ist ihr Himmelreich. Ihr werdet es merken.«

»Und sonst?«

»Sie arbeitet gründlich und gewissenhaft. Sie lebt sich schnell ein und Ihr braucht Euch um nichts mehr zu kümmern.«

Garb endete mit diesem Satz und ließ keinen weiteren Folgen, stattdessen sah er mich an. Ich versuchte, seinen Blick zu deuten, es schien mir, er erwarte etwas. Ich verstand.

»Ihr habt Euer Versprechen gehalten, Garb. Entschuldigt mich, dass ich daran gezweifelt hatte.«

Ich hätte noch mehr sagen können, ihn mit Dankeshymnen einlullen – er wusste ja nicht, wie heilfroh ich um Mechthild war, selbst wenn ich mir mit ihr einen kleinen Elefanten ins Haus holte – aber ich wollte seinem Dünkel nicht über Gebühr förderlich sein.

Garb saß bequem im Stuhl und spielte mit der Unterlippe, er zog sie dauernd mit Daumen und Zeigefinger nach vorne, um sie mit einem kaum hörbaren Plopp wieder zurückschnellen zu lassen, dabei sah er mich unentwegt an.

»Die Angelegenheit wäre erledigt. Was macht der Entwurf?«

»Fürs Rathaus? Ist im Gange«, log ich.

»Wie weit seid Ihr?«

»Entwurfsphase. Erst mal grob die Ideen sichten. Ein paar Dutzend habe ich schon.«

»Oh? So fleißig?«

Mir war es einerlei, ob mir Garb diese unverfrorene Lüge abnahm. Wenn er mir das wirklich glaubte – was ich mir nicht vorstellen konnte, so töricht war nicht einmal Garb –, zeugte das von der absoluten Unkenntnis darüber, was es an Zeit und Aufwand brauchte, um auch nur einen einzigen Entwurf anzufertigen.

»Mit Kager habt Ihr ja jetzt auch einen angemessenen Konkurrenten.«

Aha? Dieses Wort war bei der Sitzung nicht gefallen. Marx Welsers Intention war eine ganz andere, der sprach von fruchtbarer Kooperation, aber Garbs Wahrnehmung schien schärfer an der Wirklichkeit. Dennoch ließ ich mich nicht auf sein Spielchen ein – was wollte er von mir hören? Dass ich Angst hatte, Matthias könne mich aus dem Feld schlagen oder dass ich ihn mit meinen Entwürfen niedermachen würde? Ich merkte betont auf, verwies auf den Schlag der Ratsglocke unweit Garbs Anwesen. Ich wusste nicht, wie oft sie geschlagen hatte, dennoch war sie mir ein willkommenes Zeichen, mich von dieser Situation loszueisen.

»Oh, schon so spät? Ich muss gehen.«

Wir erhoben uns. Ich reichte ihm die Hand. »Seid noch einmal recht bedankt für Eure Hilfe.«

Garb nickte nur gefällig. Das Dienstmädchen geleitete Mechthild und mich hinaus. Wir gingen geradewegs nach Hause, wo Adelgund schon alles versorgt hatte und auf Doktor Häberlin wartete; der musste in einer halben Stunde eintreffen. Adelgund wies derweil Mechthild ihre Kammer zu, zeigte ihr alle Zimmer und erklärte den Haushalt. Sie betonte ausdrücklich die gebotene Rücksichtnahme auf Rosina – sie schlief, als wir gemeinsam die Wochenstube betraten.

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Litres'teki yayın tarihi:
26 mayıs 2021
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9783839238806
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