Kitabı oku: «Die fälsche Braut», sayfa 4
Eines jedenfalls mußte sie tun. Sie mußte Elisabeth vor dem Anschlag warnen, den man auf sie vor hatte. Sie konnte nur hoffen, daß es noch nicht zu spät war, daß Lady Clementine Lady Cardon nicht genau in dem Augenblick, da Elisabeth nach unten kam, von Sir Ruperts Absichten unterrichtete.
Doch dann glaubte sie, daß ihre Furcht unbegründet sei. Eine solch wichtige Sache würde Sir Rupert mit Lord Cardon nicht zwischen Tür und Angel besprechen. Zweifellos würde er ihn deswegen eigens aufsuchen und damit wenigstens bis zum nächsten Tag warten. In dem Fall war noch genügend Zeit, Elisabeth zu informieren und sie auf das vorzubereiten, was sie sagen mußte.
»Sie sehen besorgt aus. Miss!« sagte Bessie, und damit unterbrach sie Isabels Überlegungen. »Was beunruhigt sie? Ist es, weil Sie wieder nach Hause gekommen sind?«
»Ist das nicht Grund genug, beunruhigt zu sein?« fragte Isabel.
Bessie nickte.
»Ich wußte, daß es wieder so kommen würde, Miss. Ich wollte Sie nicht aufregen, als sie fortgingen. Doch als ich hörte, wohin man Sie diesmal schickte, war ich entsetzt. Glauben Sie mir, ich habe nachts keinen Schlaf mehr gefunden, wenn ich an Sie dachte.«
»Bessie«, rief Isabel. »Sie wußten, was mich auf Droxburgh Castle erwartete! Warum haben Sie mich nicht gewarnt?«
»Was hätte es für einen Sinn gehabt, Miss?« fragte Bessie. »Seine Lordschaft hatte entschieden. Was hätten Sie schon dagegen tun können?«
»Du hast ja recht«, antwortete Isabel. »Aber was wußtest du über Lord Droxburgh?«
»Genug, um zu wissen, daß ich meine Tochter lieber tot im Grab sehen würde als lebend in einem solchen Haus. Wir haben einen Diener hier, der bei dem Marquis eine Zeitlang in Diensten stand. Er kennt das Schloß und auch das Stadthaus in London. Die Geschichten, die er uns von da erzählte, waren so entsetzlich, daß uns die Haare zu Berge standen. Damals haben wir darüber gelacht und geglaubt, er wolle uns einen Bären aufbinden. Aber nachdem ich wußte, daß Sie auf dem Schloß des Marquis eine Anstellung als Gouvernante annehmen sollten, glaubte ich jedes Wort und wäre fast vergangen vor Angst um Sie. O Miss, ist Ihnen auch niemand dort zu nahe getreten?«
»Nein Bessie, du kannst beruhigt sein«, antwortete Isabel schwach.
»Dem Himmel sei Dank, Miss!«
»Reden wir nicht mehr davon!« stieß Isabel hervor. »Ich will vergessen, Bessie, verstehst du? Ich hasse die Männer. Sie sind teuflisch, gemein, grausam und schlecht.«
»Einige von ihnen sind anders«, sagte Bessie ruhig.
»Ich glaube es nicht!« rief Isabel leidenschaftlich. »Ich hasse sie alle - alle ohne Ausnahme!«
III
»Was soll ich nur tun, Isabel?« fragte Elisabeth zum tausendsten Mal. »Was soll ich tun?«
Sie wußte, es gab keine Antwort auf ihre Frage. Trotzdem wiederholte Elisabeth sie unablässig, so als ob Isabel mit Hilfe eines Wunders doch noch die Lösung finden könnte. Die ganze Nacht hatten sie miteinander geredet. Zuerst hatte Elisabeth bitterlich geweint, später lag sie bleich und tränenlos auf dem Bett, starrte stumm zur Decke empor und wußte nichts anderes zu tun, als von Zeit zu Zeit immer wieder zu fragen: »Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun?«
Auch Isabel wußte keinen Rat.
Tatsächlich war Elisabeths Lage ausweglos. Weder Isabel noch ihre Kusine konnten irgend etwas tun, um sie zu ändern. Und doch wehrte sich in Isabel alles, das Unvermeidliche zu akzeptieren. Beim Anblick Elisabeths und ihrer Verzweiflung konnte sie sich nicht verzeihen, daß sie es unterlassen hatte, die Ärmste von dem, was ihr bevorstand, unverzüglich zu unterrichten. Das hätte wenigstens den Schock ein wenig gemildert, der Elisabeth nun mit unverminderter Härte getroffen hatte.
Nachdem es Isabel klar geworden war, daß sie nicht länger mit der Mitteilung über das Gehörte warten durfte, war es bereits zu spät gewesen.
Elisabeth war nach unten geeilt, weil sie die Mutter nicht noch mehr verärgern wollte. Ahnungslos hatte sie den Salon betreten, in dem Lady Cardon auf sie wartete.
»Oh, da bist du endlich, Elisabeth!« hatte die Herrin von Rowanfield Manor scharf gesagt. »Wie konntest du nur so ungezogen sein, dich von der Party zu entfernen, bevor der Letzte unserer Gäste gegangen war?«
»Es tut mir schrecklich leid, Mama«, erwiderte Elisabeth zerknirscht. »Ich hatte Angst, das Band von meinem Petticoat sei aufgegangen. Deshalb bin ich nach oben gegangen, um es in Ordnung zu bringen.«
»Du solltest besser achtgeben«, sagte Lady Cardon und ließ es zur Überraschung ihrer Tochter bei diesem ein wenig geistesabwesend gesprochenen Tadel bewenden.
Wo ist Mama nur mit ihren Gedanken, fragte sich Elisabeth und atmete erleichtert auf. Sie hatte mit einer geharnischten Standpauke gerechnet und damit, daß ihre Mutter sie danach wieder tagelang mit Mißachtung strafen würde.
Empfindsam und sanftmütig, wie sie war, litt sie sehr unter der kaltherzigen Mutter und dem tobsüchtigen, herrischen Vater.
Seltsamerweise traf sie die schweigsame Mißachtung der Mutter jedoch noch tiefer als die körperlichen Züchtigungen des Vaters.
Lady Cardon war eine große, starkknochige Frau, die in ihrer Jugend einmal hübsch gewesen war. Man fragte sich unwillkürlich, wie sie einem so zarten und feingliedrigen Wesen wie Elisabeth das Leben schenken konnte. Zweifellos hatte das Mädchen ihr gutes Aussehen von Vatersseite geerbt, denn Lord Cardon war ein ungewöhnlich schöner Mann gewesen, bis sein Hang zum Wohlleben und die angeborene Griesgrämigkeit ihren Tribut gefordert hatten.
Was vor allem zu seiner Verbitterung und seinem ewigen Mißmut beitrug, war die Tatsache, daß er keinen männlichen Erben besaß. Lady Cardon hatte ihm zwar im Laufe ihrer Ehe sechs Kinder geschenkt, aber drei von ihnen waren bereits bei der Geburt gestorben und zwei in frühester Kindheit. Es grenzte fast schon an ein Wunder, daß Elisabeth am Leben geblieben war, aber diesem eigentlich sehr erfreulichen Umstand haftete dennoch ein Makel an. Sie war eben kein Junge, und weder Vater noch Mutter würden der Tochter das falsche Geschlecht jemals verzeihen.
Während die kleinen, ein wenig vorstehenden Augen Lady Cardons auf Elisabeth ruhten, lag nicht der kleinste Ausdruck von Zuneigung darin.
»Dein Hut ist verrutscht«, sagte sie tadelnd. »Und deine Brosche hat sich gelöst.«
»Tut mir leid, Mama«, entschuldigte sich Elisabeth und versuchte mit zitternden Fingern, beide Dinge gleichzeitig in Ordnung zu bringen.
Lady Cardon wartete, bis sie fertig war. Dann eröffnete sie ihr: »Dein Vater wünscht, dich in der Bibliothek zu sprechen. Geh jetzt sofort zu ihm.«
Elisabeths Augen verrieten Erstaunen, und ihre Lippen öffneten sich, als wollte sie etwas fragen. Doch dann schien sie sich zu sagen, daß sie sowieso keine vernünftige Antwort erhalten würde. Gehorsam knickste sie und ging zur Tür.
Lady Cardon blickte ihr nach, bis sie ihren Augen entschwunden war. Dann trat sie, ohne daß sich ihr Gesichtsausdruck veränderte, ans Fenster, von dem aus sie die Diener beobachten konnte, die auf dem Rasen Ordnung schafften und große Tabletts voll benutzter Gläser aus dem Zelt ins Haus trugen.
Inzwischen war Elisabeth vor der Bibliothek angelangt. Ihre Hände zitterten, als sie den Türgriff niederdrückte.
Zu ihrer Überraschung hörte sie den Klang mehrerer Stimmen und sah, daß ihr Vater nicht allein war.
Keine Zurechtweisung also, dachte sie aufatmend. Für sie und Isabel gab es nichts Schlimmeres, als in die Bibliothek gerufen zu werden. Noch nie hatten sie diesen Raum ohne Herzklopfen und ohne ein Gefühl der Angst betreten.
Und wenn die beiden Mädchen sich die Hölle vorstellten, dann stets als einen riesigen Raum, dessen Wände voller Bücher standen und der mit wuchtigen lederbezogenen Sofas und Sesseln ausgestattet war.
Elisabeth war so leise eingetreten, daß ihr Vater sie erst bemerkte, als sie nur wenige Schritte vom Kaminplatz entfernt war.
»Ah, da bist du ja, Elisabeth. Komm her, mein Kind!«
Verwundert gehorchte Elisabeth. Sie sah einen Mann, der sich langsam aus einem Lehnsessel erhob und stellte fest, daß es Sir Rupert Wroth war. Er hatte am Nachmittag einige Worte mit ihr gewechselt. Sie hatte ihn zunächst nicht erkannt, aber dann hörte sie, wie einer der Gäste seinen Namen nannte, und erinnerte sich daran, daß sie ihm zwei Jahre zuvor auf einem Jägerball vorgestellt worden war.
Es war ihr erster gesellschaftlicher Auftritt gewesen, und sie war sich sehr klein und verängstigt vorgekommen. Niemand hatte das scheue Mädchen beachtet, bis schließlich einer von ihres Vaters Freunden sich ihrer angenommen und sie in den Speiseraum geführt hatte. Da er ein älterer Gentleman war, fand sich Elisabeth plötzlich unter den respektabelsten Leuten der Grafschaft wieder.
»Wurden Sie den Herrschaften schon vorgestellt?« fragte Elisabeths Begleiter brummig, und als sie ein wenig hilflos zu ihrem linken Tischnachbarn blickte, sagte der alte Herr: »Wroth kennen Sie sicher, nicht wahr? Rupert, das ist Herbert Cardons Tochter.«
Sir Rupert unterhielt sich angeregt mit einer auffallend reizvollen und eleganten Lady. Er wandte nur kurz den Kopf, maß Elisabeth mit einem uninteressierten, leicht verächtlich wirkenden Blick und deutete eine Verbeugung an, die mehr einer Beleidigung als einer Höflichkeitsbezeigung glich.
Das Lächeln erstarb auf ihren Lippen, sie fühlte sich brüskiert.
Vielleicht war sie damals zu empfindlich gewesen, vielleicht hatte sie den Vorfall in ihrer Erinnerung zu sehr aufgebauscht. Jedenfalls hatte sie von diesem Tag an stets ein Unbehagen empfunden, sobald in ihrer Gegenwart Sir Ruperts Name fiel.
Jetzt, die Hand des Vaters auf ihrer Schulter, machte sie einen Knicks in Richtung des Mannes und fragte sich erstaunt, weshalb er sie wohl anlächeln mochte.
»Elisabeth, ich habe dir etwas zu sagen«, begann ihr Vater mit dröhnender Stimme. »Etwas, das dich - davon bin ich überzeugt - genauso erfreuen wird wie mich. Sir Rupert Wroth, der meine größte Hochachtung besitzt und mit dem mich in der Zukunft - so hoffe ich - eine tiefe Zuneigung verbinden wird, hat mich heute in einer sehr bedeutsamen und zugleich sehr vertraulichen Angelegenheit angesprochen.«
Lord Cardon räusperte sich, und als weder Sir Rupert noch Elisabeth etwas sagten, fuhr er fort: »Er bat mich um meine Einwilligung...« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »... zu eurer Verlobung.«
Einen Augenblick lang verstand Elisabeth nicht, was ihr Vater gesagt hatte. Die Bedeutung seiner Worte schien nicht bis in ihr Bewußtsein zu dringen. Sie starrte ihn an mit dem Gefühl, daß es etwas von großer Wichtigkeit gewesen war, ohne jedoch zu begreifen, um was es sich dabei handelte.
Dann aber, als ihr der Inhalt dieser Mitteilung langsam aufging, erfaßte sie ein Schwindel.
»Nein!« versuchte sie zu rufen. »Nein! Nein! Ich kann ihn nicht heiraten!«
Aber kein Wort drang über ihre Lippen. Jede Silbe schien ihr in der Kehle steckenzubleiben, und noch bevor sie einen Ton herausbrachte und widersprechen konnte, sagte Lord Cardon: »Ich sehe, es ist eine Überraschung für dich, aber ich weiß, daß es eine freudige Überraschung ist, daß du dich geehrt fühlst bei dem Gedanken, die Gattin eines so angesehenen Politikers zu werden. Ich habe Sir Rupert erklärt, daß deine Mutter und ich euch beiden gerne unseren Segen geben werden und daß wir eure Verlobung im COURT CIRCULAR bekanntgeben werden, sobald Sir Rupert es wünscht.«
Jetzt endlich fand Elisabeth ihre Stimme wieder.
»Aber Papa, ich kann - nicht...« begann sie, brach jedoch ab, als sie spürte, wie sich der Druck der väterlichen Hand auf ihrer Schulter schmerzhaft verstärkte.
»Du wirst natürlich sehr traurig sein, deine Mutter und mich verlassen zu müssen«, sagte ihr Vater. »Das ist nur allzu begreiflich. Aber Sir Rupert - dessen bin ich gewiß - wird für deine mädchenhaften Befürchtungen und dein kindliches Zaudern Verständnis haben.«
Er wandte sich Sir Rupert zu, aber seine Hand umfaßte Elisabeths Schulter immer noch mit unnachgiebigem Griff.
»Wenn es Ihnen paßt, sollten wir uns morgen über die Einzelheiten unterhalten, Wroth.«
»Ich werde nach dem Luncheon vorbeischauen«, erwiderte Sir Rupert. Er ergriff Elisabeths zitternde Rechte und hob sie an die Lippen.
»Sie haben mich sehr glücklich gemacht«, sagte er, wandte sich um und ging zur Tür.
»Ich werde Sie hinausbegleiten«, sagte Lord Cardon. »Elisabeth, du wartest hier, bis ich zurück bin.«
Sie verließen den Raum, ohne sich noch einmal nach dem Mädchen umzuschauen. Elisabeth stand da wie zu Stein erstarrt. Das Erlebte war wie ein Alptraum, und sie betete inständig, daß sie bald daraus erwachen möge.
Aber der Alptraum dauerte an, und als ihr Vater zurückkehrte, wußte sie, daß es daraus niemals ein Erwachen geben würde.
Lord Cardon schaute seine Tochter forschend an, und sie wußte, daß er ihre Ablehnung gespürt hatte. Der harte Griff um ihre Schulter war beabsichtigt gewesen. Er hatte sie davon abhalten wollen, ihrem Entsetzen über den Antrag Sir Ruperts Ausdruck zu verleihen.
»Du kannst dich glücklich schätzen«, sagte er abrupt. »Papa, ich kann ihn nicht - heiraten«, stammelte Elisabeth, »Ich kann es nicht!«
»Und was soll das heißen?«
Die Frage kam unwillig, und sein Gesicht war rot vor Zorn. Aber diesmal ließ Elisabeth sich davon nicht einschüchtern.
»Ich liebe ihn nicht, Papa!«
»Liebe! Was hat Liebe mit einer guten Ehe zu tun?«
»Ich liebe - einen anderen«, gestand Elisabeth.
»Und wer ist das, wenn ich fragen darf?«
Lord Cardon machte eine Pause. Sein Gesicht hatte inzwischen eine dunkelrote Färbung angenommen, und die Pupillen seiner Augen waren unnatürlich vergrößert.
Mit zornbebender Stimme fuhr er fort: »Du brauchst auf diese Frage nicht zu antworten. Ich kann mir schon denken, um wen es sich handelt. Es wird dieser mittellose Strolch sein, dieser milchgesichtige Soldat, den ich letzte Woche aus dem Haus geworfen habe. Du bildest dir also ein, ihn zu lieben, wie? Na gut, bilde dir ein, was du willst, aber es ist Wroth, den du heiraten wirst - und zwar so bald wie möglich!«
»Aber... aber, Papa...« begann Elisabeth.
»Da gibt es kein Aber mehr!« donnerte Lord Cardon. »Wroth ist eine gute Partie, und du kannst verdammt froh sein, daß er um deine Hand anhält. Wenn du glaubst, ich lasse zu, daß du dich irgendeinem hergelaufenen Tunichtgut ohne renommierte Familie und ohne Zukunftsaussichten an den Hals wirfst, täuschst du dich gewaltig: Du heiratest Wroth! Und sollte der junge Schnösel die Unverfrorenheit besitzen, jemals auch nur einen Fuß auf meinen Grund und Boden zu setzen, werde ich ihm die Seele aus dem Leib prügeln. Und merke dir - für dich gilt das gleiche, solltest du versuchen, dich mit ihm zu treffen. Ist das klar? Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Elisabeth hatte gehört, jedes Wort, das er gesagt hatte, denn ihr Vater brüllte aus Leibeskräften. Und als sie aufschaute und das inzwischen blaurote, wutverzerrte Gesicht und die dick hervortretenden Adern auf seiner Stirn sah, vermochte sie ihm nicht länger zu trotzen. Mit einem kläglichen kleinen Schrei, der äußerste Angst und Hoffnungslosigkeit verriet, wandte sie sich ab und lief aus dem Raum. Blind vor Tränen eilte sie in die Halle, begegnete ihrer Mutter und lief an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken.
Auf ihrem Zimmer angelangt, warf sie sich in Isabels Arme und berichtete der Kusine verzweifelt schluchzend und am ganzen Körper zitternd das Vorgefallene.
»Wenn ich dich doch nur hätte warnen können«, sagte Isabel, »denn ich wußte schon, daß es so kommen würde.«
»Du wußtest es schon?«
»Ja«, antwortete Isabel unglücklich. »Ich wollte dir gerade davon berichten, was ich erlauscht hatte, als Bessie ins Zimmer kam. Du kannst ihn auf keinen Fall heiraten, Elisabeth. Er ist ein brutaler Mensch, ein Teufel in Menschengestalt.«
»Ich kann überhaupt niemanden heiraten, außer Adrian«, rief Elisabeth. »Aber was soll ich tun? Papa besteht darauf, und du weißt selbst, wie machtlos man ihm gegenüber ist.«
Die beiden Mädchen versanken in trübsinniges Schweigen, bis Elisabeth nach einer Weile sagte: »Aber sag mir, woher du von der Sache wußtest!«
Isabel berichtete, was sie auf dem Dachboden des Sommerhauses mitangehört hatte. Als sie geendet hatte, brach Elisabeth in haltloses Weinen aus.
»Du kannst ihn nicht heiraten, du darfst es einfach nicht«, sagte Isabel, bemüht, die eigenen Tränen zurückzuhalten. »Du siehst doch, wie verdorben dieser Mann ist.«
»Das ist für mich nicht das Entscheidende«, erwiderte Elisabeth. »Es ist mir gleichgültig, wen Sir Rupert liebt oder welche Frauen er hat. Es ist Adrian, dem ich versprochen bin. Es ist Adrian, den ich liebe.«
Isabel seufzte.
»Aber was hast du davon, wenn du ihn nicht heiraten kannst?«
»Ich muß ihn einfach heiraten, ich muß«, rief Elisabeth. »Und wenn es nur den einen Ausweg gibt, werde ich eben mit ihm durchbrennen!«
Die Kusinen schauten einander erschrocken und entsetzt an. Zu phantastisch erschien ihnen das, was Elisabeth da ausgesprochen hatte.
Dann lachte Isabel.
»Bravo Elisabeth, das Kätzchen zeigt die Krallen. Das hätte ich dir eigentlich nicht zugetraut. Aber du hast recht. Du muß mit deinem Adrian durchbrennen.«
»Und ich werde unvorstellbar glücklich mit ihm sein. So glücklich, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt habe.«
Bei diesen Worten kehrte das Blut in Elisabeths Wangen zurück, und ihre Augen begannen zu leuchten. Doch Sekunden später beschattete wieder ein kummervoller Ausdruck ihr Gesicht.
»Mein Gott«, stieß sie hervor. »Ich hab' ja ganz vergessen, daß ich noch nicht volljährig bin. Wenn Papa seine Einwilligung nicht gibt, kann er mich jederzeit zurückholen. Du erinnerst dich, was mit Helen Tanner geschehen ist.«
Die beiden Mädchen schwiegen betreten.
Sie dachten an die Tochter eines benachbarten Gutsbesitzers, die mit dem Reitknecht davongelaufen war. Ihr Vater hatte sie zurückgeholt, sie in ihr Zimmer eingesperrt und so lange mißhandelt und gequält, bis das Mädchen es nicht mehr ertragen hatte und in einem Anfall von Verzweiflung aus dem Fenster gesprungen war.
Der Vorfall hatte viel Staub aufgewirbelt, aber es gab niemanden, der das Verhalten der Eltern kritisiert hätte. Man war allgemein der Auffassung, daß sie richtig gehandelt hatten. Besser, das Mädchen war tot, als daß es zu einer solch skandalösen Mesalliance gekommen wäre!
Nach einer Weile gelang es Isabel, die grausige Erinnerung zurückzudrängen.
»Wir müssen einfach eine Lösung finden«, sagte sie bestimmt.. »Kopf hoch, Elisabeth, du darfst jetzt nicht aufgeben! Laß mich einmal in Ruhe über die Sache nachdenken, hörst du?«
»Vielleicht weiß Adrian einen Ausweg«, sagte Elisabeth, aber es war nur wenig Hoffnung in ihrer Stimme.
Blaß und mit verquollenen Augen standen die Mädchen am nächsten Morgen auf. Sie hatten kaum Schlaf gefunden in dieser Nacht. Aber sie waren, zu einem Entschluß gekommen.
Isabel hatte der Freundin geraten, die Situation, so wie sie war, ohne jeden Widerspruch zu akzeptieren, und Elisabeth hatte sich dazu bereit erklärt.
»Es hat keinen Sinn, mit deinem Vater zu streiten«, sagte Isabel. »Du bringst ihn höchstens noch mehr in Rage, und er wird dich quälen bis aufs Blut. Wenn Sir Rupert kommt, sprich so wenig wie möglich mit ihm.«
»Ich kann es nicht ertragen, mit ihm allein zu sein«, stieß Elisabeth heftig hervor.
»Warum denn nicht? Er wird bestimmt nicht versuchen, sich dir zu nähern. Wir wissen doch, daß seine Gefühle bereits vergeben sind. Gib dich möglichst scheu und einfältig, denn das genau erwartet er von dir. Für welche Zeit hast du dich mit Adrian verabredet?«
»Nach drei«, sagte Elisabeth. »Es ist die Zeit, zu der ich gewöhnlich einen Spaziergang mache. Heute muß ich Bessie nicht mitnehmen, weil du hier bist.«
»Wir werden warten müssen, bis Sir Rupert seinen Besuch gemacht hat«, gab Isabel zu bedenken. »Aber ich nehme an, daß er nicht am späten Nachmittag kommen wird.«
Ihre Annahme war richtig. Sir Rupert erschien gegen halb drei. Er. verbrachte zehn Minuten allein mit Elisabeth, dann ritt er auf seinem feurigen Rapphengst, der genauso wild und unberechenbar wirkte wie er selbst, wieder fort.
Isabel stand hinter dem Vorhang eines der Schlafzimmerfenster und beobachtete ihn. In seinem Äußeren und in der Art, wie er mit seinem Reittier umging, lag etwas ungemein Überhebliches. Ein durch und durch selbstbewußter Mann, der nicht die kleinste Unsicherheit zeigte und den Hengst völlig im Griff hatte.
Für Isabel gab es keinen Zweifel. Wenn Elisabeth diesen Mann heiratete, würde sie sich ihm gegenüber genauso verhalten, wie Lady Clementine es vorausgesagt hatte. Einer solchen Persönlichkeit gegenüber würde sie nicht die geringste Chance haben. Sie würde ihm ebenso wenig gewachsen sein wie ihrem Vater.
Als sie sich zwanzig Minuten später mit ihrer Kusine dem Wäldchen näherte, in dem Adrian Butler sie erwartete, beschlich sie ein Gefühl der Besorgnis. Sie hatte Elisabeth das Versprechen gegeben, ihr zu helfen, den Mann zu heiraten, den sie liebte. Doch Isabel hatte diesen Mann noch nie gesehen. Was war, wenn sie bei näherem Kennenlernen zu der Überzeugung kam, daß er nicht besser und nicht anders war als Sir Rupert? Daß auch er Elisabeth unglücklich machen würde? Daß er sie schon kurze Zeit nach der Hochzeit mit einer anderen betrügen würde?
Was, so fragte sich Isabel, sollte sie dann tun?
Mußte sie Elisabeth in diesem Falle raten, Sir Rupert zu heiraten, der trotz seiner Laster und Fehler wenigstens den Vorzug besaß, wohlhabend und angesehen zu sein? Oder sollte sie zulassen, daß sie den Mann ihrer Wahl heiratete, gleichgültig, welch ein Mensch er charakterlich war? Sollte sie zusehen, wie die Ärmste ohne materielle Sicherheit und ohne die Einwilligung ihrer Familie ins Unglück rannte?
Isabel war sehr still. Elisabeth jedoch war plötzlich wie verwandelt. Je näher sie dem Wäldchen kamen, um so deutlicher zeigte sich das aus dem verschüchterten, unglücklichen jungen Mädchen mit einem Mal eine strahlende, leidenschaftlich erregte Frau geworden war. Sie eilte Isabel voraus auf dem engen moosbewachsenen Pfad unter den hohen Buchenbäumen, bis sie zu einer kleinen, sonnenbeschienenen Lichtung gelangten, durch die sich ein goldschimmerndes Flüßchen schlängelte.
Dort fanden sie Adrian Butler.
Aufatmend stellte Isabel fest, daß er genauso war, wie Elisabeth ihn geschildert hatte, und keine der Eigenschaften besaß, vor denen sie, Isabel, sich gefürchtet hatte. Der junge Mann sah ungewöhnlich gut aus, und er besaß einen Charme und eine Natürlichkeit, die ihm etwas Vertrauenerweckendes und Sympathisches verliehen und jeden Menschen auf der Stelle für ihn einnehmen mußten. Es war absolut unmöglich, weder an seiner Lauterkeit noch an seiner Ehrenhaftigkeit zu zweifeln. Außerdem verriet sein Benehmen, die Art wie er sprach, eine hervorragende Erziehung und eine gute Kinderstube.
Bei seinem Anblick stieß Elisabeth einen kleinen Freudenschrei aus und warf sich in seine Arme. Einen Moment lang hielt er sie fest, und Isabel erkannte deutlich die Liebe in seinen Augen und den Ausdruck der Zärtlichkeit auf seinem Gesicht.
Dann wandte er sich Isabel zu und zögernd, so als habe sie die Anwesenheit der Kusine vergessen, löste Elisabeth sich aus Adrians Armen.
»Dies ist meine Kusine Isabel«, sagte sie dann. »Ich hab' dir schon von ihr erzählt, aber ich glaubte nicht, daß du sie so bald kennenlernen würdest. Sie ist gestern ganz unerwartet nach Hause zurückgekommen.«
Isabel reichte Adrian Butler die Hand, die er mit festem, warmen Griff umschloß.
»Ich bin so froh, daß Sie hier sind«, sagte er ruhig. »Wir beide, Elisabeth und ich, brauchen Ihre Hilfe.«
Es war, als erinnerten seine Worte Elisabeth erneut an die verzweifelte Situation, in der sie sich befanden, denn ihr Gesicht wurde plötzlich ernst.
»Adrian, Liebster, ich muß dir etwas sagen«, begann sie, aber er unterbrach sie, indem er sie in die Arme nahm und erklärte: »Und ich muß dir etwas sagen - etwas Wundervolles, Elisabeth. Etwas, das ich nie zu hoffen gewagt hätte.«
»Was ist es?« fragte Elisabeth, und in ihrer Stimme lag trotz ihres Kummers ein wenig Neugierde.
»Hör zu, Liebstes. Ich habe dir schon des Öfteren von meinem Vetter aus Yorkshire erzählt. Er ist das Haupt unserer Familie. Ein schwieriger Mann, der jedoch meinen Vater sehr mochte. Nachdem ich dich kennenlernte und du mich zum glücklichsten Menschen dieser Erde gemacht hattest, schrieb ich ihm einen Brief, in dem ich ihm meine Lage darlegte. Ich erklärte ihm, daß ich davor zurückschrecke, in Würde deinen Vater um deine Hand zu bitten, da ich dir außer meiner übergroßen Liebe und der Gewissheit, mit deiner Hilfe eine erfolgreiche Laufbahn in der Armee vor mir zu haben, nicht viel zu bieten hätte. Heute morgen erhielt ich das Antwortschreiben. Ich öffnete es mit ziemlich gemischten Gefühlen. Wie ich dir sagte, ist er ein eigenartiger Mensch und in vieler Beziehung völlig unberechenbar. Die Wahrscheinlichkeit sprach also dafür, daß er meinen Brief nehmen und in den Papierkorb werfen würde. Statt dessen machte er mir ein generöses Angebot.«
Er griff in die Tasche und sagte: »Irgendwo muß ich den Brief haben.«
Elisabeth machte eine ungeduldige Handbewegung und drängte: »Laß doch den Brief. Erzähle uns lieber, was drin steht.«
»Er schreibt«, sagte Adrian, und seine Stimme klang fast ergriffen, »daß er von meinen Neuigkeiten begeistert sei und daß er seinen Anwälten bereits Anweisung gegeben habe, mir jährlich eine finanzielle Unterstützung in Höhe von tausend Pfund zukommen zu lassen. Tausend Pfund im Jahr! Elisabeth, stell dir das vor! Mit meinem Armeesold ergibt das eine beträchtliche Summe. Wir sind reich. Aber das ist noch nicht alles, was ich dir zu berichten habe!«
»Was denn noch?« fragte Elisabeth aufgeregt.
»Mein Colonel ließ mich gestern Abend zu sich rufen. Er teilte mir mit, daß mein Regiment im nächsten Monat nach Indien verlegt wird.«
»Nach Indien?« rief Elisabeth.
»Nein, warte!« sagte Adrian rasch. »Kein Grund, dich aufzuregen. Weiter teilte er mir mit, daß ich auf Grund guter Führung unverzüglich zum Captain befördert würde. Denk dir, Darling, Captain, mit ebenfalls tausend Pfund im Jahr. Wir können auf der Stelle heiraten, denn vom Hauptmannsrang aufwärts dürfen Offiziere ihre Frauen mit nach Übersee nehmen. Ist das nicht wundervoll, meine Süße? Jetzt kann ich ohne Furcht vor deinen Vater hintreten und ihn um deine Hand bitten.«
»Vor Vater hintreten! Du glaubst, du kannst Vater um meine Hand bitten?« flüsterte Elisabeth und wandte sich zu Isabel um. »Sag du es ihm!« bat sie leise. »Ich kann es nicht.«
Adrian blickte Isabel an. Die freudige Erregung erstarb in seinem Gesicht und machte dem Ausdruck äußerster Bestürzung Platz.
»Was ist los?« fragte er. »Ist irgend etwas geschehen?«
»Ja«, erwiderte Isabel. »Sehr viel sogar. Ich werde es Ihnen erzählen. Aber zuerst wollen wir uns setzen, denn Elisabeth ist sehr erschöpft. Wir haben in der letzten Nacht kaum geschlafen.«
Sie blickte zum Ufer, an dem ein umgestürzter Baumstamm lag, und ging darauf zu. Elisabeth und Adrian Butler folgten ihr. Nachdem sie sich niedergelassen hatten, legte Adrian den Arm um Elisabeth, und sie barg das Gesicht an seiner Schulter.
»Hör zu, Darling, sei nicht unglücklich«, tröstete er sie. »Ich verspreche dir, alles in meinen Kräften Stehende zu tun, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die unserer Liebe entgegenstehen!«
Elisabeth seufzte schwer.
»Oh, wenn ich dir nur glauben könnte.« sagte sie. »Die ganze Nacht habe ich bei mir gedacht: Adrian wird bestimmt einen Ausweg finden. Wenn ich nur wüßte, welchen! Isabel und ich sind ganz verzweifelt.«
»Erzähl mir zunächst, was geschehen ist«, sagte Adrian, und in seiner ruhigen, kraftvollen Stimme lag eine solche Sicherheit, daß Isabel wieder Hoffnung schöpfte, obwohl sie im tiefsten Inneren verzweifelt war.
Rasch und in knappen Worten berichtete sie, was geschehen war. Auch von dem Gespräch, das sie im Sommerhaus belauscht hatte, gab sie eine kurze Zusammenfassung.
»Dieser Mann ist offensichtlich ein Schurke«, sagte Adrian ruhig. »Aber wie dem auch sei, Elisabeth wird ihn nicht heiraten.«
»Aber man wird mich zwingen«, rief Elisabeth aufschluchzend. »Du weißt, wie Papa ist. Ich schwöre dir, ich habe versucht, mich ihm zu widersetzen, aber ich schaffe es einfach nicht. Er tobt und schreit so lange, bis ich vor Angst zittere und zuletzt doch tue, was er von mir verlangt. Oh, Adrian, hilf mir!«
»Das werde ich. Liebes!« versprach Adrian. »Und eins schwöre ich dir: Wenn du diesen Wroth heiratest, dann nur über meine Leiche!«
»Adrian, du wirst dich nicht mit ihm schlagen!« bat Elisabeth am ganzen Leib zitternd.
»Nein, das fällt mir im Traum nicht ein. Zuerst habe ich zwar daran gedacht, aber es hätte keinen Sinn. Außerdem würde er es ablehnen, sich mit mir zu duellieren. Und falls ich ihn niederschießen würde - müßte ich mit einer Verhaftung und lebenslangem Kerker rechnen, denn er ist Minister der Krone. Glaub nicht, daß ich mich davor fürchte, es ist nur deinetwegen. Hinter Gittern wäre ich dir nicht mehr von Nutzen.«
»Ich weiß, daß du ohne Furcht bist«, sagte Elisabeth bewundernd. »Nicht einmal vor Papa fürchtest du dich!«
»Nein, ich fürchte mich nicht vor deinem Vater«, versicherte Adrian, »und deshalb werde ich ihm die Gelegenheit geben, die Entscheidung über das Leben seiner Tochter zu korrigieren. Ich werde zu ihm gehen und mit ihm reden.«
»Aber du wirst nicht mit ihm über uns beide reden, Adrian!«
»Natürlich werde ich das«, erwiderte Adrian. »Ich werde ihm sagen, daß ich dich heiraten möchte, werde ihn von meiner veränderten Situation in Kenntnis setzen und ihm klar machen, daß ich unter diesen Umständen das Recht habe, um dich zu werben.«