Kitabı oku: «"Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt"», sayfa 3
»Alles ist aus, das Licht ist aus, alles aus …«
Dieter Hadel
(Geboren 1934 in Berlin, Ingenieur)
Es war Winter, als wir aus der Evakuierung zurück in Berlin ankamen. Wir hatten die Flucht überstanden und waren zufrieden: Die Wohnung stand noch. Aber die Luftangriffe nahmen gegen Ende des Krieges immer mehr zu. Es kamen Wellen von 600–900 Bombenfliegern! Im Radio hörten wir ständig: »Hier ist der deutsche Rundfunk. Feindliche Fliegerverbände im Raum Hannover–Braunschweig.« Dann wussten wir, dass es auf Berlin gehen würde. Schon bald gingen dann die Sirenen auf den Häuserdächern los und alles flüchtete in die Keller. Dort hatten Baufirmen Holzpfeiler eingebaut und Querbalken eingesetzt, damit die Kellerdecke bei einem Angriff nicht einstürzen würde. Wir kamen gar nicht mehr aus den Sachen raus, trauten uns nicht, uns abends auszuziehen. Ich zog bloß den Mantel aus und legte mich so aufs Bett. Wenn die Mutter nachts um zwei zu mir sagte: »Junge, komm, aufstehen, wir müssen wieder runter gehen!«, zog ich nur den Mantel an und rannte runter. Wir wohnten vier Treppen, mussten noch über den Hof laufen und eine halbe Treppe tiefer in den Keller rein. Dort waren bestimmte Räume als Luftschutzräume gekennzeichnet.
In der Nacht kamen dann manchmal zwei oder drei Angriffe, abends um acht der erste. Die meisten Fliegerangriffe waren nachts, damit die Flak die Flieger nicht sehen konnte. Ich konnte die Scheinwerfer der Flak am Himmel sehen, die versuchte, die Flieger abzuschießen. Aber es wurden ganz wenige getroffen, die meisten Flieger konnten ihre Luftminen und Brandbomben abwerfen. Die Brandbomben waren achtkantig und im Durchmesser vielleicht fünfzehn Zentimeter. Sie schlugen nur durch die Dachziegel und blieben auf den Dachböden liegen, wo sie die Holzböden in Brand setzten und die Häuser alle von oben runterbrannten. Die Sprengbomben gingen durch. Und dann gab es noch die Luftminen. Die explodierten oberhalb des Hauses, in einer Höhe von vielleicht zwanzig, dreißig Metern. So eine Luftmine traf auch unser Haus.
Wir sitzen unten im Keller. Jeder hat seinen Platz, daneben eine Decke und ein Eimer mit Wasser. Wenn eine Bombe runterkommen würde, sollten wir uns nasse Tücher vor das Gesicht halten, um nicht den Rauch, den Staub und den Dreck einzuatmen. In jedem Haus gibt es Verantwortliche für Luftschutz, den Luftschutzwart. An diesem Tag stehen der Luftschutzwart und noch ein anderer Mann oben an der Kellertreppe, als es einen furchtbaren Knall gibt. Meine Mutter wirft sich über mich. Ich habe keine Geschwister, ich bin das einzige Kind. Alles ist aus, das Licht ist aus, alles aus … Meine Mutter presst mir ein nasses Taschentuch gegen den Mund. Ich kann nichts sehen. Unser Haus ist über uns eingestürzt, aber die eingebauten Balken und Pfosten haben die ganze Last von dem vierstöckigen Haus getragen. Im Keller ist nichts kaputtgegangen. Nach einer halben Stunde wird es ruhiger draußen, wir hören keine Einschläge mehr. Jemand sagt: »Raus aus dem Keller!«
Der Keller liegt unter dem Vorderhaus. Wir gehen die Treppe hoch und sehen den Luftschutzwart vor der Kellertür liegen. Er und der andere Mann waren sofort tot, als die Mine einschlug. Es wurde immer gesagt: Wenn du eine Luftmine hörst, dann passiert nichts, dann schlägt die woanders ein. Die beiden Männer hatten nichts gehört … Wir kommen hoch und sehen: Der rechte Seitenflügel ist weg, bis zur ersten Etage liegt alles in Trümmern, überall liegen Holzbalken. Das Vorderhaus steht noch, wir können über die Trümmer auf die andere Straßenseite gehen, wo auch die anderen Leute aus unserem Haus stehen. Alle rufen durcheinander: »Haste gesehn, der is tot!«
»Und der is auch tot!«
»Bei uns ist alles kaputt!«
»Gott sei Dank, dass wir noch leben«, tröstet mich Mutti.
Es ist Nacht. Dunkel. Eine Tante meiner Mutter wohnt in der gleichen Straße, acht Häuser weiter. Mutti und ich laufen zu ihr. Tante Else öffnet die Tür und sagt: »Na, hat’s euch auch erwischt?«
»Ja!«, sagt Mutti, »alles kaputt, ist nüscht mehr zu sehen von unserem Haus.«
»Na, kommt mal rein.«
Am nächsten Tag gingen wir nochmal zurück, um uns zu überzeugen. Wir stiegen über die Trümmer des Hausdurchgangs vom Vorderhaus und sahen: Es war nichts mehr übrig von unserem Haus. Die Leute versuchten die Steine wegzuräumen, um an ihre Sachen zu kommen, die jetzt in dem Schutt lagen. Ein paar Sachen fanden sie auch. Ich weiß noch, wie einer sagte: »Guck mal, hier is Opas Holzbrett, mit dem er immer den Speck geschnitten hat!«
Wir fanden die Hausschuhe meines Vaters, Mutti den einen und ich den anderen. Später habe ich diese Schuhe noch auf der Straße getragen. Lederne Hausschuhe. Wir fanden auch noch einen Boucléstoff aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Ich zog den zerrissenen Stoff aus den Trümmern, daraus konnte man noch etwas Wärmendes machen.
Bei Tante Elsa konnten wir nicht bleiben. Bei ihr wohnten schon ein Gastarbeiter und eine andere Frau. Wo sollten wir bleiben? Vaters Schwester, Tante Ella, hatte das Hotel Komet an der Warschauer Brücke. Sie war aufs Land geflohen, nachdem direkt vor ihrem Haus und dem darunter liegenden Luftschutzkeller eine Sprengbombe explodiert war. Alle Leute, die in dem Luftschutzkeller saßen, wurden getötet. Auch ihr Mann, Onkel Oskar. Tante Ella musste ihren Hotelbetrieb aufgeben, die Fenster aller Gästezimmer waren zerstört und das Mobiliar lag in Trümmern. In ihrer Wohnung sah es nicht ganz so schlimm aus, und sie hatte sie meiner Mutter angeboten.
Dort war es schlimm … Als der erste Fliegerangriff kam und meine Mutter mit mir runter in den Luftschutzkeller rannte, ließen sie uns nicht rein! Die eigenen Deutschen ließen uns nicht mit in den Keller rein! Weil wir keine Bewohner des Hauses waren. Alle Beteuerungen meiner Mutter, dass wir in der Wohnung ihrer Schwägerin wohnten, halfen nichts. Die ließen uns nicht rein. Wir setzten uns auf die Kellertreppe und warteten den Angriff ab.
Von nun an mussten wir in einen Bunker am Schlesischen Bahnhof rennen. Tausende Menschen strömten dorthin. Wir mit. Meine Mutter hatte immer ihre Umhängetasche und die Gasmasken dabei. In dieser Tasche trug sie alles, was sie besaß: alle Papiere, Schlüssel, Ausweise, Lebensmittelkarten, Geburtsurkunden, Trauschein, Sparbuch, Uhr und Ringe. Und dann wurde ihr im Bunker die Tasche geklaut! Jetzt konnte sie sich nirgends mehr identifizieren. Nach den Ereignissen auf der Flucht war dies das zweite Mal, wo meine Mutter hätte Schluss machen wollen mit dem Leben: die Wohnung verloren, die Verleumdung durch die eigenen Bürger und dann noch alles geklaut. Nur der Gedanke an mich hatte sie davon abgehalten. Das hat sie mir Jahrzehnte später erzählt.
»Alle waren ausgebombt, wir hatten nichts.«
Aenne Fiedler
(Geboren 1936 in Hamburg, Handelskauffrau)
Während ich auf der Kinderlandverschickung war, wurde unsere Hamburger Wohnung in Schutt und Asche gebombt. Das ganze Haus war weg. Meine Eltern kamen in ein Lager für Ausgebombte. Dort wohnten wir nach meiner Rückkehr mit zwei Familien in einem Zimmer. Kochgelegenheiten gab es nicht, wir wurden zentral versorgt. Am Stadtrand in Geesthacht wurden dann Plattenhäuschen für Hamburger Ausgebombte gebaut, Behelfsheime sagte man dazu. Dort durften wir einziehen. Wir kamen mit einem kleinen Bollerwagen, in dem wirklich nur vier Stühle und ein paar Decken waren, sonst nix. Unser Haus hatte 39 Quadratmeter, wo wir mit vier Personen wohnten. Es gab ein Plumpsklo, einen Herd, der nie ging, und einen kleinen Kanonenofen. Das war alles. Zwei Räume hinten und eine relativ große Küche.
Während wir in Hamburg immer in den Keller mussten, die Bomben fielen und die Frauen weinten und schrien und ich Ohrenschmerzen bekam, störte mich das ganz schlichte, ärmliche Leben in den Behelfsheimen gar nicht. Die Hütten standen direkt am Wald. Wir Kinder konnten spielen wie verrückt – übers Feld und im Wald.
Natürlich hungerten wir, es gab keine Milch, kein Mehl, keine Butter, keinen Zucker. Aber es ging uns allen so. Dreihundert Familien wohnten in den Behelfsheimen, alle waren ausgebombt, wir hatten nichts.
Jede Person bekam Lebensmittelkarten. Man konnte aber nicht sagen, ich schneide mir jetzt eine Mehlmarke aus und geh Mehl kaufen, sondern die Lebensmittel wurden immer aufgerufen. Dann hieß es zum Beispiel, es gibt Nährmittel. Das konnten Nudeln, Reis, Mehl oder Graupen sein. Und dann gingen wir zum Laden, standen in der Endlosschlange an, bis wir drankamen, um unsere hundert Gramm pro Person abzuholen. Ich weiß noch ganz genau, einmal war gerade zu Ostern Zucker ausgeschrieben worden. Ich musste mich zuerst anstellen, meine Mutter löste mich nachher ab und ich dachte: ›Nun krieg ich endlich Zucker!‹ Nee, weißte was es dann gab? Fondanteier! Mensch fand ich das toll. (Sie lacht.) Eine Handvoll davon gab es für jede Familie. Die hüteten wir Kinder wie unseren Schatz. Ostersonntag gingen wir Kinder mit unseren Eiern in den Wald. Wir aßen sie nicht auf! Wir leckten immer rundum.
»Ich leck erst das Gelbe!«
»Nee, ich das Weiße!«
»Ich die Hälfte!«
»Ich ein Viertel!«
Oh Gott, nee! Aber das schärft dir nachher die Sinne dafür, wenn du wieder alles haben kannst, dass du das nicht einfach nur hinnimmst. Herrgott was sind wir heute reich! Haben Heizung! Das hat mich zu einem Menschen gemacht, der eine Zufriedenheit daherbringt. Diese Sachen haben mich geprägt.
In unserer Nähe lag eine Pulverfabrik, die Krümmel Dynamit AG. Das war natürlich ein heiß begehrtes Ziel für britische und amerikanische Bomber. Unser Nachbar hatte uns einen Bunker am Waldrand gebaut, ein tiefes Erdloch, über dem Baumstämme und Äste lagen. Unten auf der Erde lag Stroh. Bei Alarm saßen wir mit der Nachbarsfamilie zusammen in diesem Bunker. Wir mussten uns ein bisschen ducken. Das Nachbarsmädel war in meinem Alter. Wenn wir zusammen im Bunker saßen sagte Martha öfter: »Aenne, ich muss mal.«
Ich sagte: »Ich könnte aber auch mal müssen.«
Dann horchten wir immer, ob es knallte, und warteten noch ein bisschen. Endlich war es ruhig, wir raus aus’m Bunker. Kaum hatten wir die Büchsen runter, ging das Geballer wieder los. Dann hatten wir Angst. Manchmal sahen wir die Markierungen runterfallen, die Tannenbäume, die das Ziel erhellten. Der alte Morrmann, der vor seiner Tür gestanden hatte, ist so erschlagen worden. Ein paar Einschüsse gab es immer hier und da.
Wenn der Alarm während der Schulzeit war, fuhren Wagen umher, kassierten uns Kinder ein und brachten uns in die großen runden Bunker mit meterdicken Wänden. War der Angriff vorbei, wurden die dicken Eisentüren aufgemacht und wir konnten raus. Ja, hmm, wo war man denn? Kannte ich die Gegend? Nein. Von diesen Bunkern fand ich nie nach Hause. Einmal war ich losgegangen, dachte, ich werd schon was finden, was ich wiedererkenn. Ich war aber offensichtlich in die verkehrte Richtung gelaufen, fing an zu weinen, wollte nach Hause und hatte Hunger. Eine Frau griff mich auf und kochte mir eine Milchsuppe. Sowas mochte ich eigentlich nicht, aber diese hab ich verschlungen. Danach brachte mich die Frau auf den richtigen Weg.
Man hat mir viel abverlangt. Eigentlich ein Leben lang. Ich war ja auch noch wirklich klein. Musste jeden Tag was arbeiten, Holz sammeln, Milch nach der Schule mitbringen. Der Milchmann lag auf der Strecke, also brachte ich ihm die Kanne und nahm sie auf dem Rückweg mit. Da waren 1,5 Liter drin und die Kanne hatte noch nicht mal einen Deckel. Manchmal kam ich auch mit weniger als anderthalb Litern zurück. Nicht dass ich die getrunken hätte, sondern dann war auf dem Rückweg Fliegeralarm gewesen. Ich musste mich unter irgendwelchen Bäumen hinkauern, und dabei kippte die Kanne um. Wegen diesem Kram kriegte ich dann immer Ärger. Aus heutiger Sicht hätte man mir Grundsätzlichkeiten gewähren müssen. Finde ich. Aber das machte mir vielleicht damals nichts aus. Meinen Freundinnen ging es allen so. Auf das Kindsein wurde wenig Rücksicht genommen. Die Kinder mussten die komischsten Sachen machen. Wer von den Nachbarn keinen Hahn hatte, musste befruchtete Eier tauschen. Ich weiß noch, wie in der Nachbarschaft eine Glucke das Brutgeschäft angefangen hatte und dann abgestiegen war. Also mussten sich die Kinder dieser Familie jeden Tag abwechseln und die Eier warm halten. Tagsüber lagen sie mit den Eiern im Bett und nachts kriegten sie die Eltern ins Bett.
Das Einzige, wovor ich immer noch Angst habe und wovon ich noch heute manchmal träume, sind diese Flugzeuge, die bei Nacht den Himmel erhellen und was abwerfen. Dann verdunkelt sich der Himmel und ich denke: Was machste jetzt, wo gehste hin? Kannst eigentlich nirgends hin, es ist überall dunkel! Und dann fallen auch schon Sachen runter und ich wache schweißgebadet auf.
So ist meine Geschichte. Sie ist eigentlich tröstlich, würde ich sagen. Denn sie beinhaltet auch eine Menge Menschlichkeit. Und wenn man die erkennt, dann schwindet das Negative. Oder du steckst es in Schubladen, die vielleicht klemmen und die du nicht wieder aufmachen musst. Das muss ich ja nicht, wenn ich das nicht will!
»Wir sind die Generation, die praktisch alleine groß geworden ist.«
Elisabeth Krieg
(Geboren 1935 in Thale, Kindergärtnerin)
Als mein Vater in den Krieg ging, war ich mit meiner Mutter allein. Ich war ein Einzelkind. Vor dem Krieg war Mutter Hausfrau gewesen, wie das damals üblich war. Während des Krieges mussten alle Frauen aus dem Dorf im Werk Panzer ausbauen, nur meine Mutter wurde Rot-Kreuz-Helferin. Deswegen musste sie nicht ins Werk. Sie fuhr als Beifahrer im Krankenwagen bei Bombenangriffen Richtung Hannover … bei den großen Angriffen. Wenn ich aus der Schule kam und Mutter zu einem Einsatz gefahren war, lag ein Zettel auf dem Tisch: Fahr nach Cattenstedt (das war das Dorf, wo meine Großeltern und meine Tante wohnten) oder geh zu Frau Sowieso oder Herrn Sowieso. Dann packte ich das Nötigste, ich wusste ja nie, wie lange Mutter wegblieb, und trabte los. Mutter wusste ja auch nicht, ob sie wiederkam …
Zu meinen Großeltern durfte ich bis in die nächste Stadt mit der Kleinbahn fahren. Ich freute mich jedes Mal, wenn das Geld für die Bahn auf dem Tisch lag. Alleine mit der Bahn fahren, na, das war doch was! Vom Bahnhof musste ich zum Dorf meiner Großeltern laufen. Mutter ermahnte mich immer wieder: »Du gehst nur auf der Straße, die zum Ort führt, und nicht die Abkürzung durch den Wald, die wir sonst zusammen gehen.« Warum, begriff ich damals nicht … Bei meinen Großeltern wohnte meine Tante mit meinen Cousins. Wir spielten zusammen. Das war schön! Unsere Mütter waren immer unterwegs und keiner sagte: »Nu mach und tu!« Meine Tante hatte nur Jungen. Na ja, den Rest brauche ich Ihnen nicht erzählen, ich war das einzige Mädchen. (Sie lacht.)
Oft musste Mutter auch nachts losfahren. Dann stellte sie mir einen Wecker, damit ich morgens alleine zur Schule gehen konnte. Aber ich wurde von dem Wecker schlecht wach, obwohl er groß war und Mutter ihn extra auf einen Teller und den Teller auf den Nachtschrank mit der Marmorplatte stellte, damit’s schön laut rasselte. Ich hörte den Wecker trotzdem nicht. Dann klopfte eine der Frauen aus dem Haus an die Tür und rief: »Mensch, mach, dass du in die Schule kommst. Wir haben wieder deinen Wecker gehört!«
»Der hat nich geklingelt!«, sagte ich.
»Aber wir haben den gehört!«
Immer alleine früh zur Schule … Dann die langen Zöpfe … Wenn ich morgens alleine war, kämmte ich sie nicht. Das musste meine Mutter machen, wenn sie mal zu Hause war.
Einmal war ich zu spät aufgestanden oder zu bequem gewesen und hatte mein Nachthemd nicht ausgezogen, sondern es in den Schlüpfer gesteckt. Es hatte einen Bubikragen und den fand ich schick. Nach der ersten Stunde rief mich die Lehrerin zur Seite und sagte: »Weißte, aber morgen ziehste dir dein Nachthemd nicht in der Schule an.« (Sie lacht.) Das sind so die Erinnerungen, die geblieben sind … Meiner Mutter erzählte ich das nicht, und die Lehrerin war so nett und erzählte es ihr auch nicht. Sie wusste, dass meine Mutter nicht oft da war. Wir Kinder waren alle selbstständig.
Ich wusste, wo meine Mutter hinfuhr. Sie hatte mir erzählt: »Ich fahr mit meiner Kollegin Annemarie da hin, wo Bomben abgeworfen worden sind.«
Die Bomber kannte ich, hörte sie, wenn sie über unser Dorf flogen. Als in unserer Nähe einmal Bomben abgeworfen worden waren, hatte mir Mutter die Weihnachtsbäume gezeigt, die Leuchtzeichen. Sie sagte: »Weißte, wenn die Bomben fallen und es Verletzte gibt, dann müssen wir die in die Krankenhäuser fahren.«
Von dem Ausmaß, was sich da abgespielt hat, habe ich erst später erfahren. Aber das da Häuser zerstört wurden und es Verletzte gab, wusste ich. Meine Mutter half den Ärzten – sie fuhr zum Helfen hin. So hatte sie es mir gesagt. Mehr aber auch nicht.
Bei uns im Dorf lebte ich in einer Idylle. Wir haben nur einen Angriff erlebt. Das Dorf liegt in einem Tal. Bis die Bomben ausklinken konnten, waren die Flugzeuge schon über dem Tal hinweg und mussten die Höhe der Berge fassen. Daher hatten wir Glück.
Nach dem Krieg hat mich meine Mutter einmal gefragt: »Haste denn irgendwann mal gedacht, ich komm nicht wieder?«
Ich sagte: »Nee, du bist doch praktisch wie zur Arbeit gegangen.«
Sie hat es immer so geregelt, dass keine Panik bei mir entstehen konnte. Mal ging ich zu einer der Rot-Kreuz-Schwestern, die gerade nicht im Einsatz war, mal zu meinen Großeltern. Ich dachte mir nichts dabei. Wir sind die Generation, die praktisch alleine groß geworden ist. Wir hatten keine Mutter, die uns tröstete. Warste hingefallen, haste dir selbst ein Pflaster drauf gemacht und dann war’s wieder gut. Wenn ich heute sehe, wie die Kinder so bemuttert werden … Ja, wer sollte sich auch um uns kümmern?
Was wäre noch aus der Zeit zu erzählen? Bei Fliegeralarm saß ich oft alleine mit den Nachbarn im Keller. Mutter war mit dem Krankenwagen unterwegs. In unserer Wohnung standen zwei gepackte Strohtaschen. Eine kleine für mich, in der ein paar Spielsachen, Unterwäsche und meine Puppe lagen. Mutters Tasche mit den Papieren war ein bisschen größer. Ich weiß noch, wie sie mir oft gesagt hatte: »Wenn ich nicht da bin, nimm immer beide Taschen mit, und wenn du nicht beide tragen kannst, nimm die große und deine Puppe.« Sie hätte nie gesagt, nimm die Puppe nicht mit. Ich hätte alles andere dagelassen, aber nicht die Puppe! Die war meine Schwester, der habe ich alles erzählt. Manchmal wunderte ich mich, woher meine Mutter so viel von mir wusste. Später hat sie mir erzählt, dass sie manchmal vor der Tür gehorcht hatte, was ich meiner Puppe erzählte. Was diese Puppe für Geheimnisse in sich birgt! (Sie lacht.) Ich war ja ein Einzelkind. Wenn ich also alleine war, nahm ich bei Bombenalarm die beiden Taschen mit runter. Im Keller wurde ich von den anderen Frauen aus dem Haus mitversorgt. Da gab es kein Mein und Dein, da kriegten alle Kinder was. Ach, ich machte mir keine Gedanken, wo das Essen herkam. Wir mussten eben da unten sitzen. Manchmal spielten die anderen Mütter mit uns.
Als ganz in der Nähe von uns eine Stadt bombardiert wurde, schickten die Lehrer uns Kinder schnell nach Hause. Ich lief artig los. Ich kam an einem Haus von Bekannten vorbei die mir zuriefen: »Renne! Dass du es schnell nach Hause in den Keller schaffst, falls sie ne Bombe abwerfen!« Ein paar Straßen weiter riefen mir Leute zu: »Du schaffst es nicht mehr bis nach Hause, komm zu uns rein!«
Ich rief: »Nee, ich muss nach Hause! Meine Mutti hat gesagt, wenn Alarm ist, muss ich nach Hause!«, und lief weiter. Ab und zu drehte ich mich um, sah die Weihnachtsbäume am Himmel leuchten und horchte: Nee, es knallt noch nicht, du kannst laufen. Ich schaffte es noch. Bei uns im Dorf kam nur eine kleine Brandbombe runter, die müssen die Bomber verloren haben. Sie fiel in unseren Park. Wir Kinder rannten hin und guckten uns das tiefe Loch an. So hatten wir auch eine Beziehung zu den Bomben: Häuser gehen kaputt.