Kitabı oku: «"Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt"», sayfa 4
»Kinder kann man auch entwürdigen.«
Joachim Artz
(Geboren 1937 in Berlin, Beamter)
Meine Kindheit war vor allem durch drei Dinge geprägt: Angst vor körperlicher Züchtigung, Einsamkeit und Heimweh.
Dass die Eltern damals ihre Kinder schlugen, um sich durchzusetzen, war zeitgemäß. Für uns Kinder war das kein Zuckerschlecken. Die Züchtigungen begannen schon im Kleinkindalter. Meine Mutter schlug mich mit Bügel, Teppichklopfer oder einfach per Hand. Vor allen Dingen schlug mich meine Mutter, Vater war ja nicht da. Es ging immer mit dem Teppichklopfer oder einem Bügel um den Tisch rum und Mutter schrie: »Du verdammter Bengel, bleibst du endlich stehen!« Nach 45 schlug mich auch mein Vater, einmal sogar mit einem Holzscheit, sodass meine Mutter dazwischengehen musste. Sie bestraften mich auch mit Stubenarrest, Dunkelhaft und Essensentzug. Man könnte denken, dass ich ein Rowdy gewesen bin – nein, keinesfalls. Es war einfach so in dieser Zeit. Das alles führte zwar zu Respekt vor meinen Eltern, aber der Liebe tat es Abbruch.
Die Einsamkeit und das elende Heimweh waren natürlich der Zeit geschuldet. Bis Kriegsende war ich wegen der vielen Bombenangriffe viermal aus Berlin evakuiert – immer war ich allein. Ich war in Posen, in der Altmark, in Ostpreußen und Hinterpommern. Die meiste Zeit war ich allein. Das Heimweh war prägend.
Bei der Familie eines Bauern in der Evakuierung war es schlimm. Die saßen am Esstisch und aßen Butter, Brot, Speck und Wurst. Ich, der zwangseinquartierte Flüchtling, musste am Nebentisch sitzen und bekam Marmelade – das war das höchste der Gefühle. Oft streunte ich allein in der Natur umher. Einmal fand ich in einem Kornfeld ein großes Nest mit Eiern. Die Eier waren größer als Hühnereier und hatten lauter Sommersprossen. Es waren die Eier von Truthühnern. Ich holte einen Korb und kam freudestrahlend mit den Eiern zu der Bauersfamilie. Sie gaben mir nicht ein einziges Ei davon ab. Der Sohn der Bauersfamilie war im Krieg, darum war ein Zimmer frei, das sie an Flüchtlinge oder Evakuierte hätten abgeben müssen. Sie hatten aber das Zimmer abgeschlossen und Flüchtlinge wie mich auf dem unausgebauten Boden schlafen lassen. Es war unerträglich heiß dort oben und die Mäuse liefen umher. Jede Nacht lag ich, das 6-jährige Stadtkind, dort oben allein in der Hitze bei den Mäusen und hatte Angst. Ich heulte wie ein Schlosshund. Irgendwann schlief ich dann vor Erschöpfung ein. Ich sehe mich noch heute da oben liegen und wie ein Schlosshund heulen …
Sie werden es nicht glauben, aber Kinder kann man auch entwürdigen. Sowas merken Kinder. Eines Abends – es war Sommer – mussten wieder die Hühner in den Stall getrieben werden. Der Stall war groß, die Türen wurden aufgemacht, und an diesem Abend sollte ich die Hühner reintreiben. Alle guckten zu, die Bauersleute und die Fremdarbeiter, mindestens zwanzig Personen, wie der kleine Achim sich abstrampelte, um die Hühner in den Stall zu treiben. Ich schaffte es bis auf das sogenannte Mickerhuhn. Es war besonders klein und legte keine Eier. Das blöde Huhn lief wieder und wieder an der Tür vorbei. Die Bauersfamilie lachte sich halb tot. Bei mir schwoll der Adrenalinspiegel immer mehr an. Ich kriegte es mit der Wut zu tun, nahm einen Stein und schmiss ihn nach dem Huhn. Ich traf es sogar, und sofort war das Huhn im Stall. Am nächsten Morgen war es tot. Natürlich bestraften sie mich dafür. Ich fand das entwürdigend – zwanzig Leute standen herum und lachten … Einmal büchste mir ein Ferkel aus, das ich in den Stall treiben sollte. Als ich es schließlich am Hinterbein in den Stall zerrte, kugelte ich ihm versehentlich das Bein aus. Der Bauer renkte es wieder ein und schlug mich, weil ich es nicht richtig gemacht hatte. Die negativen Erlebnisse mit Tieren, es kamen noch einige dazu, führten dazu, dass ich heute absolut kein Tierfreund bin.
In Hinterpommern, der dritten Evakuierung, waren wir auf einem Gut untergebracht. Meine Mutter und mein kleiner Bruder waren mitgekommen – endlich war ich nicht mehr allein. Die Gutsherren waren ganz stramm rechts. Frau Fuhrbach war eine typische NS-Herrin, hatte den Haarkranz geflochten und war Mutter von vier Kindern. Ihr Mann war in Norwegen Kommandant eines KZs. Trotzdem war die Zeit in Hinterpommern vom Sommer 44 bis Januar 45 eine schöne Zeit für mich. Was ich da erlebt habe, werde ich nie wieder in meinem Leben erleben. Eine Schlittenfahrt und Hasenjagd – irre Sachen, wunderbar! Ich streifte viel durch die Natur, die Schule lief nur nebenher. Als die Russen näherrückten, musste Mutter auf Pappkameraden schießen üben. Die Frauen sollten sich auf die Russen vorbereiten, so hatte es die Parteiführung befohlen. Mutter war ganz stolz, dass sie immer gut getroffen hat. Aber es kam nicht zum Schießen, wir gingen auf die Flucht. Wir hatten unheimliches Glück!
Von Kohlestückchen in der Backe, Splittern im Käsekuchen und einer schwarzen Wolke
Ich hatte gelernt, mich in den Gräben zu verstecken, wenn die Flieger kommen und nicht draußen auf dem freien Feld zu bleiben. Wir sollten uns einbuddeln wegen der Bombensplitter. Das wusste ich. Aber sicher waren wir nirgends. Wir mussten lernen, wo wir geboren waren und wo wir wohnten und wie wir heißen – falls wir irgendwo verschütt gehen würden. Das war mir klar. Ein Schild um den Hals hatte ich nie, weil ich schon sagen konnte, wie ich hieß und wo ich wohnte. Man kann sich das heute gar nicht vorstellen, wie normal das für uns war. Wenn die Tiefflieger kamen und an Opas Haus vorbeiflogen, rechnete ich mir immer aus, hinter welcher Tür ich mich verstecken musste, damit mir nichts passierte. So ein Blödsinn! (Sie lacht.)
(Kristin K., Jg. 1937)
Bei Bombenalarm sagten wir immer: »Jetzt hat Meier wieder zugeschlagen!« Reichsluftfahrtminister Göring hatte zu Beginn des Krieges gesagt: »Wenn fremde Flugzeuge nach Berlin kommen, will ich Meier heißen.«
(Waldemar Klemm, Jg. 1936)
Die erste Kettenbombe in Berlin traf das Nachbarhaus gegenüber. Nach dem Angriff liefen wir aus dem Keller hoch in unsere Wohnung und sahen: Alle Fenster waren rausgeflogen. Im Wohnzimmer klaffte ein großes Loch zwischen Zimmerdecke und Dach. Die Wohnungstür stand eine halbe Treppe tiefer. Es war … es war einfach furchtbar!
Am Tag zuvor hatte Mutter zum Geburtstag unserer Nachbarin einen Käsekuchen gebacken. Weil es so wenig Lebensmittel gab, hatten alle Mieter aus dem Haus etwas dazu beigetragen. Ich war um den Käsekuchen herumgelaufen und hatte gebettelt: »Mutti, gib mir doch ein kleines Stück! Ein kleines Stück fällt doch nicht auf!« Aber ich hatte nichts bekommen, der Kuchen war schließlich für Tante Margot. Dann fiel die Bombe, die Fensterscheiben zerbarsten und der Käsekuchen war gespickt. Der ganze Kuchen war voller Splitter! Ich weinte und schimpfte: »Du hast mir kein Stück gegeben, und jetzt kann keiner mehr den Kuchen essen!«
Mutter presste den Kuchen durch ein Sieb, aber es half nichts, der Käsekuchen war voller Glas! (Sie lacht.) Ja, solche Sachen habe ich erlebt!
Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten: Jagdflugzeuge überfliegen zerstörte Häuser einer Stadt (um 1944).
Während der Bombenangriffe langweilte ich mich sehr im Keller, und da ich mich in der ersten Zeit noch nicht fürchtete, sang ich dort unten all die Lieder, die ich im Kinderfunk gehört hatte. Hatte ich alle Lieder gesungen, baten die Nachbarn: »Ach Edeltraud, sing doch wieder was!«
»Na, ich hab doch schon alles gesungen!«, antwortete ich.
»Dann fang wieder von vorne an!«
Später erzählte mir Mutter, die Nachbarn hätten immer gesagt: »Solange Edeltraud singt, sind wir in Sicherheit!«
Das sind alles Dinge, die nur noch die Leute in meinem Alter wissen – es wird nichts weitergegeben …
(Edeltraud H., Jg. 1938)
Die Sirenen waren ganz laut, daran kann ich mich erinnern. Ich zucke heute noch jedes Mal zusammen, wenn die Sirene bei der Freiwilligen Feuerwehr an der Ostsee angeht. Dann muss ich immer an den Krieg denken. Als ich drei Jahre war, konnte ich schon alleine in den Keller gehen, während Mutti meinen kleinen Bruder weckte und anzog. Mutti klemmte mir ein Sitzkissen unter den Arm, drückte mir eine Taschenlampe in die Hand, und so ging ich alleine über den Hof ins Nebenhaus zu Oma und Opa in den Keller. In der Mitte vom Hof stand ein Kastanienbaum, da zupften wir Kinder die Blätter für unsere Maikäfer ab. Angst hatte ich keine. Wir hatten Glück: Nur eine Bombe fiel in unsere Straße – vor unsere Haustür. Aber es ging nur eine Fensterscheibe kaputt, und da machte mein Opa Pappe vor.
Ich weiß noch, wie Opa manchmal sagte: »Komm, jetzt ist Entwarnung, wir gehen mal spazieren.« Es gab sogar eine Haarfrisur, die nannte sich Entwarnung, weil da alles nach oben gekämmt wurde. Denn bei Entwarnung konnten alle wieder nach oben gehen. Meine Mutter trägt diese Frisur auf den Fotos von damals.
(Marließ Zuschke, Jg. 1940)
Wie früh ich als Kind schon mit dem Tod konfrontiert worden bin … Im Keller herrschte immer die Stimmung: Lieber ein Leben lang trocken Brot essen, als diesen Alarm noch zu haben. Beliebt war auch der Spruch: Leipzig, Dresden, Halle dann ist der Krieg alle. Dann zählten wir nach, Leipzig hatte den Bombenangriff, Dresden auch, jetzt musste nur noch Halle drankommen. Aber dazu kam es nicht, der Krieg war schon vorher alle.
Es war aber nicht so, dass wir auf die Bomber großen Hass hatten. Ja, wir fanden es nicht gut. Aber uns war klar, dass in den Bombern Soldaten saßen, so wie unsere Soldaten, die kämpfen müssen, und wir stehen dazwischen, wir kriegen was auf’n Hut dabei. Ich weiß noch, dass es unter uns Kindern ’ne große Debatte gab, ob es Terrorangriff oder Terrohrangriff heißt.
(Jochen Lindner, Jg. 1934)
Kaum waren wir eingeschlafen, heulten die Sirenen los. Im Keller herrschte ein großes Durcheinander. Es gab einen gewaltigen Knall. Eine Bombe hatte das Haus über uns getroffen. Ich erinnere mich, wie die Menschen weinten, beteten und schrien. Wir kamen nicht mehr raus, wir waren verschüttet. Das Haus war völlig zerstört. Bis zum ersten Stock war alles zusammengebrochen. Der Keller hatte aus einem gemauerten Tonnengewölbe bestanden, deswegen waren wir im Keller heil geblieben.
Nachher, nach Stunden, hatten Männer einen Durchbruch vom Nebenhaus gebuddelt. Durch ein mannshohes Loch zogen sie uns raus ins Freie. Ich sehe noch, wie ich auf der anderen Straßenseite stehe und zuschaue, wie der riesige Trümmerberg brennt …
(Ronald Potzies, Jg. 1936)
Während wir die Nächte im Keller verbachten, wurde oft vorgelesen. Ich kann mehr als fünfzig Gedichte und wohl hundert Lieder, die ich im Keller gelernt habe. Die Gedichte sage ich mir heute noch auf, wenn ich abends nicht einschlafen kann. Im Keller schliefen wir Kinder in den Waschwannen, die mit Wäsche gefüllt waren. Das fanden wir spannend!
Wenn wir fünf Kinder merkten, es fallen die Bomben, dann zitterten wir und schmiegten uns aneinander. Alle wollten zusammen sein. Auch die Nachbarn. Ich erinnere mich, wie wir uns immer an jemanden ankuschelten. Wenn wir Angst kriegten, beteten wir im Keller alle zusammen. Die Bomben fielen um uns herum. Auf der anderen Straßenseite ging ein Haus zu Bruch, unser Haus wurde beschädigt. Wenn sich die Bomben in die Erde wühlten, dann grollte das unter unseren Füßen. Es vibrierte richtig. Rechts, links, überall fielen Bomben und wir beteten.
Meistens beteten wir zusammen: »Hilf, Maria, es ist Zeit, hilf Mutter der Barmherzigkeit, du bist mächtig, uns aus Nöten und Gefahren zu erretten. Zeige, dass du Mutter bist, wo die Not am größten ist. Hilf, Maria, es ist Zeit.« (Sie spricht es flehentlich aus.) Im Keller beteten wir zur Mutter Gottes. Für Heini, den Sohn unserer Nachbarin, der im Krieg war, beteten wir extra ein »Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnaden« für Heini, der im Krieg ist.
Manchmal nahm unser Nachbar ein paar Kinder mit in sein Heimatdorf bei Dresden. Dort war es ruhig, keine Bombenangriffe. Einmal durfte ich mit. Dort spielten wir im Wald, das war wunderschön! An solche Sachen erinnere ich mich. Wir spielten in einem Nadelwald, wir häuften die Nadeln an, legten unsere Kleidung darauf und das war dann unser Kopfkissen. Wir spielten Hexe und Rotkäppchen. Wir aßen Huflattich und Löwenzahn und Sauerampfer. Das wächst in den Wiesen. Das war lecker …
(Ursula Schilakowski, Jg. 1936)
Zunächst hatten wir in Leipzig die Bombengangriffe nicht so ernst genommen. Meine Eltern hatten eine Bäckerei ganz in der Nähe vom Hauptbahnhof. Bei den ersten Alarmen gingen wir runter in den Keller. Dort war bunt gedeckt, es gab Kuchen und Brot aus der Bäckerei, das Koffergrammofon wurde angeschmissen und dabei getanzt. Nach zwei Stunden gab es Entwarnung, wir gingen wieder hoch und es war nichts passiert. Mit der Zeit wurde der Keller zu einem richtigen Treffpunkt des Hauses – es war eigentlich ganz lustig da unten. Wir Kinder hatten immer die Hoffnung, dass der Alarm bis über Mitternacht hinausging, dann hatten wir am nächsten Tag schulfrei. Das zog sich hin bis zum 4. Dezember 1943, ein Datum, das für die Leipziger in meinem Alter sicherlich unvergessen ist. Da gab es den ersten Riesenangriff auf Leipzig, der die ganze Innenstadt in Schutt und Asche legte.
Wir waren nachlässig geworden, viele Angriffe hatte es auf Leipzig bisher nicht gegeben, und beeilten uns nicht sonderlich, in den Keller zu kommen. Der Alarm wurde an diesem 4. Dezember erst sehr spät ausgelöst. Als wir aus der Wohnung traten, flogen uns im Treppenhaus schon die Fensterkreuze entgegen. Die Rollos für die Verdunkelung flatterten in den leeren Fensteröffnungen – die ersten Bomben fielen bereits. Die anderen Hausbewohner kamen in ihren Schlafanzügen in den Keller gestürzt, auch sie hatten den Alarm nicht mehr für voll genommen.
Glücklicherweise wurde unser Haus in dieser Nacht nur von Brandbomben getroffen. Mutter lief mit ein paar anderen Frauen auf den Dachboden, um zu löschen. Sie trug Stahlhelm und ihren Pelzmantel, das sah schon ganz gut aus! Bei Alarm trug sie immer den Pelz, ein wertvolles Stück, das gerettet werden sollte. Später sahen wir doch, dass es etliche versengte Fellteile gab … Es kam zu keinem großen Brand, aber neben uns brannten einige Gebäude ab, auch das Nachbarhaus. Die Nachbarn schlugen den zugemauerten Kellerdurchbruch auf und flüchteten zu uns. Ich weiß noch, wie der Fleischer von nebenan durch den Mauereinbruch kam, er hatte sich mehrere Ringe Würstchen umgehängt und war völlig durch den Wind. Er hatte seine Fleischerei, die Wohnung und seinen Lieferwagen verloren, der vor dem Haus gestanden hatte. Auf den Straßen brannte es furchtbar …
(Jochen Lindner, Jg. 1934)
Meine Großmutter hatte immer unter der Wolldecke Radio London gehört, was eigentlich verboten war. 1943 sagte meine Oma dann: »Raus, raus, raus aus Hamburg!«, und so fuhren wir zu meiner anderen Oma nach Bad Oldesloe. In genau der Nacht, am 27. Juli 1943, wurde unser Haus Süderstraße 207 in Hamburg total zerstört. Alle waren tot.
Der Angriff war fürchterlich. Der war so schlimm, dass sogar in Bad Oldesloe eine dicke Rußschicht auf der Erde lag. Die Sonne war den ganzen Tag nicht zu sehen. Alles war schwarz. In Hamburg entstand ein Feuersturm. Viele Häuser brannten, und Feuer zieht ja Wind an. Dadurch entstand der Feuersturm. Die Leute liefen als brennende Fackeln durch die Gegend. Bei diesem Angriff kam auch mein Großvater um. Er kam in ein Massengrab. Die Toten kamen alle in ein Massengrab in Ohlsdorf. Auf einer Tafel steht heute, dass dort das Massengrab der Luftangriffe vom 27. Juli 1943 ist.
Bei uns im Haus sind alle umgekommen! Alle! Nur wir sind rausgekommen. Wir hatten Glück. Mein anderer Opa ist nochmal an den Trümmern unseres Hauses vorbeigefahren. Unsere Badewanne hing aus der Ruine raus …
Ich habe noch viele, viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von Bombenangriffen geträumt. Ich wachte nachts schweißgebadet auf und war froh, dass Frieden war. Das war wahnsinnig, ich war richtig traumatisiert durch die Bombenangriffe.
(Alfred D., Jg. 1936)
Ich hatte ein kriegsbedingtes Hobby: Nach jedem Bombenangriff streifte ich durch die Straßen und suchte Bombensplitter. Die scharfkantigen Stahlstücke tauschten wir Kinder auch untereinander, aber eigentlich waren das Finden und der Besitzerstolz die Hauptsache. In der Evakuierung erlebte ich einmal einen Tieffliegerangriff. Ich stand mit den Dorfbewohnern auf der Straße und beobachtete die Bomberverbände am Himmel auf dem Weg nach Berlin. Die Flieger kamen herunter und schossen aus Bordwaffen die nahe gelegene Gummiwarenfabrik in Brand. Sie schossen auch in die Keller der umliegenden Häuser. Die Patronen aus Messing waren danach begehrte Sammlerstücke. Ich hatte auch einige, die sind aber später auf der Flucht verloren gegangen.
(Joachim Artz, Jg. 1937)
Am 23. Februar 45 erlebte Meiningen den ersten Bombenangriff. Die Leute waren nicht drauf eingerichtet. Als die erste Bombenserie abgeworfen wurde, hatte meine Mutter gerade die Finger im Kloßteig. Sie wollte Klöße zum Mittag machen. Mein Bruder tollte auf der Küchenbank herum. Zwischen dem ersten und dem zweiten Bombenteppich war ein ganz kurzer Zeitraum von vielleicht zwei oder drei Minuten. Meine Mutter schnappte den Kleinen, wollte in den Keller, aber die Küchentür ging nicht auf. Der Putz war durch die Erschütterungen der ersten Bomben von der Decke gefallen, die Tür klemmte. Meine Schwester und die Frau, die bei uns bügelte, konnten von außen die Tür aufstoßen. Zusammen rannten alle raus, rein in den Keller. Sie waren noch nicht im Luftschutzkeller angelangt, da brach das Haus schon zusammen. Meine Mutter hatte den Kleinen unter sich, meine Schwester lag hinter ihr, die Beine angezogen. Ein großer Steinbrocken fiel genau neben ihre angezogenen Beine. Die Bügelfrau und unsere Nachbarin lagen direkt hinter meiner Schwester und wurden von der runterkommenden Betondecke erschlagen.
In diesem zweiten Bombenteppich hatte ich siebzehn Einschläge gezählt und eine Mine. Die Mine war eine riesige Bombe, die das zusammengefallene Haus wieder auseinanderriss. So entstand ein riesiger Krater, der ein ganz kleines Stückchen Licht in den Keller scheinen ließ. Ein Nachbarsjunge in meinem Alter konnte mit einer Hacke einen kleinen Durchbruch schlagen. Ich habe es mir später angesehen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wo ich in der Zeit gewesen war. Ich war als Luftschutzmelder in ein Auffanglanger für Ausgebombte am Standrand abkommandiert. Als der Bombenangriff losging, hatte ich gerade mit zwei Jungs, die mit mir Dienst taten, Karten gespielt. Seitdem habe ich eine Aversion gegen Kartenspielen. Im Auffanglager sollten wir auf die Leute warten, die nach möglichen Bombenangriffen kommen würden. Aber an diesem Tag kam niemand. Ich rannte nach Hause und fand meine Mutter und meine Geschwister in einer Garage neben dem Trümmerhaufen unseres Hauses. Sie waren schon ein bisschen versorgt worden. Meiner Mutter standen die Haare zu Berge. Es sah fürchterlich aus, wie beim Struwwelpeter. Sie war mit dem Kopf neben dem Kohlenkeller zum Liegen gekommen und der ganze Kohlenstaub hatte sich in ihrem Haar verfangen. Sie holte noch lange danach Kohlestückchen aus dem Haar. Ein Kohlestück steckte in ihrer Wange. Als ein Arzt das Stückchen zwanzig Jahre später entfernte, stellte er fest, dass es kein Kohlenstück, sondern ein Bombensplitter war.
Ich lief in den Bombenkrater unseres Hauses hinunter. Inmitten der Trümmer realisierte ich, was los war. Ich dachte: ›Jetzt biste alleine, jetzt hast du nichts mehr. Jetzt hast du nur das zum Anziehen, was du gerade trägst.‹ Es war nichts, nichts mehr zu finden! Ich ging in den Keller rein, sah die Zerstörung. Auf dem Rückweg musste ich über die Nachbarin steigen. Einen Toten hatte ich noch nie gesehen. Ich sah zu, wie die Helfer die Toten bargen. Einer der Mieter war ein höheres Tier in der Kreisleitung gewesen. Er hatte sofort Leute organisiert, die alles durchwühlten. Alle Klamotten, die seine Leute dort fanden, wurden sofort in die Kreisleitung geschafft. »Das kriegen sie ja alles wieder, es wird ihnen ja alles ersetzt«, sagte er. Und wissen Sie, wann die das entschädigt haben? 1963!
Nach dem Angriff kamen meine beiden Geschwister zu Verwandten. Ich wollte gerne mit, aber ich wurde zurückgerufen. Ich sollte helfen, die Trümmer wegzuräumen. Mit meinem Großvater, der gegen die Nazis war, ging ich zu dem Platz, für den wir eingeteilt worden waren. Die anwesenden Parteileute straften Großvater mit Verachtung. Wir buddelten mit unseren Schaufeln in den Trümmern. Später bekam meine Mutter noch französische Gefangene zugewiesen, die suchen halfen. Aber das, was wir brauchten, war nicht mehr da. Nur was unten in den Schränken verstaut war, ist geblieben. Interessanterweise ein paar Fotos. Alles andere war weg. Wenn man sich das überlegt …
(Erhard M., Jg. 1930)
Unsere Spiele … Ich denke mir heute, mit unseren Spielen bauten wir ein bisschen unsere Ängste ab. Im Wohnzimmer stand ein großer Esszimmertisch und darunter war mein Luftschutzkeller. Wenn meine Schwester und ich mit unseren Puppen spielten, spielten wir auch Fliegeralarm. Wir weckten unsere Puppen auf, zogen sie an: »Wir müssen schnell in den Luftschutzkeller!« Und setzten sie unter den Tisch. Dann hieß es Entwarnung und wir kamen mit den Puppen wieder unter dem Tisch hervor. Heute nehme ich an, damit haben wir unsere Ängste abgebaut.
(Christa Lentzsch, Jg. 1933)
Hier in Falkensee hatten wir den einzigen Luftschutzkeller in der Straße. Das war 39, als das Haus gebaut wurde, die Auflage gewesen. Bei Bombenalarm kamen alle Nachbarn zu uns. Erst dadurch merkte ich, dass Krieg war. Ich fragte: »Warum kommen alle in den Keller?«
Die Mutti sagte: »Weil eventuell Bomben runterkommen und wir hier sicher sind.«
»Und warum kommen Bomben?«
»Da sind böse Leute, die wollen uns Böses.«
So erklärte sie es mir. Nachher, mit neun, wusste ich: Das sind Russen oder Amerikaner und das deutsche Soldaten. Das hatte ich aufgeschnappt.
Im Keller war die Stimmung relativ entspannt oder vielleicht wollten die Erwachsenen ihre Aufregung nicht auf die Kinder übertragen. Wir hatten auch junge Leute, die verliebt waren. Die Tochter der Nachbarin, eine Tänzerin, stand mit ihrem Freund im Kellergang und sie schmusten und gaben sich Küsschen. Das fanden wir Kinder ganz spannend. (Sie lacht.) Fanden wir schön!
Ich glaube, dass ich am Anfang den Krieg verdrängt habe. Bis ich ganz bewusst die Brandbomben auf der Straße wahrgenommen hatte und die Bombe, die das Dach abdeckte – das Klirren der Scheiben –, da kriegte ich schon Angst. Wenn die Sirenen anfingen, fielen manchmal die Brandbomben schon, ich sah sie schon fallen. Mutti nahm mich an die Hand und schubste mich in den Keller. Das war nicht schön … Es war so oft Alarm, und dann verdrängt man das als Kind auch ein bisschen, glaube ich. Das kommt erst wieder in einem hoch, wenn man sich erinnert. Darum kann ich es so nachvollziehen, wie die Leute heute in den Ländern empfinden, wo Bomben fallen. Wenn sie auf einmal vor dem Nichts stehen. Nichts ist mehr da, nichts. Das ist schon bitter. Ich wünsche mir jedenfalls keinen Krieg mehr. Oder ich möchte keinen mehr erleben.
(Marianne M., Jg. 1936)
In Berlin verging keine Nacht ohne Angriffe. Ob sie was erwischt hat oder nicht war Kismet, also Schicksal. Es war vieles im Krieg Kismet. Im Keller war jeder in sich selbst zurückgezogen. Worauf haben wir gewartet? Wir warteten auf das Ende in jeder Beziehung, dass uns eine Bombe trifft oder auf das Ende des Angriffs, dass wir wieder rauskämen vor die Tür. Das Problem war, wie bewältigst du das Warten, entweder bis zum Tode oder bis du wieder rauskamst. Und hoffentlich kommt keine Luftmine! Einmal erlebte ich, wie ganz in der Nähe eine Luftmine reinging. Ich merkte richtig, wie meine Eingeweide nach oben kamen. Ein Gefühl, als wenn der Körper von einem Vampir ausgesogen wird. Ein unbeschreibliches Gefühl. Ich möchte es nicht wieder erleben. Ich hatte eine Angst sondergleichen! Krieg ist unmenschlich. Manche Nachrichten über Kriegsgebiete kann ich heute gar nicht sehen. Die Berichterstattung ist so abgewandt. Wie kann man darüber so sprechen? Dass wir es nun in den hundert Jahren seit Ende des Ersten Weltkriegs und über siebzig Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg nicht geschafft haben und immer noch mit in Anführungsstrichen noch besseren Mitteln Kriege führen! Ist ja unverständlich!
(Burkhard C., Jg. 1932)
Auf den schönen Sportplätzen gegenüber von unserem Wohnblock wurden Riesenkanonen installiert – man sagte dazu Flakabwehr. Beim ersten Bombenalarm ballerten die jungen Flaksoldaten furchtbar. Ich hatte die Röteln und durfte wegen Ansteckungsgefahr nicht in den Luftschutzkeller. Aus Angst schrie ich derart, dass danach eine Herzerweiterung von der Kinderärztin festgestellt wurde.
Mit meinen Freundinnen spielte ich Vater, Mutter, Kind oder Zirkus. Wir wollten eine heile Welt, wir spielten niemals Krieg, obwohl um uns herum der Krieg tobte. Bis heute regt es mich auf, wenn Kinder mit Wasserpistolen zielen oder sich mit digitalen Kriegsspielen ereifern.
(Christina Skura, Jg. 1933)
Ich weiß noch genau, es gab immer erst einen Voralarm, und dann kam der Hauptalarm. Danach war es eine Sekunde lang ganz leise, ganz still. Dann sagte ich zu meiner Schwester: (sie flüstert) »Ob der Feind jetzt überlegt, ob er uns angreift!?« Und dann gingen die Bomben los. Im Luftschutzkeller waren meine Schwester und ich für uns alleine. Mein Vater war in Russland oder sonst wo, und meine Stiefmutter kümmerte sich um unseren kleinen Stiefbruder. Da saßen wir und flüsterten leise. Ich erinnere mich ganz dunkel an die Atmosphäre. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich jemand um uns gekümmert hätte, was vorgelesen oder so …
(Astrid von Pufendorf, Jg. 1936)
Wir sammelten Granatsplitter und tauschten sie in der Schule. Die Flugzeuge warfen manchmal Lametta runter, so Silberfäden. Die durften wir nicht anfassen, die hatten die Engländer angeblich vergiftet. All so ein dummes Zeug, Nazipropaganda …
(Alfred D., Jg. 1936)
Wenn wir den Entwarnungston hörten, waren wir wie erlöst. Es war wie eine Befreiung. Fröhlich gingen wir die Kellertreppe hoch. Wir Kinder merkten, die Älteren sind fröhlich. Davor saßen wir ganz still im Keller und hatten Angst. Wir spürten die Erschütterungen durch die Bomben, es bibberte richtig im Körper. Können Sie sich ja vorstellen, was ich da für Angst hatte. Bei Fliegeralarm zog ich mich ganz schnell an, nahm den Hund und mein Köfferchen und war die Erste im Keller. Mein Vater war der Luftschutzwart. Er hatte den Kellerschlüssel.
Einmal waren meine Eltern noch nicht aus dem Kino zurück, als der Fliegeralarm losging. Ich wusste, was ich machen muss, nahm den Kellerschlüssel, ging runter und schloss auf, sodass alle reinkonnten. Als meine Eltern angeflitzt kamen, meine Mutter war ganz aufgeregt, saß ich schon mit dem Hund auf meinem Platz. Meine Mutter war beruhigt: »Ach, du hast ja alles richtig gemacht.«
Ich sehe das alles noch vor mir … Für Kinder unter zehn Jahren gab es Kinderbunker. Abends brachten meine Eltern meine jüngeren Geschwister dorthin und holten sie morgens wieder ab. Als ich zehn wurde, durfte ich dort nicht mehr schlafen. Das erfreute mich, denn ich konnte dort nicht schlafen. Wenn die Lüftungsklappen angingen, wusste ich: Ah ja, jetzt ist Fliegeralarm, jetzt machen sie die Türen zu. Dann konnte ich nicht mehr schlafen, weil ich überlegte, was nun zu Hause passieren würde. Wenn ich Bilder von den Kriegen heute sehe, kann ich mir vorstellen, dass die Menschen Angst haben. Ich habe es ja selber miterlebt. Meine jüngste Schwester kommt heute noch schnell in Panik.
(Christa Lentzsch, Jg. 1933)
Ich erinnere mich besonders an den superklaren Sternenhimmel, denn die ganze Stadt lag wegen der Verdunkelungspflicht völlig im Dunkeln. So klar kann man die Sterne über Berlin nicht mehr sehen!
Als ich dann im Mai 45 das erste Mal wieder auf der Straße spielen ging, fiel mir die Ruhe in der Luft deutlich auf. Es flogen keine Flugzeuge mehr umher. Das war wirklich einprägsam. Diese Ruhe war irre. Keine Flugzeuge mehr am Himmel. Als Achtjähriger ist es mir aufgefallen. So eine Ruhe! Es waren sonst immer Flugzeuge am Himmel gewesen …
(Joachim Artz, Jg. 1937)
Bei einem Besuch bei Vati kam ich in einem Hochbunker unter. Eigentlich hatte ich geglaubt, ich hätte das Gefühl der Angst längst überwunden. Aber im Bunker zitterte ich um mein Leben. Fürchterliches Krachen, der Bunker schaukelte, das Licht ging aus, Schreie der Menschen. Zwei Stunden dauerte der Angriff. Als wir rauskamen, lagen ca. zwei und vier Meter neben dem Bunker Bomben. Fahrräder und Kinderwagen zertrümmert, ein Leiterwagen hing an einem Baum. Es brannte ringsum und über Berlin stand eine schwarze Wolke. Ein grauenhafter Anblick! Abends rief noch Inge weinend an. Ihre Mutter liegt unter den Trümmern ihres Hauses begraben …
(Christa Ronke, Jg. 1929)
Bei uns gegenüber wohnte ein älterer Mann, der Frank. Der kam immer mit einem Sofakissen auf dem Kopf in den Keller. Damit die Bombe ihn nicht trifft. Ich dachte schon als Kind: ›Blödsinn, wenn der getroffen wird, dann geht das ja durch das Kissen …‹
(Helga Werner, Jg. 1937)
Die Bombardierung der Großstädte wurde immer heftiger. Reichspropagandaminister Goebbels hatte in Berlin einer großen Menschenmenge zugebrüllt: »Wollt ihr den totalen Krieg?«
Die Menge johlte zurück: »Ja!«
Wir sangen dann, wenn nachts wieder die Sirenen bei uns im Ruhrgebiet heulten: »Lieber Vogel fliege weiter, fliege weiter nach Berlin, denn hier wohnen nur Bergarbeiter und da hamse Ja geschrien.«
(Dorothea L., Jg. 1930)
Mit zehn Jahren kam ich zur Hitlerjugend. Wir mussten im Adolf-Hitler-Stadion auf der Turnwiese Splittergräben ausbuddeln. Im Sommer waren wir auf einem Sommerlager im Grunewald. Kurz vorher hatte es einen Angriff gegeben, ich sah noch die Amerikaner in den Bäumen hängen. Das war nicht lustig. Wenn ich heute Bilder ansehe von Aleppo oder Mossul, da wird mir immer … (Er schluckt.)