Kitabı oku: «Die Unbeirrbare», sayfa 5

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Seit dem Krieg ist Berthas Tafelrunde wieder vollzählig. Elisabeth kam aus Paris zurück, wo sie sich in den Ateliers den letzten Schliff zur Modezeichnerin geholt hatte. Nun entwirft sie an der Zürcher Bahnhofstraße im vornehmen Seidengeschäft Grieder Ornamente und Blumenmuster für luxuriöse Stoffe. Hans Heinzelmann kann, seit die Grenzen geschlossen sind, mit seinem Koffer voller Faden- und Garnmuster nicht mehr auf Handelstour. Er sitzt im Territorium der «Bundesrätin» fest, untätig und hilflos, harrt mit «Radio Beromünster» aus, widmet sich stundenfüllend der «Neuen Zürcher Zeitung», besonders gründlich dem Auslands- und Wirtschaftsteil, schaut dann und wann bei der Fadenfabrik vorbei, ob vielleicht ein Auftrag zu erledigen sei. «Er macht hie und da ein Reisli nach Bern in geschäftlichen Angelegenheiten und riecht an den Schnellzügen»19, meldet Gertrud flapsig nach Brasilien. Sein Walliseller Dasein ist nichts, verglichen mit den Gefahren seiner Reisen. Im Winter von 1928/29 beispielsweise, als zu Hause der Zürichsee zufror, blieb sein Schiff in den Eisschollen von Norwegen stecken, ein anderes Mal entkam er vor der ägyptischen Küste knapp einem Brand. Bertha rapportierte nach Brasilien: «Die ‹Pilsna› kam von Indien, er stieg in Port Said ein & nachdem sie schon mehrere Stunden gefahren – entdeckte man im Waren-Raum den Brand, der immer heftiger aufloderte. Sie mussten zurück – & das gefährliche an der Sache war, dass das Schiff mit Öl gespiesen wurde. – Die Rettungsbote waren losgemacht & und alle Passagiere eingeteilt. Zur richtigen Zeit kamen noch die Feuerlöschschiffe von Port Said entgegen – so dass den Leuten das äusserste erspart blieb.»20


«Heute Mittag 1 Uhr ist Hans nach Egypten abgefahren. Er reist via Genua: «Prinzess Juliana» nach Port Said & wird in 8 Tagen dort eintreffen; wenn alles gut geht. Seine Hauptaufgabe ist in Egypten Geld zu holen & Geschäfte nur gegen Kassa abzuschliessen. – Die Orientalen sind, was Politik & Zahlen anbelangt, mögl. langsam & werden sie Hans gross ansehen, wenn er mit diesen ungewohnten Zielen herausrückt.»

Bertha Heinzelmann-Zimmermann an Paul Zimmermann

Vater Hans Heinzelmann (1887–1954), Handelsreisender für «Zwicky Nähseide und Nähgarn» (2. v. li.).

Mit Berthas Departement ist er nicht vertraut, auch die beiden jungen Frauen, seine Töchter, sind ihm fremd. Einst waren es lustige Kinder, die leise zu sein hatten, wenn er abgemagert und müde zurückkam und Bertha ihren Mann für die nächste Reise aufpäppeln musste. Seinen Mädchen brachte er Bildbände von nordischen Landschaften mit, er erzählte von Pyramiden und Tempeln, doch die Verantwortung trug Bertha, gezwungenermaßen, und ihm wars vielleicht nicht unlieb. Auf dem Briefpapier des Park Hotel von Ålborg gibt Hans Heinzelmann der elfjährigen Gertrud zur Kommunion mit auf den Lebensweg: «Halte immer Vertrauen zu Gott – & nach ihm zu Deinen Eltern. Wende Dich vertrauensvoll an Deine liebe, gute Mutter, wenn später dunkle Lebensfragen Dich quälen. Sie ist Deine beste Freundin auf dieser Welt & wird Dir immer den richtigen Weg weisen, den Du zu gehen hast. Dein Vater wird immer dasein, wenn Du ihn nötig hast.»21

Die Heranwachsenden hat er nicht dominiert und in ihrer individuellen Entfaltung behindert, seiner Ältesten bot er keinen Widerstand, an dem sie sich hätte abarbeiten müssen. Jetzt, da er Zeit für seine Töchter hätte, ist er für die erwachsene Studentin kein Gegenüber, an dem sie sich orientieren und mit dem sie intellektuell die Klingen kreuzen könnte. Gertrud, der familiäre «Betblätz», ist von ihrer theologischen Lektüre aufgewühlt, braust am Familientisch auf, schimpft über diskriminierende Gesetze: «Mein bedrückendstes Kriegserlebnis war das Schicksal gebürtiger, mit Ausländern verheirateter Schweizerinnen gewesen, denen trotz schwerster Kriegsleiden als Ausländerinnen die Rückkehr in die Schweiz verwehrt war.»22 Doch Reizthema Nummer eins ist das Frauenstimmrecht, und besonders böse macht sie, dass sie nicht an Stelle ihres Vater abstimmen darf, wenn er im Ausland ist. Ihren Ausbrüchen begegnet er mit Ratlosigkeit. Gertrud Heinzelmann schildert sein Verhalten dreißig Jahre später so:

«Er kannte die Tobsuchtsanfälle seiner temperamentvollen Tochter und sagte jeweils ganz geknickt und weinerlich: ‹Ich kann doch nichts dafür …› Er genierte sich für das Volk der Männer und hätte mir am liebsten seinen Stimmzettel in die Hand gedrückt, der ihm in seiner Situation nichts sagte und nichts nützte.»23

Die Familie stattet Hans Heinzelmann nicht mit einem Übernamen aus, dem Autorität anhaftet, sondern gibt ihm die Rolle eines Sisyphus, der immer dieselben Verkaufstouren abspult, dabei Faden- und Garnmuster aufwickelt und abwickelt. Man nennt ihn «Fadenspühli». Seine Tochter sagt als achtzigjährige Frau, er sei ein «Zögerer» gewesen, dank Salesias Rietschis Erziehung kultiviert und feinsinnig, aber ansonsten ein Mensch voller Bedenken. Sie zeigt eine gewisse Geringschätzung oder zumindest Unverständnis für seine ängstliche, stille Art, dabei ist es gerade diese Zurückhaltung, die ihr Raum zur eigenen Entfaltung ließ.

Bertha berichtet viel nach Brasilien, aber über ihre Ehe äussert sie sich nicht, nur manchmal klagt sie über ihr Alleinsein: «Ich schaffe ja, – – aber momentan ist mir das Einersystem gründlich verleidet – dazu der Tag grau, das Thal voll Nebel & Eintönigkeit.»24 Die Abschiede im Zürcher Hauptbahnhof, vor allem bei Hans monatelanger Orientreise, wiegen schwer. Die Kinder sind neun- und elfjährig, als Bertha schreibt:

«Wir sind nun wieder viele, viele Wochen allein, Trutli trückte es fast s’Herzli ab als Vater fortfuhr, Bethli winkte lustig & lachte ihm nach, wenn die Kleine nur die Mutter hat, dann fehlt ihr niemand besonders. (…) Nun sind die Beiden im Bett und beten für ihren fernen Vater. Und ich hole mir heute Abend noch ein Glas Wein aus dem Keller, i mues e Stärkig ha.»25

Später nehmen die Mädchen an den mütterlichen Sorgen teil – «fast wie Grosse»26. Möglicherweise hat Bertha ein schlechtes Gewissen, die Töchter damit zu belasten. Die «Frau Bundesrätin» wird ihren Freiraum, alleine schalten und walten zu können, vermutlich aber auch geschätzt haben. Gertrud Heinzelmann urteilt rückblickend: «Meine Eltern lebten unbekümmert um Gesetzesvorschriften eine partnerschaftliche Ehe.»27 Ihre ehemalige Schul- und Studienkollegin Susi Schlegel-Lutz sagt: «Das männliche Element hat in dieser Familie eine ganz untergeordnete Rolle gespielt.»

Wie sie und Hans miteinander während den Kriegsjahren zurechtkommen, verrät Bertha nicht in ihren Brasilienbriefen. Ihre Tafelrunde ist angespannt, zuweilen gereizt. Die Studentin predigt und schimpft; verhalten richtet Hans Heinzelmann seine Unzufriedenheit gegen das, was auf den Teller kommt, karge und knapp bemessene Rationen. Bertha jedoch nimmt nach vielem Alleinsein eheliche Nörgelei bereitwillig in Kauf: «Ich bin froh – will viel 1000X lieber, er brümmle über die kleinen Rationen.»28

Aus der elterlichen Wohnung flüchtet Gertrud Heinzelmann in ihr Zimmer mit Blick gegen die Berge. Sie fährt in ihrer Doktorarbeit fort und sammelt weiter frauenfeindliche Zitate. Nach der «Lehre über die Frau» liest sie nun die «Lehre über den Menschen» und machte eine aufregende Entdeckung: Hatte Thomas von Aquin zuvor behauptet, Frauen, diese Unglücksfälle der Kopulation, seien unvollkommen und dem Mann untertan, so behauptet er nun, es gebe keinen Unterschied, als Abbild Gottes seien alle Menschen gleich. Ungläubig tippt sie in ihre Schreibmaschine:

«Wie ist es möglich, logisch und menschlich, dass solche Stellen stehen inmitten anderer vergl. z.B. 492!!»

Weiter lehrt der mittelalterliche Theologe, jeder Mensch sei durch die Taufe berechtigt, sämtliche Sakramente, also auch die Priesterweihe, zu empfangen. Gertrud Heinzelmann beharrlich:

«Warum wird da also nicht die einzig mögliche und einzig logische Konsequenz gezogen? Thomas widerspricht sich fortwährend selbst.»

Die Konsequenz, die es für sie zu ziehen gilt, ist, dass eine Frau eine Taufe und eine theologische Ausbildung benötigt, damit sie wie ein Mann zum Priestertum geweiht werden kann, steht doch in der Lehre des maßgebenden Theologen:


«Wie wohl täte einem manchmal eine Aussprache – gar wenn Hans fort ist! Die lb. Kinder nehmen zwar an meinen Sorgen teil fast wie Grosse & das innige gegenseitige Verstehen ist meine grösste Freude – aber Kinder sind eben Kinder & hoffentl. bleiben sie noch lange Kinder.»

Bertha Heinzelmann-Zimmermann an Paul Zimmermann

Mutter Bertha (1886–1963) mit Elisabeth (li) und Gertrud, die ins Gymnasium geht, um 1931.

«Damit also der Mensch die der Priesterweihe entsprechende Tätigkeit entfalte, muss er so viel wissen, wie genügt, um jene Tätigkeit recht und gebührend zu vollbringen.»

«Dazu soll die Frau nicht fähig sein?» – Eine rhetorische Frage für die Rechtsstudentin. Es könnte ihr, rein theoretisch, nichts im Wege stehen, um Priesterin zu werden. Aber eben, gilt nun die «Lehre über die Frau» oder die «Lehre über den Menschen»? Ist die Frau ein mangelhaftes Wesen und einzig der Mann ein mustergültiger Mensch und ein Abbild Gottes? Oder ist die Frau doch ein autonomes Subjekt, wie ein Mann ein Mensch und ein Abbild Gottes? Gertrud Heinzelmann macht sich mit 26 Jahren über die Antwort keine Illusionen:

«Diese Haltung ist die typische: was Frauen tun ist eo ipso schwach und gering, und kommt deshalb für allgemeine Regeln nicht in Betracht.»

Während Gertrud Heinzelmann an ihrer Doktorarbeit schreibt und sich im Klaren ist, dass sie gerne Priesterin wäre, streitet sie mit dem Stellvertreter des Walliseller Priesters über die Weihe von Frauen. In ihren Notizen zu Thomas von Aquin bemerkt sie: «Wo ich es wagte, einzutreten für das geistige Leben der Frau und seinen Ausdruck, da warf man mir klerikalterseits ‹geistigen Hochmut› vor als einzige Antwort.» Die Wörter «kalt» und «klerikalerseits» geraten ihr unbewusst durcheinander, oder sie macht absichtlich eine Wortschöpfung. Denn es muss sie erneut verletzt haben, dass sie jetzt, als sie endlich über theologisches Wissen verfügt, von Geistlichen nicht ernst genommen und ihr Argumentieren als sündhafte Anmaßung abgetan wird. Beharrlich sucht sie von Aquins Werk nach weiteren Widersprüchen ab und kommentiert rebellisch: «Dieser Thesis lege ich den Fall vor: Eine Frau fühlt sich verpflichtet, die Kirche in Bezug auf die Frauen auf eine andere Meinung zu bringen. In Sachen Priestertum ihren Erkenntnissen zu folgen …»

Über zwanzig Schreibmaschinenseiten füllt sie mit frauenfeindlichen Zitaten, als sie auf dem letzten Blatt abschließend schreibt:

«Dass krasseste Widersprüche vorliegen ist meines Erachtens evident. – Die grenzenlose Bitterkeit, die meine Seele verzehrt, braucht keine weitere Begründung.»

Damit ist diese Autorität der römisch-katholischen Kirche für Gertrud Heinzelmann erledigt, und sie heftet die losen Notizblätter zusammen. Im zweiten Kriegswinter, als es kaum etwas zu erwarten gibt, auch nicht ein baldiges Ende, nützen ihr diese Blätter nichts, doch niemals hätte sie sich von ihrem Beweismaterial getrennt. Abschließend verfasst sie ihre Grundsatzerklärung:

«Was die Frau betrifft, ihr Menschentum, dessen voller Ausdruck, so kann gegenüber Thomas und der Kirche meine Haltung keine andere sein als die der äussersten Gegnerschaft. Und ein nicht überbrückbarer Graben liegt zwischen mir und jedem Menschen, in dem ich der thomistisch-kirchlichen Gesinnung begegne.»

Ihre Absage will sie sogleich in die Tat umsetzen und als erstes ihren Kirchenaustritt dem Walliseller Priester mitteilen, dann der Gemeindeverwaltung, und zuletzt will sie mit Hilfe des «Walliseller Anzeigers» die Frauenfeindlichkeit der Kirche anprangern und ihre Argumente für die Zulassung von Priesterinnen öffentlich bekannt machen. Bertha spricht auf die Tochter ein, appelliert an ihre Vernunft, erinnert an die familiäre Haltung, die Form zu wahren, ohne sich das Denken verbieten zu lassen. In Wallisellen praktiziert sie dies so: Sie besucht die Messe, ärgert sich danach über unwürdige Predigten über weibliche Lasterhaftigkeit und Schwachheit und geht am nächsten Sonntag dennoch wieder. Einer von Wallisellens Priestern ging für ihr Verständnis gleichwohl zu weit, und sie beriet sich mit einer befreundeten Katholikin, ob sie zusammen diesem Frauenverächter nicht die Meinung sagen sollten, ließen es dann aber bleiben. Nun aber die Tochter, was gäbe das für ein Gerede und Gegaffe im Dorf, ihr Austritt käme für Katholisch-Wallisellen einem Verrat an Weltanschauung und Kultur gleich. Da sagt Bertha den für die Tochter entscheidenden Satz: «Wenn Du das tust, kompromittierst Du mich.» Bertha formuliert es persönlich, der Kirchenaustritt der Tochter wird zur Rufschädigung und Bloßstellung ihrer Person. Indirekt beruft sie sich damit auf einen höheren Wert, auf die Familienehre, und rührt bei der Tochter an das eingepflanzte «Dröhtli». Der Appell wirkt. Dies habe ihr eingeleuchtet, sagt Gertrud Heinzelmann. Ebenso habe sie das Argument der Mutter überzeugt, mit einem Kirchenaustritt nichts an der grundlegenden Situation verändern zu können. Die Tochter beugt sich der Familientradition, lässt die öffentlichen Proteste und behält sich privates Aufbegehren vor. Ab sofort keinen Kirchgang mehr, wie es die männlichen Vorfahren aus dem freisinnigen Doktorhaus getan haben, und auch keine Bezahlung der Kirchensteuern. Letzteres wiederum ist Hans Heinzelmann unangenehm, ihm als Kaufmann und Familienoberhaupt von Gesetzes wegen. Er mag verhalten protestiert haben, aber dann zahlt er jedes Jahr die Kirchensteuern seiner Ältesten. Als Siebzigjährige beschreibt Gertrud Heinzelmann ihre Absage an die Kirche als Befreiung von katholischen Rollenzwängen: «Kein priesterlicher Zeigefinger wies fortan auf meine Geschlechtlichkeit, kein kirchlicher Amtsträger zerbrach meinen Elan.»29

Mit neuem Selbstvertrauen beendet sie ihr Studium und meldet stolz ihren Doktortitel nach Brasilien, zwar mit einer leichten Kränkung, weil sie lediglich die zweithöchste wissenschaftliche Auszeichnung erreicht hatte:

Wallisellen, den 12. Sept. 42.

Lieber Päuk!

Bevor ich in die Ferien reise, möchte ich Dir doch noch ankündigen, dass ich also meinen steifen Kübel erworben habe. Ich wurde vorgestern, am 10. September 42 abends 6 1/2 h. promoviert und seither schimpfe ich mich Doktor. Wir alle schätzen uns glücklich, dass ich mitten im Krieg meine Studien beenden konnte. –

Die erste Hälfte meines mündlichen Examens verlief glänzend, ich war ein Hirsch und wusste die schwierigsten Sachen. Leider war mir das Glück in der zweiten Hälfte etwas weniger hold. Nicht dass ich schlechter vorbereitet gewesen wäre, aber ich wurde Dinge gefragt, die mir weniger gut liegen. Ich bin sehr gut in den grossen theoretischen Fragen – statt dessen aber wurde ich gefragt über einzelne Bestimmungen in bestimmten Gesetzen. Es hing alles nur daran, die betreffenden Texte noch kurz vor dem Examen durchgelesen zu haben, und das war bei mir nicht der Fall, weil ich auf ganz andere Dinge gefasst war. – Es ist ja immer so in den Examen – das Schicksal spielt eine gewisse Rolle. So etwas wie eine Dissertation das hat man ganz in den Händen – aber in den Prüfungen muss man nehmen was kommt, einmal hat man Glück, einmal Pech. –

Man hat mir das Prädikat magna cum laude verliehen, das ist an unserer Fakultät sehr ehrenvoll. Wir haben in Zürich einen wahnsinnigen Andrang von Studenten, dadurch wird die Bewertung immer schärfer. Wir haben viel strengere Examen und Noten als z. B. in Bern, Basel, Freiburg etc. – Unter dem magna sind die Grade cum laude und rite, – über dem magna ist noch der summa cum laude. Er wird selten verliehen. Ich hatte die Chancen, ihn zu erstreiten, weil ich mit der Diss in die erste Klasse gerückt bin. Die Sache ist dann wahrscheinlich an diesem letzten Examen gescheitert. – Aber immerhin, ich bin sehr zufrieden. – Die Diss in den ‹Beiträgen› platziert, für den Doktor einen der obern Grade – meine Kolleginnen finden den Abschluss bäumig. –

Während meiner letzten Examensvorbereitungen ist nun auch noch Brasilien in den Krieg gerutscht. – In letzter Zeit habe ich wenig Zeitungen gelesen, aber häufig dachte ich an die Schwierigkeiten, die sich nun erst recht für Dich auftürmen werden. (…)

Am liebsten möchte ich morgen mit Dir in die Berge fahren können zur Feier ‹unseres gemeinsamen Krampfes›. Empfange von uns allen recht herzliche Grüsse,

Deine Trut.

In Paul sieht sie ihren Leistungswillen bestätigt, er und sie stürzen sich in diesen «gemeinsamen Krampf», verausgaben sich und wollen stets mehr. «Meine Satisfaktion finde ich in der Arbeit, die materielle Seite beschäftigt mich sehr wenig»30, hatte er ihr einmal geschrieben. Sie verehrt ihn für die Courage, für Bally ins Ungewisse ausgewandert zu sein, und sie bewundert ihn für seine Durchsetzungskraft, in Rio de Janeiro aus der Cortume Carioca, vom Schweizer Schuhhersteller billig erworben, die größte Lederfabrik in ganz Südamerika gemacht zu haben, die bis nach Südafrika exportiert. Paul schickt Fotos nach Wallisellen, die moderne Industrieanlagen zeigen, wo einst baufällige Gerbereischuppen standen, und auf Luftaufnahmen ist ein ausgedehntes Gelände zu sehen, beinahe so groß wie in der Schweiz ein durchschnittlicher Bauernhof. Dazu schreibt der Generaldirektor an seine Bertha: «Entwurf der ganzen Fabrik & allen Verkaufshäusern, Nagel, Ziegel & Fenster stammen von Deinem jüngsten Bruder ohne Architekt ausser der Statik. Für eusi Berta ein compliment, Du hast mir vieles beigebracht als Du mir 1x1 lerntest!» Dreitausend Angestellte wohnen und arbeiten auf dem Fabrikareal, produzieren Leder von jeder Qualität, das nur zu einem kleinen Teil im schweizerischen Schönenwerd zu Schuhen verarbeitet wird. Zur Cortume Carioca, was soviel heißt wie «Industrie der Einwohner Rios», kommen Verkaufsstellen hinzu, in Porto Alegre, São Paulo, Recife und anderen Großstädten Brasiliens. Dazu erwarb Paul außerhalb von Rio die «Fazenda Santa Constança», ein riesiges Landgut, das die Lederfabrik mit Mimosen und bestimmten Holzarten versorgt, die für den Gerb- und Färbprozess benötigt werden.

Paul verkörpert für seine Nichte amerikanischen Lebensstil. Er wohnt in Rio im 17. Stock eines Hochhauses, als es in der Schweiz nur Kirchtürme gibt, und als Fliegen ein Traum von Schulbuben ist, legt er für sein Unternehmen mit dem Flugzeug wöchentlich die zweifache Distanz zwischen Rio und Paris zurück. Die ländliche Stille am elterlichen Grab in Wohlen empfindet er «wie 7000 Meter über Meer mit der ‹Air France› sofern für einen Moment die Motoren abstellen»31. Seine Reiseberichte sind aufregend fremdartig, bald übernachtet er in einer Garage, weil es nirgends ein Gästebett gibt, bald badet er in Luxus, da kann das feinste Zürcher Hotel nicht mithalten, auch wenn im brasilianischen Nobelhotel nicht alles reibungslos funktioniert, «Essen, Bedienung, Service ist zum heulen, dafür im Badezimmer soviel Handtücher in allen Farben wie in Globus, Jelmoli. C’est la vie moderne, Caramba, vai o Diabolo»32. Als Studentin nennt Gertrud ihren Onkel eine «Kanone», eine «aufwühlende Kanone», eben ein Könner in seinem Fach. Paul erscheint ihr als das Gegenteil ihres Vaters, dem «Fadenspühli». Möglicherweise bewundert sie ihren Onkel mit zunehmender Lebenserfahrung weniger, aber sie wird ihn auch in späteren Jahren als den Verbündeten im Familiengefüge betrachten und in ihm ein zweites Ich sehen – «wir haben soviel ähnliches Du und ich – wir sind Geschwister»33. Auch Bertha fällt eine Wesensverwandtschaft zwischen ihrem Bruder und ihrer Tochter auf. Zu Gertruds Studienabschluss schreibt sie Paul: «Immer Höchstleistung, die gleicht Dir …»34

Nach dem Universitätsabschluss verlangt sich die Doktorin der Rechte am Zürcher Bezirksgericht die nächste Leistung ab. Sie absolviert das vorgeschriebene Praktikum als Auditorin, redigiert unter den Fittichen des Gerichtssekretärs Urteile und protokolliert Sitzungen. «Sie arbeitete fleißig und mit großer Sachkenntnis», steht im Arbeitszeugnis vom Herbst 1943. Doch Fleiss und Fähigkeiten nützen ihr wenig, es spielt auch keine Rolle, dass sie beim Studienabschluss bloß die zweitbeste Auszeichnung erreicht hatte. Nach acht Monaten muss Gertrud Heinzelmann das Gericht verlassen, denn eine Frau ohne politisches Wahlrecht kann nicht zu höheren staatlichen Ämtern zugelassen werden. Gerichtsschreiber, ausserordentlicher Bezirksrichter, dann Bezirksrichter und weiter hinauf über den Ober- zum Bundesrichter, selbst das Amt eines Vormundes, sind für Ausländer und Schweizerinnen unerreichbare Träume. Ihrem Onkel schreibt sie: «Gesehen und gelernt habe ich manches. Aber wenn man die Sache kann, zehnmal kann und gut kann, findet man sich auf eine ärgerliche Art gehindert und gehemmt durch die hiesigen Verhältnisse.»35 Es muss für Gertrud Heinzelmann mehr als bloß «ärgerlich» gewesen sein, die Benachteiligung hat sie getroffen. Im Altersrückblick formuliert sie es deutlicher: «Wieder fiel das Geschlecht auf mich, als wäre es der dunkelste aller Schatten.»36 Natürlich wusste sie im Voraus, theoretisch, dass sie keine Gerichtskarriere machen kann, aber als ihre Studienkollegen befördert werden und sie zuschauen muss, ist es schmerzhaft. Wieder zählt das Geschlecht und nicht die Leistung. Nach der Kirche nun der Staat, mit dem Unterschied, diesmal ist nicht ihr Innenleben, sondern ihre Existenzgrundlage betroffen. Es bedeutet eine beschränkte Stellenauswahl und weniger Lohn. Zu dieser Desillusionierung kommt noch eine weitere. Paul schreibt sie über ihre erste Berufserfahrung:

«Ich vermisse vor allem die Intensität in der Arbeit und die damit verbundene Konzentration bis aufs Äusserste, die mir im Studium so ganz zuteil geworden ist und den Grund der Erfolge bildet. Die Praxis ist lau, schlapp, ohne Einsatz. Man schreibt Urteile am laufenden Band. Und ich schreibe gute Urteile. Aber allem fehlt die Planung auf weite Sicht. Man besteht aus Bestandteilen und das Ganze, das einem zum grossen Elan bringt, ist nicht vorhanden. (…) Ich komme mir vorläufig und provisorisch vor, und sehr entgegengesetzt der Welt, die mir bisher alles bedeutet hat. Wünsche für die Zukunft wird die junge Generation erst wieder nach dem Kriege äussern dürfen. Was jetzt übrig bleibt, ist die tägliche Bereitschaft anzufangen. Täglich die Kraft zu spüren, die der Gedanke eines Werkes an sich hat. – Und ich weiss je länger je besser, dass gerade Du gerade diese Kraft an Dir hattest.»37

Ihr Rechtsstudium, das sie durchaus interessierte, erweist sich als Vernunftswahl, und der juristische Beruf entpuppt sich nicht als ungeahnte Berufung. Im Herbst 1944 wird sie Anwältin, aber sie sucht nach etwas anderem, nach einem «Werk», nach einer übergeordneten Aufgabe, die ihrem Leben einen Sinn und ein Ziel gibt, und der sie sich mit ihrem ganzen Idealismus verschreiben kann. Da stirbt die Großtante mütterlicherseits und hinterlässt jeder Heinzelmann-Tochter zehntausend Franken. Tante Fanny dachte wohl an die Aussteuer, in der Hoffnung, dass Gertrud und Elisabeth ihre Meinung übers Heiraten ändern, doch noch «ghüratig» werden und eine gute Partie machen wie sie selbst. Im Familienclan war Fanny die Dame, die sich, dank angeheiratetem Vermögen, als einzige Pelzmäntel und Winteraufenthalte in Nizza leisten konnte. Der hinterlassene Geldbetrag ist stattlich und entspricht der Hälfte des Preises, den die Familie beim Verkauf des Boswiler Doktorhauses erhalten hätte. Gertrud denkt keineswegs an die Anschaffung einer Aussteuer. «Päuk» vertraut sie an:

«Seit meiner Studienzeit hatte ich stets das Bedürfnis, meine Aufgabe zu spüren, zu wissen und mich dafür einzusetzen. Und von jeher war es mein Wunsch, eine schriftstellerische Tätigkeit ausüben zu können. Jetzt scheint der Moment gekommen zu sein, in dem ich mein Leben in die Hände nehmen muss. In diesen Tagen schicke ich mich an, auf eigene Faust Studien aufzunehmen. Ich möchte mir dabei wünschen, dass die geistigen Dinge, für die ich stets bereit war, mich tragen, und dass mir eine fruchtbare Entwicklung beschieden sei. Ich bin glücklich, sehr glücklich, in dieser Hinsicht mindestens einen Versuch wagen zu können dank unserer verstorbenen Tante Fanny und dank unseres guten Onkels.»

Ihren Brief schreibt sie am 25. Januar 1945, als die Invasionstruppen der Alliierten im französischen Elsass zu den schweizerischen und deutschen Grenzen vorstoßen. Bertha notiert unter Gertruds Zeilen:

«Lieber Päuli, Ich schliesse mich gerne hier an & möchte Trutlis Worten noch besonderen Nachdruck verleihen.

Es geht unserer Familie soweit gut & und mit der Zeit lernt man sich in allerhand schicken! Oft hören wir jetzt die Kanonen vom Elsass her (…) gewiss sehnt sich alles nach Frieden.»

Die Eltern sähen es lieber, ihre Tochter würde sich eine Stelle als Juristin suchen. Stattdessen zieht Gertrud Heinzelmann nach Kriegsende ins Doktorhaus, lebt karg, um möglichst lange von Großtante Fannys Erbe zu zehren, pflanzt Wintergemüse, kümmert sich um das Obst und beginnt ein Prosamanuskript, dem sie den Titel «Milch südlicher Nüsse» gibt.

Literarische Ambitionen hegte sie schon lange. Im Gymnasium waren es religiöse Gedichte, im Studium verfasste sie eine Tragödie in Versen über Charlotte Corday, die während der Französischen Revolution den Jakobiner Marat in der Badewanne erdolcht hatte. Mit dem fertigen Bühnenstück ging sie 1936 an einem Juninachmittag in Zürich bei der Verlagsbuchhandlung Rascher vorbei, doch der Verleger war nicht zu sprechen. Darauf schrieb sie ihm und bot das Manuskript an – «Einige meiner Bekannten, teils verwöhnte & kritische Leser, haben es durchgesehen, & alle waren davon recht befriedigt.»38 Freundinnen und die Französischlehrerin, bei der sie im Gymnasium den Aufbau eines klassischen Dramas gelernt hatte, waren die Testleserinnen, und als der Verleger ablehnte, ohne Zweifel ein Verlustgeschäft, hakte sie nach: «Ich möchte weder zudringlich sein, noch meine Arbeit anpreisen. Ich bin aber überzeugt, dass sie ein Stück Literatur darstellt & habe die feste Absicht weiter zu schreiben.»39 Obwohl sich Gertrud Heinzelmann nicht besonders zum Theater hingezogen fühlte, auch nie Kontakt zu Regisseuren oder Schauspielern knüpfte, verfasste sie eine zweite Tragödie, diesmal über den Dominikaner Savonarola, der im 15. Jahrhundert den Papst angegriffen hatte und von der Stadt Florenz als Häretiker hingerichtet worden war. Sie hätte sich in den Dreißiger- und Vierzigerjahren in Zürich unter die emigrierten Intellektuellen mischen, sich zu den deutschen Schriftstellern und Schauspielern gesellen können, es gab das Cabaret Cornichon und kurze Zeit auch Erika Manns «Pfeffermühle», doch Gertrud Heinzelmann suchte keinen literarischen Austausch ausserhalb ihres bisherigen Lebenshorizonts. Möglicherweise hinderte sie daran das «Dröhtli» und der katholische Abwehrreflex gegen alles Sozialistische und Kommunistische. Ihr zweites Theaterstück gab sie wiederum ehemaligen Lehrerinnen und Geistlichen zu lesen, danach brach ihre Produktion ab, vielleicht aus Zeitgründen, weil das Studium aufwändiger wurde.

Das Prosamanuskript, das sie in Boswil beginnt, soll ein aufklärerischer Gegenentwurf zu den populären Heiligenbiographien und katholischen Frauenbüchern werden, die selbstlose Mutterschaft als Vollendung eines Frauenlebens verherrlichen. In Anlehnung an diese katholische Erbauungsliteratur wählt sie als Hauptfigur eine Heilige, die Jungfrau von Orléans, aber ihre Johanna soll eine zeitgenössische Frauenfigur werden. Sie will ein Buch schreiben, das die Leserinnen zu emanzipatorischen Einsichten führen und aus der kirchlichen Frauenrolle befreien soll.

Gertrud Heinzelmanns «neue Johanna» möchte als intellektuelle Frau und Priesterin anerkannt werden, und weil es in ihrem Dorf für sie keinen Platz gibt, geht sie auf Wanderschaft, in der Hoffnung, in einem anderen Tal Gleichberechtigung zu finden. Unterwegs wird sie wie die legendäre Jungfrau von Orléans von Visionen heimgesucht. Sie sieht, wie Päpste im Namen der Unfehlbarkeit fälschen, lügen und betrügen, wie religiöse Frauen vor dem Kirchenportal ausgepeitscht und gesteinigt werden, sie sieht, wie Väter ihre Töchter zur Heirat zwingen, wie Ehefrauen ihre Kraft in vielen Geburten aufzehren, und sie sieht staatliche Ungerechtigkeit und Willkür in der Anwendung der Gesetzgebung.

Die Figur der «neuen Johanna» gerät Gertrud Heinzelmann zu einem Alter Ego, das Manuskript spiegelt ihre eigene Krise. Wieder kämpft sie mit der damaligen Vorstellung, dass Frausein ein unabänderliches Schicksal sei, einzig bestimmt durch die Fähigkeit, Kinder zu gebären. Schreibend versucht sie einen anderen Lebensentwurf zu entwickeln, arbeitet für sich allein und holt sich vermutlich auch keine Anregung aus der Bibliothek. Sie hätte die Emanzipationswerke früher Frauenrechtlerinnen zurate ziehen können, doch sie verharrt im familiären Milieu. Am Schreiben interessiert sie in erster Linie die Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen, unter denen sie leidet. Wenig Wert legt sie dagegen auf die Figurenzeichnung oder die Erzähldramaturgie. Im Bemühen, literarisch zu sein, findet sie nicht zur eigenen Sprache, sondern sie fällt in einen pathetischen und biblisch predigenden Ton.

In ihrem Manuskript tobt ein Kampf gegen alles Sinnliche; mit Verachtung, die an Selbsthass grenzt, schildert Gertrud Heinzelmann Frauenkörper und formuliert ihren eigenen Zwiespalt. Ihr literarisches Alter Ego wird auf der Wanderung von Eduard, einem Jugendfreund, begleitet. Als dieser sexuelle Avancen macht, reagiert Johanna mit Schuldgefühlen und Selbstzerstörungswünschen:

«Sie hielt ihren Kopf nach hinten gelehnt im kalten Gefühl einer grenzenlosen Scham. Also das war es jetzt: begehrt. Begehrt – aber nicht in dem, was sie war, wenn über sie hereinbrach des Menschen grosse Verheissung. (…)

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

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