Kitabı oku: «Chronik von Eden», sayfa 14
Kapitel X - Nachtwache
Martin konnte nicht schlafen. Pfarrer Stark lag mit ihm zusammen in einem Zimmer, direkt neben dem, in dem sie die Kinder untergebracht hatten. Der Pfarrer schnarchte. Leise zwar, aber Martin bekam dennoch kein Auge zu.
Leise stand er auf und nach den Kindern. Sie schliefen. Das war gut. Sie hatten viel mehr durchgemacht als Kindern in ihrem Alter zugemutet werden sollte. Ein wenig Ruhe würde ihnen helfen, die kommenden Strapazen besser zu verarbeiten.
Sein Blick glitt noch ein letztes Mal über die schlafenden Kinder hinweg, dann ging er leise zu der Treppe, die ihn nach oben führen würde. Sandra hielt auf der Dachterrasse Nachtwache. Vielleicht könnte er sie ja ablösen?
Als Martin das große Gästezimmer im obersten Geschoß des Hauses erreichte, sah er Sandras Umriss im fahlen Licht der Sterne. Der Regen hatte aufgehört und dichte Rauchwolken zogen von Köln aus über das Land. Martin trat auf die Terrasse und Sandra drehte sich um. In diesem Moment zog eine dichte Wolke direkt über sie hinweg und für einen Augenblick konnte Martin die Hand nicht vor Augen sehen. Der Wind trug das scharfe Aroma ferner Feuer durch die Dunkelheit.
»Was willst du?«, flüsterte Sandra.
»Ich kann nicht schlafen.«
Die Wolke zog vorüber und gab das Licht der Sterne wieder frei. Martin sah, das Sandra offenbar geweint hatte.
»Alles okay?«
Sandra drehte sich wieder um, blickte in Richtung Köln und nickte.
»Ja.«
Martin trat näher an die Brüstung der Terrasse heran, stellte sich neben Sandra und folgte ihrem Blick. Für einen verrückten Moment fühlte er sich wie der Kapitän eines aufgetauchten U-Bootes. Im Turm stehend und die nächtliche See nach Feindbewegung absuchend. Aus dem Augenwinkel bemerkte er einen kurzen Lichtreflex.
Sandras Waffe.
Wenn hier einer der Kapitän war, dann sie. Martin lächelte still in sich hinein. Dann würde ihm vielleicht noch der Posten des Ersten Offiziers bleiben.
»Kommst du zurecht?« Sandras Stimme riss Martin aus seinen Gedanken. Verwirrt sah er sie von der Seite an. »Was meinst du?«
Sandra sah zu ihm auf und ihrem Blick lag etwas, das Martin frösteln ließ.
»Ich meinte das eben ernst. Wenn du deine Sucht nicht in den Griff bekommst, bist du raus.«
»Will sagen?«
Sandra hob als Antwort nur ihre Waffe leicht an.
»Es würde schnell gehen. Ich würde dich nicht denen da draußen überlassen.«
Martin lächelte säuerlich.
»Sehr beruhigend.«
»Mehr kann ich dir nicht bieten. Ich habe jetzt die Verantwortung für einen Haufen Kinder. Stark ist zwar ein respektabler Kämpfer, aber im Grunde hilflos. Frank ist ...« Sandra stockte. Martin bemerkte in ihren Augen ein verräterisches Glitzern, das sie versuchte wegzublinzeln. »Er hat alles gegeben, um die Kinder zu retten. Und er hat mich gerettet. Wenn das also meine Aufgabe in dieser Welt ist, die Kinder irgendwie in Sicherheit zu bringen, dann nehme ich sie an. Ich werde sie an einen sicheren Ort führen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
Verstehen keimte in Martin.
Sandra stand unter Schock. Und sie brauchte einen Anker, um sich aufrecht zu halten. Die Kinder waren dieser Anker, Stark und er nur die Glieder der Kette, die diesen Anker hielten. Würden sie zu schwach, um mit dieser Belastung fertig zu werden, würde Sandra sie ohne mit der Wimper zu zucken töten.
»Gut. Ich verstehe«, flüsterte Martin. »Und wie soll es weitergehen? Wohin willst du mit uns ziehen?«
»Nach Nörvenich. Die Flieger, die Köln desinfiziert haben, müssen ja irgendwo landen.«
»Warum dann nicht der Flughafen Köln-Bonn?«
»Glaubst du allen Ernstes, die Einsatzkräfte hätten ein derartig großes und offenes Areal zur zombiefreien Zone machen können?«
Ein gutes Argument, fand Martin.
»Du hast Recht. Aber das wird ein ziemlich langer Fußmarsch bis nach Nörvenich.«
Sandra starrte in die Dunkelheit.
»Ja.«
»Wir haben kaum Vorräte geschweige denn Wasser.«
»Ja.«
»Das wird ein hartes Stück Arbeit werden.«
»Ich weiß. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit.«
Martin atmete tief durch.
»Na gut. Du bist der Boss. Leg dich hin und schlaf etwas, ich übernehme.« Sandra sah ihn fragend an. »Unausgeschlafen nutzt du uns nichts«, fügte Martin hinzu.
»Ich kann nicht schlafen.«
»Dann leg dich einfach nur hin und ruhe dich aus. Du kannst mir vertrauen.«
»Das wird sich noch zeigen müssen. Außerdem ...« Sandra stockte, atmete tief durch und sah auf die Straße, die sie morgen nehmen würden. »Ich glaube, wir werden beobachtet. Jemand lauert auf uns.«
Martin legte ihr zögernd eine Hand auf die Schulter.
»Dann lass uns beide gemeinsam Wache halten. Ich kann nämlich auch nicht schlafen.«
Kapitel XI - Luzifer, das Licht im Dunkel
Auch Patrick Stark träumte. Doch wo Gabi die Geschehnisse der Vergangenheit erneut durchlebte, wanderte der Geist des Pfarrers im Traum durch eine tiefe Dunkelheit. Seine Traumhände zur Seite gestreckt, kalte Wände der Ewigkeit berührend, schritt er immer tiefer einen endlosen Gang der Finsternis entlang. Sein Ich murmelte leise das Vaterunser, das ihm auch im echten Leben immer ein Leitfaden und Trost war.
Stark verspürte keine Angst in seinem Traum, nur eine endlose Traurigkeit, die ihm fast die Luft zum Atmen nahm und seine geistige Stimme beinahe in Tränen erstickte.
Plötzlich weitete sich der enge Gang vor ihm, und an seinem Ende wuchs ein Licht immer stärker an. Im Traum verstärkte Patrick seine Bemühungen aus dem Tunnel zu kommen. Das Licht kam näher und wurde dabei immer größer. Schließlich hüllte es ihn vollkommen ein.
Der dunkle Gang war verschwunden.
Es gab nur noch das Licht, Patrick und ... eine Gestalt, die sich langsam aus dem Licht herausschälte.
Stark sah einen Körper, so unirdisch schön, dass allein der Anblick lange vergessen geglaubte Gefühle in ihm wachrief. Er sah Augen, die so unendlich weise und gütig auf ihn niedersahen, dass er am liebten auf die Knie gesunken wäre.
»Bitte nicht«, erklang eine Stimme wie tausend klare Glocken. »Du sollst nicht vor mir knien, mein Kind.«
Im Traum stockte Patrick der Atem.
Mein Kind?
War das etwa ... Nein, das konnte nicht sein, denn es würde bedeuten, das er tot wäre! Oder dass er eine Vision erlebte, etwas, das nur Heiligen vorbehalten blieb!
»Keine Vision. Und nein, du bist nicht tot. Ich musste dich aber sehen, mit dir reden. Deshalb komme ich zu dir, mein Kind.«
Ohne es beeinflussen zu können, sackte Stark im Traum auf die Knie, senkte den Blick und weinte leise vor Glück.
»Mein Vater«, keuchte er. »Ob im Leben oder im Tod, mein Herz gehört dir für alle Ewigkeit.«
»Patrick, du sitzt da einem Irrtum auf, wie ich vermute.«
Stark sah im Traum auf.
Die Lichtgestalt sah mit einer Mischung aus Amusement, Bedauern und tiefer Liebe auf ihn herab.
»Ich bin nicht der große Vater aller Dinge. Ich bin Luzifer. Und du, Patrick Stark, bist mein liebstes Kind. Deshalb habe ich dich ...«
Ein Schrei des Entsetzens kollerte in Starks Hals hoch, warf hohle Echos in den Hallen seiner Träume. Alle Sünden seines Lebens, egal ob groß oder klein, kamen ihm wieder zu Bewusstsein.
Luzifer?
Er war Luzifers liebstes Kind?
Hatte Gott ihn verstoßen?
Der Schrei endete einfach nicht, stieß Stark mit gnadenloser Gewalt immer weiter weg von der Lichtgestalt, zerrte ihn rücklings in den dunklen Gang des Vergessens.
Luzifer! Der Gefallene Engel hatte ihn als sein liebstes Kind bezeichnet!
Zitternd und in Schweiß gebadet erwachte Stark. Er starrte in das dunkle Zimmer und versuchte die letzten Fetzen seines Traums, die sich wie dunkle Lumpen alten Tuchs um seinen Geist gelegt hatten, abzuschütteln.
Vorsichtig sah er sich um.
Er war alleine.
Martin war offenbar aufgestanden. Gut. Mit zitternden Fingern griff Stark unter seine Jacke, holte einen kleinen Flachmann hervor und nahm einen tiefen Zug.
Gott hatte sich von ihm abgewandt.
Wer mochte seiner Seele jetzt noch gnädig sein?
Kapitel XII - Dunkler Ruf
Frank stand reglos in der Dunkelheit und lauschte. Sie waren hier, seine Soldaten. Aber es waren zu wenige, als dass er seine Aufgabe mit ihnen erledigen könnte. Gabriel war zwar weg, aber Frank war sich sicher, dass der dunkle Mann ihn weiterhin beobachtete. Frank wollte nicht noch einmal den Fehler begehen, und die Kinder unterschätzen.
Oder Sandra.
Die Schmerzen, die ihm Gabriel zufügen konnte, wollte er auch nicht noch einmal erleben. Ein röchelndes Seufzen rollte seinen Hals hoch.
Frank sehnte sich nach Frieden.
Aber hatte er den denn nicht?
Er spürte keine Kälte, keinen Hunger, und die Erinnerungen an sein altes Leben taten ihm nicht mehr so weh, wie noch vor Kurzem. War das nicht eine ganz eigene Art von Frieden? Es gab keine Sorgen mehr um solch profane Dinge wie dem nächsten Gehaltsscheck, dem nächsten Sex, Krankheiten oder sogar dem Tod. Das alles war für ihn entrückt und unwichtig geworden wie lästige Fliegen, die man mit einem nachlässigen Wedeln der Hand verscheuchte, um sich wichtigeren Dingen zuwenden zu können. Nur noch das schwache Rauschen von Erinnerungen, Fetzen von uralten Radiosendungen gleich, die man vielleicht irgendwo in der Leere des Alls noch empfangen mochte.
Frank spannte seinen verbrannten und untoten Körper unbewusst an. Im Grunde war er wie ein kleiner Gott. Er konnte über die tumben Hüllen der anderen Untoten gebieten, sie wie die Lemminge in ein Feuer laufen, oder sie einen schwankenden Walzer tanzen lassen. Er würde ewig leben, gefangen in diesem Nimbus zwischen wahrem Leben und echtem Tod.
Ein bitteres Lächeln breitete sich unter dem Tuch über seinem Gesicht aus. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen der Konzentration und des eisernen Willens. Langsam trat Frank aus dem Schatten des Hauses in das Licht der Sterne und sah zum Himmel. Dichte Wolken zogen über ihn hinweg. Die letzten Ausläufer der Brände, mit denen Köln desinfiziert worden war.
Er sah sich um.
Hier war nicht mehr viel zu holen für ihn. Die Untoten hatten sich in diesem kleinen Ort zu weit verstreut, als dass er sie schnell genug zusammenrufen konnte.
Wo wollte Sandra hin?
Wo würde sie glauben, Hilfe finden zu können?
Frank beschloss, sich auf seinen Instinkt zu verlassen. Vorsichtig ließ er seinen Geist in den Äther hinausgreifen, spürte die knirschenden und dunklen Gedankenfetzen der anderen. Irgendwo musste er schließlich beginnen. Warum also nicht hier?
Langsam ging er der Straße entlang, ließ seinen unhörbaren Ruf durch den Äther der Gedanken erklingen. Untote, die vorher noch ziellos umher gelaufen waren, hielten inne, sahen sich verständnislos um ... und folgten seinem dunklen Ruf.
Frank, der General des dunklen Mannes, sammelte seine Truppen.
Kapitel XIII - Der Zug der Vergessenen
Es versprach ein schöner Tag zu werden. Die Sonne kämpfte sich durch die letzten Ausläufer der Qualmwolken, die von Köln aus über den Himmel zogen.
Sandra, Martin, Pfarrer Stark und die Kinder hatten sich vor dem Haus versammelt. Sandra hielt ihre Waffe gesenkt, war aber jederzeit bereit zu schießen, sollte sich einer der Untoten zeigen. Stark hielt seinen selbstgebauten Morgenstern lässig in der Hand. Er hatte Martin seinen Plexiglasschild gegeben, mit dem er die Kinder schützen sollte.
»Sollen wir eine bestimmte Marschordnung einhalten?«, fragte Martin. Sein Blick glitt skeptisch über die trügerische Idylle des Morgens.
Sandra nickte, ohne ihn anzusehen.
»Ja. Ich gehe als Erste. Patrick wird unsere rechte Flanke sichern. Die Kinder gehen in der Mitte und du, Martin, sicherst die linke Seite.«
Martin seufzte verhalten. Es gefiel ihm nicht, die relative Sicherheit des Hauses zu verlassen. In den zwei Rucksäcken der Gruppe befand sich nur noch Munition. Ihre letzten Notrationen waren für ein karges Frühstück draufgegangen, und Trinkwasser würde ebenfalls ein Problem werden.
»Ich finde immer noch, wir sollten nicht zu Fuß gehen«, murmelte er leise. Sandra sah ihn über die Schulter an. »Kannst du einen LKW reparieren? Nein? Dann wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben. Außerdem macht so ein Ding Lärm.«
»Und wie sollen wir unsere Vorräte tragen?«
Sandra schüttelte den Kopf und ging langsam auf die Straße zu, die sie nach Königsdorf führen würde.
»Erstmal sollten wir Essen und Wasser finden. Wenn es soweit ist, können wir uns immer noch Gedanken darüber machen.«
Martin holte Luft, als sich eine kleine Hand in seine schob. Verblüfft sah er herab. Gabi lächelte mit einer Heldenverehrung zu ihm auf, dass es ihn beinahe schon schmerzte.
»Das ist wie ein Ausflug«, sagte sie. »Das buchstabiert man A-U-S-F-L-U-G.«
Eine Hand legte sich schwer auf Martins Schulter.
»Sandra hat Recht«, sagte Stark. »Hier können wir nicht bleiben. Und ich glaube, die Kinder können mehr verkraften und leisten als wir ihnen zutrauen.«
Martin runzelte die Stirn. Glaubte der Pfarrer vielleicht doch an das, was Sandra gestern Abend als Hirngespinst abgetan hatte? Und roch er da etwa eine Fahne im Atem des Pfarrers? Stark nickte in Richtung Ortschaft.
»Und jetzt sollten wir los, bevor Sandra uns allen davonläuft. Wenn diese Frau sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht sie es auch durch.«
Stark wandte sich von Martin ab und folgte Sandra, die schon ein gutes Stück voraus war. Mit einem letzten Blick auf die Kinder nickte Martin.
»Also gut. Ihr habt gehört, was unsere Anführerin gesagt hat. Seid leise, bleibt dicht zusammen und sagt sofort Bescheid, wenn ihr etwas verdächtiges bemerkt.«
Eine Welle bejahender Gedanken prasselte auf Martin ein. Verwirrt sah er die Kinder an und hob die Hand.
»Und bitte ... macht es mit Worten. Nicht mit ... ihr wisst schon.«
Gerhard und Kurt traten grinsend vor.
»Du kannst es ruhig aussprechen«, sagte Gerhard.
Kurt nickte heftig.
»Ja, wir können es alle, wie wir gestern festgestellt haben.«
»Bitte?«
»Wir alle sind ... hm ... anders«, sagte Gerhard. »Wir haben es schon gespürt, als ihr gestern auf der Flucht vor den Knirschern ward.«
Martin seufzte tief.
»Na gut. Mich haut eh nichts mehr um. Wenn es Tote gibt, die mit einem Mordshunger auf frisches Menschenfleisch umherwandeln, warum soll ich DAS nicht auch noch glauben?«
Er ging vor den Kindern in die Knie und sah sie eindringlich an.
»Behaltet aber bitte eure Fähigkeiten für euch! Ich weiß nicht, wie die anderen beiden Erwachsenen darauf reagieren. Vor allem Sandra. Sie hat eine Waffe. Sie sie ist ... naja, etwas ruppig, und ich möchte deswegen nicht, dass sie etwas von euren Fähigkeiten erfährt. Und jetzt los. Und seid vorsichtig.«
Die Kinder nickten mit einem absurd feierlichem Ernst, als Martin aufstand. Mit einem letzten, zweifelnden Blick wandte er sich ab und marschierte los. Nach einigen Schritten griff Gabi nach seiner Hand.
Martin sah zu ihr herab.
Wieder dieser Blick voller unverhohlener Heldenverehrung.
Dürfen wir ein Lied singen?
Martin zuckte zusammen. Konzentriert dachte er seine Antwort.
Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?
Wir würden ja auch leise singen. Du weißt schon ...
Bevor Martin eine Antwort geben konnte, erklangen leise die Stimmen der Kinder in seinem Kopf.
Wir sind die Pilger nach Eden
dort wollen wir in Frieden leben
und unter Seinem hellen Licht
das Dunkel uns niemals anficht
wir sind die Vergessenen
beschimpft als die Besessenen
doch wir sind nur die Pilger nach Eden
wo in Frieden wir werden ewig leben
*
Ganz in der Nähe des Hauses stand ein Schemen mitten auf dem Feld. Je weiter sich die Flüchtlinge entfernten, um so schärfer wurden die Umrisse des Schemens, bildeten zuerst die Kontur eines menschlichen Körpers, dann ganz langsam die Gestalt einer Frau, und schließlich war die Metamorphose von Licht in Fleisch und Blut vollendet.
Es war eine Frau.
Groß und mit feinen Gliedern, gekleidet in einen weißen Anzug. Ihr Haar fiel in dunklen Wellen über ihre Schultern. In ihrem Blick lagen Weisheit, Liebe und Trauer.
Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel der Frau.
»Ja, ihr seid wahrhaftig Pilger«, sagte sie leise. Ihre Stimme war tief und klar, strafte ihr Aussehen Lügen. »Und ihr seid wirklich die Vergessenen. Aber ich habe euch nicht vergessen. Ich werde euch auf eurem Weg schützen, so wie ich es nach Kräften vermag.«
Die Frau seufzte.
»Vielleicht wird ER mich dann endlich verstehen, vielleicht darf ich dann endlich wieder zu seiner Rechten sitzen.«
Die Frau folgte mit festen Schritten der Gruppe.
»Ich werde euch schützen und nach Eden geleiten. Das schwöre ich bei meinem Namen. Luzifer, der Lichtbringer.«
Ende des zweiten Buches der Chronik von Eden
Drittes Buch: Verlorene Hoffnung
von Ben B. Black
Kapitel I - Das Häuschen im Grünen
Die aufgehende Sonne suchte sich einen Weg durch die Schlitze des Rollladens, kleine Staubpartikel tanzten in ihren Strahlen und reflektierten das Licht. Stephan drehte sich grunzend auf die andere Seite, ließ donnernd einen Darmwind entweichen und versuchte, mit einem »nur noch fünf Minuten« auf den Lippen wieder einzuschlafen.
Dann bemerkte er den beißenden Geruch, der definitiv nicht von ihm verursacht worden war, denn kein lebendes Wesen war in der Lage, so einen Gestank zu verbreiten. Vorsichtig öffnete er sein rechtes Auge ein winziges Stück weit und linste in Richtung der Sauerei am anderen Ende seines Schlafzimmers.
»Schade«, seufzte Stephan, »dabei hatte ich gehofft, dass alles nur ein Traum gewesen ist. Du meine Fresse, muss ich strack gewesen sein, als der Freak hier aufgetaucht ist.«
Kopfschüttelnd setzte er sich auf und bereute die schnelle Bewegung sofort. Ein stechender Schmerz suchte sich gleißend einen Weg durch sein Großhirn, nur um sogleich Kurs auf die Sehorgane zu nehmen, die Stephan umgehend schloss, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.
»Erstmal eine Aspirin einwerfen«, murmelte er, als er sich mit geschlossenen Augen langsam aus seinem Bett erhob und sich noch kurz an dessen Rand festhielt, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen.
Als er einen einigermaßen stabilen Stand gefunden hatte, fühlte er sich auch wieder stark genug für das, was es hier zu sehen gab. Entschlossen hob Stephan seine Lider und schaute sich die versaute Zimmerecke an.
In einer Lache geronnenen Blutes lag eine Gestalt mit merkwürdig verrenkten Gliedern, bei denen das teilweise fehlende Fleisch die Knochen hervorblitzen ließ. Dort wo der Kopf hätte sein sollen, befand sich nur noch eine breiige Masse, von der offenbar auch der größte Teil des widerlichen Gestanks ausging, der das Zimmer erfüllte.
Stephans Magen rebellierte mit Macht und brachte sein Herrchen dazu, den wieder aufflammenden stechenden Kopfschmerz zu ignorieren und sich schnellstmöglich in Richtung der Kloschüssel in Bewegung zu setzen, um die Schweinerei im Schlafzimmer nicht noch weiter zu vergrößern.
*
Stephan saß am Küchentisch und sah der großen weißen Tablette dabei zu, wie sie sprudelnd in einem Glas Wasser tanzte. Mit zitternden Fingern rieb er sich einen Rest Erbrochenes aus dem Mundwinkel. Er schwankte noch ein bisschen auf dem Stuhl, auf den er sich hatte fallen lassen.
Schließlich hatte sich das Schmerzmittel vollends aufgelöst, und Stephan stürzte gierig die schäumende Flüssigkeit hinunter. Es gluckerte kurz in seinem völlig entleerten Magen, dann brach sich ein ausgewachsener Rülpser Bahn, den Stephan hemmungslos in die Freiheit entließ.
»Besser!«, stellte er zufrieden fest.
In etwa einer Viertelstunde würde das leichte Medikament seine Wirkung entfalten und ihn endlich von den Kopfschmerzen befreien, die sich mittlerweile so anfühlten, als ob eine Horde Zwerge ein Bergwerk in seinem Kopf eröffnet hätte und dort begierig nach Bodenschätzen schürfte. Bis die ungebetenen Gäste vollends vertrieben waren, würde er sich ein leichtes Frühstück genehmigen, um anschließend genug Kraft zu haben, sich des Zustands seines Schlafgemachs anzunehmen.
Stephan erhob sich von seinem Stuhl und schlurfte zum Fenster, um den Rollladen hochzuziehen. Zufrieden stellte er fest, das vor dem Haus alles so aussah wie immer. Der tote Freak in seinem Schlafzimmer musste sich offenbar verlaufen haben, denn von seinen Kumpels war weit und breit keiner zu sehen.
»Tja, dein Pech, dass du meine Ruhe gestört hast.« Stephan grinste gehässig. »Mein Alu-Baseballschläger leistet eben immer noch hervorragende Dienste. Das ist Qualitätsarbeit Made in the USA, rockergangerprobt und unverwüstlich.«
Dann entdeckte er den umgestoßenen Gartenzwerg und fluchte: »Scheiße, du Arsch! Wenn ich das gleich gesehen hätte, wären Deine Eier vor Deiner Matschbirne fällig gewesen!«
Nun doch ein wenig verstimmt, wandte Stephan sich dem Küchenschrank zu und kramte eine Büchse Corned Beef und eine Packung Pumpernickel hervor. Beides so unverwüstlich wie der Baseballschläger aus Aluminium, solange es in der Dose war, doch wesentlich wohlschmeckender und nahrhafter. Zum Glück hatte er jede Menge von diesem und ähnlichem Zeugs gebunkert, bevor draußen alles zusammen-gebrochen war.
*
Gut eine Stunde später war Stephan wieder soweit bei Kräften, sich der Herausforderung des Saubermachens stellen zu können. Zuvor hatte er aber noch etwas anderes zu erledigen, das jetzt keinen Aufschub mehr duldete.
Mit entschlossener Mine betrat er den Vorgarten des Hauses, wo er die Fäuste in die Hüften stemmte. Missbilligend schüttelte er den Kopf und betrachtete einen Moment lang das Bild, das sich ihm hier bot.
Ein schmucker gepflegter Jägerzaun grenzte den Vorgarten gegen eine nahe Wiese ab, die sich in nicht allzu großer Entfernung an einen Wald anschloss. Innerhalb der Umzäunung lag ein kleiner aber feiner Ziergarten, der bis in die letzte Ecke liebevoll gestaltet war. Das Zentrum dieser Pracht bildete ein Gartenteich, in dem normalerweise ein kleiner Springbrunnen plätscherte, aber dessen »innere Werte« sich standhaft weigerten, ohne elektrischen Strom zu funktionieren.
Überhaupt lag das Häuschen mit seinem kleinen Grundstück idyllisch im Grünen, fast zwei Kilometer von Königsdorf entfernt am Rande des Forstes, dem die Ortschaft seinen Namen gegeben hatte. Stephans Eltern hatten das kleine Anwesen vor etwas mehr als fünfundzwanzig Jahren erworben und waren zusammen mit ihrem einzigen Kind hierher gezogen.
Anfangs hatte Stephan das Leben hier draußen gehasst, aber mit zunehmendem Alter fand er es immer angenehmer, sich vom Trubel der Menschen hierher zurückziehen zu können. Als seine Eltern dann vor fünfzehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte er sich hier sein eigenes kleines Paradies geschaffen.
Wie es aussah, war die Ruhe hier draußen nicht nur Balsam für die Nerven, sondern offenbar auch der Grund dafür, dass Stephan von den Freaks, wie er sie nannte, die als Folge der Pandemie entstanden waren, bislang nicht behelligt worden war. Bis gestern Abend jedenfalls.
Stephan kratze sich am Bauch und versuchte, sich die Geschehnisse des Abends noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen, was ihm nicht ganz leicht fiel, denn aufgrund der Biermenge, die er getankt gehabt hatte, war er kurz vor einem Filmriss gestanden, als sich der ungebetene Besucher bemerkbar gemacht hatte.
*
Ein paar Stunden zuvor
Köln brannte. Obwohl das Wetter alles andere als gut war, konnte man den schwarzen Rauch, der von der ehemaligen Rhein-Metropole aufstieg, deutlich erkennen.
Stephan hatte die Stadt nie gemocht, trotzdem berührte ihn der Anblick irgendwie auf eine merkwürdige Weise. Fast schon automatisch ging er ins Haus zurück und griff nach einem Bier, nur um den Inhalt der Flasche in einem Zug hinunterzustürzen.
Ein paar Bier später tauchte Julia vor seinem inneren Auge auf. Stephan sah die langen blonden Haare, die ihr liebliches Gesicht umrahmten, vor sich, und er vermeinte, ihr glockenhelles Lachen hören zu können. Ach, Julia …
Nach einem weiteren Bier war Stephan gerade dabei, seinen Hosenladen aufzufummeln, um die Gedanken an Julia würdig zu zelebrieren, als ein leises Scharren zu hören war, das er zunächst einem der Wildtiere aus dem nahen Wald zuschrieb, von denen sich immer wieder eines vor seine Haustür verirrte.
Aus dem Scharren wurde eine Art Klopfen. Schließlich gab Stephan den Kampf mit seiner Unterhose auf und sah leise fluchend nach, was der Lärm zu bedeuten hatte. Wutentbrannt öffnete er die Tür, um das blöde Vieh zu verscheuchen, das ihn in seiner Andacht gestört hatte. Doch stattdessen stand einer dieser widerlichen Freaks vor ihm und ging auf ihn los.
»Scheiße!«, fluchte Stephan, denn das Ding auf seiner Türschwelle bewegte sich viel schneller als er es jemals für möglich gehalten hatte.
Der kurze Moment des Schreckens, der Stephan hatte erstarren lassen, genügte dem Angreifer. Zwei Arme schnellten nach oben und die Hände daran packten unerbittlich zu. Stephan fühlte sich nach vorne gezerrt und riss in einem Reflex seinen rechten Ellenbogen hoch, so dass dieser krachend in dem einschlug, was einmal der Mund des Dings gewesen war. Obwohl die Abwehrbewegung die restlichen Schneidezähne aus der fauligen Öffnung geschlagen hatten, biss das zugehörige Etwas unerbittlich zu.
»Scheiße!«, schrie Stephan erneut, allerdings mehr vor Schreck als vor Schmerz, denn die nun zahnlosen Kiefer taten sich schwer damit, die Haut seines Arms zu durchdringen. Aber er wollte es erst gar nicht so weit kommen lassen, dass ihm ebenfalls ein Stück Fleisch aus dem Arm fehlte, so wie es bei seinem Angreifer an mehreren Stellen der Fall war. Deshalb zerrte Stephan mit aller Macht an seinem Arm, um ihn wieder freizubekommen.
Zunächst stellte sich jedoch ein Art Pattsituation ein. Der Schmerz an Stephans Arm nahm zwar immer weiter zu, trotzdem wollte dem Angreifer der Biss einfach nicht gelingen. Als das Ding jedoch anfing, den Kopf ruckartig hin und her zu bewegen, bekam Stephan Panik, denn nun würde es nicht mehr lange gutgehen, bis ihm dennoch ein Stück seines Armes herausgerissen würde. Er zappelte und wand sich in dem Griff, doch obwohl das Genick des anderen ein paarmal gefährlich knirschte, ließ dieser nicht locker.
Schließlich wurde Stephans Gezappel so wild, dass beide der Länge nach hinfielen. Der Schädel des Freaks krachte dabei hart auf die Waschbetonsteine, und der bis eben eiserne Griff lockert sich soweit, dass Stephan sich losmachen konnte. Schnell sprang er auf, hastete nach drinnen und versuchte, die Eingangstüre hinter sich ins Schloss zu schlagen, allerdings hatte sich der Angreifer ebenfalls schon wieder aufgerappelt und einen seiner Arme zwischen Tür und Rahmen gebracht.
»Dich mach ich fertig, Du Freak!«, schrie Stephan außer sich. Er holte mit dem schweren Türblatt aus und schmetterte es immer und immer wieder gegen den Arm des Dings. Das ließ sich davon jedoch in keiner Weise beeindrucken, auch wenn immer mehr vom Knochen des Arms zum Vorschein kam. Dafür begann sich ein modriger Geruch im Hausflur auszubreiten.
Stephan blieb nichts anderes übrig, als seine Taktik zu ändern. Er ließ von der Haustür ab und rannte ins Schlafzimmer, denn dort wusste er ein Werkzeug, das ihm in diesem Fall behilflich sein konnte. Mehr im Unterbewusstsein nahm er wahr, dass das Ding ihm folgte und dabei die Haustüre krachend ins Schloss fiel, nachdem es sie passiert hatte.
Aha, der Freak hat wenigstens ein bisschen Anstand übrig behalten und macht die Tür hinter sich zu, stellte Stephan in Gedanken fest. Vielleicht geht sein Anstand ja sogar so weit, dass er sich die Schuhe abputzt, um mir ein wenig Zeit zu verschaffen.
Tatsächlich gelang es Stephan, den Raum mit genügend Vorsprung zu erreichen, um den Freak dort gebührend empfangen zu können. Als der seinen stinkenden Körper durch die Schlafzimmertür schob, krachte ihm Stephans Alu-Baseballer genau in die Fresse. Das Ding taumelte ein wenig nach links, und Stephan drosch erbarmungslos erneut auf dessen hässlichen Schädel ein. Wieder und wieder sauste das Sportgerät auf den Angreifer nieder, bis sich der Kopf am Ende in eine breiige Masse verwandelt hatte. Die lief zäh am Körper seines Besitzers herunter und erinnerte dabei an fauliges Müsli, in dem noch andere kleine Brocken schwammen, von denen Stephan gar nicht so genau wissen wollte, wo sie herkamen.
Als sich das Etwas, das offenbar einmal ein Mensch gewesen war und nun in der Ecke des Zimmers lag, nicht mehr regte, ließ Stephan den Baseballschläger keuchend fallen und ging ein paar Schritte zurück. Das Adrenalin, das bis eben mit Macht durch seinen Körper gepumpt worden war, befand sich nun auf dem Rückzug, was sich nicht nur darin bemerkbar machte, dass Stephans Hände anfingen zu zittern, sondern auch daran, dass der durch den Alkohol verursachte Nebel in seinem Kopf langsam zurückkehrte.
Stephan ließ sich auf das Bett fallen, wo er einem Moment lang einfach so dasaß, dann kippte er zur Seite und schlief ein. Kurz darauf war der Raum vom Schnarchen der Gerechten erfüllt.
*
»Ja, so in der Art muss das wohl gewesen sein«, überlegte Stephan laut, als er wieder aus seiner mehr bruchstückhaften Erinnerung in das Hier und Jetzt zurückkehrte.
Plötzlich riss er wie elektrisiert die Augen auf, krempelte seinen rechten Ärmel hoch und betrachtete den Arm, der darunter zum Vorschein kam. In der Nähe des Ellenbogens war ein großer blauer Fleck zu sehen, und das Gewebe wirkte ein wenig geschwollen. Als Stephan genauer hinsah, entdeckte er feine Schorfspuren, die durch die dunkle Färbung der Haut schwer zu sehen waren.
»Du Mistsau!«, entfuhr es ihm, denn auch er hatte schon Zombiefilme gesehen, und wusste daher, dass man selbst zu einem der Freaks wurde, wenn sie einen bissen. Zumindest, was man so als »wissen« bezeichnen konnte, denn die Filme hatte sich jemand ausgedacht, aber das hier war die Realität.