Kitabı oku: «Bulle bleibt Bulle - Ein Hamburg-Krimi», sayfa 5
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Im Hamburger Polizeipräsidium sitzt Gerd endlich wieder am geliebten, grauen Schreibtisch und schaut auf den Monitor. Er schreibt an einem Abschlussbericht für den letzten Fall und sucht mit beiden Zeigefingern nach den richtigen Tasten. Nach ein paar Wörtern, spätestens aber am Ende eines jeden Satzes, kontrolliert er, ob er auch die richtigen Tasten gedrückt hat. Zufrieden liest er den geschriebenen Text, speichert ihn zum Schluss ab und betätigt den Drucker. Ein Surren aus dem alten Tintenstrahldrucker ertönt. Was für ein Luxus im Vergleich zur alten Adler-Schreibmaschine, auf der er vor vielen Jahren noch die Berichte schreiben musste. Da durfte man sich keinen Schreibfehler erlauben. Dann hieß es „Noch einmal von vorne, Herr Polizeiwachtmeister Sehling“. Die Zeiten haben sich geändert und nichts würde er gegen diesen Platz eintauschen wollen. Er schaut aus dem Fenster über den Antreteplatz, der zumeist als Parkplatz genutzt wird, in Richtung des Stadtparks. Was Dörte wohl dazu sagt, dass er jetzt hier sitzt und Berichte schreibt.
«Du kommst sofort wieder zum Flughafen!», ertönt Dörtes strenge Stimme plötzlich in Gerds Ohr. Er schreckt auf und schaut sich in seinem Büro um. Der Telefonhörer liegt auf dem Telefon, das Handydisplay ist dunkel und auch im Raum steht niemand, schon gar nicht Dörte. Gerd reibt sich einmal das Gesicht und schaut durch seine kleinen Augen wieder in den Monitor, wo er mit der Maus das nächste Dokument öffnet.
«Herr Dehling, was machen sie hier? Suchen sie sich ein Hobby oder fliegen sie doch mal in den Urlaub!», spricht auf einmal die eiskalte Stimme von Kriminaldirektorin Baake zu Gerd, die ihm sofort alle Nackenhaare aufstellt und ihn schreckhaft zur Bürotür schauen lässt. Doch dort steht niemand, auch nicht Frau Baake. Langsam beginnt Gerd an seinen Sinnen zu zweifeln. Er schüttelt kurz den Kopf und greift nach einem Becher Kaffee von dem er einen guten Schluck trinkt.
«Herrlich!», entfährt es ihm und in Gerd steigt eine breite Zufriedenheit auf.
Ein Rumpeln, hektische Stimmen auf dem Flur, das Rascheln von Schutzwesten, die übergezogen werden, dröhnt auf einmal in Gerds Büro. «Wir müssen uns beeilen, der Junge ist gerade festgenommen worden mit einem Kilogramm Kokain im Rucksack. Die Durchsuchung ist vom Staatsanwalt Schmidt auf Gefahr im Verzuge angeordnet worden. Wer hat Zeit? Wer kann mitkommen?», ruft Otto lauthals über den Gang.
«Ich kann mit!», brüllt Gerd zum Flur hinaus und will gleich aufspringen, doch irgendetwas hindert ihn dabei.
«Gerhard, wirst Du wohl zum Flughafen kommen. Du fährst da jetzt nicht mit», schimpft Dörte auf Gerd ein.
«Herr Dehling, Sie verlassen umgehend das Büro. Was machen Sie hier überhaupt?», fragt Frau Baake mit striktem Tonfall.
«Leute, nehmt mich auch mit. Ich will mitkommen», brüllt Gerd verzweifelt.
«Vergesst die Ramme nicht und Beeilung, vielleicht liegt dort noch mehr in der Wohnung», hört Gerd Dombrowskis Stimme sagen.
«Gerd wäre jetzt bestimmt auch gerne dabei gewesen», unkt Harry Goldutt, der auf dem Flur vor der Tür steht und dabei Gerd feixend in die Augen schaut.
«Leute, verkohlt mich nicht. Ich bin natürlich dabei», ruft Gerd und versucht aufzustehen, doch seine Beine scheinen schwer wie Blei zu sein.
«Du kommst sofort zum Flughafen, Gerhard. Unser Flieger geht gleich», hört er wieder Dörtes Stimme rufen, die von seinen Füßen zu ihm aufsteigt.
«Hier arbeiten Sie auf jeden Fall nicht mehr, Herr Dehling», gesellt sich Frau Baakes Stimme aus der gleichen Richtung hinzu.
Gerd blickt an der Tischkante vorbei zu seinen Beinen und schaut direkt in die Gesichter der Miniaturausgaben von Dörte und Frau Baake, die zusammen eins der beiden Beine umklammern.
«Uuuaaah….nein,….uuuaaah!», schreit Gerd, doch er kann sich nicht bewegen. Zu schwer ist das Gewicht an seinem Bein.
«Gerhard. Unser Flieger startet gleich. Gerhard. Gerhaaard. Wach auf…»
«Uuuahh!», entfährt es Gerd noch einmal und er schaut verschreckt um sich. Unten auf seinem Bein hockt ein kleines, blondes Mädchen mit elegant geflochtenem Zopf. Sie umklammert Gerds Hosenbein mit beiden Armen. Direkt neben ihm sitzt Dörte, die versucht beruhigend auf ihn einzuwirken. «Du hast geträumt, Gerhard. Unser Flieger geht gleich. Guck mal, du hast schon eine erste Freundin gefunden. Ist die nicht niedlich. Sie und ihre Eltern sitzen im Flieger direkt vor uns und übernachten sogar im selben Hotel. Ist das nicht ein Zufall. Jetzt sag doch auch mal was dazu.»
Gerd reibt sich die Augen und blickt sich um. Auf seinem Fuß sitzt noch immer das kleine Mädchen, das offenbar darauf wartet Hoppe-Hoppe-Reiter zu spielen, während auf der gegenüberliegenden Bank ein junges Pärchen sitzt. Eine elegant gekleidete junge Frau, die ein älteres Abbild ihrer Tochter zu sein scheint und ein Mann mit Zopf. Ein Schreck durchfährt Gerd, denn er erkennt den Besitzer vom Zopf umgehend wieder. Froh darüber, dass der sich aktuell mit voller Aufmerksamkeit der aufdringlichen Idee seiner Tochter widmet und versucht sie mit Worten davon abzubringen, ordnet Gerd schnell seine Gedanken.
Er ist sich sicher, dass es sich bei dem Mann um Steven Winter handelt. Gerd ist völlig irritiert, weil eigentlich müsste der doch derzeit in Untersuchungshaft sitzen. Noch vor kurzem wurde er von Gerds ehemaligen Kollegen wegen Handel mit Betäubungsmitteln eingesperrt. Warum sitzt der hier am Flughafen und vor allem warum darf er nach Spanien fliegen?
Gerd versucht ein freundliches Gesicht aufzusetzen und begrüßt Steven und seine Freundin aufmerksam. Er stellt sich ihnen als Gerd vor und freut sich jetzt wenigstens auf die Tage in Barcelona. Denn das könnte doch spannender werden, als zunächst angenommen.
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Im zweiten Stockwerk des Präsidiums sitzt Tim Dombrowski am Computer und stellt alle benötigten Daten für Claire in einer Email zusammen. Er versucht angehaltene Fahrer zu dem LKW zu ermitteln, Passbilder zu organisieren und Fotos, von dem zu erwartenden Lastkraftwagen, aus dem Internet zu ziehen.
Während er an der Tastatur alles aufschreibt und zusammenkopiert, hört er, dass sich auf dem Gang etwas in Bewegung setzt. Es bricht eine routinierte Hektik aus. Schränke werden geöffnet, Schutzwesten übergestülpt und zwei Kollegen binden sich gerade ihre Dienstwaffen an die Gürtel.
Sie bleiben unmittelbar vor der Tür von Dombrowski stehen und warten auf weitere Anweisungen. Einer von ihnen ist etwas kleiner und dicklicher mit einem Fusselbart am Kinn und immerzu freudig am Grinsen. Der Andere ist lang gewachsen, durch den widerspenstigen Bartwuchs hat er eigentlich immer Bartstoppeln im Gesicht und trägt eine Brille mit dunklem Rahmen. Beide haben kurze Haare und stehen immer als erste auf dem Flur, wenn es heißt, dass irgendwo jemand festgenommen werden oder eine Wohnung gestürmt und durchsucht werden soll.
«Ernie, Bert, was liegt an?», fragt Dombrowski die beiden neugierig, doch beide zucken im Einklang mit den Schultern.
«Scotty hat ihre Zielperson gerade von Kuno und Blondie festnehmen lassen, nachdem er ein Haus in Rahlstedt verlassen hatte. Immerhin wurde ein Kilogrammblock Kokain in seinem Rucksack aufgefunden. Jetzt werden wir erst einmal schauen, was wir noch zu Hause so Schönes bei ihm finden», antwortet Ernie und grinst dabei noch freudiger als zuvor. Seine Augen beginnen dabei zu leuchten.
Aufgeregte Schritte laufen den Flur hinab auf Ernie und Bert zu. Dombrowski kann zwar nicht sehen, wer es ist, aber an der Frequenz kann er bereits erkennen, dass es sich nur um Scotty handeln kann.
«So, Leute. Ich glaube, ich hab’ alles. Oder doch nicht. Warte. Tasche, Ausweis, Waffe. Okay. Die Durchsuchung ist auf Gefahr im Verzuge von Staatsanwalt Schmidt angeordnet worden. Dann mal los.» Scotty will auf ihren sportlich schlanken Beinen bereits wieder kehrtmachen, um mit wehenden, dunkelblonden Haaren den Flur hinab zu den Fahrstühlen zu laufen, als Ernie und Bert sich mit fragenden Blicken zu räuspern beginnen.
«Ist noch was? Ach ja, die Ramme. Die müssen wir mitnehmen», beantwortet sich Scotty die Frage mit einem Anflug von Hektik in Stimme und Blick selbst.
«Erzählst du uns noch was eigentlich Sache ist?», fragt Bert nun doch und hilft dabei der irritiert dreinblickenden Scotty auf die Sprünge.
«Ach so. Klar. Natürlich. Ich hatte einen anonymen Hinweis auf Florian Köhler. Er sollte mit Drogen jeglicher Art handeln. Ich habe Kuno und Blondie gebeten ihn kurzfristig zu observieren. Er hatte ein Haus in Rahlstedt betreten und sein Rucksack sah im Anschluss voller aus. Wir haben ihn dann noch ein Stück weit begleitet, doch dann lieferte er einen guten Anlass für eine Überprüfung», berichtet Scotty mit überschlagender Stimme.
«Lass mich raten, er ist über Rot gefahren», fragt Ernie aufgeregt dazwischen.
«Nee, der fährt nur Bus.»
«Dann hat er gekifft», ruft Bert, bevor Ernie ausreichend Luft für eine weitere Antwort holen kann.
«Richtig! Und zwar direkt neben Kuno und Blondie. In seinem Rucksack hatte er einen Block Kokain. Der sieht allerdings aus, als wenn er schon einmal ausgewickelt war.»
«Nicht sein Tag würd’ ich mal sagen», frohlockt Bert mit leichtem Lachen in der Stimme.
«Wir werden jetzt auf jeden Fall erst einmal zu ihm nach Hause fahren und schauen, ob er dort noch Bargeld, Notizen und vielleicht ein bisschen Reststoff liegen hat. Er soll ja auch mit anderem Stoff handeln», führt Scotty fort.
«Und dann fahren wir aber auch noch zu dem Haus in Rahlstedt, oder?», fragt Ernie nachdrücklich und beginnt mit dem Kopf zu nicken.
«Nicht so schnell. Eins nach dem Anderen. Erstmal zu Köhler. Kuno und Blondie warten schon vor Ort. Dann schauen wir weiter. Ich muss schauen, wer dort in dem Haus wohnt. Nicht alles auf einmal, bitte», erwidert Scotty und holt sich mit einem Blick zu Dombrowski eine kurze Bestätigung für ihre getroffene Entscheidung, der ihr freudig zunickt.
«Schaut erstmal, was die Wohnung von Köhler bringt. Dann sieht euer Drehbuch vielleicht schon wieder ganz anders aus», ergänzt er, um Scotty noch einmal zu bekräftigen.
«Können wir dich anrufen, wenn noch was ist? Irgendwelche Abfragen oder so?», fragt Scotty vorsichtig.
«Klar. Ich bin ja da», antwortet Dombrowski. «Viel Erfolg!»
Und schon hört Dombrowski nur noch die schnellen zackigen Schritte von Scotty den Gang hinunterhuschen, während ihr Ernie und Bert in normaler Geschwindigkeit folgen.
«Das kann ja wieder mal ein Tag werden», ruft Otto aus seinem Büro, worauf Dombrowski zustimmend nickt und bei der fertig geschriebenen Mail an Claire auf senden drückt.
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Mitten auf der Veddel steht verlassen an einem großen Parkplatz die Veddeler Fischgaststätte. Der Name ist Programm und eigentlich kennt ein jeder Hamburger den Schuppen nur unter dem Namen Fischbratküche. Sie ist eine Institution im Hamburger Hafengebiet. Wer dort noch nie gegessen hat, der hat Hamburg auch nicht richtig gesehen. Natürlich kommt man nicht hierher, weil man unbedingt freundlich bedient werden möchte, eine gut gelüftete Räumlichkeit erwartet oder gar gesundes Essen auf den Teller bekommen mag. Hier geht man hin, wenn man Lust auf knusprigen Backfisch mit fettigem Kartoffelsalat hat. Mit ein wenig Glück regnet es auch nicht und man muss sich zum Essen nicht in dem Laden aufhalten.
Auch heute scheint die Sonne. Die Lasterfahrer, Geschäftsleute, Handwerker und Touristen tummeln sich mit ihren Fischtellern an den Tischen vor der Fischbratbude. Sie sehen, wie eine weiße Geländelimousine mit hoher Geschwindigkeit bei aufheulendem Motor an ihnen vorbeirauscht und in Richtung Veddel fährt.
Die Köpfe der Gäste folgen kurz dem weißen Geschoss, wobei sie allesamt verstummen, um kurz hinterherzuschauen. Doch die Ruhe ist nicht von langer Dauer. Schon wird sich weiter ausgetauscht über die Geschäfte und Geschehnisse des Alltags.
In der Geländelimousine sitzt Cemal Sarikaya auf dem Beifahrersitz und navigiert den Fahrer zu seinem Zielort am Zollhafen.
«Hier rechts abbiegen. Halt an. Ich steige hier aus. Stell dich so auf, dass du mich warnen kannst, wenn die Bullen kommen. Am besten dort hinten. Da sehen sie dich nicht sofort. Ich bin in Nummer 22. Verstanden?», fragt Cemal nachdrücklich seinen Fahrer und zeigt dabei auf die Hausanschrift, in die er gleich gehen will. Dieser nickt und blickt zu der Parkbucht, in die er rückwärts einparken wird, um alles im Blick zu behalten.
Während er noch schaut, entnimmt Cemal bereits aus der Mittelkonsole ein Schlüsselbund und steigt aus dem Fahrzeug aus. Mit schnellen Schritten läuft er zu der Anschrift und öffnet mit dem Schlüsselbund die Hauseingangstür. Er sprintet die Treppe hoch und bleibt an einem Treppenfenster stehen. Dort schaut er prüfend aus dem Fenster, ob ihnen jemand gefolgt ist oder sie beobachtet werden. Zwar hält er stets die Augen für Verfolger offen, doch heute fühlt er eine besondere Nervosität. Ein Unbehagen, das ihm Sorge bereitet. Zuletzt verspürte Cemal dieses Gefühl im Herbst, als er Faruk, ihren Bunkerort für Kokain und Marihuana und den besten Abnehmer an die Bullen verlor, wodurch er wieder von ganz unten anfangen musste.
Ein Glück für Cemal, dass ihm die Albaner zur Seite standen und ihn mit Lieferungen unterstützten, die er in vollem Vertrauen zu guten Preisen auf Kredit erhielt. Die Geschäfte liefen wieder an und er begann auch ohne Faruk gutes Geld zu verdienen.
Cemal zieht aus der Hosentasche ein Smartphone und entsperrt den Bildschirm. Noch immer keine Nachricht von Roadrunner. Er wird den Bunker leerräumen. Nur zur Sicherheit. So etwas wie im Herbst darf in dieser Situation nicht noch einmal passieren. Nicht mit einer Ware, die noch nicht bezahlt ist. Und vor allem nicht mit den Albanern, die auf ihr Geld warten. Außerdem würde es die gesamte nächste Lieferung gefährden, die ihm bereits in Aussicht gestellt wurde.
Cemal reißt sich aus seinen Gedanken und blickt noch einmal über den Parkplatz vor dem Gebäude. Ihm fallen keine Fahrzeuge oder Personen auf, die ihm verdächtig erscheinen könnten. Er sieht nur ein paar halbstarke Jugendliche, die in weiten Jogginghosen und Kapuzenpullovern breitbeinig die Straße hinablaufen.
Cemal wendet sich vom Fenster ab und streift mit der linken Hand den Schweiß von seiner Glatze, der sich auf der glatten Haut inzwischen gebildet hat.
Von dem Treppenhaus geht jeweils immer eine Etage mit mehreren Wohnungen ab. Ein breiter Flur liegt zwischen den versetzten Eingangstüren. An kaum einer Tür ist der Nachname der Mieter verzeichnet. Davor stehen auf Schuhbänken diverse Turnschuhe oder Stiefel, die auf Grund ihrer Farbe oder Form vereinzelt Rückschlüsse auf die Bewohner zulassen. Gelegentlich steht auch ein Kinderwagen oder Buggy vor der Tür.
Cemal weiß genau, zu welcher Tür er gehen muss. Er schleicht direkt auf sie zu und sucht am Schlüsselbund den passenden Schlüssel hervor. Er steckt ihn in das Schloss, dreht ihn bis es zwei Mal laut klackt und sich die Tür mit einem leichten Quietschen öffnen lässt.
Scotty und ihre Kollegen sitzen inzwischen im Dienstwagen und jagen durch Hamburgs Straßen. Das Blaulicht auf ihrem zivilen Dienstwagen ist für viele Verkehrsteilnehmer schwer zu erkennen und sie machen nur verhalten Platz. Dennoch kurvt Scotty den Wagen gekonnt durch die aufbrechenden Gassen, während Ernie und Bert sich an allen verfügbaren Griffen im Fahrzeug festhalten.
Sie haben ihr gerne den Vortritt gelassen. Keiner fährt schneller und sicherer als sie und es liegt immerhin Gefahr im Verzuge vor.
Nachdem sie von der Autobahn abgefahren sind, passieren sie zunächst die Fischbratküche, wo alle Köpfe der Gäste dem blau aufblinkenden Zivilwagen aufmerksam mit ihren Blicken folgen. Scotty nimmt das Blaulicht vom Dach, als sie den Weg in Richtung der Veddel eingeschlagen haben. Ein wenig will sie sich das Überraschungsmoment für die Durchsuchung bei Florian Köhlers Wohnung aufsparen. Sie passieren die Kehre an der die Wohnanschrift liegt und fahren ein paar hundert Meter weiter. Scotty parkt direkt hinter dem Dienstwagen von Kuno und Blondie ein, stellt den Motor ab und öffnet die Fahrertür. Während Ernie und Bert sich für einen Moment blasshäutig anschauen und durchschnaufen, steigt Scotty aus dem Fahrzeug aus und setzt sich in den Fahrzeugfond von Kuno und Blondie.
«Hallo. Da sind wir schon», begrüßt sie die beiden fröhlich.
«Das ging ja flott», antwortet Blondie. «Wie ist dein Plan?»
«Ich gehe vor und öffne die Haustür. Dann gebe ich euch Bescheid und ihr sickert in das Haus nach und nach ein. Wir treffen uns im Treppenhaus und suchen die Wohnung.»
Kuno und Blondie schauen jeweils über ihre Schulter auf die in der Mitte der Sitzbank hockende Scotty, die konzentriert ihre Vorstellungen erläutert.
«Einverstanden. Also wartet keiner draußen und schaut, ob jemand durch das Fenster flüchtet?», fragt Blondie.
«Nein. Sonst sind wir in der Wohnung zu wenige. Wir rammen und betreten zügig die Wohnung. Und wer soll schon weglaufen. Köhler sitzt ja warm und trocken bei uns», erklärt Scotty und nickt den beiden Kollegen zu. Anschließend steigt sie auf der Beifahrerseite aus, um direkt auf den Fußweg zu gelangen. Sie geht entgegen der Fahrtrichtung zur Kehre, in der auch der Hauseingang liegt.
Aus ihrer Zeit bei operativen Einheiten ist sie es noch gewohnt ohne Schlüssel in unterschiedlichste Haustüren zu gelangen. So konnte sie besser und konspirativer, manchmal auch einfach nur trockener, gegenüberliegende Wohnungen oder Lokalitäten beobachten. Kaum ist sie an der Hausnummer 22 angekommen und hat ihr Öffnungswerkzeug angesetzt, ist die Tür auch bereits offen. Als wäre es das Normalste der Welt, betritt sie das Treppenhaus. Niemand, der sie dabei beobachtet, würde Argwohn empfinden und davon ausgehen, dass sie diese Tür ohne rechte Mittel geöffnet hat.
Während sie in das Haus geht, steckt sie ein kleines Stück Pappe in die Tür. Das Schloss der Tür kann dadurch nicht mehr in die Falle schnappen, sie schließt jedoch trotzdem und bleibt nicht offen stehen.
Über Funk gibt sie die Freigabe an Ernie und Bert sowie Blondie und Kuno, dass sie nach und nach kommen können.
Ein paar Etagen weiter oben läuft Cemal aufgeregt durch die Wohnung von Florian Köhler. Zunächst ging er vorsichtig vor und öffnete lediglich die Schränke, schaute unters Bett und in die Abstellkammer. Immerhin könnte es ja auch andere Gründe geben, dass sich Roadrunner nicht mehr bei ihm meldet.
Doch nach und nach wird Cemal ungeduldiger, weil er einfach nicht finden kann, wonach er sucht. Die Furche zwischen seinen buschigen Augenbrauen wird immer tiefer. Der Gesichtsausdruck trägt eine Mischung aus Wut, Verzweiflung und Furcht. Warum erzählte Flo ihm auch nicht, wo er die Ware lagert. Cemal greift im Kleiderschrank nach den Kleidungsstücken und beginnt sie auf das Bett zu werfen, nachdem er jedes Einzelne ordentlich geschüttelt hat. Wo mag der Kerl die Kilogrammpakete nur versteckt haben. Sie sind zwar nicht so ausufernd wie Marihuana, das bei einem Kilogramm eine ganze Einkaufstüte ausfüllen kann, aber immerhin noch so groß wie eine Packung Mehl. Und davon sucht er schließlich gleich mehrere. So ein Paket kann man doch eigentlich kaum so gut verstecken, dass er sie nicht finden kann. Auch weil die Wohnung so leer und aufgeräumt wirkt. Flo hat kaum Möbel in den zwei Räumen stehen, die er zur Verfügung hat. Ein Bett, einen Schrank und einen Schreibtisch im Schlafzimmer. Eine alte, speckige Ledercouchgarnitur und einen großen LCD-Fernseher im Wohnzimmer, der auf einem flachen Fernsehschrank steht. Nachdem Cemal im Wohnzimmer den gesamten Schrank ausgeräumt und von der Wand weggezogen hat, blickt er noch einmal kopfschüttelnd im Schlafzimmer auf den Wäscheberg, den er auf dem Bett angehäuft hat. Er wendet sich ab und geht wieder ins Wohnzimmer.
Am Ende der Parkbucht sitzt der Fahrer von Cemal in seinem weißen SUV und beobachtet den Eingang zur Anschrift. Eine ganze Weile passierte gar nichts. Niemand verließ die Anschrift oder betrat sie. Doch vor kurzem kam eine Frau mittleren Alters, mit schnellen Schritten um die Ecke gelaufen. Sie trug einen Rucksack und wirkte so, als wenn sie ganz genau wüsste, wohin sie gerade will. Sie zog etwas im Sonnenschein Aufblitzendes hervor, was Hüseyin auf Grund der Entfernung nicht genau erkennen konnte und betrat kurz darauf die Wohnanschrift.
Schon wenige Momente darauf folgten ein etwas älterer Mann mit grau meliertem Vollbart und kräftiger Figur, in Begleitung einer wasserstoffblondierten Frau, die schon einige Stunden ihres Lebens im Solarium verbracht haben dürfte. Die Frau war deutlich jünger als der Mann, doch waren die beiden trotzdem harmonisch zueinander. Hüseyin dachte zunächst, dass sie vielleicht Vater und Tochter gewesen sein könnten. Doch als jetzt und schon wieder aus derselben Richtung zwei Männer um die Ecke biegen, die sich mehrfach umschauen und so wirken, als wenn sie sich hier weder auskennen, noch wirklich wissen wo sie hinmüssen, wird Hüseyin unruhig.
Er zieht sein Telefon aus der Mittelkonsole und beginnt hektisch in den Kontakten nach der Rufnummer von Cemal zu suchen. Er ruft ihn so selten an, weil er zumeist im Café International verweilt oder aber Cemal ihn anruft, wenn er ihn braucht.
Hüseyin ist sich sicher, dass er ihn unter ccc abgespeichert hat in dem Telefon und wählt die Nummer.
Nach wenigen Freizeichen geht Cemal ans Telefon. «Was ist los?»
«Chef, hier Leute gekommen sind. Erst eine Frau, dann eine Frau und eine Mann und jetzt noch einmal zwei Männer. Ich glaube, die sind Polizei.»
«Mit was für Autos sind die gekommen?», antwortet Cemal und schaut aus einem zur Straße gerichteten Fenster.
«Ich nichts gesehen haben. Die kamen zu Fuß. Aber alle aus gleiche Richtung», antwortet Hüseyin.
Cemal rennt vom Fenster zur Wohnungstür und schaut durch den Spion. Vorsichtig blickt er durch das Loch und späht in den Flur hinein.
«Kommen noch mehr, Hüseyin?», fragt er aufgeregt flüsternd ins Telefon.
«Nein. Ich sehe niemand», antwortet Hüseyin, während er aufgeregt umherschaut.
Cemal drückt langsam die Türklinke nach unten und öffnet die Tür einen Spalt breit. Im Treppenhaus hört er schleichende Schritte, die er bei geschlossener Tür noch nicht wahrnahm. Es sind definitiv mehrere Personen, die Stufe für Stufe nach oben kommen. Cemal spürt sein Herz bis zum Hals schlagen. Er schließt die Tür wieder vorsichtig und rennt durch die Wohnung, schaut aus dem Fenster, doch die Wohnung liegt zu hoch. Er könnte sich beide Beine brechen oder Schlimmeres antun, wenn er springen würde. Cemal fasst einen Entschluss und beginnt das Wohnzimmer weiter zu durchsuchen. Am besten er findet die Ware vor den Bullen und schmeißt sie aus dem Fenster. Hüseyin kann den Stoff dann wegschaffen. Niemand wird ihm dafür etwas nachsagen können, dass er sich in der Wohnung eines Freundes aufhält. Aber, wenn die Bullen jetzt zu Flo kommen, dann müssen sie ihn ja gepackt haben. Aber wie soll er ihnen erklären, warum er in einer komplett durchwühlten Wohnung sitzt? Cemal grübelt über glaubwürdige Erklärungen, dabei wendet er sich vom Fernsehschrank ab und macht kehrt. Er rennt ins Schlafzimmer, schiebt den Schrank so leise es geht zurück an die Wand und beginnt die Kleidung von Flo wieder hineinzuwerfen. Hauptsache die Wäsche kommt runter vom Bett und es sieht hier einigermaßen normal aus, denkt sich Cemal. Er wird sich dann einfach auf die Couch werfen und vorher die Spielekonsole starten. Und falls die Bullen doch noch etwas finden in der Bude, dann wird Flo das auf sich nehmen müssen, dafür wird Cemal schon Sorge tragen.
Im vierten Obergeschoss des Hauses angekommen, legt Ernie die Sporttasche mit der Ramme auf den Boden und öffnet vorsichtig den Reißverschluss. Das Ratschen der Zähne, die auseinandergezogen werden, hallt dabei leise durch das Treppenhaus und stört die Stille, die sich nach der Ankunft auf der Etage langsam aufgebaut hat.
An der Klingel zur Wohnung steht in großen Buchstaben der Name KÖHLER. So ziemlich das einzige Klingelschild im Haus, das von einem Namen geziert wird. Obwohl in der einen oder anderen Wohnung auch Familien wohnen dürften, worauf man anhand der Anzahl und Größe der Schuhe vor den Türen schließen kann.
Ernie übergibt die schwere Ramme an Bert, der die kühlen Stahlgriffe mit beiden Händen ergreift und sich mit sicherem Stand vor der Wohnungstür aufbaut. Scotty, Kuno, Blondie und Ernie stellen sich hinter ihm auf und Scotty gibt Bert ein Zeichen, dass sie bereit sind.
Bert zielt zwei Mal mit der Ramme an, holt aus und schlägt gegen das Türblatt. Die Zarge reißt ein und wird mit dem folgenden Schlag endgültig gebrochen. An Bert laufen die anderen vier mit gezogenen Waffen vorbei in die Wohnung.
«POLIZEI! POLIZEI! STOPP, NICHT BEWEGEN!», dröhnt es in den Hausflur hinaus. Bert tritt nun auch in die Wohnung ein und folgt seinen Kollegen.
«ICH WILL DIE HÄNDE SEHEN! AUF DEN BODEN! AUF DEN BODEN!», schreit Blondie aus dem Wohnzimmer.
«Was ist denn hier los? Leute, Leute, entspannt euch mal», sagt eine erschrockene, aber dennoch ruhige Stimme aus dem Wohnzimmer.
Bert schließt die Tür zum Treppenhaus und stellt die Ramme davor auf dem Boden ab, so dass die Tür sich nicht mehr von alleine öffnet. Einen Moment später geht er zum Wohnzimmer.
Am Boden liegt ein glatzköpfiger Mann, dem durch Kuno gerade die Handschellen auf dem Rücken angelegt werden.