Kitabı oku: «Mo Morris und die Anti-CO2-Maschine», sayfa 4
„Nehmen Sie dies als Spesenvorschuss und kleine Anzahlung. Die Höhe der Summe dürfte für Sie ein unmissverständlicher Indikator dafür sein, wie wichtig mir die Aufklärung der Angelegenheit ist. Ich kann mich unmöglich allein auf Interpol sowie die britische Polizei und Küstenwache verlassen. Es wäre zwar möglich, dass sich heimlich der britische Geheimdienst GCHQ eingeschaltet hat, aber in dieser Hinsicht verfüge ich über keinerlei Informationen.
Und nun möchte ich Sie bitten, sich unten in die Gesellschaft meiner Tochter zu begeben, damit ich ein paar Telefonate erledigen kann. Wir reden dann wie gesagt nach dem Dinner weiter. Die Frau unseres Haus- und Grundstückwartes Mrs. Wilson ist eine exzellente Köchin und wird es uns nachher zubereiten. Sie ist eine äußerst nette Person und da sie für uns mehr als nur eine Angestellte ist, wird sie uns beim Essen Gesellschaft leisten.
Aber was machen Sie denn bloß für ein saures Gesicht, Mrs. Kelly? Oder müsste ich vielleicht sogar Miss Kelly sagen und den glücklichen Burschen beneiden, der ihr Herz noch erobern darf? Sie haben Geld und einen wirklich interessanten Auftrag, was wollen Sie denn mehr?
Sie beide werden übrigens meiner Frau Susan auf Aqua City begegnen. Sie arbeitet dort zurzeit als meine rechte Hand und hält mich regelmäßig auf dem Laufenden. Sie wird Sie nach Ihrer Ankunft in den allgemeinen Stand der Dinge einweihen.
So, und nun entschuldigen Sie mich bitte. Obwohl dieses Haus mein Sommer- und Urlaubssitz ist, wartet immer auch etwas Arbeit auf mich!“
Als Donovan sich hierauf abwandte und am Schreibtisch zum Telefonhörer griff, hatte Mary die vorerst letzte Chance verpasst, ihn über ihren wahren Beruf aufzuklären. Sie verließ mit Mo und Una den Raum und überlegte fieberhaft, wie sie die Reise nach England umgehen konnte, ohne dass Mo den Auftrag verlor. Aber ihr fiel nichts ein und selbst am Abend noch, als sie alle gemeinsam im Erdgeschoss an einem schweren, antiken Eichentisch beim Dinner saßen, war es, als bliebe sie die ganze Zeit in eine dichte Wolke von Ratlosigkeit gehüllt…
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Das 80 Meilen ostsüdöstlich vom Londoner Zentrum am Ärmelkanal liegende Städtchen Ramsgate sollte sich für einige Zeit als der letzte Ort erweisen, an dem sie sicheres Festland unter ihren Füßen gespürt hatten. Mo beobachtete sorgenvoll, wie sich die beängstigend großen Wellen mit einer hoch aufspritzenden Gischt vor den Hafenmauern brachen und wie ihre Ausläufer selbst noch die Boote in den innersten Bereichen des Hafenbeckens zum Tanzen brachten. Das Bild des Hafens mit den schwankenden Masten der Segeljachten und den sich im Hintergrund über den Uferbefestigungen auftürmenden Häuserzeilen der Stadt wurde von oben durch ein paar schwarze, tief hängende Wolkenbänke begrenzt, unter denen Schwärme von kreischenden Seemöwen unruhig ihre Bahnen zogen. Der kalte Wind und der leichte Nieselregen hatten die Touristen verscheucht, so dass er auf einer der breiten Kaimauern fast alleine war.
Schon bald wurde seine Aufmerksamkeit von den Vorgängen im Hafen und den Silhouetten der Stadt abgelenkt und richtete sich auf eine schnell näher kommende Segeljacht, deren mahagonifarbener Rumpf sich so wild in den Wellen hob und senkte, als bedeutete Ramsgate das heiß ersehnte Ziel einer Hochseeregatta. Durch ihre angewitterten hölzernen Decksaufbauten wirkte die zweimastige 18-Meter-Jacht wie eine alt erfahrene, aber etwas müde Kämpferin, deren langjährige Beziehung zur See ihr eine Aura von besonderer Würde und Erhabenheit verliehen hatte. Erst als sie schon fast die Hafenmole erreicht hatte, konnte er ihre Aufschriften entziffern und fand in dem Namen „Miss Mary Blue“ die endgültige Bestätigung, dass es das Schiff war, das er erwartete. Über dem Namen war ein weißes, im Wind flatterndes Transparent an die Reling gespannt, auf der neben der Darstellung einer Blüte in bunten Regenbogenfarben „Aqua City“ stand; das Heck hingegen wurde von einer ungewöhnlich großen amerikanischen Flagge dominiert, so als hätten die Eigner der Jacht es darauf angelegt, in den fremden britischen Gewässern einen besonderen patriotischen Stolz zu demonstrieren.
Die Einfahrt der Miss Mary Blue in den Hafen von Ramsgate verlief genauso riskant wie spektakulär, da sie trotz des scharfen Windes erst im letzten Moment das Hauptsegel einholte und mit viel zu hoher Geschwindigkeit von einer großen Welle durch die Öffnung der Hafenmole gespült wurde. Erst im Vorbecken des Hafens bremste sie ihr Tempo mit Hilfe des Motors endgültig aus, wobei sie so große, schwarz rußende Abgaswolken ausstieß, dass sich eine Gruppe schaulustiger Seeleute neugierig auf einer der Kaimauern versammelte.
Für eine halbe Stunde hatte Mo einen schwer wiegenden Konflikt verdrängen können, doch als er nun Marys zierliche, in einer Regenjacke steckende Gestalt mit ein paar Einkaufstüten in der Hand auf sich zukommen sah, riss dieser Konflikt innerhalb einer Sekunde wieder auf. Die Dinge hatten sich nach ihrem Besuch bei Ronan Donovan sehr schnell in ihr Gegenteil verkehrt, denn je mehr es ihm widerstrebt hatte, seine zwar hochintelligente, jedoch in der kriminalistischen Praxis völlig unerfahrene Universitätskollegin in einen womöglich gefährlichen Fall zu verwickeln, desto mehr hatte sie plötzlich vehement darauf bestanden, ihn nach England zu begleiten. Er hatte deswegen eine schlimme Tirade von Mrs. Higgins über sich ergehen lassen müssen, da sie sich voll und ganz in ihrer Prophezeiung bestätigt gesehen hatte, er würde schon sehr bald nach Marys ganzer Hand greifen, wenn sie ihm nur – wie sie es mit ihrer Begleitung zu seinem Treffen mit Donovan getan hatte - den kleinen Finger reichte. Trotz all dem teilte er mit Mary eine gut versteckte, tiefe Freude über die gemeinsame Reise, während es sie nach außen hin so aussehen ließen, als würden sie sich nur deshalb zusammen nach Aqua City begeben, weil Donovan es von ihnen als Bedingung für den Auftrag gefordert hatte.
Sie schnappten ihre Reisetaschen und eilten zu der Anlegestelle, an der die „Miss Mary Blue“ mittlerweile dabei war festzumachen. Als schließlich eine schmale Gangway polternd vor ihre Füße fiel, landeten kurz darauf drei Seewasser triefende junge Leute an, die sich mit ausgelassenem Lachen eilig in Richtung der Stadt verzogen. Sie sahen mir ihren versalzten, filzigen Haaren und ihrer bunten, legeren Kleidung nicht wie seriöse Angestellte von Aqua City, sondern eher wie ein paar grüne Umweltaktivisten aus. Sie beachteten Mo und Mary so gut wie nicht, wofür sie kurz darauf ein älterer, grauhaariger Mann, der grinsend an der Reling erschien, mit umso größerer Freundlichkeit willkommen hieß. Er kletterte über die Gangway zu ihnen hinunter und raunte ihnen vertraulich zu:
„Sie sind Dr. Morris und Dr. Kelly, nicht wahr? Sie dürfen den jungen Flegeln ihr Verhalten nicht übel nehmen. Unsere Crew besteht zurzeit aus ein paar Ökologiestudenten und -studentinnen, die ein Praktikum auf Aqua City absolvieren. Ich gebe zu, wir nutzen ihre Gratis-Arbeitskraft etwas aus, dafür dürfen sie in diesem Semester ein paar interessante Erlebnisse in ihr Tagebuch schreiben. Sie haben keine Ahnung, wer Sie sind und warum Sie hier sind. Ja, sie wissen nicht mal, dass unser heutiger Törn an das Festland allein dem Zweck dient, Sie beide abzuholen. Sie glauben, wir kaufen Vorräte ein und vertreiben sich die Zeit in irgendeinem Hafenpub. Ich hoffe, sie werden nachher noch in der Lage sein, die Segel zu setzen!“
Während er sich für einen Moment einem kernigen Seebären-Lachen hingab, musterte Mo sein Aussehen genauer. Sein wettergegerbtes Gesicht, sein dichter grauer Bart, seine orangefarbene Segeljacke und sein weißes Skipper-Käppi ließen es wahrscheinlich wirken, dass er der Kapitän des Schiffes war. Auf jeden Fall war er Amerikaner, was jede Silbe seiner Aussprache deutlich verriet.
„Ich bin Joshua McNamara, aber mich nennen hier alle nur Josh. Keine Angst, ich werd’ Ihnen nicht ungefragt meine glorreiche Autobiographie unter die Nase reiben, denn ich hab’ heute vor allem nur eine Aufgabe hier: Ich soll das Empfangskomitee für ein paar Meisterdetektive bilden und ihnen von Anfang an einschärfen, dass ihre Arbeit absolut vertraulich ablaufen muss.“
Als in diesem Moment zwei weitere junge Leute das Schiff verließen, schob er Mo und Mary ein Stück zur Seite und fuhr erst nach dem Verschwinden der Beiden fort:
„Sagen Sie niemandem Ihren Namen, bevor Sie mit Su gesprochen haben. Sie ist gewissermaßen unsere Chefin hier. Sie hat sich eine Story ausgedacht, die Sie Ihnen nachher unter Deck verklickern wird. Wir auf Aqua City sind wie eine große, eingeschworene Familie, in der sich Gerüchte entsprechend schnell verbreiten. Insofern ist es von Anfang an wichtig, was wir über Sie erzählen werden.“
„Ich verstehe voll und ganz. Erklärt sich Ihre Vorsicht auch daraus, dass Sie einige Ihrer eigenen Mitarbeiter der Sabotageakte verdächtigen?“, verlor Mo keine Zeit, noch vor dem Betreten des Schiffes in die Rolle des detektivischen Fragestellers zu schlüpfen.
„Ich bin nicht dafür zuständig, das zu beantworten. Sie können das mit Su besprechen. Kommen Sie erst mal an Bord und machen Sie es sich gemütlich.
Aqua City ist zurzeit zwar nur etwas mehr als 11 Seemeilen von hier entfernt, trotzdem könnte sich die Überfahrt bei diesem Wetter auf weit über zwei Stunden hinziehen, da wir wahrscheinlich gegen den Wind kreuzen müssen. So wie Sie gekleidet sind, werden Sie sich unter Deck aufhalten müssen. Oder haben Sie heute früh Ihre Morgendusche verpasst und haben etwas nachzuholen?“
Joshua grinste Mo so aufreizend an, als wollte er ihn dadurch zu einer verweichlichten Landratte degradieren, wobei er mit einer nicht ganz ernst gemeinten Verächtlichkeit an seiner dünnen Windjacke und seiner hellen Stoffhose herabsah. Es war klar, dass er ihn eigentlich nur unterschätzen konnte, weil er nichts von den Abenteuern wusste, die der leicht untersetzte und sich manchmal absichtlich auf täuschende Art unscheinbar gebende Detektiv aus Rutherford bereits durchlebt hatte.
„Probleme mit mangelnder Hygiene haben wir an sich nicht. Gestatten Sie mir bitte eine Frage, von deren Beantwortung meine Entscheidung abhängt, ob ich mich an Bord dieses Schiffes begeben werde oder nicht: Waren Sie es, der die Miss Mary Blue vorhin so waghalsig in den Hafen manövrierte? Ich hatte Angst, sie könnte an der Hafenmole glatt zerschellen!“
Joshua konnte hierauf nicht anders, als abermals ein dröhnendes Seemannslachen anzustimmen, was offenbar eine typische Eigenart von ihm war.
„Wenn Ihnen so etwas auffällt, haben Sie für einen Laien immerhin ein gutes Auge. Obwohl ich offiziell der Kapitän bin, war die Chefin dafür verantwortlich. Sie ist eine leidenschaftliche Seglerin, die gerne an die Grenzen geht. Vielleicht liegt es daran, dass es reizt aufzufallen, wenn man unter Beobachtung steht. Aqua City ist in ganz England sehr gut bekannt, weshalb wir fast schon eine Art Prominentenstatus genießen.
Sehen Sie die beiden Leute mit den Kameras da oben an der Uferpromenade? Es wäre sehr gut möglich, dass es keine Touristen, sondern irgendwelche Zeitungsreporter sind, die sich für alles, was mit Aqua City zusammenhängt, sehr interessieren. Wir haben die Jacht schon öfters in Zeitschriften oder im TV gesehen. Uns stört es nicht, denn wenn sich die Storys über uns gut verkaufen, ist das natürlich eine willkommene Gratiswerbung für uns.“
Der Kapitän nahm Mary galant die Einkaufstüten und die Reisetasche ab und forderte die beiden „Landratten“ auf, sich an Bord zu begeben. Als Mo von der schmalen Gangway über die Bordwand auf die nassen Holzplanken der Miss Mary Blue sprang, meinte er für einen Moment zu spüren, dass darin etwas Bedeutendes und Unumkehrbares lag. Die vielen Salzspuren an den angefressenen hölzernen Decksaufbauten zeugten von einer langen Geschichte der alten Jacht, die schon auf unzähligen Hochseefahrten von der Gischt überspült worden sein musste. Sie bekamen kaum Gelegenheit, sich auf Deck näher umzusehen, da Joshua sie wegen des Winds und Regens sofort über eine steile Stiege in den Schiffsbauch drängte. Dabei begegneten sie niemandem, da die ganze Mannschaft auf Landgang war.
Auf dem halbdunklen Unterdeckgang schlug ihnen ein etwas muffiger und modriger Geruch entgegen und durch zwei offen stehende Türen konnten sie schmale Pritschen in engen, unaufgeräumten Kabinen sehen, deren salzverkrustete Bullaugen keinen klaren Blick nach draußen zuließen. Als McNamara im Heck die Tür der Hauptkajüte öffnete, war es, als gelangten sie mit dem Überschreiten der hoch liegenden Schwelle in ein anderes Reich. Die etwas heruntergekommene Miss Mary Blue schien sich mit einem Mal von einem abgearbeiteten „Nutzesel“ in eine Vergnügungsjacht zu verwandeln, deren Interieur mit seinen glänzenden Mahagonioberflächen und polierten Messingeinfassungen ganz im Stil einer niveauvollen Offizierskajüte gehalten war.
Die Frau, die in einem roten, wasserdichten Segeloverall an einem zierlichen, mit der Wandverkleidung verschraubten Schreibtischchen saß, war im Schein einer kleinen Messinglampe über ein Buch mit blanken Seiten gebeugt, die sie mit einem goldenen Füllfederhalter konzentriert beschrieb. Die vielen Bücher, die über ihr in einem sturmsicheren Regal fast die Hälfte der Backbordwand bedeckten, rundeten das Bild passend und verliehen dem Ambiente eine besondere Energie. Als sie zu ihnen aufschaute, verbreitete sie eine so aufgeräumte und bedächtige Stimmung, als läge die Aufsehen erregende Einfahrt in den Hafen schon lang zurück und als hätte sie bereits seit Stunden vor ihrem Buch gesessen. Sie schlug ihre langen, brünetten Haare schwungvoll über die Schultern zurück, wobei ihr eine mit einer Kordel verbundene Lesebrille von der Nase fiel und den Blick auf ein ausdrucksvolles, schmales Gesicht mit hoher Stirn und einigen Altersfalten freigab. Erst durch die Falten verstand Mo, wer „Su“ war, weshalb er erstaunt stammelte:
„Wenn mich nicht alles täuscht, müssen Sie Susan Donovan sein, nicht wahr? Ich hatte nicht erwartet, Sie hier anzutreffen.“
„Ah, unser Meisterdetektiv Morton Morris ist endlich eingetroffen. Sie sind fürwahr ein schlaues Köpfchen und haben’s schnell begriffen!“, neckte sie ihn grinsend mit einer nicht ernst gemeinten Überheblichkeit, während sich Joshua unauffällig aus der Kajüte zurückzog. Sie musste etwa zehn Jahre jünger als ihr Mann Ronan sein, doch durch ihre schlanke, sportliche Figur und ihre gesunde Gesichtsfarbe wirkte es, als müssten es über zwanzig sein. Sie wies Mo und Mary den Platz auf einer schmalen Sitzbank vor einem kleinen Klapptisch zu und meinte dann:
„Falls Sie erwartet haben, dass wir Sie mit einer schnittigen Motorjacht oder einem Helikopter abholen würden, sind Sie jetzt sicher enttäuscht. Für uns ist das Segeln eine bevorzugte Fortbewegungsart, weil es keine Emissionen erzeugt. All diejenigen, die für den Umwelt- und Klimaschutz kämpfen, werden ja besonders kritisch daraufhin geprüft, ob sie sich auch selber politisch korrekt verhalten und kein Gramm CO2 zuviel in die Atmosphäre jagen. Eine solche Haltung scheint allerdings zu tolerieren, dass jeder, der auf die Umwelt pfeift, sie auch nach Herzenslust verpesten darf.“
„Dann werde ich Ihnen gern einen kleinen Gefallen tun und niemandem etwas über die schwarzen Abgaswolken sagen, die vorhin Ihr Manöver im Hafen verursacht hat“, stichelte Mo trocken und brachte sie damit zum Lachen. Dabei war ihr anzumerken, wie sehr ihr die Tollkühnheit ihres Segelmanövers bewusst war.
„Tja, ein Jeder hat irgendwo ein paar kleine Fleckchen auf der weißen Weste, nicht wahr? Kommen wir mal zu Ihren Sünden. Da sollte es also eine promovierte Ermittlerin namens Dr. Mary Kelly in Ihrem Detektivbüro geben“, meinte sie mit einer eigentümlichen Mischung aus Gutmütigkeit und Schärfe, wobei sie Mary eindringlich ansah. Die sah in einem betretenen Schweigen die beste Reaktion und sandte Mo Hilfe suchende Blicke zu. „Mein Mann und meine Tochter haben es einfach geglaubt und nicht weiter nachgeforscht, weil sie zu viele andere Dinge um die Ohren haben. Dabei hat es mich nur ein paar Minuten Internetrecherche gekostet, um in der Sache klar zu sehen. Die Psychologie der Täter- und Opferbeziehung – über besondere Fälle einer extremen Bindung – hieß nicht so das Seminar, das Sie zuletzt an der kleinen Universität von Rutherford gehalten haben, liebe Dr. Kelly?
Ich durchschaue Ihre Beweggründe, Dr. Morris. Sie haben nicht einen einzigen Mitarbeiter in Ihrer Detektei. Es war übrigens meine Idee, Sie zu engagieren. Ich hatte nämlich darüber gelesen, dass aus Ihrem letzten Fall eine Zusammenarbeit mit der UN resultiert ist, bei der es darum geht, eine Sklavenhalteroase in Südlibyen in ein Flüchtlingsauffanglager umzuwandeln. Das ist eine wirklich großartige Sache, finde ich. Der Idealismus, der dahinter steht, ist verwandt mit unserem. Aus diesem Grund werde ich Ihnen Ihre kleine Flunkerei auch nachsehen. Außerdem habe ich so meine Ahnungen, was Ihre Beziehung zu Dr. Kelly angeht. Man muss Sie beide ja nur mal ansehen. Glauben Sie, nur Sie wären ein guter Psychologe und verfügten über eine überdurchschnittliche Intuition?
Wenn ich nicht glauben würde, dass Ihre Zusammenarbeit Sinn machen könnte, hätte ich es sicher nicht bis zur Ihrer gemeinsamen Ankunft hier auf der Miss Mary Blue kommen lassen. Da Dr. Kelly als Psychologin immerhin auch mit einem Bein in der Kriminologie tätig zu sein scheint, wird sie hier nicht ganz fehl am Platz sein.“
„Sie ist nicht nur nicht ganz fehl am Platz, sondern wird mir eine sehr große Hilfe sein!“, verteidigte Mo selbstbewusst Marys Ehre, obwohl sie durch das Auffliegen ihrer kleinen Lüge in eine schwache Position geraten waren. „Ich nehme an, Sie sind nicht nur mit nach Ramsgate gekommen, weil Sie Spaß am Segeln haben, sondern auch, um uns in Empfang zu nehmen und zu instruieren, Mrs. Donovan, nicht wahr?“
„Natürlich. Gewöhnen Sie sich bitte sofort an, mich Susan oder Su zu nennen, wie es die Meisten tun. Unser Kapitän Josh hat Ihnen hoffentlich bereits erklärt, dass Sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit arbeiten werden und Ihre Namen nicht verwenden können. Wie Sie sicher bereits vermutet haben, ist dies angebracht, weil Mitarbeiter von uns in die Sabotageakte involviert sein könnten. Hoffentlich wird Sie niemand erkennen, Dr. Morris. Ihr Gesicht war ja vor zwei Jahren des Öfteren in den Medien zu sehen, als Sie mit der Aufklärung der großen Internetmanipulationen in den USA befasst waren.
Mein Mann, meine Tochter und ich haben entschieden, Sie beide als Reporter auf Aqua City einzuführen. Reporter und Detektive haben viel gemeinsam. Sie schnüffeln überall herum und stellen viele Fragen. Es ist also die ideale Rolle für Sie. Sie werden sich als Larry Keene und Esther Morgan von dem Bostoner Online-Newsportal Eye of the East ausgeben. Das hat mein Mann in Absprache mit einem befreundeten Redakteur für Sie bewirkt. Falls jemand Nachforschungen anstellt, wird er immerhin herausfinden können, dass diese Namen tatsächlich auf der Gehaltsliste der Redaktion stehen.
Also, dann werde ich Sie von jetzt an Esther und Larry nennen. Am besten gewöhnen wir uns sofort daran!“
„Und an was für einer Reportage arbeiten Esther und Larry offiziell? Wofür sollen wir uns vor Ihren Leuten besonders interessieren?“, warf Mary mit erwachendem Interesse ein. Ein Rollenspiel als Reporter schien ihr spannende und abwechslungsreiche Erfahrungen zu versprechen, die sie aus ihrem beschaulichen Universitätsleben nicht kannte.
„Um einen längeren Aufenthalt auf Aqua City und ein breites Interesse für all unsere Forschungs- und Arbeitsbereiche plausibel erscheinen zu lassen, arbeiten Sie eben an einer ganz allgemeinen, umfangreichen Reportage. Wichtig ist vor allem, dass Ihnen Ihre Arbeit einen Zugang zu allen Bereichen der Insel ermöglicht. Sie können jeden alles fragen, nur das Wort Sabotage nehmen Sie bitte nicht in den Mund. Da unsere offizielle Haltung ist, die Sabotageakte vor den Medien zu verschweigen, wäre es natürlich komisch, wenn Sie dazu Fragen stellen.
Alles, was die Sabotage und die technischen Details der 16 Forschungsinseln von Aqua City betrifft, können Sie mit einem unserer Ingenieure besprechen. Ich habe dazu Dr. Regina Flores bestimmt, eine Amerikanerin mit venezolanischen Wurzeln, die seit anderthalb Jahren für uns arbeitet. Regina ist eine ganz vortreffliche Frau, die meine ganzen Sympathien hat. Sie ist in Ihre wahre Identität eingeweiht. Mit Josh und mir sind es damit auf Aqua City bisher erst Drei. Wenn Sie gut arbeiten, sollte es dabei auch bleiben. Josh ist übrigens eine Art Mädchen für Alles hier. Ihm gehörte früher das Schiff und weil er in Geldnöten war, haben wir es ihm abgekauft. Später haben wir es ihm dann als Teilhaber mit der Bedingung zurück übereignet, dass er für uns arbeitet. Seitdem leibt und lebt er für Aqua City und würde sich für mich und meinen Mann ein Bein ausreißen. Wenn einer vertrauenswürdig ist, dann er.“
„Dann sollte er es am besten übernehmen, uns in die verschiedenen Bereiche der Insel zu führen und alles zu zeigen. Dr. Flores werden wir dann nur bei Bedarf zu Rate ziehen“, schlug Mo in einer einvernehmlichen Stimmung vor, da die Ausführungen von Ronans eloquenter Ehefrau Hand und Fuß zu haben schienen.
„Genauso ist es auch vorgesehen. Ich selbst werde Ihnen natürlich auch zur Verfügung stehen“, ließ Susan volle Zustimmung erkennen. Mo schaute sie versonnen an und war noch immer erstaunt darüber, welche Entwicklung sie irgendwann einmal durchlaufen haben musste. Als sie vor rund 30 Jahren Ronan Donovan nach dem Tod von dessen erster Frau Lara geheiratet hatte, hatte ihre Aufgabe vor allem darin bestanden, Una zur Welt zu bringen und auf einem prächtigen Landsitz in Deep River in Conneticut das sorglose Leben einer reichen Ehefrau zu führen. Anstatt dadurch zu einem verwöhnten und dekadenten „Püppchen“ zu werden, hatte sie sich durch ihr späteres, wachsendes Engagement für die diversen Projekte ihres Mannes zu einer bemerkenswerten Persönlichkeit entwickelt, von der eine starke Energie ausging. Durch ihre besondere Liebe für Aqua City schien sie für den reibungslosen Ablauf aller Prozesse auf der Forschungsinsel unabkömmlich geworden zu sein und hatte damit ihren Mann sogar ein Stück weit überflügelt, weil er durch seine Krankheit großen Einschränkungen unterworfen war.
Als sie gerade dazu ansetzen wollte, hinsichtlich der Sabotageakte konkreter zu werden, wurde sie davon abgehalten, weil Joshua mit einem Tablett hineinpolterte. Nachdem er eine Thermoskanne und drei Tassen auf den Klapptisch vor Mo und Mary gestellt hatte, fischte er mit einer schnellen und geübten Geste eine Flasche Rum aus einem Einbauwandschrank hervor. Dabei verhielt er sich so, als ob er vor den Anderen keinerlei Zurückhaltung an den Tag zu legen bräuchte und als ob alles an dem Schiff nach wie vor in jeder Hinsicht sein uneingeschränktes persönliches Eigentum wäre.
„Ein heißer Kaffee wird unseren Meisterdetektiven – Entschuldigung, ich meine natürlich Reportern – gut tun. Ein Schuss Rum bei dem Wetterchen umso mehr. Die Überfahrt könnte nachher ziemlich ungemütlich werden. Sobald die Crew mit ihren Einkäufen und ihren Bieren im Pub fertig ist, geht es los!“
Als er bereits verschwinden wollte, beeilte sich Mo ihn zu fragen:
„Was glauben eigentlich Sie, wer hinter den Sabotagen steckt? Sie wissen doch über alles auf Aqua City Bescheid und müssten eine besondere Meinung dazu haben.“
„Besondere Meinung? Nein, nein, ich halte es da ganz mit Mr. Donovan. Das mit der Bekenneremail dieser vermeintlich christlich-fundamentalistischen Sekte ist natürlich totaler Schwachsinn. Für mich steckt eindeutig die Konkurrenz dahinter. Für den Diebstahl von Gamma 2 gibt es genau zwei Gründe: Zum einen möchte man den Fortschritt unserer Forschungen sabotieren und zum anderen den Stand unserer Technik ausspionieren. Vielleicht waren’s die Russen oder Chinesen, weil Sie Zeit gewinnen wollen, um Geoengineering-Marktführer zu werden. Oder was weiß ich…“
„Das möchte ich wiederum für großen Schwachsinn halten. Ist es nicht ein paranoider, typisch westlicher Reflex, ständig die ach so bösen Russen oder Chinesen für alles verantwortlich zu machen?“, konterte Mary ein bisschen zu empört und direkt, um nicht einen Ausdruck deutlichen Unwillens im Gesicht des Kapitäns hervorzurufen. Er entschied sich jedoch wegen des reizenden Lächelns, das sie wie zur Entschuldigung hinterherschickte, gutmütig zu bleiben und brummte bloß:
„Linke Demokratin, wie? Hm, wie auch immer. Vielleicht wäre es das Klügste, zu diesem Zeitpunkt immer noch alles für möglich zu halten und nichts voreilig auszuschließen. Damit blieben selbst die christlichen Fundamentalisten im Rennen.
Was denken Sie denn, Dr. Morris? Oder sollte ich lieber Larry sagen?“
„Ja, sagen Sie ruhig Larry, dann gewöhnen wir uns gleich alle daran. Ich teile Ihre Meinung, im Moment noch nichts auszuschließen. Voreilige Schlüsse sind eine verführerische Falle für jeden Detektiv, die ihn später womöglich viel Zeit kosten kann.“
Joshua nickte zustimmend und stellte dann seufzend fest:
„Leider muss man ganze vier Wochen nach dem Verschwinden von Gamma 2 sagen, dass wir uns hinsichtlich unserer Erkenntnisse immer noch um den Nullpunkt herum bewegen. Die Untersuchungen der englischen Polizei und Küstenwache verlaufen sehr schleppend. Angeblich hat sich mittlerweile auf Druck eines Ausschusses der amerikanischen Regierung der englische Geheimdienst GCHQ eingeschaltet. Es ist eine neue Information, die Susan und ich erst gestern von Ronan erhalten haben. Falls wir und die Polizei dadurch endlich bald Zugang zu allen relevanten Satellitenaufnahmen erhalten sollten, die zu dem entsprechenden Zeitpunkt von unserem Standort in der Nordsee gemacht wurden, wäre das natürlich eine sehr positive Entwicklung. Davon abgesehen gibt es wenig Anlass zur Hoffnung. Der einzige Lichtblick ist die Ankunft von Ihnen beiden hier. Allerdings frage ich mich, wo Sie ohne irgendwelche Indizien mit Ihren Untersuchungen ansetzen wollen.“
„Also ganz ohne Indizien sind wir ja nicht“, entgegnete Mo mit einem wissenden Lächeln und berief sich dann auf einige Informationen, die Sie von Ronan Donovan auf Block Island noch erfahren hatten.
„Wie ich von Mr. Donovan hörte, wurde Gamma 2 mit nur geringfügigen Spuren von Gewalteinwirkung von Aqua City abgekoppelt. Die 32 dicken Stahlbolzen, mit denen die Plattform in das unter Wasser liegende, alle Nachbarinseln unsichtbar verbindende Eisengerüst eingekoppelt ist, wurden fein säuberlich herausgetrennt. Die beiden Stege aus Eisenrosten, über die man von Gamma 2 zu den beiden weiter innen liegenden Forschungsplattformen Beta 2 und 3 gelangen konnte, wurden abgeschraubt und zurückgelassen. Insgesamt acht rund um die Insel angebrachte Überwachungskameras wurden durch das Entkoppeln der unter den Stegen verlaufenden Hauptkabelbäume, durch die Gamma 2 mit dem Zentrallabor auf der Hauptinsel verbunden ist, von Anfang an außer Gefecht gesetzt. Ich möchte das alles für ein sehr wichtiges Indiz halten!“
„Sie meinen, es ist ein Indiz dafür, dass die Täter über die entsprechenden technischen Details sehr gut Bescheid gewusst haben mussten?“, fasste Joshua eine Schlussfolgerung in Worte, die auf Aqua City längst dem allgemeinen Stand der Erkenntnisse entsprach.
„Ja natürlich, anders hätten die Täter die Insel so schnell nicht abtrennen können und hätten erheblich länger als nur zwei oder drei Stunden in der tiefen Nacht dafür gebraucht. Für das Herausschlagen der Bolzen müssen Taucher eingesetzt worden sein, die genau wussten, was sie taten. Folgerichtig hat sich daraus der allgemeine Verdacht entwickelt, dass irgendeiner unter ihren heutigen oder früheren Mitarbeitern absichtlich oder unabsichtlich technisches Wissen weitergegeben haben könnte.
Ich verfolge allerdings noch einen weiteren Ansatz und habe noch vor meinem Abflug nach London entsprechende Maßnahmen zu Hause eingeleitet.“
„Dann weihen Sie uns ein!“, verlangte Susan und verriet damit, von diesem Ansatz noch keine Ahnung zu haben, obwohl Mo in enger Absprache mit ihrem Mann Ronan gehandelt hatte.
„Ich nehme an, Mr. Donovan hat die Sache nicht an die große Glocke gehängt, weil er zunächst erste Erfolge abwarten wollte. Es geht um den Verdacht, die Täter könnten ihre Informationen durch diejenigen erhalten haben, die Aqua City entwickelt und gebaut haben. Auch hier gelten die beiden Varianten, dass es entweder absichtlich oder unabsichtlich geschehen sein könnte. Konkret dreht es sich um mehrere Ingenieurbüros sowie den amerikanischen Konstrukteur Bloom & Blacksmith, der auf den Bau von Sonderschiffen und großen, technischen Modulen für Bohrinseln spezialisiert ist. Die Konstruktionspläne von Aqua City liegen auf den Servern der beteiligten Firmen und könnten im Auftrag der Täter gehackt worden sein. Da ich dies ohne fremde Hilfe nicht herausfinden kann, habe ich meine Kontakte zu dem bekannten Detektiv Tim Diamond reaktiviert, der über hervorragende Verbindungen und Möglichkeiten verfügt. Er wird herausfinden, ob es Hackerangriffe auf die betreffenden Firmen gab. Falls ja, wird er es mit Hilfe von Spezialisten vielleicht sogar schaffen, den Weg zu den Urhebern zurückzuverfolgen. Das ist eine aufwändige detektivische Arbeit, die wohl weder die englische Polizei noch der englische Geheimdienst übernehmen würde. Da müssen wir schon selber ran! Um Satellitenaufnahmen wollte sich Diamond übrigens ebenfalls kümmern!“
„Alle Achtung, Larry! Vor kaum einer Woche haben Sie meinen Mann auf Block Island getroffen und heute sitzen Sie bereits hier auf der Miss Mary Blue und haben einige komplexe Untersuchungen in die Wege geleitet“, belohnte Susan Mos Ausführungen mit einem dicken Lob.