Kitabı oku: «Wettkampfkulturen», sayfa 14
Ihre Leistung wird ersichtlich, wenn man Latenz als formale Struktur der Vervielfältigung analysiert, die nicht nur entzieht, sondern dabei spezifische Spielräume eröffnet. Kurz sei daher an die eingangs skizzierten Vorüberlegung erinnert. Latenzbeziehungen enstehen demnach durch doppelte Funktionszusammenhänge, die alternierende Unterscheidungen sowohl aufdecken als auch verbergen können.73 Auch Hartmanns Klage macht von beiden Möglichkeiten Gebrauch. Vor allem die erste Hälfte des Streitdialogs deckt auf, dass der Kampf im muot nicht bloß von einfacher Differenz oder Einschachtelung ausgeht (die etwa das Herz im Körper verortet), sondern ihre Unterscheidung fortlaufend rekursiv wiederholt. Diese Formbildung erfolgt insgesamt im Kontext des Körpers, der zu Beginn des Dialogs die Stimme des jungen Mannes übernimmt. Zu ihrer Einfaltung trägt bei, dass sowohl Herz als auch Körper für sich ebenfalls Innenseiten produzieren, wie sie der muot für die Rahmenperson eröffnet. Mit der Metapher der Tiefenströmung reklamiert etwa der Körper eine verborgene Eigensphäre, die ebenfalls als muot bezeichnet wird. Umgekehrt sieht sich auch das Herz noch weiter verborgen als nur unter körperlicher Oberfläche, wenn es sich mit Blumen unter der Schneedecke vergleicht und dabei dem Körper die Rolle der Sonne zuweist. So kurz derartige metaphorische Operationen aufleuchten, in allen Fällen vervielfältigen Körper und Herz dadurch Innenseiten, in welche wiederum die Reden und Bezeichnungen des Streitpartners eintreten können. Auch dies zielt weniger auf stabile Ordnung als auf fortlaufende Reorganisation, die Innenseiten vertieft.
Zwar wird also der Kampf als unbeobachtbar im Innern postuliert (V. 31: verswigen ungemach), doch verschreibt sich der Dialog genau dieser Beobachtung des Unbeobachtbaren. Als »Ort einer intellektuellen Auseinandersetzung« schlechthin trägt der Begriff des muot diese paradoxe Einschachtelung.74 Er bezeichnet einerseits die gesamte Form, indem er den gesamten Gesprächsraum konstituiert (V. 25). Andererseits bezeichnet er die uneinsehbaren Grenzen, die Herz und Körper fortlaufend ziehen, unterlaufen und nachziehen; indem Hartmann vom muot im muot erzählt (V. 140, 208, 662, 916 u.ö.), bringt er somit die mentale Einheit von Opposition und Zusammengehörigkeit auf den paradoxen Begriff.
In formalem Sinne wird damit das Selbst als Kulturierungsraum entworfen – als Serie ineinander gestaffelter Räume, die einander bedingen, aber sich kommunikativ zugleich autark abgrenzen (bis hin zu Rückzugsphantasien, V. 380f., oder zur Komik unmöglicher Tötungswünsche), die füreinander intransparent sind, obgleich sie sich als interdependent begreifen. Angesichts solcher paradoxen Innengrenzen überrascht es nicht, dass auch der für die Latenzarchitektur zentrale Begriff des muot ebenfalls ambivalent konnotiert ist. Einerseits betrachtet das Herz den muot ganz allgemein als eigene Domäne, über die es herrsche (V. 916); andererseits muss es anerkennen, dass dem Körper nicht einfach rehte[r] muot (V. 580) aufzudiktieren ist, sondern dieser sich auch selbst orientiert (wenn auch zum Schlechten, V. 243: bœser muot), dass der Körper unbeweglich in Bequemlichkeit verharren (V. 860) oder unbelehrbar bleiben kann (V. 815: vil lêre ich an dir verlôs). Auch das Herz konstatiert daher: Uns dienet niht gelîcher muot (V. 945). In verwirrend dichter Abfolge reiht der Dialog somit muot als Gesamtmedium, als rationales Vermögen des Menschen und als variabel auszuprägende Haltungen (vgl. insbes. V. 1130–1144). Während der Begriff der Seele nur sporadisch fällt und keinen nennenswerten Beitrag zur Organisation von Latenz leistet, setzen Bezugnahmen auf den muot umso größere Unterscheidungsleistungen in Gang; den muot aufrecht zu erhalten, erfordert Mühen (vgl. V. 781–800 u.ö.) – dâ hœret arbeit zuo (V. 613) – und dies gilt auch für den Rezipienten. Gemessen an diesem Anspruch wird verständlich, dass ein vergleichsweise differenzarmes Modell der Selbsthaltung, wie es der Kräuterzauber âne haz im Herzen anbietet (V. 1322), letztlich folgenlos verworfen wird.
Sofern sie nicht blockieren, erzeugen Paradoxien Bewegung – »Kippkalküle« prägen daher besonders die Argumentationsstruktur des Streitdialogs.75 Trotzdem vertieft Hartmann diese Dynamik nicht grenzenlos, sondern nimmt schließlich auch Differenzen zurück; wie jeder Dialog einmal enden muss,76 schließt auch der Streitdialog von Herz und Körper. Ab der stichomythischen Mittelachse beginnt die Klage, ihre Paradoxien zu restabilisieren. Äußerlich weist darauf schon der Verfahrenswechsel hin, der die Autokommunikation zwischen Herz und Körper zu einem äußeren Kommunikationsakt vereinfacht, der sich an die Dame richtet. Die Gelenkstelle bezeichnet der Streitdialog explizit mit einem letzten stichomythischen Wechsel: [›]nû solt dû, lîp, hin ze ir [= der Dame] / unser fürspreche sîn.‹ / daz tuon ich gerne, herze mîn. (V. 1642–1644). Aber wer spricht nun? Ohne Frage der Körper, der somit die Latenzform zu einer Stimme verdichtet.77 Und doch ist nicht so einfach anzugeben, wer spricht.78 Denn die Rede speichert zugleich Metaphern und Differenzen, die aus dem Streit mit dem Herzen gewonnen wurden bzw. direkt auf diesen zurückgehen. Betont werden innere Haltungen und Intentionen (V. 1729), das Herz als ›brennender Abgrund‹ des Begehrens (V. 1656, 1809), als Innenraum der Klage (V. 1740), der Sorge (V. 1787) und der Zweifel (V. 1829). Aufgerufen werden ebenso jene Bilder der Latenz, mit denen Herz und Körper den Streitdialog vertieft hatten. Das Ich schwimme gleichsam tief im Meer, weit vom Ufer entfernt, und wolle wegen seiner Sorgen tief in die Fluten gehen:
jâ lebe ich sam ich swande
über tiefen sê dan man hât
verre unz ze sande
(V. 1762–1764)
wan des tiefen meres fluot
mit sîner breiten flüete,
swie in vil selten ieman wuot,
für disen kumber ich in wüete.
(V. 1803–1806)
Die Preisstrophen zitieren den Bildbereich der Tiefe und variieren gleichzeitig seine Aussagerichtung – Latenz wird nun programmatisch bejaht. Gleiches gilt für den Jahreszeitentopos der Blüte: Klagte das Herz im Streitdialog, wie eine Blume unter einer Schneedecke zu leiden, die vor der sumerzît (V. 825) aufgehe, so behauptet das Ich im Frauenpreis ungleich selbstbewusster, nichts auf des sumers bluot zu geben (V. 1789), wenn sich die Dame nicht ihm zuwenden wolle. Die Schlussstrophen kondensieren somit ein »Gesamt-Ich«79 im Rückgriff auf Bezeichnungen und Bilder der Latenz, die neu akzentuiert werden. Auch den Wettstreit im Innern bezieht dieses Ich als ganzes auf sich (V. 1655).
Damit lässt sich die funktionale Leistung des Streitdialogs genauer ermessen. Um es deutlich zu sagen: Hartmann bietet keinerlei Lösung an für die thematische Aporie,80 die der strophische Schluss nochmals in Erinnerung ruft: Weshalb sollte die Dame gelouben mînem munde, der beteuert, von grunde des Herzens zu lieben (V. 1657–1660)? Obwohl sich Herz und Körper explizit auf gemeinsame Lösungsstrategien zu annehmbarer Minnekommunikation einigen, setzen die Schlussstrophen davon nichts um – sondern fallen im Gegenteil auf jene Werbungsrhetorik zurück, deren Glaubwürdigkeitsdefizite eingangs entlarvt wurden.81 Auch der erklärte Eid verschafft dem Frauenpreis keinen neuen Rückhalt, sondern die Dynamik eines latenten Wettkampfs, der zunächst eingefaltet, d.h. potenziert wird, bevor er wieder ausgefaltet, d.h. in seiner Differenzordnung zurückgenommen wird. Negativ gesagt zielt die Latenzstrategie der Klage darauf, ein Kommunikationsproblem temporär zu blockieren, indem es internalisiert wird; das Streitgespräch liefert dafür seit der Antike ein etabliertes ›kryptisches‹ Verfahren, das empfiehlt, Absichten und Ziele zeitweise zu verbergen.82 Der strophische Schluss bietet in dieser Sicht umso weniger eine inhaltlich überzeugende Lösung, als er lediglich nach innen gestaute, vervielfältigte Differenzen nach außen wendet und vereinfacht.83
Positiv betrachtet aber bietet der Text eine Transformationsdynamik an, die zwei Bewegungsrichtungen einschlägt: Beginnt die Klage damit, den muot der Modellperson als Differenzordnung aufzudecken, so verbergen die Schlussstrophen diese Differenz, ohne sie zu löschen. Als Wechselform erhöht Latenz somit die Komplexität der Stimme gerade dadurch, dass Innen- und Außenkommunikation der Klage nur als labile Transformationsdynamik, nicht aber als Bestimmungsverhältnis aufeinander bezogen sind. Dies könnte erklären, weshalb Forschungsversuche letztlich erfolglos blieben, die Problemlösung des Binnendialogs oder die Sprecherinstanz des Dialograhmens zu identifizieren. Verleiht dies den Preisstrophen etwas Unentscheidbares, so ist ihre Stimme keineswegs nebulös: Der, der am Ende spricht, erweist sich anschließend als komplexer;84 auf dieses Wahrnehmungsangebot zielt die Vervielfältigung durch inneren Streit.
Dazu ist nötig, Differenz zu verdecken, ohne sie zu annullieren. Deshalb führt der Weg der Schlussstrophen nicht über Negationen, um etwa die Unterscheidung von Herz und Körper zu widerrufen, sondern führt zu ihrer Externalisierung. Dies leisten insbesondere religiöse Diskurszitate, die in der ersten Hälfte des Streitdialogs den Konflikt von Herz und Körper als Orientierungsproblem zwischen Gott und Teufel einordnen: Betrügerische Männer wünscht der Körper zum Teufel (V. 250), denn Frauen zu verführen, sei eine werltwünne, die Gott bestrafen möge (V. 277f.); formelhaft bittet der Körper das Herz um Nachsicht durch got (V. 407, 413); umgekehrt mahnt auch das Herz zu Gottvertrauen und warnt vor Gottes Strafen und der Verführungskraft des Teufels (V. 807–820);85 Gott habe beiden eine gemeinsame Seele verliehen, die zum Heil zu bewahren sei, um nicht dem Teufel überantwortet zu werden (V. 1034–1060). Je tiefer sich der Streitdialog eingräbt, desto seltener fallen derartige Bezüge. Nach dem stichomythischen Wortgefecht sind sie nahezu verschwunden.86 Die Schlussstrophen jedoch greifen wieder verstärkt auf solche Referenzen zurück, die sie auf geringem Versumfang verdichten: Während der Teufel nach Schaden trachte, halte sich das Ich in seiner Rede an Gott (V. 1683–1687) und bittet die Dame um ihres Schöpfers willen um Zärtlichkeiten (V. 1721–1725) – Verweigerung aber wäre Sünde (V. 1783, so auch V. 1875f.); Gott möge das Ich vor Sorgen behüten (V. 1788). Mit der Schlussformel unterstellt das Ich seine Seele und seinen Körper ganz der Verfügung der Dame (V. 1911f.). All dies verbindet die Klage mit prominenten Modellen von Seelenkämpfen – von Tugendkatalogen (Psychomachia) über Anklage- bzw. Gerichtsordnungen zwischen Gott und Teufel (Vorauer Sündenklage) bis zu Spaltungsphantasmen, die wieder auf die traditionelle Doppelformel von anima und corpus zurückgreifen (Visio Philiberti). Doch tragen derartige Bezüge kaum so weit, den gesamten Text in einen moraltheologischen Kontext zu transportieren,87 so punktuell und unverbunden bleiben sie gegenüber der Diskussionsstruktur des Wettkampfdialogs. Auch untereinander scheinen Verweise auf die Seele – vom gotteslästerlichen Schwur bis zur orthodoxen Ermahnung – auffällig unabgestimmt: »Die Seele ist daher ohne weiteres ambivalent einsetzbar, als ironieverdächtige Hyperbel ebenso wie als theologisch gewichtiges Argument«.88
Religiöse Diskurszitate liefern dadurch allenfalls bewegliche Bruchstücke, keinesfalls aber feste Ankerpunkte, um den Kampf im Menschen nach außen zu stülpen.89 Dennoch tragen sie dazu bei, Differenz zurückzunehmen, genauer: die Differenz der Streitpartner insgesamt wieder in äußere Kontexte zu befördern. Noch als semantische Spurenelemente verhelfen Bezüge auf Gott, den Teufel oder die Seele dazu, die Schlussstrophen in strukturellem Sinne zu externalisieren: Sie bringen die Form, die der Streitdialog intern vervielfältigt hatte, in den Kontext von Redeordnungen zurück, welche die gesamte Modellperson umgreifen.
(4.) Verstetigung. Die Klage bezeichnet diese doppelte Transformation selbst als Stabilisierung. In diesem Sinne rät das Herz zur stæte:
grîf vil stæticlîchen zuo,
als der dâ beherten wil
durch miete ûz unz an daz zil,
und kum niht gâhes an sî,
daz ir dîn gewerp bî
unstæticlîchen wone.
dâ erkennet sî dich vone
in stæticlîchem muote;
des vergiltet dir diu guote.
(V. 1542–1550)90
Auch die Schlussempfehlung der Streitpartner antwortet auf das Ausgangsproblem also paradox: Nicht Lösungsannäherung ermöglicht die Erkennbarkeit des Innen, sondern beständig gehaltene Distanz. Hält man sich an den präskriptiven, unwidersprochenen Gestus solcher Aussagen, könnte man in dieser lêre eine Textintention hören (bes. V. 1614).91 Aber handelt es sich dabei um ein Programm?92 Postuliert die Stimme des Herzens die Leitvokabel eines »ritterlichen Tugendsystems«, wie es Wolf Gewehr durch akribische Rückgriffe auf die lateinische Terminologie geistlicher Tugendlehren nachzuweisen versucht hatte?93
Tatsächlich genießt das Konzept der Stetigkeit metapoetischen Status. Doch bezeichnet es weniger einen »Normbegriff«94 als eine konkrete diskursive Praxis. Die Klage entwirft dazu das aufwändige Arrangement eines latenten Wettkampfs, der interne Konsistenz zwischen Instanzen begünstigt, die sich agonal verstetigen. Je für sich schreiben sich die Streitpartner solche Beständigkeit zu: Permanent sorge sich das Herz und ›schlafe niemals‹ (V. 691–694); trotz Morddrohungen bekennt sich auch der Körper zu unendlicher Qual (V. 398). Wie es für beide unmöglich ist, unvermittelte Einheit zu erzwingen, gelingt es weder praktisch noch argumentativ, Trennlinien zu ziehen. Wie die Metaempfehlung des Herzens treffend benennt, verstetigen sich die Streitpartner also in dieser ›mittleren Distanz‹ des offenen Problems: nah, aber unterschieden. Einen Raum für diese Nahdistanz eröffnet der Dialog im muot.95 Konsistenz gewinnt das Ich also nicht durch eine gefestigte Position – darin liegt, so meine ich, die experimentelle Zumutung der Klage –, sondern durch die Dynamik.
Als ethisches Programmwort tritt stæte damit hinter die diskursive Praxis der Verstetigung zurück. Entsprechend nehmen die Schlussstrophen den Begriff zurück, um an seiner Stelle eher Argumente und Bilder zeitlicher Beständigkeit zu projizieren:
Sît ich dîn künde ie gewan,
sô bist dûz alters eine
der ich mir ze frouwen gan
(V. 1735–1737)
ich wæne ê wazzer unde walt
und diu erde verbrinne
– daz ist zuo dem suontage gezalt –
und uns der tage zerinne,
möhte ich werden alsô alt,
ê ich von dir die sinne
benim, swie lützel ez noch galt,
ich diene umb dîne minne.
(V. 1831–1838)
Ist daz ich mînen langen wân
nâch heile volbringe
den ich nâch dînen minnen hân
[…] (V. 1861–1863)
Aus dem Zusammenhang gerissen klingt dies nach konventionellen Elementen der Minnewerbung. Im Kontext der Transformationsbewegung, die den aufgedeckten Widerstreit in die verbergende Rede des Gesamt-Ich überführt, lässt sich dies jedoch als signifikante Verflüssigung lesen: Nach der Einfaltung des inneren Streitzustandes gewinnt die Klage jene kommunikative Außenrichtung zurück, die zu Beginn durch Zweifel blockiert schien. Man kann dies als Analogon einer Tugendprobe verstehen,96 sollte aber nicht übersehen, dass nicht Zustände, sondern allein der Prozesscharakter des Wettkampfs dieses kommunikative Potenzial regeneriert. Nicht als normativer Bezugspunkt oder vermeintliche Einsicht in richtige ›Werte‹ hilft stæte Kontingenz zu überbrücken, so wäre dann zu folgern, sondern als eine diskursive Praxis fortgesetzten Streits, der seine Konsistenz zusammenfasst. Die Strophenstruktur der Schlussrede hebt in ihren identischen Kreuzreimen dieses Konsistenzinteresse auch formalästhetisch hervor.
Hartmanns Klage spielt damit, diese latente Streitkomplexität nicht bloß ganz allgemein zur Stimme eines jungen Mannes zusammenzufassen, sondern zugleich als Autorperson des Textes zu deklarieren. Schon die Einleitung lässt grammatisch in der Schwebe, Hartmann entweder als Parallelfall oder sogar als Erfahrungsträger der latenten Klage zu identifizieren:97
daz waz von Ouwe her Hartman,
der ouch dirre klage began
durch sus verswigen ungemach.
sîn lîp zuo sînem herzen sprach:
[…] (V. 29–32)
Die Auftaktrede des Körpers greift den Namenszusatz, gleichsam eponym für den Sprechakt des Klagens und durch Initiale im Ambraser Heldenbuch hervorgehoben, unmittelbar auf: Ouwê, herze und dîn sin (V. 33). Auch die Schreibung des Heldenbuchs selbst nähert Klage und Autor lautlich wie graphemisch einander an.98 Ähnlich wie Heinrichs von Neustadt Übertragung der Visio Philiberti oder die Mariendichtung Heinrichs von Mügeln ermöglicht auch die Wettkampfordnung von Hartmanns Klage, ihre Konsistenzgewinne zu einer Autorperson zu kondensieren.
Damit öffnen sich weitere Wirkungsebenen von Wettkampfformen, die bis zur Formung ihrer Autorreflexion ausgreifen. Ein gemeinsamer Zug scheint ihr Verlängerungsinteresse zu sein. Statt auf ewigen Frieden, wie ihn die Erzähltradition der Seelenkämpfe seit Prudentius ersehnte,99 zielt Hartmann auf Ausweitung und Vertiefung des Kampfes. Die Klage demonstriert, dass »Täuschung, Verstellung und Verkennen« nicht bloß »komplexe und vielschichtige Erzählmotive« höfischer Literatur bilden.100 Vielmehr erzeugt und sichert ihre Ein- und Ausfaltungsdynamik eine Komplexität literarischer Kommunikationsinstanzen, die begriffsgeschichtlichen Interessen weitgehend verborgen blieb. Hartmanns vergleichsweise kürzerer Text geht damit über eine komplizierte Minnereflexion weit hinaus, als die man die Klage lange verstand und marginalisierte. Ihre Arbeit zielt vielmehr auf Vervielfältigung des Selbst nach Innen, die unter erhöhtem Kontingenzbewusstsein der Rede neue Redemöglichkeiten generiert.
2.5 Wettkampfethik: Thomasin von Zerclære und die Habitualisierung der Unordnung
Die Liebeserfahrung, von der Hartmanns Vervielfältigung des Selbst ausgeht, bewog die Forschung, Resonanzen der Klage vornehmlich im Minnesang zu suchen.1 Systematische Anschlussstellen sind zahlreich zu greifen: Unerfülltes Liebesbegehren treibt das Ich in kämpferische Spaltungsphantasien zwischen herze und lîp (Friedrich von Hausen);2 Kontingenz von Kommunikation wird nicht nur als Ausdrucksproblem beklagt, sondern vervielfacht die Rollen erlebender und ästhetischer Ich-Artikulation (Heinrich von Morungen);3 Unordnungen von Seele, Herz und Körper werden zum Argument für neue Sprachspiele der Liebe (Walther von der Vogelweide).4 Aber auch narrative Reflexionen führen Experimente mit latenter Vervielfältigung fort, die weit über den Liebesdiskurs hinausreichen.
Einen besonders aufschlussreichen Fall stellt der Welsche Gast (1215 / 1216) Thomasins von Zerclære dar,5 der das Latenzmodell des Seelenkampfes zur Selbstbeschreibung höfischer Ethik adaptiert.6 Um die Verstetigung des höfischen Habitus zu illustrieren, greift auch Thomasins Lehrdichtung im VI. Buch (V. 6799–8470) zu traditionsreichen Allegorien des Kampfes. Wer Heil im Jenseits erwerben wolle, der müsse schon im Diesseits permanent kämpfen – mit der Fahne der Tugenden gegen das Teufelsheer der Laster (V. 7369–7384):
swenn wir tuon ihtes unreht,
der tiuvel uns ân den schilt s lecht.
sô sul wir danne kêren dar
der guoten gedanke breite schar
unde suln daz unreht lâzen,
sô muoz danne der vînt verwâzen
von uns in der helle gluot.
(V. 7373–7379)
Thomasins Appell bezeugt zweierlei, sowohl das externale Modell des Seelenkampfes als auch neue Züge der Interiorisierung. Zum einen führt die Frage des richtigen Lebens auf den Spuren der Psychomachia zu einem imaginären Kampfplatz zwischen Teufel und Gott, irdischer Verführung und jenseitigem Gericht, Hölle und Himmel. Hatte das VI. Buch mit einer Reihe alttestamentarischer Exempel von Mühsal und belohntem Gottvertrauen eröffnet (Joseph, Moses, David), so führt Thomasin wenige Verse später vier Schlachtverbände von Lastern vor Augen, denen sich jeder edel rîter guot (V. 7385) zu stellen habe:
Nu nemt war, edel rîter guot,
wie sich dort machet Übermuot
wider iuch mit ir schar:
ir solt sî undermachen gar.
[…] (V. 7385–7388)
Sich umbe, edel rîter guot,
und merke waz Girescheit tuot.
si wâsent sich mit ir gesint.
[…] (V. 7395–7397)
Seht ir niht der Unkiusche schar
diu sich dort hât gewâfent gar?
in ir schar vert Leckerheit,
Vrâz und ouch Trunkenheit.
[…] (V. 7401–7404)
Diu trâkeit hât ouch ir schar
gewâfent und bereitet gar.
(V. 7411f.)
Laster, die sich sofort wuchernd zu vervielfältigen drohen (z.B. V. 7398–7400), sind mit besonderer Aufmerksamkeit zu bekämpfen: nu wer dich, edel rîter, wer! (V. 7466). Dem dichotomen Differenzmuster entsprechend hält ihnen Thomasin die allegorische Montur eines Ritters entgegen, der mit der Fahne der Weisheit, dem Schwert des Rechts, dem Schild der Klugheit, in der Rüstung der Sicherheit und dem Helm des Glaubens gegen diese anreitet. Dem Pferd der Hoffnung solle er die Sporen der Tapferkeit geben, fest im Sattel der Beständigkeit und das Zaumzeug der Keuschheit fest in der Hand, den Speer der Demut gegen die Untugenden gerichtet (V. 7470–7500). Umbesetzungen sind nicht von der Hand zu weisen: Konfigurierte Prudentius eine Oppositionsstruktur von Tugenden und Lastern, so werden Tugenden zur Montur des Subjekts verwandelt: »Der ritterliche Protagonist muss die übermächtig wirkenden Lasterscharen vielmehr allein bestehen, was die Spannng beträchtlich erhöht.«7
Gleichwohl setzen die Beschreibungstechniken, die Thomasin in dichter Folge aufbietet, grundsätzlich das Leitmodell veräußerlichter Seelenkämpfe fort, wie es die Psychomachia vorgeprägt hatte: Aufzählung und Clusterbildung von Tugend- und Lasterbezeichnungen, allegorische Beschreibung der Rittergestalt, evidenzorientierte Anweisungen8 und vorwiegend externe Raumdeixis9 stülpen das Kampfszenario imaginär nach Außen. Auch Thomasins heilsgeschichtliche Typologie der Kampfaufforderung,10 seine Denunziation teuflischer Angriffe vor gotes geriht (V. 7657, 7671 u.ö.) und die nachdrückliche eschatologische Zielperspektive11 knüpfen an die Tradition von Kampfordnungen an, die den Menschen im Widerstreit ›aus sich heraus bringen‹12 und dadurch letztlich Widerstreit zu ordnen, zu überwinden und auszuschalten suchen. Medial verstärkt wird diese externe Oppositionsstruktur von Bildprogrammen, die Tugenden und Laster in Reihenkämpfen einander gegenübersetzen und asymmetrisch ordnen.13
Gegenläufig dazu zeigt die zitierte Passage des VI. Buches aber auch, wie Thomasin diese externalen Modellvorgaben mit innovativen Beschreibungen und Mustern kombiniert, wie sie Hartmanns Klage entwickelt hatte: Auch der Welsche Gast zielt auf Verstetigung, Latenz und Vervielfältigung der Wettkampfform. Diese Ausweitungen setzen bereits bei der Sozialreferenz des Wettkampfszenarios an, das sich zunächst an adlige edel rîter guot wendet, dann aber ihre Rittersemantik und die Beschreibungen von Lastern und Tugenden auf jeden ausdehnt, der nur ethische Vollkommenheitsansprüche an sich stelle (Herv. B.G.):
Swer rîter heizet ode ist,
der sol sich ze dirre vrist
ze wer bereiten harte wol.
ein ieglîch biderbe man sol
beidiu an alter und an jugent
sich wâfen gegen der untugent.
(V. 7419–7424)
Auch an vielen anderen Stellen pendelt Thomasins Lehrschrift gleichsam zwischen elitärer Begrenzung und Entgrenzung ihres impliziten Adressaten (swer, man, wir etc.).14 Wie die zitierte Definition zugleich spiegelt, wird auch die Zeitdimension gedehnt. Was die Allegorie von Lastern und Tugenden als präsentisches, punktuelles Kampfgeschehen vor Augen stellt (V. 7457: nu tuo war; 7466: nu wer dich etc.), zeichnet Thomasin zufolge eine lebenslange Aufgabe vor (an alter und an jugent, V. 7434, nochmals V. 7704 u.ö.), genauer: eine Aufgabe, die in jedem Moment neu zu bewältigen sei (V. 7648: zaller stunde, V. 7478: zaller vrist), die andauerndes Bemühen fordert (V. 7803: tac unde naht), ganz gleich swie lange (V. 7427). Entworfen wird damit eine Zeitstruktur der »Dynamisierung«,15 die durch Akte kämpferischer Unruhe auf Permanenz zielt. Während die natürliche Welt auf Makroebene ihre Struktur durch unablässigen Wettkampf der Elemente gewinne (V. 2420: der strît wirt alle tage getân), bilde sie auch der Mensch auf Mikroebene in sich täglich neu. So nachdrücklich Thomasin also die Ethik des Wettkampfs auf ihr transzendentes Telos verpflichtet, so beharrlich dehnt sich solcher Wettkampf im Diesseits: swer wil êwiclîchen leben, / der muoz vehten zaller vrist (V. 7528f.). Während Prudentius mit dem finalen Triumph der Tugenden, die schließlich Gott einen Siegestempel errichten, das eschatologische Ende des Kampfes betont, zeigt sich Thomasin vielmehr an der fortwährenden Spannung eines unabsehbaren Kampfes interessiert, der paulinische bzw. augustinische Lebensentwürfe fortschreibt.16 In gewisser Weise basiert auch dies auf einem Trägerdiskurs. Wie Hartmanns Klage den Kampf ausgehend vom Minnediskurs verstetigt hatte, verstetigt ihn Thomasin mit den Mitteln religiöser Semantik zum bellum continuum.17 Das allegorisch-überzeitliche Modell des Seelenkampfs wird dadurch nicht bloß temporalisiert. Vielmehr wird die dichotome Grundstruktur eben jenes Entscheidungsmodells aufgelöst und auf Dauer gestellt, das die Konfrontation von Tugenden und Lastern eindringlich aufruft:18 Das ganze Leben steht ›unter Waffen‹ (V. 7556). Übung und Bewährung statt raschen Siegen und Niederlagen – der Seelenkampf wird zum Trainingsplatz normativer Habitualisierung ausgebaut.19
Eine zweite einschneidende Veränderung der Erzähltradition zeigt sich im Hinblick auf die Medien, in denen sich normative Orientierung verwirklicht. Von der werlde als Handlungsraum schwenkt der Blick nach innen: Gut zu leben heißt, der guoten gedanke breite schar in den Kampf zu führen (V. 7376). Ritterschaft bestehe daher nicht im Zerbrechen von Lanzen (V. 7445f.), sondern in mentalen Dispositionen gegen Verlockungen der werlde: Gegen Vergnügungslust, körperliches Begehren und hämische Meinung helfen Klugheit, Glaube, Ehrfurcht, Gottesliebe und Hoffnung. Von diesen dianoetischen und kontemplativen Tugenden wendet sich Thomasin dann jedoch wieder nach außen, indem er zu Handlungen in der Welt rät. Zum richtigen Leben gehöre, ze tuon (V. 7788) zu haben, und zwar nicht nur mit Vergnügungen, sondern mit Rat und Tat (V. 7814): sô sol er tac unde naht / arbeiten nâch sîner maht / durch kirchen und durch arme liute (V. 7803–7805). Zielt die allegorische Imagination darauf, den Wettkampf zu internalisieren, so führt ihre Auslegung zurück auf ein äußeres Handlungsprogramm der vita activa. Diese Übersetzung spielt Thomasin fortgesetzt in beide Richtungen durch: Wer seinen täglichen Tätigkeiten und Pflichten mit Freude nachgehe, beweise guoten sin (V. 7849) und guote[n] wille[n] (V. 7844), im Diener solle man stets auch den Menschen ehren (V. 7868–7870), denn selbst im Unfreien ließen sich Seele und gedanc, der beste Teil im Menschen, nicht bezwingen (V. 7878–7880). Daraus folgen soziale Maximen: Seiner Frau wohlgesonnen und Angehörigen vertraulich zu begegnen, stehe dem Ritter gut an (V. 7831–7834). Immer rascher wechseln interne und externe Perspektiven, bis sich beide Richtungen zusammenschließen: der man hât einen vrîen muot / der gerne tuot daz er tuot (V. 7851f.). Die Innen-Außen-Differenz der Wettkampfform wird zur Kippfigur.
Zusammenfassend ergibt das eine spannungsreiche Mischung. Thomasin greift unübersehbar die Tradition externaler Seelenkämpfe samt ihrer ordnungsorientierten, auf Veräußerung inneren Streits gerichteten Teleologie und ihre allegorisch-ekphrastischen Darstellungstechniken auf, öffnet im Gegenzug jedoch die Wettkampfform für dynamische Wechsel. Vorbildliches Verhalten verdankt sich einerseits internalisierten Dispositionen und mentalen Akten (gedanken), muss andererseits aber auch beharrlich verkörpert und in konkreten sozialen Handlungsvollzügen realisiert werden (tuon); Tugend bedarf einerseits teleologischer Zielbestimmung (V. 7697f.: ze got […] / durch die rehten güete), andererseits aber fortgesetzter Übung, die unbestimmt ausgedehnt ist. Anspruch solcher Tugendlehre ist einerseits die exklusive Identitätsbildung (ritter), andererseits maximale Ausweitung jenseits von Standesgrenzen oder spezifischen sozialen Kontexten (biderbe man). Insgesamt zeigt sich damit eine Form, die zwischen Reduktion und Vervielfältigung der Differenzen von Seele und Körper, aber auch zwischen Abschluss und Iteration ihrer Zeitstruktur sowie Eingrenzung und Entgrenzung ihrer Subjekte pendelt. Auch dies kann man als Latenzzusammenhang im funktionalen Sinne interpretieren: Thomasins Ethik entwirft im Wechselspiel von begrenzenden und entgrenzenden Wettkampfformen ein normatives Leitbild, das sich in medialer, zeitlicher oder akteursbezogener Hinsicht entweder ausgesprochen einfach und verdichtet zeigt oder aber als komplex und widerstreitend enthüllt.
Innovativer als die Tugend- und Lasterkataloge, die Thomasin konventionell zitiert, ist also die Form des ethischen Selbstverhältnisses, in welche sie das VI. Buch einbettet. Innen- und Außenseiten, verborgene und aufgedeckte Komplexität des Modellsubjekts werden fortgesetzt wechselbar – Hartmann und, in noch kürzerer Gestalt, auch die Visio Philiberti hatten dies im Grunde genommen nur zweimal vollzogen. Das Latenzmodell wird damit zu einer Art Scharniermechanismus, um zwischen Innen und Außen, Verbergen und Aufdecken des Subjekts zu wechseln.