Kitabı oku: «Wettkampfkulturen», sayfa 15

Yazı tipi:

Schon im Abschnitt über den Wettkampf zeitigt das neue Unruhe. Denn mit der Beweglichkeit der Form erhöhen sich auch die Möglichkeiten, Identität als Differenzordnung aufzudecken. Zentrale Attribute und Vorgänge, die Thomasin dem Prozess normativer Habitualisierung einschreibt, neigen dadurch zur Spaltung. So z.B. das Konzept von arebeit / müe: Einerseits nämlich sei der Kampf gegen Laster vil müelîch (V. 7552, 7648 u.ö.), der Mensch habe die Mühsal als eigene Last infolge des Sündenfalls zu tragen (V. 7639–7642), weshalb man sich auch im Alltag unablässig um gute Handlungen bemühen müsse (V. 7804: arbeiten); andererseits solle man den Kampf im Zeichen der Tugend gerade nicht als grôz müe betrachten (V. 7431). Gleiches gilt für Bezeichnungen und Bewertungen des Kampfes: Einerseits sei strît das Ergebnis von Lastern (V. 7204) und seit dem Fehltritt Adams ein lästiges Übel der ›conditio humana‹, von der erst die Gnade Gottes erlöse (V. 7597–7630), während Konflikte im Diesseits die menschlichen Gemeinschaften zerreißen; andererseits gelange der Mensch nur mit dem strîte gegen Laster zurück zu Gott (V. 7697–7704). Statt Unordnung im Menschen auszuräumen, wie es die zitierte Erzähltradition externaler Seelenkämpfe anstrebte, gewinnen Thomasins bilde nur um den Preis latenter Unordnung ihr vorbildliches Profil.

Wo ausdrücklich gezählt wird (gegen fünf äußere Verlockungen helfen drei innere Tugenden; Buch VII: fünf Fähigkeiten innerhalb des Körpers richten sich auf fünf Dinge außerhalb etc.), ist die Unordnung nicht weit.20 Sie ist tatsächlich nicht auf die expliziten Wettkampfpassagen des VI. Buchs beschränkt, sondern prägt den Welschen Gast insgesamt. Von Anfang an begegnen Zurechnungsprobleme: Grundsätzlich könnten Körper innere Zustände und Emotionen zu erkennen geben, weshalb auch Laster und Tugenden an spezifischen Gebärden ablesbar seien (V. 912–926). Allerdings nur in Grenzen: Leider tröge sehr oft der Schein, weil viele Menschen ihre wahren Gefühle listig zu verbergen verstünden (V. 927–946). Weder stellt Thomasin also die Koppelbarkeit von Innen und Außen, muot und lîp grundsätzlich in Frage, noch spielt er ihre Kontingenz herunter, sondern betont beides: Habitualisierung bewegt sich damit von Anfang an in einem instabilen Spannungsfeld von sehen und heln. Tugend wird somit zu einer Form der Latenz, die natürliche Anlagen aufdeckt und aktualisiert, aber nicht voraussetzungslos oder gegen schlechte Grundlagen erzeugt werden kann.

Doch auch diese fortlaufende Differenzierungsdynamik der Latenz hat ihre Grenzen. So scheinen aus Transzendenzperspektive jederzeit Unterbrechungen möglich, wie Thomasin an anderer Stelle vermerkt: Niemand könne seine Gedanken (muot) vor Gott geheim halten (V. 3494–3502), latente Traumgedanken des Kampfs beende Gott mit dem Erwachen (V. 3483–3488). Im alltäglichen Zusammenleben aber drohen permanent Täuschung und Verstrickung, die eine Latenzperspektive des permanenten Kämpfens befördert.

Thomasin diskutiert dies ausführlich am Begriff der stæte, die er als Kardinaltugend und Voraussetzung aller anderen Tugenden bestimmt (V. 1707–2528).21 Sorgsam arbeitet er ihn aus Negationen heraus. Beständigkeit erkenne und erlange nur, wer sich von Unbeständigkeit abkehre, weshalb zunächst über unstæte zu sprechen sei (V. 1821–1836). Mit einer paradoxen Definition unterstreicht Thomasin, dass sein Diskurs der Vorbildlichkeit weniger auf trennscharfe Bestimmungen zielt. Es geht vielmehr darum, Verschränkungen zu entwirren: unstæte ist stæte an boesen dingen (V. 1839). Darin klingt erstens eine beunruhigende Einschätzung von Vielfalt an. Unbeständige wollten immer Verschiedenes, morgens dies und abends anderes, vor allem aber immer mehr (V. 1875–1893). Beständigkeit hingegen verlange Reduktion: swer stæt wil sîn, der sî an einem (V. 1894). Vereinfachung durch Begrenzung auf eine Domäne aber falle zweitens von Natur aus besonders schwer: Jedes Ding habe seinen Platz in der Welt, nur der Mensch könne seinen orden nicht halten (V. 2611–2614). Arme wollten reich werden, Diener herrschen und Mächtige bedürften Helfer und Ratgeber, die sie wiederum in Konkurrenz und Neid verstrickten. Der Machtlose verwickele sich in Kämpfen nächtlicher Racheträume, in denen er seine wehrlosen Feinde niedermetzele (V. 3455–3482), und der Ehrgeizige träume von ruhmvollen Turnieren im muot. Mit negativem Unterton spricht Thomasin in diesen Fällen von Traumlatenzen, welche die Gothaer Handschrift, vor allem aber die ältere Heidelberger Handschrift als vergleichsweise grob geordnete, clusterartige Kämpfe illustrieren.22

Auf allen Ebenen der Gesellschaft entfache dies Kampf: Städte, Länder und Reiche gerieten deshalb in Unordnung. Mit der gesamten christlichen Erzähltradition der Seelenkämpfe sieht Thomasin dahinter heilsgeschichtliche Ursachen: Über Adam, der nicht nur Urahn des inneren Kampfes, sondern ebenso der Unbeständigkeit ist (V. 2529–2578), werden allgemeine Menschheitsgeschichte und individuelle ethische Perspektive verbunden. Thomasins Wettkampfordnung der Tugend basiert damit nicht nur erzählerisch, sondern auch diskursiv, semantisch und genealogisch auf einer latenten Anthropologie der Unordnung.

Das Modell des Seelenkampfes entwirft den Menschen damit komplexer, aber auch ambivalenter. Thomasin lobt Latenzbeziehungen keineswegs einseitig, sondern verachtet Lüge und Intrige (so etwa prononciert im Buch II) – und formuliert zugleich eine Ethik, die sich Latenz in strukturellem Sinne anverwandelt. Eine solche Darstellungsstrategie, die je nach Perspektive zu Vereinfachung und Vervielfältigung einläd, schuf ein bewegliches Angebot zur sozialen Pluralisierung von Vorbildlichkeit, welche sich in feudalen wie bürgerlichen, in säkularen wie geistlichen Kontexten adaptieren ließ.23 Doch bereits um 1215 spiegeln Thomasins Diskurs der stæte und seine latente Form des Wettkampfs Kippfiguren von Verinnerlichung und Veräußerlichung, mit denen die höfische Erzählliteratur arbeitet. Protagonisten wie Hartmanns Gregorius bilden ihre Identität, indem sie zwischen Veröffentlichung und Verheimlichung »latenten Vorwissen[s]« oszillieren;24 und wie Thomasin den Ehrgeiz am Beispiel eines Mannes geißelt, der aus Ruhmsucht allein in sînem muot Turniere ausrichtet (V. 3809–3854), inszeniert auch Hartmann die Prätention höfischer Identität mittels Latenzphantasmen, die im Wechsel zwischen Innen und Außen prekäre Geheimzonen bilden. Wie das folgende Kapitel näher beleuchtet, vertieft besonders Hartmanns Iwein solche Geheimzonen der Latenz.

3 Unterlaufene Wettkämpfe: Zum Iwein Hartmanns von Aue

Nicht nur didaktische Texte wie Thomasins Welscher Gast beschäftigt die Frage, wie sich Identität mittels Kampf verstetigen und gleichzeitig dynamisieren lässt. Auch fiktionale Artusromane kultivieren seit dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts das Erzählen vom Kampf als komplexe Form von Inkorporierungsvorgängen, welche ihre normativen Dispositionen nicht nur verfestigen und einüben, sondern gleichzeitig – und mitunter sogar gegenläufig – deren Irritierbarkeit verstärken. Im Blick auf die ersten deutschsprachigen Adaptationen der Gattung galt das Forschungsinteresse jedoch lange Zeit den sozialen Normen und ethischen Perfektionsansprüchen von Zielzuständen, zwischen denen Krisen und Bewährungswege der ritterlichen Protagonisten allenfalls vermitteln. Während der Erec-Roman in diesem Sinne als Problemgeschichte sozialer Trägheit gelesen wurde, die ihren Tiefpunkt im verligen des Herrschers findet, galt der Iwein als komplementäre Kritik pflichtvergessener Rastlosigkeit, die zum versitzen im Sattel führe:1 Nachdem der Held durch aggressives Zweikampfverhalten âne zuht (V. 1056)2 und exzessive Turnierfahrten das Ideal ritterlicher Kontrolle bis in den Wahnsinn überschreitet, finde Iwein erst über den mühevollen Weg selbstloser Hilfstaten zurück in die höfische Gesellschaft – und damit zu einem maßvollen Habitus von Mitleid und Schonung, der Ehre und Minne kontrolliert ausbalanciere.3 Streit galt in dieser Perspektive als dysfunktional, während man den ritualisierten ritterlichen Kampf als Mittel der Konfliktlösung, Pazifizierung und Integration betrachtete.4

Diese Leitvorstellung höfischer Selbstkontrolle und Befriedung hatte Bruno Quast grundsätzlicher Kritik unterzogen: Statt Wildheit und Gewalt auszuschalten, lerne Iwein vielmehr, Gewaltpotentiale über die liminale Phase eines sozialen Dramas (Victor Turner / Arnold van Gennep) zu inkorporieren; höfische Kultur, so Quast, nehme Gewalt damit in sich hinein.5 Auch über den Iwein-Roman hinaus hat die mediävistische Erzählforschung seitdem den Blick für zahlreiche Hybridisierungsprozesse von Identität und interne Gewaltpotentiale höfischer Kultur geschärft.6 Revidiert ist damit die ältere Gattungserwartung, die den Artusroman als affirmatives Instruktions- und Reflexionsmedium von Vorbildlichkeit verstand.7

Auch wenn normative Interpretamente fragwürdig geworden sind und die Forschung vom damit eng verknüpften Strukturmodell des ›Doppelwegs‹ abgerückt ist, wurden einige seiner Basisannahmen nicht ersetzt. Hierzu gehört zum einen das Prozessschema der Entwicklung: Was auch immer Erec und Iwein aus- oder einüben, erleiden oder reflektieren, so die Prämisse, es fügt sich – trotz punktueller Kontingenz der Ereignisverknüpfung für die Protagonisten – zu einem linear gerichteten Weg.8 Es braucht kaum betont zu werden: »Mittelalterliche Erzählung ist Zeitkunst, zum sukzessiven Hören bestimmt.«9 Auch der Artusroman kann auf sequentielle Handlungsabfolge nicht verzichten, seine narrative Informationsvergabe erfolgt im Nacheinander. Doch ebenso auffällig sind in Hartmanns Iwein Momente, die sich linearer Organisation sperren. Dies betrifft nicht bloß den vermeintlichen Lernprozess entlang des Doppelwegs, der für den Iwein zu Recht problematisiert wurde.10 Dies betrifft nicht nur den quasi-mythischen Raum des Quellenreichs, in dem Raum und Zeit eher zyklisch als linear erscheinen.11 Und es betrifft nicht nur Hartmanns Vorliebe, seine Figuren in Dilemmasituationen eher ›perplex‹ zu verstricken, als sie daraus wiederum zu lösen.12 Es betrifft – noch grundlegender – die Prozessförmigkeit der Erzählung überhaupt. So konfrontiert der Roman zum Beispiel mit einer Geschehensordnung, die zwar von Aufbruch und Rückkehr des Helden zum Artushof, von Rückzugs- und Reintegrationsbewegungen in die höfische Gesellschaft geprägt ist, dies jedoch kaum mit trennscharfer Phasenstruktur unterlegt, wie sie das Prozessschema fordert: Während etwa die Schwellenphase der Identitätsbildung unendlich gedehnt erscheint, fehlen andere Phasen gänzlich oder durchkreuzen die Abfolge im Nacheinander.13 Trotz seiner Hilfeleistungen für andere erscheint Iwein »kein aktiv Suchender oder ein Ziel Verfolgender« zu sein, wie Jan Mohr anmerkt, »Identität und Selbstbewusstsein« werden im Erzählprozess allenfalls »aggregativ aneinander[ge]fügt«.14 Selbst Iweins Löwe, Symbol des liminalen Übergangs und damit des Prozesscharakters schlechthin, wird zwar markant eingeführt, dann aber mit auffällig unscharfen Enden ausgeblendet. Hartmanns Iwein erscheint damit als Entwicklungsroman, der seine eigene Linearität staut, ja sogar vielfach durchkreuzt.

Eine zweite grundlegende Prämisse der Artusromanforschung hat Annette Gerok-Reiter darin ausgemacht, diese Entwicklungslogik auf Individualisierungsprozesse zu beziehen, genauer: auf die historische Genese von Subjekten, die sich im Zuge von Bewusstsein reflexiv entdecken.15 Im Horizont mittelalterlicher Anthropologie konstituiert sich Individualität durch Negationen, nämlich »primär über die Kategorien der Nicht-Identität, der Differenz, des Widerspruchs, des Gegensatzes, der Ab- und Ausgrenzung«.16 Mittelalterliche Erzählungen verorten soziale Identität daher zumeist innerhalb von Kollektiven (Inklusion), wohingegen individuelle Helden eher experimentell ausgekoppelt werden (Exklusion).17 Rationale Reflexion spielt dafür keine leitende Rolle: »Selbsterkenntnis führt somit keineswegs zwingend zur Entdeckung der unverwechselbaren, individuellen Persönlichkeit, sondern zunächst zur Entdeckung des Höchsten und Allgemeinsten in sich selbst.«18 Fragwürdig erscheint somit, die narrative Fokussierung des Artusromans auf zentrale Figuren als selbstbezügliche Bewusstseinsgewinne verbuchen zu wollen.19 Fruchtbarer sei stattdessen zu fragen, so Gerok-Reiter, welche »Konstitutionsbedingungen von Individualität in mittelhochdeutscher Epik« auserzählt werden, die »diesseits der Entwicklungslogik des modernen Subjekts« angesiedelt sind.20 Für Romane wie Hartmanns Iwein kann dies heißen, grundlegender nach narrativen Negationsmustern als Bedingung für individuale Figurenentwürfe zu suchen, ohne diese vorschnell auf Bewusstseinskonzepte von Reflexion, Einsicht oder Lernen zu beziehen.21 Zu diesen komplexitätssteigernden Negationsmustern gehört im Iwein nicht zuletzt die Erzählform des unterlaufenen Wettkampfs.

3.1 Ein kompliziertes Herz

Wettkämpfen kommt für diese Perspektiven besondere Bedeutung zu, scheinen sie doch erzählerische Linearität und Reflexion zu begünstigen, gleichzeitig aber zu brechen. Dies veranschaulichen besonders deutlich Zweikampfszenen wie der Gerichtskampf zwischen Iwein und Gawein, in dem die soziale (Re-)Integrationsgeschichte des Helden ihren Höhepunkt und der Roman ein selbstbezügliches Muster findet.1 Schon seine Ausgangslage ist verwickelt, denn die verwandten Ritter treffen stellvertretend für zwei in Erbstreitigkeiten verfeindete Schwestern aufeinander. Trotz größter Nähe erkennen sich die Zweikämpfer nicht, da Iwein nach geraumer Abwesenheit von der Hofgesellschaft inkognito als Löwenritter auftritt, Gawein aber in fremder Rüstung verborgen erscheint, um seine Parteinahme vor der Artusgesellschaft zu verbergen (V. 6884–6894). Verwandte bekämpfen sich, Freunde prallen im Rechtsstreit als Feinde aufeinander, beide verhüllen sich in fremder ritterlicher Identität – Hartmanns Erzähler reizen solche Verflechtungen, um das Wettkampferzählen im wahrsten Sinne des Wortes doppelbödig werden zu lassen.2 Tief im Herzen der Freunde wohnten zugleich Zuneigung und Feindschaft auf engstem Raum in einem Gefäß:3

[E]z dunchet die andern unde mich

lîhte unmugelich

daz iemer minne unde haz

ensamt sô besitzen ein vaz,

daz minne bî hazze

belîbe in dem vazze

zwâre ob minne unde haz

nie mê besâzen ein vaz,

doch wonte in disem vazze

minne bî hazze

sô daz minne noch haz

gerûmden gâhes daz vaz.

(V. 7015–7026)

Zuneigung und Aggression, minne unde haz (V. 7021) bleiben somit nicht an der Oberfläche des Figurenbewusstseins, sondern nisten sich in den Innenraum des Herzens ein. Den impliziten Rezipienten des Romans provoziert dies prompt zum Widerspruch, dem Hartmann ebenfalls eine agonale Stimme verleiht:4 ich wæne, friunt Hartman, / dû missedenchest daran (V. 7027f.) – ein Irrtum, denn zu eng sei ein Herz für solches Beieinander, Zuneigung und Feindschaft müssten sich ausschließen. Der Erzähler kontert daher mit einer zweiten Unterscheidung:

ir herze was ein gnuoc engez vaz,

dâ wonte ensamt inne

haz unde minne.

si hât aber underslagen

ein want, als ich iu wil sagen,

daz haz der minne niene weiz.

si tæte im anders als heiz

daz nâch schanden der haz

muese rûmen daz vaz;

und rûmet ez doch froun minnen,

wirt er ir bî im innen.

(V. 7044–7054)

Hartmann formuliert eine Doppelhypothese: Zuneigung und Feindschaft müssten sich ›einheizen‹, bis eine das Chaos im Herzen verließe – wenn nicht eine dünne Trennwand ihr Beisammensein in der Einheit des Herzens durch Differenz ihrer Kammern verbürgte.

Wie die Forschung unterstrichen hat, hebt die umständliche Digression des Erzählers auch die Kampfschilderung auf eine eigentümlich »formale Ebene« der Reflexion.5 Aber was leistet diese metaphorische Konstruktion? Einerseits lässt das Bild der Herzkammern jenen Widerstreit von persönlicher Affinität und Rivalität für die Figuren latent werden, der beide von Romanbeginn spannungsvoll als Partner und Konkurrenten am Hof verbunden hatte (vgl. V. 907–918). Während andere Artusromane wie etwa der Parzival Wolframs von Eschenbach derartige Ambiguitäten von Musterrittern durch narrative Neben- oder Nacheinanderordnung gleichsam horizontal aus dem Weg räumen oder zumindest distanzieren, arrangiert sie Hartmann mit der Geheimkammer des Herzens verborgen ineinander. Voraussetzung dafür ist eine Wand des Un-Wissens, wie der Erzähler herausstreicht: [D]iu unkunde was diu want / diu ir herce underbant (V. 7055f.).6 Für den Fortgang der Erzählung ist dies unmittelbar relevant. Denn die Herzkammern sichern zumindest für die nächsten Schritte die Erzählbarkeit des Gerichtsfalls, indem sie paradoxe Verflechtungen der Figuren tieferlegen und ihnen Chaos verbergen: »Der Erzähler bewältigt das Paradox«, wie Klaus Grubmüller konstatiert.7 Auf der Oberfläche des Kampfes stürzen Iwein und Gawein nun als Feinde, nicht aber zugleich als Freunde aufeinander. Erzählerisch kann der Zweikampf damit ohne Ambivalenzen für die Figuren anlaufen (ab V. 7075).8

Umgekehrt sieht es für den Rezipienten aus, für den Irritationen und Handlungsspannung wachsen.9 Denn die Metapher der Herzkammern speichern genau genommen die Paradoxie von Sympathie und Gewalt, die der Wettkampf aufwarf, nur umso tiefer in sich ein. Nicht nur klanglich drängt Hartmanns fünfmaliger Reim von haz / vaz darauf, sich für diesen Innenraum zu interessieren. Auch semantisch verdichtet das Herz zahlreiche Konflikte von minne und haz, die über den Erbstreit der Schwarzdorn-Schwestern und die Freund-Feinde im Stellvertreterkampf aus sämtlichen Teilen der Erzählung zusammengeführt werden: von Iweins Beziehung zu Gawein im Distinktionsmilieu des Artushofs (das gleichermaßen Bewunderung und Ehrkonkurrenz hervortreibt) über die Ambivalenz der ›leicht getrösteten Witwe‹ Laudine gegenüber dem Mörder ihres Mannes (die von Rachewünschen zur opportunen Liebeszusage umschwenkt) bis zu Lunetes jähem Umschlag von Anerkennung zur Anklage Iweins und schließlich dem Aventiureweg des Helden (der aggressiven Selbsthass in solidarisch ausgeübte Gewalt überführt). In unterschiedlichem Grad der Übereinstimmung kann der Rezipient solche und weitere Handlungsbezüge mit der übercodierten Leitunterscheidung von minne und haz im abschließenden Zweikampf verbinden, die tief im Herzen eng beieinanderliegen. Und selbst der metaphorische Raum des Herzens führt frühere Figurenbeziehungen des Romans zusammen, die wie z.B. Iwein und Laudine über die Minnesemantik des Herztauschs verbunden waren.

Doch verdeutlicht das erzählerische Arrangement ebenso deutlich, dass eine Metapher derartige ambivalente Figurenbeziehung allenfalls temporär verdichten und einlagern kann. Indem der Erzähler besonders ihre explosive Nähe (ensamt, ) und labile Architektur problematisiert,10 potenziert sich die Spannung widerstreitender Affekte – bis sie schließlich gewaltvoll aus dem Herzen hervorbricht. Je länger die Kämpfer einander Widerstand leisten, desto größer wächst ihr Wunsch zu wissen, wer der andere sei (V. 7374f.). Anfangs eingelagert im Herzen, bricht solche Latenz des Nichtwissens schließlich auf. Zwei Schleifen dehnen daraufhin den Zweikampf – man kämpft vom Morgen bis zum Mittag und pausiert, nimmt den Kampf vom Nachmittag bis zur Nacht auf und pausiert erneut11 –, bis die Aggression versiegt (V. 7365). Am zweiten Zweikampftag fühlen sich die Ritter im wahrsten Sinne des Wortes ›überlastet‹. Und dies nicht nur durch die gleichrangige Kampfkraft des Gegenübers, sondern ebenso durch die latente Sorge, einander als Feinde begegnen zu müssen, wie Gawein gesteht:

wir sîn in gelîchen sorgen.

mîn herce ist leides uberladen,

daz ich ûf iuwern schaden

iemer sol gedenchen.

(V. 7454–7457)

Als beide ihre Namen aufdecken (nicht nur Gawein [V. 7471], sondern auch Iwein weiß sich überraschend unkompliziert zu nennen [V. 7483]), muss die Feindschaft das Herz verlassen, wie der Erzähler herausstreicht (V. 7491–7494). Doch wuchern die strukturellen Verflechtungen des latenten Wettkampfs weiter fort, wird die Herzmetapher von Nähe und Trennung fortgeführt. Von wessen Herz ist eigentlich die Rede – Iweins, Gaweins oder, verstanden als eine Art übergreifender Modellrede, beider? Der Erzählerexkurs lässt dies in der Schwebe;12 zwar spricht Gawein von gemeinsam geteilter Sorge, doch nur von seinem Herzen (min herce). Auch die Handlungen der Kämpfer werden stets nur im Plural geschildert, »so dass ein vages Bild des Kampfes entsteht«.13

Auf Handlungsebene sind die latenten Paradoxien des Kampfes trotzdem keineswegs getilgt. Im Kampf hatten sich die Gegner ihre absolute Gleichrangigkeit bewiesen, doch ein Gerichtskampf verlangt Entscheidung – aller Freundschaftsgesten zum Trotz.14 Und so bietet Iwein wortreich seine Unterwerfung an: Da Gawein ihm stets zuvor Ehre erwiesen habe, wolle nun er sich freiwillig zu Dienst verpflichten (V. 7523–7566). Gawein aber hält dagegen: Ein derart großmütiges Freundschaftsangebot könne er nicht annehmen, vielmehr wolle er sich als sigelôse[n] ergeben (V. 7567–7578). Iwein legt nach und insistiert – selbst wenn Gawein ein gänzlich Fremder wäre, sei es an ihm, sich zu unterwerfen (V. 7579–7587)! –, was Gawein abermals verweigert (V. 7588–7590). Vom Kampf mit Lanzen und Schwert wechseln beide zum strît mit Worten. Noch bevor König Artus den Ausgang des Gerichtskampfes festsetzen kann, verfangen sich Gawein und Iwein wieder in paradoxen Stricken von affektiver Zuneigung und symbolischer Konkurrenz, wem scham und êre zuzuschieben seien.15 Wieder werden dadurch soziale Bezüge durch schwierige Negationen vervielfältigt: hie was zorn âne haz (V. 7642).16 Trotz solcher Beteuerung aber spiegelt das Wortgefecht zwischen Iwein und Gawein, wie das Wissen um Nähe nur neuerlich befeuert. Und wie in zahlreichen Zweikämpfen zieht auch Hartmanns Freundschaftskampf noch in seinem Nachgefecht auffällig lange Schleifen, wie der Erzähler hervorhebt: sus werte under in zwein / âne lôsen lange zît / dirre friuntlîche strît (V. 7590–7592). Betrachtet die Iwein-Forschung den Kampf gemeinhin als beendet,17 könnte man also geradezu umgekehrt sagen: Sobald sich die Freund-Feinde erkennen, wächst der Streit über den regulierenden Rahmen des rituellen Waffengangs hinaus.

Die ausgeprägten Metakommentare der gesamten Passage unterstreichen, dass es dem Roman gezielt auf diese Schleifenkonstruktion von Innerem und Äußerem, erzählter Interaktion und Wettkampfkommunikation ankommt. Hartmann nutzt dabei das mehrfache Strukturierungspotential der Herzmetapher zwischen religiöser und körperlicher Semantik, um konträre Emotionen in räumliches Nebeneinander zu überführen (in Hartmanns Worten: minne bî hazze zu lagern, V. 7019 und 7024). Oder formal zugespitzt: Einschluss wird möglich, der doch Differenz garantiert; Subordination im Innenraum und Koordination im Nebeneinander werden kombinierbar.

Die Mikropoetologie der Herzmetapher eröffnet einen besonderen Zugang zur Wettkampfstruktur des Iwein, weil sie eine besondere Arbeit an interner Differenz zu erkennen gibt. Dies bestätigt auch ein kurzer Blick auf Hartmanns Vorlage. Zwar prägt schon Chrétiens de Troyes Yvain die Behältermetaphorik vor: Beim Kampf der Freunde fänden Liebe und Hass wundersamerweise in einem Gefäß (veissel) zusammen wie in einer Herberge (ostel) mit vielen Räumen und Geheimkammern (chanbre celee).18 Chrétiens Raumvergleich ordnet die Oppositionsbeziehung so zwar nebeneinander und unzugänglich, doch erst Hartmann deklariert diesen Raum als Innenraum des Herzens und modelliert damit Einlagerung, die als labil ausgewiesen wird. Entsprechend stärker prägen die deutsche Bearbeitung dynamische Wechsel von Ein- und Auslagerung: Während Chrétien die Paradoxie des Widerstreits in der Erzählerstimme bündelt und argumentativ entfaltet,19 lässt sie Hartmann von der Außenhandlung (Rechtsstreit der Schwestern, Gerichtskampf der unerkannten Freunde) ins Subjektinnere (Herzmodell) und wieder zurück in den Raum äußerer Wahrnehmung wandern (Unterwerfungsdialog). Auch Chrétien erzählt vom Waffen- und Rededuell der Freunde in Schleifen. Doch Hartmann ergänzt, dass dabei Aggressionen aus dem verborgenen Gefäß wieder heraufsteigen (V. 7491–7494). Erzählt der französische Roman vom Ehrproblem verwandter, gleichrangiger Artusritter mittels Wiederholungsstrukturen, so könnte man also zusammenfassen, zieht Hartmann diese Probleme in bzw. aus der Latenz. In beiden Fällen erhält die Episode sowohl dank ihres Umfangs wie ihrer erzählerischen Gestaltung große Aufmerksamkeit. Sie kann daher als eine Schlüsselszene gelten, die dreierlei offenlegt:

(1.) In erster Linie verdeutlicht sie die fortgesetzte Komplexitätsbildung des Wettkampferzählens: Zwar geben Rechtsstreit und Gerichtskampf die Unterscheidungslogik von Sieg und Niederlage und damit den Bedarf einer asymmetrischen Entscheidung vor, doch stößt dies allenfalls die Dynamik eines Zweikampfs an, der gleichsam unbegrenzt fortläuft und dabei Innen- und Außenrelationen ineinander übersetzt. Dass sich dieser Prozess nur unter größtem Aufwand und nur durch äußere Faktoren, nicht aber aus seiner eigenen Logik heraus unterbrechen lässt, zeigt der befremdliche Ausgang der Kampfzyklen. Gegliedert werden sie nur von Erschöpfungspausen, nicht durch ein formales Ende.20 Wie kann König Artus dann als Gerichtsherr jene Entscheidung herbeiführen, die der Rechtsfall der Schwarzdornschwestern nun einmal braucht (V. 7649–7652)? Artus stellt bekanntlich eine simple Falle, indem er jene Klägerin aufruft, die durch ir ubermuot das Erbteil ihrer Schwester unterschlage – und die Schuldige tappt prompt hinein, indem sie dem Aufruf folgt (V. 7660: ich bin hie). Auf den gesamten Roman betrachtet, fügt sich dieses Manöver in die Reihe sprachlicher Listen ein, die auf vorschnellen Zusagen beruhen. Was liegt also näher, als die Beweiskraft unbedachter Worte zu bestreiten, wie es die ältere sogleich Schwester tut?21 Artus aber verweist auf die Faktenlage des Gerichtskampfes: ez giht mîn neve Gâwein / daz er den sic verlorn habe (V. 7696f.), was alle anerkennen müssten. Ein eigenartiger Urteilsspruch: Hatte nicht Iwein dasselbe zuerst von sich behauptet? Und weshalb muss der Richter dafür an den Konsens der Verurteilten appellieren? Wenn Fangfrage und Verplappern der Beschuldigten den Gerichtskampf durch ein Trickmuster zu umgehen versuchen, indem sie sein Ergebnis völlig überflüssig machen, so legt die willkürliche Urteilsbegründung offen, dass der Gerichtskampf selbst gerade kein Ergebnis förderte. Seine Komplexität löst sich stattdessen in unscharfen Enden auf, die durch Taschenspielertricks nur kurz zu überdecken, nicht aber endgültig zu fassen oder festzustellen sind.22 Solche ›unscharfen‹ Enden prägen den Roman über den Gerichtskampf hinaus.23 Sie sind für die höfischen Ordnungsgaranten des Romans von größter Bedeutung, weil Artus aufgrund ihrer Unschärfe den Gerichtskampf zwischen Iwein und Gawein zugleich als überflüssig behandeln und als entscheidungsrelevant erklären kann.

(2.) Reflektiert wird dieser Umstand nicht. So eindringlich Erzähler und Figuren auch wünschen, aufzudecken und zu erkennen (V. 7370–7375, 7427 etc.), so lebt die Szene vor allem von Verdeckung und Verkennen – eine Zumutung für die Praxis öffentlicher Konfliktführung.24 Motivlich setzt dies ein, wenn Rüstungen und Emotionen der Kämpfer dafür sorgen, daz sî dâ wâren unerchant (V. 7517–7522), und setzt sich diskursiv fort, wenn Iwein die Nacht dafür lobt, Sieg und Niederlage aufzuschieben.25 Strukturgewinne spielt der Zweikampf frei, indem er zunächst gerade nicht offen legt, sondern verbirgt; und selbst als die Zweikämpfer sich namentlich zu erkennen geben, hindert sie dies nicht, den Wettkampf in dialogischer Form fortzusetzen. Mit seiner Herzmetapher vertieft der Erzähler somit ein Wettkampfmuster des latenten Nicht-Wissens, das Abgrenzungen zunächst zu sichern scheint, aber im nächsten Schritt nur umso tiefer verwirrt. Diese Dynamik bleibt natürlich nicht verborgen, weder für die intradiegetischen Zuschauer noch für den Rezipienten. Trotzdem erscheint der Zweikampf wie ein Emergenzphänomen. Ein tapferer Mann hasst keinen tapferen Gegner, wenn dieser ihm auch Schaden zufügt – Daz wart an in zwein wol schîn, bekräftigt Hartmann das Wettkampfparadox (V. 7369), unmittelbar bevor Iwein und Gawein ihre Identität enthüllen. Das aber heißt: Keiner der Figuren für sich genommen ist diese paradoxe Form in vollem Maß bewusst oder verfügbar. Vielmehr zeigt sich im literarischen Zweikampf (schîn), was mehr ist als die Summe der Akteure. Das wirft im wahrsten Sinne des Wortes narratives Kapital ab, wie sich wiederum im Vergleich zu Chrétien zeigt. Dass gleiche Gegner wie Iwein und Gawein einander nichts schuldig bleiben, ihr Kampf aber trotzdem Überschüsse produziert, vergleicht Hartmann (sechsfach ausgedehnter als seine Vorlage26) mit Leihen und Schulden, Rückzahlungen und Zinserträgen (V. 7143–7227). Was als lebensweltlicher Scherz befremden könnte (Artusritter als Kaufleute?), ist ein komplexitätstheoretisch sensibler Vergleich: Wie die Form des Zweikampfs allgemein ihre Gegner einander zurechnet, so lassen sich latente Wettkämpfe im Besonderen nur durch weitere formale Investitionen aufdecken, nicht aber in einem punktuellen Zustand oder Bewusstseinsakt bündeln. Dies ist für den gesamten Roman von Bedeutung, dessen Protagonist zu keinem Erzählzeitpunkt soziale Motive, Verpflichtungen oder Identität zu bündeln und bewusst zu halten vermag.

₺2.848,77