Kitabı oku: «Dismatched: View und Brachvogel», sayfa 16
Sommersaat; fünfter Umlauf im fünfhundertachtundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin
„Schon immer haben es mir die schnellenden Bollen angetan.“
Kurabel, Meisterschwinger
Brachvogel stand mit einigen anderen Mannlingen bis zu den Knien im saugenden Schlick des Obergrabens, der dem Wasserrad der Sägemühle das Wasser zuführte, und wuchtete mit einer Schaufel Schlamm über seine linke Schulter. Zum Fluss hin war das Flutgatter herabgelassen worden, so dass der Graben dergestalt gegen die Wasser abgesperrt nun trocken lag und von dem Schlamm befreit werden konnte, den die Lunagleiß ständig aufs Neue hineinspülte. Zwar verhinderte ein engmaschiges Gitter, dass Geröll in den Graben gelangte, das der Fluss in der Unterströmung mit sich führte, schützte aber nicht gegen den Schlamm. Als die Springlinge des Morgens auf einem Rund der Kündung zur Arbeit eingeteilt worden waren, war es Brachvogel nicht gelungen, im dichten Gedränge eines der raren Paare zerschlissener Lederhandschuhe an sich zu raffen, die die Frauen am Rande des Platzes achtlos auf einen Haufen geworfen hatten, und so begannen sich auf den Innenflächen seiner Hände die ersten Blasen zu wölben. Unbarmherzig brannten die Strahlen Sols auf seine nackten Schultern; fast wünschte er sich, dass wie das Ackern auch das Ausschachten nächtens durchgeführt wurde. Am Rande des Grabens zog eine Weisungsfrau ihre Runden und wachte darüber, dass die Arbeiten ordnungsgemäß vonstattengingen.
„Bei Sol, ich bin es wirklich gründlich satt, diese elende Rille immer wieder auszukratzen“, ließ sich rechts von ihm mit gesenkter Stimme ein Leidensgenosse vernehmen, der ebenfalls keine Handschuhe abbekommen hatte und dessen Gesicht schlammverschmiert war, weil er mit den verdreckten Händen ständig darin herumfuhrwerkte, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
Brachvogel horchte auf. Es war nicht üblich, den Namen Sols in der Öffentlichkeit anzurufen.
„Es müsste möglich sein, den Graben so anzulegen, dass sich der Modder nur im ersten Drittel absetzt, das würde die Wartung erheblich erleichtern“, sinnierte er laut, ohne den Mannling direkt anzusprechen und fuhr dann vor sich hin murmelnd fort, „aber wir Mannlinge sind ja willfährige Arbeitstiere, die ohne Aufbegehren immer wieder den ganzen Graben auslöffeln.“
Der Mannling grinste so breit, dass von seinen Wangen ganze Schlammplacken abplatzten.
„Dein Ruf eilt dir voraus, Bruder Brachvogel, nie um eine Idee verlegen, was? Ganz offensichtlich sind wir Genossen im Geiste.“
Er senkte die Stimme und blickte sich verstohlen nach der Weisungsfrau um, die jetzt aber am anderen Ende des Grabens, nahe des Schaufelrades stand.
„Hast du übrigens je vom Bund vernommen?“
Natürlich hatte Brachvogel das. Der Bund der Freien Männer war ein offenes Geheimnis und entsprechende Gerüchte kursierten ständig in den Kreisen der Mannlinge. Offenbar handelte es sich um eine Gemeinschaft von Mannlingen, die sich an geheimen Orten in eigentümlich mannlingschen Tugenden übten. Dass der Bund noch nicht von den Frauen entdeckt worden war, schien allein dem Umstand zuzuschreiben zu sein, dass diese Mannlingen nicht den mindesten Schneid zutrauten, eigene Neigungen auszuprägen und zu pflegen. Für die Frauen war der gemeine Mannling eben nichts weiter als ein argloses, tumbes Schaf, das sich widerstandslos in sein Geschick fügte und keine eigene Tatkraft entwickelte, wurde ihm doch schon in der Stätte der Aufzucht mit der Milch der Demut und Besonnenheit unablässig eingetränkt, ohne die Lenkung und Leitung der Frauen rettungslos verloren zu sein.
„Gewiss habe ich schon vom Bund reden hören“, bestätigte Brachvogel, „was genau denn ist dein Begehr?“
„Jemand wie dich in seinen Reihen zu wissen, würde dem Bund gar wohl anstehen“, entgegnete der Mannling. „Am dritten Tag nach der Nacht der neuen Mondin, wenn Sol seinen höchsten Stand erklommen hat, sammeln sich die Genossen des Bundes jenseits des nordöstlichen Walles an dem großen Findling, um von da zu geheimen Plätzen aufzubrechen und ihre Sache zu betreiben. Wenn du Vorwitz verspürst, geselle dich doch das nächste Mal hinzu.“
Da die Weisungsfrau sich ihnen nun näherte, wandte der Mannling sich von Brachvogel ab und stach mit vor gespielter Anstrengung verzerrter Miene seine Schaufel wieder in den zähen Schlick.
Archontin Aiyah hatte bei den Frauen die Einsicht gefördert, dass auch eine noch so handfertig geschmiedete Kette brach, wenn auch nur ihr geringstes Glied über Gebühr belastet wurde und so war es als guter Brauch eingeführt worden, einmal im Umlauf kleineren Gruppen von Mannlingen einen Freigang zu gewähren und zwar immer an den Tagen nach der Nacht, in der die neue Mondin unsichtbar am Himmel stand. An diesen Tagen mochten die Mannlinge außerhalb der Wälle frei von Aufsicht umherstreifen und ihre ureigensten Dinge treiben. Die Gruppen der Freigänger wurden von den Weisungsfrauen derart zusammengestellt, dass niemals mehr als fünfzig Mannlinge unbeaufsichtigt außerhalb der Wälle unterwegs waren.
Beim nächsten Treffen des Bundes war auch Brachvogel im Schatten des großen Findlings zugegen. Nachdem das Gefilde ausgespäht und sicher war, dass ihnen keine Frau folgte, brach der Trupp von etwa vierzig Mannlingen in Richtung des Waldes auf, der sich flussaufwärts in einem breiten Streifen am Fuße der Fernwarte hinzog, bis sich das Land in die Ebene hinein weitete. Am Waldsaum wurde ein Späher zurückgelassen, der die Gruppe warnen würde, sollten sich etwa Jagdfrauen nähern, womit immer zu rechnen war, und auf verschwiegenen und wenig begangenen Pfaden erreichte man schließlich eine Lichtung, wo die Mannlinge sich niederließen. Brachvogel sah sich um. Bis auf einige wenige kannte er keinen von diesen und es war ihm nicht recht wohl, da ein jeder ihn neugierig anstarrte.
„Welche Erwartung hegst du gegenüber dem Bund der Freien Männer?“ fragte dann schließlich einer, der sich als Sonor vorstellte.
„Ich hege keinerlei Erwartungen und bin hier, weil jener dort“, und er wies auf den Mannling, mit dem er Schlick geschaufelt hatte, „mir das Anerbieten gemacht hat, euch kennenzulernen. Was treibt euch denn nun um?“
„Wir sind ein loser Zusammenschluss von Bundesgenossen und versuchen, Gesinnungsbrüder von einzigartiger Gemütsart und mit herausragenden Fertigkeiten um uns zu scharen. Wir nennen uns Genossen, denn wir genießen und nutzen einander. Ein jeder von uns weist eine besondere Eigenart auf. So steht dieser hier, Kurabel, mit dem du im Zulauf der Sägemühle gearbeitet hast, den Jagdfrauen in der Kunst, die Bola zu schleudern, in keiner Weise nach und jener dort, Legur, vermag es, Sprach und Sang all dessen, was da kreucht und fleucht, zu deuten. Balgurs Kescher entkommt kein Fisch, mag er noch so groß oder noch so klein sein, und wie die Schamaninnen weiß Angor von allerlei wundersamen Erscheinungen und Gesichten zu berichten, die ihm aber nicht nächtens im Lichte der Mondin, sondern unter Sols brennendem Antlitz zuteilwerden. Belarus dort hat ein besonderes Empfinden für den Ursprung und die Bedeutung der Worte und Magror, hier zu meiner Linken, ist in der Lage, zwei Steine so zu behauen, dass, wenn sie aufeinanderliegen, kein Blatt mehr zwischen sie passt. Den geschmeidigen Fingern von Delarus, dort hinten links, erwachsen Geflechte aus Röhricht, die als einhegendes Gefäß das Wasser speichern, ohne das auch nur ein Tropfen heraussickert, und die als deckendes Dach so gestaltet sind, dass kein Regen in den Raum hineinleckt, den es unter sich birgt. Susurrus, der sich verschämt da hinten am Rande mit seinem Ebsel herumdrückt, ist unser Ebselflüsterer. Er hat es nicht so mit den Menschen, die Ebsel aber folgen ihm auf den geringsten Fingerzeig; die Tiere würden für ihn über glühende Kohlen laufen. Ragun hier ist unser Wasserspürer und wittert über weite Entfernungen hin, wo das kühle Nass quillt, sei es auch unter einer noch so mächtigen Schicht staubtrockenen Bodens verborgen.“
Ehe sich Sonor weiter in die Brust werfen konnte, um ihm vollmundig auch noch die anderen Genossen vorzustellen, unterbrach ihn Brachvogel.
„Zu welchem Behufe denn versammelt ihr all diese besonderen Talente um euch und schart euch regelmäßig zusammen?“
Da ergriff Belarus, der Sprachkundige das Wort.
„Hast du dir jemals Gedanken darüber gemacht, Brachvogel, wie uns die Frauen heißen: Mannlinge? Schon allein diese Benamsung offenbart unsere Not. Die Silbe ,ling‛ am Ende eines Wortes deutet darauf hin, dass das so Bezeichnete Züge einer Sache, eines Dings aufweist. Und in der Tat sind wir Mannlinge, Gehilflinge und Springlinge für die Frauen nichts weiter als Dinge, Gegenstände und Sachen, die zu ihrem Besitzstand gehören. Wir sind bloße Weisungsempfänger, Güterträger und Verrichter fraulicher Vorstellungen, wohlfeile Arbeitstiere, die nach Belieben hin und her geschoben und eingesetzt werden können. In den Augen der Frauen sind entkeimte Mannlinge arglos und dumm und neben ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit zu keinerlei geistiger Schöpfung in der Lage. Die wenigen Zeugungsträger, deren du einer bist, werden argwöhnisch beäugt, auf dass keine Gefahr von ihnen ausgehe. Gemäß der Weltsicht der Frauen sind Mannlinge insgesamt impulsive und unbedachte Wesen, deren Vorstellungskraft und Umsetzungswille, so sie solche überhaupt ausgeprägt haben, nur Verderben nach sich ziehen. So werden wir in Allem kurzgehalten und dürfen lediglich Erfüllungsgehilflinge fraulichen Denkens und Trachtens sein. Mag auch das Gros der Mannlinge in dumpfer Unbewusstheit verharren und das Joch, unter dem sie ächzen, als willkommene Weisung missdeuten, sind wir vom Bund der Freien Männer der Überzeugung, eigenständige und schöpferische Wesen zu sein, ausgestattet und befähigt mit dem gleichen Vermögen wie die Frauen und deshalb ebenfalls dazu ausersehen, das Recht zu haben, die Dinge zu gestalten und die Geschicke zu bestimmen. Um für jene ferne Zukunft, in der sich Frauen und Männer dereinst gleichgestellt begegnen mögen, Kraft und Können zu sammeln, unser Vermögen und unsere Fähigkeiten auszuloten und dingfest zu machen, schließen wir uns jetzt zusammen.“
„Wir haben weder Haupt noch Ältesten, uns eint allein die Überzeugung, keine Mannlinge, sondern Männer zu sein“, übernahm nun Sonor wieder. „Ein Mann, wie uns Belarus gelehrt hat, ist vom Wortsinne her ein der Sächlichkeit entkleideter und der allumfassenden fraulichen Lenkung entronnener Mannling. Ein Mann, wie uns unsere Erfahrung und unser Empfinden gelehrt haben, ist kein Wesen, dessen Sinnen und Trachten unterjocht werden müssen, kein Wesen, das sich seiner Antriebe und Triebe schämen muss, kein Wesen, wie die Frauen niemals müde werden, uns einzureden, von dem unabdingbar Gefahr für die Schöpfung ausgeht, sondern ein Wesen, das lediglich andere Eigenschaften und Vorstellungen ausgeprägt hat als die Frauen. Wir wollen keinen gewaltsamen Umsturz, wir hegen keinen Hass gegen die Frauen schlechthin, die unsere Geschicke ja durchaus gedeihlich lenken, wir begehren lediglich den Freiraum, uns in unserer Männlichkeit zu erproben. Wir wollen sehen und erleben dürfen, wo uns das hinführt. Gegenwärtig sind wir in diesem Sinne noch nicht wirkmächtig, zählen wir doch noch nicht einmal drei Dutzend Häupter. Aber wir hoffen, dass der Bund wachse und dermaleinst aus allen Mannlingen Freie Männer werden mögen.“
„Mögen aus allen Mannlingen Freie Männer werden“, echoten die anderen im Chor.
Zwar mutete das Gebaren dieser Männer des Bundes ein wenig eigentümlich an, entsprach aber im Wesentlichen dem, was auch Brachvogel dachte und empfand. Insbesondere Belarus legte den Finger in die Wunde: Tatsächlich drückte das Wort Mannling nur zu deutlich aus, welches Schicksal ihnen unter der Lenkung der Frauen beschieden war. Mannling! ‒ wie wäre es denn, wenn Männer Fraulinge hätten? Zeugten die ihm von Sonor vorgestellten Fertigkeiten der Genossen des Bundes auch von großem handwerklichem Geschick oder außergewöhnlicher Sinnesschärfe, nahm ihn indessen besonders Kurabels Fertigkeit ein, die Bola ebenso kunstfertig zu handhaben wie die Jägerinnen. Kurabel, ein kräftiger und stämmiger Genosse mit entschlossenem Gesichtsausdruck, machte auf Brachvogel nicht den Eindruck, sich damit begnügen zu wollen, einmal im Umlauf mehr oder weniger zum Zeitvertreib männliche Tugenden zu üben, sondern schien danach zu trachten, diese auch irgendwann einmal zum Wohle der Männer einzusetzen. Offensichtlich war es ihm gelungen, sich heimlich im Gebrauch der Bola zu vervollkommnen. Vielleicht würde Kurabel ihm diese Waffe ja einmal entlehnen, damit er sich ebenfalls darin üben könnte, die alles zerschmetternden Kugeln zu schleudern.
Über Worte zu sinnieren, war das eine. Sich handfest auf eine Veränderung der Verhältnisse vorzubereiten, das andere. Mit beidem schien Brachvogel dieser seltsame Bund aufwarten zu können. Niemand vermochte, die Sinne so zu spreizen und den Blick in die Ferne geweitet derart ins Ungewisse zu richten, dass sich ihm die Zukunft erschließen würde. Eines aber war gewiss, wenn nichts geschähe, würden noch in Generationen Ebsel und Mannlinge sich um die Pflugpfähle drehen und unter dem Joch der Frauen die Mannlinge sonnen- und mondtäglich zur Verrichtung der immer gleichen Fron trotten. Zwar würde die Klave vielleicht sicher im Schoße der Natur ruhen, aber auch fürderhin lediglich ein kärglich Dasein fristen. Auf ewig in die Kreisläufe der Natur eingebunden wäre kein Fortschreiten, sondern immerwährender Stillstand. Vielleicht würden ihm die Genossen des Bundes Gefährten auf dem Weg sein, Abhilfe zu schaffen und die Geschicke der Klave zum Besseren zu wenden. Vielleicht auch ließe sich hier ein weiterer Vertrauter gewinnen, den er neben seinem alten Weggefährten Agror so schmerzlich entbehrte. In den Reihen des Bundes schienen ja etliche Sonderlinge versammelt zu sein, da würde seine persönliche Wesensart, ein übler Grübler mit weitgreifenden Hirngespinnsten zu sein, niemanden weiter befremden, dachte Brachvogel, und pflegte damit den ihm eigenen beckmesserischen Umgang mit sich selbst. Aus diesen Gedanken aufschreckend, wurde er gewahr, dass jetzt alle auf sein Bekenntnis für oder wider den Bund warteten.
„Nun“, sagte Brachvogel, „ich sehe hier vieles von dem, was ich selber denke und empfinde, so lasst mich denn euer Bundesgenosse sein.“
„Wir freuen uns, dich in unsere Reihen aufnehmen zu können, doch um ein Mann unter Mannlingen zu werden, musst du dich auch einer Prüfung stellen“, erwiderte Sonor.
„Schätzt ihr eure erlesene Gesellschaft so hoch ein, dass man eine Prüfung ablegen muss, um ihrer teilhaftig zu werden“, spöttelte Brachvogel mutwillig.
Doch Sonor ging nicht auf die Stichelei ein. „Wir meinen das durchaus ernst und haben die Manier unserer Prüfung weidlich erwogen.“
„Sieh dich doch einmal um unter den Mannlingen“, schaltete sich nun ein Genosse ein, der sich als Glaukor vorstellte, „mit den meisten ist nicht viel Staat zu machen. Sie leben ohne Arg mehr oder weniger frohgemut in den Tag hinein und denken nicht weiter als bis zur nächsten Atzung. Vor die Wahl gestellt, selber eine Entscheidung zu fällen und einen Plan zu fassen oder sich Urteil und Spruch einer Weisungsfrau anheimzugeben, würden die meisten wohl letzteres wählen. Obwohl sie körperlich hart arbeiten müssen, haben sie sich in ihrer tumben Trägheit bequem eingerichtet und setzen, wenn auch nicht alle äußerlich, so doch sämtlich innerlich Fett an.“
„Halte dir auf deine Zeugungsträgerschaft nur nichts zugute“, unterbrach ihn ein hochgewachsener Genosse mit fülligen Hüften, „wir konnten es uns eben nicht aussuchen, entkeimt zu werden oder nicht.“
„Nein, das vermochten wir wahrlich nicht,“ entschuldigte sich Glaukor, „doch ging es mir auch nicht darum, kleingeistig gefüllte oder leergeschlagene Schambeutel gegeneinander auszuspielen, sondern unserem Adepten hier auseinanderzulegen, warum wir unsere Prüfung für notwendig erachten. Es tut mir im Herzen weh, so von den meisten meiner Art sprechen zu müssen, aber wenn die Dinge nun einmal so liegen, dass sich das Gros der Mannlinge wie tumbes Herdenvieh geriert, tun wir nur gut daran, nicht jeden in unsere Reihen aufzunehmen. Wir wären keine Reihe von Männern mehr, die sich im Wurf der Bola üben oder über die Worte die tiefere Bedeutung der Dinge und Verhältnisse zu ergründen suchen, sondern würden zum seichten Mannlingskränzchen verkommen, das darüber salbadert, wer wohl demnächst für den Akt der Zeugung bestellt wird oder ob es uns bei einer guten Ernte wohl vergönnt sein wird, einen Teil der eingebrachten Gerste zu Bier zu vergären.“
„Mit dem wir dann unseren Hunger betäuben dürfen, wenn die Ernte im Umlaufzwölft darauf wieder etwas weniger üppig ausfällt, weil uns die Mondin nicht gewogen ist“, fiel jemand ein.
Sieh da, beißende Widerborste mit erfrischend spitzer Zunge gab es hier auch, stellte Brachvogel erfreut fest und fühlte sich gleich wohler.
„Wir wollen nur die Besten um uns versammeln und deshalb geht es uns bei der Prüfung auch nicht nur darum, dass ein neuer Genosse deren planerische und körperliche Herausforderung meistert, sondern auch darum, dass er ihren Sinngehalt nachvollzieht,“ übernahm nun Sonor wieder.
„Nun, von dieser Warte aus betrachtet scheint mir das nur recht und billig zu sein, aber wie sieht sie denn nun genau aus, eure Prüfung?“ fragte Brachvogel.
„Jeder Anwärter muss sich daran messen lassen, ob er in der Lage ist, auf ihm unbekannten Gelände eine schnurgerade Ackerfurche von zweihundert Schritt Länge zu ziehen“, antwortete Sonor.
„Verstehe“, lachte Brachvogel, „ihr betreibt also bewusst Ackerfrevel und lasst die Mannlinge damit buchstäblich von der Leine, auf dass sie aufrechten Ganges eine gerade Bahn in den offenen Horizont treiben.“
„Genauso ist es. So knapp und treffend hat das vor dir noch kein Anwärter in Worte gefasst“, stellte Sonor fest.
„Wohlan, so bin ich denn bereit, mich dem zu stellen“, sagte Brachvogel.
„Es ist keine Eile vonnöten und Brauch und Sitte bei uns, sich erst einmal kennenzulernen. So lass es langsam angehen, sieh dich um, trete in Diskurs mit diesem und halte Zwiesprache mit jenem und wenn wir uns dann gegenseitig gewogen sind, ist es immer noch früh genug, die Prüfung auszurichten.“
„Wohl gesprochen, so soll es sein“, bestätigte Brachvogel.
Dieser Sonor schien ein aufrechter und bedachter Mannling, nein, Mann zu sein. Bemerkenswert, wie die bloße Abwandlung eines einzigen Wortes die Sicht auf die Dinge und Verhältnisse verändern konnte.
Brachvogel sah sich um. Die Bundesgenossen hatten sich von ihm abgewandt und widmeten sich wieder ihren Angelegenheiten. Offensichtlich war es zur Gänze ihm überlassen, zu welchem der Grüppchen er hinzutreten wollte. Ganz hinten am Rande der Lichtung übten sich etliche Männer im Wurf der Bola. Die Gelegenheit, selbst einmal die Schmetterkugeln schleudern zu können, rief sein brennendes Interesse hervor. Zwar nutzten die Mannlinge während der täglichen Arbeit auch Messer und Werkzeuge wie Spaten und Hammer, die als Waffen hätten eingesetzt werden können, doch mussten sie diese allabendlich oder – wenn die Arbeit an einem Mondtag stattgefunden hatte – frühmorgendlich wieder abgeben, worüber auch penibel Buch geführt wurde. Fernwaffen aber durften niemals in die Hände der Mannlinge geraten und die Frauen hüteten Wurfholz und Bola wie ihre Augäpfel. Im Grunde war es natürlich ein Leichtes, eine Bola nachzubauen, nur standen die Dinge in der Klave eben so, dass die sich willfährig der Lenkung der Frauen unterordnenden Mannlinge keinerlei Veranlassung dazu verspürten.
Die Waffe bestand aus drei Lederreimen unterschiedlicher Länge, die an einem Ende zusammengeknotet am freien Ende ein Gewicht von der maximalen Größe einer Faust trugen, womit ein dreiarmiger Stern entstand. Als Brachvogel näherkam, sah er, dass die Genossen als Gewicht statt der bei den Jagdfrauen üblichen Kupferkugeln pralle, wahrscheinlich mit kleinen Steinen gefüllte Lederbeutel ans Ende der Schnüre gebunden hatten.
Der Reihe nach traten die Genossen an, ergriffen die Bola am Knotenpunkt ihrer Riemen, wirbelten die Kugeln am ausgestreckten Arm über ihrem Kopf, streckten dann den Arm im Schwung nach vorne und ließen los. Richtig geschleudert fächerte sich die Bola im Flug ein wenig auf und traf derart im Ziel ein, als würden die gespreizten Finger einer Hand auf einen Widerstand stoßen. Ziel war ein offensichtlich zu diesem Behufe entasteter Baumstamm, der in etlicher Entfernung aus dem Unterholz ragte. Wenn es jemand schaffte, mit den Schnüren seiner Bola das Holz zu umarmen, kamen die Lederbeutel in ihrem rasenden Flug jäh zum Stillstand und wurden durch die entfesselten Fliehkräfte mit solcher Wucht um den Stamm getrieben, dass beim Aufprall ein weithin hörbares, dumpfes Klong ertönte und Borken- und Rindenstückchen aufstoben. Brachvogel mochte sich nicht ausmalen, was mit Kopf und Schultern eines Gegners geschehen würde, dessen Hals derart von den Schnüren der Bola umwunden und stranguliert wurde.
Kurabel war offensichtlich das Haupt der Gruppe der Bolaschleuderer. Er zeigte auf, welche Miss- und Fehlgriffe den Männern unterliefen und verdeutlichte dann mit weit ausholender Gebärde, wie die Kugeln mustergültig geführt wurden.
„Ganz offenkundig kannst du mehr als nur Schlick schaufeln“, grinste Brachvogel ihn an. „Es ist bemerkenswert und deucht mir ein hoffnungsvolles Omen, einmal welche der unseren mit der Bola hantieren zu sehen und nicht nur immer die Jäger- und Wächterinnen.“
„Schon immer hatten es mir die schnellenden Bollen angetan und seit uns einmal im Umlauf ein Freigang gewährt ward, habe ich die Gunst der Stunde genutzt, selbst solche anzufertigen, mich in ihrer Anwendung zu üben und meine Kenntnisse an die Genossen weiterzugeben. Leider sind meine Bolas nicht so trefflich wie die der Jägerinnen. Sie nutzen Kupferkugeln als Gewicht, während wir nur mit Kieseln gefüllte Lederbeutel haben.“
„Gewiss ist die Treffsicherheit derer mit Kupferkugeln höher“, warf Brachvogel ein.
„In der Tat, so ist es. Die Säckchen sind zwar so verschnürt, dass sie sich während des Schleuderns fest zuziehen, aber wenn sie auf dem Ziel aufprallen, lockert sich das Ganze immer wieder. Und schon eine geringe Abweichung von der vollendeten Kugelgestalt schmälert die Flugeigenschaften und damit die Zielgenauigkeit erheblich. Ich habe schon daran gedacht, einer Jägerin die Bola zu entwenden, aber das würde sicher einigen Wirbel verursachen und Erkundungen nach sich ziehen, die schlimmstenfalls gar einen entlarvenden Blick auf unsere Reihen zur Folge hätten.“
„Vielleicht ließen sich aus den Ästen der roten Esche Kugeln fertigen. Direkt am Stamm ist deren Holz härter als der Kopf der Archontin, aber leichter zu bearbeiten als Stein. Und Kupferkugeln zu gießen würde uns ohne Einwilligung und Hilfe der Eisenfrau schwerlich gelingen“, gab Brachvogel zu bedenken.
„Wie ich dir ehedem schon schlickschaufelnderweise gesagt habe, scheinst du nie um eine Idee verlegen zu sein, Brachvogel, und es freut mich aufrichtig, dich demnächst in unseren Reihen zu wissen“, lächelte Kurabel herzlich. „Aber genug der Theorie.“ Er reichte Brachvogel eine Bola. „Erprobe dich einmal hiermit.“
Brachvogel ergriff die Bola am Knoten, wog eines der Ledersäckchen prüfend in der Hand und ließ die Schnüre dann herabhängen. Die längste reichte fast bis an die Erde. Die kürzeste Schnur würde sich schnell um den Stamm wickeln und damit den Gewichten an der mittleren und der langen Schnur Anker und Widerlager bieten, auf dass sie ihre größte Wucht entwickeln konnten.
Brachvogel streckte den Arm über den Kopf und begann aus dem Schultergelenk heraus kreisend die Bola langsam in Schwung zu versetzen. Er merkte bald, wie wichtig es war, die Bewegung zu zentrieren, denn je schneller die Drehung wurde, desto stärker entfalteten sich die Fliehkräfte, die danach strebten, die Ledersäckchen aus dem Kreis herauszutragen, dessen Mittelpunkt sein Arm war. So wie die Nabe eines Rades durch die Speichen im Mittelpunkt des Radkranzes gehalten wurden, musste er ständig gegensteuern und darauf achten, dass sein Arm auch Mittelpunkt der Drehung bleib. Andernfalls würde er die Bola verreißen und nicht richtig zielen. Als er das Gebinde nicht mehr schneller kreisen lassen konnte und ihm seine Bewegung zugleich ausgewogen erschien, streckte er in dem Moment, da er vermeinte, dass die Gewichte zum Ziel hin schwangen, ruckartig seinen Arm vor und ließ den Knoten los. Die Bola floh seine Hand und trieb mit hoher Geschwindigkeit und Energie auf den Stamm zu, den sie aber um etliche Spannen verfehlte.
„Für deinen ersten Wurf war das gar nicht übel“, ließ sich Kurabel vernehmen. „Du hast nicht den Fehler vieler gemacht, die keinen vollendeten Kreis, sondern irgendetwas anderes drehen. So losgelassen, hat die Bola weder einen zweifelsfreien Auftrag, wohin sie fliegen soll, noch die Energie, lange zu fliegen. Sie eiert nur in irgendeiner Richtung herum und fällt nach ein paar Spannen wirkungslos zu Boden. Dein Fehler war ein anderer: Du hast zu früh losgelassen. Du hast deinen Kreis linksherum, also vom rechten Ohr zum linken Ohr geschwungen. Und die Bola ist rechts neben dem Stamm zu Boden gegangen. Hättest du noch einen Wimpernschlag länger gewartet, wäre sie im Ziel gelandet. Hättest du dagegen noch zwei Wimpernschläge gewartet, wäre sie links neben dem Stamm vorbeigeflogen. Mit der Zeit wirst du ein untrügliches Gespür dafür entwickeln und gewissermaßen mit deinem ganzen Körper zielen und selbst mit den Fingerspitzen, die den Knoten halten, dein Ziel in den Blick nehmen können. Fürs Erste peile, um den richtigen Moment nicht zu versäumen, einfach mit deiner Nase dein Ziel an und schiele, wenn du die Bola fliegen lassen willst, nach oben. Sobald die Kugeln über deiner Nasenspitze erscheinen, lasse los.“
Wie ein wildes Tier, in dessen Gedärm der Hunger wühlt und das nicht eher ruht, bis es Beute geschlagen hat, war jetzt Brachvogels Ehrgeiz erweckt. Eilends lief er zu dem durch die Einschläge der mit Steinen gefüllten Säckchen schon arg mitgenommenen Stamm, ergriff die Bola und kehrte zur Abwurfstelle zurück, wo sich inzwischen weitere Genossen eingefunden hatten, um seine Bemühungen mit den „schnellenden Bollen“ zu verfolgen.
„Nur zu und keine Scheu vor Fehlwürfen“, ermunterte ihn einer, „es ist noch keine Meisterin vom Himmel gefallen und wir alle haben lange daran gearbeitet, das Ziel sicher mit unserem Wurf zu umarmen.“
„Möget ihr doch achtsam mit dem Laut eurer Zunge umgehen und die richtigen Worte wählen“, lies sich da der sprachkundige Belarus vernehmen, „unter uns und in unseren Reihen reden wir doch bitte sehr von Meistern, nicht aber von Meisterinnen.“
Verständnisinnig grienten sich da die Genossen an. Wahrscheinlich waren solche Einwürfe keine Seltenheit und offensichtlich taten viele Belarus Bemühungen um die Sprache als reichlich verstiegene Grille ab. Mochten ihn auch viele der Genossen belächeln, keimte in Brachvogel plötzlich die Erkenntnis auf, dass es tatsächlich wahre und falsche Wörter gab und dass, wer die Macht hatte, die Dinge der Welt zu benennen, damit auch die Macht hatte, deren Geschicke zu lenken und zu bestimmen. Aus gutem Grund gab es in der Klave lediglich Meisterinnen und in einer Welt, in der Frauen, Weisungsfrauen, Wächterinnen, Jagdfrauen und Meisterinnen auf der einen, Mannlingen, Springlingen und Gehilflingen auf der anderen Seite gegenüberstanden, war der Gedanke, dass es auch einfache Mannlinge zur Meisterinnenschaft bringen konnten, einfach noch nicht geboren. Meisterinnenschaft? Nein, Meisterschaft musste es heißen!
„Recht gesprochen, Belarus“, bestätigte er dem Wortkundigen. „Ich will ein Meister der Bola werden. Meisterinnen haben wir schon zu viele und nicht alle sind uns wohl gesonnen. Zu unserem und zum Wohl der Klave würde es dagegen gereichen, wenn aus möglichst vielen Mannlingen Männer und aus möglichst vielen Männern Meister würden.“
Belarus musterte Brachvogel aufmerksam und nickte ihm dann erfreut und dankbar zu.
Ungeachtet seines ständig wachsenden Publikums stellte Brachvogel sich nun in Position und begann, die Bola über seinem Kopf kreisen zu lassen. Einen perfekt ausgewogenen Kreis zu schwingen, fiel ihm nun nicht mehr so schwer, aber seine Nase als Zielanzeiger zu verwenden, wie ihm Kurabel angeraten hatte, erwies sich als wenig praktikabel. Jedes Mal, wenn er den Blick hob, um über sein Riechorgan die Gewichte mit dem Ziel in Deckung zu bringen, verlor er seinen festen Stand und die Bola geriet ins Schlingern. Warum nicht den Zeigefinger der linken Hand zur Hilfe nehmen? Schließlich hieß es ja auch Zeigefinger und nicht Zeigenase. Gedacht – getan. Brachvogel streckte den linken Arm aus und richtig konnte er Stamm, Zeigefinger und Gewichte gleichzeitig in den Blick nehmen und in einer Linie auf das Ziel hin ausrichten, ohne nach oben schielen zu müssen und dadurch aus dem sicheren Stand zu geraten. Schnell stellte er allerdings fest, dass es mit dem Zeigefinger allein nicht getan war und er auch dafür sorgen musste, dass die Schnüre, die gewissermaßen das Halbmaß des Kreises bildeten, den er mit der Bola schwang, im Moment des Abwurfs genau parallel zu seinem linken Arm verliefen. Doch war natürlich sein linker Zielarm um Schulterbreite vom rechten Arm entfernt, mit dem er die Bola schleuderte. Das musste er ebenfalls ins Kalkül ziehen und hatte nun statt Kurabels Wimpernschlag einen Schultersprung zu berücksichtigen. Nein, so würde es nicht gelingen.
Wie hatte Kurabel es umschrieben? „Du musst mit deinem ganzen Körper zielen.“ Er konnte sich also weder auf seine Nase noch seinen linken Zeigefinger verlassen, sondern musste sich mit Beinen, Rumpf, Armen und Kopf in den Mittelpunkt eines Kreises einfühlen, auf dessen Rand der Stamm stand. Er wirbelte die Bola um sich herum und prägte sich die Position des Stammes nicht nur mit den Augen, sondern mit allen seinen Gliedmaßen ein, verankerte sie in sämtlichen Sinnen, schloss dann die Augen und ließ im Geiste den Knoten in dem Moment los, da er vermeinte, dass sich die Schnüre zu einem Halbmesser verlängerten, der exakt in den Stamm auslief. Dies wiederholte er mehrfach: Stamm in sich aufnehmen, Augen schließen, Schnüre und Gewichte aufs Ziel hin ausrichten und im Geiste schleudern. Als er sich seiner Sache völlig gewiss war, öffnete er im passenden Moment die Augen, nahm das Ziel in den Blick und entließ die Bola aus seinem Griff: Sie zischte haarscharf links am Stamm vorbei. Trotz des neuerlichen Misserfolgs spürte Brachvogel ganz eindringlich, auf dem richtigen Weg zu sein, lief nach der Bola und nahm erneut die Ausgangsstellung ein.