Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 21
D. Systematisierung der verschiedenen Formen versuchsweiser ärztlicher Behandlung
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Begibt sich der Arzt mit einer Behandlungsmaßnahme auf medizinisches Neuland, so zieht der versuchsweise Charakter des ärztlichen Handelns mehr oder weniger ausgeprägte Modifikationen der (grundsätzlich weiterhin anwendbaren) allgemeinen Regeln nach sich, denen die rechtliche Bewertung ärztlicher Heileingriffe unterliegt. Phänomenologisch kann dabei sowohl nach dem dominierenden Handlungszweck als auch nach dem erwarteten Nutzen der Behandlung für den von ihr Betroffenen differenziert werden: Neben den Heilungszweck, der auch bei der versuchsweisen Behandlung kranker Personen stets im Vordergrund stehen sollte,[67] kann ein Interesse des behandelnden Arztes (oder Dritter, z.B. eines Pharmakonzerns) an der systematischen Gewinnung empirischer Erkenntnisse über den Krankheitsverlauf und die Wirkungen der eingesetzten Medikamente treten. Sodann kann die Versuchsbehandlung[68] zum einen für den von ihr Betroffenen einen unmittelbaren Nutzen versprechen, zum anderen aber auch lediglich – vermittelt über den angestrebten Erkenntnisgewinn – Hilfe für die Gruppe der einschlägig Erkrankten verheißen (wobei der Studienteilnehmer wiederum Teil dieser Gruppe, aber auch ein gänzlich unbelasteter Gesunder sein kann). Je nachdem, welche Zwecksetzung und welches Nutzenkalkül der Versuchsbehandlung zugrunde liegt, können unterschiedliche Gefährdungslagen für Patienten bzw. Probanden entstehen, welche der rechtlichen Einhegung bedürfen. Auf die mit den vorstehend skizzierten Unterscheidungen verbundenen rechtlichen Konsequenzen ist daher im Folgenden näher einzugehen; zuvor bedarf es jedoch noch einer weiteren Präzisierung der begrifflichen Abgrenzung.
I. Standardbehandlung, Heilversuch und Forschungseingriff
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Mit Blick auf den der Versuchsbehandlung zugrunde liegenden Handlungszweck bietet sich eine Unterscheidung zwischen Heilversuch und Forschungseingriff an; darüber hinaus ist der Heilversuch von der medizinischen Standardbehandlung abzugrenzen.[69]
1. Abgrenzung zwischen Heilversuch und Standardbehandlung
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Der Heilversuch unterscheidet sich von der Standardbehandlung nicht durch die Ungewissheit der Heilungschancen, die insbesondere auch risikoträchtigen Standardtherapien immanent ist.[70] Für die Abgrenzung ist vielmehr ausschlaggebend, ob der Arzt lediglich den Standard[71] nachvollzieht, oder ob er sich auf medizinisches Neuland begibt und damit gleichsam eine Weiterentwicklung des heutigen Standards betreibt.[72] Erfolgt die gewählte Behandlung auf einer empirisch hinreichend gesicherten Grundlage, basiert sie auf medizinischer Erfahrung und erfreut sich professioneller Akzeptanz, so ist von einer medizinischen Standardbehandlung auszugehen.[73] Fehlt es an einem dieser Merkmale, handelt der Arzt versuchsmäßig (was allerdings nichts daran ändert, dass auch der dann gegebene Heilversuch rechtlich als ärztliche Behandlung einzuordnen ist).[74]
2. Abgrenzung zwischen Heilversuch und Forschungseingriff
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Im Rahmen der Versuchsbehandlung kann weiter zwischen Heilversuchen und Forschungseingriffen differenziert werden.[75] Beide weichen vom Standard der ärztlichen Versorgung und Behandlung ab; sie unterscheiden sich jedoch in der ihnen zugrunde liegenden Zwecksetzung: Der Heilversuch ist auf die Erkennung, Heilung oder Verhütung pathologischer Zustände ausgerichtet und behält damit den Charakter als ärztliche Behandlungsmaßnahme, die den Regelungen zum ärztlichen Heileingriff unterliegt.[76] Demgegenüber zeichnet sich der Forschungseingriff durch Merkmale des Experiments – z.B. Zielgerichtetheit, Planmäßigkeit und Standardisierung[77] – aus; er dient (auch oder sogar ausschließlich) der Gewinnung neuer Erkenntnisse und bedarf aus diesem Grunde einer eigenständigen Rechtfertigung.[78]
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Während für beide Formen der Versuchsbehandlung neben der Einwilligung des aufgeklärten Betroffenen (sog. informed consent)[79] ein angemessenes Verhältnis zwischen eingriffsspezifischen Risiken und dem in Aussicht stehenden Nutzen zu fordern ist,[80] erfahren diese Anforderungen in den für Forschungseingriffe einschlägigen Regelungen Modifikationen und Ergänzungen, die dem zusätzlichen Legitimationsbedarf dieses Eingriffstyps Rechnung tragen. Die vorstehend skizzierte Unterscheidung schlägt sich im Übrigen auch in der Terminologie nieder: Während derjenige, der sich einem Forschungseingriff unterzieht, als Proband bezeichnet wird, verwendet man für die Person, die an einem Heilversuch teilnimmt, weiterhin den Begriff des Patienten.[81] Darüber hinaus wird der mit einem unmittelbaren Eigennutzen für den erkrankten Teilnehmer verbundene Forschungseingriff als therapeutisches oder heilkundliches Experiment und der ausschließlich fremdnützige Forschungseingriff als (rein) wissenschaftliches Experiment bezeichnet.[82] Die Unterscheidung zwischen Heilversuchen und Forschungseingriffen ist anhand objektivierbarer Kriterien vorzunehmen; dabei sprechen für die Annahme eines Forschungseingriffes die Charakteristika wissenschaftlichen Arbeitens wie etwa die Planung und Auswertung einer größeren Anzahl an Behandlungen, eine statistische Auswertung der Ergebnisse, die Finanzierung durch kommerzielle oder nicht-kommerzielle Institutionen sowie eine Vergleichsgruppenbildung.[83]
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In der Rechtswirklichkeit dürfte eine Versuchsbehandlung allerdings eher selten eindeutig als Heilversuch oder als Forschungseingriff einzuordnen sein; stattdessen dominieren Mischformen verschiedener einander überlagernder bzw. ergänzender Zwecksetzungen.[84] Eine zufriedenstellende Lösung des daraus resultierenden Abgrenzungsproblems wird sich entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung[85] nicht in der Orientierung am „Schwerpunkt“ der von dem behandelnden Arzt verfolgten Zwecksetzung finden lassen; liefe man doch bei dem Bemühen um eine möglichst eindeutige Zuordnung zu einer der beiden Eingriffsarten Gefahr, wichtige Aspekte der jeweiligen Handlungssituation auszublenden. Den Vorzug verdient daher diejenige Sichtweise, die ein Nebeneinander von Heilversuch und Forschungseingriff innerhalb derselben Behandlungsmaßnahme in Betracht zieht; denn nur durch eine solche integrierende Betrachtungsweise erscheint sichergestellt, dass die angedeuteten, voneinander abweichenden Legitimationsanforderungen im konkreten Einzelfall Beachtung finden.[86] Beim Forschungseingriff im Rahmen einer Arzneimittelstudie, der auch Heilzwecke verfolgen kann (dies aber eben nicht zwingend muss), treten dann neben die Voraussetzungen des ärztlichen Heileingriffes die vor allem in den §§ 40 ff. AMG normierten Anforderungen an die Durchführung des Forschungsvorhabens und des konkreten Eingriffes, die ihren Grund in den Besonderheiten der Forschungssituation haben. Soweit in § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG der sog. Compassionate Use, bei dem schwer kranken Patienten unter bestimmten Voraussetzungen der Zugang zu noch in der Erprobung befindlichen Medikamenten eröffnet wird,[87] von der Zulassungspflicht befreit wird, steht nicht die systematische Gewinnung von Erkenntnissen über das Arzneimittel, sondern der Heilerfolg beim individuellen Patienten im Vordergrund.[88]
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Die vorstehenden Erwägungen schließen es selbstverständlich nicht aus, dass in der Praxis auch Fälle vorkommen, die sich eindeutig als Heilversuch oder als Forschungseingriff einordnen lassen und infolgedessen ausschließlich an den insofern einschlägigen Legitimationsanforderungen zu messen sind: So ist etwa der ohne jeden Gedanken an einen über den Einzelfall hinausweisenden Erkenntnisgewinn vorgenommene individuelle Heilversuch ebenso denkbar wie die Durchführung einer sog. Phase-I-Studie mit gesunden Probanden, die der Überprüfung der Verträglichkeit und der Wirkungen des Medikaments auf den Organismus und damit ausschließlich Forschungszwecken dient.[89] Unter Umständen lassen sich schließlich auch innerhalb eines einheitlichen Behandlungsgeschehens einzelne Maßnahmen mit unterschiedlicher Zwecksetzung identifizieren, die dann an den für die jeweilige Form der Versuchsbehandlung maßgeblichen Maßstäben zu messen sind.[90]
II. Die Risiko-Nutzen-Abwägung als zentrale Zulässigkeitsvoraussetzung für Versuchsbehandlungen
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Ein zentrales Element der Rechtfertigung von Versuchsbehandlungen bildet die bereits in den eingangs (vgl. Rn. 4) erwähnten Richtlinien des Reichsministeriums des Innern aus dem Jahr 1931 vorausgesetzte Risiko-Nutzen-Abwägung, die überdies zu einem bestimmten Abwägungsergebnis führen muss.[91] Auch die Einwilligung des aufgeklärten Patienten bzw. Probanden (der sog. informed consent) befreit grundsätzlich nicht von dem Erfordernis eines angemessenen Verhältnisses zwischen drohenden Schäden und zu erwartendem Nutzen.[92] Art. 28 Abs. 1 lit. e der VO (EU) Nr. 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln definiert darüber hinaus ein absolutes Schutzniveau mit der Forderung, klinische Prüfungen müssten so geplant werden, „dass sie mit möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und allen anderen vorhersehbaren Risiken für die Prüfungsteilnehmer verbunden (sind) und sowohl die Risikoschwelle als auch das Ausmaß der Belastung im Prüfplan eigens definiert und ständig überprüft werden“ (ebenso Art. 62 Abs. 4 lit. i der Medizinprodukte-VO [EU] 2017/745).[93] Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Heilversuch nur indiziert, „wenn die verantwortliche medizinische Abwägung und ein Vergleich der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten die Anwendung der neuen Methode rechtfertigt“.[94] Die Risiko-Nutzen-Abwägung wird hier mithin in die medizinische Indikationsstellung integriert.
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Bei der rechtlichen Beurteilung von Forschungseingriffen werden mit dem Fremd-, dem Eigen- und dem Gruppennutzen drei verschiedene Formen der Nutzenallokation unterschieden, wobei als ausschlaggebend für die (auch rechtlich bedeutsame) Einordnung eine ex ante-Beurteilung des jeweiligen Einzelfalles auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Prognose gilt.[95] Ungeachtet allfälliger Überschneidungen und Trennungsunschärfen der verwendeten Kategorien versteht man unter einem Fremdnutzen denjenigen Nutzen, der sich nicht für den einzelnen Studienteilnehmer, sondern ausschließlich für Dritte – insbesondere für zukünftige Patienten, denen das zu erprobende Präparat zugutekommen soll – ergibt. Demgegenüber besteht der Eigennutzen im individuellen (gesundheitlichen) Nutzen des Teilnehmers selbst; ein Eigennutzen ist mithin nur dann gegeben, wenn die Teilnahme einen therapeutischen, diagnostischen oder präventiven Nutzen mit sich bringt. Maßgebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der medizinischen Indikation zu; der Eigennutzen muss sich unmittelbar aus der Anwendung des Arzneimittels oder Medizinprodukts im Rahmen der Studie ergeben und darf nicht lediglich in einer möglichen späteren Partizipation an dem erhofften wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn bestehen.[96] Unter dem Gruppennutzen wird schließlich der Nutzen verstanden, der einem bestimmbaren Personenkreis zugutekommt, zu dem auch der Studienteilnehmer gehört. Zu denken ist hier grundsätzlich an nach Studienende zur Verfügung stehende verbesserte Diagnose- und Behandlungsoptionen, aber auch an Fortschritte bei der Krankheitserforschung, die ihrerseits als Ausgangspunkt für anwendungsorientierte Forschung dienen können.[97] Vor diesem Hintergrund kann man von einer privilegierten Form des Fremdnutzens sprechen.[98]
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Die vorstehend skizzierten Kategorien der Nutzenallokation haben in unterschiedlichem Ausmaß Eingang in die nationalen und internationalen Bestimmungen des Rechts der medizinischen Forschung gefunden: So macht § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG die Durchführung der klinischen Prüfung eines Arzneimittels davon abhängig, dass „die vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen für die Person, bei der sie durchgeführt werden soll (betroffene Person), und der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde ärztlich vertretbar sind“. Rechtfertigende Bedeutung kann mithin nicht nur der erwartete Eigennutzen für den Teilnehmer, sondern auch ein etwaiger Fremdnutzen zugunsten der Allgemeinheit in Form des sog. Heilkundenutzens entfalten (i.d.S. auch Art. 28 Abs. 1 lit. a der VO [EU] 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln; vgl. auch § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 MPG a.F. sowie nunmehr Art. 62 Abs. 4 lit. e der Medizinprodukte-VO [EU] 2017/745 für Medizinprodukte). Ein strengerer Maßstab gilt demgegenüber für klinische Studien mit einwilligungsunfähigen erwachsenen Teilnehmern und gesunden Minderjährigen; bei diesen kommt nach § 41 Abs. 3 Nr. 1 AMG bzw. § 40 Abs. 4 Nr. 1 AMG lediglich eine Rechtfertigung nach dem Prinzip des Eigennutzens in Betracht (zur partiellen Neuregelung durch das 4. AMG-ÄndG sogleich in Rn. 30). Dasselbe galt in der Vergangenheit auch für Medizinproduktestudien mit Minderjährigen sowie mit schwangeren oder stillenden Teilnehmerinnen (vgl. § 20 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 2 MPG a.F.).[99] Auch zur Rechtfertigung der studienbedingten Anwendung von radioaktiven Stoffen und ionisierender Strahlung bei einwilligungsunfähigen und minderjährigen Personen kann lediglich auf den Eigennutzen der Betroffenen rekurriert werden (§ 136 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StrlSchV).[100]
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Auf das Legitimationsprinzip des Gruppennutzens hat der deutsche Gesetzgeber bislang eher zurückhaltend und lediglich für einen Teilbereich der klinischen Prüfung von Arzneimitteln zurückgegriffen (vgl. § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 Nr. 2a AMG für einwilligungsfähige Erwachsene und Minderjährige). Eine tendenziell großzügigere Verwendung hat das Prinzip des Gruppennutzens auf europäischer und internationaler Ebene gefunden; dies gilt insbesondere für Studien mit nicht einwilligungsfähigen Personen (vgl. z.B. Ziff. 28 DvH sowie Art. 17 Abs. 2 der – von Deutschland bislang nicht unterzeichneten – Biomedizinkonvention des Europarates[101]). Die VO (EU) 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln macht ebenfalls an verschiedenen Stellen Gebrauch vom Legitimationsprinzip des Gruppennutzens: Danach kann ein Nutzen für die repräsentierte Bevölkerungsgruppe klinische Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen Personen (Art. 31 Abs. 1 lit. g ii), mit Minderjährigen (Art. 32 Abs. 1 lit. g ii) sowie mit schwangeren und stillenden Frauen (Art. 33 lit. b ii) rechtfertigen, wobei jeweils einschränkend postuliert wird, dass die Prüfung den Prüfungsteilnehmer (bzw. den Embryo, den Fötus oder das Kind nach der Geburt) lediglich einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung aussetzen darf. In Bezug auf nicht einwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer bleiben überdies mögliche strengere nationale Regelungen gemäß Art. 31 Abs. 2 der Verordnung unberührt.[102] Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Öffnungsklausel insofern Gebrauch gemacht, als gruppennützige klinische Prüfungen bei einwilligungsunfähigen Erwachsenen gemäß § 40b Abs. 4 S. 3 AMG n.F. zukünftig nur durchgeführt werden dürfen, soweit die betroffene Person im Zustand der Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit eine Vorausverfügung für den Fall des Eintritts der Einwilligungsunfähigkeit getroffen hat. Aufgabe des Betreuers ist es, zu prüfen, ob die in der Vorausverfügung enthaltenen Festlegungen auf die aktuelle Situation zutreffen (§ 40b Abs. 4 S. 4 AMG n.F.).[103] Art. 66 der Medizinprodukte-VO (EU) 2017/745 verlangt für die Durchführung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten mit schwangeren oder stillenden Frauen zusätzlich zu den in Art. 62 Abs. 4 der VO genannten Voraussetzungen, dass die Prüfung entweder „unter Umständen einen direkten Nutzen für die betroffene schwangere oder stillende Frau oder ihren Embryo oder Fötus oder ihr Kind nach der Geburt zur Folge (hat), der die Risiken und Belastungen überwiegt“ (lit. a) oder „bei Forschungsvorhaben mit stillenden Frauen (…) in besonderem Maße dafür Sorge getragen (wird), dass eine Beeinträchtigung der Gesundheit des Kindes ausgeschlossen ist“ (lit. b).
III. Rechtliche Anforderungen an die Durchführung von Heilversuchen
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Als ärztlicher Heileingriff unterfällt der Heilversuch den insofern einschlägigen straf- und zivilrechtlichen Regelungen. Aus strafrechtlicher Perspektive kommt daher eine Strafbarkeit eigenmächtig vorgenommener Behandlungen als Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB), eine Strafbarkeit von Behandlungsfehlern als fahrlässige Körperverletzung oder fahrlässige Tötung (§§ 229, 222 StGB; ausf. dazu → BT Bd. 6: Detlev Sternberg-Lieben, Ärztliche Heilbehandlung und Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, § 52) und schließlich – im Falle der Verweigerung einer an sich indizierten Behandlung – eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen des Unterlassungsdelikts (§§ 13, 323c StGB) in Betracht.[104] In zivilrechtlicher Hinsicht ist der Heilversuch v.a. an den mit dem Patientenrechtegesetz[105] geschaffenen Vorschriften der §§ 630a ff. BGB zu messen, mit denen im Wesentlichen die vorherige Rechtsprechung der Zivilgerichte in Arzthaftungssachen kodifiziert wurde.
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Bei der rechtlichen Bewertung von Heilversuchen ist zunächst zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung jeder – also auch der medizinisch indizierte und lege artis durchgeführte – ärztliche Heileingriff als tatbestandsmäßige Körperverletzung einzuordnen ist, die zu ihrer Rechtfertigung der wirksamen Einwilligung des Patienten bedarf.[106] Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt wiederum voraus, dass der Patient rechtzeitig[107] ordnungsgemäß über alle für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufgeklärt worden ist (vgl. §§ 630d Abs. 2, 630e Abs. 1 S. 1 BGB).[108] Zu den insofern wesentlichen Umständen gehören gemäß § 630e Abs. 1 S. 2 BGB insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Von besonderer Bedeutung für den vorliegend erörterten Zusammenhang ist die sog. Methodenaufklärung, deren Umfang dadurch begrenzt wird, dass die Wahl der Behandlungsmethode grundsätzlich Sache des behandelnden Arztes ist.[109] Dieser muss jedoch unter mehreren medizinisch anerkannten Heilverfahren dasjenige wählen, das einerseits die besten Heilungschancen eröffnet, andererseits die geringste Gefahr für den Patienten mit sich bringt und ihm die wenigsten Schmerzen bereitet.[110] Existieren mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden, die zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können, so liegt die Entscheidung beim Patienten, der daher entsprechend aufzuklären ist (§ 630e Abs. 1 S. 2 BGB).[111] Beim Heilversuch kommt hinzu, dass dieser sich bewusst vom erfahrungsbasierten medizinischen Standard löst und damit in besonderem Maße die Gefahr bislang unbekannter Komplikationen mit sich bringt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat daher der Arzt, der eine neue und noch nicht allgemein eingeführte Behandlung mit einem neuen, noch nicht zugelassenen Medikament mit ungeklärten Risiken vornehmen will, den Patienten nicht nur über die noch fehlende Zulassung, sondern auch darüber aufzuklären, dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszuschließen sind.[112]
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Bei der Durchführung der Behandlung hat sich der Arzt an den bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu orientieren, soweit nicht etwas anderes zwischen ihm und dem Patienten vereinbart ist (§ 630a Abs. 2 BGB). Ausschlaggebend ist damit regelmäßig der sog. Facharztstandard,[113] der für das jeweilige Fachgebiet im Zeitpunkt der Behandlung maßgeblich ist; die Parteien des Behandlungsvertrages können jedoch auch einen abweichenden Standard der Behandlung vereinbaren und so insbesondere den Raum für einen Heilversuch oder die Anwendung einer Neulandmethode schaffen.[114] In der Anwendung eines noch nicht zugelassenen Medikamentes oder einer neuen Operationsmethode liegt dann nicht allein aufgrund der Standardabweichung ein haftungsrelevanter Sorgfaltspflichtverstoß; der Arzt ist jedoch – wie bereits dargelegt (Rn. 27) – verpflichtet, einen besonders sorgfältigen Vergleich der Risiko-Nutzen-Profile von Standardbehandlung und neuer Methode vorzunehmen.[115] Die zugrunde liegende Abwägung ist überdies zu aktualisieren, „sobald neue Erkenntnisse über mögliche Risiken und Nebenwirkungen vorliegen, über die sich der behandelnde Arzt ständig, insbesondere auch durch unverzügliche Kontrolluntersuchungen zu informieren hat“.[116]