Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 39
B. Historische Entwicklung des Wettbewerbsschutzes durch das Straf- und Bußgeldrecht
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Der Schutz des Wettbewerbs ist traditionell Gegenstand des Kartellrechts, das Bußgeldtatbestände kennt. Daneben steht der Schutz des Wettbewerbs durch Strafrecht, der seit dem Jahr 1997 im Strafgesetzbuch geregelt ist und im Jahr 2016 um die Tatbestände der „Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen“ ergänzt wurde.
I. Sanktionierung von Kartellen und Monopolen
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Kartelle sind die älteste und in ihrer Relevanz am frühesten erkannte Form der Wettbewerbsbeschränkung. Erste Kartelle können schon im römischen Kaiserreich bis zum 3. Jahrhundert[68] nachgewiesen werden. Auch im Spätmittelalter finden sich straff organisierte Vertriebskartelle wie das Salz-Syndikat der Königreiche Frankreich und Neapel von 1301 oder das Alaun-Kartell von 1470 zwischen dem Vatikan und dem Königreich Neapel; beide Verbände besaßen eine gemeinsame Verkaufsorganisation für die jeweilige Gesamtproduktion („Societas Communis Vendicionis“).[69] Das Wesen der Kartelle besteht darin, dass mehrere Unternehmen ihr Verhalten auf dem Markt vertraglich koordinieren, um dadurch den Wettbewerb untereinander auszuschließen oder einzuschränken. Der Schwerpunkt der Kartellbildung liegt jedoch im 19. Jahrhundert, nachdem der Wiener Kongress eine europäische Friedensordnung mit relativ stabilen Wirtschaftsbeziehungen geschaffen hatte. Ziel der Kartellbildung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber konjunktureller Volatilität durch gezielte Produktions- und Marktregulierung auf einem auskömmlichen Preisniveau. Kartelle mit der Zielsetzung einer Monopolisierung von Märkten und Preismaximierung bildeten eher die Ausnahme.
1. Kartelle und Monopole in Deutschland bis zur Kartellverordnung 1923
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In Deutschland als „klassischem Land der Kartelle“[70] entwickelte sich die Bildung von Kartellen parallel zur Industrialisierung insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während der Gründerkrise 1873–1879 kam es zu einer Welle von Kartellgründungen gleicher Branchen, insbesondere in der Grundstoff- und Halbzeugindustrie. Dadurch kam es zu beachtlichen Machtbildungen, die den Wettbewerb stark begrenzten und Außenseiter ausschalteten.[71]
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In Deutschland war kurz vor der Gründerkrise die Gewerbeordnung von 1869 in Kraft getreten, die in § 1 GewO Gewerbefreiheit garantierte. Unter Berufung hierauf versuchte man, gegen Kartelle vorzugehen. Allerdings erklärte das Reichsgericht im Jahr 1897 in der berühmten Entscheidung zum „Sächsischen Holzstoffkartell“[72] die Kartellbindung aufgrund der Vertragsfreiheit allgemein für zulässig; aus dem Prinzip der Gewerbefreiheit (§ 1 GewO) folge nicht die Unantastbarkeit des freien Spiels der Kräfte derart, dass es untersagt wäre, im Wege genossenschaftlicher Selbsthilfe die Betätigung dieser Kräfte zu regeln und von schädlichen Ausschreitungen abzuhalten. Bei Kartellen handele es sich in der Regel um nützliche Einrichtungen, um im Interesse der Gesamtheit ruinösen Wettbewerb zu verhindern; Kartellverträge könnten im Allgemeininteresse nur beanstandet werden, wenn sie zu wucherischer Ausbeutung des Konsumenten oder zu monopolistischer Marktbeherrschung führten. Damit wurde dem Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang vor den schädlichen Auswirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen auf Marktpartner und Wirtschaftsteilnehmer eingeräumt. Hierbei konnte sich die Rechtsprechung auf die damals vorherrschende positive Einstellung der Nationalökonomie gegenüber Kartellen stützen.[73] Friedrich von Kleinwächter bezeichnete Kartelle Ende des 19. Jahrhunderts als „Kinder der Not“, als Schutzorganisation der Produzenten vor Preissturz, Bankrott, Kapitalentwertung, Arbeiterentlassung, gleichsam als Heilmittel, das der Ursache aller sozialer Not, der Unsicherheit in Wirtschaftsleben, ein Ende bereiten würde, und Lujo Brentano sah in Kartellen „Fallschirme deren sich die zu hoch geflogene Produktion bedient, um wieder auf den festen Boden zu gelangen“.[74]
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Im Hinblick darauf, dass ein Kartellverbot im Sinne eines Verbots von Kartellabsprachen im deutschen Kaiserreich nicht existierte, war mit der „Sächsischen Holzstoffkartell“-Entscheidung des Reichsgerichts der Weg für eine Durchkartellierung der Wirtschaft geebnet. Kartelle wurden sogar vom Staat gefördert und im ersten Weltkrieg zur Produktions- und Wirtschaftslenkung eingesetzt, die dann in der Weimarer Zeit zu den großen Kohle-, Kali- und Stahlsyndikaten führten. Die Nationalökonomie bewertete diese Entwicklung im Wesentlichen als positiv und forderte lediglich die Bekämpfung der Auswüchse durch Registrierung und Überwachung der Kartelle.[75] Auch das Reichsgericht stand einer Kartellierung der Macht weiterhin grundsätzlich positiv gegenüber und hielt die Durchsetzung von Kartellverträgen selbst mittels Boykott und Sperre für zulässig.[76] Unterbunden wurden lediglich negative Auswüchse wie ein Missbrauch von Marktmacht bei Gütern der Daseinsvorsorge.[77] Man maß dem ökonomischen Nutzen von Kartellen eine größere Bedeutung zu als dem Schutz der individuellen Rechte der von einem Kartell negativ betroffenen Wettbewerber und Verbraucher.
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Nachdem der Gesetzgeber im Ersten Weltkrieg Kartelle sogar als Lenkungsinstrumente der staatlichen Kriegsbewirtschaftung benutzt und ihnen damit eine „integrierende wirtschaftspolitische Funktion“ zugesprochen hatte,[78] änderte sich in der Weimarer Zeit an der grundsätzlich positiven Beurteilung der Kartelle und der damit verbundenen Hinnahme privatwirtschaftlicher Machtpositionen zunächst nichts Wesentliches.[79] Kartelle erlebten einen weiteren Aufschwung, sowohl nationale als auch internationale und wurden zur maßgeblichen Form wirtschaftlicher Organisation. Einer der einflussreichsten Befürworter von Kartellbildungen in Deutschland war Walther Rathenau, unter dessen maßgeblicher Ägide unter anderem das Kohlenwirtschaftsgesetez im Jahr 1919 in Kraft trat, welches Montanunternehmen die Bildung von Zwangssyndikaten vorschrieb.
2. Kartellverordnung 1923
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Der erste gesetzgeberische Versuch in Deutschland, dem Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung entgegenzutreten, war die „Verordnung gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen (Kartellverordnung)“ vom 2. November 1923,[80] mit der der Gesetzgeber auf die negativen Auswirkungen wirtschaftlicher Machtgebilde seit der Inflationszeit der Jahre 1922 und 1923 auf die deutsche Volkswirtschaft reagierte.[81] Entsprechend der damaligen Einschätzung waren wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen Manifestationen, die zum Erlangen einer wirtschaftlichen Machtposition führten.[82] Der darin liegende „Monopolcharakter“[83] wurde als schädlich angesehen, weil er ermöglichte, sich gegenüber Wettbewerbern und der Marktgegenseite unabhängig zu verhalten. Die Kartellverordnung war damit, trotz ihrer allgemein konsentierten inhaltlichen Unzulänglichkeiten, das „first European ‚competition law‘“.[84] Die Unzulänglichkeiten dieser Verordnung lagen darin, dass Kartelle nicht ex ante untersagt wurden, sondern den Kartellgerichten lediglich die Befugnis eingeräumt wurde, Kartelle bei Gefährdung des Gemeinwohls oder der Gesamtwirtschaft, nicht aber im Interesse der individuellen wirtschaftlichen Selbstbestimmung, ex post für unwirksam zu erklären (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 KartellVO).[85] Die Kartellverordnung war damit auf eine Missbrauchskontrolle beschränkt, die zudem die Kartellvereinbarung selbst und nicht deren negative Auswirkungen auf andere Marktteilnehmer in den Blick nahm. Vergleichbare Eingriffsbefugnisse wie bei Kartellen sah die Kartellverordnung für unilaterale Wettbewerbsbeschränkungen vor (§ 10 KartellVO). Auch hier ging es nicht um den Schutz vor unangemessenen Drittwirkungen, sondern um die gesamtgesellschaftlich negativen Auswirkungen von Kartellen.[86] Wer sich über die auf dieser Verordnung beruhende Nichtigkeit eines Vertrages oder Beschlusses oder über die Bestimmungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 KartellVO (Anordnung zur Einreichung aller zur Durchführung der Vereinbarung getroffenen Vereinbarungen und Verfügungen) oder der §§ 5, 9 Abs. 1 oder Abs. 2 KartellVO (Anordnung zur zukünftigen Einreichung aller zur Durchführung der Vereinbarung getroffenen Vereinbarungen und Verfügungen; Verwertung von Sicherheiten auf Grund nicht genehmigter Kartellvereinbarungen, welche die Gesamtwirtschaft oder das Gemeinwohl gefährden) bewusst hinwegsetzte, konnte auf Antrag des Reichsministers vom Kartellgericht mit einer Ordnungsstrafe bestraft werden (§ 17 KartellVO). Allerdings wurden auch die Marktteilnehmer geschützt, und zwar durch die Strafvorschrift des § 18 KartellVO: „Wer es unternimmt, einen anderen in seinem geschäftlichen oder wirtschaftlichen Fortkommen zu schädigen, weil dieser von seinem Rechten nach § 4 Abs. 1 Ziffer 2, §§ 8, 10 Abs. 1 und 2 oder § 12 Abs. 3 Satz 2 Gebrauch gemacht oder eine Anordnung oder die Einleitung eines Verfahrens nach §§ 4, 5, 7 bis 10, 15, 16 angeregt hat, oder ihn in der Absicht, ihn von der Ausübung dieser Befugnisse abzuhalten, wird mit Gefängnis und mit Geldstrafe bestraft.“[87] Insgesamt spielte die Kartellverordnung 1923 in der Praxis eine geringe Rolle. Man schritt nur in wenigen Fällen auf der Grundlage der Kartellverordnung erfolgreich gegen Kartelle ein. Gegen Ende der Weimarer Zeit schätzte man die Gesamtzahl der Kartelle auf 2000 bis 4000.
3. Kartelle in der Zeit des Nationalsozialismus
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Die NS-Wirtschaft stützte sich von Anfang an auf ein System von Kartellen und Zwangskartellen.[88] Kartelle wurden nicht mehr als Gefahrenquelle für die marktwirtschaftliche Ordnung gesehen. Man ging vielmehr davon aus, dass große wirtschaftliche Einheiten besser in die Kriegsvorbereitung eingepasst werden konnten, weil sie rationeller arbeiteten sowie leichter zu kontrollieren und zu lenken waren. Daher wurden von 1933 an Kartelle zunehmend zu staatlichen Lenkungsinstrumenten, vor allem nach Ergänzung der Kartellverordnung durch das Zwangskartellgesetz vom 15. Juli 1933,[89] das dem Reichswirtschaftsminister ermöglichte, den Betrieben zur Verhinderung von Überproduktion und zur Verbesserung der Kapazitätsauslastung Produktions- und Investitionsbeschränkungen aufzuerlegen, Produktionsquoten zuzuteilen, Aufträge durch Treuhänder zuteilen zu lassen, Betriebsumstellungen zu untersagen und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit den Maschineneinsatz zu beschränken,[90] wenn dies unter Abwägung der Belange der einzelnen Unternehmen und des Gemeinwohls für die Gesamtwirtschaft geboten erschien.[91] Außerdem konnte der Reichswirtschaftsminister die Rechte und Pflichten der Mitglieder des Zusammenschlusses festlegen und deren Einhaltung beaufsichtigen und gegebenenfalls eingreifen.[92] Durch die Marktaufsichtsverordnung vom 20. Oktober 1942[93] wurden die Kartelle dann endgültig zu Trägern der staatlichen Wirtschaftspolitik.
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Im Zuge der sog. Kartellbereinigung bis März 1944 kam es zur Auflösung von etwa 90 % aller deutschen Kartelle.[94] Damit hatten die Kartelle unter dem Einfluss der Kriegswirtschaft und der staatlichen Marktordnung ihre eigenständige Bedeutung verloren. Die marktregelnden Aufgaben der Kartelle wurden auf staatliche Organisationen übertragen und der Staat übernahm weitgehend selbst die Überwachung der Wirtschaft.[95]
4. Dekartellierung durch die Alliierten
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Nach dem Zweiten Weltkrieg galt zunächst das Besatzungsrecht der westlichen Siegermächte. Teil III Art. B 12 des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 sah vor, dass die deutsche Wirtschaft dekartelliert und Kartelle, Syndikate, Trusts sowie andere monopolistische Einrichtungen beseitigt werden sollten. Neben zahlreichen politischen Zielen sollte die US-amerikanische Antitrust-Politik mit dem Prinzip der Wettbewerbsfreiheit auch in Deutschland durchgesetzt und Westdeutschland in das marktwirtschaftliche System westlicher Länder integriert werden. Die drei westlichen Alliierten erließen 1947 ein im Wesentlichen deckungsgleiches Dekartellierungsrecht, wonach Kartelle, Preisbindungen, Interessengemeinschaften, Konzerne und sonstige übermäßige Konzentrationen von Wirtschaftskraft verboten waren und gegebenenfalls einer Entflechtung unterworfen wurden. Vorbild dieser Dekartellierungsgesetzgebung war das US-amerikanische Anti-Trust-Recht, das im Sherman Act von 1890 jeden Vertrag, jede Vereinigung in Form eines Trusts oder in anderer Form sowie jedes Zusammenwirken zum Zwecke der Beschränkung des Handels und jeden Versuch monopolistischer Marktbeherrschung für strafbar erklärte. Damit bestand ein striktes strafbewehrtes Kartell- und Monopolisierungsverbot. Während die Verbotstatbestände durchaus praktische Bedeutung erlangten, wurde das alliierte Dekartellierungsrecht nur verhältnismäßig selten angewendet.[96] Konzerne und größere Einzelunternehmen wurden nur ausnahmsweise bis zu einer Größe, die den alliierten Behörden tragbar erschien, entflochten. Die strikte Dekartellierungsregelungen wurden nach und nach unter dem Einfluss der deutschen Rechtsprechung zum Besatzungsrecht gelockert.
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Das alliierte Dekartellierungsrecht blieb aufgrund des Überleitungsvertrags vom 26. Mai 1952[97] in Kraft, bis ein entsprechendes deutsches Gesetz in Kraft trat. Am 4. Mai 1955 wurde die Anwendung der Dekartellierungsvorschriften auf den Bundeswirtschaftsminister übertragen. Dieser wandte bereits den in der parlamentarischen Behandlung befindlichen Entwurf des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen an. Die Bemühungen um die Ablösung der alliierten Dekartellierungsvorschriften durch ein deutsches Kartellgesetz hatten schon früh nach dem Zusammenbruch begonnen, konnten aber erst mit dem am 1. Januar 1958 in Kraft getretenen GWB vom 27. Juli 1957 abgeschlossen werden.[98] Dies hatte zur Folge, dass das alliierte Dekartellierungsrecht bis zur Ablösung durch das GWB jedenfalls formell fortgegolten hat.
5. Das GWB von 1957 und seine Novellen
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Seit Beginn der 1950er Jahre bemühte sich die Bundesregierung, die alliierten Dekartellierungsgesetze durch ein deutsches Kartellgesetz zu ersetzen, das ein Kartellverbot und eine Fusionskontrolle enthalten sollte.[99] Umstritten war insbesondere, ob ein grundsätzliches Kartellverbot oder eine Missbrauchsaufsicht nach dem Vorbild der Kartellverordnung 1923 eingeführt werden sollte. Erst nach mehrjähriger Beratung konnte man sich dahingehend einigen, sowohl den Grundsatz des Leistungswettbewerbs aufzustellen als auch die Beaufsichtigung und Beseitigung wirtschaftlicher Monopole durchzusetzen. § 1 GWB ging vom Verbotsprinzip aus, wurde aber durch weitreichende Ausnahmen in §§ 2 bis 8 GWB durchbrochen. Außerdem wurde eine Preisbindung für Markenartikel erlaubt. Auf die ursprünglich vorgesehene Fusionskontrolle wurde verzichtet. Der Kompromiss, der Elemente des Verbotsprinzips und des Missbrauchsprinzips verband, wurde am 27. Juli 1957 als Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen[100] erlassen und trat am 1. Januar 1958 in Kraft. An diesem Tag nahm das Bundeskartellamt als selbständige Bundesbehörde seine Tätigkeit in Berlin auf. Die Bußgeldnorm des § 38 Abs. 1 GWB knüpfte an die die Verbotsnorm des § 1 Abs. 1 GWB a.F. an. Letztere Vorschrift bestimmte, dass Verträge, die Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen zu einem gemeinsamen Zweck schließen, und Beschlüsse von Vereinigungen von Unternehmen unwirksam sind, soweit sie geeignet sind, die Erzeugung oder die Marktverhältnisse für den Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen durch Beschränkung des Wettbewerbs zu beeinflussen. Wer sich über die Unwirksamkeit eines Vertrages nach § 1 GWB hinwegsetzte, konnte gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a.F. mit einer Geldbuße geahndet werden. Folglich war nicht die rechtswidrige Vereinbarung, sondern erst deren Praktizierung bußgeldbedroht.
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Das GWB hat, im Gegensatz zu der KartellVO 1923 und dem bis zum Inkrafttreten des GWB angewendeten alliierten Dekartellierungsrecht, von Anfang an auf den Einsatz der Kriminalstrafe als Reaktionsmittel verzichtet.[101] Es beschränkt sich auf die Androhung von Geldbußen, die sich von Geldstrafen nach Intention und Ausgestaltung unterscheiden. Entsprechend wurden die Kartellrechtsverstöße als Ordnungswidrigkeiten normiert. Die Gründe für die historische Entscheidung gegen eine (im Ausland durchaus bekannte und praktizierte) Einordnung der Kartellrechtsverstöße als Kriminalstraftaten[102] und für eine Beschränkung auf die Ausgestaltung als Ordnungswidrigkeiten sind heute nur noch zu vermuten. R. Schmitt[103] führt diese „überraschende Erscheinung“ auf den Wunsch nach der Ermöglichung von Verbandssanktionen zurück.[104] In der Tat sah § 41 GWB 1958 eine umfassende Möglichkeit der Bußgeldverhängung gegen juristische Personen und Personenvereinigungen vor. Demgegenüber lässt das heutige Ordnungswidrigkeitenrecht (§ 30 OWiG) hinsichtlich der für eine Ahndbarkeit eines Verbandes erforderlichen Anknüpfungstat einer natürlichen Person (Organ, Vorstand, vertretungsberechtigter Gesellschafter usw.) nicht nur Ordnungswidrigkeiten, sondern auch Straftaten gelten. Für die Ermöglichung einer Verbandssanktion ist es also heute nicht mehr erforderlich, die Anknüpfungstatbestände lediglich als Ordnungswidrigkeiten auszugestalten. Neben dem Wunsch nach einer quasi-strafrechtlichen Unternehmensverantwortung dürfte historisch vor allem auch die Einschätzung des Wettbewerbsgedankens durch den Gesetzgeber der 1950er Jahre eine Rolle für die Ausgestaltung als Bußgeldtatbestände gespielt haben. In der amtlichen Begründung zum GWB wird dargelegt, es sei „weder in der deutschen Öffentlichkeit noch in den beteiligten Wirtschaftskreisen … bisher ein lebendiges Gefühl dafür verbreitet, daß wettbewerbsbeschränkende Verträge und Geschäftspraktiken unerlaubt und ethisch verwerflich seien“.[105] Diese Betrachtungsweise entsprach der damaligen Deutung des Verhältnisses von Kriminalstraftat und Ordnungswidrigkeit, wobei letztere keineswegs auf Bagatellbereiche beschränkt, sondern für den gesamten überindividuellen Bereich – insbesondere der Wirtschaftsverwaltung – typisch war. Man wird aber angesichts der sonstigen Entstehungsgeschichte des GWB auch in der Annahme nicht fehlgehen, dass die Entscheidung für bloße Bußgeldsanktionen ebenfalls das Ergebnis eines Kompromisses zwischen dem Einsatz echten Kriminalstrafrechts und fast völligem Verzicht auf strafähnliche Sanktionen (Böhm-Entwurf) war.[106]
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Mit dem Inkrafttreten des GWB am 1. Januar 1958 war die wettbewerbspolitische Diskussion keineswegs beendet. Hervorzuheben ist insbesondere die zweite GWB-Novelle vom 3. März 1973,[107] mit der die Fusionskontrolle eingeführt und die Preisbindung für Markenartikel abgeschafft wurde. Außerdem wurde für kleinere und mittlere Unternehmen die Einführung von Kooperationserleichterungen beschlossen. Schließlich wurden aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen, die nach dem GWB nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Bindung gemacht werden dürfen, verboten, nachdem der BGH die Subsumtion solcher Verhaltensweisen unter den Begriff des Vertrages als eine im Ordnungswidrigkeitenrecht unzulässige Analogie eingestuft hatte.[108] Die weiteren Novellen waren unter dem Aspekt der Sanktionierung nicht von Bedeutung. Hervorzuheben ist erst die sechste GWB-Novelle von 1998, die eine Harmonisierung mit dem europäischen Recht anstrebte, diese allerdings nur unvollständig erreichte.[109] Mit der siebten Novelle von 2005 wurde die Angleichung des nationalen Kartellrechts an das europäische Recht, insbesondere an das geänderte europäische Kartellverfahrensrecht, weitergeführt.[110] Die bislang bestehende grundsätzliche Anmelde- und Genehmigungspflicht für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen wurde in das auch im europäischen Recht geltende System der Legalausnahme überführt. Außerdem wurde die im deutschen Recht noch bestehende unterschiedliche Behandlung von horizontaler und vertikaler Wettbewerbsbeschränkung aufgehoben. Die achte Novelle von 2013 hat das Kartellrecht in Deutschland modernisiert.[111] Zentrale Punkte der Reform waren: eine systematische Revision der Missbrauchsaufsicht, besondere Missbrauchsvorschriften für die Wasserwirtschaft, eine weitergehende Europäisierung der Fusionskontrolle, Neuerungen im Kartellverfahrens- und im Kartellordnungswidrigkeitenrecht, dort insbesondere zur Rechtsnachfolge der Bußgeldhaftung. Mit der neunten GWB-Novelle sollte zum einen die EU-Kartellschadensersatz-Richtlinie umgesetzt werden, zum anderen sollten Lücken im Bußgeldrecht geschlossen werden, die sich bei der Verhängung von Bußgeldern gegen Unternehmen gezeigt hatten. Die zehnte GWB-Novelle brachte neben einer „Digitalisierung des Kartellrechts“ im Bereich der Missbrauchsaufsicht und neuen Regeln für große Digitalunternehmen grundlegende Änderungen und Ausweitungen des Eingriffs-, Ermittlungs- und Verfahrensrechts, des Bußgeldrechts, des Kartellschadensersatzrechts und der Fusionskontrolle. Die Novelle setzt auch die ECN+-Richtlinie der EU zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden um und geht teilweise deutlich über deren Vorgaben hinaus. In Bezug auf das Bußgeldrecht hervorzuheben sind die Einschränkung des Rechts zur Auskunftsverweigerung im Bußgeldverfahren, die Kodifizierung des Kronzeugenprogramms sowie die Konkretisierung der Kriterien zur Bußgeldbemessung einschließlich einer bußgeldmindernden Berücksichtigung von vor und/oder nach der Tat getroffenen Compliance-Maßnahmen.