Kitabı oku: «Franz Kafka», sayfa 2
Sein Leiden wird fruchtbar für das Schreiben. August1914, wie die Massen hysterisch aufschreien, Blut mit Eisen und Dampf fordern und die heilig ernüchterte Schläfe unter blass-blauen Schatten der Lider zuckt. Wenig später sieht er sich Ott-la, seiner Auserwählten treuesten Zuhörerin, vielleicht der Ein-zigen, die zwischen den Zeilen zu lesen versteht, beraubt. Die Erzählung „Hochzeitsvorbereitungen auf dem Land“ entsteht. Es hätte die seine werden sollen, doch die ihre ist es geworden. Der unentschlossene, weil unglückliche Bräutigam Raban flüchtet vor traurigem Regen in Tagträume und die tröstliche Vorstellung, die schwere Zeit im Winterschlaf als großes Insekt zu verbringen. Er schickt seinen abgelösten Körper auf die Reise zur Braut, aufs Land, auf dem Ottla nun wohnt. Geschichten des Verkriechens und Eingrabens gibt es viele bei Kafka. „Ich suche mir ein gutes Versteck und belauere den Eingang meines Hauses.“16 Neunmal wechselt er die Wohnung im selben Quartier.
Täglich steigt in sein Haus hinab mit verwelkenden Gesten wie in ein Grab. Allnächtlich verliert sich in den Gassen Prags
die dem anthroposophischen Labyrinth eines weit verzweigten Höhlenbaus gleichen. Der Mensch als zoologischer Garten. In-sekt, Hund, Schakal, Affe, Dachs. Wer ist er wirklich oder doch alles zugleich? Er will sein Haus nicht mehr verlassen, wie ein toter, wie Jäger Gracchus, der zur Unzeit heimgetragen wird und nicht begreifen mag, dass er schon lange an seiner Angst gestorben ist. Der Jäger hat sich auf das Lauern eingerichtet, das verendende Tier, seine Beute, seinen Tod. Er möchte sein „Leben in der Beobachtung des Eingangs zu verbringen und immerfort mir vor Augen zu halten und darin mein Glück zu finden, wie fest mich der Bau, wäre ich darin, zu sichern imstande wäre.“
Er vergräbt sich, seine Wut und seine vertagte Lebenslust. Inzwischen hat er sich daran gewöhnt, sein Leben im Konjunktiv zu führen. Ist es überhaupt noch seine Existenz oder nicht schon längst die eines anderen, den er zu beobachten einfach nicht zu unterlassen vermag?
1 I. 3. Fieberträume oder die Agonie des Verstummens
Kierling, Klosterneuburg, Niederösterreich. Die andere Seite des Mondes. Zerstörtes Gewebe, wohin man auch blickt. Süßlicher Geruch des Todes beim Ausatmen. Fortwährender Durst, ins Unerträgliche gesteigert, wenn andere trinken. Ein Glas Wasser vor seinen Augen, unerreichbar von eigener Hand zu trinken und höllische Schmerzen, es Tropfen für Tropfen zu leeren. Es geht alles langsam, rückwärts, sprachlos. „Ich kämpfe, niemand weiß es …ich erfülle meine täglichen Pflichten. ... Natürlich kämpft jeder, aber ich kämpfe mehr als andere. Etwas ist allerdings anders…ich rede vom Freigelassen-sein, es ist nur ein Erklärungsversuch aus Not.“17
Max sitzt an einem Ende des Bettes, Dora an dem anderen. Die letzten Zeugen eines unwürdigen Zuckens. Die Lungentuberkulose, der Kehlkopf geschwollen, zum hässlichen Pfeifen und Röcheln verdammt, ein lebendig Begrabener, ein spindeldürrer Verwesender. Max repräsentiert die dem Patienten verschlossene Welt des praktischen Tuns, des Erfolgs und des Glücks, das sich mit beiden Händen packen lässt. Er hat geschafft, wozu Franz nie in der Lage gewesen ist, Heirat und Kinder, das Schreiben läuft wie von selbst neben seinem Beruf her, seine Lesungen weisen kaum Lücken im Publikum auf. Dora, diese kraftvolle Frau, fünfzehn Jahre jünger als der Siechende, die nichts kennt außer den kommenden Sommer und die Liebe zum einfachen Leben, selbst ihn weiß sie noch mit lächelnder Gebärde zu streicheln. Das väterliche Veto, sie sei eine nicht standesgemäße Erscheinung, für ihn ein Donnerschlag, hat sie nicht einmal betrübt. Wenn sie mitleidet, so tut sie es still und nicht vorwurfsvoll, da er sie mittellos zurück lassen wird auf dieser Welt. In vielem gleicht der todkranke Franz dem Hungerkünstler und Mäusesänger aus seinen letzten Erzählungen. Er ist abgemagert, besteht nur noch aus Schatten und Schmerz. Lieber wären ihm die Morphiumspritze und der folgende gläserne Schlaf als das unwürdige Stammeln.
Max bringt die Korrekturfahnen zum „Hungerkünstler“, auch wenn er weiß, die frisch gedruckten Blätter wird ein anderer riechen, so will er sein Werk vollenden. Ein Todgeweihter bittet darum, diese letzte Qual zu lassen. Eine Träne quillt verstohlen, aus seinem scheuen Augenwinkel hervor, als würde sie sich ihrer Geburt schämen. „Wie ich zu essen anfing, senkte sich im Kehlkopf irgendetwas, worauf ich wunderbar frei war.“18
Vor dem Gesetz kämpfen alle nur einen Kampf, denn es gibt keinen Selb-ständigen im Krieg mit sich selbst. So steht es auch in der Erzählung vom „Bau der chinesischen Mauer“, die doch die Mauer aller Menschen ist. Was macht uns mehr zu Brüdern als das Bewusstsein von Leid und Schmerz, wenn seltsam sich schmiegen die Lippen an Staunen? Dora schenkt ihrem Verlob- ten ein dem Vergessen abgerungenes Lächeln, das sich an keiner Welle bricht. Ob er sich vor dem Sterben fürchtet, fragt sie mühelos beinahe, es und er antwortet ihr, unterbrochen von rotem Husten, mit einem Satz aus dieser Erzählung: „Den Glauben muss man richtig verteilen zwischen den eignen Worten und den eigenen Überzeugungen.“19
Führen Frage und Antwort noch zueinander oder trennen sie nur was im Schweigen noch Vereinigung finden? „Früher be-griff ich nicht, warum ich auf meine Frage keine Antwort be-kam, heute begreife ich nicht, wie ich glauben konnte, fragen zu können…“20 Dora glaubt, einem Sterbenden dürfe man keinen Wunsch abschlagen, doch dies ist falsch. Man darf ihn nicht länger belügen, das genügt. Max zittert beim Anblick seines schwächlichen Körpers und glaubt doch an Rettung durch ein Wunder. Denn wen Gott liebt, den züchtigt er, aber den vernichtet er nicht. Max glaubt an das unsterbliche Talent hinter der gebrechlichen Fassade, er hat es immer gesagt, der Franz ist unvergleichlich, doch wer schenkt seiner weltgewandten Zunge Ge-hör schenken? Seine Schwellungen am Kehlkopf, Tod durch Ersticken, das ist umso vieles realer als träumerische Poesie. In seinen kalten braunen Augen, in denen noch ein Duft des letzten Herbstes liegt, flüstert er ihm zu: „Es gibt kein Haben, nur … ein nach letztem Atem nach Ersticken verlangendes Sein.“ Gedulde doch noch ein wenig, antwortet der Freund, du wirst wieder gesund, wirst schon sehen, und glücklich. Franz aber lächelt boshaft in sich hinein. Was ihn glücklich macht, besitzt auch die Kraft hat, ihn zu zerbrechen.
1 I. 4. Das Vater - Sohn Verhältnis
Viele der in den Tagebüchern ausführlich niedergeschriebenen Träume beziehen sich auf den allmächtigen Vater. Einer davon handelt vom Versuch des Vaters, aus dem Fenster zu springen und dem des Sohnes, ihn zurückzuhalten. „Aus Bosheit streckt er sich noch weiter hinaus … Ich denke daran, wie gut es wäre, wenn ich meine Füße mit Stricken an irgendetwas Festem anbinden könnte, um nicht vom Vater mitgezogen zu werden. Allerdings müsste ich, um das zu bewerkstelligen, den Vater wenigstens ein Weilchen lang loslassen.“21
Dieser Traum ist an Symbolkraft wie die Aussage in der Niederschrift an Eindeutigkeit kaum zu übertreffen: Kafka vermag seinen Vater nicht loszulassen; gerettet will er von ihm ohnehin nicht werden und zugleich fürchtet der Sohn, durch den Vater in einen Abgrund gerissen zu werden. Omnipotenz und Ohnmachtsgefühle wachsen mit jeder leidvollen Erfahrung.
In einem anderen Traum sieht er seinen Vater als Redner, dessen an eine Predigt erinnernder Monolog das Publikum zu überzeugen versucht. Die Rede ist schlecht, die Idee nicht originell, der Durchfall bei den Zuhörern vorprogrammiert, da „er es weder von der Originalität noch der Brauchbarkeit seiner Idee überzeugt hat.“ Am Ende sitzt der Vater allein und auf dem Boden, fühlt sich aber noch immer im Recht. Kafka füllt nur die Lücken im Publikum als ein hilfloser Beobachter in gelähmter Passivität des Leidens.
Die Situation zu Hause bleibt stets angespannt, die Mutter schweigt, der Vater ist laut, grob, autoritär und gibt seinem Erstgeborenen zu verstehen, dass er mehr Entschlossenheit und Männlichkeit von ihm erwartet. Er argumentiert mit Sätzen aus der Tori, gegen die sich der Sohn nicht wehren darf und mit seiner entbehrungsreichen Zeit, gegen die er sich nicht wehren kann. Von klein auf sieht sich der Sohn mit Schuldgefühlen bela-den, da er es nicht nur besser haben soll, sondern auch muss, um das bitterste Los auf Erden ist zwischen ihnen entbrannt, ein Duell, das der Sohn nicht gewinnen kann, weil er nur Anwalt, der Vater aber der Richter ist.
Zunehmend gewinnt die Monotonie an Raum. „Trostloser Abend heute in der Familie … Vor Langeweile dreimal im Badezimmer hintereinander mir die Hände gewaschen.“22 Besonders nach den Zerwürfnissen träumt Kafka schlecht und schreibt am folgenden Tag nichts. Er hasst die peinlich bürokratische Sorgfalt an sich selbst, die ihn zu sehr an den Vater erinnert, die väterlich „abergläubischen Vorsichtmaßregeln“, doch er ist seines Blutes. Kafkas Selbstaussagen zufolge fürchtet er sich vor dem Vater, besonders „wenn er vom Letzten, von Ultimo sprach.“ Sein Leben erscheint ihm abgezirkelt, zweck- und bedeutungslos, aufgegangen in Zwang und Ritual, manchmal Hass. „Ich habe geradezu mich in Haß gegen meinen Vater geschrieben.“23 Er träumt von einem Windhund - Esel, der aus-sieht wie der Vater, nur etwas kleiner. Im Fremden spiegelt sich die Erweckung des höheren Selbst. Vielleicht ist der Vater dazu da, ihn anzutreiben, ein besserer Mensch zu werden.
Hermann Kafka bringt eine traurige Geschichte mit in die Familie: den Selbstmord seiner Mutter, die sich in der Elbe er-tränkt, weil sie über den Tod ihres Mannes nicht hinwegkommt und glaubt, des Überlebens schuldig zu sein. Das Gefühl, kein Recht auf Leben zu haben, überträgt sich auf Enkel Franz. Er leidet unter der Minderwertigkeit, von schweren Gewichten behangen unterzugehen, ist ihm nicht fremd.
Zwei Selbstaussagen Kafkas verdeutlichen eine, an Autismus grenzende, Isolation: „Ich bin ein verschlossener, schweigsamer, ungeselliger, unzufriedener Mensch … Ich lebe unter meiner schließlich hat er nicht so gelitten wie der Vater. Ein Zweikampf meiner Familie fremder als ein Fremder ... Alles, was nicht Literatur ist, langweilt mich.“ „Wo finde ich Rettung? Zu meiner Befreiung wäre ein Hammer nötig, der mich vorher zer-schlägt.“
Für das bürgerliche Familienleben fehlen ihm Talent, Neigung, Ehrgeiz und Willenskraft. Als ihn der Vater zur Mitarbeit und einer finanziellen Beteiligung in seiner Asbestfabrik nötigt, schreibt er: „Wenn ich mich töten sollte, hat gewiß niemand Schuld … Ich gehöre hinunter, ich finde keinen anderen Aus-gleich.“ Früh gewinnt er die Überzeugung, den Vater nicht überleben, nicht gegen ihn gewinnen zu können und steht unter dem Bann des erdrückend dominanten Vaters. Das störrisch-eigenwillige Verhalten Kafkas gleicht der „Verweigerung der Erwartung und der Eingliederung in bürgerliche Ordnung“.
Er empfindet seine Existenz als Unglück, das mit stetem Zweifel und scharfem analytischen Verstand einhergeht. Wie weit Selbstmordfantasien ihn suizidal gefährden oder verdrängte Mordlust am Vater sind, bleibt ödipale Spekulation, doch sind Selbstanklagen unübersehbar; Kafkas Essstörung scheint auf die väterlichen Tiraden beim Mittagstisch zurückzugehen; die Geräuschempfindlichkeit auf das cholerische Temperament des Vaters. Der Patriarch weiß mit seinem hypersensiblen, scham-vollen Sohn nichts anzufangen. Er drängt ihn, ein Bordell auf-zusuchen, damit er nicht krank werde und um nicht aus sexueller Not zu heiraten. Ihm droht das Schicksal des ewigen Junggesellen. Die väterliche Autorität ist Fleisch gewordene Gesetz.
Brief an den Vater
Mehrfach schreibt Kafka seinem Vater einen Brief zur Aus-sprache, doch er schickt keinen von ihnen ab. Sein als Erzählung veröffentlichter Brief (1919) wird daher meist als biografischer Beleg gewertet, doch es bleibt ein Kunstwerk, ein Kunstgriff zwischen stilisierter Fiktion und Erinnerung, in dem der Sohn Kläger und Verteidiger zugleich ist, eine typische Haltung Kafkas gegenüber einer realen und doch imaginierten Erscheinung des Vaters. Publik wurde der Brief erst 1952, da Kafka ihn als Vertrauensbeweis 1920 seiner Geliebten Milena übergab. Auf Umwege geriet er spät in die Hände des Nachlassverwalters Max Brod. Von den vielen Themen, die Kafka darin unmittelbar nach seiner zweiten aufgelösten Verlobung (mit der unstandesgemäßen Julie) aufgreift, sind einige paradigmatisch, insbesondere die Selbstanklage.
Das Thema der Schuld klammert die singulären Bereiche, denn offensichtlich sieht sich der Sohn sowohl mit Fremd- als auch Selbstvorwürfen konfrontiert. Das erste Sujet betrifft das Kräfteverhältnis. „Ich wäre glücklich gewesen, Dich als Freund, als Chef, als Onkel, als Großvater, ja selbst als Schwiegervater zu haben. Nur eben als Vater warst Du zu stark für mich … Deine äußerst wirkungsvollen, wenigstens mir gegenüber niemals versagenden rednerischen Mittel bei der Erziehung waren: Schimpfen, Drohen, Ironie, böses Lachen und – merkwürdiger Weise – Selbstbeklagung …“24
Schuld ist ein großes Wort, größer noch als ein Grab es tragen kann. So sieht sich der Sohn täglich mit Fremd- als auch Selbstvorwürfen konfrontiert. Das erste Sujet betrifft das Kräfteverhältnis. „Ich wäre glücklich gewesen, Dich als Freund, als Chef, als Onkel, als Großvater, ja selbst als Schwiegervater zu haben. Nur eben als Vater warst Du zu stark für mich … Deine äußerst wirkungsvollen, wenigstens mir gegenüber niemals versagenden rednerischen Mittel bei der Erziehung waren: Schimpfen, Drohen, Ironie, böses Lachen und – merkwürdiger Weise – Selbstbeklagung …“
Es ist wie ein Spaziergang kurz vor der „Hochzeit auf dem Lande“, einer Hochzeit, die nie stattfindet: um den Namen der Braut zu vergessen, muss man sie erst geheiratet haben. Offensichtlich hat der Vater seinem Sohn auch durch die Schilderung seiner Armut ein schlechtes Gewissen (erfolgreich) eingeredet. Der Zwang sich zu vergleichen spielt eine Rolle in ihrem Verhältnis. Dies gilt nicht nur für Gesetz und Autorität, sondern auch zu einem Wunsch; und vor allem bezieht es sich auf die Gegenüberstellung der väterlichen (Kafka) und der mütterlichen (Lewy) Linie. Die Ambivalenz und Suche nach Identität spiegelt sich in der Familienherkunft und charakterlichen Gegensätzen.
Kafka betont seine Ängste und wie schwer es ihm fällt, sich von diesen als Erwachsener zu lösen. Als Beispiel führt er an, wie ihn der Vater, um seine Nachtruhe zu gewährleisten, in der Nacht auf den kalten Vorzimmerflur stellte, weil er als Kind so laut schrie. Blicke und Gesten verdeutlichen Ohnmacht; Blicke, die ihn als Kind vernichteten und selbst als Erwachsener schwer demütigen „oft mit beherrschendem Gefühl der Nichtigkeit“.
Neben dem Komplex seiner Inferiorität und seiner Scham, dem väterlichen Wunschbild eines Sohnes nicht zu entsprechen, thematisiert Kafka das Recht zu strafen. Wenn der Vater das Gesetz verkörpert, dann spielt das Recht, es einzusehen, anzufechten oder zu umgehen, eine zentrale Rolle. Der Sohn schildert den Vater als gnadenlos in seinem Urteil und zudem, weit wichtiger, als undurchschaubar in seinen Begründungen.
Hermann Kafka scheint keine politische, religiöse, nicht einmal eine private Meinung zu haben; alle sind ihm verdächtig und schuldig. Nichts schien ihm eindeutig zu ge- oder zu missfallen. „Das bezog sich auf Gedanken so gut wie auf Menschen … man war gegen dich vollständig wehrlos.“. Im Haus Kafkas herrscht das Recht des despotischen Patriarchen, dem alles erlaubt ist und dem Gehorsam zu leisten ist. Kafkas eigene Solidarität mit den vermeintlich Schwächeren leitet sich daraus ab. Problematisch ist jede Form der Kommunikation: „Ich konnte nicht auswählen. ich mußte alles nehmen. Und zwar, ohne et-was dagegen vorbringen zu können, denn es Dir von vornherein nicht möglich, ruhig über eine Sache zu sprechen…“
Das Recht und die Rechtfertigung, frei entscheiden zu dürfen, bleiben ein Scheinrecht für den Sohn, der das Reden verlernt und mit ihm das fließende Sprechen. Alles im Hause ist nicht geborgen, sondern fremd, nicht vertraut, sondern erkämpft. Der Vater hat Macht, der Sohn ist sein „Erziehungsergebnis“ und betont: „Du verstärktest nur, was war, aber du verstärktest es so sehr, weil Du eben mir gegenüber sehr mächtig warst und alle Macht dazu verwendetest.“ Vielleicht erklärt dies den Titel von Kafkas: „Beschreibung eines Kampfes“: „Ich war bald erledigt; was übrig blieb, war Flucht, Verbitterung, Trauer, innerer Kampf.“
Die Alternativen bilden Gehorsam und Auflehnung oder Flucht. „Man wurde ein mürrisches, unaufmerksames, ungehorsames Kind, immer auf eine Flucht, meist eine innere, bedacht.“ Eine Form der Flucht, sogar die wichtigste in Kafkas Augen neben dem Schreiben, ist die Ehe. „In Wirklichkeit wurden die Heiratsversuche der großartigste und hoffnungsreichste Versuch, Dir zu entgehen, entsprechend großartig war dann allerdings auch das Misslingen.“
Die Ehe hat mindestens widersprüchliche Aspekte für Kafka: er bewundert sie als höchste Ehre, verbunden mit der Eigenständigkeit, auf den eigenen Füßen stehen zu können. In seinen Aphorismen, die zeitgleich mit dem Brief entstehen, schreibt er: „Das Glück begreifen, dass der Boden, auf dem Du stehst, nicht größer sein kann, als die zwei Füße ihn bedecken.“25
Erst mit der Ehe ist das Terrain gegen das Väterliche abgesteckt. Da sie nicht erfolgt, fühlt sich Kafka minderwertig und isoliert. Der Bau der chinesischen Mauer erinnert an Gefangenschaft, Gefühl des Ausgeliefert-Seins und der Starre bis zur Versteinerung. Andererseits betrachtet Kafka die Ehe als einen Kampf gegen die eigene Schwäche, Entscheidungen zu treffen. Die Verantwortung für eine Frau soll ihn gleichsam erhöhen, ihn befreien aus dem alten Kleid kindlichen Verhaltens. Ferner beinhaltet Ehe die Anerkennung der Sexualität, mit der Kafka seine Probleme hat, wie das Verhältnis zu den Frauenbekanntschaften nahe legt. Aufgrund des väterlichen diametralen Sittenkodexes sind keine zweideutigen Liebschaften zulässig, folglich kann er nur im Ehestand seine Scham überwinden.
Viertens bildet die durch Krankheit bedingte physische Schwäche für Kafka einen Makel, gleichzeitig befreit sie ihn von konkurrierenden Bedürfnissen. Erst als Ehemann fühlt Kafka sich dem Vater ebenbürtig. Ob dieser ihn als Ungeziefer beschimpft, was in „Die Verwandlung“ geschieht, bleibt spekulativ. Über den direkten Bezug der Formulierung „Tod durch Ertrinken“ in „Das Urteil“, das die Entlobung und eine Verfehlung des Sohnes zum Gegenstand haben, bestehen kaum Zweifel.
Ausführlich schildert Kafka in seinem Brief, wie er als Sechzehnjähriger eine Bemerkung des Vaters so auffasst, dass Geschlechtsverkehr stets geheim wie unter einem Stigma erfolgen müsse. Als peinlich empfindet er die Weisung, ins Bordell zu gehen, notfalls mit dem Vater zusammen, damit er ihm mit einer unüberlegten Vermählung aus sexueller Not keine Schan-de mache. Den negativen Höhepunkt der Einmischung liefern sein Forcieren der Hochzeit mit Felice (auch ein Grund, die Verlobung zu lösen) und das anschließende Veto gegen Julie. Die ausdrücklich tiefste Demütigung er-fährt Kafka mit den sinngemäß wiedergegebenen Worten: „Sie hat wahrscheinlich irgendeine ausgesuchte Bluse angezogen, wie das Prager Jüdinnen verstehen und daraufhin hast Du Dich natürlich entschlossen sie zu heiraten. Und zwar möglichst rasch …“26
Schuld ist das häufigste Wort und damit Leitmotiv Kafkas. Die Furcht, die Kinder zahlen den Vätern die eigene Schuld heim oder erben die Schuld der Väter ist auch für Kierkegaard, der wichtigsten Inspirationsquelle. Seine Lektüre bleibt zwischen 1916 und 1921 neben der von Kleist stets präsent. Es sind die Jahre, in denen er sich wie der Däne gegen die Ehe und gegen die Verpflichtung der Nachkommenschaft entscheidet. Kafka fühlt sich diesem Druck nie gewachsen. Wie Kierkegaard, der unter der Furcht eines Familienfluchs leidet, hält er sich für unzureichend, eine eigene Familie zu gründen.
Sein bevorzugtes Goethes ist nicht zufällig „Hermann und Dorothea“, das vom Konflikt zwischen Vater und Sohn handelt, der, ausgelöst wird durch die Weigerung des Vaters, Hermann die Brautwahl zu überlassen. Der Sohn wird dazu verurteilt, über den Vater hinaus zu streben oder zu sterben, was geschieht.
Um Abstand von seinem Vater zu gewinnen, geht er viel allein spazieren. Einige Seltsamkeiten Kafkas erklären sich aus seinem Ohnmachtsgefühl, etwa die Abneigung gegen Regen, weil er sich diesem mehr oder minder schutzlos ausgesetzt fühlt.
In zahlreichen kurzen Erzählungen, meist Parabeln, be-schreibt Kafka zudem seine Flucht vor dem Vater unverschlüsselt. „Der plötzliche Spaziergang“ etwa besteht nur aus einem einzigen Satz, beginnend mit „Wenn man sich am Abend end-gültig entschlossen zu haben scheint“27 - ein Widerspruch in sich. Der Gedanke beschreibt wie häufig ein Dilemma, das auf eine Entscheidung drängt „… und wenn man nun trotz alledem in einem plötzlichen Unbehagen aufsteht …“
Kafka beschreibt die „schon unerwartete Freiheit“ auf der Gasse als ein Bedürfnis nach schneller Veränderung, dem Kreis der Familie zu entgehen; „dann ist man für diesen Abend gänz-lich aus seiner Familie ausgetreten, die ins Wesenslose ab-schwenkt, während man selbst, ganz fest, … sich zu seiner wah- ren Gestalt erhebt.“ In wenigen Worten hat Kafka mit einer Kleinigkeit schon alles über den Zwang gesagt. Die Kreisbewegung (hermeneutischer Zirkel) führt zu seiner Beschäftigung mit Erkenntnissystemen, die redlichen Willen zur objektiven Wahrheitsfindung mit mathematischer Präzision bekunden.
Einer seiner Aphorismen ironisiert den Anspruch auf objektives Erkennen aus der Subjektivität heraus: „Ein Philosoph … glaubte nämlich, die Erkenntnis jeder Kleinigkeit, also z. B. auch die eines sich drehenden Kreisel genüge zur Erkenntnis des Allgemeinen … war die kleines Kleinigkeit wirklich erkannt, dann war alles erkannt, deshalb beschäftigte er sich nur mit dem sich drehenden Kreisel.“28
Er meint, das Leben der anderen zu leben und sich selbst dabei zu entfremden, so, als würde man sich als Erwachsener immer mehr vom eigenen Kern entfernen. Atemzüge eines Sommertages später sind wir in die unförmige Masse der anderen aufgegangen. „Wir sind uns unbekannt, wir Erkennenden, wir selbst uns selbst: das hat seinen guten Grund. Wir haben nie nach uns gesucht … Bei solchen Sachen waren wir, fürchte ich, nie recht „bei der Sache“: wir haben eben unser Herz nicht dort — und nicht einmal unser Ohr! …: wer sind wir eigentlich? … Wir bleiben uns eben notwendig fremd, wir verstehen uns nicht, wir müssen uns verwechseln…“29
1 I. 5. Die Frauen Kafkas
Felice Bauer
Kafka lernt die vier Jahre jüngere Berlinerin Felice Bauer (ihr Vater ist wie Kafka Versicherungsvertreter) August 1912 in Prag kennen. Seine erste Bemerkung über sie notiert er am 13. August, wo er sie als unscheinbar, „knochiges leeres Gesicht, das seine Leere offen trug“ wenig vorteilhaft beschreibt. Sie arbeitet als Prokuristin und Messerepräsentantin für eine Firma, die Diktiergeräte vertreibt, „Lärmtrompeten des Nichts“. Er empfindet sich als zu schwächlich, ungebildet und unrein für einen Flirt. Seinem Tagebuch vertraut er an, er müsse sich sein Glück erst durch Leid erarbeiten. Insgesamt fünf Jahre währt ihre physische Beziehung, wenn man die wenigen Treffen zwischen zwei Ver- und zwei Entlobungen so nennen will. Die letzte Zusammenkunft ereignet sich Weihnachten 1917.
Möglich, dass er sich zu einer Ehe zwingen will und vergeblich auf das Verliebtsein wartet. Möglich ist auch Versagens-angst und Impotenz, erfahren ist der junge Mann nicht. Angst erweist sich mit Scham als zentrales Lebensgefühl Kafkas, bei-des bleibt mit Schuld verbunden. Die biblische Verleugnung der Frau erwähnt Kafka als Mythos mehrfach in seinen Tage-büchern, als ob er seine Schwäche durch das Alte Testament zu rechtfertigen suchen würde. Dafür spricht auch seine in Briefen wie Tagebüchern anklingende Reue, seine Selbstverurteilung, in „Das Urteil“ und „Der Prozess“, die Kafka nach der Auflösung der ersten Verlobung 1912 niederschreibt aus dem Gefühl der Sünde heraus (wie er selbst sagt). Nach der zweiten Entlobung 1917 entstehen die Erzählungen „Ein Landarzt“ und „In der Strafkolonie“, die thematisch mit ihnen konvergieren.
Kafka wird während seiner Verlobung von Gewaltfantasien in seinen Träumen heimgesucht, wie aus Tagebüchern als auch Briefen an Felice hervorgeht. Als Beispiel dafür dient die nicht veröffentlichte und Fragment gebliebene Erzählung vom 22. Juli 1916. Sie beginnt mit den Worten: „Sonderbarer Gerichtsgebrauch. Der Verurteilte wird in seiner Zelle vom Scharfrichter erstochen, ohne daß andere Personen zugegen sein dürfen.“30
Die Erlaubnis zum geheimen Töten kommt auch in anderen Geschichten vor, ebenso wie die der Dialog von Henker und Opfer, die in bestem Einvernehmen zur Hinrichtung schreiten, solange dabei nur die Form gewahrt bleibt. So sagt der Verurteilte: „Gerade weil es unmöglich ist, ist dieser sonderbare Gerichtsgebrauch eingeführt worden.“ Gebiss, Geräusche und Gerüche verraten ihm mehr als ihr lockendes Versprechen.
In allen genannten Erzählungen kommt der Verurteilte gegen ein übermächtiges Naturgesetz nicht an, sein Urteil steht fest und eine Rebellion ist zwecklos. Zwei Aussagen belegen, dass der Zusammenhang von schuldhafter Geburt und schuldhaftem Leben ein kafkaeskes Leitmotiv ist, das auf Bindungs-angst beruht. „Der Anblick des Ehebettes zu Hause … kann mich bis zum Erbrechen reizen, kann mein Inneres nach außen kehren, es ist, als wäre ich nicht endgültig geboren, käme immer wieder aus diesem dumpfen Leben in diese dumpfe Stube zur Welt, müsse mir dort immer wieder Bestätigung holen … noch an meinen Laufen wollenden Füßen hängt es wenigstens, sie stecken noch im ersten formlosen Brei… und kann doch ohne verrückt zu werden gegen das Naturgesetz nicht revoltieren, also wieder Haß und nichts als Haß. Du gehörst zu mir, …ich kann nicht glauben, daß um irgendeine Frau mehr und verzweifelter gekämpft worden ist als um Dich in mir.“31
Elias Canetti behandelt das Beziehungsdrama in „Der andere Prozess. Kafkas Briefe an Felice“ (1984) als eine „Geschichte des fünfjährigen Sich Entziehens“. Er sieht sich zugleich als ein Opfer und Verurteilter, aber auch als Täter. Sein Zögern stellt bei den strengen jüdischen Konventionen Felice und ihre Familie auf eine harte Geduldsprobe: „Wesentlich durch meine Schuld trägt sie ein Äußerstes an Unglück … In Kleinigkeiten hat sie Unrecht… im Ganzen aber ist sie eine unschuldig zu schwerer Folter Verurteilte.“ Ihre Beziehung bleibt Stückwerk, ein Anfang ohne wirklich „vorwärts zu kommen“.32
Kafka fühlt sich doppelt verurteilt: zur Krankheit und zu-gleich zum Leidensstifter für seine Familie, deren Hoffnungen er nicht erfüllt. Zweifellos reagiert sein Körper somatisch auf die Beziehungsproblematik; er ist häufig nach einem Treffen mit ihr krank oder erkrankt bei ihrem bevorstehenden Besuch, den er damit vertagen kann. Über allem steht die Unmöglichkeit, sich fest zu binden oder eine endgültige Entscheidung zu treffen.
Inspiriert von Kierkegaard schreibt er mehrfach Pro und Contra Positionen ihrer Beziehung auf, spricht vom notwendig-gen „Sprung“ in eine ungewisse Zukunft, die am Ende aus-bleibt. Ihre Entlobung erscheint ihm in einem Traum in Gestalt zweier vor einem Wagen gespannten und von gepeitschten Pferde; dieser Traum erinnert an die wilden Rosse in „Ein Landarzt“ (1917), der unmittelbar nach der zweiten Entlobung entsteht. Kafka stellt sich auch hier vor ein fiktives Gericht, klagt an, verteidigt und anerkennt seine Schuld, der Protagonist stirbt. Er diagnostiziert sein „glattes Unvermögen zum Leben“. Vor diesem Hintergrund erscheint auch seine Lektüre Strindberg und Kierkegaard bedeutsam, da beide die Ehe als Tragödie auffassen. Wie sie fasst Kafka das missglückte Verhältnis von Mann und Frau als Erbsünde auf, den auch „Der Prozeß“ vergegenwärtigt. Kafka steht vor dem Dilemma zwischen der Pflicht, eine Familie zu gründen und Künstler zu sein.
Schon bald gerät der Dreißigjährige in einen Gewissenskonflikt: soll er mit ihr seine bürgerliche Existenz zementieren oder als freier Schriftsteller nach Berlin ziehen? „Ich konnte damals nicht heiraten, alles in mir hat dagegen revoltiert, sosehr ich F. immer liebte. Es war hauptsächlich die Rücksicht auf meine schriftstellerische Arbeit, die mich abhielt, denn ich glaubte die Arbeit durch die Ehe gefährdet.“
Die Frage der Ehe bedeutet zugleich eine Entscheidung gegen die künstlerische Existenz. Kafka erkennt in der Beziehung zu Felice ein großes Unglück für beide: „Ich bin an F. verloren … Ich würde mich auf der Gehaltsleiter fortschleppen und immer trauriger und einsamer werden, solange ich es eben überhaupt aushielte.“ Indes, er möchte sich ihr nicht zumuten oder auslie-fern und tut es dennoch. Die erste Verlobung findet am 1. Juni 1914 statt, auf der bereits am 12. Juli die Entlobung folgt. Hin-tergrund bilden Indiskretionen und Vorwürfe der gemein-samen Freundin Grete Bloch im Berliner Hotel „Askanischer Hof“ ihr vorläufiges Ende. Die Frauen werfen ihm vor, er sei unschlüssig, untreu und unzuverlässig. Diese Inquisition löst ein Trauma in ihm aus, da sie die bereits vorhandenen Selbstvor-würfe intensiviert. Kafka unterliegt fortan einem starken Gewohnheitszwang. Er müsste ihr zuliebe „ein anderer Mensch werden“ und ahnt oder befürchtet, sie könnte ihn nicht genug lieben: „Ich hatte … selbst in der Zeit unseres herzlichsten Verhältnisses oft Ahnungen und durch Kleinigkeiten begründete Befürchtungen, daß F. mich nicht so sehr lieb hat …“
Über Briefkontakt nähert sich das Paar Mai 1916 wieder an. Unter anderem unternimmt es eine Reise nach Budapest; die glücklichste Zeit ereignet sich wohl kurz darauf in Bad Kar-stadt, sehr wahrscheinlich kommt es dort wohl auch zum ersten Intimverkehr. Die zweite Verlobung erfolgt im Juli 1917, wird aber bereits im Dezember erneut aufgelöst. Ein von Kafka er-wähnter Grund dafür ist, dass er in der glücklichen Zeit mit Felice unproduktiv bleibt. Einträge wie: „In der Zeit mit F. nichts geschrieben“ belegen dies. In dieser Hinsicht empfindet er sie als bedrohlich, da sie sich hartnäckig aufdrängt und ihn von der Arbeit abhält. Ehe und Schreiben bleiben unvereinbar Rivalen.