Kitabı oku: «Perry Rhodan Neo Paket 2: Expedition Wega», sayfa 21
16.
Offenbarungen
Reginald Bull
»Wir müssen hier weg!« Sids Augen glänzten, und er sah aus, als hätte er Reginald Bull am liebsten gepackt und durchgeschüttelt.
»Bleib ruhig«, bat Bull. Oder befahl es. Er deutete unauffällig auf das Empfangsgerät, das ihre kleine Gruppe mit Skelir verband und momentan die einzige Möglichkeit bot, nach draußen zu blicken – aus dem fremden Spindelraumschiff vor Terranias Grenzen. Für den Nachrichtenjunkie Bull war es alles andere als einfach, derart abgeschnitten zu sein.
Zuletzt hatte ihnen der kleine Bildschirm in dem Fantan-Gerät mehr als nur seltsame Bilder gezeigt. Offenbar war Skelir bis nach Indien geflogen, um dort ein Toilettenhäuschen per Antigravstrahl mitten aus seiner riesigen historischen Festungsanlage zu rauben.
Den vier Menschen im Spindelschiff war klar, dass sie keine Geheimnisse besprechen durften, solange sich dieses Gerät in der Nähe befand. Wahrscheinlich zeichnete es auch ihre Bewegungen und Äußerungen auf, sodass die Fantan ihre Besucher – oder Gefangenen – auf diese Weise genau im Auge behalten konnten.
Allerdings sah es wohl nirgends im Schiff besser aus. Die Fremden hätten ihnen wohl kaum erlaubt, frei im Spindelraumer herumzustreifen, ohne sie dabei ständig zu beobachten. Vielleicht gab es überall fest installierte Kameras oder winzige fliegende Aufzeichnungsgeräte, die jeden ihrer Schritte verfolgten; wer wusste das schon. Sogar die irdische Technologie war seit Jahren äußerst erfindungsreich, wenn es darum ging, andere auszuspionieren – was mussten den Fantan da erst für Möglichkeiten offen stehen.
»Sue und Eric, ihr bleibt in dieser Vitrinenhalle!«, rief er quer durch den Raum. »Sid und ich sind unterwegs, wir treffen uns wieder hier.«
Das Mädchen und der ehemalige Bordarzt der STARDUST nickten. Bull zog den jungen González mit sich aus dem Raum. In dem Korridor lag noch ein Hauch der verwirrenden Geruchsvielfalt aus dem Bereich mit den zahllosen Pflanzen. Sid ging ohne ein Wort in die gegenüberliegende Richtung.
Reginald Bull folgte ihm. »Wir müssen die Nerven behalten, Sid!«
»Es gefällt mir nicht in dem Schiff.«
Er legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. »Darauf kommt es nicht an. Das ist kein … Ausflug.«
»Die Fantan haben uns eindeutig gefangen genommen! Ja, es stimmt, das ist kein Ausflug. Wir sitzen hier fest! Zeigen wir ihnen doch, was wir können, und verschwinden von hier.« Er schnippte mit Mittelfinger und Daumen beider Hände. Zwei Funken stieben davon. Das genügte als Hinweis vollkommen, um Bull klarzumachen, was Sid vorschwebte. Wobei es ihm vorher ebenso klar gewesen war.
»Nicht, Sid! Ob wir in diesem Raumer eingesperrt sind oder nicht, uns droht keine Gefahr! Wir dürfen unser Pulver nicht zu früh verschießen, verstehst du? Wenn es irgendwann richtig brenzlig wird … tja, du versteht schon.«
In Sids abgemagertem Gesicht arbeitete es. Über dem linken Augenlid klopfte eine Ader. Die Haut über seinen Wangen hing schlaff, ein Überbleibsel davon, dass er noch vor wenigen Wochen weitaus fülliger gewesen war. Zahllose Teleportersprünge hatten ihn ausgezehrt. Vielleicht stammten seine Nervosität und Unruhe auch daher. Es war ein typisches Anzeichen, wenn jemand radikal abnahm. Allerdings geschah es meistens freiwillig – oder zumindest absichtlich.
»Also bleiben wir weiter untätig und warten einfach ab, was geschieht?«, fragte der Junge.
»Wir beobachten. Begreif doch, Sid, wir müssen die Fantan kennen lernen. Verstehen, was sie bei uns wollen.«
»Sie meinen, außer Toilettenhäuschen?«
»Nur wenn wir ihre Beweggründe kennen und nachvollziehen können, sind wir in der Lage zu verhandeln.« Er senkte die Stimme. »Oder mehr als das.«
»Und dazu schauen wir uns tausend Vitrinen mit absonderlichem Zeugs an?«
»So ist es. Besondere Situationen erfordern nun mal besondere Maßnahmen, das ist eine Binsenweisheit, die schon mein Urgroßvater meiner Großmutter predigte, ehe er von der guten alten Zeit plauderte! Und jetzt, Sid, gehen wir einen Schritt weiter. Jetzt durchforsten du und ich dieses Schiff.«
Sid zögerte kurz. »Klingt gut«, stimmte er schließlich zu.
Bull nahm es erleichtert zur Kenntnis. Sid war unendlich wertvoll für sie, sollte es hart auf hart kommen, aber man musste ihn genau im Auge behalten. Wenn er die Nerven verlor und einfach wegteleportierte, war niemandem geholfen, am allerwenigsten denen, die zurückblieben. Aber er vertraute Sid. Der Junge besaß den Willen, der Sache zu dienen und sich in die Gruppe zu integrieren. Das zählte mehr als alles andere, er würde mit der Verantwortung wachsen, wenn man es ihm nur zutraute.
Der Korridor erstreckte sich schmucklos über viele Meter und verschwand weit vor ihnen in der Dunkelheit. Als sie weitergingen, flammte dort jedoch grelles Licht auf. Bull schloss kurz geblendet die Augen.
In dem neu erkennbaren Abschnitt hingen Dinge von der Decke, baumelten an Ketten und Haken. Für einen bizarren Augenblick fühlte sich Bull an eine Schlachterei erinnert, doch er schaute weder auf Tierhälften noch auf trocknende Schinken oder Würste.
Sid rannte einige Schritte, streckte den Arm nach oben und zog an einem der zahlreichen Stäbe, woraufhin dieser sich löste. Der Junge schwang seine Beute. Sie ähnelte einem knorrigen Ast, doch das Holz – falls es sich um solches handelte – war tiefblau, und kleine Lichtpunkte bewegten sich darauf hin und her.
Plötzlich schleuderte Sid den Stab gegen die Wand und schüttelte seine Hand aus. Etwas spritzte wie ein Wassertropfen von seinen Fingern und platschte auf den Boden. Sid verzog angeekelt das Gesicht.
Beim Aufprall des seltsamen Astes lösten sich einige der Lichtpunkte, klatschten rundum auf und krochen wieder dem Holz entgegen. »Das sind – Würmer«, sagte Sid. Er musterte seine Hand genau, die den knorrigen Stab gehalten hatte. Mit der Linken schnippte er einen der Leuchtpunkte von seinem Zeigefinger. »Wieso hängen diese Fantan solchen Mist an die Decke?«
Bull grinste. »Andere Völker, andere Sitten. Dir sollte doch längst klar geworden sein, dass die Fantan alles sammeln, was ihnen irgendwie interessant erscheint.«
»Was soll daran interessant sein?«
»Frag Jenves oder Skelir, wenn er zurück ist!«
Die beiden gingen weiter. Als sie unter den Stäben hindurchgingen, senkte Sid den Kopf und hob die Hände über den Kopf, wohl um sich vor herabfallenden Lichtwürmern zu schützen. Bull sah es lockerer; nach allem, was er gesehen hatte, gefiel es diesen Tieren auf ihren Ästen sehr gut. Er nahm das Ganze gelassen, eine skurrile Nebensächlichkeit, aber vielleicht doch von Bedeutung, wenn es darum ging, das Wesen der Fantan besser verstehen zu lernen.
Sie erreichten eine Kreuzung. Auf dem Boden lag dort eine Art hochfloriger Teppich mit sinnverwirrendem Labyrinthmuster. Je länger Reginald Bull darauf schaute, umso mehr drehte sich alles um ihn. Er ging sogar ein wenig in die Knie, ehe er sich mit Gewalt von dem Anblick losriss.
»Links?«, fragte Sid, der dem Zauber nicht zu unterliegen schien.
»Wieso?«
»Warum nicht?«
»Gute Antwort.« Er folgte dem Teleporter, war gespannt, was als Nächstes in dieser Wunderwelt auf ihn wartete.
Unvermittelt rannte Sid los. »Dort vorne!« Mehr erklärte er nicht, aber Bull verstand wenig später ohnehin, was den Jungen anzog.
Ein Teil der Wand war durchsichtig, als würden sie vor einer breiten Panoramascheibe stehen. Der Blick ging allerdings nicht ins Freie zur Gobi oder nach Terrania, sondern in einen großen Hangar, der sich viele Meter höher erstreckte als die Decke des Korridors, in dem sie standen.
Dort schwebten gleich mehrere der kleinen Beiboote des Typus, wie auch Skelir ihn nutzte. Zwei landeten, ein drittes startete, flog in den oberen Bereich und verschwand dort durch ein sirrendes Energiefeld.
Den gelandeten Einheiten entstiegen Fantan. Einige trugen ihr aktuelles Besun selbst, andere ließen es von Robotern schleppen. Bull vermutete inzwischen, dass sich dieses mysteriöse Wort in etwa mit Beute übersetzen ließ, für die Fremden aber noch eine weitaus tiefere Bedeutung besaß. Offenbar stellte es für sie zugleich Lebenssinn und -ziel dar. Die Frage war nur, ob sie es als Zwang ansahen oder gewissermaßen als Hobby; ob es Freude oder Arbeit bildete oder etwas völlig anderes, das Menschen womöglich gar nicht kannten.
Bull sah in der Hand eines Fantan eine reglose, mindestens zwei Meter lange Schlange; ein zweiter hielt einen verkrusteten Kochtopf. Zwei Roboter zerrten – Bull traute seinen Augen kaum – einen schon fast antiken Oldtimer mit sich, einen feuerroten 1958er Plymouth Fury, wenn er sich nicht täuschte. Einer der Kollegen im Nevada Space Field hatte ein Faible für derlei Autos gehabt und Bull mehr als einmal davon vorgeschwärmt.
Sie hörten Schritte.
Bull drehte sich um. »Eric? Was machst du hier?«
Noch ehe der ehemalige Bordarzt der STARDUST antworten konnte, rief Sid: »Wo ist Sue?«
Genau diese Frage stellte sich Bull auch, doch er schwieg. Manoli sah alles andere als begeistert aus, und es galt, keine Sekunde mehr unnötig zu verschwenden.
»Skelir ist zurück.« Manolis Hände ballten sich zu Fäusten. »Er hat Sue mitgenommen. Ich konnte nichts tun.«
Skelir
Das Mädchen hielt den einen Arm dicht am Oberkörper, die Hand über dem Stumpf. Es sagte kein Wort, und als Skelir es erneut ansprach, griff es demonstrativ nach der Übersetzungsscheibe, zog sie von ihrer Kleidung und warf sie zu Boden.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, versicherte Skelir. Die Übersetzung funktionierte selbstverständlich nach wie vor tadellos. Inzwischen waren die Geräte so gut auf die Sprache der Planetenbewohner geeicht, dass ein direkter Körperkontakt nicht mehr nötig war. Durch die Entfernung würde Sue Mirafiore nur alles etwas leiser hören; das sollte kein Problem sein.
Sie öffnete den Mund, atmete tief ein und senkte den Kopf.
So verhielt sie sich, seit Skelir sie von dem Menschen namens Eric Manoli getrennt und in diesen kleinen Raum gebracht hatte – ein Übergangsquartier für Fremdintelligenz-Besun, das notfalls mit besonderen Atemgemischen geflutet werden konnte. Ein hässlicher, kahler Raum, zugegeben, aber er erfüllte seinen Zweck.
»Ich möchte mit dir reden«, setzte der Fantan erneut an.
Keine Reaktion.
Also versuchte er es anders. »Ich bitte dich um Hilfe.«
Sue hob den Kopf, sah ihn an. Ihr rechtes Auge schillerte. Flüssigkeit drang daraus hervor.
»Bist du verletzt?«, fragte er.
»Nein.« Es klang verwirrt.
»Dein Auge.«
Sie schüttelte den Kopf, wischte die Flüssigkeit mit ihrer verbliebenen Hand weg. »Es ist nichts.«
»Du hast bereits bemerkt, dass mir genau wie dir etwas fehlt«, sagte er. »Wir sind nicht vollständig.«
Sie nickte, bei ihrem Volk eine Geste der Zustimmung, wie er wusste. Die Kommunikation funktionierte zufriedenstellend.
»Wir sind verkrüppelt und verachtenswert«, fügte er hinzu und beobachtete ihre Reaktion genau.
Sues Pupillen – eine Seltsamkeit, wie sie die meisten humanoiden Völker besaßen – weiteten sich. »Ich verachte mich nicht«, sagte sie. »Und dich auch nicht.«
Die Worte erschütterten ihn. Nie zuvor hatte er etwas derart Verrücktes gehört. Sie empfand keine Abscheu vor sich selbst? Mit diesem Körper? Trotz ihrer Verstümmelung? »Hör mir zu«, bat er. »Ich erzähle dir, wie ich zwei meiner Extremitäten verloren habe.«
Sie senkte ihren Arm, dass er an ihrer Seite herabhing. Aber sie schwieg, und so sprach Skelir zum ersten Mal aus, was ihm vor einer schieren Ewigkeit widerfahren war. Er hatte es tausend Mal in seinen Gedanken durchlebt, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, einem Fantan davon zu berichten. Und wem sonst? Besun? Eine verrückte Vorstellung. Verrückt – bis Sue Mirafiore aufgetaucht war.
»Bei einer meiner ersten Besun-Jagden wählte ich ein Tier als mein Ziel. Ich schätzte seine Gefährlichkeit falsch ein. Es biss und verletzte mich, aber ich hätte es besiegen können. Der entscheidende Fehler lag woanders.«
Sues Oberlippe zuckte, aber sie schwieg weiterhin.
»Ich hatte mich in der Einordnung getäuscht. Das vermeintliche Tier war ein intelligentes Wesen, und es trug eine Waffe.«
Das Metall blitzt in der Luft, ehe es Skelirs Bein am Boden festspießt. Das Besun zieht eine zweite Klinge, viel kleiner als die erste. Sie pfeift durch die Luft, in einem perfekten Bogen, und sie schneidet, wieder und wieder.
»Eine Art Schwert«, fuhr er fort. »Ich konnte mich nicht mehr wehren. Das Wesen ließ mich zurück und verzichtete darauf, mich zu töten, wie es richtig gewesen wäre. Ehe wir diese Welt verließen, fanden mich andere Fantan und brachten mich ins Schiff. Ich erwachte erst, als meine Wunden versorgt waren. Verachtenswert.«
»Bedauernswert«, widersprach Sue. Wieder quoll Feuchtigkeit aus ihren Augen, diesmal aus beiden.
»Seitdem bin ich nicht mehr vollständig. Weder äußerlich noch innerlich. Ich ängstige mich vor Besun. Gleichzeitig ist es das, was ich wie jeder Fantan anstrebe. Wenn ich auf der Jagd bin, erlebe ich die einzigen Momente, in denen ich mich nicht verachte. Aber ich fürchte diese Zeiten auch. Es könnte wieder geschehen. Ich könnte mich wieder täuschen.«
»Ich wurde mit nur einem Arm geboren«, sagte das Mädchen. »Und ich habe nie etwas vermisst.«
»Du lügst! Du musst lügen!«
Sue schaute ihn an. Sie presste ihre Lippen aufeinander, als wolle sie die Zustimmung mit Gewalt zurückhalten. »Ich verstehe dich jetzt«, sagte sie schließlich. »Darf ich zurück zu den anderen?«
Skelir erfüllte ihr den Wunsch.
17.
Die Details des Todes
Perry Rhodan
Sechzig neue Topsider-Schiffe.
Sechzig Mal Tod und Verderben für die Einheiten der Ferronen.
Sechzig Gründe dafür, dass die GOOD HOPE nicht fliehen konnte, sondern in ihrem Versteck festsaß und die Besatzung das entsetzliche Geschehen in allen grausigen Einzelheiten erfahren musste.
Perry Rhodan beobachtete die Apokalypse auf dem schematischen Strategie-Hologramm und auf einem Echtbild der Außenbeobachtung. Eben waren dort noch die brennenden, abstürzenden Reste der Orbitalstation zu sehen gewesen, nun stiegen vom Planeten fragile, hilflose Schiffe auf. Es mussten Zubringer sein, die den Verkehr von und zu den Orbitalstationen bestritten. Das letzte Aufgebot.
Chaktor schrie auf, als er es sah. Er wankte auf das Hologramm zu und streckte die Hände aus, als wolle er die Abbilder der feindlichen Raumer aus dem All pflücken und zerquetschen. Die Finger zitterten. Er schlug sie sich gegen den Leib, krallte sie in die Schultern. Abgehackte, gequälte Laute drangen aus seinem Mund, und als das erste Schiff seines Volkes in einem Flammenball explodierte, schrie er wieder.
Rhodan fühlte mit ihm, doch er konnte nichts tun, um ihm zu helfen. Das entsetzliche Leid blieb unabwendbar, und der Tod übernahm mehr und mehr die Herrschaft im Wega-System. Der Tod und diejenigen, die ihn brachten.
Echsen haben uns gefunden, hieß es im Notruf. Mörderische, grausame Fremdwesen. Genau das, was so viele Menschen schon im Fall der Arkoniden befürchtet hatten, weil es in tausend Romanen und Filmen seit Jahrzehnten so beschworen wurde: Die Invasion aus dem All, die jegliches menschliche Leben auslöschte. Aber konnte es das tatsächlich geben? Waren die Topsider wirklich …
Etwas riss ihn aus den Gedanken. Chaktor stürzte. Rhodan wirbelte herum, sah als Letztes in dem Hologramm ein Flammenmeer in der Atmosphäre des Planeten lodern.
Der blauhäutige Ferrone lag am Boden, die Hände flach aufgelegt, den Kopf in den Nacken gerissen. Anne Sloane bückte sich zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zu trösten. Chaktor ging in die Hocke. »Mein Volk stirbt.« Seine Stimme klang matt wie die eines Sterbenden. »Aber Sie sind doch da. Sie bringen doch das Licht zurück. Tun Sie etwas!«
»Wir werden versuchen, Ihnen und Ihrem Volk zu helfen.« Die fremdartige Körpersprache des Außerirdischen verwirrte Rhodan. Drückte er so sein Entsetzen aus? Oder die – Ehrfurcht vor denen, die er Lichtbringer nannte? Es widerstrebte ihm, sich verehren zu lassen. Zumal sie dem Sterben und dem Leid in diesem Krieg ebenso hilflos gegenüberstanden wie die Ferronen.
Chaktor nestelte an der Kette unter seiner Schulter, die Rhodan schon vorher aufgefallen war. Er zog daran eine silbrig glänzende Kugel aus der Brusttasche seiner Uniform, die er vor sein Gesicht führte. Erst sah es aus, als wolle er sie küssen, doch er tippte damit nur seine Stirn an. Danach strich er mit den Fingern darüber, übte kurz Druck aus.
Plötzlich trieben regenbogenfarbene Schlieren über die gerundete Oberfläche. Daraus formten sich Bilder aus – Aufnahmen von Ferronen.
Rhodan sah in ein weibliches Antlitz, dessen blaue Haut von üppig wuchernden Blättern in dunkelgrüner Farbe umgeben war. »Ist das Ihre … Lebenspartnerin? Die Frau, mit der Sie …«
»Eine meiner drei Frauen, ja«, unterbrach Chaktor. Das Bild verblasste, wich der Porträtaufnahme eines anderen Gesichts. »Es ist tröstlich, sie anzuschauen.«
Das nächste Bild zeigte eine Schar von Kindern, Rhodan schätzte sie auf mindestens zehn. Trotz des Grauens rundum stahl sich ein Lächeln wie ein Funken Hoffnung auf seine Lippen. Eine gute Baseball-Mannschaft, dachte er. »Dies sind Ihre Nachkommen?«
Chaktors Fingerspitzen strichen über die Kugel, als wolle er die Kleinen streicheln. »Fast die Hälfte von ihnen.«
»Wie viele Kinder haben Sie?«
»Etwa zwei Dutzend.«
Er hörte, wie Anne Sloane diese Worte ungläubig wiederholte und dabei das erste Wort besonders betonte: »Etwa zwei Dutzend …«
Chaktor ließ die Kugel wieder in der Tasche verschwinden. Sein Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. Er stand auf, Rhodan streckte ihm die Hand entgegen, um ihm zu helfen. Einen Augenblick lang sah der Ferrone verwundert aus, ehe er sie ergriff. »Sie müssen den Thort treffen«, sagte er unvermittelt.
»Den … Thort?« Die Frage kam von Thora; sie mischte sich zum ersten Mal in das Gespräch ein, seit der neue Topsider-Verband aufgetaucht war. Seitdem arbeitete sie hoch konzentriert über den virtuellen Schaltflächen, hielt den Blick nur darauf gerichtet.
»Unser Herrscher!«, erklärte Chaktor. »Sie müssen ihn treffen, Sie alle! Er verfügt über unvorstellbare Mittel und Möglichkeiten. Der Thort und die Lichtbringer gehören zusammen!«
»Dann ist er stärker als wir«, stellte Rhodan klar, dem es immer weniger gefiel, dass der Ferrone in ihnen eine Art mythische oder gar gottgleiche Wesen sah.
Chaktor stutzte. Sein Blick huschte zwischen Thora, den Hologrammen und den Menschen hin und her; dabei sah er Ras Tschubai besonders lange an, als erwarte er von ihm Hilfe, so, wie er ihn vor dem Erstickungstod gerettet hatte.
»Man kann es nicht vergleichen. Der Thort ist …« Der Ferrone rang sichtlich nach Worten, fand sie jedoch nicht und verstummte. »Sie müssen uns helfen«, resignierte er schließlich. »Sie alle!«
»Ich würde nichts lieber tun«, versicherte Rhodan. »Aber es ist unmöglich. Uns bleibt nur, uns hier zu verstecken und zu hoffen, dass man uns nicht entdeckt. Sonst sind wir alle tot.«
Mit einem Mal drang Thoras Stimme durch den Raum, dominant, mitreißend und alles überragend: »Sie irren sich! Wir können sehr wohl etwas unternehmen.«
Thora
Thora wusste, dass ihre Äußerung die Brisanz einer Bombe besaß. »Meine Analysen sind abgeschlossen«, ergänzte sie. »Ich bin mir völlig sicher in meiner Einschätzung der Lage.«
Niemand erwiderte etwas. Alle hingen an ihren Lippen. Der Ferrone sah sie kurz an, senkte dann den Blick. Er erwartet die Worte der Lichtbringerin, die für ihn wie eine Göttin ist, erkannte sie. Was immer ich sage, er wird es tun.
Sie musterte vor allem Rhodan, gespannt auf seine Reaktion ihrer nächsten Worte. Wie würde er die neuen Erkenntnisse hinnehmen? Wie mit der Macht umgehen, die ihn wirklich in eine Art Gott verwandelte, zumindest im Rahmen dieses Kriegsschauplatzes? »Wir alle haben mehr als einmal gesehen, dass die Topsider-Schiffe denen der Ferronen absolut überlegen sind. Umgekehrt sind sie der GOOD HOPE ebenso hoffnungslos unterlegen. Wir können sie besiegen und diese Schlacht beenden.«
»Haben Sie nicht selbst immer wieder betont, dass die GOOD HOPE ein halbes Wrack ist?«, rief Alexander Baturin. »Es mag ja sein, dass die Arkoniden normalerweise ganz erstaunliche …«
»Meine Analysen sind eindeutig!«, unterbrach Thora. »Und selbstverständlich habe ich den aktuellen Zustand unseres Schiffs mit einbezogen. Wir werden die Topsider-Schiffe reihenweise zerstören können, genau wie sie die Ferronen-Raumer vernichten. Wie steht es in Ihren Überlieferungen, von denen ich hörte? Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
Die Arkonidin fühlte Rhodans Blick auf sich ruhen. Was ihm durch den Kopf ging, war leicht zu durchschauen. Er sah sie in einem völlig neuen Licht, fragte sich, wie es kam, dass Thora selbstlos handelte, frei von jeglichem Zynismus; warum sie in einen Konflikt eingreifen wollte, ohne einen persönlichen Nutzen daraus ziehen zu können.
Die Ferronen retten, die übermächtigen Schlächter vernichten und vertreiben – das war in der Tat etwas, das Thora noch vor Kurzem nicht als ihre Aufgabe angesehen hätte. Aber die Zeiten änderten sich, nicht nur für die Menschen oder Terraner, sondern auch für sie. Außerdem gab es noch ihren Verdacht. Konnte das Wega-System der Ort sein, den sie und Crest schon so lange suchten?
»Ich warte«, betonte die Arkonidin. »Jede Sekunde, die wir weiter untätig in unserem Versteck verharren, ohne dass es nötig ist, kann die Vernichtung eines Ferronen-Raumers bedeuten.«
»Nun, da wir es können«, sagte Rhodan, »bleibt die Frage, ob wir es auch dürfen. Wir wissen nichts über die Topsider.«
»Sie zögern und zaudern?«, fragte sie. »Ausgerechnet jetzt?«
Er ließ den Blick über die Gesichter seiner Gefährten wandern. Ras Tschubai nickte, Anne Sloane ebenfalls, genau wie Darja Morosowa und Wuriu Sengu.
»Wir greifen an«, entschied Rhodan. »Thora, bringen Sie die GOOD HOPE auf Kurs und richten Sie die Waffen aus.«
Die Arkonidin lächelte. Alles war längst bereit. Es gab keine Torpedos, mit denen sie die Schächte füllen konnte – die GOOD HOPE verfügte über keinen einzigen. Die beiden Thermokanonen, die jeweils an den Polen der Kugel saßen, waren allerdings einsatzbereit. Mit ihnen würde das im Vergleich zu den feindlichen Einheiten lächerlich kleine 60-Meter-Beiboot eine Schneise der Vernichtung ziehen.
Sie steuerte ihr Schiff aus dem Versteck im Ortungsschutz des Mondes. Als erstes Ziel wählte sie einen der Echsenraumer, der noch immer die Ferronenschiffe jagte.
Die GOOD HOPE raste mit Vollschub in die Reihen der Topsider. Beide Thermokanonen traten gleichzeitig in Aktion. Flammende energetische Strahlen zischten dem 250-Meter-Raumer entgegen. Schon die zweite Attacke überlastete den Schutzschirm und ließ ihn platzen. Das Topsiderschiff lag nackt und schutzlos, einen Lidschlag lang nur, dann zerschmetterte die dritte Salve aus den Thermokanonen seine Hülle.
Metall schmolz, Atmosphäre entwich in einem Sekundenbruchteil. Ein Meer aus Feuer wallte, ein mörderischer Pilz der Zerstörung. Der feindliche Raumer zerbrach in der Mitte. Eines der Bruchstücke verging sofort in einer gigantischen Explosion. Blaue, energetische Blitze zuckten, wahrscheinlich entlud sich ein detonierendes Antriebsaggregat. Blendend grelles Weiß wölbte sich als zerstörerische Kugel und verpuffte.
Die verbliebene Hälfte zerbrach noch weiter. Hüllenteile jagten wie Asteroiden durchs All, eines verglühte in der Atmosphäre des Planeten. Winzige Punkte stoben wie Sporen davon: Einzelne Decks, Wände – Besatzungsmitglieder.
»Thora!«, rief Rhodan. »Keine völligen Zerstörungen mehr! Schießen Sie die Schiffe manövrierunfähig, halten Sie sie auf, oder zwingen Sie sie zur Flucht! Dieser eine Abschuss muss als Zeichen genügen!«
Die Bordsysteme fingen einen Funkspruch auf – abgeschickt von den Topsidern in der Sprache der Ferronen. Die Positronik übertrug die Nachricht auf Arkonidisch, und Thora starrte darauf. Es war nicht an sie gerichtet, aber es war die letzte Botschaft, die das vernichtete Schiff verlassen hatte: Achte das Leben! Erhalte es, wo du kannst, lösche es nur dort aus, wo es unumgänglich ist. Was sollte das bedeuten? Die Worte erschienen ihr wie Hohn angesichts des gnadenlosen Gemetzels, das die Topsider unter den Ferronen angerichtet hatten und noch immer anrichteten.
Denn noch war es nicht vorbei.
Noch lange nicht.
Thora löschte die Nachricht, jagte die GOOD HOPE auf einen Pulk von Topsider-Schiffen zu und eröffnete das Feuer.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.


