Kitabı oku: «Verteidigung in Vollstreckung und Vollzug», sayfa 10
c) Widerruf
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Die Katastrophe des Widerrufs einer Aussetzung der Freiheitsstrafvollstreckung ist oft abwendbar, wenn der Proband keine erhebliche neue Straftat begangen hat. Deshalb ist aktive Verteidigung vielfach angebracht. Sie muss im Widerrufsverfahren immer zwei nacheinander gestaffelte Ziele im Auge behalten: Erstens die Ausräumung des Vorwurfs, dass ein Widerrufsgrund vorliege, und zweitens – wenn das erste Ziel unerreichbar ist – die Alternative zum Widerruf in Gestalt einer weniger einschneidenden Maßnahme. Einen Aufschub des Widerrufs, wenn seine Voraussetzungen lückenlos vorliegen, gibt es nicht.[156]
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Zu den Tatbeständen der Widerrufsgründe: Der mit Abstand häufigste Widerrufsgrund, die neue Straftat, muss nach § 56f Abs. 1 S. 2 StGB zwischen dem Datum der Aussetzungsentscheidung und dem Ende der Bewährungszeit eingetreten sein. Eine vor Erlass der Aussetzungsentscheidung begangene Tat kommt als Widerrufsgrund nicht in Betracht, auch wenn ihr Erfolg ggf. erst später eingetreten ist. Fällt die Begehung der Tat in die rückwirkend verlängerte Bewährungszeit, so ist es eine Frage des Einzelfalls, ob sie zum Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung herangezogen werden kann.[157] Eine zwischen dem Ablauf der Bewährungszeit und dem Erlass eines Verlängerungsbeschlusses in der „bewährungsfreien Zeit“ begangene Tat scheidet ebenfalls aus[158], obwohl das BVerfG in dieser auf einer verbotenen Analogie beruhenden Auslegung des § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB keinen Verfassungsverstoß gesehen hat.[159] Bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung mit Aussetzung gilt: Eine vor dem Datum des Gesamtstrafenerkenntnisses – auch innerhalb einer „einbezogenen“ Bewährungszeit – begangene Tat kann nach der erneuten Aussetzung nicht mehr herangezogen werden.[160]
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Die neue Straftat bedarf nach Art. 6 Abs. 2 EMRK des gesetzlichen Nachweises der Schuld. Schon aus diesem Grund wird rechtskräftige Verurteilung vorausgesetzt.[161] Durch das zusätzliche Merkmal, dass die Erwartung, die der Aussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat, werden Bagatelltaten und Fahrlässigkeitstaten ausgeschieden[162]; auch ein Schuldspruch mit Absehen von Strafe reicht dafür nicht aus (vgl. Rn. 189).[163]
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Die übrigen Widerrufsgründe setzen voraus, dass die Bewährungsanordnung überhaupt zumutbar, also rechtmäßig war, was an dieser Stelle noch einmal in Zweifel gezogen werden kann, und dass der Verstoß gröblich oder beharrlich war. Damit ist ein gesteigertes Maß an „Schuld“ gemeint. Bei den Auflagen setzt das Leistungsfähigkeit voraus. Sozialhilfeempfänger sind hinsichtlich in Geld zu leistender Auflagen regelmäßig nicht leistungsfähig.[164] Bei den Weisungsverstößen bereitet vor allem das Verhalten von Abhängigkeitskranken Probleme, weil ihre Fähigkeit zu weisungskonformem Verhalten gerade durch ihre Krankheit beeinträchtigt ist; insbesondere können sie für den Abbruch einer suchttherapeutischen Behandlung verständliche Gründe gehabt haben. Das liegt umso näher, wenn sie inzwischen in eine andere abhängigkeitstherapeutische Einrichtung aufgenommen worden sind oder sich darum beworben haben. Im Übrigen gilt: Ein Weisungsverstoß ist nur im Falle einer nunmehr ungünstigen Kriminalprognose ein zulässiger Widerrufsgrund; ein Auflagenverstoß kann dagegen u.U. auch dann einen Widerruf rechtfertigen, wenn die Kriminalprognose weiterhin günstig ist, eine neue Straftat jedoch nur, wenn der Mandant dadurch gezeigt hat, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.[165]
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Alternativen zum Widerruf: Was mit der gesetzlichen Formulierung gemeint ist, dass im Falle des „Ausreichens“ weniger einschneidender Maßnahmen zwingend vom Widerruf abgesehen werden muss, ist unklar. Vorausgesetzt wird immer eine weiterhin als günstig zu beurteilende Kriminalprognose, mag diese auch erst durch die nach § 56f Abs. 2 StGB anzuordnenden Maßnahmen herzustellen sein. Eine Verschiebung des Umschlagspunkts zum Nachteil des Probanden kommt hier nicht in Betracht, d.h. es darf keine höhere Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens neuer Straftaten verlangt werden als vorher.[166] Aber wann reicht eine günstige Kriminalprognose aus?[167]
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Bei neuen Straftaten muss das Widerrufsgericht auf die neue Strafe Rücksicht nehmen und sich ihr anpassen. Es ist nicht nur ein höchst unerfreuliches und dem Ansehen der Justiz abträgliches Schauspiel, wenn verschiedene Gerichte in Deutschland gegeneinander agieren, es ist fehlerhafte Nichtanwendung des § 56f Abs. 2 StGB. Deshalb scheiden diejenigen Nachtaten als Widerrufsgrund aus, die nur mit Verwarnung, Geld-[168] oder Bewährungsstrafe sanktioniert worden sind[169], auch wenn die Vollstreckungsaussetzung nicht von vornherein im Erkenntnisverfahren, sondern erst als Restaussetzung erfolgt ist.[170] An dieser Stelle wird deutlich, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK dem nationalen Recht nicht nur von außen hinzutritt, so dass das Erfordernis des gesetzlichen Nachweises der Schuld im Strengbeweisverfahren einer Hauptverhandlung als nur formal aufgefasst werden könnte – die Bestimmung fügt sich auch materiell in das Widerrufsrecht ein: Das Gericht muss die Bestrafung der Nachtat kennen, weil ihm sonst für die Beurteilung, ob eine weniger einschneidende Maßnahme ausreicht, eine maßgebliche Information fehlt.[171] Bei der Widerrufsentscheidung muss ggf. auch Berücksichtigung finden, dass die neue Tat unter Verweis auf das sog. „Bewährungsversagen“ mit einer höheren Strafe belegt wurde, was de facto auf eine Doppelbestrafung hinauslaufen könnte.
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Die Verteidigung muss beachten, dass das Vorgenannte für den Mandanten auch erhebliche Nachteile haben kann: Bei Vorliegen eines Haftgrunds muss er mit einem Sicherungshaftbefehl nach § 453c StPO rechnen. Da dessen Vollzug einschneidender sein kann als Strafhaft, weil keine Vollzugslockerungen und kein Urlaub gewährt werden, ist sorgfältige Prüfung und Beratung erforderlich; manchmal kann es sich empfehlen, das Nachtatverfahren durch Geständnis und Rechtsmittelverzicht deutlich abzukürzen.
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Bei einem Auflagenverstoß wird die Erhöhung der Auflage regelmäßig als kontraproduktiv ausscheiden. Die Praxis weicht vernünftigerweise auf andere Maßnahmen nach § 56f Abs. 2 StGB aus. Bleibt es bei gröblichen oder beharrlichen Verstößen, wird allerdings dem Widerruf kaum mehr etwas entgegenzusetzen sein. Es ist zwar gem. §§ 56f Abs. 2 i.V.m. 56e StGB nicht ausgeschlossen, eine nachträgliche Aufhebung der Auflage anzustreben, praktisch aber einigermaßen aussichtslos.
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Bei Weisungsverstößen Abhängigkeitskranker ist es besonders wichtig, ihre Wiedereingliederung nicht aus den Augen zu verlieren. Es wäre großes Unrecht, regelmäßig schon aus einem Therapieabbruch oder einer Therapieverweigerung auf eine ungünstige Kriminalprognose i.S.d. § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB zu schließen und die Aussetzung ohne nähere Prüfung zu widerrufen. Abhängigkeitstherapie braucht einen langen Atem; gekränktes Zuschlagen, wenn der wohlgemeinte Plan des Gerichts scheitert, ist fehl am Platz. Jede Suchttherapie rechnet mit Rückfällen, ohne daraus schon auf Therapieresistenz zu schließen, weil es kaum eine erfolgreich abgeschlossene Suchtbehandlung gibt, bei der nicht Rückfälle zu überwinden bzw. zu bearbeiten waren (s.u. Rn. 300). Außerdem gibt es eine große Zahl verschiedener Therapiekonzepte mit sehr verschiedenen Anforderungen an die Patienten, sich unterzuordnen und Verhaltensbeschränkungen zu akzeptieren. Ein wissenschaftlich allgemein anerkanntes Konzept, das allen anderen vorzuziehen wäre, gibt es nicht und kann es im Hinblick auf die verschiedenen Persönlichkeiten der Kranken und die verschiedene Genese der Abhängigkeit nicht geben. Es kann deshalb sehr gut sein, dass der Proband bei seinem abgebrochenen Versuch an eine „für ihn falsche“ Therapieeinrichtung geraten war. Er darf dann mit Recht hoffen, mit seinem nächsten Versuch Erfolg zu haben. Das Gericht sollte dies nicht durch einen Widerruf verhindern. Schließlich ist auch eine Methadonsubstitution eine geeignete Grundlage für die Wiedereingliederung.[172]
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Während die Anordnung von Bewährungshilfe da, wo sie nicht von vornherein angeordnet war, ein rechtlich unproblematischer (und oft vernünftiger, s.o. Rn. 181) Eingriff ist, bedarf die Möglichkeit der Verlängerung der Bewährungszeit einiger Erläuterungen: Verlängerungen innerhalb der 5-Jahres-Grenze der Bewährungszeit unterliegen nicht der Beschränkung durch § 56f Abs. 2 S. 2 StGB, sondern sind nach § 56a Abs. 2 S. 2 StGB auch hier möglich, selbst wenn der Widerrufsgrund so spät eingetreten ist, dass die Bewährungszeit inzwischen abgelaufen ist. Will das Gericht die 5-Jahres-Grenze überschreiten, so kann es das nach § 56f Abs. 2 S. 2 StGB nur im Rahmen des 1½fachen der zunächst bestimmten Bewährungszeit tun. Mit „zunächst bestimmter Bewährungszeit“ ist die ursprüngliche, nicht die aus einer früheren Verlängerung herrührende, gemeint.[173] Ist deshalb keine Verlängerung mehr möglich und kommt sonst keine zusätzliche Bewährungsmaßnahme in Betracht, dann ist deshalb nicht etwa zu widerrufen, sondern es hat damit sein Bewenden, so dass, wenn die Bewährungszeit abgelaufen ist, die Strafe erlassen werden kann.[174]
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Widerrufs-Wiederaufnahme: Stellt sich ein Widerruf nachträglich als falsch heraus, so ist er im Verfahren nach § 458 Abs. 1 StPO nach dem Vorbild der Wiederaufnahme aufzuheben.[175] Nicht selten wird der Widerruf wegen Nichtzahlung einer Geldauflage ausgesprochen und der Verurteilte bezahlt nun doch noch in der Annahme, das sei eben noch rechtzeitig. Solche Zahlungen nach Erlass und vor Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses sind wirksam.[176] Regelmäßig müssen sie auch ohne Beschwerdeverfahren, also auch wenn inzwischen Rechtskraft eingetreten ist, zur nachträglichen Aufhebung des Widerrufsbeschlusses führen (s. auch u. Rn. 207). Wenn sie nicht ausreichen, um die Beurteilung des Auflagenverstoßes als „gröblich oder beharrlich“ umzustoßen, dann ist mindestens die im folgenden Abschnitt erörterte Anrechnung nachträglich geboten.
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Fällt die Aussetzung nachträglich weg, so fragt sich, was wegen der Aufwendungen zu geschehen hat, die der Mandant inzwischen wegen der Bewährungsaussetzung gemacht hat. Leistungen nach § 56f Abs. 3 S. 1 StGB, die er zur Erfüllung von Auflagen oder Weisungen erbracht hat, werden nach einem Widerruf grundsätzlich nicht erstattet; nach S. 2 kann das Gericht bei einem Widerruf die Zahlung eines Geldbetrages nach § 56b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 oder 4 StGB sowie eine gemeinnützige Leistung oder entsprechende Anerbieten aber nach einem entsprechenden Maßstab auf die zu vollstreckende Strafe anrechnen (nicht aber wenn sie aus Erlösen von Vermögensdelikten erbracht wurden, s.u. Rn. 197).[177]
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Die Anrechnung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Gerichte.[178] Für die Verteidigung ergeben sich hieraus drei Ansätze, aktiv zu werden: das Übergehen der Anrechnung, das Absehen von der Anrechnung nach dem Ermessen des Gerichts und die Anwendung eines unangemessen niedrigen Anrechnungsmaßstabs. Das Gericht kann die Anrechnungsfrage beim Widerruf einfach übersehen, die Verteidigung darf sie nicht übersehen. Wurde eine Anrechnung versäumt, so ist dies im Fall einer späteren Gesamtstrafenbildung zu berücksichtigen. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nachholen.[179] Wird das versäumt und wird der Widerruf ohne Anrechnung rechtskräftig, so ist ein Gesuch auf Anrechnung im Wege der Gnade zu stellen.
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Als Ablehnungsgründe kommen in Betracht:
• | die Leistung ist geringfügig, |
• | der Mandant hat sich die Mittel dafür erwiesenermaßen durch eine Straftat verschafft, |
• | er zahlt erst nach Begehung einer den Widerruf begründenden Straftat und nur zu dem Zweck, eine Herabsetzung der zu verbüßenden Freiheitsstrafe zu erzielen.[180] |
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Der Maßstab der Anrechnung ist ebenfalls dem Ermessen des Gerichts anheimgegeben. Entscheidend sind die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung.[181] Das Tagessatzsystem ist für die Anrechnung von Geldzahlungsauflagen kein geeigneter Maßstab, denn die Höhe einer Auflage orientiert sich ihrem Wesen nach nicht daran.[182]
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Eine analoge Anwendung des § 56f Abs. 3 StGB auf eine Therapie in staatlich anerkannten Einrichtungen ist streitig. Das ist vor allem dann unbefriedigend, wenn der Proband sich nach § 56c Abs. 3 Nr. 2 StGB einer Entziehungsbehandlung mit Freiheitsentzug unterzogen hat. Mehrere der bei der Drogentherapie angewandten Behandlungskonzepte sehen nämlich für die erste, etwa vier Monate umfassende Phase der Behandlung strikten Freiheitsentzug und eine rigorose „Kontaktsperre“ vor. Das Maß der Unfreiheit steht dabei dem Freiheitsentzug in einer JVA nicht nach, es kann ihn sogar übertreffen. Das erfordert die analoge Anwendung der Anrechnungsbestimmung auf die Zeit des Freiheitsentzuges in der Therapie.[183] Man wird der Anrechnung weiter nicht entgegenhalten können, sie sei bei einem Scheitern der „Bewährung“ auch nach § 36 Abs. 1 S. 1 BtMG nicht vorgesehen. Dort geht es darum, sich die Aussetzung des nicht angerechneten Strafrests zur Bewährung durch die Drogentherapie erst zu verdienen, während hier die Aussetzung zur Bewährung die Grundlage und Voraussetzung des Aufenthalts des Probanden in der therapeutischen Einrichtung war. Die Anrechnung wird allerdings auf den Teil der Therapiezeit, während der der Mandant die Therapieeinrichtung nicht hat verlassen dürfen, zu beschränken sein.
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Anrechnung nach Gesamtstrafenbildung: Die Anrechnungsbestimmung des § 56f Abs. 3 StGB gilt auch, und zwar zwingend[184], wenn die Aussetzung zur Bewährung anlässlich der Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB oder § 460 StPO nachträglich wegfällt (§ 58 Abs. 2 S. 2 StGB). Es handelt sich jedoch um einen Vorgang des Erkenntnisverfahrens, nicht der Strafvollstreckung, so dass darauf hier nicht weiter einzugehen ist.[185]
d) Widerrufsverfahren
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Die Widerrufszuständigkeit[186] richtet sich wie die Überwachung der Lebensführung nach §§ 453b, 462a StPO, die Besetzung der StVK nach § 78b Abs. 1 GVG. Entscheidungen in falscher Besetzung (drei Richter statt einer oder umgekehrt) sind immer fehlerhaft.[187]
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Damit nicht vorschnell widerrufen wird, ist die Bewährungshilfe zu unterrichten, wenn ein Widerruf in Betracht kommt. Oft reicht Unterrichtung nicht aus und die Aufklärungspflicht gebietet die Einholung eines Berichts oder die Anhörung als Zeuge.[188] Außerdem soll das Gericht dem Probanden in den Fällen eines Weisungs- oder Auflagenverstoßes Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben, damit er sich rechtfertigen oder entschuldigen kann. Dieses „Soll“ des § 453 Abs. 1 S. 4 StPO ist praktisch ein „Muss“[189]; Ausnahmen sind nur zulässig, wenn schwerwiegende Gründe es rechtfertigen. „Gelegenheit zur Anhörung“ bedeutet Ladung zu einem Anhörungstermin. Es genügt nicht, dem Verurteilten mitzuteilen, er könne einen Termin dafür vereinbaren.[190] Dass ein Anhörungstermin mit einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Verurteilten ohne Dolmetscher stattfindet, sollte man nicht für möglich halten. Tatsächlich ist auf dieser Grundlage sogar schon ein fehlerhafter Widerruf verkündet worden.[191] Die Beiordnung als Pflichtverteidiger ist zu erörtern.[192]
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Entscheidung nach Ablauf der Bewährungszeit: Der Widerruf kann sowohl während der Bewährungszeit als auch erst nach deren Ablauf ausgesprochen werden. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist zu beachten.[193] Dass Entscheidungen nach dem Ablauf der Bewährungszeit zulässig sind, versteht sich von selbst, wenn man bedenkt, dass der Widerrufsgrund der neuen Straftat nach § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB erst kurz vor dem Ablauf der Bewährungszeit entstanden sein kann und dann erst noch sicher festgestellt bzw. der Vollstreckungsbehörde überhaupt erst bekannt werden muss. Fraglich ist nur, wie viel später der Widerruf noch zulässig ist; eine Frist für die Möglichkeit des Widerrufs sieht das Gesetz nicht vor. Man hat versucht, die Grenze in § 56g Abs. 2 StGB analog zu finden, also Widerruf spätestens bis ein Jahr nach Ablauf der Bewährungszeit und bis sechs Monate nach Rechtskraft der neuen Verurteilung (s.u. Rn. 205).[194] Diese Auffassung ist indes vereinzelt geblieben, und zwar wohl mit Recht.[195]
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In Literatur und Rechtsprechung ist es durchaus umstritten, ob eine Tat zum Widerruf herangezogen werden kann, wenn deren Tatzeit in die rückwirkend verlängerte Bewährungszeit fällt. Überwiegend wurde bisher die Ansicht vertreten, dass dies unzulässig sei; der zwischen Ablauf der Bewährungszeit und dem nachfolgenden Verlängerungsbeschluss liegende Zeitraum sei eine „bewährungsfreie Zeit“, so dass Straftaten, die in dieser Zeit begangen wurden, nicht nachträglich in die Bewährungszeit fallen und keinen Widerrufsgrund darstellen.[196] Es ist jedoch widersprüchlich, einerseits die rückwirkende Verlängerung der Bewährungszeit anzuerkennen, andererseits aber nicht die sich daraus ergebenen Konsequenzen zu ziehen. Die Rechtsprechung tendiert deswegen immer mehr dahin, den Widerruf der Bewährung auch aufgrund einer neuen Tat, die zwar nach Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit, aber zeitlich noch vor Erlass des rückwirkenden Verlängerungsbeschlusses begangen wurde, als zulässig zu erachten, obwohl der Täter bei deren Begehung „formal“ nicht unter Bewährung stand.[197]
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Der maßgebliche Gesichtspunkt ist der Vertrauensschutz, daneben ist auch im Widerrufsverfahren der Beschleunigungsgrundsatz zu beachten[198]: Wenn der Proband ein Jahr nach Ablauf der Bewährungszeit noch immer weder von der StA noch vom Gericht etwas über einen möglichen Widerruf gehört hat, wird er darauf vertrauen dürfen, dass er die ausgesetzte Strafe nicht mehr zu verbüßen braucht.[199] Dasselbe gilt, wenn die neue Verurteilung ein Jahr lang rechtskräftig ist und man ihn noch immer in Ruhe lässt.[200] Ganz anders dürften die Dinge indes liegen, wenn sich der Mandant unerreichbar gemacht hat[201] oder wenn er weiß, dass gegen ihn wegen einer in der Bewährungszeit begangenen Straftat ein Verfahren läuft und das Bewährungsgericht die Aufklärung der neuen Straftat abwarten wird. Indes wird man auch hier aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit eine absolute Grenze ziehen müssen.[202]
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Rechtsmittel: Die sofortige Beschwerde (§ 311 StPO) nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO erstreckt sich auf die ganze Widerrufsentscheidung. Sie ist neben den genannten Fällen auch dann statthaft, wenn das Gericht den Antrag auf Erlass einer solchen Entscheidung ablehnt.[203] Beantragt die StA den Widerruf einer Bewährung und verlängert das Gericht nur die Bewährungszeit, ist daher die sofortige Beschwerde statthaft,[204] die Rechtslage ist aber uneinheitlich, mitunter divergieren sogar mehrere Strafsenate desselben OLG,[205] die Verteidigung muss sich hierauf einstellen. Beantragt schon die StA nur die Verlängerung, findet Abs. 2 S. 3 keine Anwendung.[206] Die Prüfung erfolgt in vollem Umfang und unter Ausübung eigenen Ermessens. Das Beschwerdegericht kann den Widerrufsgrund austauschen, solange dem Verurteilten rechtliches Gehör gewährt wird.[207]
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Ein wichtiger Grund für die Aufhebung des Widerrufsbeschlusses ist die Zahlung der auferlegten Geldbuße nach Erlass, aber vor Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses.[208] Es kommt auch vor, dass wegen einer neuen Straftat rechtskräftig widerrufen wird, das Verfahren wegen dieser Tat aber mit einem Freispruch endet, oder wenn Wiederaufnahmegründe vorliegen.[209]
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Wenn der Mandant mit der Zahlung der Raten seiner Geldauflage säumig wird und eine Mahnung des Gerichts ihn nicht erreicht, weil er einem Vermerk des Briefträgers zufolge „unbekannt verzogen“ ist, dann geht die Mehrheit der Gerichte wie folgt vor: Man fragt das Einwohnermeldeamt nach der neuen Anschrift und schickt die Polizei, an der Haustür der früheren Wohnung zu fragen. Bleibt auch das ohne Erfolg, wird die Aussetzung kurzerhand wegen Verstoßes gegen die Auflage widerrufen und die öffentliche Zustellung dieses Beschlusses angeordnet.[210] Nach Ausführung der öffentlichen Zustellung durch zweiwöchige Anheftung ans schwarze Brett des Gerichts (§ 40 Abs. 1 StPO) und Verstreichen der Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde wird die Strafvollstreckung eingeleitet. Der Rechtspfleger der StA erlässt einen Vollstreckungshaftbefehl nach § 457 StPO und ein paar Wochen später wird der Verurteilte zum Zweck der Strafvollstreckung verhaftet.
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Ist bei öffentlicher Zustellung die Wochenfrist abgelaufen, bleibt die sofortige Beschwerde ausgeschlossen, der Verurteilte ist auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu verweisen. Hat der Verurteilte allerdings gegen die Weisung verstoßen, etwaige Wohnsitzwechsel mitzuteilen, ist Wiedereinsetzung nicht zu gewähren.[211] Meistens wirkt sich hierbei auch noch ein Verstoß gegen die Weisung aus, jeden Wechsel seiner Wohnung unverzüglich mitzuteilen. Die Selbstkorrektur im Nachverfahren nach § 33a StPO ist selten; ein Rechtsmittel gegen die Ablehnung dieser Korrektur gibt es nicht. Dieses ganze Verfahren ist grob unfair und ein krasser Verstoß gegen das Gebot des Art. 103 Abs. 1 GG, rechtliches Gehör zu gewähren. Nach früheren Unsicherheiten hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die öffentliche Zustellung in Strafsachen nur wirksam ist, wenn ihre gesetzlichen Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben. Habe man unzureichend nachgeforscht und hätte den Probanden finden und das allgemeine Zustellungsverfahren einhalten können, so könne das gerügt werden.[212] Unzureichende Nachforschungen nach dem Verbleib des Probanden machen die öffentliche Zustellung unzulässig. Die Beschwerdefrist ist dann nicht in Lauf gesetzt, die sofortige Beschwerde immer noch rechtzeitig. Ob die öffentliche Zustellung ordnungsgemäß angeordnet worden ist, muss immer von Amts wegen geprüft werden. Damit dies auch geschieht, ist es erforderlich, die gegen die Anordnung der öffentlichen Zustellung gegebene einfache Beschwerde einzulegen, die allerdings nur so lange für zulässig gehalten wird, wie die öffentliche Zustellung nicht durchgeführt ist und der Mandant nichts davon weiß.[213]
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Ein Widerruf ohne Anhörung und mit öffentlicher Zustellung, weil der Mandant nicht aufzufinden ist, darf wegen des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör nicht stattfinden. Das Widerrufsverfahren kann durch vorläufige Maßnahmen gesichert werden, ohne von vornherein auf die nachträgliche Anhörung zu verweisen. Das Gericht kann auch einen Sicherungshaftbefehl[214] nach § 453c Abs. 1 StPO erlassen, aber erst wenn (mit hoher Wahrscheinlichkeit) hinreichende Gründe für einen Widerruf vorliegen, insb. bei Flucht, konkreter Fluchtgefahr oder bei Gefahr weiterer Straftaten. Liegt wegen der neuen Tat, die einen Widerruf rechtfertigen würde, noch kein rechtskräftiges Urteil vor, kommt nach der Rechtsprechung des EGMR[215], der sich die OLG inzwischen angeschlossen haben, der Widerruf – und damit auch der Sicherungshaftbefehl – nur in Betracht, wenn ein glaubhaftes und wirksames Geständnis vorliegt (s.o. Rn. 186).[216]
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Rechtsbehelfe: Gegen die angeordneten vorläufigen Maßnahmen ist die Beschwerde gem. § 304 StPO gegeben; gegen den Sicherungshaftbefehl auch die weitere Beschwerde.[217] Die Beschwerde kann sowohl der Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Widerrufs, als auch dem angenommenen Haftgrund entgegentreten. Gegen den Widerruf ist auch hier nach § 453 Abs. 2 S. 2 StPO die sofortige Beschwerde zulässig (s.o. Rn. 206).
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Einige Kritiker der Sicherungshaftbefehlslösung[218] argumentieren so, als solle der Mandant verhaftet werden, „nur um ihn zur Wahrnehmung eines Rechts zu zwingen“ – darum geht es selbstverständlich nicht, sondern um die Gelegenheit dazu. An den gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Sicherungshaftbefehls wird nicht gerüttelt. Wer der Sicherungshaftbefehlslösung entgegenhalten wollte, die Menge der von § 40 StPO erfassten Unauffindbaren sei größer als die Menge derer, die einen Haftgrund nach §§ 453c Abs. 1, 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO aufwiesen, man dürfe nicht bei allen annehmen, sie seien flüchtig oder hielten sich verborgen, so dass dieser Differenzmenge durch die Sicherungshaftbefehlslösung Unrecht geschehe, der setzt die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung zu niedrig an. Die Verteidigung muss sich freilich auf die Mehrheitsmeinung einstellen.[219] Außer dem Verfahren nach § 33a StPO kommt noch in Betracht, die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung zu bekämpfen.[220]
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