Kitabı oku: «Die Zecke auf Abwegen», sayfa 3
6. Britta muckt auf
Wieder in der Wohnung, schenkte ich uns auf den Schreck einen doppelten Ouzo ein. Ich wollte den Fernseher einschalten, mich einfach nur berieseln lassen, doch unerwartet nahm mir Britta die Fernbedienung aus der Hand und schaute mich ernst an. „Hartmut, mir ist jetzt Einiges klar geworden.”
Brittas Erleuchtungen waren nie ungefährlich. Ich tat jetzt gut daran, zumindest einen interessierten Blick aufzusetzen.
„Hartmut, wir verkaufen die Wohnung – und zwar bevor dieser klinisch tote Verwalter sich noch mehr Dummheiten einfallen lässt.”
Entsetzt starrte ich Britta an. „Und was hast du dir dann stattdessen vorgestellt?” Ich hatte im Amt schon genug Stress, da brauchte ich privat nicht auch noch Veränderungen. Britta hatte nicht im Entferntesten eine Vorstellung, welche Bürde ich als Teamfürst zu tragen hatte. Vor allen Dingen, wenn einem nur eine Mannschaft von angeschossenen Indianern vom Typ Goller oder Stöhr zur Verfügung standen.
Britta setzte sich aufrecht hin. Sie überragte mich jetzt um mehr als einen Kopf. „Wir bauen ein Haus. Und zwar schlüsselfertig.”
Eindeutig: Sie war wieder verrückt geworden. Ich hätte doch lieber bis an mein Lebensende bei Papa und Mama wohnen bleiben sollen. Als ich Mama davon erzählt hatte, dass ich Britta heiraten wollte, hatte sie nur gesagt „Junge, du weißt, dein Zimmer wird dir immer bleiben! Und denk dran, wie teuer das Leben da draußen ist!” Eine Woche vor der standesamtlichen Trauung war ich direkt von Mama und Papa in Brittas Wohnung gezogen. Am Tag meines Umzugs heulten beide wie die Schlosshunde.
Ich musste Zeit gewinnen: „Keine schlechte Idee, Britta, wir bauen ein Haus. In zehn Jahren müssten wir mit dem Imbiss …”
„Das ist der zweite Punkt”, unterbrach mich Britta. „Hartmut, ich will auch nie wieder in meinem Leben hinter dem Tresen einer stinkenden Frittenbude stehen!”
Und an dem entschlossenem Funkeln in ihren Augen konnte ich erkennen, dass das ihr letztes Wort war. Auch das noch.
Meine Idee vor einigen Jahren, einen Imbiss auf Brittas Namen zu eröffnen, hatte uns vor dem sicheren Ruin gerettet. Um ein Haar wäre sonst unsere Wohnung versteigert worden.
Mama hatte Recht: Britta war ein verwöhntes, undankbares Luxusweibchen. Wer stand denn die meiste Zeit hinter dem Tresen der Frittenschmiede? Unsere Angestellte Mandy und Brittas fette Cousine Karin. Ich gebe zu: auf Karin war nicht sonderlich Verlass. Aber es war ohnehin nur noch eine Frage der Zeit, bis Karin nicht mehr durch die schmale Tür vom Imbisswagen passen würde. Britta stand eigentlich nur noch zur Rushhour und am Wochenende im Imbiss. Natürlich war das zu spüren. Durch die höheren Personalkosten war der Gewinn ganz schön in den Keller gegangen.
„Mandy ist doch schon seit langem scharf darauf, den Imbiss zu übernehmen”, sagte Britta. „In jedem Fall können wir vom Gewinn, den der Verkauf abwirft, das Grundstück bezahlen.”
„Und wie willst du die Restsumme von deinem Häuschen finanzieren? Glaub nicht, dass wir für die Eigentumswohnung viel bekommen. Seit der Krise sind die Preise total im Keller.”
„Natürlich mit unserem kleinen Depot in der Schweiz. Das müsste sogar ausreichen, um Griechenland aufzukaufen.”
Wenigstens das Schwarzgeld aus dem Imbiss hatte ich vor Brittas Streifzügen durch die Boutiquen und Schuhläden retten können. Und vor allen Dingen vor Betriebsprüfer Glockemüller, der die Frittenschmiede um ein Haar totgeprüft hätte. Noch Wochen nach der Prüfung rechnete ich immer, wenn es auf 10:00 Uhr zuging, mit einem Hausbesuch der Steuerfahndung.
Britta hatte ja Recht. Warum das Geld nicht in ein Häuschen investieren. So langsam hatten wir uns aus der Schusslinie der Steuerfahndung gebracht. Und wenn der Imbiss erst einmal auf Mandy überschrieben wäre, wären wir ohnehin raus aus der Nummer. Mir brannte es ja auch schon unter den Nägeln, mir ein anderes Autozu kaufen. Der alte „Strich Achter” löste sich langsam in seine Bestandteile auf.
„Gut Britta, wenn ich am Dienstag ins Amt fahre, spreche ich in der Mittagspause mit Mandy. Und was willst du stattdessen machen? Hausmütterchen spielen – oder noch einen Wurf Kinder ausbrüten?”
„Quatsch! Ich werde mich um die Pläne für unser Haus kümmern. Und anschließend mache ich endlich mein Studium fertig.”
Wenn Außenstehende Britta auf ihre Arbeit als Imbisshummel ansprachen, betonte sie immer, sie studiere hauptberuflich Psychologie und Freizeitpädaogik. Mittlerweile hatte ich aufgehört, die Semester zu zählen. Konnte das Zweiunddreißigste sein, würde mich aber auch nicht wundern, wenn es das Sechsundvierzigste war. Zuletzt hatte sie wieder eine Auszeit genommen, weil sie im Kindergarten zur Elternvertreterin gewählt worden war.
Gleich am nächsten Morgen saß Britta vor dem PC und lud sich Grundrisse von ihren Traumhäusern herunter. Enthusiastisch hielt sie mir den Entwurf einer Villa mit Schwimmbad vor die Nase.
„Genauso habe ich mir unser Haus vorgestellt, vielleicht ein bisschen größer und nicht ganz so schlicht.”
Irgendwo im Kleingedruckten las ich: ab 759.000 Euro.
Britta schob beleidigt ab: „Erbsenzähler! Ab jetzt plane ich alleine. Macht mit dir überhaupt keinen Spaß!”
Mich quälten ganz andere Sorgen: Bis zum 30.12. mussten noch mindestens 50 Steuererklärungen bearbeitet werden. Ich bekniete Britta, mir zu helfen.
„Du musst nur die Belege eintüten und hinter jede Kennziffer in der Steuererklärung einen Haken setzen.” Außerdem drückte ich ihr meinen Lieblingsstempel „Geprüft, keine Beanstandungen” in die Hand und forderte sie auf, davon reichlich Gebrauch zu machen.
Britta war eine miserable Sachbearbeiterin: Sie stellte zu viele Fragen. „Hartmut, hier hat eine Bankangestellte auf der Anlage Neinen Nettoarbeitslohn von 39.456 Euro erklärt. Lohnsteuerabzug 23.755 Euro. So viel Lohnsteuer – kann das überhaupt sein?”
„Was glaubst du denn, was passiert, wenn die Progression erstmal zuschlägt! Dann geht der Steuersatz ab wie ’ne Rakete.”
„Was ist denn Progression?”
Es war ein Jammer. Selbst die einfachsten Grundkenntnisse fehlten Britta.
„Ich will es mal plastisch erklären. Nehmen wir an, du bist eine gut verdienende Friseurin mit einem jährlichem zu versteuernden Einkommen von 13.469 Euro. Dann beträgt die Einkommensteuer (912,17 · y + 1.400) · y. Unterstellen wir weiter: du erhältst in dem betreffendem Jahr einen Euro Trinkgeld.”
„Einen Euro Trinkgeld – in einem Jahr! Was ist denn das für ein idiotisches Beispiel?”
„Beispiele können im Steuerrecht gar nicht idiotisch genug sein. Also: Du erhältst einen Euro Trinkgeld. Dann erhöht sich dein zu versteuerndes Einkommen auf 13.470 Euro. Die Einkommensteuer beträgt dann bereits (228,74 · z + 2.397) · z + 1.038. § 32a Absatz 1 Einkommensteuergesetz. Jetzt weißt du, warum ich meiner Friseurin kein Trinkgeld gebe.”
„Und was ist y?”
„y ist ein Zehntausendstel des 8.004 Euro übersteigenden Teils des auf einen vollen Euro-Betrag abgerundeten zu versteuernden Einkommens – lernt ein Steueranwärter in der ersten Unterrichtsstunde.”
Brittas Rückfragen wurden jetzt deutlich weniger, was sich in der Fallerledigung positiv bemerkbar machte.
Als ich am 29.12. nach Mitternacht die bearbeiteten Steuererklärungen durchzählte, waren es 52. So viel hatte ich früher nicht mal in einem Monat geschafft! Team 1 und 2 konnten sich warm anziehen.
7. Pole-Position?
Es war genau ein Tag vor Silvester. Wer heute im Amt war, hatte keine Familie oder war vor ihr geflüchtet. Mit der schweren Faltbox tappte ich über den Flur, vorbei an Axthammers Büro. Es brannte Licht. Wenn er gewusst hätte, dass ich bergeweise Steuererklärungen durch die Gegend karrte, wäre das meine letzter Gang über diesen Flur gewesen. Nur bei Tina brannte auch Licht.
Im Akkord hackte ich mit Tina den ganzen Vormittag die über Weihnachten vorbereiteten Steuererklärungen in den PC ein. Wir mussten uns beeilen: Was bis 12:00 Uhr nicht im Kasten war, wurde in diesem Jahr nicht mehr vom Zentral-Computer verarbeitet.
Tina hatte zu Weihnachten einen hautengen, schwarzen Pulli geschenkt bekommen. Am Bauch zeichnete sich ein kleines Speckröllchen ab. Sie knabberte die ganze Zeit Möhren und trank dazu Entschlackungstee. Zweimal hatte ihr Magen schon empört aufgejault. War ihr sichtlich peinlich. Von mir aus bräuchte sie sich nicht so zu quälen.
„Geschafft, Hartmut!” Tina strahlte.
Jetzt kam der große Moment der Wahrheit. Gespannt rief ich die Teamstatistik auf. Noch ein Klick – doch was war das? Team 3: ein fetter roter Balken! 7 Prozent hinter Team 1 und sogar 14 Prozent schlechter als Team 2. Das konnte gar nicht sein! Mein Puls begann zu rasen.
Tina sah mich beunruhigt an: „Stimmt was nicht, Hartmut?” Ich brachte kein Wort heraus, starrte sprachlos auf den Bildschirm. Tina war aufgesprungen und hatte sich hinter mich gestellt. Sie war genauso geschockt. „Da kann etwas nicht stimmen. Wir sind ja fast auf dem Stand 23.12.!”
„Wir sind auf dem Stand 23.12.!”, stammelte ich. Da waren sie wieder: diese Stiche in der linken Brust. Ich rief EDV-Rösel an. Ging natürlich nicht ans Telefon. Dann musste ich ihm eben einen Besuch abstatten.
Rösels Büro hatte von außen keine Klinke – höchste Sicherheitsstufe. Rösel war stolz auf dieses Privileg. Ungeduldig hämmerte ich gegen die Tür. Nichts tat sich.
„Rösel – Kundschaft!” Der Bursche machte bestimmt Mittagsschlaf. Endlich öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Auf den ersten Blick konnte ich erkennen, dass er mal wieder private DVDs brannte. Frau Stöhr hatte neulich erzählt, er würde sich mit dem Schwarzbrennen ein nettes Sümmchen dazuverdienen.
„Wer kann sich mit A 9 schon einen BMW 530i leisten?”, hatte sie böswillig gezischt.
Rösel sah mich genervt an: „Na, Harti, haste mal wieder deinen PC platt gemacht?”
„Hör zu, Rösel, ich habe gerade unsere Statistik aufgerufen: Wir sind immer noch bei 75,3 Prozent – das ist Stand 23.12!”
„Tja, Herr Teamleiter. Rote Laterne! Ich würde sagen: kleine Audienz bei Frau Pfuhl.”
„Hör zu Blödel-Rösel: Wir haben zwischen Weihnachten und heute mindestens 60 Fälle eingegeben. Das kann gar nicht sein!”
„Wann habt ihr die Freigabe durchgeführt?”
„Heute – eben gerade.” Am liebsten hätte ich ihn geschüttelt und angeschrien: „Du bist auch nur ein Mensch! Und zwar das arroganteste Arschloch …”
„Tja, Herr Teamleiter, wieder die aktuellen News nicht gelesen? Ab 29.12. werden keine Eingaben mehr für das alte Jahr in der Statistik verarbeitet. Mach dir nichts draus. In diesem Sauhaufen geht nichts verloren – leider.”
„Alles umsonst!” hämmerte es in meinem Kopf. Selbst die Zwillinge hatten am 1. Weihnachtstag Belege eingetütet.
Als ich in mein Büro zurückkam, war Tina schon weg. Sie hatte mir eine Flasche Mumm-Sekt hingestellt mit einer Karte, auf der ein Lama auf seiner eigenen Spucke ausgerutscht war. Darüber stand: „Guten Rutsch”.
Das Telefon klingelte. Britta. „Um 15:00 Uhr bist du aber heute zu Hause! Ich könnte deine Kinder vor die Tür setzen, die machen nur Blödsinn. Eben haben sie mit dem Parfum, das du mir zu Weihnachten geschenkt hast, den Teddy besprüht. Der Flakon ist leer! Stinkt hier wie im Bordell”, blubberte sie ohne Punkt und Komma. „Außerdem muss ich heute um 16:00 Uhr im Fitnessstudio einen Kurs geben: Bauch, Beine, Winkeärmchen.”
„Britta, stell dir vor, was passiert ist …”, versuchte ich zu Wort zu kommen. Im Hintergrund hörte ich, wie Britta die Zwillinge zusammenstauchte: „Wenn ihr nicht gleich euer Zimmer aufräumt, streich ich euch alles!”
Ich legte jetzt wohl besser auf – aber Britta war schneller: „Und nun zu dir, Hartmut!”
„Ich habe heute das Teamtelefon, du blockierst die Leitung”, versuchte ich verzweifelt, Britta zum Auflegen zu bewegen.
„Du wirst doch wohl noch mit deiner eigenen Frau telefonieren dürfen!”, zeterte Britta. Ich musste den Hörer einen halben Meter vom Ohr weg halten. „Du hast mir versprochen, mit Mandy über den Imbiss-Verkauf zu reden. Und? Nichts ist passiert! Eins verspreche ich dir, im neuen Jahr stell ich mich nicht mehr hinter den Tresen.” Aufgelegt.
Endlich Ruhe. Dann würde ich mich eben heute Mittag von Mandy bei einer Currywurst trösten lassen.
8. Der Deal
„Haste Sorgen? Geht’s dir nicht gut?” Mandy drückte mich so stark an ihren mächtigen Busen, dass ich kaum Luft bekam. Ihre Haare stanken nach Frittenfett. War vielleicht besser, wenn ich danach gleich nach Hause ging und mir etwas Frisches anzog. Ich konnte ja verstehen, dass Britta keine Lust mehr hatte, im Imbiss zu stehen. Der Gestank nach Frittierfett blieb in jeder Pore haften. Aber das Geld würde uns fehlen. Der Imbiss lief wirklich verdammt gut. Überall standen die Leute mit ihren Pappschalen und tunkten Pommes in unsere geniale, gelbe Spezialsoße.
Das Rezept sollte ich mir patentieren lassen. Papa benutzte das Zeug sogar als Handwaschpaste nach dem Winterreifenwechsel.
„Komm, ich mach dir erstmal ’nen schönen Monsterjäger mit Spezialsoße.”
Gerade kam Karin vom Bäcker zurück. Dem dicken Paket nach zu urteilen, hatte sie nach der Weihnachtspause erfolgreich von Gänsebrüstchen auf Sahnetorte umgestellt.
„Karin, übernimm doch mal den Grill, ich muss mich erstmal um Hartmut kümmern.” Schmachtender Blick zum Kuchenpaket, aus dem die Kalorien schon heraustropften. Schmollend band sich Karin die Schürze um und bediente die Kunden.
Mandy schien schon lange darauf spekuliert zu haben, dass wir früher oder später den Imbiss verkaufen würden. Als ich ihr allerdings die Summe nannte, die ich dafür von ihr noch haben wollte, wurde sie sichtlich zurückhaltender.
„Mensch Hartmut, ich hab doch auch kein Geld.”
„Bei der Goldgrube hast du die Kohle schneller wieder drin als du gucken kannst”, entgegnete ich. „Weniger kann ich wirklich nicht nehmen. Was meinst du, was ich auf den Veräußerungsgewinn an Steuern zahlen muss!”
„Ist der nicht steuerfrei?”
Ich winkte ab. „Nee, Mandy, so läuft das diesmal nicht. Die Steuerfahndung hat mich ohnehin schon auf dem Kieker. Da geheich kein Risiko ein.”
„Nee, so meine ich das doch gar nicht”, wehrte Mandy ab. „Du kennst doch den Heiko, meinen Schwager. Der ist ja Steuerberater. Er hat mir gesagt, dass Betriebsaufgabe immer steuerfrei ist.”
Heiko Haberstroh – der Name bürgte für Qualität. Unter den Betriebsprüfern wurde eine interne Liste schwarzer Schafe aus der Zunft der steuerberatenden Berufe gehandelt. Haberstroh war innerhalb von einem halben Jahr von Rang 15 auf Rang 4 aufgestiegen. In der DDR war er Agrarökonom gewesen. Nach der Wende hatte Haberstroh sich nach ersten Erfolgen mit einem Steuerprogramm mit einem Büroservice selbstständig gemacht. Seitdem buchte er jeden Belegkarton gnadenlos weg, der ihm auf den Schreibtisch gestellt wurde. Natürlich nur gegen Vorkasse.
„Kann ich mir nicht vorstellen, dass Veräußerungsgewinne so ohne weiteres steuerfrei sind. Da gibt’s immer irgendwelche Haken und Ösen. Das ist genauso wie bei diesen Garantiebestimmungen beim Autokauf. Oder hast du schon erlebt, dass dir ein Autohaus einen Rostfleck auf Garantie wegmacht?”
„Die Autos, die ich mir leisten kann, haben so viel Rost, dass ich froh bin, wenn mein Hintern nicht auf dem Boden schleift”, entgegnete Mandy.
Mühsam kramte ich in meinem Gedächtnis: Waren Veräußerungsgewinne wirklich steuerfrei? Irgendwas war da doch … Ich muss gestehen, dass ich seit langem nicht mehr in die Tiefen des Steuerrechts vorgedrungen war. Dafür hatte ich gar keine Zeit. Sicher, mit Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und Arbeitszimmern kannte ich mich ein bisschen aus. Nur mit dem, was man während der Ausbildung so mit auf den Weg bekommen hatte. Aber ansonsten konnte ich mich mit diesem Firlefanz nicht abgeben. Änderte sich ohnehin alle Nase lang. Als Teamfürst wurde ich dafür bezahlt, die Statistik aufzumotzen und die EDV auszutricksen. Hatte ich ja heute am eigenen Leibe zu spüren bekommen, was passierte, wenn man zu blöd dafür war.
Plötzlich wurde mir ein Dienstausweis unter die Nase gehalten: „Gestatten, Betriebsprüfung!” Die Visage auf dem Passbild kam mir doch irgendwie bekannt vor. Ich blickte hoch: Horst!
Mit Horst hatte ich jahrelang in einem Büro zusammen gesessen, bevor er in den Betriebsprüferhimmel entrückt worden war.
Ich schilderte Horst unser steuerliches Problem.
„Ist Britta 55 Jahre alt?”
„Du kennst doch Britta. Neulich ist sie beim Schnaps kaufen an der Kasse sogar aufgefordert worden, ihren Personalausweis zu zeigen.”
„Oder ist sie dauernd berufsunfähig?”
„Ich habe manchmal schon den Eindruck, sie sei berufsunfähig. Jedenfalls studiert sie bereits im 36. Semester. Zählt das auch?”
„Keine Chance, Hartmut. Wenn du verkaufst, muss alles voll versteuert werden. Da bleibt nicht mehr viel übrig.”
Mandy mit ihrem Hang für pragmatische Lösungen hatte eine Idee: „Hartmut, du überschreibst mir den Imbiss und dafür gibt’s von mir eine Flatrate für die nächsten fünf Jahre.”
„Wie, Flatrate?”
„Na, wenn es dich hierher treibt, füttere ich dich mit Kind und Kegel die nächsten fünf Jahre auf meine Kosten durch. Und Horst kriegt auch ab und zu mal ‚nen Monsterjäger.” Liebevoll streichelte sie über Horsts Vollglatze.
Horst war von der Idee sofort begeistert: „Hartmut, schlag ein! Ich würd’ sagen, in krisengeschüttelten Zeiten ein innovativer Vorschlag! Aber immer schön den geldwerten Vorteil versteuern.”
„Quatsch”, ich klopfte Mandy auf die Schultern, „den Wareneinkauf wird dir dein Heiko schon auf Nimmerwiedersehen unter Schwund wegbuchen.”
Ich brauchte nicht lange, um mich zu entscheiden.
„Red noch mal in Ruhe mit Britta, ob sie mit dem Deal einverstanden ist. Sie ist ja schließlich die Betriebsinhaberin und ich will keinen Ärger”, riet mir Mandy.
Aber für mich war die Sache klar. „Britta liegt mir schon seit langem in den Ohren. Sie ist doch nur froh, wenn das Kapitel ‚Frittenschmiede‘ endgültig abgeschlossen ist”.
Also schlugen wir ein.
9. Payman-Brothers
„Das sind die Entwürfe, die ich für Herrn van Rahden vorbereitet habe.” Britta hielt mir eine grüne Mappe unter die Nase.
„Wer ist denn Herr van Rahden?”
„Unser Architekt. Hat sonst fast nur Großbaustellen in Berlin. Soll sogar für Frau Merkel mal was gemacht haben.”
Ich überflog die Entwürfe. Britta hatte einen Hang zu XXL und Erkerchen hier und dort.
„Am Mittwoch hat van Rahden einen Termin dazwischengeschoben. Hat aber schon gesagt, er muss Zahlen haben, sonst kann er das Bauvorhaben nicht kalkulieren. Wie viel haben wir denn auf dem Schweizer Depot?”
„100.000 Euro bis 120.000 Euro, muss ich mal Herrn Huber von der Schweizer Hypo anrufen.”
„Den Imbiss bekommt Mandy jedenfalls nicht unter 40.000 Euro.”
Sollte ich mich jetzt in mein grausames Schicksal ergeben und die Hosen runter lassen? Ich versuchte Britta auf die unbekümmerte Art abzulenken: „Habe ich dir schon erzählt, dass Mandy den Imbiss übernehmen will?”
„Klasse, Hartmut. Und was springt an Kohle heraus?”
Britta war schwer abzuhängen.
„Mandy hatte einen Super-Vorschlag: Für die nächsten fünf Jahre Flatrate-Essen für die ganze Familie.”
Britta bohrte ihren Zeigefinger in meinen Bauch: „Du wirst nach Silvester erstmal ’ne Runde abspecken. Und Luisa auch. Ist dir nicht auch schon aufgefallen, dass sie ein richtiges Bäuchlein bekommen hat? Und ein Doppelkinn – genau wie du.”
„Eben ein bisschen Babyspeck”, versuchte ich zu beschwichtigen.
„Babyspeck! Das Kind ist fett geworden. Nach Neujahr gibt’s jedenfalls keine Fanta mehr.”
Wir schwiegen eine Weile.
„Und wie will Mandy die 40.000 Euro bezahlen? Nimmt sie ein Darlehen auf?” Die Frau war hartnäckig.
„Britta, ich habe mich mal mit Horst beraten. Horst sagt, wenn wir das Geld versteuern, bleibt so gut wie nichts übrig.”
„Wo ist das Problem? Dann wird es halt nicht versteuert.”
„Unsinn, die Sache ist viel zu heiß. Und außerdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass bei Mandy gleich nach Betriebseröffnung der Betriebsprüfer vorbeischaut. Um es kurz zu machen: Ich habe mit Mandy die Sache schon perfekt gemacht: Flatrate-Essen für uns und damit ist das Thema Frittenschmiede ein für allemal gegessen.”
Britta war sofort auf 180: „Hartmut, wenn es ums Essen geht, schaltet dein Hirn aber auch sofort auf Notstromaggregat um! Flatrate läuft nicht. Wir brauchen Eigenkapital!”
„Mandy bekäme soviel Geld überhaupt nicht zusammen.”
„Dann verkaufen wir eben an einen anderen!” Feindselig starrte Britta mich an. Bis zum Abend redeten wir kein Wort mehr miteinander.
Während ich das Abendbrot vorbereitete, hörte ich wie Britta mit ihrer besten Freundin Gundula telefonierte: „… du hast ja Recht. Einerseits bin ich ja auch froh, dass ich den Schuppen nicht mehr an der Backe habe. Diesen Gestank vom Frittierfett bekommt man nicht mehr aus den Haaren heraus – einfach eklig. Und diese Fernfahrer, die glotzen dich an, als wenn sie dich am liebsten sofort in ihre Fahrerkabine ziehen wollen. Nee, ich bin auch froh, dass das vorbei ist.”
Zwei Minuten später nahmen wir uns in den Arm. „Aber versprich mir, Hartmut, dass du am Dienstag diesen Nadelstreifenaffen von der Hypo anrufst.”
Natürlich war Herr Huber am Dienstag nicht erreichbar. Und auch nicht am Mittwoch, sodass Britta für ihren Termin mit Herrn van Rahden keine genauen Zahlen vom Depotwert hatte.
Ich lieferte Britta beim Architekten ab und ging in der Zwischenzeit mit Lucy und Luisa ins Hallenbad. Anschließend wollte ich zum Flatrate-Essen zu Mandy – mussten wir ja schließlich ausnutzen.
Im Hallenbad kam Luisa heulend vom Softeisstand zurück. Sie deutete auf einen kleinen Jungen mit langen, blonden Haaren, der auf der Rutsche saß: „Der da hat Fettfleck zu mir gesagt!”
Luisa stand schluchzend mit ihrem rasch schmelzenden Eis vor mir. Britta hatte Recht, das Kind hatte ein Doppelkinn und ordentliche Kartoffelstampfer bekommen. Dazu ein dickes, pralles Bäuchlein. Luisa war eben eine echte Schminke.
„Ein guter Futterverwerter” würde Mama sagen. Konnte man halt nichts machen. Mehr Sorgen machte ich mir um Lucy, die ständig über Magenprobleme klagte und halb so viel wog wie ihre Schwester.
Britta kam zufrieden nach Hause. „Van Rahden sagt, wenn wir zusätzlich zu den 120.000 Euro aus dem Depot 180.000 Euro für die Eigentumswohnung bekommen, kann er uns ein nettes Häuschen hinstellen. Hier ist unser Bauherrenvertrag.”
Während ich den Vertrag aufmerksam studierte, fragte Britta: „Was ist das eigentlich für ein Depot? Kommt man denn sofort ran an das Geld?”
„Windparkanlagen – kann man jederzeit verkaufen.”
„Zeig mir doch mal die Depotauszüge”, forderte mich Britta auf.
Ich gab ihr die Auszüge und ging in die Küche, um mir eine Flasche Bier zu holen.
„Hartmut!” Die Art, wie Britta „Hartmut” sagte, ließ nichts Gutes erahnen. Sie knallte mir die Auszüge vor die Nase. „Nichts mit Windparkanlagen: Payman-Brothers!”
Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Wie war das noch? Ich wollte eigentlich in Windparkanlagen investieren, aber …
„Britta”, stotterte ich, „jetzt weiß ich es wieder: Herr Huber von der Hypo hat mir geraten, alles bei Payman-Brothers anzulegen.”
„Du meinst …”, Britta starrte mich entsetzt an.
Herr Balzak würde jetzt sagen: Das Geld ist weg. Futsch! Aus die Maus! Nix mehr da – jetzt alle verstanden?
„Das kann aber doch nicht sein! Das fällt dir jetzt erst ein?” Britta schüttelte fassungslos den Kopf. Wenn Britta nicht einmal mehr Kraft für einen Wutausbruch hatte, wollte das schon was heißen.
„Paymann-Brothers – das kam doch immer und immer wieder im Fernsehen! Spätestens nach der Eigentümerversammlung hättest du doch mal aufwachen müssen!” Britta fing an zu heulen. „Was ist bloß mit dir los, Hartmut? Du bist doch sonst hinter jedem Cent her.”
Was war mit Hartmut Schminke los? Seitdem ich Teamleiter geworden war, hatte sich alles verändert. Morgens galt mein erster Griff nicht der BILD-Zeitung, sondern es hieß PC hochfahren und Bearbeitungsstand von Team 3 abfragen. So konnte das nicht weitergehen! Andererseits konnte ich so kurz vor dem Ziel nicht aufgeben. Im März standen die Beurteilungsgespräche für den mittleren Dienst an.
„Britta, am 01.04. sind die Beurteilungen gelaufen. Ich verspreche dir, dann hast du deinen guten, alten Hartmut zurück.”
„Ich will aber ein Haus!” Britta fing wieder an zu schluchzen.
Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, fragte sie: „Was ist eigentlich aus der Versteigerung der Säbel und Orden geworden – ist da wenigstens noch mit Kohle zu rechnen?”
Ich druckste herum, aber Britta ließ nicht locker.
„Kleiner Reinfall – Herr Kuckuck ist einer Fälscherbande aufgesessen. Bis auf einen Orden im Wert von 800 Euro, alles nur gut gemachte Plagiate. Den ganzen Krempel hat Mollenhauer bereits auf der Müllkippe entsorgt.”
„Heißt das, da kommen auch noch 3.000 Euro für die Instandhaltungsrücklage auf uns zu?”
Ich wagte Britta nicht mehr anzusehen.
Am nächsten Tag rief Britta van Rahden an. Als Britta ihm stotternd zu verstehen gab, dass das Budget um 120.000 Euro gesunken war, schrie er in den Hörer: „Wir sind doch hier nicht bei Hartz IV-Bau! Für das Geld stell ich Ihnen nicht mal ’ne Fertiggarage hin.”
„Schatz”, versuchte ich Britta zu trösten, „unsere Wohnung ist doch auch nicht schlecht. Weißt du: Wir kaufen uns dafür ein neues Auto. Ich habe gestern in einer Oldtimerzeitung einen Opel Diplomat gesehen. Topzustand.”
Unser über 30 Jahre alter Daimler war eigentlich nur noch im Stadtverkehr zu gebrauchen. Wenn die gelben Engel vom ADAC nur meinen Namen hörten, kamen sie schon in Rage.
Britta wurde jetzt richtig grantig: „Neues Auto – Baujahr 1973 oder wie?”
„Dezember 1969”, verbesserte ich.
Sie schüttelte entschieden den Kopf: „Erstens will ich ein Auto mit mindestens einem Airbag: nämlich meinem! Und zweitens will ich hier raus!”
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.