Kitabı oku: «Europarecht», sayfa 18

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2. „Vereinbarte Kriterien“

389

Art. 49 UAbs. 1 S. 4 EUV sieht vor, dass bei der Entscheidung über den Beitritt „[d]ie vom Europäischen Rat vereinbarten Kriterien […] berücksichtigt“ werden. Ohne dies klar zum Ausdruck zu bringen, nimmt die Vorschrift auf die 1993 im Vorfeld der Osterweiterung von den Mitgliedstaaten formulierten Kopenhagener Kriterien Bezug, soweit diese nicht in Art. 2 EUV primärrechtlich normiert wurden. Erforderlich ist somit insbesondere, dass Beitrittskandidaten eine institutionelle Stabilität und eine funktionsfähige Marktwirtschaft aufweisen. Darüber hinaus müssen sie bereit und fähig sein, die aus der EU-Mitgliedschaft folgenden Anforderungen zu erfüllen.

390

Durch die unbestimmte Qualifikation als „vereinbarte Kriterien“ lässt Art. 49 UAbs. 1 S. 4 EUV zudem Raum für die Festlegung von Anforderungen durch den Europäischen Rat, die über die Kopenhagener Kriterien hinausgehen. Dies schließt länderspezifische Anforderungen ein. Europarechtlich gebotene oder politisch für notwendig erachtete Veränderungen können auf diese Weise forciert werden. So könnten in Abhängigkeit von den jeweils besonders ausgeprägten Defiziten etwa die tatsächliche Gewährleistung der Religionsfreiheit oder die effektive Bekämpfung der Korruption vom Europäischen Rat als „vereinbarte Kriterien“ beschlossen werden und als Bewertungsmaßstab im Beitrittsverfahren dienen.

391

Unzulässig sind „vereinbarte Kriterien“, die den Werten des Art. 2 EUV widersprechen. Aus Art. 20 Abs. 4 S. 2 EUV folgt des Weiteren, dass die Bereitschaft zur Mitwirkung an fakultativen Integrationsschritten wie z.B. einer verstärkten Zusammenarbeit nicht als Beitrittsvoraussetzung vorgesehen werden kann. Das Gebot der Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, Art. 4 Abs. 2 EUV, steht schließlich der Vereinbarung von Kriterien im Europäischen Rat entgegen, welche die spezifische Ausprägung der Staatlichkeit von Beitrittskandidaten in Frage stellen.

3. Acquis communautaire (gemeinschaftlicher Besitzstand)

392

Um der EU beitreten zu können, muss ein Staat schließlich das gesamte geltende Europarecht (→ Primärrecht und → Sekundärrecht, Entscheidungen des → Europäischen Gerichtshofs [EuGH], völkerrechtliche Verträge) anerkennen bzw. übernehmen. Dies setzt regelmäßig erhebliche Anpassungen der nationalen Rechtsordnung voraus.

B › Beitritt (zur EU) (Matthias Knauff) › IV. Beitrittsfolgen

IV. Beitrittsfolgen

393

Sofern keine Sonderregelungen vereinbart wurden, kommen einem neu beigetretenen Staat alle aus der EU-Mitgliedschaft folgenden Rechte und Pflichten zu. Über die Einbeziehung in die Euro-Zone (→ Wirtschafts- und Währungsunion [WWU]) ist jedoch ebenso wie über die Teilnahme an etwaigen Erscheinungsformen der vertieften Integration gesondert zu entscheiden.

B › Beschluss (Daniela Schroeder)

Beschluss (Daniela Schroeder)

I.Allgemeines394 – 400

II.Adressatengerichteter Beschluss401 – 410

1.Rechtsnatur401

2.Beschlussgeber402

3.Adressaten403

4.Merkmale404 – 410

a)Verbindlichkeit in allen seinen Teilen405, 406

b)Unmittelbare Geltung407, 408

c)Gerichtetsein an bestimmte Adressaten und Verbindlichkeit nur für diese409, 410

III.Adressatenloser Beschluss411 – 419

1.Rechtsnatur411

2.Beschlussgeber412

3.Adressaten413

4.Merkmale414 – 419

a)Verbindlichkeit in allen seinen Teilen415

b)Unmittelbare Geltung416

c)Allgemeine Geltung417 – 419

Lit.:

A. Bockey, Die Entscheidung der EG, 1998; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, 2010, 365; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, Empirische Analysen und dogmatische Strukturen in einem vermeintlichen Dschungel, in: ZaöRV 62 (2002), 94–99; R. Greaves, The Nature and Bindung Effect of Decisions unter Article 189 EC, in: ELR 1996, 3; U. Mager, Die staatengerichtete Entscheidung als supranationale Handlungsform, in: EuR (36) 2001, 661; D. Schroeder, Bindungswirkungen von Entscheidungen nach Art. 249 EG im Vergleich zu denen von Verwaltungsakten nach deutschem Recht, 2006; U. Stelkens, Die „Europäische Entscheidung“ als Handlungsform des direkten Unionsrechtsvollzugs nach dem Vertrag über eine Verfassung von Europa, in: ZEuS (8) 2005, 61; M. Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des EG-Rechts, 2005; s. a. die Literatur zum Begriff → Rechtsakte.

B › Beschluss (Daniela Schroeder) › I. Allgemeines

I. Allgemeines

394

Der Beschluss ist ein → Rechtsakt, der sowohl im Bereich des außenwirksamen Handelns als auch im Bereich der Binnenorganisation der Union erlassen werden kann und sehr praxisrelevant ist.

395

In Art. 288 UAbs. 4 AEUV wird der Beschluss in Bezug auf seinen (möglichen) Adressatenkreis und seine Wirkungen dahingehend beschrieben, dass er in allen seinen Teilen verbindlich ist (vgl. Art. 288 UAbs. 4 S. 1 AEUV). Sofern er an bestimmte Adressaten gerichtet ist, ist er nur für diese verbindlich (vgl. Art. 288 UAbs. 4 S. 2 AEUV). Der Beschluss kann, muss aber hiernach nicht an bestimmte Adressaten gerichtet sein.

396

Der Beschluss wurde durch den Vertrag von Lissabon neu in den Katalog des Art. 288 AEUV aufgenommen und bildet den Oberbegriff für zwei unterschiedliche Handlungsformen: zum einen den adressatengerichteten Beschluss (vgl. Art. 288 UAbs. 4 S. 2 AEUV) und zum anderen den adressatenlosen Beschluss (vgl. argumentum e contrario Art. 288 UAbs. 4 S. 2 AEUV).

397

Der adressatengerichtete Beschluss ist ein außenwirksamer Rechtsakt der Union, der an einen abgegrenzten Adressatenkreis gerichtet ist und auf dessen individuelle Rechtspositionen einwirkt. Als solcher entspricht er der bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon existierenden Handlungsform der Entscheidung (vgl. Art. 189 EWGV, Art. 249 EGV). Diese war eine außenwirksame Handlungsform zur adressatenbezogenen Regelung von Einzelfällen. Insoweit wurde daher lediglich die alte Bezeichnung Entscheidung durch die neue Bezeichnung Beschluss ersetzt.

398

Beim adressatenlosen Beschluss handelt es sich demgegenüber um einen Rechtsakt im Bereich der Binnenorganisation der Union, der – im Gegensatz zum adressatengerichteten Beschluss – gerade nicht an einen abgegrenzten Adressatenkreis gerichtet ist und damit nicht auf individuelle Rechtspositionen einwirkt. Als solcher war die Handlungsform des Beschlusses bereits vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon bekannt und in der Praxis relevant. Durch den Vertrag von Lissabon wurde diese Handlungsform nun erstmals in den Katalog des Art. 288 AEUV aufgenommen.

399

Die durch den Vertrag von Lissabon neu eingeführte Bezeichnung Beschluss verdeutlicht, dass diese in Art. 288 UAbs. 4 AEUV beschriebene Handlungsform sowohl den adressatengerichteten Beschluss (bisher als Entscheidung bezeichnet) als auch – darüber hinausgehend – neuerdings den adressatenlosen Beschluss umfasst.

400

Auf sekundärrechtlicher Ebene wird der Beschluss als Gesetzgebungsakt (vgl. Art. 289 Abs. 3 AEUV) oder als (einfacher) Rechtsakt erlassen (→ Rechtsetzungsverfahren). Auf tertiärrechtlicher Ebene kann er in Form eines delegierten Rechtsakts (vgl. Art. 290 AEUV) oder eines Durchführungsrechtsakts (vgl. Art. 291 AEUV) ergehen (→ Normenhierarchie).

B › Beschluss (Daniela Schroeder) › II. Adressatengerichteter Beschluss

II. Adressatengerichteter Beschluss

1. Rechtsnatur

401

Der adressatengerichtete Beschluss ist in der Praxis v.a. als eine typisch exekutivische Handlungsform zur unmittelbaren außenwirksamen Regelung von Einzelfällen gegenüber einem abgegrenzten Adressatenkreis, an den der Beschluss gerichtet ist, relevant. Als solcher ist er im mitgliedstaatlichen Recht mit dem Verwaltungsakt (in der Bundesrepublik Deutschland also z.B. mit § 35 VwVfG) vergleichbar. Wie dieser kann der adressatengerichtete Beschluss mit Nebenbestimmungen wie etwa Bedingungen, Befristungen und Auflagen verbunden werden. Richtet sich der adressatengerichtete Beschluss an einen Einzelnen und verpflichtet er ihn zu einer Zahlung, stellt der adressatengerichtete Beschluss einen vollstreckbaren Titel für eine mögliche Zwangsvollstreckung dar.

2. Beschlussgeber

402

Für den Erlass eines adressatengerichteten Beschlusses sind entweder der → Rat (Ministerrat) und das → Europäische Parlament gemeinsam oder der Rat allein oder die → Europäische Kommission zuständig (→ Rechtsetzungsverfahren). In der Praxis werden die wohl meisten adressatengerichteten Beschlüsse von der Kommission erlassen.

3. Adressaten

403

Der adressatengerichtete Beschluss kann an Einzelne (sog. individualgerichteter Beschluss), d.h. an natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts, oder an Mitgliedstaaten (sog. staatengerichteter Beschluss) adressiert werden. Er kann sich dabei auf einen einzelnen Adressaten beschränken. Er kann aber auch mehrere Adressaten haben. Ein staatengerichteter Beschluss kann sogar an alle Mitgliedstaaten gerichtet werden. Ein staatengerichteter Beschluss erfasst stets den jeweils adressierten Mitgliedstaat als Gesamtstaat (vgl. EuGH, Urt. v. 21.5.1987, 249/85 – Albako –, Rn. 17), d.h. alle Stellen der Legislative, Exekutive und Judikative.

4. Merkmale

404

Der adressatengerichtete Beschluss zeichnet sich gem. Art. 288 UAbs. 4 AEUV dadurch aus, dass er in allen seinen Teilen verbindlich ist, unmittelbare Geltung beansprucht und an bestimmte Adressaten gerichtet ist.

a) Verbindlichkeit in allen seinen Teilen

405

Der adressatengerichtete Beschluss ist in allen seinen Teilen verbindlich (vgl. Art. 288 UAbs. 4 S. 1 AEUV). Mit dem Merkmal der rechtlichen Verbindlichkeit entspricht der adressatengerichtete Beschluss insoweit der → Verordnung und der → Richtlinie und unterscheidet sich insoweit von den unverbindlichen → Empfehlungen und Stellungnahmen. Im Falle einer u.U. erforderlich werdenden Abgrenzung zwischen den unverbindlichen Handlungsformen einerseits und dem adressatengerichteten Beschluss andererseits stellt der → Europäische Gerichtshof (EuGH) im Hinblick auf das Merkmal der Verbindlichkeit maßgeblich darauf ab, ob eine Maßnahme der Union dazu bestimmt und geeignet ist, unmittelbare rechtliche Wirkungen hervorzurufen, also in Rechtspositionen einzugreifen (vgl. EuGH, Urt. v. 15.3.1967, 8/66 u.a. – Cimenteries –, S. 122).

406

Indem der adressatengerichtete Beschluss in allen (seinen) Teilen verbindlich ist, entspricht er insoweit der Verordnung, unterscheidet sich in diesem Punkt aber – wie die Verordnung – von der Richtlinie, die lediglich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, die Wahl der Form und Mittel jedoch den Mitgliedstaaten überlässt.

b) Unmittelbare Geltung

407

Der adressatengerichtete Beschluss gilt – wie die Verordnung – unmittelbar, d.h. er entfaltet mit seiner Bekanntgabe gegenüber dem jeweiligen Adressaten direkt seine Rechtswirkungen. Es bedarf – anders als bei der Richtlinie – weder einer Umsetzung noch eines konkreten Vollzugsbefehls auf mitgliedstaatlicher Ebene.

408

Das Merkmal der unmittelbaren Geltung des adressatengerichteten Beschlusses ist – anders als bei der Verordnung (vgl. Art. 288 UAbs. 2 S. 1 AEUV) – nicht ausdrücklich in Art. 288 UAbs. 4 AEUV normiert. Dennoch ist seine Existenz anerkannt. Der EuGH folgert die unmittelbare Geltung aus dem in Art. 288 UAbs. 4 S. 1 AEUV normierten Merkmal in allen seinen Teilen verbindlich (s. Rn. 415 f.). Aus der Verbindlichkeit des adressatengerichteten Beschlusses in allen seinen Teilen ergebe sich, dass dieser auch geeignet sein müsse, unmittelbare Wirkungen zu erzeugen (st. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 6.10.1970, 9/70 – Grad –, Rn. 5).

c) Gerichtetsein an bestimmte Adressaten und Verbindlichkeit nur für diese

409

Gem. Art. 288 UAbs. 4 S. 2 AEUV ist der adressatengerichtete Beschluss an bestimmte Adressaten, d.h. an einen abgegrenzten Adressatenkreis, gerichtet. Dabei kann es sich um einen einzelnen Adressaten oder um mehrere Adressaten handeln. Der Adressat muss nicht unbedingt namentlich benannt sein. Es genügt vielmehr, dass der Beschluss individualisierbar ist, z.B. dadurch, dass sich der Adressatenkreis aus der Regelung des Beschlusses erschließen lässt.

410

Der adressatengerichtete Beschluss ist nur für den/die Adressaten, an den/die er gerichtet ist, verbindlich und hat damit lediglich individuelle Geltung. Insoweit entspricht er der Richtlinie, die ebenfalls lediglich für denjenigen Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, Verbindlichkeit beansprucht, und unterscheidet sich in diesem Punkt von der Verordnung, die als Rechtsnorm allgemeine Geltung (vgl. Art. 288 UAbs. 2 S. 1 AEUV) erga omnes hat.

B › Beschluss (Daniela Schroeder) › III. Adressatenloser Beschluss

III. Adressatenloser Beschluss

1. Rechtsnatur

411

Der adressatenlose Beschluss stellt in der bisherigen Praxis eine typische Handlungsform der Union im Bereich ihrer Binnenorganisation dar und kommt hier mit unterschiedlichsten Regelungsinhalten zum Einsatz: z.B. zum Erlass von Intra- und Inter-Organrecht (→ Rechtsakte) und zur Politikgestaltung.

2. Beschlussgeber

412

Wie beim adressatengerichteten Beschluss (s. Rn. 402) liegt die Zuständigkeit für den Erlass eines adressatenlosen Beschlusses entweder beim Rat und beim Europäischen Parlament gemeinsam, beim Rat allein oder bei der Kommission.

3. Adressaten

413

Im Gegensatz zum adressatengerichteten Beschluss (s. Rn. 403) hat der adressatenlose Beschluss – wie sein Name bereits verdeutlicht – keine bestimmten Adressaten und damit keinen abgegrenzten Adressatenkreis.

4. Merkmale

414

Der adressatenlose Beschluss zeichnet sich gem. Art. 288 UAbs. 4 AEUV durch folgende Merkmale aus:

a) Verbindlichkeit in allen seinen Teilen

415

Wie der adressatengerichtete Beschluss ist auch der adressatenlose Beschluss in allen (seinen) Teilen verbindlich (vgl. Art. 288 UAbs. 4 S. 1 AEUV; s. Rn. 405 f.).

b) Unmittelbare Geltung

416

Wie der adressatengerichtete Beschluss gilt auch der adressatenlose Beschluss unmittelbar (s. Rn. 407 f.).

c) Allgemeine Geltung

417

Der adressatenlose Beschluss gilt für und gegen alle diejenigen, die in den Regelungsgehalt dieses Beschlusses fallen. Seine allgemeine Geltung entspricht derjenigen der Verordnung, wenngleich sich der adressatenlose Beschluss und die Verordnung in diesem Punkt wiederum darin unterscheiden, dass sich die allgemeine Geltung des adressatenlosen Beschlusses prinzipiell stets auf den unionsinternen Bereich beschränkt, wohingegen die Verordnung als v.a. außenwirksame Rechtsnorm grundsätzlich erga omnes gegenüber den Mitgliedstaaten und den Einzelnen gilt.

418

Das Merkmal der allgemeinen Geltung ist für den adressatenlosen Beschluss nicht ausdrücklich in Art. 288 UAbs. 4 AEUV normiert. Es ergibt sich aber aus einem Umkehrschluss aus Art. 288 UAbs. 4 S. 2 AEUV. Ist ein Beschluss nicht an bestimmte Adressaten gerichtet, ist seine Verbindlichkeit und damit seine Geltung nicht auf Adressaten beschränkt. Verbindlichkeit und Geltung wirken dann unbeschränkt, d.h. allgemein.

419

Mit dem Merkmal der allgemeinen Geltung unterscheidet sich der adressatenlose Beschluss grundlegend vom adressatengerichteten Beschluss, der individuelle Geltung hat (s. Rn. 409 f.).

B › Binnenmarkt (Mahdad Mir Djawadi)

Binnenmarkt (Mahdad Mir Djawadi)

I.Begriff und Abgrenzung420 – 422

II.Historische Entwicklung423 – 431

III.Maßnahmen der EU zur Verwirklichung des Binnenmarktes432 – 443

1.Negative Integration433 – 435

2.Positive Integration436 – 443

Lit.:

B. Busch, Der EU-Binnenmarkt – Anspruch und Wirklichkeit, 2009; C. Hillgruber, Die Verwirklichung des Binnenmarktes durch Rechtsangleichung – Gemeinschaftsziel und -kompetenz ohne Grenzen?, GS für W. Blomeyer, 2004, 597; M. Möstl, Grenzen der Rechtsangleichung im europäischen Binnenmarkt – Kompetenzielle, grundfreiheitliche und grundrechtliche Schranken des Gemeinschaftsgesetzgebers, EuR 37 (2002), 318; N. Reich, Binnenmarkt als Rechtsbegriff, EuZW 2 (1991), 203; I. E. Schwartz, Rechtsangleichung und Rechtswettbewerb im Binnenmarkt – Zum europäischen Modell, EuR 42 (2007), 194.

B › Binnenmarkt (Mahdad Mir Djawadi) › I. Begriff und Abgrenzung

I. Begriff und Abgrenzung

420

Der Binnenmarkt wird in Art. 26 Abs. 2 AEUV als Raum ohne Binnengrenzen definiert, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. Er umfasst gleichzeitig ein System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt. Das ergibt sich nicht unmittelbar aus Art. 26 Abs. 2 AEUV, sondern folgt aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) AEUV und ist explizit im Protokoll Nr. 27 über den Wettbewerb und den Binnenmarkt festgeschrieben.

421

Im Vergleich zu einer Freihandelszone und zu einer → Zollunion weist der Binnenmarkt den höchsten Integrationsgrad auf. In einer Freihandelszone verzichten die beteiligten Staaten wechselseitig auf die Erhebung von Zöllen und heben sonstige den Handel untereinander beschränkende Maßnahmen auf. Gegenüber Drittländern betreibt jedoch jeder Staat weiterhin eine autonome Handelspolitik, setzt insbesondere die entsprechenden Zolltarife selbständig fest. Anders ist dies bei einer Zollunion, bei der zusätzlich eine gemeinsame Bestimmung des Außenzolls gegenüber Drittländern erfolgt. Der Binnenmarkt seinerseits umfasst nicht nur eine Zollunion. Neben dem freien Verkehr von Waren gewährleistet er nämlich auch den von Personen, Dienstleistungen und Kapital.

422

Vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon war lange Zeit umstritten, ob und in welcher Hinsicht – rechtlich oder terminologisch – der früher etwa in Art. 14 EGV verwendete Begriff Binnenmarkt gegenüber Gemeinsamer Markt (der sich etwa in Art. 3 EGV fand) Unterschiede aufwies. Dieser Streit ist nunmehr hinfällig geworden, da im Vertrag von Lissabon der Begriff Gemeinsamer Markt vollständig durch Binnenmarkt ersetzt worden ist.

B › Binnenmarkt (Mahdad Mir Djawadi) › II. Historische Entwicklung

II. Historische Entwicklung

423

Die Realisierung des Binnenmarktes (unter dem Terminus Gemeinsamer Markt) wurde bereits in Art. 2 des Gründungsvertrags der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, → Europäische Union: Geschichte) als ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft festgelegt. Erforderlich zur Erreichung dieses Ziel sind zum einen der Wegfall jeglicher Zölle zwischen den Mitgliedstaaten, zum anderen die Eliminierung jeglicher zwischen ihnen bestehender sog. nichttarifärer Handelshemmnisse. Das sind den Handel mittel- oder unmittelbar beschränkende Maßnahmen, bei denen es sich nicht um Zölle handelt. Beispiele für nichttarifäre Handelshemmnisse sind nationale Regelungen, die bestimmte technische Anforderungen für die Zulassung von Produkten stellen, oder die beschränkte Anerkennung von ausländischen Berufs- und Studienabschlüssen.

424

Während die Zollunion bereits im Jahre 1967 errichtet werden konnte, erschwerten nichttarifäre Handelshemmnisse noch über Jahrzehnte hinweg massiv die ungestörte Ausübung der Grundfreiheiten (→ Grundfreiheiten: Allgemeine Lehren) und damit auch die Verwirklichung des Binnenmarktes. Einen ersten wichtigen Schritt zur Beseitigung dieser Hemmnisse stellt das Cassis-de-Dijon-Urteil des → Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahre 1979 dar, in dem der Gerichtshof zunächst für den Bereich der → Warenverkehrsfreiheit den sog. → Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung formulierte (EuGH, Urt. v. 20.2.1979, 120/78 – Cassis de Dijon –, Rn. 14). Nach diesem Grundsatz ist jedes aus einem Mitgliedstaat eingeführte Erzeugnis grundsätzlich im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zuzulassen, sofern es im Ausfuhrland rechtmäßig – d.h. in Einklang mit den entsprechenden nationalen Regelungen oder den dortigen verkehrsüblichen, traditionsgemäßen Herstellungsverfahren – produziert und in Verkehr gebracht worden ist. Die Anwendung dieses Grundsatzes hat der Gerichtshof im Laufe der Zeit – mit den entsprechenden Anpassungen – auf weitere Grundfreiheiten erweitert.

425

Von grundlegender Bedeutung für die weitere Verwirklichung des Binnenmarktes war das Inkrafttreten der sog. Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) im Jahre 1987, einem Programm zur Änderung und Ergänzung der damaligen EG-Verträge. Es diente der Umsetzung von mehr als 282 Gesetzesinitiativen, die zuvor von der → Europäischen Kommission in einem Weißbuch formuliert worden waren und mit denen u.a. materiell-rechtliche und technische Schranken zur Verwirklichung des Binnenmarktes (z.B. handelshemmende nationale Vorschriften) beseitigt werden sollten. Im Rahmen einer sog. neuen Strategie wurde hierzu u.a. der Plan gefasst, den Erlass rechtsharmonisierender Vorschriften auf grundlegende Aspekte zu beschränken und im Übrigen auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zu rekurrieren. Zur rascheren Umsetzung der angesprochenen Gesetzesinitiativen konnten nach Inkrafttreten der EEA erstmals Entscheidungen im → Rat (Ministerrat) auch mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden (→ Rechtsetzungsverfahren). Das mit der EEA explizit formulierte (politische) Ziel bestand in der tatsächlichen Realisierung des Binnenmarktes bis zum 31.12.1992. Anfang 1993 waren bereits 95 % der im angesprochenen Weißbuch aufgeführten Gesetzesinitiativen verwirklicht.

426

Zur weiteren Konsolidierung und Progression des Binnenmarktes hat die → Europäische Kommission seither in regelmäßigen Abständen – nämlich 1993, 1999, 2003, 2007, 2010, 2012 und zuletzt 2015 – sog. Binnenmarktstrategien (BMS) erarbeitet. Die Schwerpunkte der BMS sind in der Regel stark von den jeweils vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umständen abhängig. Bestimmte Themen zeigen sich jedoch in nahezu allen Strategiepapieren omnipräsent. Hierzu zählen die Beseitigung nationaler, den grenzüberschreitenden Verkehr hindernder Regelungen oder in jüngerer Zeit v.a. Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Bereich der → Dienstleistungsfreiheit. Dies verdeutlicht, dass es sich – allein aufgrund des technischen, immer neue Produkte generierenden Fortschritts – bei der Verwirklichung und der Verwaltung des Binnenmarktes um eine dauerhafte Aufgabe handelt.

427

Im Einzelnen lag im Strategiepapier von 1993 der Schwerpunkt der Maßnahmen u.a. auf einer verbesserten Umsetzung der binnenmarktrechtlichen Regeln durch die Mitgliedstaaten. In verfahrensrechtlicher Hinsicht besonders erwähnenswert ist der Umstand, dass die Europäische Kommission seit 1994 Jahresberichte über den Stand der Verwirklichung und Verwaltung des Binnenmarktes verfasst.

428

Die BMS von 1999 formulierte als Arbeitsprogramm für die weitere Entwicklung des Binnenmarktes in den Jahren 2000–2004 folgende vier Schwerpunkte: Die Verbesserung der Lebensqualität der Bürger, die Stärkung der Effizienz der gemeinschaftlichen Güter- und Kapitalmärkte, die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sowie die Nutzung der Errungenschaften des Binnenmarktes in einer im Wandel begriffenen Welt. Als nennenswerte legislative Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität der Bürger sind aus dem Zeitraum insbesondere die Änderungen bzw. der Erlass von Verbraucherschutz-Richtlinien zu den Themen Produktsicherheit, Haustürgeschäfte, aber auch zum Schutz vor irreführender Werbung zu nennen.

429

In der BMS von 2003 – mit einem Geltungszeitraum für die Jahre 2003–2006 – lag der Fokus zum einen auf der weiteren Entwicklung des Binnenmarktes insbesondere im Bereich der Dienstleistungen. Diesen Bereich hatte der → Europäische Rat bereits im Jahr 2000 bei Vorstellung seiner sog. Lissabon-Strategie als Kernelement für das zu jener Zeit erklärte Ziel ausgemacht, die EU in zehn Jahren zum wirtschaftsstärksten Raum der Welt zu transformieren. Zum anderen sollten die Herausforderungen für den Binnenmarkt bewältigt werden, die mit der für 2004 geplanten Osterweiterung bevorstanden.

430

Die BMS von 2007 für den Zeitraum von 2007–2009 trug den Titel „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts.“ Ihre wesentlichen Ziele bestanden in einer weiteren Vertiefung des Binnenmarktes, insbesondere im Bereich der Dienstleistungen, der Stärkung des Verbraucherschutzes sowie in einem verbesserten Zugang für kleine und mittelständische Unternehmen zum Binnenmarkt. Des Weiteren sollte zur Stärkung der eigenen Position im internationalen Wettbewerb die bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Regeln und Normen gefördert werden. In legislativer Hinsicht besonders erwähnenswert ist der Erlass der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Sie verfolgte vornehmlich das Ziel, die wissensgestützte Wirtschaft weiter auszubauen.

431

Die BMS von 2011, 2012 und 2015 sind geprägt von den Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Schuldenkrise und ihren negativen Folgen für weite Teile der Bevölkerung – u.a. in Form hoher Arbeitslosenquoten – v.a. in den südlichen Mitgliedstaaten der EU. Insgesamt zeigt ein wachsender Teil der EU-Bürger – weil er sich von den Vorteilen des einheitlichen Marktes ausgeschlossen sieht – eine zunehmend skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber der europäischen Binnenmarktidee. Dies erklärt – neben der 2015 in Europa einsetzenden Flüchtlingskrise und den mit ihr einhergehenden Problemen und Herausforderungen – jedenfalls zum großen Teil den erheblichen Zulauf, den populistische, EU-feindliche Bewegungen in vielen Mitgliedstaaten zu verzeichnen haben. Den aus EU-Sicht bislang negativen Höhepunkt dieser Entwicklung markiert das Mitte 2016 im Vereinigten Königreich abgehaltene Referendum über das zukünftige Verhältnis des Landes zur EU, das mit einem mehrheitlichen Votum der Bevölkerung für einen → Austritt (aus der EU) endete (sog. Brexit). Inwieweit es der EU und ihren Mitgliedstaaten – wie in den jüngsten BMS angekündigt – tatsächlich gelingt, verloren gegangenes Vertrauen etwa durch eine stärkere Rückbesinnung der Binnenmarktpolitik auf die Belange der Bürger zurückzugewinnen, bleibt abzuwarten.

B › Binnenmarkt (Mahdad Mir Djawadi) › III. Maßnahmen der EU zur Verwirklichung des Binnenmarktes

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