Kitabı oku: «Europarecht», sayfa 17

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b) Ausgang der Angriffe vom Zielstaat

368

Es wird vertreten, dass es für das Auslösen der Beistandsverpflichtung des EU-Vertrags keinen Unterschied ausmache, ob ein Angriff von außen komme und mithin grenzüberschreitend sei oder vom Territorium des Zielstaates ausgehe, solange er nur einem Staat zugerechnet werden könne. Die zuvor dargelegten Bündnisklauseln beziehen sich alle auf das in Art. 51 UN-Charta anerkannte naturgegebene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung, das „im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen“ durch die Charta nicht beeinträchtigt wird. Dieses Recht ist in den zwischenstaatlichen Beziehungen nur im Fall eines Angriffs von außen gegeben, wie auch die Aggressionsdefinition der Generalversammlung der UN (GA/RES/3314) vom 14.12.1974 zeigt. Diese rechtliche Einschätzung verdichtet sich gerade vor dem Hintergrund der rechtlich unverbindlichen Entschließung der UN-Generalversammlung mit der Einführung des gleichlautenden Aggressionsverbrechens im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) und im deutschen Völkerstrafgesetzbuch zu einer rechtlich verbindlichen Norm des Strafrechts auf der Ebene des Völkerrechts und des nationalen Rechts.

369

Alle Bündnisklauseln benutzen den Wortlaut „bewaffneter Angriff“, die EU-Beistandsklausel formuliert „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates“; dabei wird ein bewaffneter Angriff gegen einen Mitgliedstaat oder „auf das Hoheitsgebiet“ durch einen anderen Staat von außen kommen. Ein bewaffneter Angriff gegen Frankreich lag also aus rechtlicher Sicht im Fall der Anschläge von Paris trotz gegenteiliger politischer Äußerungen schon deshalb nicht vor, weil er von französischem Territorium ausging und nicht von außen kam.

c) Zurechnung zu einem Staat

370

Die Diskussion um die Erforderlichkeit der Zurechnung terroristischer Aktivitäten zu einem Staat, der dann selbst als Angreifer betrachtet würde, der das staatliche Selbstverteidigungsrecht des von Terroristen angegriffenen Staates auslöst, ist seit den Anschlägen in den USA kontrovers geblieben. Nach Art. 3g der Aggressionsdefinition, kommt nur das „Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder in seinem Namen, wenn diese mit Waffengewalt Handlungen gegen einen anderen Staat ausführen, die auf Grund ihrer Schwere den oben aufgeführten Handlungen gleichkommen, oder die wesentliche Beteiligung daran“ einem staatlichen bewaffneten Angriff gleich. Hat der Staat danach die lenkende und operative Tatherrschaft, kann der Terrorangriff ihm zugerechnet werden.

371

Eine Auffassung im Völkerrecht tritt dafür ein, die Handlungen von Terroristen einem Staat bereits dann zuzurechnen, wenn dieser ihnen einen sicheren Hafen gewähre und ihnen sein Staatsgebiet als Aufenthaltsort und sicheres Rückzugsgebiet willentlich zur Verfügung stelle. Diese Zurechnungskriterien, falls sie überhaupt Anerkennung finden sollten, sind im Fall der Anschläge von Paris nicht erfüllt, weil der IS im Irak und Syrien von den Regierungen bekämpft wird. Erst wenn man sich überhaupt von der Zurechnungsobligation lösen und das Selbstverteidigungsrecht unabhängig von der Zurechnung des Terrorangriffs zu einem Staat anerkennen würde, wäre es auch möglich, die Anschläge von Paris als wirksamen Auslöser des staatlichen Selbstverteidigungsrechts anzusehen.

d) Tragfähiges Ergebnis

372

Die Anschläge von Paris sind i.E. als solche kein „bewaffneter Angriff“, der das staatliche Selbstverteidigungsrecht auslöste. Sie wurden nicht von außen gegen Frankreich geführt und entstanden nicht i.S.d. Art. 3g der Aggressionsdefinition durch das staatliche „Entsenden“ bewaffneter Banden, da der „Islamische Staat“ lediglich eine Terrororganisation ist, die auf dem Staatsgebiet von Irak und Syrien durch die dortigen Regierungen bekämpft wird und den Anspruch, selbst ein Staat zu sein, bisher nicht erfüllen kann. Eine Zurechnung der Anschläge zu einem Staat i.S.d. sich im Völkerstrafrecht verdichtenden Regeln der Aggressionsdefinition ist objektiv nicht möglich, und ob auf eine solche verzichtet werden kann, ist völkerrechtlich nicht abschließend geklärt. Ebenso ist unklar, ob Intensität und Erheblichkeit dieses unzweifelhaft schweren Verbrechens bereits solche Ausmaße angenommen haben, dass sie einem staatlichen bewaffneten Angriff trotz aller anderen Umstände gleichgesetzt werden könnten.

373

Die Aktivierung der EU-Beistandsklausel durch die Anfrage Frankreichs hat zu einer Zusammenarbeit zwischen Staaten einer Koalition gegen den IS geführt, der mehr als 60 Staaten angehören, die sich aber nicht i.R.e. GASP-Entscheidung der EU oder einem anderen institutionellen Rahmen vollziehen.

B › Beistandsfall (Peter Dreist) › IV. Solidaritätsklausel, Art. 222 AEUV

IV. Solidaritätsklausel, Art. 222 AEUV

374

Die Union mobilisiert nach Art. 222 Abs. 1 S. 2 Buchst. b) AEUV alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, um terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden, die demokratischen Institutionen und die Zivilbevölkerung vor etwaigen Terroranschlägen zu schützen oder im Falle eines Terroranschlags einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen. Hierzu sind Absprachen der Mitgliedstaaten im Rat und ein Beschluss des Rates vorgesehen (Art. 222 Abs. 2 S. 2 AEUV). Diese Solidaritätsklausel wendet sich nicht nur an die Mitgliedstaaten, sondern auch an die EU selbst und findet bei Terroranschlägen innerhalb der EU Anwendung. Sie bietet allerdings keine Rechtsgrundlage für eine Intervention in Drittstaaten. Soweit militärische Beistandsleistungen erbeten werden, wird die Beistandsklausel des Art. 42 Abs. 7 EUV als lex specialis angesehen.

B › Beistandsfall (Peter Dreist) › V. EU als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit

V. EU als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit

375

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon und seinen Begleitgesetzen (BVerfGE 123, 267) ausgeführt, der Ratifikationsvorbehalt des Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV verdeutliche, dass der Schritt der Europäischen Union zu einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit durch die geltende Fassung des → Primärrechts und durch die Rechtslage nach einem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch nicht gegangen werde (BVerfGE 123, 267 [425]).

376

Teilweise wird hieraus geschlossen, dass das Gericht die EU nicht als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit i.S.v. Art. 24 Abs. 2 GG anerkenne. Inhaltlich geht es allerdings bei dieser Passage des Judikats um die Frage, ob die EU ohne Einhaltung der nationalen Vorgaben die Mitgliedstaaten i.R.e. noch zu beschließenden gemeinsamen Verteidigungspolitik zu einem Militäreinsatz verpflichten, also nationales Recht überlagern könne. Das BVerfG hat in seinem Grundsatzurteil zu Streitkräfteeinsätzen vom 12.7.1994 (BVerfGE 90, 286 [349]) lediglich gefordert, dass ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit über ein friedensicherndes Regelwerk und den Aufbau einer eigenen Organisation verfüge, der für jedes Mitglied einen Status völkerrechtlicher Gebundenheit begründe, der wechselseitig zur Wahrung des Friedens verpflichte und Sicherheit gewähre. Für die UN (BVerfGE 90, 286 [349]) und die NATO (BVerfGE 90, 286 [351]) hat das Gericht die Merkmale eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit ausdrücklich anerkannt. Ob diese Voraussetzungen im Falle der EU-Verteidigungspolitik vorliegen, wird im Urteil zum Vertrag von Lissabon nicht geprüft.

377

Da die EU mit dem EU-Vertrag über ein friedensicherndes Regelwerk jedenfalls insofern verfügt, als sie ihre Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschreibt, und zudem mit dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee, dem Militärausschuss der EU und dem Militärstab der EU auch über entsprechende Organisationsstrukturen verfügt (→ Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik [GSVP]), erfüllt sie die Kriterien des Grundsatzurteils, ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu sein. Die zitierte Passage des Lissabon-Judikats kann mithin als obiter dictum angesehen werden; sie ist nicht Bestandteil der nach Art. 31 Abs. 1 BVerfGG in Gesetzeskraft erwachsenen Entscheidungsformel (vgl. BGBl. 2009 I, S. 2127); die staatliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland behandelt die EU bei Militäreinsätzen jedenfalls als ein solches System i.S.d. Art. 24 Abs. 2 GG.

B › Beistandsfall (Peter Dreist) › VI. Einsatzregeln

VI. Einsatzregeln

378

Die Einsatzregeln, also Regeln für die Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen in gefährlichen Auslandseinsatzgebieten (engl. Rules of Engagement – ROE), werden für jede Auslandsmission unter Berücksichtigung der sonstigen Rahmenbedingungen (z.B. Auftrag der UN, Mandat, Lage im Einsatzland) unter Beteiligung der Mitgliedstaaten entwickelt. Dabei sind die Vorgaben des Use-of-Force-Concepts der EU (EUMS, Doc. EEAS 00990/6/14, Rev. 6 vom 19.12.2014) zu beachten. Ebenso wie die ROE der NATO (MC 362/1 vom 30.6.2003) enthalten die ROE der EU die Möglichkeit, militärische Gewalt nicht nur zur Selbstverteidigung und Nothilfe für Dritte bei unmittelbar bevorstehenden oder gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffen einzusetzen, sondern auch bei Gefahrenlagen, die die hohe rechtliche Schwelle des Selbstverteidigungsrechts noch nicht erreichen. Dies umfasst insbesondere feindselige Absichten, die noch keinen unmittelbar bevorstehenden rechtswidrigen Angriff darstellen (hostile intent not constituting an imminent attack) und feindselige Akte, die noch keinen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff darstellen (hostile act not constituting an actual attack). Gleiches gilt auch ganz allgemein für den Einsatz militärischer Zwangsmittel zur Durchsetzung des Auftrages (mission enforcement) und der Bewegungsfreiheit (freedom of movement) oder zur Durchsetzung von Straßensperren und anderen Kontrollmaßnahmen.

B › Beitritt (zur EU) (Matthias Knauff)

Beitritt (zur EU) (Matthias Knauff)

I.Allgemeines379

II.Beitrittsverfahren380 – 382

III.Materielle Beitrittsvoraussetzungen383 – 392

1.Werte des Art. 2 EUV385 – 388

2.„Vereinbarte Kriterien“389 – 391

3.Acquis communautaire (gemeinschaftlicher Besitzstand)392

IV.Beitrittsfolgen393

Lit.:

M. Cremona (Hrsg.), The Enlargement of the European Union, 2003; C. Dorau, Die Öffnung der Europäischen Union für europäische Staaten – „Europäisch“ als Bedingung für einen EU-Beitritt nach Art. 49 EUV, EuR 34 (1999), 736; R. H. Hasse/K.-E. Schenk/A. Wass v. Czege (Hrsg.), Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union – Perspektiven und Engpässe, 2000; M. Knauff, Die Erweiterung der Europäischen Union auf Grundlage des Vertrags von Lissabon, DÖV 63 (2010), 631; M. Niedobitek, Völker- und europarechtliche Grundfragen des EU-Beitrittsvertrages, JZ 59 (2004), 369; A. Ott/K. Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement – A Commentary on the Enlargement Process, 2002; M. Rötting, Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union und seine Auswirkungen am Beispiel der Gotovina-Affäre im kroatischen Beitrittsverfahren, 2009; E. Šarèeviæ, EU-Erweiterung nach Art. 49 EUV: Ermessensentscheidung und Beitrittsrecht, EuR 37 (2002), 461; J. Zeh, Recht auf Beitritt – Ansprüche von Kandidatenstaaten gegen die Europäische Union, 2002.

B › Beitritt (zur EU) (Matthias Knauff) › I. Allgemeines

I. Allgemeines

379

Seit ihrer Gründung hat die (heutige) EU die Zahl ihrer Mitgliedstaaten von sechs auf derzeit 28 gesteigert (→ Europäische Union: Geschichte). Obwohl der Beitritt von Staaten zur EU jeweils durch völkerrechtlichen Vertrag erfolgt, ist er seit dem Vertrag von Amsterdam (1997) auch Gegenstand europarechtlicher Regelungen. Art. 49 EUV enthält sowohl Vorgaben für das Beitrittsverfahren (Rn. 380–382) als auch materielle Anforderungen an die Beitrittskandidaten (Rn. 383–392).

B › Beitritt (zur EU) (Matthias Knauff) › II. Beitrittsverfahren

II. Beitrittsverfahren

380

Das formelle Beitrittsverfahren beginnt mit dem Antrag des beitrittswilligen Staates auf Aufnahme in die EU. Bereits zuvor findet jedoch zur Vorbereitung ein informelles Verfahren statt, an dem der beitrittswillige Staat, die EU und ihre Mitgliedstaaten beteiligt sind. Dieses zielt auf einen erfolgreichen Beitrittsprozess ab und kann ein → Assoziierungsabkommen als Zwischenschritt enthalten. Insbesondere erfolgt eine erste Bewertung der Erfüllung der materiellen Beitrittskriterien durch den beitrittswilligen Staat, um Anpassungsnotwendigkeiten zu identifizieren und die erforderlichen Änderungen anzustoßen. Mit dem Antrag tritt das Beitrittsverfahren aus seiner rechtlichen Informalität hinaus. Der Antrag auf Mitgliedschaft ist gem. Art. 49 UAbs. 1 S. 3 Hs. 1 EUV an den → Rat (Ministerrat) zu richten. Antragsberechtigt ist nach Art. 49 UAbs. 1 S. 1 EUV „[j]eder europäische Staat, der die in Art. 2 [EUV] genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt […].“. Die Qualifikation als europäischer Staat setzt seine geografische oder zumindest kulturelle Zugehörigkeit zu Europa voraus, woran 1987 das Beitrittsgesuch Marokkos scheiterte. Über den Antrag sind das → Europäische Parlament und die Parlamente der Mitgliedstaaten gem. Art. 49 UAbs. 1 S. 2 EUV zu unterrichten.

381

Der nächste normativ erfasste Schritt ist die Entscheidung über den Antrag durch den Rat. Diese erfolgt gem. Art. 49 UAbs. 1 S. 3 Hs. 2 EUV einstimmig nach Anhörung der → Europäischen Kommission und nach mehrheitlicher Zustimmung des Europäischen Parlaments. Zwischen der Antragstellung und dieser Entscheidung liegen häufig jedoch Jahre intensiver und nicht selten schwieriger Verhandlungen, die nach derzeitiger Praxis vom jeweiligen Vorsitz des Rates mit Unterstützung insbesondere der Kommission geführt werden. In der normativ insoweit nicht überformten Beitrittspraxis ändert sich der Status des beitrittswilligen Staates während dieser Zeit in Abhängigkeit von den erreichten Fortschritten, deren Beurteilung v.a. durch die Kommission erfolgt. Beschließt der Rat, dass ein EU-Beitritt grundsätzlich in Betracht kommt, führt dies zur Qualifikation des beitrittswilligen Staates als potentieller Beitrittskandidat. Dieser Beschluss kann bereits – wie im Falle des Kosovo – vor Stellung des Beitrittsantrags und somit noch in der informellen Phase des Beitrittsverfahrens ergehen. Die weitere Feststellung, dass ein Staat die materiellen Beitrittskriterien erfüllt, hat zur Folge, dass diesem der Kandidatenstatus zuerkannt wird. Diese Unterscheidung ist von erheblicher Bedeutung, da die Statusfrage mit unmittelbaren Konsequenzen verbunden ist, etwa hinsichtlich der finanziellen Unterstützung beitrittswilliger Staaten durch die EU.

382

Der Beitritt erfolgt schließlich gem. Art. 49 UAbs. 2 S. 1 EUV durch einen völkerrechtlichen Vertrag, der zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geschlossen wird. Er enthält die Aufnahmebedingungen und die notwendigen, v.a. institutionellen Änderungen des → Primärrechts. Die EU ist hieran nicht als Vertragspartei beteiligt. Dies entspricht dem Verfahren der → Vertragsänderung und bringt zugleich den Charakter der EU als – wenn auch einzigartige – Internationale Organisation (→ Europäische Union: Strukturprinzipien) zum Ausdruck. Der Beitrittsvertrag bedarf gem. Art. 49 UAbs. 2 S. 2 EUV der Ratifikation durch alle EU-Mitgliedstaaten gemäß ihren jeweiligen Verfassungsvorschriften. Mit Inkrafttreten des Beitrittsvertrags wird der Beitrittskandidat zum vollwertigen EU-Mitgliedstaat.

B › Beitritt (zur EU) (Matthias Knauff) › III. Materielle Beitrittsvoraussetzungen

III. Materielle Beitrittsvoraussetzungen

383

Hinsichtlich der materiellen Beitrittsvoraussetzungen nimmt Art. 49 UAbs. 1 S. 1 EUV die in Art. 2 EUV genannten Werte in Bezug (Rn. 385–388). Darüber hinaus verweist Art. 49 UAbs. 1 S. 4 EUV auf die vom → Europäischen Rat vereinbarten Kriterien (Rn. 389–391). Hinzu kommt die Übernahme des acquis communautaire (Rn. 392). Mangels Differenzierung sind von den Beitrittskandidaten alle Kriterien kumulativ zu erfüllen; die EU leistet diesbezüglich vielfältige Hilfestellungen. Defizite in einzelnen Bereichen haben sich dennoch bislang nicht notwendig negativ auf den Beitritt zur EU ausgewirkt.

384

Die Erfüllung der materiellen Beitrittsvoraussetzungen vermittelt einem beitrittswilligen Staat keinen Anspruch auf den Beitritt. Hieraus folgt die Möglichkeit der Blockade der Erweiterung durch einzelne Mitgliedstaaten aus politischen Gründen – so sind etwa die Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien wegen des Namensstreits mit Griechenland ausgesetzt.

1. Werte des Art. 2 EUV

385

Die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitenrechte in einer offenen, toleranten Gesellschaft sind gem. Art. 49 UAbs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 2 S. 1 EUV Mindestanforderungen, die beitrittswillige Staaten erfüllen müssen. Die zugleich geforderte Verpflichtung zur aktiven Förderung dieser Werte gebietet diesen Staaten ein bewusstes Eintreten für ihre Realisierung sowohl nach innen wie nach außen. Nicht als eigenständige Werte zu qualifizieren und damit ohne Bedeutung für den Beitritt zur EU sind dagegen nach zutreffender Auffassung die in Art. 2 S. 2 EUV genannten Anforderungen an die Gesellschaft.

386

Hinsichtlich der menschenrechtlichen Anforderungen dienen überstaatliche Menschenrechtsgewährleistungen, insbesondere die → Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), als Maßstab. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die darin enthaltenen Rechte in Art. 49 UAbs. 1 S. 1 EUV allein als „Werte“ und damit als objektive Gewährleistungen in Bezug genommen werden. Konkrete Folgerungen lassen sich am ehesten dem Gebot der Beachtung von individuellen Rechten Minderheitsangehöriger entnehmen, etwa das Recht zur Verwendung der eigenen Sprache.

387

Die Bezugnahme auf die Demokratie in Art. 49 UAbs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 2 EUV fordert schon in Anbetracht der Undeutlichkeit des europarechtlichen Demokratiebegriffs von beitrittswilligen Staaten nicht mehr als die Erfüllung demokratischer Mindestanforderungen. Dazu gehören insbesondere regelmäßige freie und geheime Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften, die Geltung des Mehrheitsprinzips, das zugleich mit einem Schutz der politischen Minderheiten einhergeht, und die Möglichkeit des Machtwechsels. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist die Staatsform eines beitrittswilligen Staates ebenso unerheblich wie die Existenz direktdemokratischer Elemente in der nationalen Verfassungsordnung. „Undemokratisch“ sind somit allein bekennende Autokratien und scheindemokratische Regime, deren EU-Beitritt Art. 49 EUV daher entgegensteht.

388

Das Gebot der Rechtsstaatlichkeit fordert von beitrittswilligen Staaten, dass diese rechtsstaatliche Prinzipien sowohl in ihrer Rechtsordnung vorsehen als auch praktisch verwirklichen. Hierzu zählt, dass die wesentlichen Entscheidungen im Gemeinwesen grundsätzlich rechtlich determiniert sein müssen, um Willkür zu verhindern und Transparenz zu schaffen. Damit gehen zwingend der Vorrang des Gesetzes, seine Bestimmtheit und seine Einbindung in eine klar strukturierte Rechtsordnung einher. Rechtsstaatlichkeit nimmt darüber hinaus unmittelbar die Rechtsstellung des Einzelnen in den Blick. So wird heute die Gewährleistung von Grundrechten auch als rechtsstaatliches Gebot verstanden. Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und effektiver Rechtsschutz sind weitere wesentliche Merkmale von Rechtsstaatlichkeit. Gleiches gilt für den → Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; vgl. auch Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 EUV. Als Voraussetzung und Sicherung dieser Anforderungen ist zudem eine Funktionentrennung bei der Ausübung von Hoheitsgewalt geboten (Gewaltenteilung bzw. Checks and Balances). Gerade Staaten, die sich nach der Überwindung autoritärer Regime in einer Übergangsphase befinden, verfügen häufig noch nicht über eine vollständig entwickelte Rechtsstaatlichkeit. Das Beitrittsverfahren kann dann als Katalysator für deren Ausprägung dienen. Allerdings lässt Art. 49 UAbs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 2 S. 1 EUV verschiedene Ausprägungen von Rechtsstaatlichkeit in beitrittswilligen Staaten zu.

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