Kitabı oku: «Europarecht», sayfa 38

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b) Ernennungsverfahren

909

Das Ernennungsverfahren der Richter ergibt sich ebenfalls aus Art. 253 AEUV und stimmt erneut mit dem der Generalanwälte überein. Ist die Stelle eines Richters zu besetzen, benennt die Regierung desjenigen Landes, das zur Besetzung berechtigt ist, zunächst einen geeigneten Kandidaten. Bevor dieser jedoch zum Richter ernannt werden kann, muss er nach Art. 255 AEUV von einem Ausschuss auf seine Eignung geprüft werden. Dieser Prüfungsausschuss besteht aus insgesamt sieben Persönlichkeiten, die aus dem Kreise ehemaliger Mitglieder des EuGH und des EuG, der Mitglieder der höchsten einzelstaatlichen Gerichte sowie der Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung ausgewählt werden. Am Ende des Prüfungsverfahrens gibt der Ausschuss eine unverbindliche Stellungnahme zur Eignung des Bewerbers ab.

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Nachdem die Stellungnahme des Prüfungsausschusses erfolgt ist, wird der Richter nach Art. 253 UAbs. 1 AEUV von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen ernannt. Die Richter sollen aus Gründen der Unabhängigkeit der Justiz jedoch nicht durch eines der anderen Organe der Union ernannt werden. Daher kommen die jeweiligen Regierungsvertreter zur Ernennung des Kandidaten nicht als Unionsorgan → Rat (Ministerrat) zusammen, sondern nur als Regierungsvertreter des jeweiligen Mitgliedstaates. Die Ernennung eines Richters stellt somit einen sog. uneigentlichen oder unechten Ratsbeschluss dar. Unechte Ratsbeschlüsse gelten grundsätzlich nicht als Unionsrecht, sondern als völkerrechtliche Verträge. Anders ist dies, wenn ein unechter Ratsbeschluss in den Vertragstexten ausdrücklich vorgesehen ist. Aufgrund von Art. 253 UAbs. 1 AEUV stellt die Ernennung eines Richters folglich einen ausnahmsweise unionsrechtlichen unechten Ratsbeschluss dar.

c) Amtsdauer

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Die Richter werden nach Art. 253 UAbs. 1 AEUV für insgesamt sechs Jahre ernannt. Nach Art. 253 UAbs. 2 AEUV und Art. 9 UAbs. 1 EuGH-Satzung findet alle drei Jahre eine Neubesetzung der Hälfte der Stellen statt. Hierdurch wird zum einen eine gewisse Amtsdiskontinuität gewährleistet, zum anderen aber auch sichergestellt, dass am EuGH jederzeit Richter tätig sind, die über eine gewisse Erfahrung verfügen.

912

Ein ausscheidender Richter kann nach einer Amtsperiode gem. Art. 253 UAbs. 4 AEUV wiederernannt werden. Diese Möglichkeit ist zeitlich unbeschränkt, so dass die Richter auch deutlich länger als zwölf Jahre im Amt bleiben können. Anders als beim → Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist für die Richter am EuGH keine Altershöchstgrenze vorgesehen, so dass ihr Amt nach Art. 5 EuGH-Satzung – abgesehen von unterbliebener Wiederernennung oder Tod – i.d.R. durch Rücktritt endet.

2. Generalanwälte

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Der EuGH wird nach Art. 19 Abs. 2 UAbs. 1 EUV durch sog. Generalanwälte unterstützt. Sie sind durch die Vertragstexte, die EuGH-Satzung und die EuGH-VerfO mit eigenen Rechten ausgestattet. Ihre Aufgaben und Funktionen werden in dem Begriff → Generalanwalt dargestellt.

3. Besondere Ämter

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Am EuGH existieren einige Ämter, die in der EuGH-VerfO mit besonderen Rechten versehen sind und spezielle Aufgaben übernehmen. Hierzu zählen neben dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten (Rn. 915 f.) u.a. ein sog. Berichterstatter (Rn. 917 f.) sowie der Kanzler des EuGH (Rn. 919 ff.).

a) Präsident und Vizepräsident

915

Die Richter wählen nach Art. 253 UAbs. 3 S. 1 AEUV, Art. 9a EuGH-Satzung und Art. 8 EuGH-VerfO unmittelbar nach der teilweisen Neubesetzung der Richterstellen aus ihrer Mitte und in geheimer Wahl zunächst einen Präsidenten, direkt im Anschluss einen Vizepräsidenten. Die Generalanwälte sind bei dieser Wahl nicht stimmberechtigt und können nicht gewählt werden. Gewählt ist nach Art. 8 Abs. 3 S. 2 EuGH-VerfO derjenige Richter, welcher über die Hälfte der Stimmen der Richter erhält. Wird die absolute Mehrheit von (derzeit) 15 Stimmen im ersten Wahlgang nicht erreicht, finden so lange weitere Wahlgänge statt, bis sie erreicht ist. Die Amtszeiten von Präsident und Vizepräsident betragen jeweils drei Jahre, wobei beide Kandidaten zeitlich unbeschränkt wiedergewählt werden können. Enden ihre Amtszeiten vor dem regelmäßigen Ablauf, etwa durch Rücktritt oder Tod, werden ihre Nachfolger nach Art. 8 Abs. 2, 4 EuGH-VerfO nur für die verbleibende Zeit gewählt.

916

Der Präsident vertritt nach Art. 9 EuGH-VerfO den EuGH und leitet dessen rechtsprechende Tätigkeit sowie die Verwaltung. Zudem führt er den Vorsitz in den Sitzungen der Generalversammlung des Gerichtshofs. Entscheidet der EuGH nach Art. 16 EuGH-Satzung als Große Kammer oder als Plenum, hat der Präsident nach Art. 9 Abs. 2 S. 2 EuGH-VerfO den Vorsitz in den mündlichen Verhandlungen und leitet die Beratungen. Darüber hinaus sorgt er als Leiter der Verwaltung für einen ordnungsgemäßen Arbeitsgang der Dienststellen. Die Aufgaben des Vizepräsidenten ergeben sich aus Art. 9a UAbs. 2 EuGH-Satzung und Art. 10 Abs. 1 EuGH-VerfO: Er steht dem Präsidenten bei der Erfüllung seiner Aufgaben zur Seite und vertritt ihn, wenn der Präsident verhindert oder sein Amt vorübergehend vakant ist. In der protokollarischen Reihenfolge des EuGH stehen Präsident und Vizepräsident an erster und zweiter Stelle.

b) Berichterstatter

917

Gem. Art. 15 Abs. 1 EuGH-VerfO bestimmt der Präsident des EuGH nach Eingang einer Rechtssache so bald wie möglich einen Berichterstatter. Hierbei handelt es sich um einen der Richter, welcher mit der organisatorischen und inhaltlichen Arbeit betraut wird, die sich im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit ergibt.

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Die Rechtsgrundlagen für die Kompetenzen und Verpflichtungen eines Berichterstatters sind über die gesamte EuGH-VerfO verteilt. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist es gem. Art. 59 Abs. 1 EuGH-VerfO, den Fall nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens vorzubereiten. Seine Vorbereitung beinhaltet dabei v.a. die Erstellung des Vorberichts, in welchem er eine Entscheidungsempfehlung bezüglich aller verfahrensrechtlichen Fragen in der Rechtssache ausspricht. Hierunter fällt nach Art. 59 Abs. 2 EuGH-VerfO, ob in der Rechtssache besondere prozessleitende Maßnahmen notwendig sind, eine Beweisaufnahme durchgeführt werden muss oder ein Klarstellungsersuchen an das vorlegende Gericht erforderlich ist. Zudem schlägt er vor, an welchen Spruchkörper des EuGH die Rechtssache verwiesen werden sollte, ob von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann und ob der Schlussantrag eines Generalanwaltes nach Art. 20 Abs. 5 EuGH-VerfO entbehrlich ist.

c) Kanzler

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In seiner Arbeit wird der EuGH durch einen Kanzler unterstützt. Rechtsgrundlagen für seine Wahl, Stellung, Kompetenzen und Aufgaben finden sich neben Art. 253 UAbs. 5 AEUV v.a. in den Art. 3 UAbs. 4, 10–12, 14 EuGH-Satzung sowie Art. 18–22 EuGH-VerfO.

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Der Kanzler ist der Generalsekretär und zugleich die Geschäftsstelle des EuGH. Er steht in der protokollarischen Reihenfolge des EuGH nach allen Richtern und Generalanwälten an letzter Stelle. Insgesamt ist seine Rechtsstellung jedoch durch die ausdrückliche Erwähnung in Art. 253 UAbs. 5 AEUV derjenigen der Mitglieder des EuGH angenähert. Von der Stellung der übrigen Beamten und Mitarbeiter des Gerichtshofs hebt sich seine Position somit deutlich ab, zumal diese ihm nach Art. 12 EuGH-Satzung – unter Aufsicht des Präsidenten – ausdrücklich unterstellt werden.

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Der Kanzler wird nach Art. 253 UAbs. 5 AEUV und Art. 18 Abs. 1 EuGH-VerfO durch den EuGH ernannt. Bei dieser Ernennung sind nach Art. 18 Abs. 3 EuGH-VerfO auch die Generalanwälte stimmberechtigt. Im Übrigen erfolgt die Ernennung nach dem in Art. 8 Abs. 3 EuGH-VerfO beschriebenen Verfahren. Gem. Art. 18 Abs. 4 EuGH-VerfO wird der Kanzler für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt, eine Wiederernennung ist zulässig. Scheidet ein Kanzler vor dem regelmäßigen Ablauf seiner Amtsperiode aus, wird sein Nachfolger nach Art. 18 Abs. 7 EuGH-VerfO direkt für eine volle Amtsdauer gewählt.

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Die Aufgaben des Kanzlers ergeben sich überwiegend aus Art. 20 EuGH-VerfO. Unter Aufsicht des Präsidenten ist er mit der Entgegennahme, Übermittlung und Aufbewahrung aller Schriftstücke beauftragt. Zudem steht er den Mitgliedern des EuGH bei allen Amtshandlungen zur Seite. Er verwahrt die Siegel, ist für das Archiv verantwortlich, sorgt für die Veröffentlichungen des EuGH (v.a. die Sammlung der Rechtsprechung), ist Leiter der Dienststellen, des Personals und der Verwaltung, zeichnet verantwortlich für die Vorbereitung und Ausführung des Haushaltsplans und fertigt nach Art. 84 Abs. 1 EuGH-VerfO die Protokolle der mündlichen Verhandlungen an.

4. Generalversammlung

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Nach Art. 25 S. 1 EuGH-VerfO entscheidet über alle Verwaltungsfragen des EuGH die sog. Generalversammlung. Sie setzt sich aus den Richtern und Generalanwälten des EuGH zusammen, die bei den Entscheidungen gleichberechtigt abstimmen. Darüber hinaus beschließt sie nach Art. 25 S. 1, 59 Abs. 1 EuGH-VerfO über die Empfehlung des Berichterstatters. Nach Art. 25 S. 2 EuGH-VerfO nimmt an der Generalversammlung grundsätzlich auch der Kanzler teil, sofern er nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. An den Entscheidungen darf er gleichwohl nicht mitwirken.

5. Spruchkörper

924

Nach Art. 251 AEUV entscheidet der EuGH in Kammern, als sog. Große Kammer oder als Plenum. Die Bildung und Besetzung der Spruchkörper ist in Art. 16 EuGH-Satzung und Art. 27–35 EuGH-VerfO geregelt. Insgesamt existieren am Gerichtshof vier verschiedene Arten von Spruchkörpern: Kammern mit drei Richtern, Kammern mit fünf Richtern, die Große Kammer und das Plenum.

a) Kammern mit drei oder fünf Richtern

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Grundsätzlich bestehen die Spruchkörper des EuGH nach Art. 16 UAbs. 1 S. 1 EuGH-Satzung und Art. 11 Abs. 1 EuGH-VerfO aus Kammern mit drei oder fünf Richtern, die aus der Mitte des EuGH gebildet werden. Beim Gerichtshof existieren davon derzeit zehn. Die Präsidenten der Kammern mit fünf Richtern werden gem. Art. 16 UAbs. 1 S. 2 EuGH-Satzung und Art. 12 Abs. 1 EuGH-VerfO unmittelbar nach der Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten durch alle Richter des EuGH aus ihrer Mitte gewählt, daran anschließend nach Art. 12 Abs. 2 EuGH-VerfO die Präsidenten der Kammern mit drei Richtern. Die Wahl der Präsidenten der Kammern mit fünf Richtern erfolgt nach Art. 16 UAbs. 1 S. 3 EuGH-Satzung und Art. 12 Abs. 1 EuGH-VerfO für drei Jahre, die der Kammern mit drei Richtern gem. Art. 12 Abs. 2 EuGH-VerfO für ein Jahr. Nach Art. 12 Abs. 3 und Art. 8 Abs. 2, 3 EuGH-VerfO wird das gleiche Wahlverfahren angewendet wie bei der Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten. Für die Kammerpräsidenten ist nach Art. 16 UAbs. 1 S. 4 EuGH-Satzung eine einmalige Wiederwahl möglich. Erst im Anschluss daran werden die übrigen Richter nach dem in Art. 28 EuGH-VerfO beschriebenen Verfahren auf die Kammern verteilt. Grundsätzlich gehören alle Richter noch einer weiteren Kammer an. Ausgenommen werden die Präsidenten der ersten fünf Kammern. Präsident und Vizepräsident gehören keiner Kammer an.

b) Große Kammer

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Nach Art. 251 UAbs. 1 AEUV und Art. 16 EuGH-Satzung kann sich der EuGH auch als sog. Große Kammer zusammenfinden. Ihre Zusammensetzung und die Gründe für ihre Einberufung sind in Art. 16 EuGH-Satzung sowie Art. 27 und Art. 60 EuGH-VerfO geregelt.

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Die Große Kammer des EuGH besteht nach Art. 16 UAbs. 1 S. 1 EuGH-Satzung aus 15 Mitgliedern. Sie muss nach Art. 16 UAbs. 2 S. 3 EuGH-Satzung und Art. 27 Abs. 1 S. 1 EuGH-VerfO mit Präsident, Vizepräsident, drei Präsidenten der Kammern mit fünf Richtern, Berichterstatter sowie weiteren Richtern zur Erreichung der Zahl 15 besetzt sein. Die drei Kammerpräsidenten werden gem. Art. 27 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 und Art. 7 EuGH-VerfO nach Dienstalter bestimmt, die übrigen Richter nach Art. 27 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 und Art. 7 EuGH-VerfO. Hierzu werden abwechselnd der jeweils oberste und unterste auf der Dienstaltersliste ausgewählt.

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Eine Entscheidung als Große Kammer ist entweder fakultativ oder obligatorisch möglich. Zwingend muss der EuGH nach Art. 16 UAbs. 3 EuGH-Satzung immer dann als Große Kammer entscheiden, wenn an einem Verfahren ein Mitgliedstaat oder ein Unionsorgan beteiligt ist und entweder der Staat oder das Organ dies fordert. Nach Art. 25, 60 Abs. 1 EuGH-VerfO kann der EuGH eine Streitigkeit in der Generalversammlung auch selbst an die Große Kammer verweisen, wenn die Schwierigkeit oder Bedeutung der Rechtssache oder besondere Umstände dies nach seiner Ansicht erfordern.

c) Plenum

929

Als Plenum kann der EuGH entweder freiwillig oder zwingend zusammenkommen. Fakultativ entscheidet der EuGH nach Art. 16 UAbs. 5 EuGH-Satzung als Plenum, wenn er die Sache für außergewöhnlich bedeutsam hält. Obligatorisch ist ein Verfahren im Plenum in den Fällen des Art. 16 UAbs. 4 und 5 EuGH-Satzung. Hierin aufgeführt sind die Amtsenthebungsverfahren nach Art. 228 Abs. 2 AEUV (Bürgerbeauftragter), Art. 245 UAbs. 2, 247 AEUV (Kommissionsmitglied) oder Art. 286 Abs. 6 AEUV (Rechnungshofmitglied).

d) Wirksamkeit der Spruchkörperentscheidungen

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Für die Wirksamkeit der Entscheidungen der Spruchkörper gelten nach Art. 17 EuGH-Satzung genaue Anforderungen: Eine EuGH-Entscheidung ist nur dann gültig, wenn der Spruchkörper mit einer ungeraden Zahl von Richtern besetzt gewesen ist. In den Kammern, die mit drei oder fünf Richtern besetzt sind, muss die Entscheidung zudem von mindestens drei Richtern getroffen worden sein. Entscheidungen der Großen Kammer sind nur wirksam, wenn mindestens neun der fünfzehn Richter anwesend sind; Entscheidungen des Plenums nur bei Anwesenheit von mindestens 15 Richtern.

E › Europäischer Gerichtshof (EuGH) (Nico S. Schmidt) › III. Aufgaben und Zuständigkeiten

III. Aufgaben und Zuständigkeiten

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Die Kernaufgabe des EuGH – als rechtsprechende Institution des Gerichtshofs der EU – ist es nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern. Diese Aufgabe wird in dem Begriff → Auslegung des EU-Rechts erläutert. Die Darstellung der Zuständigkeiten des EuGH erfolgt kontrastiv zu denen des EuG in dem Begriff → Gerichtssystem der EU.

E › Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Marten Breuer)

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Marten Breuer)

I.Allgemeines932, 933

II.Wirkung von EGMR-Urteilen934 – 936

III.Vergleich mit Unionsrecht und Reformperspektiven937 – 939

IV.Piloturteilsverfahren und weitere Besonderheiten940

V.EU-Beitritt zur EMRK941 – 947

Lit.:

M. Breuer, Zur Anordnung konkreter Abhilfemaßnahmen durch den EGMR – Der Gerichtshof betritt neue Wege im Fall Asanidse gegen Georgien, EuGRZ 31 (2004), 257; ders., Urteilsfolgen bei strukturellen Problemen – Das erste „Piloturteil“ des EGMR. Anmerkung zum Fall Broniowski gegen Polen, EuGRZ 31 (2004), 445; ders., „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Das zweite Gutachten des EuGH zum EMRK-Beitritt der Europäischen Union, EuR 50 (2015), 330; J. Gundel, Erfolgsmodell Vorabentscheidungsverfahren? Die neue Vorlage zum EGMR nach dem 16. Protokoll zur EMRK und ihr Verhältnis zum EU-Rechtsschutzsystem, EuR 50 (2015), 609; S. Schmahl, Piloturteile des EGMR als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, EuGRZ 35 (2008), 369.

E › Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Marten Breuer) › I. Allgemeines

I. Allgemeines

932

Während der Menschenrechtsschutz auf internationaler Ebene bis heute an einem erheblichen Vollzugsdefizit leidet, ist es innerhalb des → Europarates sehr früh gelungen, ein judizielles Organ in Gestalt des EGMR mit der Überwachung der konventionsrechtlichen Verpflichtungen zu betrauen. Ursprünglich war das Verfahren vor dem EGMR allerdings fakultativ, ebenso wie die Individualbeschwerde. Für beides bedurfte es einer separaten Akzeptanzerklärung seitens des jeweils betroffenen Staates. Der EGMR entschied zudem nur in sehr wenigen Fällen, da die Entscheidung über die Zulässigkeit der Kommission für Menschenrechte anvertraut war. Dementsprechend war der EGMR kein permanent tagendes Gericht, sondern mit nebenamtlichen Richtern besetzt. Mittlerweile gehört das Recht auf Individualbeschwerde zum festen Kernbestand des Konventionssystems (Art. 34 EMRK). Die Kommission für Menschenrechte ist abgeschafft, der EGMR entscheidet als mit hauptamtlichen Richtern dauerhaft tagendes Gericht sowohl über Zulässigkeit als auch Begründetheit der Beschwerden.

933

Einen allgemeinen Überblick über den EGMR gibt der gleichnamige Beitrag von Angelika Nußberger in Schöbener (Hrsg.), Völkerrecht – Lexikon zentraler Begriffe und Themen (2014). Im Folgenden stehen einerseits verfahrensrechtliche Fragen, andererseits der EU-Beitritt zur EMRK im Vordergrund.

E › Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Marten Breuer) › II. Wirkung von EGMR-Urteilen

II. Wirkung von EGMR-Urteilen

934

Um eine Beschwerde beim Straßburger Gerichtshof einlegen zu können, muss der Beschwerdeführer im Regelfall nachweisen, den nationalen Rechtsweg erschöpft zu haben (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Dahinter steht der Grundgedanke der Subsidiarität des Konventionsmechanismus: Der betroffene Staat soll zunächst selbst Gelegenheit erhalten, den behaupteten Menschenrechtsverstoß zu beseitigen. Erst wenn das keinen Erfolg hatte, befasst sich der EGMR mit der Beschwerde. Diese Grundentscheidung der EMRK hat viele Vorteile: Die nationalen Stellen sind in der Regel „näher dran“ an der Lebenswirklichkeit der Menschen; dem EGMR wird auf diese Weise ein im innerstaatlichen Instanzenzug „aufbereiteter“ Sachverhalt unterbreitet; Beweise werden in dem Verfahren in Straßburg, das nahezu ausschließlich schriftlich erfolgt, in aller Regel nicht erhoben, der Gerichtshof wäre hiermit auch hoffnungslos überfordert.

935

Kehrseite der Rechtswegerschöpfung ist, dass der EGMR immer nur ex post über eine in der Vergangenheit liegende Menschenrechtsverletzung entscheiden kann. Eine direkte Einwirkung des EGMR in ein noch laufendes nationales Gerichtsverfahren ist somit nicht möglich. Kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Konvention verletzt worden ist, so ergeht (lediglich) ein Feststellungsurteil. Die bei der Ausarbeitung der EMRK diskutierte Möglichkeit, dem künftigen Gerichtshof die Kompetenz zu gewähren, nationale Rechtsakte aufzuheben (zu kassieren), wurde bewusst nicht realisiert. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Regelung des Art. 41 EMRK: Danach hat der EGMR die Möglichkeit, dem Beschwerdeführer eine gerechte Entschädigung zuzusprechen, wenn „das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen [der] Verletzung“ gestattet. Das Ergebnis auf nationaler Ebene wird nicht angetastet, sondern es wird allein auf völkerrechtlicher Ebene Entschädigung gewährt. Das Entschädigungsurteil ist ein Leistungsurteil.

936

Die Unmöglichkeit einer vollständigen Wiedergutmachung erklärt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass das letztinstanzliche nationale Gerichtsurteil in aller Regel in Rechtskraft erwachsen sein wird. Die Konvention verlangt nicht, dass nach einem Urteil des EGMR die Rechtskraft des nationalen Urteils nachträglich durchbrochen wird (EGMR, Lyons/Vereinigtes Königreich, EuGRZ 2004, 777). Ebenso wenig fordert das Rechtsstaatsprinzip im deutschen Recht eine nachträgliche Rechtskraftdurchbrechung (BVerfG, EuGRZ 1985, 654 – Pakelli-Beschluss). Allerdings steht es den Konventionsstaaten frei, in autonomer Entscheidung über das konventionsrechtlich Geforderte hinauszugehen und eine Rechtskraftdurchbrechung zuzulassen. Eine Empfehlung des Ministerkomitees (Empfehlung R [2000] 2, EuGRZ 2004, 808) ermutigt sie hierzu in Fällen, in denen die verletzte Partei „infolge der innerstaatlichen Entscheidung weiterhin an sehr schwerwiegenden Folgen leidet“. In Deutschland wurde zunächst in strafrechtlichen Verfahren die Möglichkeit der Wiederaufnahme geschaffen (§ 359 Nr. 6 StPO). Mit Wirkung vom 31.12.2006 sieht auch die ZPO die Wiederaufnahmemöglichkeit vor (§ 580 Nr. 8 ZPO), die übrigen Verfahrensordnungen nehmen hierauf Bezug, so dass heute eine Wiederaufnahme umfassend möglich ist. Das gilt allerdings nicht für Verfahren, die vor dem 31.12.2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind (§ 35 EGZPO; vgl. BAGE 144, 59).

E › Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Marten Breuer) › III. Vergleich mit Unionsrecht und Reformperspektiven

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