Kitabı oku: «Das süße Gift des Geldes», sayfa 3
Hannes sah die Geldkatze unter dem Wams und schlich dem Kramer nach.
Kramer, die Hand fest auf den Beutel gepresst, eilte die Straßen entlang, ging durchs Isartor und bog ein zum Lueg ins Land. Bückte sich vor seinem frisch verputzten Haus, stocherte den Schlüssel ins Schloss und verschwand.
Hannes huschte durch das Holztürl neben dem Haus in den verwilderten Garten. Kämpfte sich durchs Brombeergestrüpp, kletterte auf den Holzstoß an der Wand und spitzte durch das Fenster im oberen Stock. Hörte den Kramer streiten mit seiner Frau. Ein Holzscheit verrutschte, der Stoß krachte zusammen, Hannes donnerte ins Gestrüpp.
Schon flog das Fenster auf. „Wer da?“, schrie der Kramer.
Tief duckte sich Hannes zwischen die dornigen Zweige. Rührte sich nicht, bis das Fenster zuging. Dann stahl er sich hinaus auf die Straße und pfiff leise vor sich hin. Den Kramer würde er im Auge behalten. Und zum „Goldenen Licht“ würde er irgendwann auch noch gehen. Schauen, ob der Krüppelige nicht bloß gelogen hatte.
Hundsviecher
Adele ging mit einem Weidenkorb unterm Arm durch die Herzogspitalstraße. Schon lange hatte sie sich vorgenommen, der wundertätigen Madonna in der Spitalkirche eine Kerze zu opfern. Und um Hilfe wollte sie die Madonna bitten. Dass ihre Geldgeschäfte so gut weiterliefen wie bisher. Plötzlich spürte sie einen heftigen Stoß, schrie auf, stolperte, blieb mit dem Schuh am Randstein hängen und fiel der Länge nach hin. Ihre Hände schrammten über den Boden, ihr Ellbogen krachte aufs Pflaster.
Benommen hob sie den Kopf und schaute ungläubig auf den Vicenti, der neben ihr auf der Straße lag. Blickte auf das verbeulte Hochrad, das gegen die Hauswand gedonnert war. „Was um alles in der Welt …“
„Um Gottes willen!“ Vicenti rappelte sich auf, griff nach ihrer Hand und zog Adele hoch. „Verzeihen Sie! Bitte verzeihen Sie. Sind Sie verletzt?“
Adele betastete ihren Ellbogen, bewegte vorsichtig den Arm. „Gebrochen ist er jedenfalls nicht.“ Kopfschüttelnd deutete sie auf das Velociped mit dem riesigen Vorder- und dem winzigen Hinterrad. „Das ist ja lebensgefährlich. Wie können Sie sich auf so was bloß draufsetzen?“
Wütend stieß Vicenti mit dem Fuß einen Stein zur Seite. „Der ist schuld. Über den bin ich gefahren. Deswegen hat es mir das Vorderrad weggezogen.“ Er lehnte das Velociped gegen einen Laternenpfahl, klopfte den Staub von seiner Hose und musterte Adele besorgt: „Soll ich Sie zu einem Doktor bringen?“
Sie schob den Ärmel ihrer Bluse hoch und begutachtete den Ellbogen. „So schlimm ist’s nicht. Wird nur einen sauberen Bluterguss geben.“ Sie strich ihren Rock glatt und sammelte den verstreuten Inhalt ihres Korbes ein: zwei Opferkerzen und einen Bund geweihter Palmzweige. „Aber einen Kaffee könnt ich jetzt gebrauchen.“
„Darf ich Sie ins Kaffeehaus Schimon einladen?“
„Wär mir schon recht. Und was machen Sie mit dem da?“ Sie deutete auf das Zweirad am Laternenpfahl.
„Das hol ich später.“
Sie gingen zum Marienplatz und bogen ein in die Kaufingerstraße. Adele, die immer wieder ihren Arm betastete, sprach kein Wort.
Vicenti versuchte ein Gespräch in Gang zu bringen. „Das Radfahren bereitet mir viel Freude. Ich bin sogar in den Velociped-Club vom Conrad Gautsch eingetreten. Am Velocipedbergl bei der Maximilianstraße üben wir das Auf- und Absteigen und das Treten den Berg hinunter. Hat man erst einmal die Balance gefunden, ist es ganz einfach. Na ja, nicht immer, wie Sie gesehen haben.“
„Warum gehn Sie nicht einfach zu Fuß? Vom Rad fallen können Sie dann jedenfalls nicht.“
„Wenn Sie wüssten, wie schön es ist, wenn einem die Luft um die Nase weht. Aber da sind wir schon.“ Mit einer Verbeugung öffnete er die Tür zum Kaffeehaus.
Der Garderobier nahm Vicentis Hut und Adeles Korb in Empfang. Ein Ober eilte herbei, geleitete sie an einen freien Tisch und schob Adele den gepolsterten Sessel zurecht. „Gnädiges Fräulein wünschen?“
„Eine Melange und ein Glas Portwein.“
„Für mich das Gleiche.“ Vicenti strich über Adeles Arm. „Tut es noch weh?“
„Geht schon. War wohl mehr der Schreck.“ Sie lehnte sich zurück und betrachtete die funkelnden Lüster, deren Strahlen sich in den Wandspiegeln brachen. Die Seidenvorhänge, die sich an den Fenstern bauschten und den Salon in gedämpftes Licht tauchten. Fast alle Tische waren besetzt, von feinen Damen, die sich die berühmte Ludwigstorte schmecken ließen, von gewichtigen Herren, die dem Wein zusprachen. Leises Plaudern erfüllte den Raum.
Der Ober, den Rücken servil gebeugt, servierte die Melange in hauchdünnen Tassen, den Portwein in geschliffenen Kristallkelchen.
Vicenti erhob das Glas und lächelte Adele an. „Auf Ihr Wohl. Ich hoffe, Sie verzeihen mir.“
„Auf Ihr Wohl. Zum Glück ist Ihnen nicht mehr passiert. Sie hätten sich leicht die Rippen brechen können.“
„Da haben Sie völlig recht. Das Radfahren ist nicht nur wegen der holprigen Straßen gefährlich. Schlimmer ist, dass wir Velocipedler bei den Münchnern nicht gerne gesehen sind. Stellen Sie sich vor: Neulich hat einer dem Gautsch bei voller Fahrt den Spazierstock in die Speichen gerammt. Der Sturz war mörderisch. Ein gebrochener Arm, ein gebrochener Fuß. Aber reden wir nicht mehr von mir. Was hat Sie in die Herzogspitalstraße geführt?“
Adele wollte gerade antworten, als ein Mann, das Jackett locker über die Schulter geworfen, die Hand in der Hosentasche, an den Tisch trat. „Herr Vicenti, was für eine Freude, Sie wiederzusehen.“
Vicenti stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. „Ganz meinerseits. Wieder auf der Suche nach einer Skandalgeschichte?“
„Heute will ich nur ein Glas Wein trinken. Sie glauben ja nicht, wie es zugeht in der Redaktion. Die Meldungen über die neue Polizeiverordnung überschlagen sich. Die dürfte Sie interessieren: Ab heute dürfen Velocipedler nur noch auf breiten Straßen fahren. Erwischt man sie in engen Gassen, ist eine saftige Strafe fällig.“
Vicenti seufzte. „Statt sich um das Gesindel zu kümmern, das die Straßen unsicher macht, machen sie uns das Leben schwer. Aber darf ich Sie dem Fräulein Spitzeder vorstellen?“ Er wandte sich an Adele: „Fräulein Spitzeder, das ist Herr Vecchioni, der Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten“.
Adele hatte dem Gespräch interessiert zugehört. Konnte nicht schaden, einen Chefredakteur zu kennen. Mit gönnerhafter Geste wollte sie ihm einen Platz an ihrem Tisch anbieten. Doch bei dem abfälligen Blick, mit dem Vecchioni sie musterte, ließ sie die Hand wieder sinken und nickte ihm nur kühl zu.
„Ich darf mich empfehlen.“ Vecchioni drehte sich um und setzte sich an einen freien Tisch.
Auch Vicenti nahm wieder Platz. „Merkwürdig. So kurz angebunden kenne ich den Herrn Vecchioni gar nicht. Doch wo waren wir stehen geblieben? Was hat Sie in die Herzogspitalstraße geführt?“
„In die Kirche wollt ich. Der schmerzhaften Madonna opfern.“
„Ich bitte Sie! So eine moderne Dame und so ein Aberglaube. Ein kühler Kopf, ein klarer Verstand, darauf kommt es an.“
„Vielleicht könnte ich Ihren Rat wirklich gebrauchen. Es ist nämlich so …“ Gerade wollte Adele ihm von ihren Geschäften erzählen, als er ihre Hand ergriff und sie schmallippig küsste. Hastig zog sie die Hand zurück. „Lassen Sie uns austrinken, ich hab noch viel zu erledigen.“
„Wirklich schade, dass Sie schon aufbrechen müssen. Aber dürfte ich Sie einmal zum Essen einladen?“
„In nächster Zeit bin ich viel zu beschäftigt“, gab sie unwirsch zurück.
Enttäuscht winkte Vicenti den Ober heran und beglich die Rechnung. Als sie hinausgingen, nickte Adele dem Chefredakteur zu, hochnäsig grüßte er zurück.
Beim Garderobier nahm Vicenti seinen Hut und Adeles Korb entgegen. „Darf ich Sie noch ein Stück begleiten?“
„In die Kirche geh ich besser allein.“ Froh, den Notar abgeschüttelt zu haben, ging Adele den Weg zurück zur Herzogspitalstraße. Gerne hätte sie ihn um Rat gefragt. Aber der wollte auch nur das Eine. Genau wie der Kreitner.
Ein leises Wimmern ließ sie stehen bleiben. Aus einem offenen Fenster drang das Gezänk eines Weibsbilds und übertönte das Geräusch. Dann hörte sie es wieder. Adele trat an einen Haufen Unrat, stieß mit dem Fuß einen Blechkübel zur Seite und bückte sich. Unter verrotteten Lumpen sah sie einen abgemagerten Hund, neben ihm lag ein winselnder Welpe. Adele nahm ein Tuch aus ihrem Korb und schob damit die Lumpen zur Seite. Behutsam zog sie den Hund hervor, setzte ihn auf den Bürgersteig und strich ihm über das verratzte Fell. Dem Hund knickten die Hinterläufe ein.
Ein Marktweib, die Kraxe voller Krautköpfe, blieb stehen. „Lassens das Viech doch liegen. Lang lebt’s eh nicht mehr.“
„Das haben wir gleich.“ Ein Bursche, der die Straße entlangkam, griff nach einer Holzlatte, die an der Hauswand lehnte, und holte aus zum Schlag.
Adele fiel ihm in den Arm. „Das trau dich!“
„So ein Schmarrn“, keifte das Marktweib, „von denen Hundsviechern eins retten. Als täten nicht genug herumstreunen in der Stadt.“
Grad zum Fleiß setzte Adele den Hund in ihren Korb. „Den nehm ich mit.“ Dann zog sie den Welpen unter dem Unrat hervor und nahm ihn auf den Arm. „Und einen Namen kriegen sie auch: Die da nenn ich Daisi und den da Wasti.“
Ohne sich um das Gekeif zu kümmern, ging sie nach Hause, wusch der Daisi die verklebten Augen aus und säuberte mit einem weichen Tuch ihr Fell. Fütterte die Hunde mit Brotstücken und legte die beiden zum Basti in den Korb. Der schnupperte neugierig an der Daisi und dem Wasti, rollte sich zusammen und schlief ein.
Kasse
Wie mit dem Alois vereinbart, saß Adele, außer am Sonntag, jeden Tag, in der Wirtsstube. Die Zeit von vier bis sechs reichte längst nicht mehr. Schon am Mittag war die Wirtschaft gesteckt voll. Den Alois freute es. Die Gäste tranken statt dem Dünnbier wieder ein richtiges Bier, auf den Tischen lagen neue Leinendecken und für die Annamirl hatte er zwei gusseiserne Pfannen angeschafft.
Zwar zündete die Annamirl, wenn die Spitzederin kam, immer noch die geweihte Kerze an, schimpfen tat sie nicht mehr. Nur herumnörgeln an der Küchenhilfe, die sie hatten einstellen müssen, weil sie es allein nicht mehr schaffte mit dem vielen Essen.
„Grüß dich, Alois.“ Adele betrat die Wirtsstube, nickte hin zum Alois, nickte hin zu den Gästen, die sie erwartungsvoll anschauten. Sie setzte sich ins hintere Eck und verspeiste in aller Ruhe den Apfelstrudel, den ihr der Alois hingestellt hatte.
Andächtig verfolgten die Gäste jeden Bissen, den sie sich in den Mund schob, sogar die Kartler hatten ihr Spiel unterbrochen.
Sie schob den Teller zur Seite. „Jetzt kann’s losgehen. Aber drängelts nicht so wie beim letzten Mal.“
Schlag auf Schlag ging es. Sie kassierte ein paar Gulden von den Armen, Geldbündel von den Reicheren. Stellte jedem eine Quittung aus, setzte ihre hakige Unterschrift darunter. Zahlte die wenigen aus, die ihr Geld samt Zinsen zurückwollten.
Unter den Anlegern befand sich, die tausend Gulden aus einer Erbschaft in der Tasche, auch der Spenglermeister Andreas Seidl. Er hatte es sich genau ausgerechnet: Mit den zwanzig Prozent Zins pro Monat, die ihm die Spitzeder auf die tausend Gulden zahlen würde, hätte er eine saftige Jahresrente. Zu was da noch arbeiten? Mit der Plackerei in seiner Werkstatt verdiente er nicht halb so viel, wie ihm die Zinsen einbringen würden. Die Werkstatt würde er verkaufen und nur noch von den Zinsen leben. Es genauso machen wie sein Nachbar, der seinen Schusterladen verscherbelt hatte und sich von den Spitzeder’schen Zinsen ein schönes Leben leistete. Voller Ungeduld, sein Geld gewinnträchtig anzulegen, nickte er Adele zu.
Adele nickte zurück. Die meisten Gäste kannte sie. Doch immer wieder mischten sich neue darunter. Auch die beiden Männer am Eingang waren ihr fremd. Ihr war es recht. Hauptsache, das Geschäft lief.
Alois beobachtete, wie die beiden am Eingang jede Bewegung Adeles mit Argusaugen verfolgten, miteinander tuschelten, wenn Männer der Adele Geld auf den Tisch legten. Er sah, wie die beiden hämisch die Lippen verzogen, wenn die Mannsbilder mit zufriedenen Gesichtern zurückkehrten an ihren Platz.
Alois, das Tablett voller Bierseidel, Schnapsgläser und einem Weinhumpen, ging ins hintere Eck zu Adele. Er deutete auf die beiden am Eingang, die schon wieder die Köpfe zusammensteckten. „Jetzt machst besser Schluss. Irgendwas stimmt nicht mit denen.“
Der Spenglermeister, der endlich drankam, um seinen Plan mit dem Zinsgewinn in die Tat umzusetzen: „Den einen kenn ich. Der arbeitet als Aufseher im Zeughaus.“
Adele strich das Geld ein und legte es in die Holzkiste unter dem Tisch. „Ärger hätt mir grad noch gefehlt.“
Ein junges Mädel trat vor und schob Adele zaghaft ein paar Kreuzer hin. „Könntens mich bittschön noch drannehmen? Weil’s so schwierig ist, dass ich mich aus dem Haus schleich. Weil der Vater darf’s doch nicht wissen.“
„Wie heißt du denn?“
„Die Obermeier Stasi bin ich.“
Adele schob ihr den Beleg samt Zinsen hin. Legte einen Gulden dazu. „Den schenk ich dir. Kannst deinem Vater ruhig sagen, dass ein gutes Geld verdient ist bei mir.“ Harsch fuhr sie die anderen Geldanleger an: „Für heut ist Schluss.“
In diesem Moment betrat eine Frau, die mit Pailletten bestickte Stola fest um die Schultern gerafft, das Haar mit Perlenkämmen hochgesteckt, das „Goldene Licht“. Blieb an der Tür stehen und warf einen musternden Blick durch den Gastraum. Einige Männer schauten verlegen in ihr Bierglas, der Spenglermeister bekam einen hochroten Kopf.
Die Frau ging geradewegs auf Adele zu, zog vom Nebentisch einen Stuhl heran und setzte sich.
Adele blickte sie an. „Für heut ist Schluss, hab ich gesagt. Oder hast arg viel zum Anlegen?“
„Deswegen komm ich nicht.“ Die Frau nahm ihre Stola ab und legte sie über die Stuhllehne. „Ich hab gehört, dass Sie im ‚Goldenen Licht‘ anzutreffen sind und da hab ich mir gedacht, ich schau einmal vorbei, um Sie kennenzulernen.“
„Warum denn das?“, fragte Adele erstaunt.
„Weil mich geschäftstüchtige Frauen interessieren. Gibt wenige, die sich nix von Männern dreinreden lassen.“
Adele musste lachen. „Das hast also gehört über mich. Und was machst du? Und wie heißt?“
„Rosmarie nennens mich. Ich führ ein Etablissement in der Hackengasse.“ Wie selbstverständlich ging Rosmarie zum „Du“ über. „Besuch mich doch einmal. Hackengasse 8. Gehst dort durch den Durchgang, dann findest mich. Wirst sehen, ist immer zünftig bei uns.“
Adele fand Gefallen an der Frau, der der Schalk aus den Augen blitzte. „Ich besuch dich ganz bestimmt. Sag: Ist dein Etablissement so eins, wie ich mir denk?“
Die Rosmarie deutete mit einer Kopfbewegung auf die Männer, die wie gebannt die zwei Frauen beobachteten und bei dem Blick der Rosmarie sofort den Kopf senkten. „Schau dir die verdruckten Mannsbilder doch an. Dann weißt es.“ Sie stand auf. „Also, kommst?“
Auch Adele erhob sich. „Gleich nächste Woche besuch ich dich.“
Mit einem „Also dann bis nächste Woch“ verließ Rosmarie den Gastraum. Einigen Männern, vor allem denen, die ihre Frauen mit dabeihatten, sah Adele die Erleichterung deutlich an.
Sie stopfte die Münzen in ihren Samtbeutel und zählte in Gedanken durch: Für das perlenbestickte Kleid vom Hofschneider, die Amethystkette vom Juwelier Thomass und ein silbernes Halsband für die Daisi würde es reichen.
Der Alois stand schon bereit, um die Kiste auf den Speicher zu bringen. Besorgt meinte er: „Müd schaust aus.“
„Kein Wunder. Im ‚Deutschen Haus‘ vom Munkert, in das ich umgezogen bin, ist’s auch nicht besser als beim Bögner. Wie ich beim Munkert eingezogen bin, hat er sich schier überschlagen. Jetzt grantelt er nur noch herum. Meine Hunde passen ihm nicht, dass ich Zigarren rauch, passt ihm nicht, und wenn mich jemand besuchen kommt, passt’s ihm auch nicht. Behauptet, die Gäste täten die ganze Nacht herumgrölen. Und viel zu viel verlangt er für die drei Zimmer.“
„Warum ziehst denn nicht aus? Geld hast doch genug. Weißt überhaupt, wie viel auf dem Speicher ist?“
„Wie soll ich denn bei den vielen Leuten, die mir jeden Tag ihr Geld bringen, noch zum Zählen kommen? Komm ja kaum noch nach mit dem Kassieren.“ Sie überlegte. „Überschlagsweise könntens so an die 25.000 Gulden sein. Und dass du dir nix von meinem Geld nimmst, weiß ich.“
Alois nahm die Kiste vom Boden. „Dann komm.“
Zusammen stiegen sie die Treppe hinauf. Alois sperrte das wuchtige Vorhängeschloss auf und deutete auf die Kiste, in der er jeden Tag das Geld, das Adele einnahm, verwahrte. Stemmte mit einem Eisen den Deckel auf, durch den er dicke Nägel getrieben hatte. Dann zählten sie. Insgesamt fast 30.000 Gulden.
„Könntest dir leicht eine andere Wohnung leisten“, meinte der Alois. „Oder gleich ein ganzes Haus. Mein Spezl, der Baumeister Berger, will sein Haus in der Schönfeldstraße verkaufen. Wennst willst, red ich mit ihm.“
Adele dachte nach. Schon öfter hatte sie daran gedacht, in ein eigenes Haus zu ziehen, damit sie herauskam aus der Wirtsstube vom Alois, die kaum noch Platz bot für ihre vielen Kunden. Wenn sich die Gelegenheit bot, warum nicht? „Also gut, dann red mit ihm.“ Sie drehte sich um, stieg die Treppe hinunter und verließ das Haus. Auf der Straße zündete sie sich eine Zigarrre an und schlenderte zum Marienplatz. Plötzlich fiel ihr die Rosmarie ein. Warum sie nicht jetzt gleich besuchen?
In der Hackengasse fand sie den Durchgang, den Rosmarie ihr beschrieben hatte. Faulig roch es. Modrig. Im Hof stand ein Baum mit vergilbten Blättern. Fast bereute sie, hergekommen zu sein. Nach kurzem Zögern betrat sie das Hinterhaus und stieg die schmale Treppe hinauf. Klopfte im ersten Stock an die Tür, in die ein großes „R“ geritzt war. Sie hörte Schritte. Die Wohnungstür ging auf und Rosmarie, in ein prächtiges, an Saum und Ärmeln mit Goldborten verziertes Kleid gehüllt, lachte. „Wie mich das freut, dass du mich schon jetzt besuchen kommst!“
„Hab’s dir doch versprochen. Und was ich versprech, das halt ich auch.“
Rosmarie zog Adele in den Flur und schloss die Tür. Überrascht blickte sich Adele um. Der Flur, in freundlichem Rosé gehalten, wurde von zahlreichen Kerzen in anheimelndes Licht getaucht. Eine Treppe, bespannt mit einem roten Läufer, führte ins obere Stockwerk.
„Komm in meinen Salon und trink einen Kaffee mit mir. So viel Zeit hast doch, oder?“
„So viel Zeit, wie du willst.“
Sie betraten den Salon.
Die Wände waren mit rotem Damast bespannt, der Diwan und die Sessel samtblau bezogen. Auf einer Konsole zückte die Figur eines nackten Cupido den Liebespfeil und zielte auf die Figurine einer Schäferin mit kess geschürztem Rock.
„Schön hast es“, meinte Adele und nahm auf einem Sessel Platz. „Ehrlich gesagt, hätt ich das nicht gedacht. So übel, wie’s im Hof ausschaut.“
Rosmarie setzte sich ihr gegenüber. „Muss ja nicht jeder wissen, was für ein nobles Haus ich führ. Das wissen neben meinen Damen nur die eingeweihten Herren. Sind viele von ganz oben dabei.“
Sie zog an einem Klingelzug.
Eine gutgebaute Brünette, in ein offenherziges Spitzennegligé gekleidet, trat ein.
„Betsie, mach uns einen Kaffee“, befahl die Rosmarie.
„Ich bring ihn gleich. Übrigens: Der Baurat Gruber ist draußen und will unbedingt zur Carla, aber die ist noch nicht frei.“
„Dann schickst ihn zur Lissi. Die wird ihm auch gefallen.“
Mit einem Kopfnicken verließ Betsie den Raum.
Rosmarie ergriff Adeles Hand. „Bis der Kaffee kommt, erzählst mir von dir. Wird viel geredet über dich. Reich sollst sein, heißt s.“
„Könnt schon stimmen.“
Plötzlich stand die Betsie in der Tür und deutete auf einen Herrn direkt hinter ihr. „Er will nicht zur Lissi.“
Rosmarie sprang auf. „Herr Baurat! Sie wissen doch, dass sie meinen Salon nicht unangemeldet betreten dürfen. Diskretion ist mein oberstes Gebot.“
„Zur Carla will ich und zu keiner andern“, erwiderte der Baurat schroff.
Rosmarie führte ihn sanft am Arm hinaus.
Adele hörte, wie Rosmarie beschwichtigend auf ihn einredete: „Wenn Sie sich noch ein paar Minuten gedulden wollen. Die Carla ist gleich bereit für Sie.“
Adele musste sich das Lachen verkneifen. Dass sie einen Baurat hier gesehen hatte, konnte ihr vielleicht noch einmal von Nutzen sein.
Zwei Tage nach dem Besuch bei der Rosmarie stand Adele mit dem Alois und dem Berger vor einem Haus in der Schönfeldstraße. Berger, der das Haus unbedingt verkaufen wollte, damit er im Gärtnerplatzviertel investieren konnte, schloss beflissen die Tür auf. „Ein schöneres Haus finden Sie in der ganzen Gegend nicht. Kommens, damit Sie sehen, wie geräumig es ist.“
Adele betrat die Diele und begutachtete die drei Zimmer im Erdgeschoss. Sah im Geiste schon ihre Geschäftsräume vor sich. Und die Küche, die rechts vom Flur abging, war groß und hell. Eine Köchin würde sie einstellen, Abendgesellschaften geben, ohne dass ihr jemand dreinredete. Damit der Berger den Preis nicht zu hoch ansetzte, krittelte sie: „Die Küch müsst neu hergerichtet werden. Und einen neuen Ofen bräucht es auch.“
„Das sind doch nur Kleinigkeiten. Kommen Sie mit nach oben.“
Im ersten Stock gab es vier geräumige Zimmer. Adele malte sich bereits alles genau aus: Eins würde sie als Schlafgemach herrichten, eins als Speisezimmer, eins als Salon und eins als Konferenzzimmer. Und das kleine Zimmer neben dem Salon war grad recht für eine Haushälterin.
„Oben sind noch zwei Kammern. Wollen Sie die sehen?“
Sie stiegen die Holztreppe hinauf. Adele warf einen Blick in die Kammern. Groß waren sie nicht. Aber für die Kassierer, die sie einstellen würde, würde es reichen.
„Und? Wie gefallt Ihnen das Haus?“
„Geht schon. Wie viel würdens denn dafür wollen?“
„56.000.“
„Sind Sie narrisch! Das Haus braucht dringend einen neuen Anstrich und auch herinnen muss alles frisch geweißelt werden.“ Sie öffnete das Fenster und blickte in den weitläufigen Garten. Der gab den Ausschlag. In lauen Sommernächten konnte sie Gartenfeste geben, die hohe Gesellschaft zu sich laden. Sie drehte sich um: „Der Garten ist ja völlig verwildert.“
Berger hakte die Finger in die Hosenträger. „Kann leicht wieder hergerichtet werden. Und für weniger geb ich das Haus nicht her.“
Der Alois flüsterte ihr zu: „Ich an deiner Stell tät es kaufen.“
„Aber so viel hab ich nicht.“
„Ungefähr 30.000 sind auf dem Speicher. Und laufend nimmst noch mehr ein. Spätestens in einem halben Jahr hast den Rest beisammen.“
Bei dem Getuschel wurde der Berger ganz unruhig. Drei Interessenten hatten das Haus schon besichtigt, keiner wollte es. „Also gut. Mein letztes Wort: 54.000. Aber nur, weil Sie es sind.“
„Nimms“, tuschelte ihr der Alois ins Ohr.
Sie gab sich einen Ruck. „Abgemacht. Ich geb Ihnen eine Anzahlung von 13.000, in einem halben Jahr noch einmal das Gleiche und den Rest in einem Jahr.“
Berger atmete auf. 13.000 war akkurat die Summe, die er für seine Investition im Gärtnerplatzviertel brauchte. „Das machen wir schriftlich. Und schreiben mit hinein, dass Sie ausziehen, wenn Sie nicht pünktlich zahlen.“
Nachdem der Kaufvertrag unterschrieben war, hatte Adele den Kopf voller Pläne. Nobel wollte sie das Haus. Doch dazu brauchte sie noch mehr Geld. Saß deshalb von der Früh um zehn bis abends um sechs im „Goldenen Licht“. Kassierte, zählte, kassierte. Stopfte einen Großteil der Einnahmen, statt sie in die Holzkiste zu legen, in eine Ledertasche.
Alois mahnte: „Denk an das Geld, das du dem Baumeister noch schuldig bist.“
„Meinst vielleicht, die Handwerker arbeiten für umsonst?“
„Ich an deiner Stell tät was zurücklegen. Weißt nie, wie’s kommt. Und auszahlen musst die Leut auch noch.“
„Bis jetzt hat das Geld allerweil noch gereicht.“
Vom Drechslermeister Edel in der Weinstraße ließ Adele sich ein extra großes Bett machen, in dem auch Platz für ihre Hunde war. Und eine Frisierkommode musste her. Mit vielen Schubladen und einem Spiegel aus böhmischem Bleikristall. Die Wände des Konferenzzimmers ließ sie mit roter, den Salon mit gelber Seide bespannen. Immer wieder fuhr sie mit den Fingern über das glänzende Holz der Louis-quinze-Kommode, die sie aus Frankreich hatte liefern lassen.
Auch an Bediensteten sparte sie nicht. Sie stellte eine Köchin, zwei Zugeherinnen, eine Büglerin und eine Weißnäherin ein. Und Aufpasser brauchte sie, damit im Haus nicht alles drunter und drüber ging.
Der Alois empfahl ihr seinen Spezl Hartl. Verbürgte sich für ihn, weil der ihm immer fachkundig zur Hand ging, wenn’s im „Goldenen Licht“ was zum Reparieren gab. Doch der Kompagnon, den der Hartl mitbrachte, gefiel ihr nicht. Weil er ihr nicht in die Augen schauen konnte, sein verdruckter Blick unstet hin und her huschte.
„Wie heißt denn?“, befragte sie ihn. „Und was hast bisher gearbeitet?“
„Homolatsch heiß ich. Bierkutscher bin ich gewesen.“
„Und warum hast aufgehört?“
Er zögerte, presste dann hervor: „Hat für viele keine Arbeit mehr gegeben, seit in den Wirtshäusern so viel Dünnbier getrunken wird.“
„Und wie steht’s mit dir? Trinkst viel Bier?“
Wieder wich er ihren Blick aus. „Nur ab und zu und dann ganz wenig.“
Zweifelnd wandte sich Adele an den Hartl. „Kennst ihn schon lang?“
„Schon eine halbe Ewigkeit.“
„Ist er zuverlässig?“
„Das ganz gewiss.“
Adele schob ihre Bedenken beiseite. „Dann probieren wir’s halt. Aber dass ihr es wisst: Getrunken wird nix bei der Arbeit. Und falls ich irgendwelche Klagen hör, such ich mir jemand andern.“
Als das Haus fertig eingerichtet war, wies Adele den Wolfhart und den Korbinian, die sie auf Empfehlung des Buchhändlers Schneider für ihre Geldgeschäfte eingestellt hatte, in ihre Aufgaben ein. Wolfhart, ein hochgewachsener junger Mann, stand mit durchgedrücktem Rücken vor ihr. Korbinian, klein, aber von kräftiger Statur, zog verlegen die Schultern hoch.
Sie deutete auf einen Schreibtisch an der Längsseite des Raums. „Wolfhart, das ist dein Platz. Du bekommst von mir die Belege über die eingezahlten Gelder und trägst alles ein ins Buch für die Einzahlungen.“
Sie deutete auf den Schreibtisch unter dem Fenster. „Korbinian, du sitzt dort. Dir geb ich die Belege über die ausgezahlten Gelder. Du schreibst alles ins Buch für die Auszahlungen. Habt ihr mich verstanden?“
Der Korbinian und der Wolfhart nickten.
„Ihr wohnt zusammen in einer Kammer im Dachgeschoss. Morgen früh um acht fangt ihr an. Seids pünktlich. Wer zu spät kommt, kann gleich wieder gehn.“
Jetzt fehlte nur noch das Messingschild. Vom Hartl ließ sie es an die Hauswand schrauben. „Adele Spitzeder. Privatière. Sprechstunden von 12 bis 2 Uhr.“ Jetzt war sie bereit.
Die Geldanleger ließen nicht lange auf sich warten. Schnell hatte sich herumgesprochen, dass die Spitzeder in der Schönfeldstraße residierte, schon im Voraus horrende Zinsen zahlte für das angelegte Geld. Bereits ab den frühen Morgenstunden warteten die Leute vor ihrem Haus, damit sie noch drankamen, bevor Schluss war um zwei. Adele saß im neu eingerichteten Kassiererzimmer, nahm die Gelder entgegen und legte sie in einen Korb. Stellte jedem Anleger einen Schuldschein aus und notierte für den Wolfhart die Einnahmen auf einem Zettel, für den Korbinian die Auszahlungen auf einem anderen. Ein Kassenbuch mit einer Gesamtabrechnung führte sie nicht.
Immer häufiger griff Adele nach Ablauf der Geschäftszeit in den geldgefüllten Korb. Wie im Rausch gab sie das Geld aus. Für eine Kutsche mit goldenen Beschlägen, für zwei edle Rösser vom Pferdehändler Neumann, für aufwendige Garderobe und brillantfunkelnden Schmuck. Spazierte in den teuersten Kleidern mit dem Basti, dem Wasti und der Daisi herum in der Stadt. Rauchte Havannas auf der Straße, schaute denen frech ins Gesicht, die den Kopf abfällig schüttelten.
Als Erste machte es ihr die Frau Obermedizinalrat nach. Stolzierte statt im hochgeschlossenen Leinen im Seidenkleid durch die Stadt. Ließ das Kropfband weg und bedeckte den Schwellhals mit einer Silberkette. Führte jetzt auch einen Schoßhund spazieren.
Adele vergaß nicht, wie die Herrschaften sie geschnitten hatten. Damals, als sie am Abgrund stand. Grüßte die Damen, die sich heranschmeichelten an sie, nur von oben herab. Spazierte lachend, Arm in Arm mit der Rosmarie, durch die Straßen. Genoss in Rosmaries Etablissement immer wieder die Petits Fours und den starken Kaffee. Der fülligen Rosmarie sah man nicht an, dass sie mit ihren Frauen ein gutes Geld verdiente. Immer wieder mahnte sie: „Du darfst deinen Reichtum nicht so zur Schau tragen.“
„Geh Rosie. Je mehr du herzeigst, desto mehr Achtung haben sie vor dir.“
„Dass du dich da bloß nicht brennst. Ich kann mich noch gut erinnern, wie sich die Weiber das Maul zerrissen haben, wie ich in meinem Pelzmantel zur Christmette gegangen bin. Tags drauf ist der Stadtrat Gmeiner gekommen. Hat gesagt, dass anständige Frauen so ein Geschäft wie das meine nicht dulden. Dass ich wegziehn und in der Kreppe wohnen müsst, wo die feine Gesellschaft nix mitkriegt von mir. Hart ist er geblieben. Auch wie ich ihm gesagt hab, wie gefährlich es dort ist. Erst wie ich ihm angeboten hab, dass er vielleicht ab und zu und für umsonst …, hat er sich erweichen lassen.“
Adele lachte und nahm sich noch ein Petit Four: „Werd mich schon zu wehren wissen.“
„Täusch dich nicht. Die Leut vertragens nicht, wenn einer mehr hat als wie sie. Ich muss dir was sagen. Aber erst musst mir versprechen, dass du dich nicht aufregst.“
„Wird so schlimm schon nicht sein.“
Rosmarie goss sich noch einen Kaffee ein, hielt die Tasse in der Hand. „Am Markt verkaufens Pfeiferl.“
„Ja, und?“
„Spitzederpfeiferl nennen sie’s.“
„Ist doch eine Ehre für mich.“
„Ehre würd ich’s nicht grad nennen. Spottlieder singens auf dich und trillern auf ihrem Pfeiferl dazu.“
Adele verschluckte sich. Hustete ein Lachen hervor. „Lass sie doch. Wennst genug Geld hast, dann kann dir keiner was.“