Kitabı oku: «Das süße Gift des Geldes», sayfa 4
Hundevisitation
„Passt wie angegossen.“ Zufrieden betrachtete die Schneiderin Franziska Weinzierl ihr Werk. Sie zupfte am Saum, rückte eine Biese4 zurecht, strich über die gefältelten Ärmel.
Adele, die heute nicht ihren Geschäften nachging, drehte sich vor dem Spiegel in ihrem Schlafgemach und ließ den knisternden Taft durch die Finger gleiten. „Schön ist es geworden. Ich könnt es zur Fronleichnamsprozession anziehn.“
„An Ihnen schaut alles gut aus. So schlank, wie Sie sind.“ Die Weinzierl legte das Leintuch, in das sie das Gewand eingeschlagen hatte, zusammen und wandte sich zum Gehen. „Ich hab gehört, aus der Prozession wird’s heuer nix.“
Adele zog sich hinter dem Paravent um und entgegnete: „München ohne seine Prozession? Nie im Leben!“
„Doch, doch. Die Frau vom Oberschulrat hat’s mir erzählt. Einen Streit soll’s geben. Zwischen dem Papst und den Stadtoberen. Aber was Genaues weiß ich nicht. Also dann bis nächste Woche. Bis dahin ist auch das Ballkleid fertig.“
Adele setzte sich auf die Chaiselongue, zündete sich eine Zigarre an und schaute den Rauchwölkchen hinterher. Nippte am Kirschlikör, der jüngsten Empfehlung des Weinhändlers Smith. Dachte nach über die Fronleichnamsprozession. Bestimmt hatte die Weinzierl was falsch verstanden.
Sie blickte auf die Uhr. Höchste Zeit, wenn sie es noch rechtzeitig in die Ledererstraße schaffen wollte. Rasch legte Adele ihre Hunde an die Leine und verließ das Haus.
Schon von Weitem hörte sie es jaulen und kläffen. Vor der Hütte der Hundevisitation standen die Hundebesitzer um die obligatorische Steuermarke an und versuchten ihre Tiere zu beruhigen. Schäferhunde fletschten die Zähne, Boxer knurrten mit hochgezogenen Lefzen, die kleinen Hunde winselten.
Und das alles wegen der Cholera. So viele Tote jeden Monat! Die Pfarrer kamen mit den Beerdigungen kaum noch nach. Reisende, die sonst in der Stadt Halt machten und gutes Geld daließen, blieben aus. Da nützte es auch nichts, dass die Zahl der Todesfälle vertuscht wurde. Gehandelt werden musste. In Verdacht, die Krankheit zu übertragen, standen auch die herrenlosen Köter, die nachts in Rudeln die Straßen unsicher machten. Vor lauter Hunger Unrat fraßen, rattenverseuchtes Wasser aus den Rinnsteinen leckten.
Jetzt rumpelten in der Nacht Hundefänger mit ihren Karren durch die Gassen, fingen die Viecher mit Drahtschlingen ein und stopften sie in den Sack. Erschlugen sie und warfen sie in den Stadtbach. Seit einer eilig erlassenen Verordnung mussten Hundebesitzer einmal im Jahr zum Veterinär, der die Hunde registrierte und untersuchte. War das Tier gesund, bekam es die begehrte Steuermarke. War es krank, wanderte es in den Sack.
„Komm, lauf halt.“ Eine ältliche Matrone nahm ihren Mops vom Arm und setzte ihn auf den Boden. Der Mops heulte auf, seine Hinterbeine knickten ein.
„Was hat er denn?“ Mitleidig kraulte Adele den Hund hinter den Ohren.
„Wenn ich das wüsst. Fressen tut er nicht, mein Louis, und laufen tut er auch nicht. So eine Angst hab ich, dass sie mir die Marke nicht geben.“
Adele biss sich auf die Lippe. Sie hatte ihn gesehen, den Hundefänger. Wie er eindrosch auf den Sack, bis Schluss war mit dem Gewinsel.
„Der Nächste!“ Der Veterinär trat aus der Tür und schaute streng auf die Tiere. Sein Blick blieb an der Alten hängen. „Dich kenn ich doch. Hab es dir schon einmal gesagt: Der Hund wird nicht mehr, der muss weg.“
Schon stand er da, der Hundefänger, schiefmäulig grinsend. Jämmerliches Geheul drang aus dem verkrusteten Sack.
Resolut ergriff Adele die Hand der Alten und zog sie zum Veterinär. „Die gehört zu mir. Um den Hund kümmer ich mich.“ Mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldete, schob sie sich mit der Matrone ins Visitationshäusl.
Der Veterinär zog die Lefzen vom Basti, vom Wasti und von der Daisi hoch, riss ihnen das Maul auf und begutachtete die Zähne. Untersuchte das Fell auf Ungeziefer. „Schöne Hunde haben Sie. Sind alle kerngesund. Hier sind die Marken. Macht drei Gulden.“
Adele legte noch einen Gulden dazu. „Für den zahl ich auch.“
Der Veterinär taxierte den Mops, der sich verstört in die Arme seiner Besitzerin schmiegte. „Nix da. Der kommt in den Sack.“
„Jetzt sinds halt nicht so. Ich versprech, ich kümmer mich drum.“
Der Veterinär, ungeduldig, weil draußen alles drunter und drüber ging, warf ihr die Marke hin. „Eins sag ich Ihnen: Wenn das Viech nächstes Jahr wieder so marod daherkommt, muss es weg.“
Adele schob die Frau zur Tür hinaus. Schnell bogen sie um die nächste Straßenecke.
Die Alte drückte ihren Louis fest an sich. „Ohne Sie hättens ihn glatt derschlagen.“
„Ist ja noch einmal gut gegangen. Wie heißt überhaupt?“
„Die Pachleitner Kathi bin ich.“
„Und was machst?“
„Mein Mann, Gott hab ihn selig, hat mir ein bisserl was hinterlassen. Und ab und zu mach ich die Kindsmagd bei den Herrschaften bei mir im Haus.“
Adele blickte in das faltige Gesicht, in die Augen, die trotz des Alters lebhaft dreinschauten. „Ich such jemanden, der mir die Hunde ausführt. Hättest Lust?“
„Meinen Sie das im Ernst?“
„Könntest gleich bei mir anfangen. Würd dich auch anständig bezahlen.“
„Wo müsst ich denn hin?“
„In die Schönfeldstraße. Fragst bei dem gelben Haus mit den grünen Fensterläden nach der Adele Spitzeder.“
Eine Woche später, als es dem Louis wieder besser ging, machte sich die Kathi auf in die Schönfeldstraße. Tapfer trippelte der Louis neben ihr her. Über den Marienplatz, vorbei an der Residenz. Am Eingang zum Hofgarten setzte er sich hin, ging keinen Schritt weiter.
„Meinst vielleicht, ich trag dich? Mir tun selber die Füß weh.“ Kathi schlüpfte aus dem Schuh, spreizte die gichtigen Zehen und presste den Fuß wieder hinein. „Faul bist, weiter nix.“ Der Louis rührte sich nicht. Ächzend nahm sie ihn auf den Arm, ging ein Stück die Ludwigstraße entlang und bog ein in die Schönfeldstraße. Sah das gelbe Haus. Aber was wollten die vielen Leut? Die Bauern, die Handwerksburschen in ihren farbverspritzten Kitteln, die Dienstmägde mit ihren weißen Hauben? Sie schob sich durch die Menge.
„Vordrängeln gilt nicht.“ Ein Marktweib, den Schurz noch fleckig vom Gansrupfen, schubste sie zur Seite. „Wir stehn hier schon seit Fünfe in der Früh.“
„Ich muss durch, ich bin bestellt.“
„Was sagst?“ Ein Maurerbursch baute sich vor ihr auf. „Bestellt willst sein? Wirst es noch derwarten können, bis dass du dein Geld loswirst.“
„Was für ein Geld? Ich komm zum Arbeiten.“ Kathi drückte ihren Louis fest an sich und presste sich durch eine Lücke. Wütende Hände rissen an ihrem Rock. Mit Mühe schaffte sie es bis zum Eingang und bumperte mit dem Fuß gegen die Tür.
Die Tür flog auf, ein Prackl von einem Mannsbild schrie: „Was fallt dir ein? Wart gefälligst, bis du dran bist.“
„Lass mich rein. Zum Arbeiten bin ich bestellt.“
„Von wem?“
„Vom Fräulein Spitzeder.“
Scheel musterte er die Frau. Das Gschwerl, das jeden Tag das Haus belagerte, war nie um eine Ausred verlegen, wenn es vor Ablauf der Sprechzeit noch ins Haus wollte. Bei dem einen starb grad die Großmutter, bei dem andern lag die Frau in den Wehen. Eine ganz eine Ausgschamte hatte sich einmal ein Kissen vor den Bauch gebunden und eine Leibesfrucht vorgetäuscht, wegen der sie nicht mehr stehen konnte. Aber die mit dem komischen Hund auf dem Arm, schaute anders aus.
„Wenn’s nicht stimmt, was du sagst, dann kannst was erleben. Komm rein und hock dich hin, bis du dran bist.“ Unter dem Pfeifen und Johlen der Leute schloss er die Tür.
Kathi quetschte sich auf die Bank im Flur zwischen einen rotgesichtigen Bauern und ein Mädel, das einen Korb umklammerte. Den Louis setzte sie auf den Boden. Bedienstete in blauer Livree hasteten umher, Türen wurden aufgerissen und wieder zugeschlagen. Immer mehr Menschen drängten herein, standen verlegen herum. Die Männer drehten den Hut in der Hand und die, die keinen hatten, stierten auf ihre Schuh. Die Weiber tuschelten miteinander, bis sie der barsche Ruf: „Der Nächste!“ erlöste.
Die Luft war zum Schneiden dick. Schweiß vermischte sich mit faulgärigem Mundgeruch. Abgestandener Zigarrenrauch dampfelte aus Joppen und Westen. Nur ab und zu, wenn eine Dame zur Tür hereinkam, roch es nach Kölnisch Wasser.
„Wie viel Geld bringst du dem Fräulein Spitzeder?“, flüsterte das Mädel.
„Herrschaftszeiten!“ Der Kathi wurde es zu bunt. „Was reden denn alle vom Geld?“
„Ruhe!“, schnauzte sie ein Blaulivrierter an.
Sich anschnauzen lassen, das hatte die Kathi noch nie vertragen. Nicht einmal ihr verstorbener Mann hatte sich das getraut. „Was glaubst eigentlich, wer du bist?“ Sie sprang auf und trat dem Louis dabei auf die Pfoten. Der winselte schrill und verbiss sich, völlig durcheinander, im Hosenbein des Livrierten. Der Mann gab dem Mops einen Tritt, jaulend fiel er der Kathi vor die Füße.
Sie plärrte: „Du Hundstöter, du elendiger!“
Im oberen Stockwerk ging eine Tür auf, Adele trat an die Balustrade. „Kathi, schön, dass du da bist. Komm rauf.“
Die Kathi packte ihren Louis und zischte hin zu dem Livrierten: „Da hast es, du Depp.“ Schritt, so würdevoll es ihre gichtigen Füße zuließen, die Treppe hinauf.
Adele führte sie in den Salon. „Jetzt trinkst erst einmal einen Kaffee. Und wenn du willst, kannst meine Hunde gleich heute ausführen.“
Kathi, jetzt doch eingeschüchtert, nippte am Kaffee. Nobel war es hier. Mit der gelben Seidentapete, dem riesigen Kronleuchter und dem Klavier in der Ecke. Aber der Verhau! Zerknitterte Kleider flackten auf dem Boden, dazwischen Schuhe, Strümpfe und ein Seidenunterrock. So was hätte es bei ihr daheim nicht gegeben. Die Kaffeetasse war auch nicht ganz sauber mit den eingebackenen Bröseln am Rand.
„Noch mal ‚Vergelt’s Gott‘ wegen dem Veterinär. Ich werd mich gut um Ihre Tiere kümmern.“ Zögernd schob sie nach: „Und wenn’s Ihnen recht wär, könnt ich auch ein bisserl aufräumen.“
„Aber ich hab schon zwei Zugeherinnen.“
„Fleißig sind die aber nicht.“
„Wenn dir noch Zeit übrig bleibt, kannst es ja probieren.“
Bald führte die Kathi ein strenges Regiment, schaute den Zugeherinnen unbarmherzig auf die Finger. Jetzt lag das Silber blank poliert im Kasten, die Kristallgläser glänzten, die Kleider hingen frisch gebügelt im Schrank. Überall hatte sie ihre Augen. Schimpfte die Köchin, wenn die das Fleisch nicht gründlich vom Knochen löste, die Knödel nicht fest genug drehte. Nicht einmal vor ihrer Herrin machte sie Halt. Die geldgefüllten Schachteln hinterm Vorhang und unterm Bett – wo gab’s denn so was!
„Schließen Sie es endlich weg, das Geld.“
„Wo soll ich’s denn hintun?“
„In den großen Wandschrank im Flur. Da lassens ein Schloss anbringen und räumen alles hinein.“
Seitdem lag das Geld weggesperrt im Wandschrank.
Bei den Bediensteten hatte die Kathi ausgeschissen. Weil die Büglerin an allen Türen lauschte, rumtratschte, was die alte Vettel so anrichtete. Aus war’s mit den Gulden, die sie tief versteckt in ihren Hosen- und Schürzentaschen aus dem Haus schafften. Sagen traute sich keiner was. Weil die Spitzederin nichts auf die Kathi kommen ließ.
Locken
„So ein bigottes Weib, so ein bigottes!“ Wütend schnarrte Jakob Kramer die Spitze seines Regenschirms übers Kopfsteinpflaster. „Unchristlich bist!“, hatte ihn die Agnes geschimpft. „Immer denkst nur ans Geld.“ Die scheinheilige Matz, die scheinheilige. Das Essen, für das er das Geld heimbrachte, fraß sie trotzdem.
Dass ihm sein Herbergshaus nicht noch mehr einbrachte, wurmte ihn zusätzlich. Zu seinem Verdruss war die Elsbeth gesund geworden. Draußen haben wollte er sie trotzdem, einer Taglöhnerin mit ihren vier Kindern die Kammer zu einem höheren Preis vermieten.
„Mich auf die Straße setzen, jetzt, wo du deinen Mietzins bekommen hast?“, hatte sich die Elsbeth gewehrt.
Die Bedienungen aus dem unteren Stockwerk waren ihr zu Hilfe geeilt. Die Marei war besonders renitent.
„Kramer, wenn du die Elsbeth nicht weiter hier wohnen lasst, erzähl ich überall herum, was du für einer bist.“ Mit bösen Augen hatte sie ihn angefunkelt. „Und dem Baurat Gruber sag ich, was für einen Wucher du mit uns treibst.“
Ärger mit den Behörden hätte ihm gerade noch gefehlt. Mehr Geld musste trotzdem her.
Schwarze Wolken verhüllten die Türme der Theatinerkirche, Regentropfen prasselten herab. Er spannte den Schirm auf und hastete die Ludwigstraße entlang. Bog ein in die Schönfeldstraße und suchte die Häuser ab. An der Ecke zur Kaulbachstraße fand er das blank polierte Messingschild, von dem sein Spezl Hartl ihm erzählt hatte.
Im ersten Stock klapperte ein Fensterladen. Zu sehen war niemand. Schussergroße Regentropfen trommelten auf seinen Schirm, das Wasser rann ihm hinten in den Nacken hinein. Durch knöcheltiefe Wasserlachen ging er auf die andere Straßenseite, zog die Eichentür auf und betrat die Wirtschaft „Wilhelm Tell“. Feuchtmiefiger Lodengeruch und Tabakqualm durchzogen den Gastraum. Auf den Bänken drängten sich Arbeiter in zerlöcherten Joppen, Kutscher in abgewetzten Lederwesten und sonstige Mannerleut. An einem runden Tisch ratschten ein paar Frauen.
„Servus miteinander. Habts noch Platz?“
Die Leute rutschten zusammen. Kramer schob sich auf die Bank und rief der Bedienung nach einem Bier.
Der neben ihm kaute an einem Rettichzipfel und rülpste: „Willst auch dein Geld anlegen?“
„Bloß erkundigen wollt ich mich. Hab gehört, die Spitzeder leiht sich Geld und zahlt zwanzig Prozent Zins im Monat. Wird ein schöner Schwindel sein.“
Der mit dem Rettich belferte: „Ich sag dir was, du Zehnmalgscheiter. Mit zwanzig Gulden hab ich angefangen. Jeden Monat die Zinsen gekriegt, genau, wie sie’s gesagt hat. Dann hab ich mir vom Schwager fünfzig Gulden geliehen und die auch angelegt. Kannst es dir ausrechnen. Jeden Monat zehn Gulden geschenkt.“
Kramer rechnete. Zehn Gulden. Das war mehr, als er an jedem Bett in seinem Herbergshaus verdiente. Obwohl er die Betten doppelt vermietete. An einen Arbeiter mit Früh- und an einen mit Spätschicht, damit sie sich abwechseln konnten beim Schlafen.
„Wird auch keine Heilige sein.“ Er zog sein Schnäuztuch heraus und trocknete sich den Nacken. „Wo will sie denn das Geld für die zwanzig Prozent herhaben? Wo’s sogar bei der Sparkass nur zwei Prozent gibt. Und das im Jahr.“
Der ihm gegenüber schlug mit der Faust auf den Tisch. „Pass auf, was du über das Fräulein sagst. Beleidigen lass ich sie fei nicht. Geh halt selber hin und schau’s dir an. Schon in Allerherrgottsfrüh stehn die Leut an, damit sie noch hineinkommen, bevor Schluss ist um zwei.“
Alle redeten durcheinander vom Reichsein, vom nicht mehr Hunger haben. Der Regen knallte gegen die Scheiben, immer mehr suchten Zuflucht im „Wilhelm Tell“.
Kramer, das Bierseidel in der Hand, riss die Augen auf. Sakra, sakra, kam da ein Weib herein. Schwarze Locken fielen ihr ins Gesicht, nass pappte ihr die Bluse am Busen. Er schmiss die Kreuzer fürs Bier auf den Tisch, rumpelte auf und wanzte sich heran an die Schöne. „Gnädiges Fräulein, wenn Sie nur Zuflucht vor dem Regen gesucht haben, könnte ich Ihnen meinen Schirm anbieten.“
Die Schöne mit einem verführerischen Augenaufschlag: „Da hätt ich aber ein Glück!“
„Schauts den an“, spöttelten die Männer leise. „Schöne Augen tät er ihr machen, der Afra. Wär nicht der Erste, der sich an der die Finger verbrennt.“
„Könnts euch noch an den Loibl Toni erinnern?“, fragte einer der Männer. „Wochenlang ist er ihr nachgestiegen. Hat ihr alles bezahlt, was sie haben wollt. Wie sie alles gehabt hat, hat’s ihn sitzenlassen.“
„Ja, ja, die Afra“, lachte ein anderer. „Die kenn ich schon von klein auf. Die weiß, wie man sich einen Vorteil verschafft.“
Der Kramer ließ nicht locker. „Ich könnt Sie sogar nach Hause begleiten.“
Die Afra lachte. „Ja, wenn’s so ist, dann gehen wir gleich.“
Mit einer Verbeugung öffnete Kramer die Tür und führte sie hinaus.
Zwei Tage nach dem Besuch im „Tell“ stand Kramer an der Hintertür des Spitzederhauses.
„Schnell, komm rein!“ Hartl, der aufpasste wie ein Schießhund, dass niemand über den Garten ins Haus schlich, zog den Kramer in den Flur. Zwei Maß und drei Paar Schweinswürschtl hatte der Kramer spendieren müssen, bis der Hartl versprochen hatte, ihn an der Hintertür ins Haus zu lassen, damit er sich vorn nicht ewig anstellen musste.
Kramer trat ein, nahm den Hut ab und schaute sich um im Flur. Setzte sich auf den letzten freien Platz auf der Bank an der Wand. Gereizt rutschten die Leute zusammen.
„Zinsen oder Kapital?“, herrschte ihn ein goldbetresster Lakai an.
„Wie meinen Sie das?“
„Frag nicht so saudumm. Willst Geld anlegen oder abholen?“
„Anlegen möcht ich, wenn’s recht ist.“
„Dann gehst da vorn in den Gang und stellst dich vor dem Kassiererzimmer an.“
Wieder musste Kramer warten. „Dauert’s lang, bis man drankommt?“
„Pscht!“, zischte eine Bäuerin, den Beutel mit dem Ersparten an die Brust gepresst. „Das gnädige Fräulein duldet keinen Lärm.“
Einer nach dem anderen wurde aufgerufen und verschwand hinter der Tür.
„Der Nächste!“, schnarrte der Lakai.
„Ich wär dran.“
„Dann schick dich! Meinst, wir haben ewig Zeit?“
Eingeschüchtert betrat Kramer das Zimmer. Traute sich kaum, die Spitzeder anzuschauen, die kerzengerade in einem wuchtigen Ledersessel saß. Er verkrumpelte seinen Hut und stierte auf das Bild mit dem aufgemalten Spruch: „Tue recht und scheue niemand.“
„Halt keine Maulaffen feil! Wie viel willst anlegen?“
„Zehn Gulden, wenn’s genehm ist.“
Mit geübten Fingern zählte sie sein Geld, legte es in den Korb, der vor lauter Münzen fast überquoll, und nahm einen Zettel zur Hand. „Name?“
„Der Kramer bin ich.“
„Vornamen hast keinen?“
„Jakob.“
Sie schrieb seinen Namen und den eingezahlten Betrag auf einen Zettel. Vermerkte auf einem anderen die zehn Gulden und schob ihn dem Kramer hin. „Da hast den Beleg. Und da hast zwei Gulden Zins für zwei Monat im Voraus. Für jeden weiteren Monat, den du das Geld bei mir lasst, kriegst weitere zwei Gulden. Und jetzt schau, dass du weiterkommst.“
Mit gesenktem Kopf schlich Kramer auf die Straße. Ein so ein rüdes Weib. Aber ein schnell verdientes Geld war es. Hitzig dachte er an die Afra. Eine Kette vom Juwelier Thomass würde er ihr schenken. Damit sie ihn heranließ, die Verheißungsvolle. Die so ganz anders war als die Agnes, die jedes Mal, wenn er auf ihr gelegen hatte, sich heulend neben die Bettstatt kniete und den Herrgott um Verzeihung bat für die Sünd.
Vorsichtig, damit er nicht ausrutschte auf den wackligen Bohlen, ging er den Weg am Pfisterbach entlang. Der Bach, der mit seinem Wasser die Pfistermühle speiste, floss träge an ihm vorüber. „Scheiß Vieh!“ Kramer war auf einen Ratzenkadaver getreten und schleuderte ihn mit der Schuhspitze zur Seite. Er wollte nur noch heim, die Gulden in die Schatulle legen.
Vor seinem Haus nestelte er nach dem Schlüssel, wunderte sich beim Aufschließen über den gerbsäurigen Geruch, der ihm in die Nase stieg. Misstrauisch schaute er sich um. Rasch trat er ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.
Donauwalzer
Dumpf schlugen die Glocken der Ludwigskirche die vierte Stunde. Adele, zermürbt von der schlaflosen Nacht, griff nach den Brompastillen auf dem Nachttisch und spülte sie mit einem Glas Wasser hinunter. Damit sie weggingen, die bitteren Gedanken. Die sie tagsüber, wenn sie das Geld zählte, nicht plagten. Auch nicht am Abend, wenn sie das Haus voller Gäste hatte. Doch in der Nacht kamen sie: die Erinnerungen an die rüden Worte ihrer Cousine Clara, an die Demütigung durch den Intendanzrat, an den Pfandleiher, der sie von vorn bis hinten beschissen hatte.
Behäbig klickte der Uhrzeiger von einer Minute zur nächsten. An Schlaf war nicht zu denken. Adele setzte sich an die Frisierkommode, scheitelte das Haar, riss die grauen Verräter aus und fasste das Haar mit einer Spange zusammen. Sie zog sich an, steckte ein leeres Wasserglas in die Rocktasche und ging die Treppe hinunter.
Auf den Straßen zum Viktualienmarkt herrschte bereits reges Treiben. Bäckersburschen trugen Körbe voller Brot, um es in die Bürgerhäuser zu liefern, Dienstmägde und Handwerksgesellen eilten zur Arbeit. Je näher Adele dem Viktualienmarkt kam, desto dichter wurde das Gedränge. Bauern schnalzten ihre Ochsen ins Tal, spannten die Karren ab, bauten rund um die Heilig-Geist-Kirche ihre Stände auf. „Schöne Kohlköpf, frisches Gansklein, bestes Griebenschmalz!“, priesen die Marktweiber ihre Ware an.
Adele drückte sich vorbei an den Metzgerhäusln, aus denen Metzger Kübel voller Schlachtabfälle trugen, um sie in einen der Stadtbäche zu kippen. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, damit sie nicht ausrutschte auf den blutigen Schlieren. Endlich stand sie vor dem Geißmilchstand. Sie reihte sich ein in die Schlange, in der Dienstmägde, feine Damen und betuchte Herren, mit einem Trinkgefäß in der Hand, ungeduldig warteten.
Hinter dem Holztresen drängten sich meckernd die Ziegen, glotzten mit querstehenden Pupillen, kullerten ihre Kötel über den Boden. Breitbeinig, die Ärmel aufgekrempelt, hockte die Bäuerin auf einem Schemel.
Ein Mann reichte ihr sein Glas. Die Bäuerin klemmte es zwischen ihre Schenkel, molk ein dickeutriges Tier und ließ den schäumenden Strahl hineinsprudeln ins Glas. Der Mann legte vier Kreuzer auf den Tresen, leerte das Glas und wischte sich den Milchschaum vom Mund. „Noch eins.“
„Nix da.“ Eine Marktfrau, drall ins Dirndl gepresst, schob ihn weg. „Jetzt bin ich dran.“
Adele wurde nach vorne geschubst, ein Ellbogen rempelte ihr ins Kreuz. Gereizt drehte sie sich um. „Wennst so schiebst, geht’s auch nicht schneller.“
„Ich kann nix dafür. Die von hinten drucken so nach.“ Die junge Frau strich sich die blonden Locken aus dem Gesicht und blitzte Adele aus blauen Augen an. „Mir ist das Geschiebe genauso zuwider. Aber so gesund soll sie sein, die Milch, da muss man’s halt aushalten.“
Immer mehr Menschen drängten sich um den Stand. Begierig auf das Wundergetränk, das der Pettenkofer so gepriesen hatte, weil es gegen Krankheiten helfen sollte. Adele zog ihr Glas aus der Rocktasche, bekam es nicht richtig zu fassen, schon zersplitterte es am Boden.
„Jetzt müssen Sie aus meinem trinken.“ Lachend reichte ihr die Blonde den Becher. Ein heftiger Schubser stieß sie gegen Adele. Schallendes Gelächter von hinten. Die Naht an der Bluse der Blonden war aufgeplatzt und gab den Blick auf das Mieder frei.
Ein Kutscher dröhnte: „So was Schönes schon in aller Früh.“
Die Bauern klopften sich auf die Schenkel, die Frauen schimpften, die Ziegen meckerten.
Die Milchfrau plärrte: „Wenn nicht sofort eine Ruh ist, pack ich mein Sach zusammen.“
Adele zog die Blonde heraus aus dem Gedränge und legte ihr ihr Seidentuch um die Schultern. „Nix wie weg.“
Die Blonde war den Tränen nahe. „Meine neue Bluse ist hin.“ Sie hob den Arm und begutachtete den Riss, der sich vom Ärmelloch bis zur Taille zog.
„Ist nicht so schlimm. Das kann man leicht wieder nähen. Wie heißt du denn?“
„Die Ehinger Rosa bin ich. Aber so kann ich nicht durch die Stadt. Auf das Gschau von den Mannsbildern kann ich verzichten.“
„Komm doch mit zu mir. Dann geb ich dir was andres zum Anziehn.“ Adele zog das Tuch fester um Rosas Schultern und steckte die Enden in den Rockbund.
„Aber ich kenn Sie doch gar nicht.“
Adele lachte. „Dann lernst mich halt kennen. Komm. Ist nicht weit von hier.“ Sie bemerkte Rosas Zögern. „Wie gesagt, bei mir kannst dir was andres anziehn.“
Rosa betrachtete noch einmal die geplatzte Blusennaht. „Also gut.“
Sie schlängelten sich vorbei an den Gemüseständen mit den aufgeschichteten Krautköpfen, den Obstständen, an denen die Marktfrauen ihr Fallobst feilboten. Untergehakt gingen sie durch die Residenzstraße, wichen den Kutschen aus, die Besucher in der Stadt herumfuhren. Traten zur Seite, als die königliche Kutsche in die Residenz einbog.
Rosa blieb stehen. „Wie heißen Sie eigentlich?“
„Adele Spitzeder.“
„Sie sind wirklich das Fräulein Spitzeder?“
„Ja, warum fragst so erstaunt.“
„Hab schon viel gehört von Ihnen. Ganz reich …“ Rosa verstummte.
„Brauchst nicht alles glauben, was so geredet wird. Komm, gehn wir weiter.“
In der Schönfeldstraße öffnete Adele die Haustür und klatschte in die Hände: „Kathi, ich bin wieder da.“
Kathi kam aus der Küche und wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Grad wollt ich Ihnen das Frühstück bringen.“
„Bring’s für zwei. Und mach uns einen besonders starken Kaffee.“
„Wo soll ich denn aufdecken?“
„Im Salon.“
Im Salon sprangen ihnen die Hunde mit lautem Gebell entgegen. Adele kraulte den Wasti, streichelte dem Basti die Schnauze. Die Daisi lief hin zur Rosa, legte sich auf den Rücken und wedelte mit dem Schwanz. Rosa schob sie mit der Schuhspitze weg. Daisi sprang auf und trollte sich beleidigt unter den Tisch.
Adele ergriff eine Bluse, die über einer Stuhllehne hing: „Zieh die an. Die müsst dir passen.“
Rosa zog ihre zerrissene Bluse über den Kopf.
Adele konnte den Blick nicht von ihr wenden. Das Mieder umfasste Rosas schlanke Taille, betonte die straffen Brüste. „Was hast denn da?“ Erschrocken deutete sie auf die Narbe auf Rosas Schulter.
„Das war mein Vater mit dem Schürhaken.“
„Hat er das öfters gemacht?“, fragte Adele ensetzt.
„Schon. Hat behauptet, ich tät mich rumtreiben. Aber jetzt ist er weg. Ich leb mit meiner Mutter allein.“
Die Kathi brachte das Frühstück: Butterweckerl, rösche Semmeln und auf einer silbernen Platte in knusprigem Speck verrührte Eier. Sie senkte den Blick wegen der halbnackerten Frau, die ihr irgendwie bekannt vorkam. Stumm deckte Kathi den Tisch, stumm ging sie wieder hinaus.
Rosa zog Adeles Bluse an und drehte sich vor der Fensterscheibe. „Als wär sie für mich gemacht.“
„Kannst sie behalten. Aber lass uns jetzt essen.“
Rosa setzte sich an den Tisch, bewunderte die kunstvoll bestickte Tischdecke, drehte den silbernen Kaffeelöffel in der Hand. Daheim saß sie mit ihrer Mutter in einer engen Küche am ausgebleichten Holztisch.
Adele legte ihr ein Butterweckerl auf den Teller und schob ihr die silberne Platte hin. „Bedien dich.“
Rosa deutete auf das Klavier, fragte mit vollem Mund: „Können Sie spielen?“
„Freilich. Hab schon Konzerte gegeben. Und komponieren tu ich auch.“
„Ich bin auch eine Künstlerin. Beim Theater. Hab aber immer nur das Dienstmädchen spielen dürfen. Und wie mir die Gläser vom Tablett gerutscht sind, direkt auf den Schoß von der Hofschauspielerin, haben sie mich entlassen.“
Lachend ging Adele zur Kredenz, füllte zwei Gläser mit Kirschlikör. „Lass uns anstoßen. Darauf, dass du noch ganz berühmt wirst.“
„Lieber auf unsere Freundschaft.“ Rosa stand auf und drückte Adele einen Kuss auf die Wange.
Adele zog die Rosa fest an sich: „Ab jetzt sagst Du zu mir. Und erzähl mir doch, was du den ganzen Tag so machst.“
Wie ein Wasserfall plapperte die Rosa. Wie sie sich mit ihrer Mutter, einer Büglerin, durchschlagen musste. Und wie sie aufpassen musste, wenn sie die gebügelte Wäsch in die feinen Häuser brachte. Wegen der Mannsbilder, die ihr dort nachstellten.
Als die Likörflasche leer war, kam der Enzian dran. Adele genoss Rosas Plaudern. Strich ihr sanft über die Sommersprossen, die ihr übers Gesicht tänzelten, wenn sie lachte. Immer ausgelassener wurden sie, immer lauter wurde ihr Gelächter.
„Ich spiel uns was.“ Adele setzte sich ans Klavier, schlug den Donauwalzer an, pfiff die Melodie dazu. Rosa wirbelte im Zimmer herum. Adele stand auf, fasste sie um die Taille, singend drehten sie sich im Walzerschritt.
Rosa ließ den Kopf auf Adeles Schulter sinken. „Mir ist schon ganz schwindlig.“
Adele zog sie enger an sich: „Kommst mich am Sonntag besuchen? Zum Kaffee?“
„Gern. Aber jetzt muss ich gehen. Sonst gibt’s daheim ein Donnerwetter.“
Nachdem die Rosa gegangen war, füllte Adele ihre Kaffeetasse und rührte Milch und Zucker hinein. Legte ihre Finger auf die Wange. Spürte immer noch Rosas Lippen. Samtweich hatten sie sich angefühlt. Sie erschrak. Was, wenn die Rosa am Sonntag nicht kommen würde? Adele wusste ja nicht einmal, wo sie wohnte.
Sie ging aus dem Zimmer und fragte die Kathi, die im Treppenhaus mit einem Staubwedel über die Bilder fuhr: „Weißt, wo die wohnt, die grad bei mir war? Hast sie angeschaut, als würdest sie kennen.“
„Die ist mir gleich so bekannt vorgekommen. Hat früher im Nebenhaus von uns gewohnt. Was wollen Sie von der?“
„Wissen will ich, wo sie daheim ist.“
Kathi ließ den Staubwedel sinken. „Jetzt lebt sie mit ihrer Mutter in der Türkenstraße. Dort hat die Mutter eine Büglerei.“
Adele nickte. „Wenn der Homolatsch kommt, dann sagst ihm, dass er hingehen soll. Sie daran erinnern, dass ich sie am Sonntag zum Kaffee erwart.“
Am Sonntag wartete Adele ungeduldig, bis es Nachmittag wurde. Immer wieder schaute sie auf die Uhr. Um ihre Unruhe zu vertreiben, setzte sie sich ans Klavier. Geschmeidig glitten ihre Finger über die Tasten. Sie schlug ein Klavierstück von Schubert an und erinnerte sich an ihren Klavierunterricht in der Schule. Streng war die Klavierlehrerin gewesen, hatte jeden falschen Ton gerügt. Doch als Adele immer besser wurde und auch schwierige Stücke fehlerfrei spielen konnte, durfte sie auf einer Weihnachtsfeier den Chor auf dem Klavier begleiten.
Adele schlug den Klavierdeckel zu, stand auf und öffnete die Tür. Kurz nach fünf war es schon. Sie rückte die Tassen auf dem Tisch zurecht, prüfte, ob der Kaffee noch warm war. Endlich hörte sie, wie die Haustür aufging und Rosa den Bediensteten begrüßte. Lachend ging Adele ihr auf der Treppe entgegen. „Hab schon geglaubt, du kommst gar nicht mehr.“
„Hab der Mutter noch helfen müssen. Aber jetzt freu ich mich, dass wir uns sehen.“ Untergehakt gingen sie die Treppe hinauf und setzten sich im Salon an den Tisch. Rosa nahm die silberne Kuchengabel mit dem ziselierten Griff in die Hand. „Die ist fast zu schön, um mit ihr zu essen.“