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2. Kapitel Materielles Arbeitsstrafrecht › A. Beitragsvorenthaltung nach § 266a StGB › V. Subjektiver Tatbestand und Irrtümer
V. Subjektiver Tatbestand und Irrtümer
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Zur Verwirklichung von § 266a (Abs. 1–3) StGB ist zumindest bedingter Vorsatz erforderlich.[1] Dieser muss sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestands beziehen: die Arbeitgebereigenschaft, die pflichtbegründenden Umstände (i.d.R. das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses), die Fälligkeit der Beiträge, die Nichtzahlung sowie die Möglichkeit der Zahlung (bzw. die vorwerfbare Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit) sowie ggf. die Verletzung von Informationspflichten.[2] Auch in Delegationsfällen, in denen eine Überwachungspflicht besteht, setzt eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des insoweit verpflichteten Geschäftsführers voraus, dass er hinsichtlich der Nichtabführung der Beiträge zumindest bedingt vorsätzlich handelt.[3] Jedenfalls ist so lange, wie über die Frage der Rechtmäßigkeit eines Prüf- und Nachforderungsbescheids noch nicht rechtskräftig entschieden ist, von einer tatsächlich bestehenden Zahlungspflicht und deren Kenntnis nicht auszugehen.[4] Eine Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht, die über das Bewusstsein und den Willen zur Verwirklichung der Merkmale des objektiven Tatbestands hinausgeht, ist nicht erforderlich.[5]
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Am Unterlassungsvorsatz fehlt es etwa, wenn der Arbeitgeber – wenn auch erfolglos – zumindest versucht hat, die Beiträge abzuführen, sofern er dabei auf den Zahlungserfolg vertraut hat[6] oder er eine Einzugsermächtigung für ein im Fälligkeitszeitpunkt gedecktes Konto erteilt hat.[7] Ebenso fehlt es am subjektiven Tatbestand, wenn ein Geschäftsführer einer GmbH davon ausgeht, nicht (mehr) Arbeitgeber zu sein, da er sein Amt niedergelegt hat oder keine organschaftlichen Funktionen mehr ausübt.[8] Sofern dem Arbeitgeber ein vor dem Fälligkeitszeitpunkt liegendes Verhalten zur Last gelegt wird, muss er die Anzeichen von Liquiditätsproblemen, welche Vorsorgemaßnahmen zur Sicherstellung der Beitragsabführung erforderten, zumindest erkannt haben.[9]
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Im Übrigen wird sich der Arbeitgeber in der Praxis kaum erfolgreich auf fehlenden Vorsatz bzgl. seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten berufen können. So heißt es etwa anschaulich in einer Entscheidung des LG Magdeburg vom 29.6.2010[10]:
„Die Meldepflichten zur Sozialversicherung sowie die Abführung der geschuldeten Beiträge gehören zu den elementaren Grundlagen des Systems der Sozialversicherung und sind allgemein bekannt. Als vernünftiger und verständiger Arbeitgeber kann sich der Angeklagte nicht darauf berufen, von seinen Pflichten nichts gewusst zu haben.“
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Geht der Arbeitgeber irrig von Umständen aus, nach denen ihm die ordnungsgemäße Beitragsabführung unmöglich oder unzumutbar wäre, so liegt ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vor.[11] Gleiches gilt im Falle der Unkenntnis eines Beschäftigungsverhältnisses oder des Fälligkeitszeitpunktes.[12] Auch die irrtümliche Annahme einer (vermeintlichen) Stundung schließt daher den Vorsatz aus.[13] Gleiches gilt bei einer Fehlvorstellung über die – tatsächlich nicht gegebene – Wirksamkeit einer Abberufung als Geschäftsführer, welche den Vorsatz hinsichtlich der Pflichtenstellung i.S.v. § 266a StGB entfallen lässt.[14]
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Kennt derjenige, der andere Personen beschäftigt, alle objektiven Umstände, welche seine Eigenschaft als Arbeitgeber begründen, geht aber irrig davon aus, gleichwohl kein solcher zu sein, so lag nach bisher herrschender Auffassung ein bloßer Verbotsirrtum infolge fehlerhafter Subsumtion vor.[15] Dieser sei – so der 1. Strafsenat in einer Entscheidung vom 7.10.2009 – in der Regel vermeidbar, da die Möglichkeit der Einleitung eines Statusverfahrens nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV bestehe.[16] Jedoch lässt sich die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nach Auffassung des 5. Senats nicht allein damit begründen, „dass die Angeklagten sich nicht um kompetente Beratung bemüht und mithin ihrer Erkundigungspflicht nicht genügt haben. Erforderlich ist vielmehr darüber hinaus, dass die Erkundigung zu einer richtigen Auskunft […] geführt hätte“.[17]
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Die Gegenauffassung machte geltend, bei der Arbeitgebereigenschaft handele es sich um ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal, welches der Betreffende zumindest nach Laienart erfasst haben müsse; halte er seinen Arbeitnehmer irrtümlicherweise für selbstständig, so fehle es bereits am notwendigen Vorsatz. Ansonsten wäre für den Bürger keine Berechenbarkeit mehr gegeben, ob sein Verhalten mit Strafe bewehrt ist oder nicht.[18] Dem hielt etwa das OLG Celle entgegen, dass gerade eine von Gesetzes wegen nicht vorgesehene Verlagerung zwischen Irrtümern auf Tatsachenebene und Irrtümern über die rechtlichen Folgen eine solche Unberechenbarkeit zur Folge haben würde.[19]
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Auch bei einem Irrtum über die Arbeitgeberpflicht (und deren Umfang) zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge lag nach bisher überwiegender Auffassung lediglich ein – in der Regel vermeidbarer – Verbotsirrtum vor.[20] Gleiches sollte für einen Irrtum über die Pflicht zur Überwachung der Erfüllung zuvor delegierter Beitragsabführungspflichten gelten.[21] Ein Irrtum über berufsspezifische Rechtsfragen ließ die Schuld danach nur entfallen, wenn der Betroffene zuvor bei einer nicht offensichtlich insgesamt unzuständigen Behörde rechtlichen Rat eingeholt hat, und diese den Anfragenden nicht darauf hingewiesen hat, sich zur Beurteilung dieser Fragestellung selbst nicht für hinreichend kompetent zu halten.[22]
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Diese Auffassung, wonach die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht als vermeidbarer Verbotsirrtum zu behandeln ist, wurde durch eine Entscheidung des 1. Strafsenats vom 24.1.2018[23] in Frage gestellt und schließlich mit Entscheidung vom 24.9.2019[24] vollständig aufgegeben; dort heißt es wörtlich wie folgt:
„Wie bereits in dem Beschluss vom 24. Januar 2018 angedeutet (1 StR 331/17 Rn. 15), ist vorsätzliches Handeln nur dann anzunehmen, wenn der Täter über die Kenntnis der insoweit maßgeblichen tatsächlichen Umstände hinaus auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts – zumindst als Parallelwertung in der Laiensphäre – nachvollzogen hat […]. Der Täter muss danach seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen haben. Demgemäß ist eine Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht als Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB einzuordnen.
[…] Für eine vorsatz- und irrtumsdogmatische Ungleichbehandlung von Arbeitgeberstellung im Sinne von § 266a StGB und Pflichtenstellung im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht kein sachlicher Grund. Bei der Pflichtenstellung handelt es sich in beiden Fällen um normative Tatbestandsmerkmale (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2018 – 1 StR 331/17 Rn. 15 […]), hinsichtlich derer die bloße Kenntnis der ihnen zugrundeliegenden Tatsachen nicht genügt, um vorsätzliches Verhalten zu begründen. Vielmehr muss der Täter die für die Unrechtsbegründung wesentliche Bedeutung der maßgeblichen Tatumstände zutreffend erfasst und die rechtliche Wertung nachvollzogen haben […]. Hat er dies nicht, unterliegt er einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum, da ihn der spezifische strafrechtliche Normappell nicht erreicht.[…]
Ob ein Arbeitgeber seine entsprechende Stellung und das Bestehen hieraus folgender sozialversicherungsrechtlicher Abführungspflichten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, muss vom Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung im Einzelfall anhand der konkreten Tatumstände geklärt werden.
Hierbei kann zunächst Bedeutung erlangen, wie eindeutig die Indizien sind, die – im Rahmen der außerstrafrechtlichen Wertung – für das Vorliegen einer Arbeitgeberstellung sprechen. Zudem kann von Relevanz sein, ob und inwiefern der Arbeitgeber im Geschäftsverkehr erfahren ist oder nicht und ob das Thema illegaler Beschäftigung in der jeweiligen Branche im gegebenen zeitlichen Kontext gegebenenfalls vermehrt Gegenstand des öffentlichen Diskurses war. Ein gewichtiges Indiz kann daneben überdies sein, ob das gewählte Geschäftsmodell von vornherein auf Verschleierung oder eine Umgehung von sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen ausgerichtet ist. Jedenfalls bei Kaufleuten, die als Arbeitgeber zu qualifizieren sind, sind auch die im Zusammenhang mit ihrem Gewerbe bestehenden Erkundigungspflichten in Bezug auf die arbeits- und sozialrechtliche Situation in den Blick zu nehmen, weil eine Verletzung einer Erkundigungspflicht auf die Gleichgültigkeit des Verpflichteten hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflicht hindeuten kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11 Rn. 27).“
Die zunächst in Aussicht gestellte und in der Folge auch umgesetzte Rechtsprechungsänderung des 1. Strafsenats ist in der Literatur zu Recht auf breite Zustimmung gestoßen.[25] So wird zunächst angeführt, dass beide Straftatbestände dem Abgabenrecht angehören und deshalb strukturelle und materiell-rechtliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Zudem treffen sie in den praktisch bedeutsamen Fällen der Scheinselbstständigkeit fast immer zusammen.[26] Beide Straftatbestände sind in besonderer Weise durch außerstrafrechtliche Regelungen normativ durchdrungen.[27] § 266a StGB wird erst durch die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften näher konkretisiert, wobei der zentrale Begriff des „Arbeitgebers“ im Einzelnen durch § 7 Abs. 1 SGB V bestimmt wird.[28] Bisher wurde ein bedingter Vorsatz von der Rechtsprechung schon immer dann bejaht, wenn die den Status einer abhängigen Beschäftigung begründenden Tatsachen bekannt waren. Sofern der Betreffende davon ausging, gleichwohl kein Arbeitgeber zu sein, sollte dieser Irrtum – insbesondere im Hinblick auf die mögliche Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens[29] – lediglich einen vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) darstellen.[30] Jedoch genügt bei normativen Tatbestandsmerkmalen die bloße Kenntnis der den (Rechts-)Begriff ausfüllenden Tatsachen nicht, um einen bedingten Vorsatz zu begründen. Vielmehr muss der Betroffene auch den wesentlichen normativ-rechtlichen Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals „Arbeitgeber“ erfasst haben.[31] Es ist zu begrüßen, dass der 1. Strafsenat nunmehr auch die Spruchpraxis zu § 266a StGB an die allgemeine Vorsatzdogmatik bei normativen Tatbeständen angepasst hat und damit eine Entkriminalisierung gerade in Grenzfällen vornehmen will.[32]
Hinweis
Machte die bisherige Spruchpraxis zu § 266a StGB eine Verteidigung im subjektiven Bereich noch nahezu aussichtslos, bietet sich nach der Änderung der Rechtsprechung des 1. Senats nun „mehr Verteidigungspotential“[33]. Von Vorteil ist dabei, dass der Senat konkrete Indizien benennt, die für den Vorsatz in Bezug auf die Arbeitgeberstellung sprechen. Hieran kann die Verteidigung konkret anknüpfen. Ob sich allerdings auch die anderen Strafsenate dieser begrüßenswerten Kehrtwende anschließen werden, bleibt abzuwarten.[34]
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Seit Inkrafttreten des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11.7.2019[35] wird nunmehr auch das leichtfertige Vorenthalten von Beiträgen sanktioniert. Es handelt sich hierbei um einen Ordnungswidrigkeitentatbestand gem. § 8 Abs. 3 SchwarzArbG, der eine Strafbarkeitslücke dort schließen soll, wo Vorsatz nicht nachgewiesen werden kann oder ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vorliegt.
Anmerkungen
[1]
BGH NJW 1992, 177, 178; LG Bochum GmbHR 2014, 1041, 1043; Muschalle/Schultze S. 202; LK/Möhrenschlager § 266a Rn. 79; Schönke/Schröder/Perron § 266a Rn. 17; Wabnitz/Janovsky/Schmitt/Pelz Kap. 9 Rn. 321; vgl. im Einzelnen zur inneren Tatseite bei § 266a StGB Mayer NZWiSt 2015, 169.
[2]
Vgl. LK/Möhrenschlager § 266a Rn. 79 ff.
[3]
BGH MDR 2008, 981; Ignor/Mosbacher/Pananis § 6 Rn. 14.
[4]
So zutreffend LG Bochum GmbHR 2014, 1041, 1043; zust. ERST/Saliger § 266a Rn. 36.
[5]
BGH MDR 1960, 917 (noch zu § 533 RVO); Lackner/Kühl/Heger § 266a Rn. 16.
[6]
Vgl. BGH NJW 1992, 177, 179 zur versuchten Zahlung mit einem später nicht eingelösten Scheck.
[7]
Vgl. OLG Düsseldorf StV 2009, 193.
[8]
BGH ZIP 2003, 2213.
[9]
BGHSt 47, 318, 323.
[10]
LG Magdeburg Urt. v. 29.6.2010 – 21 Ns 17/09 (n.v.)
[11]
Vgl. Fischer § 266a Rn. 23a.
[12]
Vgl. Fischer § 266a Rn. 23a; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Saliger § 266a Rn. 28.
[13]
Schönke/Schröder/Perron § 266a Rn. 17; Ignor/Mosbacher/Pananis § 6 Rn. 38.
[14]
BGHR StGB § 266a Vorsatz 2.
[15]
BGH wistra 2010, 29, 30; vgl. auch wistra 2014, 23, 25; OLG Celle wistra 2014, 109, 110; LK/Möhrenschlager § 266a Rn. 80; SK-StGB/Hoyer § 266a Rn. 54; Schulz NJW 2006, 183, 186.
[16]
BGH wistra 2010, 29, 30 m.w.N. Ausführlich zum Anfrageverfahren nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV sowie dem von Amts wegen eingeleiteten Statusfestellungsverfahren Matt/Renzikowski § 266a Rn. 16h.
[17]
So BGH StV 2017, 76 (zu einem Irrtum über die sozialrechtliche Stellung sog. Kükensortierer) m. zust. Anm. Loose und Reichling wistra 2016, 306 f. sowie Kämpfer NStZ 2016, 462.
[18]
Vgl. LG Ravensburg StV 2007, 413, 414; zust. Bürger wistra 2016, 169, 172 ff.
[19]
Vgl. OLG Celle wistra 2014, 109, 110 m. Bespr. Gercke/Leimenstoll WiJ 2014, 1, 5.
[20]
Vgl. BGH NJW 1997, 130, 133; Fischer § 266a Rn. 23; LK/Möhrenschlager § 266a Rn. 80; MK-StGB/Radtke § 266a Rn. 91; Jacobi/Reufels BB 2000, 771, 773; a.A. Lackner/Kühl/Heger § 266a Rn. 16; Schönke/Schröder/Perron § 266a Rn. 17, wonach sich der Vorsatz auch auf die Rechtspflicht selbst beziehen soll; vgl. zum Streitstand Mayer NZWiSt 2015, 169, 170.
[21]
BGH NJW 2001, 969, 971; GmbHR 236, 237 f.; Fischer § 266a Rn. 23.
[22]
Vgl. BGH NStZ 2000, 364 f.; vgl. auch BGH NJW 2014, 1975, 1977 f. zur Bewertung des Unrechtsgehalts einer Tat nach § 266a StGB, wenn der Täter schon seit vielen Jahren in Rechtsstreitigkeiten von demselben Rechtsanwalt vertreten wird.
[23]
BGH StV 2019, 38 mit zust. Anm. Habetha; Reichling StraFo 2018, 357; Rode/Hinderer wistra 2018, 341 und Schuster NZWiSt 2018, 346; vgl. hierzu auch Gercke ZWH 2019, 301, 306.
[24]
BGH NJW 2019, 3532 mit zust. Anm. Brand.
[25]
Vgl. z.B. Fischer § 266a Rn. 23; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Saliger § 266a Rn. 28; Beyer NZWiSt 2018, 341, 343; Schuster NZWiSt 2018, 346, 347; Reichling StraFo 2018, 357 f.; Floeth NStZ-RR 2018, 182, 183; Rode/Hinderer wistra 2018, 341 f.; Gercke ZWH 2019, 301, 306; Matt/Renzikowski § 266a Rn. 16d und 63a f.; mit Hinweis auf die hohen Hürden des Tatbestandsausschlusses Lamsfuß StraFo 2020, 168; abl. aber Bollacher NZWiSt 2019, 59.
[26]
Habetha StV 2019, 39; vgl. auch Rode/Hinderer wistra 2018, 341.
[27]
Habetha StV 2019, 39.
[28]
Habetha StV 2019, 39, 40.
[29]
Überzeugend weisen Rode/Hinderer wistra 2018, 341 auf die Problematik hin, dass sich der Betroffene nur dann auf die Unvermeidbarkeit seines Irrtums berufen kann, wenn er zuvor ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung durchgeführt hat (§ 7a SGB IV). Denn die Rentenversicherung handele interessengebunden; aufgrund ihrer Parteirolle in sozialabgaberechtlichen Verfahren ist sie keine unabhängige, sachverständige Stelle (vgl. auch LG Karlsruhe StV 2010, 309, 311).
[30]
Habetha StV 2019, 39, 40.
[31]
Habetha StV 2019, 39, 40; krit. zur Einordnung des Irrtums über die Arbeitgeberstellung als Verbotsirrtum auch Rode/Hinderer wistra 2018, 341 m.w.N.
[32]
So überzeugend Habetha StV 2019, 39, 41.
[33]
Krug ArbRAktuell 2019, 589.
[34]
Inzwischen bestätigt durch den 5. Strafsenat, BGH wistra 2020, 260.
[35]
BGBl. I 2019, S. 1066.
2. Kapitel Materielles Arbeitsstrafrecht › A. Beitragsvorenthaltung nach § 266a StGB › VI. Besonders schwere Fälle der Absätze 1 u. 2 (§ 266a Abs. 4 StGB)
VI. Besonders schwere Fälle der Absätze 1 u. 2 (§ 266a Abs. 4 StGB)
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Die Regelung des § 266a Abs. 4 StGB ist durch das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit[1] eingeführt worden, weil das Vorenthalten Dimensionen eines Massendelikts oder einen Umfang annehmen kann, der mit schweren Fällen der Steuerhinterziehung vergleichbar ist.[2] Die benannten Regelbeispiele in Abs. 4 S. 2 entsprechen daher der Regelung des § 370 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4 AO.[3]
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Durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens wurden schließlich Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 4 eingefügt, aus der früheren Nr. 3 wurde Nr. 5.[4] Dabei hatte die Bundesregierung zur Optimierung der Bekämpfung von organisierten Formen der Schwarzarbeit bereits in dem Abschlussbericht des Staatssekretärsausschusses zu „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ vom 27.8.2014 einen Lösungsansatz darin gesehen, „es als besonders schweren Fall des § 266a StGB zu erfassen, wenn sich der Täter zur Durchführung der Tat unrichtige Belege von einem Dritten verschafft, die dieser gewerbsmäßig anbietet, oder wenn der Täter als Mitglied einer Bande unter Nutzung unrichtiger Belege fortgesetzt handelt“.[5]
1. Allgemeines
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Wie sich aus Abs. 4 Satz 1 ergibt, handelt es sich bei den in Satz 2 explizit genannten Strafschärfungsgründen um Regelbeispiele. Deshalb ist in jedem Fall eine Gesamtbewertung aller tat- und täterbezogenen Umstände vorzunehmen, welche für die Strafzumessung wesentlich sind.[6]
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Der BGH hat – vorgezeichnet durch die Entscheidung des Gesetzgebers, der auf eine Aufnahme in den Katalog des § 266a Abs. 4 S. 2 StGB verzichtet hatte[7] – klargestellt, dass der gewerbsmäßigen Begehungsweise als einem dem Tatbestand des § 266a StGB immanenten Merkmal im Regelfall keine strafschärfende Bedeutung zukommt, und somit regelmäßig die Annahme eines – auch unbenannten – besonders schweren Falles gem. § 266a Abs. 4 StGB nicht in Betracht kommt.[8]
2. § 266a Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB
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Ein besonders schwerer Fall liegt nach § 266a Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB in der Regel vor, wenn der Täter aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält. Grober Eigennutz ist gegeben, wenn der Verantwortliche sich bei der Tat in besonders anstößigem Maße vom Streben nach seinem eigenen Vorteil leiten lässt.[9] Eine Drittbereicherungsabsicht, die im Rahmen von § 263 StGB genügt, ist insoweit nicht ausreichend; es muss dem Täter um einen persönlichen, materiellen Vorteil gehen.[10] Allein die Höhe der nicht abgeführten Beträge begründet noch keinen „groben“ Eigennutz; die erhöhte Strafwürdigkeit kann sich etwa aus besonderer Skrupellosigkeit gegenüber den Arbeitnehmern ergeben, beispielsweise wenn diese gerade unter dem Hinweis auf die Beitragszahlungspflicht zur Stundung des Entgelts veranlasst werden.[11]
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Ein großes Ausmaß soll dann vorliegen, wenn der Gesamtschaden sich deutlich von der Schadenshöhe gewöhnlicher Fälle abhebt.[12] Teilweise wird insoweit unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu § 263 Abs. 3 StGB[13] oder zu § 370 AO[14] ein Schwellenwert von 50.000 € vorgeschlagen.[15] Nach anderer Auffassung soll ein Millionenschaden erforderlich sein.[16] In seiner Entscheidung vom 22.7.2004[17] zu § 370a AO[18] hat der 5. Strafsenat gegen die Bestimmtheit des Begriffs des großen Ausmaßes „verfassungsrechtliche Bedenken“ geäußert – die Unbestimmtheit aber im Rahmen reiner Strafzumessungsregeln noch für hinnehmbar erachtet. Mit Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot ist § 266a Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB aber jedenfalls restriktiv zu handhaben. Ohnehin dürfte in den in Betracht kommenden Fallkonstellationen häufig eine Vielzahl rechtlich selbstständiger Einzeltaten vorliegen, eine angemessene Sanktionierung daher – auch ohne Rückgriff auf Abs. 4 S. 2 Nr. 1 – im Rahmen der Gesamtstrafenbildung möglich sein.
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