Kitabı oku: «Macht in der Sozialen Arbeit», sayfa 3
13 Sofsky/Paris 1991, S. 10.
14 Vgl. Bühler 1928.
15 Vgl. Plessner 1981, insbes. S. 191 ff.
16 Bourdieu 2005, S. 82.
17 Grundlegend für die Machttheorie Webers ist die Arbeit Max Weber: „Wirtschaft und Gesellschaft“ (vgl. einführend auch: Vollrath 1993).
18 Weber 1976, S. 28.
19 Indem der Mächtige bereits Machtmittel zum Einsatz bringt (manifeste Macht), geht er davon aus, dass er sich dem Willen des Interaktionspartners entgegenstellen muss. Wenn man den Einsatz von Machtmitteln als konstitutiv für die Zuschreibung von Macht erklärt, spielt es daher keine Rolle, ob der Wille beider Interaktionspartner faktisch divergent oder übereinstimmend ist.
20 Der Soziologe und Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma formulierte etwa: „Macht ist die Unterstützung, die ich von anderen für die Verfolgung meiner Ziele erhalte … Gesellschaftlich ohnmächtig ist der, dem die Unterstützungen versagt werden.“ (Reemtsma 2000 nach Michel-Schwartze 2002, S. 98).
21 Dieser Machtbegriff bezieht sich freilich in jedem Falle auf soziale Aggregate und nicht auf Individuen. Arendt denkt hier offenbar in erster Linie an Macht durch Organisation. (Vgl. Arendt 1971, S. 45. Vgl. hierzu auch Habermas 1978). Den Kooperationscharakter „kollektiver Macht“ hat auch Talcott Parsons hervorgehoben (vgl. Parsons 1960).
22 Vgl. hierzu den Beitrag von Ermert in diesem Band.
23 Vgl. Hügli 2005, S. 31.
24 Butler 2001, S. 82.
25 Der Begriff „Interaktionsmacht“ ist soziologisch etwa bei Paris und Sofsky geläufig: Macht kommt im Interaktionsverhalten von Menschen zum Ausdruck (Beispiel: Drohung, Einschüchterung, aber auch Lob oder die Zusicherung eines Gutes). Vgl. Sofsky/Paris in Paris 1998.
Macht – noch immer (k)ein Thema Sozialer Arbeit Fabian Kessl
1 Einleitung: Fehlende Explikation und selbstverständliche Implikation der Dimension von Macht1
Lange Zeit waren die deutschsprachigen Beiträge, die sich mit Fragen Sozialer Arbeit beschäftigten,2 durch eine markante Leerstelle in Bezug auf die Thematisierung von Macht charakterisiert: Explizite machttheoretische oder machtanalytische Vergewisserungen wurden im 20. Jahrhundert nur vereinzelt vorgelegt. Diese Situation hat sich zwar spätestens mit Beginn des 21. Jahrhunderts etwas verändert3, doch einschlägige Hand- und Wörterbücher weisen noch immer eine Lücke auf, wo das Stichwort „Macht“ zu platzieren wäre: zwischen „Liebe und Verantwortung“ und „Managerialismus“4 oder in der Rubrik „Theoretische Positionen und Konzepte“5. Auch einschlägige Sammelwerke illustrieren diesen Befund. Wenn z. B. im Kontext der Begründung einer Kritischen Sozialen Arbeit6 der einzige Beitrag, in dem die Machtdimension bereits im Titel ausgewiesen wird, aus einer disziplinären Außenperspektive kommt, fällt das auf.7 Macht scheint also, trotz der inzwischen vorliegenden expliziten Beiträge, noch immer kein Thema der Sozialen Arbeit.
Gegenüber diesem Befund lässt sich nun einwenden, dass Perspektiven auf Machtverhältnisse in sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Programmen und Konzeptionen sowie in darauf bezogenen fachwissenschaftlichen Reflexionen eine völlig selbstverständliche Rolle spielen. Allerdings unterlassen es die meisten Sprecher:innen und Autor:innen dabei die Machtdimension als solche explizit aufzurufen: Sei es nun der Entwurf einer lebensweltorientierten Professionalität oder die Lebensbewältigungsperspektive, die beide auf eine „Eröffnung von nicht realisierten Chancen innerhalb der konkreten Lebenswelt“ abzielen8, oder eine dienstleistungstheoretische Begründung, die „dem Adressaten und der Adressatin eine wesentliche mitgestaltende Rolle im Hilfeprozess zudenken (möchte)“9. In allen diesen Fällen, die hier nur exemplarisch für einflussreiche Theorieperspektiven aufgerufen werden, geht es um die Möglichkeit der Einflussnahme durch die direkten Nutzerinnen und Adressaten auf die Abstimmung und Aushandlung von Entscheidungen, was sozialpädagogische oder sozialarbeiterische Angebote angeht. Es geht hier also um nicht weniger als die Gestaltung konkreter Machtverhältnisse innerhalb der konstitutiv ungleichen, eben asymmetrischen Konstellationen, die Soziale Arbeit prägen: die ungleiche Konstellation nämlich von professioneller Organisation und Fachkraft auf der einen Seite und Adressatinnen und Nutzern in ihrem Alltag auf der anderen. Aber auch sehr viel konkreter werden Machtverhältnisse in der Sozialen Arbeit in den Fokus gerückt und verhandelt, wenn die Frage von Rechten (Menschenrechte, Grundrechte oder öffentliches Recht) hervorgehoben wird10, wenn Strukturmuster wie Geschlechter-, Klassen- und Zugehörigkeitsverhältnisse diskutiert11 oder wenn Fragen der Partizipation und Bemächtigung (empowerment)12 bearbeitet werden. Machtverhältnisse werden aber auch immer wieder als konstitutive Dimension sozialer Zusammenhänge, und damit als Dimension aller gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Konstellationen, in Reflexionen zur Sozialen Arbeit vorausgesetzt13. Macht ist also sehr wohl Thema der Sozialen Arbeit, wenn auch eher implizit.
Macht ist Thema und Macht ist doch kein Thema Sozialer Arbeit. Diese Gleichzeitigkeit von selbstverständlicher Implikation und fehlender Explikation, die zumindest für lange Zeit die Fachdebatten geprägt hat, lässt sich in unterschiedlicher Weise deuten: Werden Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht nur als gegeben vorausgesetzt, sondern auch als Strukturen, die das Tun Sozialer Arbeit maßgeblich bestimmen oder sogar determinieren, kann die eigenständige Thematisierung und Reflexion der Machtverhältnisse, unnötig erscheinen. Eine solche Dethematisierung findet sich sowohl in früheren anti-kapitalistischen Deutungen, die in der Sozialen Arbeit eine „Agentur des Kapitals“ per se sahen, als auch in manchen jüngeren machttheoretischen oder institutionenkritischen Sichtweisen, die Soziale Arbeit z. B. als rassismusaffine Instanz an sich einordnen. Ähnliches zeigt sich aber auch bei Positionen, die Soziale Arbeit als grundlegend staats- und institutionenaffin begreifen, und daher ausschließlich auf eine Selbstorganisation der Leute als Gegenkonzept zu diesen Herrschaftsapparaten setzen. All diese Positionen simplifizieren allerdings die konkreten historischen Machtverhältnisse auf schlichte und fixe Strukturmuster, die jenseits der Sozialen Arbeit bereits zu bestehen scheinen. Deshalb erscheinen sie dann auch als durch die Soziale Arbeit hindurch wirkmächtige und von dieser nicht wesentlich beeinflussbare Strukturen – vorausgesetzt, Soziale Arbeit schließt sich nicht gesellschaftsverändernden Bewegungen an und geht damit jene grundlegenden Strukturen selbst an. Tut sie das nämlich nicht, bleibt Soziale Arbeit, so die Annahme, gegenüber den bestehenden Machtverhältnissen nicht durchsetzungsfähig und diesen gegenüber affirmativ. Im Kontrast zu solchen Positionen konzentrieren einzelne jüngere Positionen Macht auf einen positiven Begriff: Eine Konnotation von Macht als negativ sei unzureichend, so das Argument, weil sie übersehen mache, dass Soziale Arbeit über faktische Mitgestaltungsmöglichkeiten verfüge, denen sie sich aber allzu oft verweigere: „Wenn wir uns dieser Macht überhaupt bewusst sind, empfinden wir uns, wie auch unsere KlientInnen, dabei oft als eher ohnmächtig und als wenig mächtig“ 14. Allerdings erweist sich auch ein solcher Machtbegriff als verkürzt, wenn er nun Macht auf die Durchsetzungsmöglichkeit der Sozialen Arbeit reduziert: „Macht kann man bekommen, wenn man sich dafür einsetzt und über entsprechende soziale, methodische und theoretische Kenntnisse verfügt“15.
Beide Positionen reduzieren Macht letztlich auf einen einfachen Dualismus von ‚Macht gegen Ohnmacht‘: Auf der einen Seite finden sich demnach die Positionen, die Einfluss nehmen können, auf der anderen Seite solche, die dem unterworfen sind, was insbesondere für die Nutzer:innen resp. Adressaten aber auch die Soziale Arbeit selbst gelte. Um einer solchen vereinfachten Lesart nun möglichst zu entgehen, ist zu fragen, wie Macht angemessener zu fassen ist.
2 Macht – zur kultur- und sozialwissenschaftlichen Grundlegung eines Konstitutionsmoments des Sozialen
Max Weber definiert Macht als eine soziologische Kategorie, die grundlegend ist für die Konstitution von Gesellschaft. Welche Dimension von Gesellschaftskonstitution mit dem Machtbegriff in den Blick rückt, formuliert Weber ebenfalls: diejenige der Interessensdurchsetzung und der damit verbundenen Möglichkeiten oder Hindernisse. Und insofern scheint Weber erst einmal Argumente für die oben als verkürzt bezeichneten Lesarten von Macht in den Fachdebatten zur Sozialen Arbeit zu liefern. Schließlich ist Macht für Weber die „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“.16 Macht markiert also die Möglichkeit der Beeinflussung einer bestimmten Situation durch spezifische Positionen auf Kosten alternativer Positionen. Wenn im Hilfeplangespräch ein bestimmtes sozialpädagogischen Angebot, bei Anwesenheit des Jugendlichen, auch gegen dessen Einverständnis, fachlich begründet durchgesetzt wird, ist das Ausdruck der dortigen Machtverhältnisse. Ob dies für den Jugendlichen und seine Familie perspektivisch eine angemessene und hilfreiche Entscheidung war, wird sich, wie in jeder pädagogischen Situation, erst später entscheiden. Dieses Beispiel wäre nun missverstanden, wenn damit die Position von Kindern und Jugendlichen in Hilfeplangesprächen an sich als „macht-los“ gedeutet würde. Denn „alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen können jemand in die Lage versetzen, seinen Willen in einer gegebenen Situation durchzusetzen“.17 Machtverhältnisse sind keine fixierten Konstellationen, in denen schon immer klar ist, wer die Position der Macht und wer die der Ohnmacht einnimmt. Kann der Jugendliche z. B. im Verbund mit sozialpädagogischen Fachkräften der Wohngruppe, in der er im Moment lebt, und einer anwesenden Lehrerin aus seiner Schule verdeutlichen, dass eine Verselbständigung mit größeren Gestaltungsfreiheiten für ihn der richtige nächste Schritt ist, kann sich das Machtverhältnis u. U. zuungunsten des Jugendamtes verschieben, das zuerst skeptisch war gegenüber einer Verselbständigungsmaßnahme zu diesem Zeitpunkt. Aus dieser nur situativen Bestimmungsmöglichkeit von Machtverhältnissen und damit ihrer Relationalität, Prozesshaftigkeit und Immanenz scheint Weber seine Skepsis gegenüber dem Begriff der Macht zu ziehen: Macht bestimmt er daher als „soziologisch amorph“18 und hebt gegenüber dem Begriff der Macht den der Herrschaft hervor.
Tatsächlich wirft die Bestimmung von Macht einige Fragen auf: Sind die Positionen, die in einer bestimmten Konstellation Einfluss nehmen können, diejenigen einzelner Menschen, wie auch Webers handlungstheoretische Perspektive nahelegt? Stellt Macht also das Ergebnis von bewussten Handlungsentscheidungen einzelner Akteure oder/und ihrer sozialen, ökonomischen oder kulturellen Position dar? Oder ist Macht, so lässt sich im Anschluss an regulationstheoretische (z. B. Poulantzas) und machtanalytische Perspektiven (z. B. Foucault) argumentieren, vielmehr ein Kräfteverhältnis, das sich erst zwischen unterschiedlichen Positionen aufspannt, und daher gerade nicht auf das Tun einzelner Akteur:innen reduziert werden kann? Oder ist dieser Blick mit Luhmann noch zu radikalisieren: In seiner systemtheoretischen Deutung ist Macht durch die „Verteilung von Präferenzen für Alternativen (konstituiert) und hängt daher inhaltlich von solchen Präferenz-Konstellationen ab“ wie der gesellschaftlichen Formation, die Luhmann für die moderne Gesellschaft in deren funktionalen Differenzierung bestimmt?19 Oder ist Macht schließlich als politisches Medium zu fassen, das sich erst in einer Konstellation von Personen verwirklichen kann, also einer Situation, „wo Menschen zusammen handeln“, wie Hannah Arendt meint?20
Macht ist, das deutet Weber in seinen Überlegungen bereits an, keine Kraft, die einem bestimmten Akteur inhärent ist. Vielmehr ergibt sich Macht erst aus konkreten sozialen Konstellationen: Die Jugendamtsmitarbeiterin ist nicht unabhängig vom Hilfeplangespräch eine „machtvolle Person“, sondern wird zu einer solchen erst angesichts ihrer behördlichen Position und ihrer damit verbundenen Einflussmöglichkeit. Das meint die Relationalität von Macht. Auch kann sie diese Einflussmöglichkeit durch eine gute Zusammenarbeit mit den freien Trägern der Kommune und den Jugendlichen und ihren Familien stärken; und ihr ein breites und explizites Fachwissen kann ein einflusssichernder Faktor für sie sein; ebenso ihre gewinnende Art in der Kommunikation mit den anderen Beteiligten. Dennoch bleiben all diese (Macht-)Faktoren an die konkrete soziale Konstellation gebunden. Insofern ist eine handlungstheoretische Lesart von Macht, wie sie Weber eben auch nahelegt, zu eng. Macht ist als Kräfteverhältnis zwischen unterschiedlichen Positionen zu begreifen, wie Poulantzas und Foucault, durchaus in Korrespondenz zu Webers Grundüberlegungen, verdeutlichen. Damit lässt sich aber auch die Idee einer ursprünglichen Quelle von Macht nicht länger halten: Weder die einzelne Akteurin – sei es eine Organisation oder ein Mensch – kann eine machtförmige Konstellation alleine begründen, noch ein einziges dominantes Strukturmuster wie der Kapitalismus: „Macht wohnt vielmehr der Wirklichkeit inne, die sie gleichzeitig hervorbringt“.21 Die Idee einer Ursprungsquelle der Macht,22 also eines Modells, das Macht auf „subjektive Vermögen oder objektivierbare Kausalursachen“23 zurückführt, ist daher inzwischen in vielen machttheoretischen und machtanalytischen Überlegungen von einem Denken in Machtfigurationen abgelöst worden: „Eine Machtfiguration ist ein komplexes Geflecht asymmetrischer und wechselseitiger Beziehungen, in dem mehrere Personen, Gruppen oder Parteien miteinander verknüpft sind“24. Macht analytisch zu fokussieren, heißt damit, historisch-spezifische Machtverhältnisse zu verstehen – und das wiederum heißt dann sehr wohl auch, die Tätigkeiten der darin eingebundenen Akteur:innen wie der unterschiedlichen am Hilfeplangespräch beteiligten Menschen systematisch in den Blick zu nehmen.
Dass sich Soziale Arbeit bzw. die darauf bezogenen Fachdebatten mit einem solchen Denken in Machtverhältnissen offensichtlich noch immer schwertun und immer wieder auf einen einfachen Dualismus von „Macht und Ohnmacht“ zurückgreifen, hat Gründe: Soziale Arbeit ist oft mit Lebenslagen und Lebensführungsweisen auf Seiten ihrer Nutzerinnen und Adressaten konfrontiert, die als sozial problematisch kategorisiert werden (z. B. Familie in Armut, Jugendlicher ohne Berufsausbildung, Menschen mit Handicaps); oder aber Soziale Arbeit wird mit einem präventiven Auftrag versehen, der in Angebote der vorzeitigen Vermeidung späterer sozial problematischer Lebenslagen oder Lebensführungsweisen übersetzt wird (z. B. Gesundheitsförderung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, Aufsuchende Soziale Arbeit, Sprachförderung in der Kindertagesstätte, Familienberatungsangebote). Diese Perspektiven verweisen Soziale Arbeit auf gesellschaftspolitische Entwicklungen und Entscheidungen wie Lebensgeschichten und alltägliche Lebensbedingungen, die den Eindruck vermitteln können, die Nutzerinnen und Adressaten wie die Soziale Arbeit selbst seien ohne jede Einflussmöglichkeit, also Macht. Da scheint es fast schon nahe zu liegen, dahinter liegende Strukturen als den eigentlichen Grund der eigenen Machtlosigkeit auszumachen oder aber den Spieß umzudrehen und die eigenen Möglichkeiten der „Machübernahme“ zu proklamieren. Doch, wie das Beispiel des konkreten Machtverhältnisses im Hilfeplangespräch schon illustriert hat: So einfach ist die Welt nicht.
Deshalb ist in einer alternativen Perspektive, die Macht als Kräfteverhältnis bestimmt, (1.) davon auszugehen, dass Macht allgegenwärtig ist.25 Macht lässt sich nicht einfach, so hat Rabinow im Anschluss an Foucault formuliert, „die Wahrheit […] sagen“26. Vielmehr ist immer wieder die konkrete Konstellation in den Blick zu nehmen; es ist zu prüfen, wie sie verändert werden kann, aber auch, wie der/die einzelne Akteur:in darin eingewoben ist. Zugleich darf die damit verbundene Vorstellung einer Prozesshaftigkeit und Immanenz von Macht (2.) nicht in einen erneuten Fehlschluss geraten, mit dem wir auch hinter Webers Hinweise zurückfallen würden: Macht und Herrschaft bzw. auch Macht und Gewalt sind nicht dasselbe und müssen daher theoretisch auseinandergehalten werden. Wie das Beispiel der institutionalisierten Macht sehr eindrücklich zeigen kann, gibt es vielfache Situationen und Konstellationen, in denen wir es mit einer Beständigkeit von Machtverhältnissen und damit deren Wirkmächtigkeit zu tun haben: Sich als einzelne Person dem arbeitsmarktpolitischen Sanktionsdruck zu erwehren, ist im 21. Jahrhunderts fast unmöglich – und zwar auf Seiten der erwerbslosen Menschen selbst, aber auch auf Seiten der Fachkräfte, die u. U. in einem Jobcenter arbeiten. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Machtverhältnisse geronnen sind, denn die Möglichkeit der Einflussnahme ist institutionell weitestgehend reduziert worden. Solche fixierten Machtkonstellationen sind daher sinnvoll als Herrschaftsverhältnisse zu bezeichnen und als solche auch als potenzielle Gewaltverhältnisse.27 Wir begegnen in den sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Feldern solchen geronnenen Konstellationen der Macht, z. B. in institutionalisierter Form, wenn die behördliche Entscheidung nur mit Verweis auf die Gültigkeit der Entscheidung als behördliche Entscheidung legitimiert wird. Ob sie fall- und alltagsangemessen ist, spielt damit keine oder nurmehr eine marginale Rolle – ja, diese Marginalisierung macht sie erst zu einer Entscheidung aus einer Herrschaftsposition heraus. Beschäftigen wir uns mit Machtverhältnissen im Kontext Sozialer Arbeit, sollten wir daher immer verstehen, ob wir es (auch) mit Herrschafts- und/oder Gewaltverhältnissen zu tun haben. Das Bemühen um Einfluss durch Vertreter:innen Sozialer Arbeit ist daher nicht per se eine unterstützenswerte Sache, weil es sich auch als „sozial-administrative“ Affirmation gegenüber dem bestehenden „Staatsapparat“ erweisen kann. Dennoch sind Machtverhältnisse (3.) nicht schon aus sich heraus Herrschafts- oder gar Gewaltverhältnisse.
Eine bisher eher marginale Rolle spielt innerhalb der Fachdebatten zur Sozialen Arbeit bisher (4.) der Blick auf eine freiheitlich-politische Machtoption, wie er im Anschluss an die machttheoretischen Überlegungen Arendts ausgerichtet werden kann. Wenn aber Macht als politisches Medium im Sinne von Arendt verstanden wird, verschiebt sich das Denken mindestens in zweifacher Weise: Macht und Herrschaft bzw. Gewalt sind nicht nur zu unterscheiden, sondern stellen dann tendenzielle Gegensätze dar; und Macht erweist sich als ein kollektives und nicht als ein individuelles Moment. Arendt siedelt Macht im politischen Raum an, den sie – im Anschluss an das Konzept der attischen polis – vom sozialen Raum klar differenziert: Wenn Menschen sich zu einem gemeinsamen Handeln zusammenschließen, entsteht demnach Macht. Inwiefern Soziale Arbeit, im Bündnis zwischen Fachkräften und Nutzer:innen oder in Bündnissen der einen oder der anderen Akteursgruppe, eine solche politische Macht einnehmen kann, ist eine im Angesicht anhaltender gesellschaftlicher Transformationen28 durchaus relevante Frage.
3 Traditionslinien des machttheoretischen und machtanalytischen Denkens in Bezug auf Soziale Arbeit – exemplarische Illustrationen
Vor dem Hintergrund der gemachten machttheoretischen und machtanalytischen Reflexionen lässt sich nun fragen, wie Machtverhältnisse in den Feldern Sozialer Arbeit eingeschätzt werden. Zwar fehlt der Mehrheit der Beiträge ein explizites Sprechen und Nachdenken über Macht, aber die impliziten Einschätzungen der vorliegenden Positionen können sehr wohl herausgearbeitet werden. Das soll im Folgenden entlang von zwei einflussreichen, aber kontroversen historischen Positionen vollzogen werden: einer fürsorgetheoretischen Position auf der einen Seite – diese wird am Beispiel Hans Scherpners diskutiert – und einer gesellschaftstheoretischen, die am Beispiel Klaus Mollenhauers in den Blick genommen wird. Beide Positionen werden daraufhin befragt, inwieweit sie (bereits) die vier rekonstruierten Dimensionen einer angemessenen Perspektive auf Macht im Kontext Sozialer Arbeit berücksichtigen.
Mollenhauer wie Scherpner ordnen Soziale Arbeit in einen spezifischen historischen und gesellschaftlichen Kontext ein. Soziale Arbeit ist demnach in die rational-organisierte (Weber) bzw. zivilisierte (Elias) Moderne eingebunden: Mollenhauer spricht – unter anderem auf Basis einer zivilisationstheoretischen Perspektive in seiner Einführung in die Sozialpädagogik – davon, dass die „Sozialpädagogik eine Funktion der Gesellschaft“29 sei, die als solche immer einen „bestimmten geschichtlichen und gesellschaftlichen Ort“30 habe. In einer spezifischen weberianischen Lesart will Scherpner nach eigener Einschätzung das „Wesen der Fürsorge“ erschließen, das er als eine „gesellschaftliche Erscheinung“31 fasst.
Insofern könnte man in Bezug auf die erste Dimension, die für eine adäquate machttheoretische und -analytische Reflexion vermerkt wurde – die Einsicht in eine Allgegenwart von Macht – vermuten, dass beide Autoren Machtverhältnisse implizit mitdenken. Die Einsicht in die gesellschaftliche Eingebundenheit Sozialer Arbeit legt es schließlich nahe, die Frage zu bearbeiten, wer in diesen konkreten Kontexten welchen Einfluss nehmen kann und wer nicht. Doch Mollenhauer und Scherpner gehen sehr unterschiedliche Wege in ihrer Argumentation: Während Mollenhauer32 eine durchaus gesellschaftstheoretisch informierte Studie zur Konstitution Sozialer Arbeit anbietet, die dadurch für jüngere machttheoretische und -analytische Deutungen hilfreiche Andockpunkte vorlegen kann, verschiebt Scherpner33 den Fokus: Machtverhältnisse spielen bei ihm – in seinen historisch arrangierten Überlegungen – fast ausschließlich auf der Ebene der Organisation von Fürsorge, wo er eine Zurückdrängen der „privaten“ (freie Träger) durch die „öffentliche Fürsorge“34 ausmacht und beklagt, und auf der Ebene der (persönlichen) Beziehung, die er für fundamental hält, was die Erbringung fürsorgerischer Leistungen angeht, eine Rolle. Für Klaus Mollenhauer ist Soziale Arbeit dagegen Erziehung – und das als „Funktion der Gesellschaft“, die er schon in seiner Dissertationsschrift als industrielle Gesellschaft bestimmt hat.35 Sie erhält ihre Funktion und Legitimation immer nur in Bezug auf einen „bestimmten geschichtlichen und gesellschaftlichen Ort“, so Mollenhauers Überzeugung: „Alles, was über sie zu sagen ist, kann deshalb sinnvoll auch nur im Hinblick auf diese Gesellschaft gesagt werden“.36
Auch Scherpner argumentiert prinzipiell für eine Analyse der „historische(n) Konkretisierung“ dessen, was Soziale Arbeit als Fürsorge ausmacht.37 Die Differenz zu Mollenhauer liegt in der Zielführung seines analytischen Unternehmens: Scherpners Überlegungen münden in einer Formbestimmung der modernen Fürsorge,38 die als solche nurmehr auf interne Machtverhältnisse beleuchtet wird. Demgegenüber sieht Mollenhauer die analytische Aufgabe in einer Analyse der konkreten Erziehungswirklichkeiten, die er in Bezug auf spezifische Aspekte des Aufwachsens und der sozialpädagogischen Tätigkeit auch vorführt.39 Für Scherpner stellen die historisch-spezifischen Verhältnisse dementsprechend gegebene Bedingungen der fürsorgerischen Tätigkeit dar. Mollenhauer versteht demgegenüber die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als Bedingungen der Möglichkeit und damit erst als Quelle, gerade auch der menschlichen Notlagen, mit denen sich Jugendhilfe als Soziale Arbeit konfrontiert sieht. Daher stellt moderne Fürsorge für Scherpner eine besondere Form der Hilfe dar, die „der Sorge für die Existenz der Gemeinschaft, die sich in der Gemeinschaft nicht halten können“40 geschuldet ist und zugleich der „Sorge für die Existenz der Gemeinschaft, die dadurch gefährdet ist, daß einzelne Glieder oder eine größere Zahl von Gliedern sich nicht halten können“. Fürsorgerische Hilfe richtet sich für ihn also auf „Gemeinschaftsmitglieder (…), die aus irgendwelchen Gründen (…) den Anforderungen des Gemeinschaftslebens nicht gewachsen sind. (…), die versagen oder in Gefahr stehen zu versagen“41. Für Scherpner sind die historisch-spezifischen Macht- wie Herrschaftsverhältnisse analytischer Ausgangspunkt für seine Formbestimmung Sozialer Arbeit als Fürsorge. Für Mollenhauer ist Soziale Arbeit dagegen eine Veranstaltung, die letztlich auf Bildung zielen muss: Ihre „pädagogische Aufgabe (besteht) nicht nur darin, jenen Bestand an kulturellen Selbstverständlichkeiten konservativ zu bewahren, sondern zugleich die Mittel zur Veränderung oder zum Fortschritt der Gesellschaft zu überliefern bzw. zu produzieren“.42 Daher sieht er in der Sozialen Arbeit gewissermaßen auch eine paradoxe Instanz, in der „die Gesellschaft (…) einen ihrer heftigsten Kritiker“43 selbst produziert.
Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass Mollenhauers Reflexionen bereits eine Unterscheidung von Macht und Herrschaft resp. Gewalt nahelegen, denen er eine relevante Rolle im sozialpädagogischen Denken und Arbeiten zukommen lässt. Denn seine kritischen Verweise vor allem auf den „Stigmatisierungseffekt“44 und auf die „totale Institutionalisierung“45 lassen sich als Merkmale der konkreten Herrschaftskonstellation der bundesrepublikanischen Gesellschaft in den 1960er Jahren und davor betrachten, wie sie Mollenhauer vor Augen hat. „Herrschaftsinstanzen“ sind auch für Scherpner46 in seiner historischen Genese Sozialer Arbeit als Fürsorge von explizitem Interesse – als solche fasst er vor allem staatliche Instanzen. Für seine Perspektive auf Fürsorge stellt die Ausprägung einer staatlichen Fürsorge („öffentlichen Fürsorge) allerdings eher ein Problem dar: Diese markiere nicht nur einen Gegenpol zur privaten, von ihm klar präferierten Fürsorge, sondern blockiere diese. Demgegenüber ist es für Mollenhauer gerade entscheidend, dass Jugendhilfe eine öffentlich verfasste Struktur bekommt. Denn die Fokussierung auf „bürgerliche Assoziationen“47, wie er die Frühformen privater Fürsorge im Anschluss an Schleiermacher kategorisiert, verhindere die notwendige Inblicknahme der Bedingungen des Alltags, um z. B. im Fall ihrer „Dissozialität“ Jugendlichen eine angemessene Lebensperspektive im Sinne ihrer „Resozialisierung“ eröffnen zu können.48 Das ist nur konsequent, sieht Mollenhauer – konträr zu Scherpner – doch „personale Konflikte häufig (als) die subjektive Entsprechung der objektiven sozialen Pluralität der Gesellschaft“ an.49
Eine zumindest implizite Beschäftigung mit einer Differenzierung von Macht und Herrschaft resp. Gewalt ist daher auch nur für Mollenhauers Überlegungen auszumachen, wenn er die (gesellschaftlichen) Bedingungen Sozialer Arbeit, z. B. in Form ihrer spezifischen Institutionalisierung, als Hindernis ausmacht. Zwar bleibt Mollenhauer, was die vierte Dimension einer angemessenen Perspektive auf Macht im Kontext Sozialer Arbeit angeht, zurückhaltend: Die Frage, inwieweit eine politische Macht – durch die Nutzerinnen und Adressaten, die Fachkräfte oder durch Bündnisse von beiden Gruppen oder Bündnisse auf anderer Ebene – von Bedeutung ist, spielt in seinen Überlegungen keine Rolle. Dennoch verweist er auf den „unauflöslichen Zusammenhang von pädagogischen und politischen Phänomenen“.50 Scherpner dagegen endet konsequent bei der Frage einer individualisierten Umsetzung konkreter Fürsorgemaßnahmen, in denen Mollenhauer eben gerade ein pädagogisches Problem sieht. Ihren methodischen Ausgangspunkt seiner radikalen verhaltensorientierten Hilfestruktur macht Scherpner daher auch in einer „Erforschung der persönlichen Lage des Hilfsbedürftigen“51 aus. Diese individuelle Vermessung sei notwendig, um einen „Hilfsplan“ entwerfen zu können, an dessen Ende immer die „echte Wiedereingliederung in die engere Gemeinschaft seiner Umwelt und in die Gesellschaft“52 stehe. Demgegenüber verdeutlicht Mollenhauer, z. B. in Bezug auf die pädagogische Bearbeitung „dissozial-abweichenden Verhaltens“, wie jugendliche NutzerInnen sozialpädagogischer Angebote mit mehrheitsgesellschaftlichen Anforderungen konfrontiert werden, eben, was sich in spezifischen Stigmatisierungsstrategien,53 der Etablierung totaler Institutionen54, aber auch der Orientierung an einem formalen Arbeitsbegriff55 zeige.
Während Scherpner also aus seinen fürsorgetheoretischen Überlegungen einen fürsorgerischen Re-Integrationsauftrag in die bestehenden Verhältnisse ableitet, folgert Mollenhauer aus seinen Betrachtungen die Notwendigkeit einer exakten gesellschaftstheoretischen Gegenwartsanalyse, um diese, die Gegenwart, selbst zum Gegenstand der sozialpädagogischen Diskussion machen zu können.56 Und genau damit liefert Mollenhauer im Gegensatz zu Scherpner einen grundlegenden Andockpunkt für machttheoretische und -analytische Perspektiven und Positionen. Scherpner sichtet zwar die historisch-spezifischen Kräfteverhältnisse insoweit, als er eine genealogische Einordnung Sozialer Arbeit als moderner Fürsorge vorlegt. Diese setzt er dann aber den Handlungsvollzügen Sozialer Arbeit voraus. Zugängen, die Macht- und Herrschaftsverhältnisse jedoch als Ausdruck historisch-spezifischer Kontexte und als Kräfteverhältnisse und nicht als der sozialen Praxis per se vorausgesetzte Struktur erfassen wollen, stellt sich, wie verdeutlicht, die Aufgabe, diese Kräfteverhältnisse als Teil des Bedingungsgefüges zu analysieren und nicht als gegeben vorauszusetzen.
Analyseperspektiven, die in diesem Sinne eine angemessene Thematisierung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen in Bezug auf Soziale Arbeit realisieren, können an vorliegende Arbeiten anschließen, wenn sie das Nicht-Explizierte explizit machen, wie hier am Beispiel der Überlegungen von Mollenhauer und Scherpner zumindest beispielhaft illustriert wurde. Entsprechende Arbeiten können unterschiedlicher Form sein, z. B. können diese als genealogische Vergewisserungen57 oder als machtanalytische Historiografien58 arrangiert werden. Über Mollenhauer hinaus stellt sich diesen inzwischen allerdings auch die Aufgabe, Soziale Arbeit selbst als Akteurin von vielfältigen historisch-spezifischen Machtpraktiken und Herrschaftsformationen zu erfassen,59 z. B. als aktive Agentin der gegenwärtigen post-wohlfahrtsstaatlichen Transformationsprozesse. Zum anderen sind machttheoretische und -analytische Studien erforderlich, die sich den historisch-spezifischen Kräfteverhältnissen in bestimmten Zusammenhängen analytisch widmen, z. B. Arbeiten, die Organisationen Sozialer Arbeit als Herrschaftsformation untersuchen,60 die sozialpädagogische Interventionen als Muster der Lebensführungsregulierung rekonstruieren61 oder die konzeptionelle Umstellung der Praxis Sozialer Arbeit hin zu einer evidenzbasierten Ausrichtung als (sozial)staatliche Steuerungsstrategie fassen.62