Kitabı oku: «Bevor er Tötet», sayfa 10

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KAPITEL ACHTZEHN

Sein Wohnzimmer lag größtenteils im Dunkeln und wurde nur von der Morgensonne erleuchtet, deren Strahlen sich durch die Vorhänge hindurchzwängten. Er saß in einem verfranzten Sessel und schaute zu dem alten Rollpult am anderen Ende des Raumes. Die Abdeckung war nach oben gerollt, sodass er die Gegenstände sehen konnte, die er von jeder Opferung behielt.

Darunter befand sich eine Brieftasche, in der sich der Führerschein von Hailey Lizbrook befand. Ebenso lag ein Rock darin, der zu der Frau gehörte, die er in dem Feld aufgehängt hatte. Daneben befand sich eine Strähne blonden Haares mit schwarzer Farbe an den Spitzen. Sie hatte der Frau gehört, die er hinter das verlassene Haus gebracht hatte.

Es war immer noch Platz für die Erinnerungsstücke, die er von seinen anderen Opferungen mitbringen würde – Erinnerungen an jede Frau, die er im Auftrag Gottes aus der Welt entfernt hatte. Obwohl er zufrieden war, wie die Dinge bisher gelaufen waren, gab es noch viel zu tun, bis die Aufgabe erledigt war.

Er saß in dem Sessel, starrte seine Erinnerungsstücke – seine Trophäen – an und wartete auf den Sonnenaufgang. Nur wenn der Morgen voll aufgeblüht war, würde er sich wieder an die Arbeit machen.

Bei dem Blick auf die Gegenstände in seinem Rollpult fragte er sich (nicht zum ersten Mal), ob er ein schlechter Mensch war. Das glaubte er jedoch nicht. Jemand musste schließlich diese Arbeit verrichten. Die härteste Arbeit blieb immer denjenigen, die keine Angst vor ihnen hatten.

Aber manchmal, wenn er diese Frauen schreien und um ihr Leben flehen hörte, fragte er sich, ob mit ihm etwas nicht stimmte.

Als die Lichtstrahlen auf dem Boden von einem blassen Gelb zu einem fast schon zu hellen Weiß wurden, wusste er, dass die Zeit gekommen war.

Er erhob sich aus dem Sessel und ging in die Küche. Von dort aus verließ er das Haus über die Hintertür, die in seinen Hinterhof führte.

Er war klein und von einem alten Maschendrahtzaun umschlossen, was sowohl fremd als auch wie eine Verkleidung wirkte, da der Rest der Nachbarschaft so verwahrlost war. Das Gras stand hoch und voller Unkraut. Bienen summten und andere Insekten huschten auf dem Boden herum, als er näherkam und sich seinen Weg durch das Gras bahnte.

Am Ende des Hofes stand ein alter Schuppen, der die gesamte linke Seite einnahm. Es war ein Schandfleck auf einem sowieso schon hässlichen Grundstück. Er ging darauf zu und öffnete die Tür, dessen alte, rostige Angeln quietschten, bevor sie den Blick auf die Dunkelheit darin freigaben. Bevor er eintrat, schaute er zu den Nachbarshäusern. Niemand war zu Hause. Er kannte ihre Tagesabläufe genau.

Jetzt, zur sicheren Tageszeit von neun Uhr morgens, betrat er den Schuppen und schloss die Tür hinter ihm. Der Geruch nach Holz und Staub durchdrang alles. Als er eintrat, rannte eine große Ratte an der Rückwand entlang und schlüpfte durch ein Lock in den Holzbrettern hinaus. Er beachtete das Nagetier nicht weiter, sondern ging direkt auf die drei langen Holzstangen zu, die an der rechten Seite des Schuppens lehnten. Sie waren zu einer kleinen Pyramide gestapelt, eine lag auf den anderen beiden. Vor zehn Tagen hatten noch drei weitere danebengelegen. Aber diese hatten ihre Aufgabe erfüllt und seine Arbeit einen Schritt vorangetrieben.

Und jetzt musste er eine weitere vorbereiten.

Er ging zu den Stangen und fuhr mit seiner Hand liebevoll über das beanspruchte Zedernholz der oberen von ihnen. Dann ging er ans andere Ende des Schuppens, wo ein kleiner Arbeitstisch stand. Dort lagen eine alte Handsäge, dessen Zähne krumm und verrostet waren, sowie ein Hammer und ein Meißel. Er nahm den Hammer und den Meißel, mit denen er zu den Stangen zurückkehrte.

Als er den Hammer in der Hand wog, dachte er an seinen Vater, der Schreiner gewesen war. Bei vielen Gelegenheiten hatte ihm sein Vater gesagt, dass Jesus, Gottes Sohn, ebenfalls Schreiner war. Der Gedanke an seinen Vater ließ Erinnerungen an seine Mutter aufkommen. Er erinnerte sich wieder daran, warum sie die beiden verlassen hatte, als er gerade einmal sieben Jahre alt gewesen war.

Er dachte an den Mann, der ein paar Häuser weiter gewohnt und vorbeigekommen war, wenn sein Vater nicht zuhause war. Er erinnerte sich an die quietschenden Bettfedern und die dreckigen Worte, die zusammen mit den Schreien seiner Mutter aus dem Schlafzimmer gedrungen waren – Schreie, die gleichzeitig Glück und Schmerz ausdrückten.

„Unser Geheimnis“, hatte seine Mutter gesagt „Er ist nur ein Freund, aber davon muss dein Vater ja nichts wissen, nicht wahr?“

Er hatte zugestimmt. Außerdem war seine Mutter glücklich gewesen, weshalb ihr Verlassen ihn so sehr verwirrt hatte.

Er legte seine Hände auf die oberste Stange und schloss die Augen. Eine Fliege an der Wand hätte vielleicht gedacht, dass er betete oder auf irgendeine Weise mi der Stange kommunizierte.

Als er fertig war, öffnete er die Augen und legte Hammer und Meißel an.

Im dämmrigen Licht, das durch eine Spalte in den Holzbrettern hereinfiel, begann er zu meißeln.

Zuerst formte er N511, danach J202.

Als nächstes würde das Opfer kommen.

Und zwar heute Nacht.

KAPITEL NEUNZEHN

Mackenzie betrat das kleine Café mit nur wenig Hoffnung. Nach der unangenehmen Unterhaltung mit ihrer Schwester hatte sie noch jemanden angerufen, mit dem sie schon lange nicht mehr gesprochen hatte. Dieses Gespräch war kurz und knapp verlaufen, wobei sie sich verabredet hatten, gemeinsam Kaffee zu trinken.

Sie schaute auf und sah den Mann sofort. Man konnte ihn schwer übersehen, da sein weißes Haar und sein Flanellshirt in der Menge gehetzter, meist junger und gut angezogener Menschen auf dem Weg zur Arbeit herausstachen.

Er saß mit dem Rücken zu ihr, weshalb sie ihm eine Hand auf die Schulter legte, als sie ihn erreichte.

„James“, sagte sie. „Wie geht es dir?“

Er drehte sich um und lächelte sie breit an, als sie sich vor ihn hinsetzte.

„Mackenzie, du wirst immer schöner“, sagte er.

„Und deine Worte werden immer glatter“, entgegnete sie. „Es ist schön, dich wiederzusehen, James.“

„Ebenso“, erwidert er.

James Woerner war fast siebzig, doch sah eher wie achtzig aus. Er war groß und schlaksig, weshalb er von seinen früheren Kollegen bei der Polizei den Spitznamen Crane, nach Ichabod Crane bekommen hatte. Es war ein Name, den er übernommen hatte, als er nach seiner Zeit als Polizist acht Jahre lang Berater für die örtliche Polizeiwache und bei zwei Gelegenheiten auch für die Bundespolizei fungierte.

„Was ist denn so schlimmes passiert, dass du dich bei einem alten Niemand wie mir meldest?“, fragte er.

In seiner Stimme lag zwar Humor, doch Mackenzie spürte, wie sie von ihm zurückzuckte, als sie erkannte, dass James der zweite Mensch innerhalb von zwei Stunden war, der dachte, sie hätte ihn angerufen, weil sie in Schwierigkeiten steckte.

„Ich habe mich gefragt, ob dich jemals ein Fall mitgenommen hat“, sagte sie. „Und ich meine nicht, dass er dir einfach nur naheging. Ich rede davon, wenn ein Fall dich so sehr mitnimmt, dass du zuhause paranoid bist und denkst, dass jeder ins Nichts führende Hinweis deine Schuld ist.“

„Ich schätze, dass du von dem Vogelscheuchen-Mörder redest? Schrecklicher Name, wenn du mich fragst“, sagte James.

„Wie…“, fragte sie fast, doch erkannte schnell, dass sie die Antwort bereits wusste, doch James antwortete trotzdem.

„Ich habe dein Bild in der Zeitung gesehen“, sagte er, bevor er an seinem Kaffee nippte. „Ich habe mich für dich gefreut. Du brauchst so einen Fall. Ich meine mich daran erinnern zu können, dir vor Jahren gesagt zu haben, dass dazu bestimmt warst, solche Fälle zu lösen.“

„Das hast du“, stimmte sie zu.

„Und doch hängst du immer noch auf der örtlichen Polizeistation herum?“

„Ja.“

„Behandelt Nelson dich gut?“

„So gut er kann mit dem Team, das für ihn arbeitet. Er hat mich quasi zur Ermittlungsleiterin gemacht. Ich hoffe, dass es seine Art ist, mir eine Chance zu geben, mich zu beweisen, damit das Machogehabe der anderen aufhört.“

„Arbeitest du immer noch mit Porter?“

„Das tat ich, aber als ein FBI Agent auftauchte, wurde er einem anderen Polizisten zugeteilt.“

„Du arbeitest also mit dem FBI zusammen“, sagte James lächelnd. „Ich glaube, das war eine weitere Vorhersage von mir. Aber ich schweife ab.“

Er lächelte und beugte sich vor.

„Erzähl mir, warum dich dieser Fall so mitnimmt. Und wenn du nur an der Oberfläche kratzt, dann nehme ich meinen Kaffee und gehe. Ich habe einen geschäftigen Tag voller Freizeit vor mir.“

Sie lächelte.

„Das wunderbare Leben eines Rentners“, sagte sie.

„Da hast du aber Recht“, meinte James. „Aber versuche nicht, auszuweichen.“

Sie wusste es besser, als einer direkten Aufforderung nicht nachzukommen. Das hatte sie gelernt, als er sie vor fünf Jahren unter seine Fittiche genommen und ihre die Grundlagen des Profilings gelehrt hatte und wie man sich in die Denkweise von Kriminellen versetzt. Der Mann war unglaublich stur und kam immer zum Punkt, was Mackenzies Ansicht nach der Grund war, warum sie sich so gut verstanden.

„Ich glaube, es ist, weil ein Mann nur Frauen umbringt. Sogar noch mehr, er bringt Frauen um, die sich ihren Lebensunterhalt mit ihrem Körper verdienen.“

„Und warum setzt dir das so zu?“

Es versetzte ihrem Herzen einen Stich, aber sie brachte die Worte trotzdem hervor.

„Es lässt mich an meine Schwester denken. Und wenn ich an meine Schwester denke, dann denke ich an meinen Vater. Und wenn ich dahingehe, fühle ich mich wie ein Versager, weil ich den Kerl noch nicht geschnappt habe.“

„Deine Schwester war eine Stripperin?“

Sie nickte.

„Etwa sechs Monate lang. Sie hasste es. Aber das Geld war gut genug, um ihr nach einer schwierigen Zeit auf die Füße zu helfen. Es macht mich immer traurig, wenn ich daran denke, dass sie damit ihr Geld verdient hat. Und auch wenn ich meine Schwester nicht an einer dieser Stangen sehe, wenn ich an die Tatorte komme, weiß ich doch, dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass die Frauen, die dieser Kerl umbringt, ein ähnliches Leben wie Steph führten.“

„Mackenzie, du weißt schon, dass du dich selbst missbrauchst, wenn du immer wieder zu deinem Vater zurückkehrst, wenn etwas nicht so läuft, wie du es gerne hättest? Es gibt keinen Grund dich deshalb zu plagen.“

„Ich weiß. Aber ich kann nichts dafür.“

„Nun ja, lass uns erst einmal über etwas Anderes reden. Ich nehme an, dass du mich angerufen hast, weil du meinen Rat möchtest, nicht wahr?“

„Ja.“

„Also, die schlechte Nachricht ist, dass alles, das ich in der Zeitung gelesen habe, mein Tipp gewesen wäre. Du suchst einen Mann mit einer Abneigung gegen Sex, der in seinem Leben womöglich Probleme mit einer Ehefrau, Schwester, oder Mutter hatte. Ich würde auch behaupten, dass dieser Kerl nicht häufig vor die Tür geht. Seine Neigung, die Frauen in ländlichen Gebieten darzustellen, lässt ihn für mich wie ein Kleinstadtjunge wirken. Er lebt wahrscheinlich in einem heruntergekommenen Teil der Stadt. Wenn nicht in dieser Stadt, dann mit Sicherheit in einem Radius von einhundert Meilen von hier. Aber das ist nur eine Vermutung.“

„Dann können wir also die Suche auf jemanden beschränken, der Zedernstangen hat und den heruntergekommeneren Stadteilen lebt?“

„Es wäre zumindest ein Anfang. Jetzt sag mir, ob du irgendwelche Details an den Tatorten bemerkt hast, die bei der schrecklichen Gräueltat vielleicht in den Hintergrund getreten sind?“

„Nur die Nummern“, sagte sie.

„Ja, davon habe ich gelesen, aber nur zweimal. Die Medien haben sich auf die Berufswahl der Frauen eingeschossen, anstatt über etwas nachzudenken, dass sie nicht sofort verstehen. Wie etwa diese Nummern. Aber denk daran: nimm einen Tatort nie so an, wie du ihn siehst. Jeder Tatort hat eine eigene Geschichte. Sogar wenn die Geschichte in etwas scheinbar Banalem versteckt ist, so gibt es sie doch. Es ist dein Job, sie zu finden, zu lesen und herauszufinden, was sie bedeutet.“

Darüber dachte sie nach. Was, fragte sie sich, hatte sie übersehen?

„Ich muss dich noch etwas Anderes fragen“, sagte sie. „Ich stehe kurz davor, etwas zu tun, das ich noch nie zuvorgetan habe, und ich will meine Situation nicht noch schlimmer machen. Es könnte mich noch mehr herunterziehen.“

„Du willst zu den Tatorten zurückkehren“, meinte er.

„Ja.“

„Du versuchst, dich in den Mörder hineinzuversetzen“, fuhr er fort. „Du wirst dir die Tatorte mit den Augen eines Mannes ansetzen, bei dem etwas nicht stimmt – mit einem Hass auf Frauen und einer gestörten Angst vor Sex.“

„Das ist mein Plan“, sagte sie.

„Und wann willst du das machen?“

„Sobald wir hier fertig sind.“

James schien einen Moment darüber nachzudenken. Er trank einen weiteren Schluck von seinem Kaffee und nickte zustimmend.

„Ich weiß, dass du es schaffen wirst“, meinte er. „Aber glaubst du, dass du psychisch dafür bereit bist?“

Mackenzie zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich muss es.“

„Das kann gefährlich sein“, warnte er sie. „Wenn du die Tatorte aus den Augen des Mörders siehst kann es deine antrainierte Sichtweise der Schauplätze verändern. Du musst dafür bereit sein – um die Grenze zwischen dieser dunklen Inspiration und deinem Verlangen, diesen Kerl zu finden und ihn festzunehmen zu ziehen.“

„Ich weiß“, entgegnete Mackenzie sanft.

James klopfte mit seinen Fingern auf die Seite der Tasse. „Soll ich mit dir kommen?“

„Ich dachte darüber nach, dich zu fragen“, antwortete sie. „Aber ich glaube, ich muss das selber machen.“

„Das ist vermutlich die richtige Entscheidung“, entgegneten James. „Aber ich muss dich warnen: Wenn du alles aus der Perspektive eines Mörders sehen willst, darfst du nie voreilige Schlüsse ziehen. Versuche, von vorne anzufangen. Verschließe deinen Geist nicht mit Vermutungen, wie beispielsweise, dass dieser Kerl einfach Frauen hasst. Lass die Szene zu dir sprechen, bevor du dich in sie hineinwirfst.“

Mackenzie grinste. „Das hört sich ziemlich modern an“, sagte sie. „Hast du eine Geistesumwandlung hinter dir?“

„Nein. Der wandelt sich mit Eintritt in die Rente nicht mehr. Also, wie viel Zeit hast du noch vor deiner kleinen Suche?“

„Nicht mehr viel“, erwiderte sie. „Ich würde gerne noch vor der Mittagszeit am ersten Tatort sein.“

„Gut“, meinte er. „Das bedeutet, dass du noch Zeit hast. Dann lassen wir für jetzt einmal diesen Vogelscheuchen-Mist beiseite. Bestell dir einen Kaffee und unterhalte dich eine Weile mit einem alten Mann. Was hältst du davon?“

Sie schenkte ihm einen Blick, den sie in dem Jahr, in dem er sie trainiert hatte, auf keinen Fall zeigen wollte. Es war der Blick eines jungen Mädchens, das ihren Vater mit dem Bedürfnis, ihn stolz und glücklich zu machen, anschaute. Während sie sich nie selbst analysiert hatte, um diese Wahrheit zu entdecken, hatte sie diese vom ersten Moment, von der ersten Woche, in der sie jeden Tag zwei Stunden mit ihm verbrachte, erkannt. James Woerner war in jenem Lebensabschnitt für sie eine Vaterfigur und das war etwas, wofür sie für immer dankbar sein würde.

Deshalb folgte sie seiner Aufforderung gerne, als er sie bat, sich einen Kaffee zu holen und mit ihm Zeit zu verbringen. Das Maisfeld, die Schotterstraße und das alte, verlassene Haus existierten schon seit Jahrzehnten. Sie könnten auch noch eine oder zwei Stunden warten.

KAPITEL ZWANZIG

Während des kurzen Trainings von James Woerner hatte dieser immer wieder ihren Instinkt gelobt. Sie hatte ein Bauchgefühl, wie er immer gesagt hatte, das besser als jedes Handlesen oder Teesatzlesen war, wenn es darum ging, herauszufinden, was als nächstes getan werden sollte. Deshalb vergeudete sie keine Zeit mit dem Maisfeld, in dem Hailey Lizbrooks Leiche entdeckt worden war, oder dem offenen Feld, wo die zweite Leiche gehangen hatte.

Sie ging direkt zu dem verlassenen Haus zurück, hinter dem das letzte Opfer gefunden wurde. Bei ihrem ersten Besuch hatte sie die dunklen Fenster wie Augen betrachtet, die jede ihrer Bewegungen verfolgten. Tief in ihrem Herzen hatte sie sofort erkannt, dass die Szene noch mehr zu bieten hatte. Aber nach all dem, was mit Ellis Pope geschehen war, hatte sie diesem Gefühl nicht nachgehen können.

Sie parkte ihr Auto vor dem Haus und starrt er durch die Windschutzscheibe an, bevor sie ausstieg. Von der Vorderseite schaute das Haus genauso unheilvoll aus, wie die Kulisse eines Geisterhauses für einen Horrorfilm. Sie schaute es an und versuchte es mit den Augen eines Mörders zu sehen. Warum suchte man sich diesen Ort aus? War es das Haus selber oder das erdrückende Gefühl der Einsamkeit, das ihn so ansprach?

Dies wiederum ließ in ihr die Frage aufkommen, wie lange der Mörder nach den Orten für die Ermordung seiner Opfer gesucht hatte. Der Bericht des Gerichtsmediziners besagte, dass die Frauen erst zu den jeweiligen Orten gebracht und anschließend getötet wurden – sie wurden also nicht schon vorher umgebracht und nur an den Orten präsentiert. Warum? Was war der Sinn davon?

Mackenzie stieg schließlich aus dem Auto aus. Bevor sie die verfallene Verandatreppe hinaufstieg, ging sie um das Haus herum und trat an den Ort, an dem das dritte Opfer aufgehängt worden war. Die Leiche sowie die Stange waren nicht mehr dort, doch das Gelände war eindeutig in Mitleidenschaft und von den Fußstapfen der verschiedenen Behörden, die hierhergekommen waren zertreten worden. Mackenzie blieb an der Stelle stehen, an der die Stange gestanden hatte. Das Loch war immer noch da, genauso wie die lockere Erde darum herum.

Sie ging in die Hocke und legte ihre Hand auf das Loch. Sie schaute zu dem umliegenden Wald und zurück zum Haus. Dabei versuchte sie zu sehen, was der Mörder gesehen hatte, als er angefangen hatte, die Frau zu misshandeln. Ein Schauer fuhr ihr über den Rücken, als sie ihre Augen schloss und sich die Szene vorstelle.

Die Peitsche, die er verwendete, hatte an ihrem Ende mehrere Fäden, wahrscheinlich mit Stacheln versehen, wie sie aus den hinterlassenen Spuren schloss. Trotzdem musste sie mit großer Kraft verwendet werden, um das Fleisch so aufzureißen. Er würde wahrscheinlich zuerst um seine Opfer herumgehen, Kreise um die Stange ziehen und ihre Schreie und ihr Flehen genießen. Dann passiert etwas. Etwas klickt in seinem Kopf oder vielleicht sagt das Opfer etwas, dass seine Gewalt auslöst. Dann fängt er an, sie zu peitschen.

Hier an diesem Ort hatte er sein Opfer mit größerer Wut angegriffen als zuvor, denn die Striemen befanden sich nicht mehr nur auf dem Rücken, sondern auch auf ihrer Brust, dem Bauch und vereinzelt sogar auf ihrem Hintern. Irgendwann sieht der Mörder seine Arbeit als beendet an und hört auf. Und dann was? Stellt er sicher, dass sie tot sind, bevor er den Ort in einem Truck oder Van verlässt? Wie lange bleibt er bei ihnen?

Wenn er mehr als nur zu seinem Vergnügen umbringt, weil er beispielsweise eine Abneigung gegen Frauen und/oder Sex hat, dann bleibt er wahrscheinlich noch eine Weile vor Ort und beobachtet, wie sie bluten und das Leben aus ihren Augen verschwindet. Vielleicht ist er stark genug, ihre Körper anzuschauen, während diese sterben, vielleicht nimmt einer ja sogar eine ihrer Brüste in eine zitternde Hand. Fühlt er sich sicher oder mächtig, angewidert oder erfreut, wenn er sie bluten sieht, wenn er mitbekommt, wie der Tod über sie hereinbricht und nur noch ihre nackten Körper zurücklässt?

Mackenzie öffnete ihre Augen und schaute zu dem Loch, über dem ihre Hand noch immer schwebte. Die Berichte zeigten, dass alle drei Löcher eilig mit einer Schaufel ausgehoben wurden und nicht mit einem akkurateren Erdlochausheber. Er wollte schnell anfangen, die Stange in die Löcher setzen und mit der ausgehobenen Erde befestigen. Wo waren die Frauen zu dieser Zeit? Standen sie unter Drogen? Waren sie bewusstlos?

Mackenzie stand auf und ging zurück zur Vorderseite des Hauses. Obwohl sie keinen Grund zur Annahme hatte, dass sich der Mörder darin aufhalten könnte, ließ die Tatsache, dass der Täter den Hinterhof als einen Ausstellungsort für seine Trophäen auserkoren hatte, das Haus in einem seltsamen Licht erscheinen.

Sie betrat die Veranda, die sofort unter ihrem Gewicht quietschte. Die gesamte Veranda schien unter ihrem Gesicht zu ächzen. Irgendwo im Wald antwortete ein Vogel mit einem Schrei.

Sie ging durch eine größtenteils zerfallene Tür hinein, die am Boden kratzte. Der Geruch nach Staub und Schimmel stürmte auf sie ein, genauso wie der Duft der Vernachlässigung.

Das Haus zu betreten war wie in einen schwarz-weiß Film einzutauchen. Sobald sie eingetreten war sagte ihr das von James so hochgelobte Bauchgefühl, dass hier drinnen nichts Ungewöhnliches war und nichts Entscheidendes für die Aufklärung des Falles zu finden war.

Trotzdem konnte sie nicht widerstehen. Sie erkundete die leeren Räume und Flure. Sie betrachtete die rissigen Wände und die sich ablösende Tapete, wobei sie sich die Familie versuchte vorzustellen, die einmal in dieser Ruine gelebt haben könnte. Schließlich bahnte sie sich ihren Weg zur Rückseite des Hauses, wo sich anscheinend einmal eine Küche befunden hatte. Alter, gerissener Linoleum bedeckte den Boden in sich wellenden Lagen und enthüllte den verfaulenden Boden darunter. Sie schaute sich in der Küche um und sah die beiden Fenster, die in den Hinterhof blickten – die gleichen Fenster, deren Starrten sie bei ihrem ersten Besuch hier gespürt hatte.

Sie ging durch die Küche, wobei sie an der vernachlässigten Arbeitsplatte an der Wand entlanglief, um den fragwürdigen Boden in der Mitte zu vermeiden. Als sie sich bewegte, erkannte sie, wie unglaublich still es in diesem Haus war. Es war ein Ort für Geister und Erinnerungen, nicht für eine verzweifelte Detective, die blind versuchte, sich in den Mörder hineinzuversetzen. Trotzdem ging sie zur Rückwand des Hauses und schaute zum ersten Fenster hinaus, das sich links neben einem alten, zerbrochenen Waschbecken befand.

Die Stelle, an dem die Stange gestanden und das dritte Opfer gehangen hatten, konnte man vom Fenster konnte man von dem Fenster ohne Hindernisse einsehen. Von innen schaute das Haus nicht annähernd so furchteinflößend aus. Mackenzie versuchte, sich den Tathergang von ihrem Platz am Fenster aus vorzustellen, als ob sie das Geschehen im Fernseher sehen würde. Sie sah, wie der Mörder die Frau zu der Stange brachte, die er bereits dort platziert hatte. Sie fragte sich, ob sie bewusstlos oder unter dem Einfluss irgendwelcher Drogen stand, ob sie mit seinen Händen unter ihren Achseln oder an ihrem Rücken herumstolpern würde.

Das regte einen Gedanken an, den bisher noch niemand überprüft hatte. Wie bringt er sie zu der Stange? Sein sie bewusstlos? Haben Sie Drogen bekommen? Überwältigt er sie einfach? Vielleicht sollten wir den Gerichtsmediziner fragen, nach verhaltensverändernden Substanzen zu suchen…

Sie starrte die Szene noch etwas länger an und begann die Abgeschiedenheit des Waldes und des Hinterhofes zu spüren. Dort draußen gab es nichts außer Bäumen, versteckten Tieren und einer sanften Brise.

Sie verließ die Küche und bahne sich ihren Weg zurück in einen Raum, der wohl einmal als Wohnzimmer gedient hatte. Ein alter, zerkratzter Schreibtisch stand an der Wand. Die Oberfläche war eindeutig verzogen und viele der verstreuten Papiere darauf schauten aus wie Blätter, die seit Jahren schon auf den Boden fielen. Mackenzie ging zum Schreibtisch hinüber und sah sich die Seiten an.

Sie fand Rechnungen für Schweinefutter und Getreide. Die älteste stammte vom Juni 1977 und kam von einem Farmlieferanten in Chinook, Nebraska. Auf Notizpapier, das so sehr gealtert war, dass seine blauen Linien fehlten, war eine Handschrift zu lesen. Mackenzie überflog die Zeilen, die wie Notizen für eine Sonntagsschule aussahen. Sie sah Verweise auf Noah und die Sintflut, David und Goliath sowie auf Samson. Unter dem Papierberg befanden sich zwei Bücher: ein Andachtsbuch mit dem Namen Gottes Heilendes Wort und eine Bibel, die so alt aussah, dass sie fürchtete, sie könnte bei ihrer Berührung zu Staub zerfallen.

Trotzdem konnte sie ihren Blick nicht von der Bibel abwenden. Ihr Anblick brachte Bilder der Kreuzigung auf, von der sie bei den wenigen Malen, die sie als junges Mädchen mit ihrer Mutter in die Kirche gegangen war, gelernt hatte. Sie dachte an Christus an dem Kreuz und wofür er stand, weshalb sie unwillkürlich nach dem Buch griff.

Sie dachte an das Kreuz, an dem Jesus gestorben war und überlagerte dieses Bild mit dem der drei Frauen an ihren Stangen. Sie hatte ein religiöses Motiv zwar ausgeschlossen, aber sie konnte den Gedanken nicht abschütteln.

Sie öffnete die Bibel und blätterte die ersten Seiten durch, bis sie auf das Inhaltsverzeichnis stieß. Sie wusste sehr wenig über die Bibel, weshalb ihr die Hälfte der Namen der Bücher nicht bekannt vorkamen.

Gedankenverloren überflog sie das Inhaltsverzeichnis und wollte die Bibel schon wieder hinlegen, als sie etwas entdeckte, was ihr Herz zum Rasen brachte. Die Namen der Bücher. Neben ihnen standen Nummern.

Die Abkürzungen erinnerten sie an etwas.

Die Stange.

Die Nummern.

N551

J202

Mit zitternden Händen begann sie oben im Inhaltsverzeichnis und legte ihr Finger auf Genesis. Dann fuhr sie mit ihrem Finger nach unten und suchte nach einem Buch, das mit „N“ anfing.

Innerhalb von Sekunden hielt sie bei den Verweisen auf das Buch Numeri an.

Sie blätterte durch die staubigen Seiten, der Geruch nach verfaulendem Papier stieg ihr in die Nase. Sie fand Numeri und suchte nach Kapitel fünf. Als sie dort ankam, fuhr sie mit ihrem Finger über die Seite, bis sie den elften Vers erreichte.

N511. Numeri, Kapitel 5, Vers 11.

Sie las und mit jedem Wort schlug ihr Herz schneller. Es fühlte sich so an, als wäre die Temperatur im Haus um zwanzig Grad gesunken.

Der Herr sprach zu Mose: Rede zu den Israeliten und sag ihnen: Angenommen, eine Frau gerät auf Abwege, sie wird ihrem Mann untreu, und ein anderer Mann schläft mit ihr, ohne dass es ihr Mann merkt, angenommen also, sie ist unrein geworden, ohne dass es entdeckt wird, und es gibt keine Zeugen, weil sie nicht ertappt worden ist, der Mann aber schöpft Verdacht und wird eifersüchtig auf seine Frau, die wirklich unrein geworden ist; angenommen aber auch, er schöpft Verdacht und wird auf seine Frau eifersüchtig, obwohl sie in Wirklichkeit nicht unrein geworden ist: In einem solchen Fall soll der Mann seine Frau zum Priester bringen…

Sie las die Stelle mehrmals, mit zitternden Händen, und verspürte Aufregung und Ekel zugleich. Die Passage gab ihr ein unheilvolles Gefühl, das ihren Magen ein wenig drehte.

Sie blätterte zurück zum Inhaltsverzeichnis. Sie sah, dass es mehrere Bücher mit dem Anfangsbuchstaben J gab, aber dieses kleine Rätsel zu lösen war nicht ihr Spezialgebiet. Außerdem war sie sich ziemlich sicher, dass sie mit der Passage aus dem Buch Numeri genug zu tun hatte.

Mackenzie schloss die Bibel und legte sie zurück auf die vergessenen Papiere. Sie rannte eilig aus dem Haus und zurück zu ihrem Auto.

Sie musste zurück auf zur Polizeistation.

Mehr noch, sie musste mit einem Pfarrer reden.

Dieser Mörder ging nicht beliebig und wahllos vor wie gedacht.

Er hatte einen Modus Operandi.

Und sie würde ihn knacken.

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Yaş sınırı:
16+
Litres'teki yayın tarihi:
10 ekim 2019
Hacim:
251 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9781632919618
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