Kitabı oku: «Bevor er Tötet», sayfa 6
KAPITEL ZEHN
Nach dem Anruf fuhren etwas mehr als eineinhalb Stunden von dem Stripclub, langsam legte sich die Nacht auf die Welt, was Mackenzies deprimierte Stimmung steigerte, und als sie am Tatort ankamen, war es stockdunkel. Schließlich bogen sie von der großen Straße ab auf eine unbefestigte Teerstraße und anschließen auf einen dreckigen Weg, der zu einem großen, offenen Feld führte. Als sie näher an ihr Ziel kamen, bekam sie ein unheilvolles Gefühl.
Die Lichter ihres Autos erleuchteten den Weg, während sie vorsichtig den holprigen, dreckigen Weg entlangfuhr. Sie sah, dass bereits mehrere Polizeiautos vor Ort waren. Ein paar von ihnen waren auf die Mitte des Feldes gerichtet, ihre Scheinwerfer beleuchteten einen grausigen und doch bekannten Anblick.
So sehr sie es auch unterdrücken wollte, zuckte sie trotzdem zusammen.
„Oh mein Gott“, sagte Porter.
Mackenzie parkte, löste ihren Blick jedoch keine Sekunde von dem Anblick, stieg aus dem Auto aus und lief langsam los. Das Gras auf dem Feld war hoch, es reichte ihr an manchen Stellen an ihre Knie, und sie konnte den leicht plattgetretenen Pfad sehen, den die Polizisten genommen hatten. Es waren zu viele Polizisten hier, sie machte sich bereits Sorgen, dass die Spuren am Fundort verwischt waren.
Sie schaute auf und atmete scharf ein. Es war eine weitere Frau, die nichts außer ihrer Unterwäsche trug, und an eine etwa zweieinhalb Meter hohe Stange gebunden war. Diesmal war die Frau auf eine Weise festgebunden, die bei Mackenzie unwillkürlich Erinnerungen an ihre Schwester aufkommen ließ. Steph war ebenfalls eine Stripperin gewesen. Mackenzie war sich nicht sicher, was Steph heutzutage machte, aber es war zu einfach, sich vorzustellen, dass auch sie so enden könnte.
Als Mackenzie an das Opfer herantrat, schaute sie sich am Tatort um und zählte insgesamt sieben Polizisten. Zwei standen an der Seite und sprachen mit zwei Jugendlichen. Ein paar Meter von der Stange und dem Opfer entfernt stand Nelson, der gerade mit jemandem telefonierte. Als er sie sah, winkte er sie zu sich herüber und beendete schnell seinen Anruf.
„Hat der Besuch im Stripclub etwas ergeben?“, fragte Nelson.
„Nein, Sir“, antwortete Mackenzie. „Ich bin überzeugt davon, dass Avery nichts mit der Sache zu tun hatte. Er hat uns die Namen und Telefonnummern aller seiner Angestellten angeboten, falls wir sie brauchen, aber ich denke nicht, dass wir seine Hilfe benötigen werden.“
„Wir benötigen die Hilfe von jedem“, entgegnete Nelson, der die Stange anschaute und den Eindruck machte, als müsse er sich gleich übergeben.
Mackenzie näherte sich der Leiche und sah sofort, dass sich diese in sogar noch schlechterem Zustand befand als die von Hailey Lizbrook. Zum einen gab es eine große Schwellung und Verfärbungen auf der linken Gesichtshälfte. In und um das Ohr konnte sie ebenfalls getrocknetes Blut sehen. Die Striemen auf ihrem Rücken schienen von derselben Waffe verursacht worden zu sein, nur waren sie diesmal heftiger und öfter ausgeführt worden.
„Wer hat die Leiche gefunden?“, wollte Porter wissen.
„Die beiden Kinder dort drüben“, sagte Nelson und deutete in die Richtung der Polizisten, die immer noch mit den zwei Jugendlichen sprachen. „Sie haben zugegeben, hierhergekommen zu sein, um Gras zu rauchen. Sie meinten, dass sie es schon seit ungefähr einem Monat so machen. Aber heute Nacht fanden sie das hier.“
„Dieselbe Art der Leiche wie Hailey Lizbrook“, dachte Mackenzie laut. „Ich nehme an, wir können von demselben oder ähnlichen Beruf ausgehen.“
„Ich brauche Antworten, ihr zwei“, sagte Nelson. „Und ich brauche sie jetzt.“
„Wir geben unser bestes“, entgegnete Porter. „White ist in ihrem Element und – “
„Ich brauche Ergebnisse“, unterbrach ihn Nelson, der kurz vor einem Wutanfall stand. „White, ich werde bei diesem Fall sogar ihre außergewöhnlichen Denkansätze akzeptieren.“
„Könnte ich mir eine Taschenlampe ausleihen?“, fragte sie.
Nelson griff in seine Manteltasche und zog eine kleine Lampe heraus, die er ihr zuwarf. Sie fing sie auf, schaltete sie ein und begann, sich am Tatort umzusehen. Sie ignorierte Nelsons nervöses Gerede und ließ ihn seinen Dampf bei Porter ablassen.
Mit der ultragenauen Präzision, die in solchen Momenten einsetzte, verschwamm die Welt um sie herum, während sie nach Hinweisen suchte. Mehrere Dinge fielen ihr sofort auf. Zum Beispiel wusste sie, dass Nelson und die anderen Polizisten denselben abgetretenen Pfad verwendet hatte, um zu der Leiche zu kommen, damit sie keine Spuren verwischten. Neben ihrem Fußpfad, der von den Autos zur Leiche führte, gab es noch andere Abdrücke im Gras, vermutlich vom Mörder.
Sie ging etwas abseits des Pfades und beleuchtete mit der Taschenlampe das Feld um die Stange herum. Sie prägte sich alles ein, schaute zu den zwei Jugendlichen zurück und ging dann wieder zur Stange. Sie untersuchte die Leiche nach weiteren Hinweisen und kam zu dem Schluss, dass dieser Körper, genau wie der von Hailey Lizbrook, keine Anzeichen sexuellen Missbrauchs aufweisen würde.
Sie fragte sich, ob das Aufstellen des Pfahles mehr als nur ein dramatisches Element war. Etwas daran erschien ihr entschieden, fast so, als ob es für den Mörder eine Notwendigkeit wäre. Für einen kurzen Moment konnte sie ihn sehen, wie sich seine Hände auf die Stange legten und mit ihrer Arbeit begannen.
Er zieht ihn mit Stolz, vielleicht sogar über seinen Rücken. Mit der Aufgabe ist ein Kraftaufwand verbunden, eine Voraussetzung für die Morde. Sich mit der Stange abzumühen, sie zu diesem Ort zu bringen, ein Loch zu graben und sie darin zu versenken – all das hat eine schweißtreibende Befriedigung. Er bereitet den Ort für einen Mord vor. Das bereitet ihm genauso viel Befriedigung wie der Mord.
„Was denken Sie, White?“, fragte Nelson, der sie beim Umkreisen der Leiche beobachtete.
Mackenzie blinzelte, denn sie wurde abrupt aus den Gedanken an den Mörder gerissen. Sie erkannte, wie tief sie gerade in sich versunken war, was sie zum Erschauern brachte.
„Ein bisschen abseits kann man einen Pfad sehen, der entstand, als er die Stange vom Feldweg hierherzog“, antwortete sie. „Das bedeutet, dass die Stange vorher nicht hier war. Er hat sie mitgebracht. Und das bedeutet wiederum, dass er entweder einen Pickup oder eine Art Van fährt.“
„Das habe ich auch schon erkannt“, entgegnete Nelson. „Sonst noch was?“
„Nun ja, es ist schwer, nachts sicherzugehen“, meinte sie, „aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Täter das Opfer in etwas eingewickelt hatte, als er sie hierherbrachte.“
„Warum?“
„Ich sehe kein Blut auf dem Gras, aber auf den Wunden auf ihrem Rücken schon – vor allem um ihren Hintern herum – sie sind noch ziemlich feucht.“
Während Nelson die Information verdaute, ging Mackenzie hinter der Stange in die Hocke und drückte das Gras mit einer Hand nach unten. Mit der anderen leuchtete sie mit der Taschenlampe die Stange entlang.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie die Nummer sah: N511/J202.
Er verwendet ein Messer oder einen Meißel und gibt sich große Mühe, die Schnitzereien leserlich zu machen. Sie sind ihm wichtig und will, dass sie gesehen werden. Ob bewusst oder unbewusst, er will, dass jemand herausfindet, warum er das macht. Er will, dass jemand sein Motiv versteht.
„Chief?“, sagte sie.
„Ja, White?“
„Ich habe wieder diese Nummer gefunden.“
„Scheiße“, erwiderte Nelson, der zu ihr herüberkam. Er schaute nach untern und seufzte tief auf. „Irgendeine Idee, was sie bedeuten könnte?“
„Leider nein, Sir.“
„Okay“, sagte Nelson. Er hatte seine Hände in die Hüfte gestemmt und schaute wie ein geschlagener Mann zum Himmel hinauf. „Wir haben hier zwar ein paar Antworten, aber nichts, das uns weiterhilft. Ein Mann fährt einen Truck oder einen Can, hat Zugang zu Holzstangen und – “
„Warten Sie“, sagte Mackenzie. „Sie haben gerade etwas gesagt.“
Sie wandte sich wieder der Rückseite der Stange zu und beugte sich zu der Stelle, an der die Handgelenke der Frau mit dem Seil festgebunden waren.
„Was ist los?“, fragte Porter, der nähertrat, um einen Blick darauf zu werfen.
„Können Sie Knoten binden?“, fragte sie.
„Nicht sonderlich viele.“
„Aber ich“, warf Nelson ein, der nun ebenfalls darauf schaute. „Was haben Sie entdeckt?“
„Ich bin mir sicher, dass es derselbe Knoten ist, der auch bei Hailey Lizbrook verwendet wurde.“
„Und wenn schon?“, meinte Porter.
„Er ist ungewöhnlich“, erwiderte Mackenzie. „Können Sie so einen Knoten binden? Ich nämlich nicht.“
Porter schaute sich ihn noch einmal ratlos an.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein Matrosenknoten ist“, sagte Nelson.
„Das dachte ich mir auch“, meinte Mackenzie. „Es mag vielleicht unwahrscheinlich erscheinen, aber ich würde in Betracht ziehen, dass unser Mörder sich womöglich mit Booten auskennt. Vielleicht lebt er am Wasser oder hat irgendwann einmal am Wasser gelebt.“
„Er fährt einen Truck oder Van, lebt am Wasser und hat Mami-Komplexe“, schloss Nelson. „Nicht sonderlich viel, aber besser als gestern.“
„Und wenn man die ritualhafte Natur der Morde betrachtet“, fügte Mackenzie hinzu, „und die kurze Zeit zwischen den beiden, können wir nur annehmen, dass er bald wieder zuschlagen wird.“
Sie drehte sich um und sah ihn mit ernstem Gesicht an.
„Mit allem Respekt, Sir, aber ich denke, wir sollten das FBI einschalten.“
Er zog die Augenbrauen zusammen.
„White, deren Prozesse würden uns langsamer machen. Wir hätten zwei neue Leichen, bevor sie jemanden zu uns heraus senden.“
„Ich denke, es ist einen Versuch wert“, meinte sie. „Das ist eine Nummer zu groß für uns.“
Sie hatte es zuzugeben, aber Nelsons Gesichtsausdruck sagte ihr, dass er ihr Recht gab. Er nickte und schaute zurück zu der Leiche an der Stange. „Ich werde anrufen“, sagte er schließlich.
Hinter ihnen hörten sie das deutliche Fluchen von einem der Polizisten. Sie drehten sich alle um, um zu sehen, was los war, und sahen das wacklige Leuchten von sich nähernden Scheinwerfern.
„Wer zur Hölle ist das?“, fragte Nelson. „Niemand sonst sollte davon wissen und – “
„Es sind Journalisten“, sagte der Polizist, der geflucht hatte.
„Wie?“, verlangte Nelson. „Verdammt, wer gibt diesen Idioten Informationen?“
Der Tatort brach in Hektik aus, als Nelson versuchte, ihn auf das Eintreffen der Journalisten vorzubereiten. Er war stinksauer und machte den Eindruck, als würde sein Kopf jeden Moment explodieren. Mackenzie nutzte die Gelegenheit, um so viele Bilder wie möglich zu machen: von den eingedrückten Bereichen des Feldes, dem Knoten am Handgelenk des Opfers, der Nummer am unteren Ende der Stange.
„White, Porter, geht zurück zur Polizeiwache“, befahl Nelson.
„Aber Sir“, widersprach Mackenzie. „Wir müssen doch noch – “
„Tun Sie einfach, was ich sage“, unterbrach er sie. „Ihr zwei seid die Ermittler dieses Falles und wenn die Medien davon Wind bekommen, werden sie sich an euch dranhängen und euch nur Zeit kosten. Verschwindet jetzt.“
Es war ein logischer Gedanke und Mackenzie folgte seinem Befehl. Doch als sie mit Porter zum Auto zurückkehrte, kam ihr ein anderer Gedanke. Sie wandte sich an noch einmal an Nelson und sagte: „Sir, ich denke, wir sollten das Holz dieser und der letzten Stange untersuchen lassen. Besorgen Sie eine Probe und schicken Sie sie ins Labor. Vielleicht sagt uns das verwendete Holz etwas Neues.“
„Guter Gedanke, White“, sagte er. „Und jetzt weg hier.“
Mackenzie tat, was er sagte, denn sie sah, dass noch zwei weitere Paar Scheinwerfer dem ersten folgten. Der erste gehörte zu einem Van mit der Aufschrift WSQT auf der Seite. Er hatte gerade erst gegenüber den Polizeiautos geparkt. Ein Reporter und ein Kameramann stürmten heraus und Mackenzie kam nicht umhin, sie mit Geiern zu vergleichen, die auf Jagd waren.
Als sie ins Auto stiegen, sie saß wieder hinter dem Steuer, sprangen weitere Journalisten aus dem Van und begannen, Bilder zu schießen. Mackenzie war schockiert, dass eine Kamera in ihre Richtung gedreht war. Sie senkte ihren Kopf, setzte sich ins Auto und startete den Motor. Währenddessen sah sie, dass drei Polizisten bereits zum Nachrichtenvan stürmten, Nelson in der Mitte.
Sie fuhren davon, doch Mackenzie wusste, dass es schon zu spät war.
Morgen früh würde ihr Bild auf der Titelseite aller Zeitungen sein.
KAPITEL ELF
Es stellte sich heraus, dass Nelson beim FBI falsch gelegen hatte. Mackenzie wurde im 6:35 morgens angerufen mit dem Befehl, zum Flughafen zu fahren, um den eingeflogenen Agenten abzuholen. Sie musste sich beeilen, denn der Flug kam um 8:05 an und es war ihr peinlich, dass sie für den ersten Eindruck nicht einmal ihre Frisur richten konnte.
Ihr Haar war jedoch ihre geringste Sorge, als sie in einem unbequemen Flughafenstuhl saß und am Gate wartete. Sie trank eine Tasse Kaffee, in der Hoffnung, sich von der Tatsache abzulenken, dass sie in der Nacht zuvor nur fünf Stunden geschlafen hatte. Es war ihre dritte Tasse an diesem Morgen und sie wusste, dass sie zappelig werden würde, wenn sie nicht langsamer machte. Aber sie konnte es sich nicht leisten, müde und nachlässig zu sein.
Sie war in ihrem Kopf alles durchgegangen, während sie darauf wartete, dass der Agent das Flugzeug verließ. Sie hatte die scheußliche Szene von vergangener Nacht noch einmal mental abgespielt. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie etwas übersehen hatte. Hoffentlich würde der FBI Agent helfen können, den Durchblick zu bekommen.
Nelson hatte ihr die Akte des Agenten per E-Mail geschickt, die sie während des Frühstücks, bestehend aus einer Banane und einer Schüssel Haferflocken, schnell durchgelesen hatte. Deshalb erkannte sie den Agenten sofort, als er von der Fluggastbrücke stieg und den Flughafen betrat. Jared Ellington, einunddreißig Jahre alt, ein Georgetown Absolvent mit einem Hintergrund, zu dem das Profiling in der Terrorbekämpfung gehörte. Sein dunkles Haar war wie auf dem Bild zurück gegelt und sein Anzug kennzeichnete ihn als jemanden, der gerade im Dienst war.
Mackenzie ging durch die Halle, um ihn zu begrüßen. Sie hasst die Tatsache, dass ihre Gedanken immer wieder zu ihrem dämlichen Haar zurückkehrten. Sie war erschöpft und neben der Spur, da sie heute Morgen früher zum Dienst gerufen worden war. Außerdem hatte sie sich noch nie viel aus ersten Begegnungen gemacht und sich nie zu sehr um ihr Erscheinungsbild geschert. Warum also jetzt?
Vielleicht, weil er vom FBI war, eine Behörde, die sie verehrte. Oder vielleicht, weil sie von seinem Aussehen überwältig war. Sie hasst sich dafür, nicht nur wegen Zack, sondern wegen der grässlichen Natur ihrer Arbeit.
„Agent Ellington“, sagte sie mit ausgestreckter Hand. Sie zwang sich, ihren Ton so professionell wie möglich zu halten. „Ich bin Mackenzie White, eine der Detectives, die an dem Fall arbeiten.“
„Schön, Sie kennenzulernen“, sagte Ellington. „Ihr Chief hat mir gesagt, dass Sie der Haupt-Detective des Falles sind. Stimmt das?“
Sie tat ihr Bestes, ihren Schock zu verbergen, und nickte.
„Das ist korrekt“, entgegnete sie. „Ich weiß, dass Sie gerade erst angekommen sind, aber wir müssen uns beeilen und zur Polizeiwache fahren.“
„Natürlich“, meinte er. „Nach Ihnen.“
Sie führte ihn durch den Flughafen und hinaus auf den Parkplatz. Währenddessen waren sie still und Mackenzie nutzte die Zeit, um ihn zu mustern. Er schien relativ entspannt zu sein, nicht steif und starr wie andere Agenten, die sie kennengelernt hatte. ER schien ebenfalls sehr ernst und intensiv zu sein. Er hatte eine weitaus professionellere Aura um sich als alle Männer, mit denen sie arbeitete.
Als sie auf die Autobahn fuhren und sich durch den morgendlichen Verkehr um den Flughafen herum kämpften, scrollte Ellington durch eine Reihe von E-Mails und Dokumenten auf seinem Handy.
„Sagen Sie mir, Detective White“, begann er. „Nach welcher Art Mensch denken Sie suchen wir? Ich habe die Notizen durchgesehen, die Chief Nelson mir gesandt hat, und muss sagen, dass Sie einen ziemlich schlauen Eindruck machen.“
„Danke“, erwiderte sie. Sie wollte das Kompliment schnell abwinken, weshalb sie hinzufügte: „Und wegen der Art des Täters denke ich, dass er einmal misshandelt wurde. Wenn man bedenkt, dass die Opfer nicht sexuell missbraucht, aber er hat sie bis auf die Unterwäsche ausgezogen und es deutet alles darauf hin, dass die Morde aus irgendeiner Form Rache gegen Frauen ausgeführt wurden, die ihm früher in seinem Leben Unrecht getan haben. Deshalb glaube ich, dass es ein Mann sein könnte, dem Sex peinlich ist oder der ihn zumindest eklig findet.“
„Ich sehe, du hat einen religiösen Kontext ausgeschlossen“, bemerkte Ellington.
„Nein, noch nicht. Die Art der Darstellung der Leichen erinnert an eine Kreuzigung. Außerdem gibt es ja noch die Tatsache, dass die Frauen, die er umbringt, die männliche Lust darstellen, weshalb man das noch nicht ausschließen kann.“
Er nickte und scrollte weiterhin durch sein Handy. Sie warf ihm Seitenblicke zu, während sie sich durch den Verkehr schlängelte, und war erstaunt, wie gut er aussah. Auf den ersten Blick war es kaum zu erkennen, aber Ellington hatte etwas Einfaches und doch Kantiges an sich. Er würde nie ein Anführer sein, doch er würde ein attraktives Mitglied im Team des Helden darstellen.
„Ich weiß, dass das unhöflich erscheint“, sagte er, „aber ich versuche sicherzustellen, dass ich mich bei dem Fall auskenne. Wie Sie sicher wissen, wurde er mir vor weniger als sechs Stunden zugewiesen. Es waren ein paar hektische Stunden.“
„Nein, das ist kein Problem“, erwiderte Mackenzie. Sie fand es erfrischen, mit einem Mann in einem Auto zu sitzen und keine Unterhaltung zu führen, die voller indirekter Beleidigungen und sexistischer Anspielungen war. „Was sind Ihre ersten Gedanken zu dem Mörder?“
„Meine große Frage ist, warum er die Leichen so darstellt“, antwortete Ellington. „Das führt mich zu der Annahme, dass es sich nicht einfach um eine persönliche Racheaktion handelt. Er will, dass die Menschen sein Werk sehen. Er will diese Frauen zu einem Spektakel machen, was darauf hindeutet, dass er stolz auf seine Taten ist. Ich würde sogar so weit gehen, um anzunehmen, dass er denkt, der Welt einen Gefallen zu tun.“
Als sie der Polizeiwache näherkamen, verspürte Mackenzie leichte Aufregung. Ellington war das genaue Gegenteil von Porter und schien dieselbe Herangehensweise bezüglich des Profiling zu haben wie sie. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so frei ihre Meinung mit einem Kollegen geteilt hatte, ohne Gefahr zu laufen, ausgelacht oder nieder gemacht zu werden. Sie konnte bereits erkennen, dass man mit Ellington leicht reden konnte und dass er die Meinung von anderen schätzte. Und um ehrlich zu sein, schadete es auch nicht, dass er schön anzusehen war.
„Ich glaube, du bist auf der richtigen Spur“, sagte Ellington. „Unter uns, ich denke, dass wir diesen Kerl schnappen werden. Die Information über die Knoten, die Tatsache, dass er einen Van oder Truck fährt, und offensichtlich jedes Mal dieselbe Waffe verwendet, wir haben viel Hinweise. Ich freue mich schon, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, Detective White.“
„Ebenso“, entgegnete sie, während sie ihm aus den Augenwinkeln einen Blick zuwarf. Er las sich jedoch weiterhin pflichtbewusst seine E-Mails auf dem Handy durch.
Ihre Aufregung steigerte sich immer mehr, sie war so motiviert wie schon lange in ihrem Arbeitsleben nicht mehr. Sie fühlte sich inspiriert, belebt – und hatte das Gefühl, das sich in ihrem Leben etwas verändern würde.
*
Ein bisschen mehr als eine Stunde später wurde Mackenzie schnell wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt, als sie beobachtete, wie Agent Jared Ellington im Konferenzraum vor lauter Polizisten stand, die offensichtlich der Meinung waren, seine Hilfe nicht zu benötigen. Ein paar von ihnen schrieben sich Notizen auf, doch im Raum lag eine Spannung, die sich auf den Gesichtern von allen Anwesenden widerspiegelte. Se bemerkte, dass Nelson fast am Ende des Konferenztisches saß und einen nervösen und unwohlen Eindruck machte. Er hatte immerhin das FBI angerufen und er war sich nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen war.
Währenddessen tat Ellington sein Bestes, um den Raum zu kontrollieren, während er dasselbe Material durchging, dass er und Mackenzie auf dem Weg von Flughafen diskutiert hatten – dass sie nach einem Mörder suchten, der möglicherweise eine Abneigung gegen Sex hatte und stolz auf seine Morde war. Er besprach ebenfalls alle Hinweise, die sie hatten, und was sie bedeuten könnten. Erst als er darüber sprach, das Holz der Stangen analysieren zu lassen, bekam er irgendeine Art Reaktion der Polizisten, die um den Tisch herumsaßen.
„Was die Holzproben betrifft“, sagte Nelson. „Wir sollten die Ergebnisse in ein paar Stunden erhalten.“
„Was soll das überhaupt bringen?“, fragte Porter.
Nelson schaute zu Mackenzie und nickt, womit er ihr die Erlaubnis gab, die Frag zu beantworten. „Nun ja, mit den Ergebnissen können wir die Holzfällerunternehmen unter die Lupe nehmen und nachforschen, ob jemand in letzter Zeit Stangen dieser bestimmen Holzart gekauft hat.“
„Hört sich weit hergeholt an“, warf ein älterer Polizist am Ende des Raumes ein.
„Das stimmt“, sagte Ellington, der sofort wieder die Kontrolle übernahm. „Aber es ist besser als gar nichts. Und bitte, versteht die Situation nicht falsch, ich bin nicht hier, um die komplette Kontrolle über diesen Fall an mich zu reißen. Ich bin nur hier als ausschlaggebender Teil, um eine Lösung zu finden, um euch vollen Zugang zu den Ressourcen des FBI zu geben. Das beinhaltet Untersuchungen, Einsatzkräfte oder was auch immer ihr braucht, um diesen Mörder zu fassen. Ich bin nur für kurze Zeit hier – wahrscheinlich nicht länger als sechsunddreißig oder achtundvierzig Stunden – dann bin ich wieder weg. Das hier ist eure Chance, Jungs. Ich bin nur zur Unterstützung hier.“
„Wo fangen wir dann an?“, fragte ein anderer Polizist.
„Ich werde nach diesem Meeting mit Chief Nelson arbeiten, um euch angemessen aufzuteilen“, erklärte Ellington. „Wir werden einige von euch zu Hailey Lizbrooks Kolleginnen schicken. Soweit ich weiß, haben wir die endgültigen Autopsieergebnisse und die Informationen zu der Verstorbenen, die gestern Abend gefunden wurde. Sobald wir wissen, wer sie ist, müssen einige von euch ihre Familie und Freunde besuchen, um nach Informationen zu fischen. Wir müssen ebenfalls die örtlichen Holzbetriebe abklappern, wenn wir die Ergebnisse der Holzanalyse erhalten.“
Wieder bemerkte Mackenzie die steife Haltung der meisten Polizisten am Tisch. Ihr fiel es schwer zu glauben, dass sie so stolz (oder vielleicht zu faul) waren, um direkte Befehle von jemandem anzunehmen, den sie nicht gut kannten, egal, ob er vom Rang her über ihnen stand. War es so schwierig, sich von der Kleinstadt-Denkweise zu lösen? Das hatte sie sich oft gefragt, wenn sie seit ihrer Ankunft von den meisten Männern im Raum von oben herab behandelt wurde.
„Das ist alles für jetzt“, sagte Ellington. „Gibt es Fragen?“
Natürlich nicht. Nelson sprang jedoch auf die Füße und stellte sich neben Ellington an den Kopf des Tisches.
„Agent Ellington wird mit Detective White arbeite, wenn ihr ihn braucht, könnt ihr ihn also in ihrem Büro finden. Ich weiß, das ist ein wenig unorthodox, aber lasst es uns annehmen und die Großzügigkeit des FBIs nutzen.“
Während die Polizisten aufstanden und hinausgingen, ertönte zustimmendes Gemurmel. Mackenzie bemerkte, dass ein paar von ihnen sie mit sogar noch mehr Tadel und Angst ansahen als normal. Sie wandte ihren Blick ab, als sie aufstand und zu Nelson und Ellington trat.
„Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“, fragte Mackenzie Nelson.
„Was meinen Sie?“
„Mir werden gemeinere Blicke als üblich zugeworfen“, erklärte sie.
„Gemeine Blicke?“, hakte Ellington ein. „Warum bekommen Sie normalerweise gemeine Blicke?“
„Weil ich eine zielstrebige, jüngere Frau bin, die ihre Meinung sagt“, erwiderte Mackenzie. „Die Männer hier mögen so etwas nicht. Einige von ihnen denken, dass ich zuhause in der Küche sein sollte.“
Nelson war die Sache sichtbar peinlich und er schien auch etwas verärgert zu sein. Sie dachte, dass er vielleicht etwas sagen würde, um sich selbst und seine Polizisten zu verteidigen, doch dazu bekam er keine Chance. Porter trat zu ihnen und klatschte die heutige Ausgabe der örtlichen Zeitung auf den Tisch.
„Ich denke, das ist der Grund für die gemeinen Blicke“, sagte er.
Auf der Titelseite stand „VOGELSCHEUCHEN-MÖRDER IMMER NOCH AUF FREIEM FUSS“. Darunter gab es einen Untertitel: „Überforderte Polizei scheint nicht weiter zu kommen, da ein neues Opfer gefunden wurde.“
Auf dem dazugehörigen Bild war zu sehen, wie Mackenzie in das Auto einstieg, mit dem sie und Porter gestern zu dem Feld gefahren waren. Der Fotograf hatte die komplette linke Seite ihres Gesichtes erwischt. Das Ironische an der Sache war, dass sie auf dem Bild sogar richtig gut aussah. Ob sie es nun zugeben wollte oder nicht, dieses Bild direkt unter der Schlagzeile betitelte sie als Gesicht der Ermittlung.
„Das ist nicht fair“, sagte sie und hasste den Klang dieser Worte aus ihrem Mund.
„Die Jungs denken, du geilst dich an den Bildern auf“, bemerkte Porter. „Sie denken, dass du so versessen darauf bist, den Fall zu lösen, weil du die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit willst.“
„Denken Sie das etwa auch?“, fragte Nelson.
Porter trat einen Schritt zurück und seufzte. „Nein. White hat sich mir in den letzten Tagen bewiesen. Sie will diesen Kerl fangen, egal wie.“
„Warum trittst du dann nicht für sie ein?“, wollte Nelson wissen. „Misch dich ein wenig ein, während wir auf die Identifizierung des neuen Opfers und die Ergebnisse der Holzanalyse warten.“
Porter, der aussah, wie ein kleines Kind, das gerade für eine Lüge gescholten worden war, sagte: „Ja, Sir.“ Er verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Nelson schaute zurück auf das Papier und dann zu Mackenzie. „Ich würde Ihnen raten, das Beste daraus zu machen. Wenn die Medien den Ermittlungen ein hübsches Gesicht geben wollen, dann lassen wir sie. Es wird Sie viel besser dastehen lassen, wenn Sie diesen Bastard verhaften.“
„Ja, Sir.“
„Agent Ellington, was brauchen Sie von mir?“, fragte Nelson.
„Nur Ihren besten Detective.“
Nelson grinste und deutete auf Mackenzie. „Sie schauen sie gerade an.“
„Dann sind wir uns ja einig.“
Nelson ging aus dem Konferenzzimmer und ließ Ellington und Mackenzie alleine. Diese begann, ihren Laptop und ihre Aufzeichnungen einzupacken, während sich Ellington im Raum umsah. Es war offensichtlich, dass er sich fehl am Platze fühlte und nicht sicher war, wie er damit umgehen sollte. Sie fühlte sich ebenfalls ein wenig fehl am Platze. Sie war froh, dass alle gegangen waren. Sie genoss es, mit ihm alleine zu sein, es gab ihr das Gefühl, einen Vertrauten in all dem zu haben, jemanden, der sie als gleichberechtigt ansah.
„Also“, meinte er, „sie schauen wirklich auf dich herab, weil du jung und eine Frau bist?“
Sie zuckte mit den Schultern.
„Es scheint so. Ich habe gesehen wie Neulinge – Männer – hereinkamen, die etwas gehänselt wurden, aber sie werden nicht so herablassend behandelt wie ich. Ich bin jung, motiviert und, laut einigen von ihnen, ganz hübsch anzusehen. Irgendetwas an dieser Kombination scheint sie abzuschrecken. Es ist einfacher für sie, mich als überehrgeizige Zicke hinzustellen, anstatt mich als Frau zu sehen, die noch keine dreißig ist und doch schon eine strengere Arbeitsethik hat als sie.“
„Das ist bedauerlich“, sagte er.
„Ich habe in den vergangenen Tagen eine leichte Veränderung gespürt“, fügte sie hinzu. „Vor allem Porter scheint sich daran zu gewöhnen.“
„Nun gut, lassen Sie uns den Fall aufklären und sie alle zur Vernunft bringen.“ „Können Sie dafür sorgen, dass alle Fotos von beiden Tatorten in Ihr Büro gebracht werden?“
„Ja“, erwiderte sie. „Treffen Sie mich dort in zehn Minuten.“
„Verstanden.“
Mackenzie beschloss, dass sie Jared Ellington ein bisschen zu sehr mochte als gut für sie war. Die nächsten Tage mit ihm zusammenzuarbeiten würde herausfordernd und interessant werden – aber nicht wegen dem Fall, an dem sie gemeinsam arbeiteten.