Kitabı oku: «Verschwunden», sayfa 11
Kapitel 22
Trotz Rileys wiederholter Rufe kam keine Antwort von Marie. Sie hörte keine Geräusche im Haus außer denen, die sie selbst machte. Das Haus fühlte sich leer an. Sie erklomm vorsichtig die Treppe nach oben und sah durch eine der offenen Türen.
Als sie um die Ecke kam, blieb Riley das Herz stehen.
Dort war Marie. Sie hing in der Luft, gehalten von einer Kordel um ihren Hals, die an der Lampe an der hohen Decke befestigt war. Eine umgestürzte Trittleiter lag auf dem Boden unter ihr.
Die Zeit schien stillzustehen während Rileys Verstand sich weigerte die Realität anzunehmen.
Dann gaben ihre Knie nach und sie musste sich am Türrahmen festhalten. Ihr entfuhr ein langer, harscher Schrei.
“NEEEEEEIN!”
Sie rannte durch den Raum, stellte die Trittleiter auf und erklomm sie so schnell sie konnte. Sie schlang ihre Arme um Maries Körper um den Druck zu erleichtern und suchte nach einem Puls an Maries Hals.
Riley liefen nun die Tränen über das Gesicht. Sei am Leben, Marie. Sei am Leben, verdammt nochmal.
Aber es war zu spät. Maries Genick war gebrochen. Sie war tot.
“Mein Gott,” sagte Riley und brach auf der Leiter zusammen. Ein scharfer Schmerz durchfuhr sie tief in ihrem Bauch. Sie wollte hier neben ihr sterben.
Riley wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, bis sie Geräusche aus dem Erdgeschoss hörte. Der Rettungsdienst war angekommen. Eine vertraute Reaktion setzte ein und menschliche Angst und Trauer wurden durch eine kalte, professionelle Effizienz ersetzt.
“Hier oben!” rief sie.
Sie fuhr sich mit ihrem Ärmel über das Gesicht um ihre Tränen abzuwischen.
Fünf schwer bewaffnete, Schutzwesten tragende Polizisten kamen die Treppen hochgestürmt. Die Frau an der Spitze war sichtlich überrascht Riley zu sehen.
“Ich bin Polizeibeamtin Rita Graham, Teamleitung,” sagte sie. “Wer sind Sie?”
Riley stieg von der Leiter und zeigte ihre Marke. “Spezialagentin Riley Paige, FBI.”
Die Frau sah sie unsicher an.
“Wie sind Sie vor uns hier angekommen?”
“Sie war eine Freundin von mir,” erwiderte Riley mit professioneller Stimme. “Ihr Name war Marie Sayles. Sie hat mich angerufen. Sie hat mir gesagt, dass etwas nicht stimmt und ich war bereits unterwegs, als ich angerufen habe. Ich habe es nicht rechtzeitig geschafft. Sie ist tot.”
Die angekommenen Rettungssanitäter untersuchten Marie und bestätigten Rileys Aussage.
“Selbstmord?” fragt Rita Graham.
Riley nickte. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass Marie sich selbst getötet hatte.
“Was ist das?” Die Teamleiterin zeigte auf eine gefaltete Karte, die auf einem Nachtschrank neben dem Bett stand.
Riley sah sich die Karte an. In einer kaum entzifferbaren Schrift stand dort die Nachricht:
Es ist der einzige Weg.
“Ein Abschiedsbrief?”
Riley nickte düster. Aber sie wusste dass es nicht die übliche Art von Abschiedsbrief war. Es war keine Erklärung und es war definitiv keine Entschuldigung.
Es ist ein Rat, dachte Riley. Ein Rat für mich.
Das Team machte sich Notizen und Fotos. Riley wusste, dass sie auf den Gerichtsmediziner warten würden, bevor sie die Leiche bewegten.
“Lassen Sie uns unten reden,” sagte die Teamleiterin. Sie führte Riley in das Wohnzimmer, setzte sich auf einen Stuhl und bedeutete Riley sich ebenfalls zu setzen.
Die Gardinen waren zugezogen und es brannte kein Licht. Riley wollte sie aufreißen und endlich Sonnenlicht hereinlassen, aber sie wusste, dass sie nichts verändern durfte. Sie setzte sich auf das Sofa.
Graham schaltete die Lampe neben ihrem Stuhl an.
“Erzählen Sie mir, was passiert ist,” bat die Polizistin während sie ihren Notizblock und Stift herausnahm. Obwohl sie das harte Gesicht eines erfahrenen Polizisten hatte, fand sich ein mitfühlender Blick in ihren Augen.
“Sie war das Opfer einer Entführung,” sagte Riley. “Vor etwa acht Wochen. Wir waren beide Opfer. Sie haben vielleicht davon gelesen. Der Sam Peterson Fall.”
Grahams Augen weiteten sich.
“Oh mein Gott,” sagte sie. “Der Typ, der all diese Frauen gefoltert und getötet hat, der Typ mit der Lötlampe. Also waren Sie das – die Agentin, die entkommen ist und ihn in die Luft gejagt hat?”
“Richtig,” sagte Riley. Dann, nach einer Weile fuhr sie fort, “das Problem ist, ich bin mir nicht wirklich sicher, dass ich ihn in die Luft gejagt habe. Ich bin nicht überzeugt, dass er tot ist. Marie hat es nicht geglaubt. Das hat sie am Ende nicht verkraftet. Sie konnte es nicht ertragen nicht zu wissen. Und vielleicht hat er sie tatsächlich wieder gestalkt.”
Die Worte kamen automatisch, als hätte sie sie eingeübt. Sie fühlte sich vollkommen losgelöst von der Szene und hörte sich zu, wie sie von den schrecklichen Ereignissen berichtete.
Nachdem sie Graham geholfen hatte den Fall besser zu verstehen, gab sie ihr die Kontaktdaten für Maries Angehörige. Aber während sie redete, fühlte sie wie Ärger sich hinter der Maske ihrer Professionalität anstaute – eine kalte, eisige Wut. Peterson hatte ein weiteres Opfer gefordert. Es war egal, ob er tot oder lebendig war. Er hatte Marie getötet.
Und Marie war in der absoluten Gewissheit gestorben, dass Riley verdammt dazu war sein nächstes Opfer zu sein, ob durch seine oder ihre eigene Hand. Riley wünschte sich, sie könnte Marie packen und diesen elenden Gedanken aus ihr herauszuschütteln.
Das ist nicht der einzige Weg! wollte sie ihr zurufen.
Aber glaubte sie das wirklich? Riley war sich nicht sicher. Es schien in letzter Zeit zu viel zu geben, was sie nicht wusste.
Der Gerichtsmediziner kam während sie sich noch unterhielten. Graham stand auf um ihn zu begrüßen. Dann drehte sie sich zu Riley um und sagte, “Ich bin für ein paar Minuten oben. Bleiben Sie bitte noch eine Weile hier, damit wir noch einmal alles durchgehen können.”
Riley schüttelte den Kopf.
“Ich muss gehen,” sagte sie. “Da ist jemand, mit dem ich reden muss.” Sie zog eine ihrer Visitenkarten heraus und legte sie auf den Tisch. “Sie könne mich hier erreichen.”
Die Polizistin begann zu widersprechen, aber Riley gab ihr keine Chance; sie stand auf und verließ Maries dunkles Haus. Sie hatte etwas Dringendes zu erledigen.
*
Eine Stunde später war Riley auf dem Weg nach Westen ins ländliche Virginia.
Will ich das wirklich tun? fragte sie sich selbst.
Sie war erschöpft. Sie hatte in der letzten Nacht nicht gut geschlafen und sie hatte einen ganz realen Albtraum durchlebt. Gott sei Dank hatte sie in der Zwischenzeit mit Mike gesprochen. Er hatte ihr geholfen stabil zu bleiben, aber sie war sich sicher, dass er nicht gut heißen würde was sie nun vorhatte. Sie war sich selbst nicht sicher, ob sie bei klarem Verstand war.
Sie nahm den schnellsten Weg von Georgetown zu Senator Mitch Newbroughs Herrenhaus. Der narzisstische Politiker hatte einige Fragen zu beantworten. Er versteckte etwas, etwas, das sie zu dem wahren Mörder führen könnte. Und das machte ihn teilweise verantwortlich für das neue Opfer.
Riley wusste, dass sie auf Ärger zusteuerte. Es war ihr egal.
Es war später Nachmittag als sie vor dem großen Herrenhaus anhielt. Sie parkte, stieg aus und ging zu den riesigen Eingangstüren. Nachdem sie geklingelt hatte, wurde sie von einem formell gekleideten Mann empfangen – sie nahm an es handelte sich um Newbroughs Butler.
“Was kann ich für Sie tun, meine Dame?” fragte er steif.
Riley zeigte ihm ihre Marke.
“Spezialagentin Riley Paige,” sagte sie. “Der Senator kennt mich. Ich muss mit ihm reden.”
Mit einem skeptischen Blick drehte sich der Butler weg. Er sprach leise in ein Funkgerät. Dann wandte er sich ihr mit einem leicht abschätzigen Grinsen wieder zu.
“Der Senator wünscht Sie nicht zu sehen,” sagte er. “Einen guten Tag, Madam.”
Aber bevor er die Tür schließen konnte, drängte sie sich an ihm vorbei und ging ins Haus.
“Ich werde den Sicherheitsdienst verständigen,” rief der Butler ihr nach.
“Tun Sie das,” rief sie über ihre Schulter zurück.
Riley hatte keine Ahnung wo sie nach dem Senator suchen sollte. Er könnte überall sein. Aber sie nahm an, dass es nichts ausmachen würde. Wahrscheinlich konnte sie ihn dazu bringen zu ihr zu kommen.
Sie ging in das Wohnzimmer, in dem sie ihn das erste Mal gesehen hatte und ließ sich auf die große Couch fallen. Sie hatte vor es sich hier gemütlich zu machen bis der Senator sich zeigte.
Nur Sekunden später kam ein großer Mann in einem schwarzen Anzug in den Raum. Riley erkannte an seinem Verhalten, dass er der Sicherheitsmann des Senators sein musste.
“Der Senator verlangt, dass sie gehen,” sagte er und verschränkte die Arme.
Riley bewegte sich nicht. Sie betrachtete den Mann von Kopf bis Fuß und schätzte ein, wie groß die Bedrohung wirklich war, die von ihm ausging. Er war groß genug um vermutlich in der Lage zu sein sie mit Gewalt zu entfernen. Aber ihre eigenen Selbstverteidigungskräfte waren sehr gut. Falls er sich mit ihr anlegen sollte, würde mehr als nur einer von ihnen verletzt werden und wahrscheinlich würden einige der Antiquitäten des Senators zu Bruch gehen.
“Ich hoffe die haben Ihnen gesagt, dass ich vom FBI bin,” sagte sie und blickte ihm direkt in die Augen. Sie bezweifelte sehr, dass er seine Waffe gegen einen FBI Agenten richten würde.
Der Mann ließ sich nicht einfach einschüchtern und starrte unbeeindruckt zurück. Aber er kam nicht weiter auf sie zu.
Riley hörte näherkommende Schritte und dann die Stimme des Senators.
“Was wollen Sie diesmal Agentin Paige? Ich bin ein beschäftigter Mann.”
Der Sicherheitsmann machte einen Schritt zur Seite als Newbrough hereinkam und vor ihr hielt. Sein fotogenes Politikerlächeln hatte einen sarkastischen Zug. Es war einen Moment still. Riley spürte sofort, dass es ein Kampf der Willensstärke werden würde. Sie war entschlossen sich nicht von dieser Couch zu bewegen.
“Sie hatten Unrecht, Senator,” sagte Riley. “Der Tod ihrer Tochter war nicht politisch – und auch nichts Persönliches. Sie haben mir eine Liste ihrer Feinde gegeben und ich bin sicher, dass Sie die auch ihrem Schoßhund im Büro weitergegeben haben.”
Newbroughs Lächeln verwandelte sich in ein spöttisches Grinsen.
“Ich nehme an Sie meinen Agent Carl Walder,” sagte er.
Riley wusste, dass ihre Wortwahl unbedacht gewesen war und sie sie bereuen würde. Aber in diesem Moment war es ihr egal.
“Die Liste war eine Zeitverschwendung, Senator,” sagte Riley. “Und in der Zwischenzeit wurde ein weiteres Opfer entführt.”
Newbrough stand unbewegt an seinem Platz.
“Ich habe gehört, dass das FBI eine Verhaftung vorgenommen hat,” sagte er. “Der Verdächtige hat gestanden. Aber er hat nicht viel gesagt, oder? Es gibt eine Verbindung zu mir, dessen können Sie sich sicher sein. Er wird es schon noch zu geben. Ich werde sicher gehen, dass Agent Walder am Ball bleibt.”
Riley versuchte ihr Erstaunen zu verstecken. Nach einer weiteren Entführung schien Newbrough immer noch zu denken, dass er das eigentliche Ziel des Mörders war. Das Ego dieses Mannes war ungeheuerlich. Seine Fähigkeit zu glauben, dass alles mit ihm zu tun hatte, kannte keine Grenzen.
Newbrough sah sie fast neugierig an.
“Aber sie scheinen mir aus irgendeinem Grund die Schuld zu geben,” sagte er. “Ich nehme daran Anstoß, Agentin Paige. Es ist nicht meine Schuld, dass ihre eigene Nutzlosigkeit zu der Entführung eines weiteren Opfers geführt hat.”
Rileys Gesicht prickelte vor Wut. Sie wagte es nicht zu antworten. Sie würde es sonst sicherlich bereuen.
Er ging zu der eingebauten Bar und goss sich selbst ein großes Glas Whisky ein – äußerst kostspieliger Whisky wie Riley annahm. Er schien einen Punkt machen zu wollen, indem er absichtlich nicht fragte, ob Riley etwas trinken wollte.
Riley wusste, dass es höchste Zeit war ihren Standpunkt klarzumachen.
“Das letzte Mal als ich hier war, gab es etwas, das Sie mir verheimlicht haben. Über Reba. Und ich denke es ist Zeit, dass sie mir sagen, was das war.”
Newbrough hielt ihrem intensiven Blick stand.
“Hat sie Puppen gemocht, Senator?” fragte Riley.
Newbrough zuckte mit den Schultern. “Ich nehme an, das tun alle kleinen Mädchen.”
“Ich meine nicht als kleines Mädchen. Ich meine als Erwachsene. Hat sie sie gesammelt?”
“Ich befürchte, das weiß ich nicht.”
Das waren die ersten Worte von Newbrough, die Riley ihm wirklich glaubte. Ein Mann, der so egozentrisch war, würde nichts über die Interessen und Vorlieben anderer wissen – nicht einmal wenn es seine eigene Tochter war.
“Ich möchte mit ihrer Frau reden,” sagte Riley.
“Auf keinen Fall,” schnappte Newbrough. Er änderte seinen Gesichtsausdruck – zu einem, den Riley oft in den Nachrichten gesehen hatte. Ähnlich wie sein Lächeln, war dieser Gesichtsausdruck sorgfältig einstudiert und zweifellos tausende Male vor dem Spiegel eingeübt. Er sollte rechtschaffene Empörung ausdrücken.
“Haben Sie keinerlei Anstand, Agentin Paige?” sagte er mit einer Stimme, die mit kalkulierter Wut zitterte. “Sie kommen in ein trauerndes Haus und bringen keinen Trost, keine Antworten für die hinterbliebene Familie. Stattdessen machen sie verhüllte Anschuldigungen. Sie machen unschuldigen Menschen Vorwürfe für ihre eigene Unfähigkeit.”
Er schüttelte den Kopf in einer Geste verletzter Rechtschaffenheit.
“Was für eine grausame kleine Frau Sie sind,” sagte er. “Sie müssen vielen Menschen fürchterlichen Schmerz verursacht haben.”
Riley fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Schlag in die Magengrube verpasst. Auf diese Taktik war sie nicht vorbereitet gewesen – dass er den Spieß umdrehte. Und er hatte ihre eigenen Schuldgefühle und Selbstzweifel getroffen.
Er weiß ganz genau, wie er mich treffen kann, dachte sie.
Sie wusste, dass sie sofort gehen musste, bevor sie etwas sagte oder tat, was sie bereuen würde. Er versuchte geradezu sie dazu anzustacheln. Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und ging zurück zur Haustür.
Sie hörte die Stimme des Senators hinter ihr herrufen.
“Ihre Karriere ist vorbei, Agentin Paige. Ich hoffe, Sie wissen das.”
Riley drängte sich an dem Butler vorbei und stürmte aus der Eingangstür. Sie sprang in ihren Wagen und fuhr los.
Wellen der Wut, Frustration und Erschöpfung brachen über sie herein. Das Leben einer Frau stand auf dem Spiel und niemand versuchte sie zu retten. Sie war sich sicher, dass Walder nur das Suchgebiet um Gumms Wohnung herum ausbreitete. Und Riley war sich genauso sicher, dass er am falschen Ort suchte. Es lag an ihr etwas zu tun. Aber sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Herzukommen hatte ihr sicherlich nicht geholfen. Konnte sie ihrem eigenen Urteil noch vertrauen?
Riley war noch keine zehn Minuten unterwegs als ihr Handy vibrierte. Sie sah auf das Display. Es war eine Nachricht von Walder und sie hatte keine Probleme zu erraten, worum es ging.
Zumindest hat der Senator keine Zeit verschwendet, dacht sie bitter.
Kapitel 23
Als Riley Quantico erreichte und in die Abteilung des BAU kam warteten sowohl Meredith als auch Bill auf sie in Walders Büro. Ihr wurde klar, dass Bill extra für dieses Treffen gerufen worden war.
Der leitende Spezialagent, Carl Walder, erhob sich von seinem Schreibtisch.
“Der Schoßhund des Senators?” sagte Walder, sein kindliches Gesicht verzerrt vor Wut.
Riley senkte die Augen. Sie war damit wirklich zu weit gegangen.
“Es tut mir leid, Sir,” sagte sie.
“Eine Entschuldigung wird nicht reichen, Agentin Paige,” sagte Walder. “Sie sind außer Kontrolle. Was haben Sie sich dabei gedacht zum Haus des Senators zu fahren und ihn so zu konfrontieren? Haben Sie irgendeine Ahnung was Sie damit angerichtet haben?”
Riley war sich sicher, dass Walder damit seine persönliche Verlegenheit meinte. Darüber konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen.
“Haben Sie Cindy MacKinnon schon gefunden?” fragte sie mit leiser Stimme.
“Nein, das haben wir nicht,” sagte Walder scharf. “Und wenn ich ehrlich bin, dann helfen Sie nicht gerade dabei.”
Riley war getroffen.
“Ich helfe nicht?” gab sie zurück. “Sir, ich habe ihnen wiederholt gesagt, dass sie den falschen Mann erwischt haben, dass Sie in der falschen Gegend—”
Riley stoppte sich selbst.
Es ging um das Leben von Cindy MacKinnon, nicht um Rileys anhaltenden Kampf mit Walder. Das war nicht der Moment für einen Kleinkrieg. Als sie weitersprach, war ihre Stimme milder.
“Sir, auch wenn ich das dringende Gefühl habe, dass er etwas verheimlicht, war er falsch von mir den Senator zu besuchen, ohne das mit Ihnen abzuklären. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Aber vergessen wir mich für einen Moment. Die arme Frau wird seit über vierundzwanzig Stunden vermisst. Was wenn ich recht habe und jemand anderes sie gefangen hält? Was macht sie jetzt gerade durch? Wie lange hat sie noch?”
Mit vorsichtiger Stimme fügte Bill hinzu, “Wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, Sir.”
Walder setzte sich wieder und sagte für einen Moment nichts. Riley konnte an seinem Gesichtsausdruck sehen, dass ihn diese Möglichkeit ebenfalls beunruhigte. Dann sprach er sehr langsam und gab jedem Wort ein besonderes Gewicht.
“Das Büro wird sich darum kümmern.”
Riley wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie verstand nicht einmal, was Walder sagen wollte. Erkannte er seinen möglichen Fehler an? Oder war er entschlossen nicht von seinem jetzigen Pfad abzuweichen?
“Setzen Sie sich, Agentin Paige,” sagte Walder.
Riley setzte sich in den Stuhl neben Bill, der sie mit wachsender Besorgnis ansah.
Walder sagte, “Ich habe gehört, was heute mit ihrer Freundin passiert ist, Agentin Paige.”
Riley zuckte zusammen. Sie war nicht überrascht, dass Walder von Maries Tod wusste. Schließlich würde die Information, dass sie als erste am Tatort gewesen war, die Runde im Büro machen. Aber warum sprach er jetzt davon? Hatte sie eine Spur von Sympathie in seiner Stimme gehört?
“Was ist passiert?” fragte Walder. “Warum hat sie es getan?”
“Sie ist nicht mehr damit fertig geworden,” flüsterte Riley.
“Konnte womit nicht mehr fertig werden?” fragte Walder.
Riley schwieg. Sie konnte keine Antwort auf die Frage formulieren.
“Ich habe gehört, Sie glauben nicht, dass Peterson tot ist,” sagte Walder. “Ich denke ich kann verstehen, warum Sie diesen Gedanken nicht abschütteln können. Aber Sie müssen doch wissen, dass es keinen Sinn macht.”
Eine weitere Pause.
“Haben Sie Ihrer Freundin davon erzählt?” fragte Walder. “Haben Sie ihr von dieser besessenen Idee von Ihnen erzählt?”
Riley wurde rot. Sie wusste, was als nächstes kommen würde.
“Sie war zu zerbrechlich dafür, Agentin Paige,” sagte Walder. “Sie hätte wissen müssen, dass es sie dazu treiben würde. Sie hätten ein besseres Urteilsvermögen beweisen müssen. Aber ehrlich gesagt geht ihr Urteilsvermögen den Bach runter. Es tut mir leid es so sagen zu müssen, aber es ist wahr.”
Er gibt mir die Schuld an Maries Tod, realisierte Riley.
Riley musste gegen die Tränen ankämpfen. Ob es Tränen aus Trauer oder Wut waren konnte sie nicht sagen. Sie hatte keine Ahnung was sie sagen sollte. Wo sollte sie anfangen. Sie hatte die Idee nicht in Maries Kopf gesetzt und sie wusste es. Aber wie konnte sie Walder dazu bringen das zu verstehen? Wie konnte sie erklären, dass Marie ihre eigenen Gründe dafür hatte an Petersons Tod zu zweifeln?
Bill mischt sich ein. “Sir, seien Sie etwas nachsichtiger, okay?”
“Ich denke, dass ich schon zu nachsichtig mit ihr war, Agent Jeffreys,” sagte Walder mit strenger Stimme. “Ich denke ich bin zu geduldig gewesen.”
Walder sah sie lange an.
“Geben Sie mir Ihre Waffe und Ihre Marke, Agentin Paige,” sagte er schließlich.
Riley hörte, wie Bill ungläubig nach Luft schnappte.
“Sir, das ist verrückt,” sagte Bill. “Wir brauchen sie.”
Aber Riley musste man das nicht zweimal sagen. Sie stand auf und nahm ihre Waffe und Marke ab. Sie legte sie auf Walders Schreibtisch.
“Sie können sich Zeit damit lassen Ihr Büro auszuräumen,” sagte Walder, seine Stimme ernst und gefühllos. “Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus. Und machen Sie mit Ihrer Therapie weiter. Sie brauchen sie.”
Riley drehte sich zur Tür und Bill stand auf, als wolle er mit ihr gehen.
“Sie bleiben, Agent Jeffreys,” verlangte Walder.
Riley sah Bill an. Mit einem Blick, der ihn warnte sich nicht zu widersetzen. Nicht dieses Mal. Er nickte ihr mit einem getroffenen Gesichtsausdruck zu. Dann verließ Riley das Büro. Während sie den Flur hinunterging fühlte sie sich kalt und taub und fragte sich, was sie jetzt tun sollte.
Als sie in die kalte Nachtluft trat fingen die Tränen an zu fließen. Aber sie war überrascht festzustellen, dass es keine Tränen der Verzweiflung sonder der Erleichterung waren. Das erste Mal seit Tagen fühlte sie sich befreit, frei von frustrierenden Beschränkungen.
Wenn niemand sonst bereit war zu tun, was nötig war, dann lag es weiterhin an ihr. Aber endlich würde ihr niemand mehr sagen wie sie ihren Job zu machen hatte. Sie würde den Mörder finden und Cindy MacKinnon retten – koste es, was es wolle.
*
Nachdem Riley, noch später als sonst, April abgeholt hatte und nach Hause gefahren war, konnte sie sich nicht dazu bringen Abendessen zu machen. Maries Gesicht verfolgte sie und sie fühlte sich erschöpfter als je zuvor.
“Es war ein anstrengender Tag,” erzählte sie April. “Ein fürchterlicher Tag. Ist es okay, wenn wir gegrillte Käse Sandwiches machen?”
“Ich habe nicht wirklich Hunger,” sagte April. “Gabriela stopft mich immer mit Essen voll.”
Riley spürte eine tiefe Verzweiflung. Wieder versagt, dachte sie.
Aber dann sah April ihre Mutter noch einmal an, diesmal mit einem Hauch von Mitgefühl.
“Käse Sandwiches sind okay,” sagte sie. “Ich mache das.”
“Danke,” sagte Riley. “Du bist ein Schatz.”
Sie fühlte sich ein klein wenig besser. Zumindest würde es heute Abend keinen Streit geben. Sie brauchte diese kleine Pause dringend.
Sie aßen schnell und schweigend, dann ging April in ihr Zimmer um Hausaufgaben zu machen und schlafen zu gehen.
So müde wie sie auch war, Riley hatte keine Zeit zu verlieren. Sie fing an zu arbeiten. Sie öffnete ihren Laptop, rief die Karte mit den Wohnorten der Opfer auf und druckte die Ausschnitte aus, die sie sich genauer angucken wollte.
Riley zog langsam ein Dreieck auf die Karte. Die Linien verbanden die drei Orte, an denen die Opfer gefunden worden waren. Der nördlichste Punkt markierte den Ort von Margaret Geratys Leiche. Im Westen lag der Fundort von Eileen Rogers in der Nähe von Daggett. Und schließlich war im Süden Mosby Park, in dem Reba Frye so sorgfältig positioniert worden war.
Riley umzirkelte das Gebiet wieder und wieder, während sie nachdachte. Eine andere Frau würde bald innerhalb dieses Gebiets gefunden werden – falls sie nicht schon tot war. Es gab wirklich keine Zeit zu verlieren.
Riley ließ den Kopf hängen. Sie war so müde. Aber das Leben der Frau stand auf dem Spiel. Und es schien nun vollkommen an ihr zu liegen sie zu retten – ohne offizielle Hilfe oder Absegnung. Sie hatte nicht einmal Bill, der ihr helfen konnte. Aber konnte sie diesen Fall wirklich alleine lösen?
Sie musste es versuchen. Sie musste es für Marie tun. Sie musste Maries Geist beweisen – und vielleicht auch sich selbst – dass Selbstmord nicht der einzige Ausweg war.
Riley sah stirnrunzelnd auf das Dreieck. Es war sehr wahrscheinlich, dass das Opfer irgendwo in diesem tausend Quadratmeilen großen Gebiet festgehalten wurde.
Ich muss nur am richtigen Platz suchen, dachte sie. Aber wo?
Sie wusste, dass sie das Suchgebiet eingrenzen musste, aber das würde nicht einfach sein. Zumindest war sie einigermaßen vertraut mit dem generellen Gebiet.
Der obere Teil des Dreiecks, in der Nähe von Washington, war hauptsächlich wohlhabend, hochpreisig und privilegiert. Riley war sich so gut wie sicher, dass der Mörder nicht aus dieser Art von Hintergrund kam. Außerdem musste er das Opfer an einem Ort festhalten, an dem es niemand schreien hören konnte. Das forensische Labor hatte keine Spuren gefunden, die darauf hinwiesen, dass die Frauen geknebelt worden waren. Riley strich die reichen Wohngebiete mit einem großen X durch.
Die beiden südlichen Punkte waren Parkgebiet. Hielt der Mörder die Frauen in einer gemieteten Jagdhütte oder auf einem Campingplatz?
Riley dachte darüber nach.
Nein, entschied sie. Das wäre zu vorübergehend.
Ihre Instinkte sagten ihr, dass dieser Mann aus seinem eigenen Haus heraus operierte – vielleicht ein Haus, wo er sein ganzes Leben verbracht und vielleicht eine ungewöhnlich schreckliche Kindheit erlebt hatte. Es würde ihm Spaß machen seine Opfer dort festzuhalten. Sie mit sich nach Hause zu nehmen.
Sie strich auch die Parkgebiete durch. Was übrig blieb war hauptsächlich Farmland und kleine Städte. Riley vermutete stark, dass sie nach einem Farmhaus in dieser Gegend suchte.
Sie sah sich die Karte wieder auf ihrem Computer an und vergrößerte dann das Gebiet, das für sie in Frage kam. Ihr Mut sank, bei dem Anblick der vielen kleinen Straßen. Wenn sie recht hatte, lebte der Killer auf einer heruntergekommenen alten Farm in diesem Labyrinth. Aber es gab zu viele Straßen um sie schnell mit dem Auto absuchen zu können. Außerdem war die Farm möglicherweise von der Straße aus gar nicht sichtbar.
Sie stöhnte frustriert auf. Die Situation schien mit jedem Augenblick hoffnungsloser zu werden. Der schreckliche Schmerz von Verlust und Versagen drohte sie zu überwältigen.
Aber dann sagte sie laut, “Puppen!”
Sie erinnerte sich an die Schlussfolgerung, zu der sie gestern gekommen war – das der Killer womöglich seine Opfer alle in dem gleichen Puppenladen gesehen hatte. Wo konnte dieser Laden sein?
Sie zeichnete eine weitere, kleinere Form auf die ausgedruckte Karte. Sie lag östlich von dem großen Dreieck und seine Linien verbanden die Wohnorte der vier entführten Frauen. Irgendwo in diesem Gebiet musste ein Laden sein, in dem alle Frauen eine Puppe gekauft hatten und dabei von dem Killer beobachtet worden waren. Sie musste erst diesen Laden finden, bevor sie den Ort finden konnte, wo er die Frauen gefangen hielt.
Wieder besah sie sich die Karte auf ihrem Computer und vergrößerte sie. Der östlichste Punkt des kleineren Gebiets lag nah an Riley Zuhause. Sie sah, dass eine Landstraße einen Bogen formte, der durch mehrere kleine Städte verlief, keine davon wohlhabend oder historisch. Das war genau die Art von Städten, nach denen sie suchte. Und jede davon hatte zweifellos einen Spielzeug- oder Puppenladen.
Sie druckte eine Karte des kleineren Gebietes aus und suchte dann im Internet nach den Läden in jeder Stadt. Schließlich fuhr sie den Computer runter. Sie musste schlafen.
Morgen würde sie sich auf die Suche nach Cindy MacKinnon machen.