Kitabı oku: «Verschwunden», sayfa 7
Kapitel 14
Sie waren gerade außerhalb von Sanfield, als Riley plötzlich über zwei Spuren fuhr und eine Ausfahrt nahm.
Bill war überrascht. “Wo fahren wir hin?” fragte er.
“Belding,” gab Riley zurück.
Bill starrte sie aus dem Beifahrersitz aus an und wartete auf eine weitere Erklärung.
“Margaret Geratys Mann lebt noch dort,” sagte sie. “Roy heißt er, oder? Roy Geraty. Und hat er da nicht eine Tankstelle oder so etwas?”
“Eine Autowerkstatt und einen Laden für Autoteile,” sagte Bill.
Riley nickte. “Wir statten ihm einen Besuch ab.”
Bill schien Zweifel zu haben.
“Okay, aber ich bin mir nicht sicher, warum,” sagte er. “Die örtliche Polizei hat einen ziemlich guten Job bei ihrer Befragung, über den Mord an seiner Frau, gemacht. Sie haben keine Hinweise bekommen.”
Riley sagte erst einmal nichts weiter. Sie wusste das alles bereits. Sie hatte trotzdem das Gefühl, dass sie dort etwas in Erfahrung bringen konnten. Es musste noch lose Enden in Belding geben und es war nur eine kurze Fahrt durch das ländliche Virginia. Sie musste einfach herausfinden, was es war – wenn sie das konnte. Aber sie begann an sich selbst zu zweifeln.
“Ich bin eingerostet, Bill,” murmelte Riley während sie fuhr. “Für eine Weile war ich mir nicht sicher, ob Blackwell unser Killer ist. Ich hätte es auf den ersten Blick wissen müssen. Unser Täter würde Puppen nicht so ausstellen – nicht an einem öffentlichen Ort.”
“Warum nicht?” fragte Bill.
Riley dachte für einen Moment nach.
“Weil er Puppen zu ernst nimmt,” sagte sie. “Sie haben eine zu tiefe Bedeutung für ihn. Es ist etwas Persönliches. Ich denke er wäre durch das, was Blackwell getan hat, die Art, wie er die Puppen positioniert hat, beleidigt. Er würde es vulgär finden. Puppen sind für ihn kein Spielzeug. Sie sind …ich weiß es nicht. Ich kann es nicht genau sagen.”
“Ich weiß, wie dein Kopf arbeitet,” sagte Bill. “Und was auch immer es ist, du wirst es schon herausbekommen.”
Riley spielte die Ereignisse des letzten Tags in Gedanken noch einmal ab. Das verstärkte ihr Gefühl der Unsicherheit allerdings noch.
“Ich habe bei so vielen Sachen falsch gelegen,” erzählte sie Bill. “Ich dachte der Mörder hat es auf Mütter abgesehen. Ich war mir dessen sicher. Aber Margaret Geraty war keine Mutter. Wie konnte ich dabei falsch liegen?”
“Du kommst schon wieder in Fahrt,” sagte Bill.
Sie erreichten den Außenring von Belding. Es war eine müde aussehende kleine Stadt, die seit Generationen existierte. Aber die nahegelegenen Farmen waren von reichen Familien aufgekauft worden, die “Gentleman Farmer” sein wollten und trotzdem noch täglich zu ihren hochrangigen Jobs nach D.C. fuhren. Es wäre einfach durch diese Stadt zu fahren, ohne sie wirklich zu bemerken.
Roy Geratys Autowerkstatt war leicht zu finden.
Riley und Bill stiegen aus dem Auto und gingen in das schäbige Empfangsbüro. Niemand war dort. Riley tippte auf die Klingel, die auf dem Tresen stand. Sie warteten, aber niemand kam. Nach ein paar Minuten gingen sie weiter in die Werkstadt. Ein einzelnes Paar Füße guckte unter einem Auto hervor.
“Sind Sie Roy Geraty?” fragte Riley.
“Jup,” erklang eine Stimme unter dem Auto.
Riley sah sich um. Es war kein anderer Mitarbeiter zu sehen. War es so schlimm geworden, dass der Besitzer die Arbeit alleine machen musste?
Geraty rollte unter dem Auto hervor und sah sie misstrauisch an. Er war ein kräftiger Mann Ende Vierzig und trug einen ölverschmierten Overall. Er wischte sich die Hände an einem dreckigen Lappen ab und stand auf.
“Sie sind nicht von hier,” sagte er. Dann fügte er hinzu, “Kann ich Ihnen helfen?”
“Wir sind vom FBI,” sagte Bill. “Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen.”
“Verdammt,” knurrte der Mann. “Das kann ich nicht gebrauchen.”
“Es wird nicht lange dauern,” sagte Riley.
“Na schön,” grummelte der Mann. “Wenn wir reden müssen, dann müssen wir eben reden.”
Er führte Riley und Bill in einen kleinen Pausenraum mit verbeulten Snack-Automaten. Sie setzten sich auf Plastikstühle. Als wäre niemand sonst anwesend, nahm Roy die Fernbedienung und machte den alten Fernseher an. Er zappte durch die Kanäle bis er eine alte Sitcom fand. Dann starrte er auf den Bildschirm.
“Fragen Sie mich was Sie wissen wollen, damit wir es hinter uns bringen können,” sagte er. “Die letzten paar Tage waren die Hölle.”
Riley konnte einfach erraten, was er meinte.
“Es tut mir leid, dass der Mord an ihrer Frau wieder in den Nachrichten ist,” sagte sie.
“Die Zeitungen sagen, dass es noch zwei andere gab,” sagte Geraty. “Ich kann es nicht glauben. Mein Telefon klingelt ununterbrochen mit Reportern und – einfach gesagt – Arschlöchern. Mein Email-Postfach wird geflutet. Es gibt keinen Respekt mehr für die Privatsphäre. Und die arme Evelyn – meine Frau – ist vollkommen verstört.”
“Sie haben wieder geheiratet?” fragte Bill.
Geraty nickte und starrte weiter auf den Fernseher. “Wir haben sieben Monate später geheiratet, nach Margarets…”
Er konnte den Satz nicht beenden.
“Die Leute hier denken, dass es zu schnell war,” sagte er. “Es schien mir aber nicht so. Ich bin nie einsamer gewesen in meinem ganzen Leben. Evelyn war ein Geschenk des Himmels. Ich weiß nicht, was ohne sie aus mir geworden wäre. Ich glaube ich wäre gestorben.”
Seine Stimme war belegt.
“Wir haben jetzt ein kleines Mädchen. Sechs Monate alt. Ihr Name ist Lucy. Sie ist die Freude meines Lebens.”
Das eingespielte Gelächter der Sitcom brach in unpassendes Lachen aus. Geraty schniefte, räusperte sich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
“Wie auch immer, ich habe keine Ahnung, was sie mich fragen wollen,” sagte er. “Es scheint mir, als hätte ich schon jede mögliche Frage vor zwei Jahren beantwortet. Es hat nichts gebracht. Ihr konntet den Typen damals nicht fangen und jetzt werdet ihr das auch nicht.”
“Wir versuchen es trotzdem,” sagte Riley. “Und wir werden ihn zur Rechenschaft ziehen.”
Aber sie konnte spüren, wie hohl ihre eigenen Worte klangen.
Sie hielt einen Moment inne und fragte dann, “Leben Sie hier in der Nähe? Ich habe mich gefragt, ob sie uns vielleicht erlauben uns einmal in ihrem Haus umzusehen.”
Geraty zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen.
“Muss ich? Oder habe ich eine Wahl in der Sache?” fragte er.
Seine Frage überraschte Riley.
“Es ist nur eine Bitte,” sagte sie. “Aber es könnte hilfreich sein.”
Geraty schüttelte nachdrücklich den Kopf.
“Nein,” sagte er. “Ich muss die Grenze irgendwo ziehen. Die Polizei ist damals förmlich bei mir eingezogen. Einige waren sich sicher, dass ich sie getötet habe. Vielleicht denken Sie jetzt das Gleiche. Dass ich jemanden getötet habe.”
“Nein,” versicherte Riley ihm. “Deswegen sind wir nicht hier.”
Sie sah, dass Bill den Mechaniker ganz genau beobachtete.
Geraty sah nicht auf. Er sprach einfach weiter. “Und die arme Evelyn – sie ist zu Hause mit Lucy und sie ist wegen den ganzen Anrufen das reinste Nervenbündel. Ich kann ihr nicht noch mehr zumuten. Es tut mir leid, wenn das heißt, dass ich unkooperativ bin. Es ist nur – genug ist genug.”
Riley bemerkte, dass Bill darauf bestehen wollte, deshalb sprach sie, bevor er es konnte.
“Ich verstehe,” sagte sie. “Das ist in Ordnung.”
Riley war sich ziemlich sicher, dass sie sowieso nichts Wichtiges von einem Besuch im Haus der Geratys erfahren würden. Aber vielleicht würde er hier die eine oder andere Frage beantworten.
“Mochte Ihre Frau – Margaret, Ihre erste Frau – Puppen?” fragte Riley vorsichtig. “Hat sie sie vielleicht gesammelt?”
Geraty drehte sich zu ihr und sah das erste Mal vom Fernseher weg.
“Nein,” sagte er und schien über die Frage überrascht.
Riley war klar, dass ihm vermutlich vorher noch keiner diese spezielle Frage gestellt hatte. Bei all den Theorien, die die Polizei damals gehabt hatte, waren Puppen vermutlich nicht dabei gewesen. Und selbst bei der Belästigung durch die Reporter, die er jetzt erdulden musste, hatte wahrscheinlich keiner eine Verbindung zu Puppen hergestellt.
“Sie mochte sie nicht,” erwiderte Geraty. “Es war nicht, dass sie sie gehasst hat. Sie haben sie nur traurig gemacht. Sie konnte – wir konnten – keine Kinder bekommen und die Puppen haben sie daran erinnert. Manchmal hat sie sogar geweint, wenn sie in der Nähe von Puppen war.”
Mit einem tiefen Seufzen drehte er sich wieder zum Fernseher.
“Sie war unglücklich in den letzten Jahren,” sagte er in einer leisen, traurigen Stimme. “Weil wir keine Kinder hatten, meine ich. So viele von unseren Freunden und Verwandten haben Kinder bekommen. Es schien, als hätte jeder außer uns Kinder. Es gab immer Babypartys und Mütter, die sie zu Geburtstagsfeiern eingeladen haben. Es hat sie wirklich deprimiert.”
Riley spürte einen Kloß in ihrem Hals. Ihr Herz flog dem Mann entgegen, der nach dieser schrecklichen Tragödie immer noch versuchte sein Leben wieder zusammenzusetzen.
“Ich denke das ist alles, Herr Geraty,” sagte sie. “Vielen Dank für Ihre Zeit. Und ich weiß es ist schrecklich es erst so spät zu sagen, aber mein herzliches Beileid für Ihren Verlust.”
Kurz darauf waren Riley und Bill auf ihrem Weg zurück.
“Was für eine Zeitverschwendung,” sagte Riley zu Bill.
Riley sah im Rückspiegel, wie die kleine Stadt Belding hinter ihnen verschwand. Sie wusste, der Mörder war nicht dort. Aber er war irgendwo in dem Gebiet, das Flores ihnen gezeigt hatte. Irgendwo in der Nähe. Vielleicht fuhren sie jetzt gerade an ihm vorbei und wussten es nicht. Der Gedanke quälte Riley. Sie konnte seine Gegenwart fast spüren, sein Verlangen zu foltern und zu töten, das immer stärker wurde.
Und sie musste ihn stoppen.
Kapitel 15
Der Mann wurde durch den Alarm seines Handys geweckt. Zuerst wusste er zwar nicht wo er war, aber er wusste sofort, dass es ein wichtiger Tag werden würde. Es war die Art von Tag, für die er lebte.
Er wusste, dass er aus gutem Grund an diesem seltsamen Ort erwacht war – weil es diese Art von Tag werden würde. Es würde ein Tag voller köstlicher Befriedigung für ihn werden und pures Grauen und unbeschreibliche Schmerzen für jemand anderen bedeuten.
Aber wo war er? Immer noch halb schlafend konnte er sich nicht erinnern. Er lag auf einer Couch in einem kleinen, mit Teppich ausgelegten Raum und sah auf einen Kühlschrank und eine Mikrowelle. Morgenlicht strömte durch das Fenster.
Er stand auf, öffnete die Tür und blickte in den dunklen Flur. Er schaltete das Licht ein. Es fiel in den Flur und den gegenüberliegenden Raum. Er konnte einen Untersuchungstisch ausmachen.
Natürlich, dachte er. Die freie Klinik.
Jetzt erinnerte er sich wieder wo er war und auch wie er hergekommen war. Er gratulierte sich selbst zu seiner Klugheit. Am Tag zuvor war er spät am Tag in die Klinik gekommen, der Zeit, in der es am geschäftigsten war. Inmitten der vielen Patienten hatte er nach einem einfachen Blutdrucktest gefragte. Und sie war die Krankenschwester gewesen, die den Test durchgeführt hatte.
Die Frau, wegen der er gekommen war. Die Frau, die er seit Tagen beobachtete; in ihrem Zuhause, wenn sie einkaufen ging und wenn sie hierher zur Arbeit kam.
Nach dem Blutdrucktest hatte er sich in einen engen Zwischenraum in der hintersten Ecke einer Besenkammer versteckt. Wie unschuldig die Mitarbeiter hier waren. Die Klinik hatte geschlossen und jeder war nach Hause gegangen ohne die Schränke und Besenkammern zu überprüfen. Er war herausgeklettert und hatte es sich in dem kleinen Pausenraum gemütlich gemacht. Er hatte gut geschlafen.
Und heute würde ein außerordentlich guter Tag werden.
Er schaltete sofort das Licht wieder aus. Niemand durfte draußen sehen, dass jemand im Gebäude war. Er sah auf die Uhrzeit auf dem Handydisplay. Es war kurz vor sieben.
Sie würde in ein paar Minuten ankommen. Er wusste von seinen Beobachtungen, dass es ihre Aufgabe war, die Klinik jeden Morgen für Ärzte und Patienten vorzubereiten. Die Klinik selbst öffnete erst um acht. Zwischen sieben und acht war sie alleine hier.
Aber heute wäre es anders. Heute würde sie nicht alleine sein.
Er hörte wie ihr Auto auf den Parkplatz fuhr. Er justierte die Jalousien gerade genug, damit er nach draußen sehen konnte. Sie war es ohne Zweifel.
Er hatte Schwierigkeiten ruhig zu bleiben. Es war nicht wie die ersten beiden Mal, als er so ängstlich und verzagt gewesen war. Seit dem dritten Mal, als alles ganz natürlich und glatt gelaufen war, wusste er, dass er seinen Stil gefunden hatte. Jetzt wusste er auch, was er tat.
Aber diesmal wollte er es ein wenig anders machen, nur um seine Routine zu ändern, um dieses Mal ein wenig von den anderen zu unterscheiden.
Er würde sie mit einem kleinen Geschenk überraschen – seiner persönlichen Visitenkarte.
*
Als Cindy MacKinnon über den leeren Parkplatz lief, ging sie im Kopf noch einem die tägliche Routine durch. Nachdem sie den Bestand geordnet hatte, wäre ihre erste Aufgabe des Tages die Nachfüllrezepte für die Apotheken zu unterzeichnen und sicherzustellen, dass der Terminkalender aktuell war.
Die Patienten würden schon vor der Tür warten, wenn sie um acht die Türen öffnete. Der Rest des Tages würde den verschiedensten Aufgaben gewidmet sein, wie dem Annehmen von Terminen, Blutabnahme, Spritzen verabreichen und die oft unangemessenen Ansprüche der Krankenschwestern und Ärzte zu erfüllen.
Ihre Arbeit hier war wahrlich nicht glamourös. Trotzdem liebte sie, was sie tat. Es war äußerst befriedigend Menschen zu helfen, die sich sonst keine medizinische Versorgung leisten konnten. Sie wusste, dass sie Leben rettete, selbst mit der grundlegenden Versorgung, die sie hier anboten.
Cindy nahm die Klinikschlüssel aus ihrer Tasche und schloss die Glastüren vor sich auf. Sie ging schnell hinein und schloss die Tür hinter sich wieder ab. Jemand anderes würde sie um acht wieder aufschließen. Dann tippte sie sofort den Code ein, der die Alarmanlage ausschaltete.
Als sie in den Wartebereich ging, fiel ihr etwas ins Auge. Ein kleines Objekt lag auf dem Boden. In dem düsteren Licht konnte sie nicht erkennen, was es war.
Sie schaltete das Licht ein. Das Objekt auf dem Boden war eine Rose.
Sie ging hinüber und hob sie auf. Die Rose war nicht echt. Sie war künstlich und aus einem billigen Material. Aber was tat sie hier?
Wahrscheinlich hatte ein Patient sie gestern verloren. Aber warum hatte sie niemand aufgehoben, nachdem die Klinik gegen fünf schloss?
Warum hatte sie sie nicht gesehen? Sie hatte gewartet, bis die Putzfrau fertig war. Sie war die letzte gewesen, die die Klinik verlassen hatte und sie war sich sicher, dass die Rose noch nicht dort gelegen hatte.
Dann kamen der Adrenalinschub und eine Explosion purer Angst. Sie wusste, was die Rose bedeutete. Sie war nicht alleine. Sie wusste, dass sie hier raus musste. Sie durfte keine Sekunde verlieren.
Aber als sie sich zur Tür drehte, wurde sie von zwei starken Armen ergriffen, die sie festhielten. Sie hatte keine Zeit nachzudenken und ließ ihren Körper alleine reagieren.
Sie hob ihren Ellbogen und wirbelte herum, wobei sie ihr ganzes Gewicht auf die Seite legte. Sie fühlte, wie ihr Ellbogen eine harte, aber nachgiebige Fläche traf. Sie hörte ein lautes, kraftvolles Stöhnen und fühlte wie sich das Gewicht des Angreifers verlagerte.
Hatte sie Glück gehabt und sogar seinen Solarplexus getroffen? Sie konnte sich nicht umdrehen um nachzusehen. Sie hatte keine Zeit – ein paar Sekunden, wenn überhaupt.
Sie rannte zur Tür. Aber die Zeit schien stillzustehen und sie kam nicht von der Stelle. Es fühlte sich an, als würde sie sich durch durchsichtige, dicke Gelatine bewegen.
Schließlich erreichte sie die Tür und wühlte durch ihre Tasche bis sie den Schlüssel fand. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie ihn nicht festhalten konnte. Er fiel mit einem Klackern zu Boden. Zeit schien sich ins Unendliche zu ziehen bis sie sich vornübergebeugt und ihn aufgehoben hatte. Sie versuchte den Schlüssel ins Schloss zu stecken.
Es war hoffnungslos. Ihre Hände waren durch das Zittern nutzlos. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Körper sie verriet.
Schließlich sah sie aus den Augenwinkeln draußen eine Bewegung. Auf dem Bürgersteig hinter dem Parkplatz führte eine Frau ihren Hund Gassi. Immer noch mit ihrer Hand den Schlüssel umklammernd schlug sie mit den Fäusten gegen das harte Glas. Sie öffnete den Mund um zu schreien.
Aber ihre Stimme wurde durch etwas erstickt, das sich über ihren Mund legte und schmerzhaft in den Mundwinkeln zog. Es war ein Tuch – ein Lappen oder ein Taschentuch oder ein Schal. Ihre Angreifer hatte sie gnadenlos und mit unerbittlicher Kraft geknebelt. Ihre Augen traten aus den Höhlen, aber anstatt eines Schreis entwich ihr nur ein schreckliches Stöhnen.
Sie ruderte mit den Armen und die Schlüssel fielen ihr aus der Hand. Sie wurde zurückgezogen, weg von dem Licht des Morgens in eine dunkle Welt von plötzlichem und unvorstellbarem Horror.
Kapitel 16
“Fühlst du dich auch so fehl am Platz?” fragte Bill.
“Ja,” erwiderte Riley. “Und ich bin sicher wir sehen auch so aus.”
Eine scheinbar zufällige Mischung von Puppen und Menschen saß in den lederbezogenen Möbeln der großen Hotellobby. Die Leute – hauptsächlich Frauen, aber auch ein paar Männer – tranken Tee oder Kaffee und unterhielten sich. Puppen unterschiedlichster Art, männlich und weiblich, saßen zwischen ihnen wie wohlerzogene Kinder. Riley dachte, dass es wie eine bizarre Art von Familientreffen aussah, in der keines der Kinder echt war.
Riley konnte sich nicht davon abhalten die seltsame Szene zu beobachten. Ohne weitere Hinweise denen sie nachgehen konnten, hatten Bill und sie beschlossen die Puppentagung zu besuchen; in der Hoffnung irgendetwas zu finden, das ihnen weiterhelfen würde.
“Sind Sie beide registriert?” fragte eine Stimme.
Riley drehte sich um und sah, dass der Sicherheitsmann den Blick auf Bills Jackett gerichtet und ohne Zweifel die darunter versteckte Waffe bemerkt hatte. Der Wächter hielt seine Hand in der Nähe der eigenen Waffe.
Sie dachte, dass der Sicherheitsmann mit so vielen Menschen im Hotel guten Grund hatte besorgt zu sein. Ein verrückter Amokläufer könnte hier viel Schaden anrichten.
Bill zeigte ihm seine Marke. “FBI,” sagte er.
Der Wächter grinste. “Ich kann nicht sagen, dass mich das überrascht,” meinte er.
“Warum nicht?” fragte Riley.
Der Mann schüttelte mit dem Kopf. “Weil das hier sicherlich die seltsamste Gruppe von Menschen ist, die ich jemals an einem Ort gesehen habe.”
“Ja,” stimmte Bill zu. “Und nicht alle davon sind wirklich Leute.”
Der Wächter zuckte mit den Schultern, “Und Sie können davon ausgehen, dass jemand hier etwas getan hat, das er nicht sollte.”
Der Mann drehte den Kopf erst zur einen, dann zur anderen Seite und beobachtete den Raum. “Ich bin froh, wenn es vorbei ist.” Dann machte er mit seinem Rundgang weiter.
Als sie in den angrenzenden Flur gingen fragte Riley sich, weshalb der Sicherheitsmann sich Sorgen machte. Im Allgemeinen sahen die Teilnehmer eher exzentrisch aus als bedrohlich. Die Frauen reichten von jung bis betagter. Einige blickten ernst und streng, während andere offen und freundlich schienen.
“Sag mir nochmal, was wir hier zu finden hoffen,” murmelte Bill.
“Ich bin nicht sicher,” gab Riley zu.
“Vielleicht machst du zu viel aus dieser ganzen Puppen Sache,” sagte er, sichtlich unglücklich darüber hier zu sein. “Blackwell war zwar pervers, was Puppen angeht, aber nicht der Mann, den wir suchen. Und gestern haben wir herausgefunden, dass das erste Opfer Puppen nicht einmal mochte.”
Riley antwortete nicht. Bill könnte durchaus recht haben. Aber nachdem er ihr die Broschüre über die Tagung gezeigt hatte, wollte sich das Gefühl, dass sie herkommen sollten, nicht abschütteln lassen. Sie wollte es noch einmal versuchen.
Die Männer, die Riley sah, schienen eher der Bücherwurm oder Professor Typ zu sein, die meisten davon mit Brille und einem Ziegenbart. Keiner wirkte auf sie, als wäre er fähig zu morden. Sie kamen an einer Frau vorbei, die liebevoll eine Babypuppe in ihren Armen wiegte und ihr ein Gutenachtlied sang. Ein Stück weiter saß eine ältere Frau, die eine lebhafte Unterhaltung mit einer lebensgroßen Affenpuppe führte.
Okay, dachte Riley, es gibt schon seltsame Charaktere hier.
Bill zog die Broschüre aus der Tasche und las sie durch, während sie weitergingen.
“Irgendetwas Interessantes dabei?” fragte sie ihn.
“Nur Reden, Vorlesungen, Workshops – sowas in der Art. Ein paar Hersteller bringen die Ladenbesitzer auf den neuesten Stand bezüglich Trends und Neuigkeiten. Und dann scheinen da noch ein paar Leute zu sein, die in der Puppenszene bekannt geworden sind. Sie halten Reden und so etwas.”
Dann lachte Bill. “Hey, hier der Titel der Vorlesung ist der Hammer.”
“Wie ist der Titel?”
“‘Das soziale Konstrukt des Viktorianischen Geschlechts bei historischen Porzellanpuppen.’ Fängt in ein paar Minuten an. Willst du hingehen?”
Riley lachte. “Ich bin mir sicher, dass ich kein Wort davon verstehen würde. Noch etwas anderes?”
Bill schüttelte den Kopf. “Nicht wirklich. Zumindest nichts was uns helfen würde die Motive eines sadistischen Killers zu verstehen.”
Riley und Bill gingen in den nächsten Raum. Er war ein gigantisches Labyrinth aus Ständen und Tischen, auf denen jede vorstellbare Art von Puppe ausgestellt wurde. Sie rangierten von Fingergroß bis Lebensgröße, von antik bis frisch aus der Fabrik. Ein paar konnten laufen oder reden, aber die meisten hingen oder saßen einfach da und starrten die Besucher an, die sich um sie scharrten.
Zum ersten Mal sah Riley, das tatsächlich Kinder anwesend waren – keine Jungs, nur kleine Mädchen. Die meisten waren unter der Aufsicht ihrer Eltern, aber ein paar liefen in ungebärdigen Gruppen herum und machten die Aussteller nervös.
Riley hob eine kleine Miniaturkamera auf. Das angebrachte Etikett informierte sie, dass sie funktionierte. Auf dem gleichen Tisch lagen auch winzige Zeitungen, Kuscheltiere, Handtaschen, Portemonnaies und Rucksäcke. Auf dem nächsten Tisch standen Badewannen in Puppengröße, mit der passenden Badezimmereinrichtung.
Die T-Shirt Druckstation bedruckte T-Shirts für Puppen und Menschen gleichermaßen, aber der Haarsalon war nur für Puppen. Die Ansicht der vielen kleinen, sorgfältig gestylten Perücken jagte Riley Schauer über den Rücken. Das FBI wusste bereits von welchem Hersteller die Perücken vom Tatort stammten und hatte herausgefunden, dass sie von unzähligen Läden vertrieben wurden. Sie hier aufgereiht zu sehen brachte Bilder zurück, von denen Riley wusste, dass sie hier kein anderer teilte. Bilder von toten Frauen, nackt, wie Puppen hingesetzt, mit schlecht sitzenden Perücken, die aus Puppenhaar bestanden.
Riley war sich sicher, dass sie diese Bilder nie mehr vergessen würde. Die Frauen, die so gefühllos behandelt und trotzdem mit so viel Sorgfalt hergerichtet worden waren, um etwas zu repräsentieren …was genau konnte sie noch nicht sagen. Aber sie war sich sicher, dass sie deswegen mit Bill hier war.
Sie trat auf die junge Frau zu, die den Haarsalon für Puppen zu leiten schien.
“Verkaufen Sie diese Perücken hier?” fragte Riley.
“Natürlich,” antwortete die Frau. “Diese hier sind nur zur Ausstellung, aber ich habe ganz neue in den Kartons. Welche wollen sie.”
Riley war sich nicht sicher, was sie als Nächstes sagen sollte. “Stylen Sie diese Perücken auch?” fragte sie schließlich.
“Wir können die Frisur für Sie ändern. Für einen leicht erhöhten Preis.”
“Welche Art von Leuten kaufen sie?” fragte Riley. Sie wollte eigentich fragen, ob ein gruseliger Typ hier gewesen war und Perücken gekauft hatte.
Die Frau sah sie mit großen Augen an. “Ich bin nicht sicher, was Sie meinen,” sagte sie. “Alle möglichen Leute kaufen sie. Manchmal bringen sie eine Puppe, die sie schon haben, um die Frisur ändern zu lassen.”
“Ich meine, werden sie oft von Männern gekauft?” fragte Riley.
Die junge Frau sah nun eindeutig unbehaglich aus. “Nicht, dass ich wüsste,” sagte sie und drehte sich dann abrupt zu einer neuen Kundin.
Riley stand dort für einen Moment und fühlte sich wie ein Idiot, weil sie jemanden mit solchen Fragen überfallen hatte. Es kam ihr vor, als hätte sie ihre eigene dunkle Welt in eine hineingebracht, die schön und unschuldig sein sollte.
Sie fühlte eine Berührung am Arm. Bill sagte, “Ich denke nicht, dass wir den Täter hier finden.”
Riley spürte, wie sie rot wurde. Aber sie drehte sich weg von dem Haarsalon und bemerkte, dass sie nicht die einzige seltsame Frau war, mit der die Aussteller fertig werden mussten. Sie stolperte fast über eine Frau, die verzweifelt eine neue Puppe gegen ihre Brust drückte und leidenschaftlich weinte – scheinbar vor Freude. An einem anderen Tisch hatten ein Mann und eine Frau einen Streit darüber angefangen, wer ein besonders seltenes Sammlerobjekt kaufen durfte. Sie rissen beide an dem Objekt und drohten es auseinanderzureißen.
“Jetzt verstehe ich, worüber sich der Sicherheitsmann Sorgen gemacht hat,” sagte sie.
Sie bemerkte, dass Bill jemanden in der Nähe aufmerksam beobachtete.
“Was ?” fragte sie ihn.
“Sieh dir diesen Typen an,” sagte Bill und nickte in Richtung eines Mannes, der vor einem Regal mit großen Puppen in rüschenbesetzten Kleidern stand. Er war Mitte Dreißig und recht gutaussehend. Anders als die anderen Männer hier, sah er nicht nach einem Bücherwurm aus. Stattdessen hatte er das Aussehen eines selbstbewussten Geschäftsmannes, mit einem teuren Anzug und Krawatte.
“Der sieht so fehl am Platz aus wie wir,” murmelte Bill. “Warum spielt jemand wie der mit Puppen?”
“Ich weiß es nicht,” erwiderte Riley. “Aber er sieht so aus, als könnte er sich eine reale Spielkameradin leisten, wenn er wollte.” Sie beobachtete den Geschäftsmann für einen Moment. Er hatte aufgehört das Regal mit den Puppen zu betrachten. Er sah sich um, als wolle er sichergehen, dass niemand zuschaute.
Bill drehte seinen Rücken zu dem Mann und lehnte sich nach vorne, als würde er sich angeregt mit Riley unterhalten. “Was macht er jetzt?”
“Sieht sich die Ware an,” sagte sie. “In einer Weise, die mir wirklich nicht gefällt.”
Der Mann beugte sich zu einer Puppe und betrachtete sie aus der Nähe – vielleicht ein wenig zu nah – und seine dünnen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Dann suchte er die anderen Menschen im Raum ab.
“Oder er sucht nach einem potenziellen Opfer,” fügte sie hinzu.
Riley war sich sicher, dass sie eine gewisse Hinterhältigkeit in der Art entdeckte, wie er das Kleid der Puppe berührte und den Stoff auf eine sinnliche Art untersuchte.
Bill schielte wieder zu dem Mann. “Meine Güte,” murmelte er. “Ist der Typ gruselig oder was?”
Riley spürte wie ihr wieder ein Schauer über den Rücken lief. Rational gesehen wusste sie sehr genau, dass das nicht der Mörder sein konnte. Was waren schließlich die Chancen, dass sie hier in der Öffentlichkeit über ihn stolpern würden? Trotzdem war sie in diesem Moment überzeugt, dass sie sich in der Gegenwart von etwas Bösem befand.
“Lass ihn nicht aus den Augen,” sagte Riley. “Wenn er seltsam genug wird, dann stelle ich ihm ein paar Fragen.”
Aber dann fegte die Realität diese dunklen Gedanken beiseite. Ein kleines Mädchen, etwa fünf Jahre alt, lief auf den Mann zu.
“Papa,” rief sie.
Das Lächeln des Mannes wurde breiter und sein Gesicht leuchtete unschuldig und voller Liebe auf. Er zeigte seiner Tochter die Puppe, die er gefunden hatte und sie klatsche in die Hände, während sie vor Begeisterung quietschte. Er reichte sie ihr und sie schloss die Puppe fest in die Arme. Der Vater zog sein Portemonnaie aus der Tasche und bezahlte den Verkäufer.
Riley unterdrückte ein Stöhnen.
Meine Instinkte lagen schon wieder falsch, dachte sie.
Sie sah, dass Bill am Telefon war und jemandem intensiv zuhörte. Sein Gesicht sah bestürzt aus, als er sich zu ihr wandte.
“Er hat eine weitere Frau entführt.”