Kitabı oku: «Elisabeth», sayfa 9
Am 18. Juni übernahm der Kaiser »den unmittelbaren Oberbefehl über Meine gegen den Feind stehenden Armeen«. Er wolle »an der Spitze Meiner braven Truppen den Kampf fortsetzen, den Österreich für seine Ehre und sein gutes Recht aufzunehmen gezwungen ist«.
Dieser Entschluß des 29jährigen, strategisch unerfahrenen Kaisers stieß auf heftige Kritik, die sich nur zu bald als berechtigt erweisen sollte. Denn die nächste Schlacht, die bei Solferino, war die blutigste und verlustreichste dieses unglücklichen Krieges überhaupt und besiegelte die endgültige Niederlage. Das Schlachtfeld von Solferino war ein alle Phantasie überbietendes Schrecknis in brennender Sonne. (Erschüttert von der Hilflosigkeit der Verwundeten entschloß sich hier in Solferino Henri Dunant, das Internationale Rote Kreuz zu gründen.)
Mangelhafte strategische Fähigkeiten des Kaisers, verbunden mit überhasteten Entschlüssen zum Rückzug, waren hauptverantwortlich für die Niederlage. Das böse Schlagwort: »Löwen von Eseln geführt« machte die Runde und traf in erster Linie den jungen Kaiser.193 Seit Beginn seiner Regierung hatte er sich für nichts so interessiert wie für das Militär. Für nichts war so viel Geld ausgegeben (und so viel Schulden gemacht) worden, und nun endete alle Ambition in einer riesigen Blamage und einem Blutbad.
Die Stimmung in Österreich war so verzweifelt, daß viele Menschen angesichts der schlechten politischen und militärischen Führung und der nicht mehr tragbaren Belastungen sogar eine Niederlage herbeisehnten. Der aus Norddeutschland stammende Burgtheaterdirektor Heinrich Laube erinnerte sich an diese Zeit: »Bei all diesen Kriegen, auch später Anno 66, sah ich mit Staunen und Schreck, daß die Stimmung der Bevölkerung nicht viel dagegen hatte, wenn wir geschlagen würden. Ja, wenn wir politisch in Ordnung wären – sagte man wohl laut – da wäre es eine Freude, unsere Truppen siegreich zu sehen. Aber so, aber so! Das Jahr 48 ist uns konfisziert worden, und wir erhalten nur Zugeständnisse, wenn die Regierung in Not gerät durch verlorene Schlachten. Ich war nur ein Neuösterreicher, aber dieser Gedankenweg war mir äußerst zuwider.«194
Kaiser Franz Joseph mußte die Folgen der Niederlage voll auskosten. Nie in seinem Leben war er so unbeliebt wie in diesen Monaten. Der Unmut der verarmten Bevölkerung, die der miserablen Politik und Kriegführung Zehntausende von Toten anlastete, die für eine ohnehin unhaltbare Provinz hatten fallen müssen, äußerte sich sogar in offenen Aufrufen, der Kaiser möge abtreten und seinem jüngeren, liberaler gesinnten Bruder Max die Regierung übertragen. Revolutionsstimmung also auch in Wien!
Die österreichischen Zeitungen konnten ihrem Unmut wegen der scharfen Zensur keinen freien Lauf lassen. In ausländischen Blättern ging man freilich mit dem jungen Kaiser um so kritischer um. Friedrich Engels zum Beispiel bedachte ihn mit den Ausdrücken wie »arroganter Junge«, »jämmerlicher Schwächling« und schrieb, die tapferen österreichischen Soldaten seien »nicht von den Franzosen geschlagen, sondern von dem anmaßenden Schwachsinn ihres eigenen Kaisers«.195
Ein System, das sich derartig mit dem Militär identifizierte wie das Kaiser Franz Josephs, konnte eine solche militärische Katastrophe nicht unbeschadet überstehen. Franz Joseph schrieb an seine Frau verzagt: »Ich bin um viele Erfahrungen reicher geworden und habe das Gefühl eines geschlagenen Generals kennengelernt. Die schweren Folgen unseres Unglücks werden noch kommen, aber ich vertraue auf Gott und bin mir keiner Schuld, auch keines Dispositionsfehlers bewußt.«196
Napoleon III. allerdings gab Franz Joseph die Hauptschuld an der Niederlage und gestand dem Prinzen Coburg, daß er den französischen Sieg »für den reinsten Zufall ansehe … Seine Armee sei im schlechtesten Zustand gewesen und seine Generäle hätten keine Befähigung gezeigt, eine große Armee zu führen; die Österreicher hätten sich viel besser geschlagen als die Franzosen und … es sei kein Zweifel, daß sie Solferino gewonnen hätten, wenn der Kaiser die Reserven hätte vorrücken lassen. Der Kaiser von Österreich, sagte er, sei ein Mann von großer Bedeutung, mais malheureusement il lui manque l’énergie de la volonté«197 (aber unglücklicherweise fehlt es ihm an Willenskraft).
Selbst Herzogin Ludovika kritisierte den Übereifer Franz Josephs, sich als Feldherr beweisen zu wollen und schrieb an Marie von Sachsen: »eine solche Niederlage einmal über die andere hatte ich mir doch nicht erwartet … und dass gerade der Kaiser das Commando führte, finde ich, macht die Sache noch trauriger; ich konnte es ohnehin nie gut finden, daß er Wien in so schweren Zeiten verließ, und nun wird seine Rückkehr eine höchst unangenehme seyn.«198
Sisi hatte inzwischen für die Verwundeten ein Spital in Laxenburg organisiert. Franz Joseph: »Gebe die Verwundeten wohin Du willst, in alle Häuser von Laxenburg. Sie werden sehr glücklich sein unter Deiner Obhut. Ich kann Dir nicht genug dafür danken.«199 62 000 Kranke und Verwundete waren nach den blutigen Schlachten zu verpflegen. Die Spitäler in Österreich reichten bei weitem nicht aus.200 Klöster, Kirchen und Schlösser mußten die Kranken aufnehmen. Es dauerte oft Monate, bis sich das Schicksal der verwundeten Soldaten entschied, sie entweder starben oder als Krüppel oder Gesundete überlebten. Die Ausrüstung der Armee hatte viel Geld gekostet. Für die ärztliche Betreuung der Verwundeten war dagegen nicht vorgesorgt.
Mit diesen Problemen wurde die junge Kaiserin nun plötzlich konfrontiert. Sie informierte sich ausgiebig in den Zeitungen und geriet immer stärker in eine oppositionelle Haltung gegen das militärische und aristokratische, rein absolutistische Regime ihres Mannes. Wir wissen nicht genau, welche persönlichen Einflüsse hier mitspielten, ob etwa die bayrischen Verwandten bei ihren Wienbesuchen in dieser Beziehung Bedeutung hatten. Daß sich die junge Kaiserin aber immer deutlicher auf die Seite des »Volkes« und der liberalen Zeitungen stellte, war ebenso unübersehbar wie die Tatsache, daß nun diese politische Komponente auch in den Kampf zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter Eingang fand. Denn die junge Kaiserin schonte zwar ihren Mann mit direkten Vorwürfen, führte aber alles Übel auf den reaktionären Einfluß der Erzherzogin Sophie zurück – wie es auch die bürgerlichen Intellektuellen dieser Zeit in Österreich taten.
Die 21jährige Kaiserin versuchte sogar, dem Kaiser einen politischen Rat zu geben (der wiederum die »Volksstimme« verriet): Er solle doch so bald wie möglich Frieden machen. Franz Joseph jedoch dachte nicht daran, auf die Ratschläge seiner Frau zu hören. Er antwortete abwehrend: »Dein politischer Plan enthält sehr gute Ideen, doch muß man jetzt die Hoffnung noch nicht aufgeben, daß Preußen und Deutschland uns doch noch helfen werden, und so lange ist an Verhandlungen mit dem Feinde nicht zu denken.«201
Es ist erstaunlich, wie wenig informiert der Kaiser über die politischen Pläne und Grundsätze der preußischen Politik war, daß er sich noch zu diesem Zeitpunkt, als der Krieg längst verloren war, solche Illusionen machen konnte. Dem Kaiser blieb nichts, als auf Gott zu vertrauen, »der gewiß alles zum Besten führen wird. Er straft uns hart und wir sind wohl nur am Beginne noch ärgerer Leiden, allein diese muß man mit Ergebenheit tragen und in allem seine Pflicht tun.«202
Elisabeth hatte mit ihren politischen Bemerkungen wenig Glück. Auch auf die Anfrage, ob der in der Armee verhaßte Grünne entlassen werde, antwortete der Kaiser: »Von einer Änderung mit Grafen Grünne ist nie die Rede gewesen und ich denke gar nicht daran. Überhaupt bitte ich Dich nicht zu glauben, was in den Zeitungen steht, die so viel dummes und falsches Zeug schreiben.«203 Er ermahnte seine Frau statt dessen, mehr zu essen, weniger zu reiten, vor allem aber, mehr zu schlafen: »Ich beschwöre Dich, gebe dieses Leben gleich auf und schlafe bei der Nacht, die ja von der Natur zum Schlafen und nicht zum Lesen und Schreiben bestimmt ist. Reite auch nicht gar zu viel und heftig.«204
Auch die beiden Mütter, Ludovika und Sophie, waren keineswegs erbaut über die politischen Interessen der jungen Kaiserin. Ludovika an Sophie: »ich denke, die Gegenwart der Kinder wird viele Stunden des Tags ausfüllen, sie beruhigen, fesseln, die häuslichen Sinne beleben, eine neue Richtung ihren Gewohnheiten und Geschmäckern geben. Ich möchte jedes Fünkchen anfachen, jede gute Regung nähren.«205
Schon einige Tage, nachdem der Kaiser Sisis Vorschlag, baldigst Frieden zu schließen, abgelehnt hatte, sah er selber die Aussichtslosigkeit des Krieges ein. Die Initiative zum Waffenstillstand kam freilich nicht von ihm, sondern von Napoleon III., dem »Erzschuft«, wie Franz Joseph ihn nannte.206
Im Vertrag von Villafranca mußte Österreich die Lombardei abtreten, seine ehemals reichste Provinz, die seit dem Wiener Kongreß in österreichischem Besitz war. Venetien blieb noch bei Österreich. Niemand glaubte jedoch, daß diese letzte italienische Provinz noch lange zu halten sein würde.
Der Schweizer Gesandte berichtete, der Friede habe in Wien »einen fürchterlich ungünstigen Eindruck gemacht … Der Nimbus, welcher den Kaiser bis jetzt umgeben, ist selbst in den unteren Schichten des Volkes gefallen. Seit 10 Jahren werden die furchtbarsten Anstrengungen gemacht, um das kostbare Militärwesen zu erhalten und auf den höchsten Grad der Perfection zu bringen u. nun sieht man ein, daß Millionen und Millionen hinausgeworfen wurden, um ein Spielzeug und eine Waffe für den Ultramontanismus und die Aristokratie zu erhalten. Wenn der Kaiser mit der Idee zurückkommt, das jetzige Regierungssystem zu erhalten und durch Hülfe des Concordats und der militärischen Günstlinge zu regieren, so würde die Monarchie einer trüben Zukunft entgegensehen, dieses System ist durch und durch faul und muß brechen.«207
In Ungarn drohte eine neue Revolution. Über die Lage in Wien erzählte Leibarzt Dr. Seeburger, »die Stimmung sei nie eine schlechtere gewesen wie jetzt, dies wolle aber die Erzherzogin Sophie, welcher er es gesagt, nicht glauben. In Gast- und Kaffeehäusern scheue man sich nicht, den Kaiser zu schmähen, dieser aber gehe morgen auf die Jagd nach Reichenau und die Kaiserin ebendahin, um dort herumzureiten.«208
Auch der Vater des Kaisers, Erzherzog Franz Carl, machte sich falsche Vorstellungen. Er sprach zwar »offen über die herrschende Mißstimmung in Wien. Indessen leugnete er jede höhere Bedeutung derselben, weil man ihn noch grüße. Welch armselige Beruhigung!« schrieb Polizeiminister Kempen in sein Tagebuch.209
Attentatspläne wurden aufgedeckt, einer sogar in der Hofburg. Ein Lakai hatte den Kaiser und Erzherzogin Sophie ermorden wollen. Ludovika fand den Volkszorn gegen den Kaiser »so schmerzlich als empörend«: »weil es gerade gegen die Person des Kaisers ist, der unglaublich verläumdet wird; man breitet Lügen über ihn aus, die gerade bei ihm so unaussprechlich unbegründet und ungerecht sind. – Leider geht die Gehässigkeit großentheils vom Militär aus, das sich auch im Ausland … so bitter über ihn äußert.« Es folgte ein für Franz Josephs Charakter bezeichnender Satz, der in Variationen in mehreren Quellen dieser Zeit, ja selbst im Tagebuch der Erzherzogin Sophie, zu finden ist: Franz Joseph »selbst ist dabei, ich möchte sagen, so harmlos, denn er ist heiter, das hat mich eigentlich verwundert«.210
Ungeheuerliche Korruptionen im Militär- und Finanzwesen kamen ans Licht. Finanzminister Bruck schnitt sich aus Verzweiflung über das kaiserliche Mißtrauen die Kehle durch. Minister und Generäle wurden abgelöst, nach Außenminister Buol der Innenminister Bach, Polizeiminister Kempen, General Gyulai, General Heß. Der Kaiser hatte alle Mühe, »die maßlose Reorganisierungsund Über-den-Haufenwerfens-Wut zu kalmieren«, wie er sich bei seiner Mutter beklagte.211
Im Mittelpunkt der Kritik stand der Generaladjutant des Kaisers, sein engster persönlicher und politischer Vertrauter und väterlicher Freund, Graf Carl Grünne, der sich freilich als Prügelknabe seines allerhöchsten Herrn fühlte und Schuld auf sich nahm, für die wohl der Kaiser verantwortlich gewesen wäre. Selbst Ludovika wußte: »Der Haupthaß geht gegen Grün[ne], weil man behauptet, er hätte ihn mit Willen über alles traurige, was vorgefallen, über die schrecklichen Vernachlässigungen, Mißgriffe und Unterschleife in Unwissenheit gelassen.«212
Das liberale »Neue Wiener Tagblatt« schrieb später: »Der Name Grünne genoß eine Unpopularität, die beinahe schon bis zur Popularität ging.« Er sei ein »nichtsystematisierter Diktator« gewesen, ein »Regierungschef extra statum« mit dem »Nimbus eines Vizekaisers«. Im Ministerrat habe er »oft zugleich auch die Stimme des Monarchen« geführt.213
Auf Druck der öffentlichen Meinung mußte der Kaiser Grünne als Generaladjutanten und Leiter der Militärkanzlei entlassen – allerdings tat er dies mit großen Gunstbeweisen. Grünne blieb nur das Amt des Oberstallmeisters.
Sisis Freundschaft für Grünne blieb von der Politik unberührt. Nach seiner Entlassung wünschte sie ihm »vor allem eine beßere glücklichere Zeit wie die letzten waren. Ich kann mich noch immer nicht darein finden, daß jetzt Alles so ganz Anders ist wie früher, und besonders einen Anderen an Ihrem Platz zu sehen, aber mein einziger Trost ist, daß wir Sie doch nicht ganz verloren haben, und wie dankbar ich Ihnen dafür bin wißen Sie.«214
Mit aller Kraft wehrte sich Kaiser Franz Joseph gegen eine Beschneidung seiner absoluten Herrschergewalt. Erzherzogin Sophie unterstützte ihn. Sie verabscheute den »Volkswillen« und faßte ihn als Verbrechen an der kaiserlichen Majestät auf. In ihren Briefen jammerte sie über Verrat und wollte eine Schuld des »Systems« nicht wahrhaben. Sie klagte, daß »mein armer Sohn, hart bedrängt durch den Sieg des Unrechtes über das gute Recht, durch Verrath und Treulosigkeit, dennoch von vielen verkannt wurde«.215
Will man die politische Haltung der Kaiserin, die sich schon bald einem weiteren Kreis offenbarte, richtig beurteilen, muß man bedenken, daß ihre für höfische Verhältnisse so verpönte Liberalität, ihr Antiklerikalismus, ihre Begeisterung für den Verfassungsstaat in der für Österreich politisch dunkelsten Zeit entstand – im ganz persönlichen Gegensatz zu den Ansprüchen von Gottesgnadentum, Absolutismus und aristokratischem Denken der Erzherzogin Sophie
4. Kapitel
Die Flucht
Die politische Krise im Winter 1859/60 ging mit einer schweren privaten Krise des Kaiserpaares Hand in Hand. Politisch folgte eine Hiobsbotschaft der anderen. Grünnes Nachfolger als Generaladjutant, Graf Crenneville, klagte: »fürchterliche Aussichten – Staatsbankrott – Revolution – Unglück – Krieg. Armer Kaiser, der das Beste unermüdet anstrebt.«216
Kaiser Franz Joseph dachte nicht daran, seine junge Frau an seinen Sorgen teilhaben zu lassen. über Politik sprach er nach wie vor nur mit seiner Mutter. Verärgert mußte die junge Kaiserin hinnehmen, daß man sie wie ein Kind beiseite drängte und ihre Vorschläge gar nicht zur Kenntnis nahm. Das Tauziehen zwischen Sophie und Sisi war heftiger denn je.
Offensichtlich versuchte der Kaiser den endlosen Streitigkeiten der beiden Frauen in dieser ohnehin schon überreizten Atmosphäre auszuweichen und holte sich anderswo Trost. Massive Gerüchte über Liebschaften Franz Josephs tauchten auf, die ersten in seiner nun fast sechsjährigen Ehe. Das wiederum war eine Angelegenheit, der die junge Kaiserin nicht gewachsen war. Mangelnde Erfahrung, Überempfindlichkeit, Eifersucht auf die Schwiegermutter, ihre durch die lange Abwesenheit ihres Mannes höchst angespannten Nerven – alles das trug zum Verlust ihrer Selbstbeherrschung bei.
Sie begann ihre Umwelt zu provozieren. Gerade im Winter 1859/60, als das Kaiserreich in den größten politischen Kalamitäten steckte, wurde die sonst so zurückhaltende junge Kaiserin geradezu vergnügungssüchtig. Sie, die es bisher strikt abgelehnt hatte, außer den offiziellen Veranstaltungen bei Hof irgendwelche gesellschaftliche Aktivitäten zu entfalten, organisierte nun im Frühjahr 1860 nicht weniger als sechs Bälle in ihren Appartements. Sie lud nur jeweils 25 Paare ein, selbstverständlich junge Leute der ersten Gesellschaft mit einem makellosen Stammbaum, wie es bei Hof gefordert war. Die Besonderheit dieser Bälle war, daß nur die jungen Paare, nicht aber die Mütter der jungen Mädchen eingeladen wurden, wie es sonst üblich war. Das bedeutete, daß auch die Erzherzogin Sophie nicht an den Bällen teilnahm.
Landgräfin Therese Fürstenberg schrieb, daß diese »Waisenbälle« bei der Kaiserin sehr unterhaltend waren, aber doch die höfische Gesellschaft nicht wenig irritierten: »anfangs stutzte man über eine solche Enormität [keine Mütter einzuladen], gegen den allerhöchsten Willen war nichts zu thun.« Erstaunlich auch, daß die junge Kaiserin auf diesen Bällen »leidenschaftlich gern tanzte«217, eine Vorliebe, die man nie vorher und nie nachher bei ihr bemerkte.
Außerdem besuchte die sonst so gesellschaftsscheue Sisi auch die großen Privatbälle. Vom Ball des Markgrafen Pallavacini zum Beispiel kehrte sie erst um halb sieben Uhr morgens in die Hofburg zurück, als der Kaiser sich bereits auf die Jagd begeben hatte und sie ihn nicht mehr antraf, wie Erzherzogin Sophie in ihrem Tagebuch vermerkte. Die politischen Sorgen hinderten auch den Kaiser nicht, so oft wie möglich auf die Jagd zu gehen.
Die höfische Gesellschaft hatte kein Verständnis für Sisis Trotzhaltung, für Liebesabenteuer eines Ehemanns dafür umso mehr. In hochadeligen und höfischen Kreisen waren Vernunft- und Standesehen die Regel und zur Aufrechterhaltung eines makellosen Stammbaumes nötig. Liebesaffären neben diesen standesgemäßen Ehen waren üblich. Die Ehefrauen wußten das. Wenn sie sich mit eigenen Affären auch meist nicht revanchieren konnten – denn einer Frau wurde keineswegs dieselbe Großzügigkeit entgegengebracht –, so nahmen sie dennoch diese Affären ihrer Ehemänner im allgemeinen klaglos hin. Denn sie hielten sich an der hohen gesellschaftlichen Stellung, die sie durch ihre praktisch untrennbare Ehe einnahmen, schadlos.
Elisabeth aber hatte Franz Joseph nicht aus gesellschaftlichem Ehrgeiz geheiratet. Rein emotionelle Gründe – ob man sie bei einer 15jährigen Liebe nennen kann oder nicht, sei dahingestellt – banden sie an den Kaiser. Nun mußte sie einsehen, daß der junge Kaiser ihren – sicherlich für seine Verhältnisse überspannten – Gefühlsansprüchen nicht genügte, daß er sie betrog. Franz Joseph war neben den Kindern das einzige, das Elisabeth an den Wiener Hof fesselte. Diese einzige Bindung in einer ansonsten fremden und feindlichen Umwelt drohte nun zu reißen.
Elisabeth hatte das Unglück ihrer elterlichen Ehe miterlebt. Herzogin Ludovika lebte mit ihrer Kinderschar abseits von ihrem Ehemann Herzog Max. Er hatte, was die ganze Familie wußte, Liebschaften und eine ganze Reihe unehelicher Kinder. Es gab in dieser Ehe jahrzehntelange Demütigungen und völlige Einsamkeit der Frau und Mutter. Die Angst vor einem solchen jammervollen Schicksal mag bei Sisis heftiger Reaktion eine Rolle gespielt haben.
In dieser schwierigen Situation kamen nun auch noch Hiobsbotschaften aus Neapel-Sizilien. Im Mai 1860 eroberten die Garibaldi-Truppen Sizilien, wenig später war Neapel bedroht. Die Hilferufe der jungen Königin Marie erreichten Elisabeth. Im Juni trafen ihre beiden Brüder Carl Theodor und Ludwig in Wien ein, um über eventuelle Hilfsmaßnahmen für das bourbonische Königreich zu beraten. Doch so groß auch die Solidarität Kaiser Franz Josephs für das ihm verschwägerte Königshaus war, so sehr er und seine Mutter Sophie die bedrängte Lage dieser Monarchie beklagten – an eine militärische oder auch nur finanzielle Hilfe war bei der unglücklichen Lage Österreichs nicht zu denken. Das junge Königspaar blieb seinem Schicksal überlassen.
Die Sorgen um die geliebte jüngere Schwester, die sich vergebens um österreichische Hilfe bemühte, verschlechterten nicht nur Elisabeths ohnehin schon verzweifelten Nervenzustand, sondern belasteten auch die kaiserliche Ehe zusätzlich. Im Juli 1860 kam es zu so schweren Differenzen zwischen dem Kaiserpaar, daß Elisabeth Wien verließ und mit der kleinen Gisela nach Possenhofen fuhr – zum erstenmal seit fünf Jahren. Diese plötzliche Reise hatte den Charakter einer Flucht. Sisi benützte die neue Bahnstrecke Wien–München (»Kaiserin-Elisabeth-Westbahn«) noch vor der offiziellen Eröffnung und brachte damit die Feierlichkeiten ziemlich durcheinander.
Sie hatte gar keine Eile, nach Wien zurückzukehren. Ihre Zeit vertrieb sie sich vor allem mit Reiten, obwohl die Pferde ihres Bruders ihren hohen Ansprüchen nicht mehr genügten. Sie »sind furchtbar verritten und hinter der Hand«, schrieb sie an den väterlichen Freund Grünne, dem sie ihre Sympathie offen zeigte: »Ich hoffe, daß Sie mich ein wenig vermissen, und Ihnen mein vieles Seckiren, das Sie immer mit so viel Geduld ertragen, abgeht.«218
Vor Franz Josephs Geburtstag am 18. August allerdings mußte Sisi zurückkehren, um Aufsehen zu vermeiden. Franz Joseph fuhr seiner Frau bis Salzburg entgegen. Sisi ließ sich von zwei Geschwistern begleiten, Carl Theodor und Mathilde – ein Zeichen dafür, daß sie Unterstützung gegen die kaiserliche Familie brauchte und sich noch unsicher fühlte, mit Franz Joseph und Sophie allein zu sein.
Die Situation in Neapel hatte sich inzwischen weiter verschlechtert. Garibaldi war in die Hauptstadt eingedrungen. Königin Marie zog sich mit ihrem kranken, schwächlichen Mann in die Festung Gaeta zurück. Trotz großer Tapferkeit der 20jährigen Königin (»Heldin von Gaeta«) war der Fall der Festung und ein endgültiger Sieg der italienischen Einigungsbewegung nur noch eine Frage der Zeit.
In der österreichischen Innenpolitik war die Forderung nach einer Verfassung nicht mehr zu überhören. Kennzeichnend für die Stimmung ist ein anonymer Brief, der im August 1860 im Kabinett des Kaisers abgegeben wurde:
Eine Stimme von Gott!
An den Kaiser Franz Josef.
Was zögerst Du so lange mit der Constitution. Warum hast Du Deinem Volke genommen, was Ihm der Kaiser Ferdinand der Gütige gab?! –
Halte es auch mit Bürgern und Bauern, nicht allein mit dem Adel und Großen. Ahme den großen Kaiser Josef II. nach.
Nehme Dir zum Spiegel den unglücklichen König von Neapel. Wenn Du fort in dem Absolutismus verharrst, geht es Dir ebenso.
Fort mit der Kamarilla.
Baue Deinen Thron nicht auf Bajoneter, sondern auf Volksliebe. Kurz mache es so, wie die anderen deutschen Regenten, Einigkeit macht stark.
Justitia regnorum fundamentum. Mit vereinten Kräften.
Dein getreuer Freund Martin vom guten Rath.219
Der Kaiser reagierte auf alle politischen Forderungen hilflos und beklagte sich voll Empörung bei seiner Mutter: »Aber eine solche Niederträchtigkeit einer- und Feigheit andererseits, wie sie jetzt die Welt regiert, ist doch noch nie dagewesen; man fragt sich manchmal, ob alles, was geschieht, wirklich wahr ist.«
Er bat um »Entschuldigung, daß die Räubereien des Garibaldi, die Diebstähle Viktor Emanuels, die noch nie dagewesenen Gaunerstreiche des Erzschuften in Paris, der sich jetzt selbst übertrifft – der jetzt glücklich und über Erwarten gut und friedlich begrabene Reichsrat, die ungarischen Mißstände und die unerschöpflichen Wünsche und Bedürfnisse aller Provinzen etc. mich dermaßen in Anspruch nahmen und mir so meinen armen Kopf erfüllten, daß ich kaum einen Augenblick für mich hatte«.220
Das erste Zugeständnis für die freiheitsdürstenden Österreicher war das Oktoberdiplom 1860, der Anfang einer Verfassung. Franz Joseph schrieb an seine über das Überhandnehmen der »Volksmeinung« besorgte Mutter beruhigend: »Wir werden zwar etwas parlamentarisches Leben bekommen, allein die Gewalt bleibt in meinen Händen und das Ganze wird den österreichischen Verhältnissen gut angepaßt sein.«221 Doch selbst dieses bescheidene Zugeständnis wurde von dem bisher absolut regierenden Kaiser als persönliche Demütigung empfunden. Sophie sah in dieser ersten Lockerung des absoluten Regimes sogar den »Ruin des Reiches, dem wir uns mit großen Schritten nähern«.222
Der Familienfriede war nun schon seit einem Jahr gestört. Keinerlei Besserung deutete sich an – ganz im Gegenteil: Elisabeths Gesundheitszustand wurde, ausgelöst durch Nervenkrisen und ständige Hungerkuren, Ende Oktober 1860 so schlecht, daß der Lungenspezialist Dr. Skoda entschied, sie müsse sofort in ein wärmeres Klima, da akute Lebensgefahr herrsche. Sie könne den Wiener Winter nicht mehr überstehen. Schon bei den ersten Gesprächen schlug der Arzt als winterlichen Aufenthalt die Insel Madeira vor – offensichtlich auf Elisabeths Wunsch hin. Denn kurz vorher war Erzherzog Max von seiner Brasilienreise und einem längeren Aufenthalt auf Madeira zurückgekommen und hatte im kaiserlichen Familienkreis viel darüber erzählt und die Kaiserin zu ihrem ausgefallenen Wunsch inspiriert. Denn eigentlich gab es innerhalb der österreichischen Monarchie genügend Kurorte in mildem Klima – man denke an Meran –, wo sich Lungenkranke auskurieren konnten. Das Klima von Madeira war nicht gerade für die Ausheilung von lebensgefährlichen Lungenkrankheiten berühmt. Es hat überdies ganz den Anschein, als wollte Elisabeth mit diesem fernen Ziel Besuche des Kaisers verhindern.
Die Art der Krankheit war vollends unklar – und ist es bis heute. So gesund Elisabeth als Kind war, so sehr kränkelte sie vom ersten Tag ihrer Ehe an. Drei Schwangerschaften innerhalb von vier Jahren hatten ihren Körper erschöpft, vor allem die schwere Geburt des Kronprinzen 1858. Jahrelang litt sie unter starkem Husten, der sich im Winter 1860 bedrohlich verstärkte und wohl den Grund für die Diagnose einer Lungenkrankheit lieferte. Durch ihre hartnäckige Weigerung, Nahrung zu sich zu nehmen, litt sie an »Bleichsucht«, also Blutarmut. Ihre Nerven waren nicht belastbar. Wiederholt kam es zu nicht zu stillenden Weinkrämpfen. Um ihre überreizten Nerven zu beruhigen, hatte sie sich angewöhnt, extrem viel Bewegung zu machen, tägliche Ritte über oft beachtliche Distanzen (so etwa von Laxenburg bis ins rund 20 km entfernte Vöslau, was der Kaiser »reiner Unsinn« nannte), Springreiten bis zur völligen Erschöpfung, stundenlange Wanderungen, Turnübungen.
An der Diagnose, lebensgefährliche »Lungenaffektation«, wurden viele Zweifel laut. Vor allem die Wiener Verwandten und die höfischen Kreise glaubten nicht recht, daß die Kaiserin wirklich so krank war. So schrieb Erzherzogin Therese an ihren Vater, Erzherzog Albrecht: »Man kann nicht darauf kommen, ob ihr viel oder wenig fehlt, da so viele Versionen über Dr. Skoda’s Ausspruch erzählt werden.«
Der Tratsch am Hof blühte. Therese: »Gestern war Tante Marie bei der Kaiserin; sie nahm ein großes Sacktuch mit, weil sie glaubte, viel zu weinen; indessen war die Kaiserin ganz lustig, sie freut sich unendlich, nach Madeira zu gehen. Die Tante war so indignirt, daß sie der Kaiserin ihre Meinung auf eine ziemlich fühlbare Art sagte: ›der Kaiser ist noch in Ischl.‹ «223 Erstaunlich war, daß der Kaiser gerade in diesen Tagen, als Dr. Skoda eine lebensgefährliche Krankheit Sisis diagnostizierte, nach Ischl auf die Jagd fuhr und seine Frau in Wien zurückließ.
In dieser für den engeren Kreis des Hofes offensichtlichen Ehekrise gehörten die Sympathien eindeutig dem Kaiser. Erzherzogin Therese: »Ich bedauere ihn unendlich, eine solche Frau zu haben, die vorzieht, ihren Mann und ihre Kinder auf 6 Monate zu verlassen, statt ein ruhiges Leben in Wien zu führen, wie es die Ärzte anordneten. Es thut mir in der Seele weh, wie er traurig und angegriffen aussieht. Ich hoffe, die Kinder werden ihm diesen Winter viel Trost und Erheiterung gewähren.«224
Sisi setzte durch, daß ihre Obersthofmeisterin Gräfin Esterházy, die Vertraute ihrer Schwiegermutter, nicht mit nach Madeira reiste. Therese: »Die Gräfin Esterházy wird auf eine sehr sonderbare Art auf die Seite geschoben. Statt ihr geht die junge Mathilde Windischgrätz nach Madeira; es ist auch sonderbar von letzterer, ihr kleines Kind zu verlassen.« Prinzessin Windischgrätz war eine 25jährige Witwe, deren Mann im Jahr zuvor in Solferino gefallen war, und hatte ein Kleinkind. Das Verhalten der angeblich Todkranken erstaunte: »Die Kaiserin beschäftigt sich sehr viel mit ihrer Sommertoilette von Madeira.«225
Im Tagebuch der Erzherzogin Sophie ist nichts über die Art von Sisis Krankheit zu finden, nur Bedauern darüber, daß die Kaiserin für so lange Zeit ihren Mann und ihre Kinder verließ: »Sie wird von ihrem Mann fünf Monate lang getrennt sein und von ihren Kindern, auf die sie einen so glücklichen Einfluß hat und die sie wirklich gut erzieht«, schrieb ausgerechnet Sophie. »Ich war von der Nachricht vernichtet.«226
Auch Herzogin Ludovika war eher erstaunt über die schlechten Nachrichten aus Wien, als daß sie wirklich an eine Todeskrankheit denken mochte: »Sisis Reise bekümmert mich sehr«, schrieb sie nach Sachsen, »und es war ein großer Schrecken, denn als sie hier war, hätte man eine solche Nothwendigkeit nicht vorausgesehen, obgleich sie immer etwas hustete, besonders anfangs … Leider schont sie sich zu wenig und vertraut zu sehr auf ihre gute Natur.« Eigenartig ist auch Ludovikas Bemerkung: »Da der Aufenthalt in Madeira sehr still und wie sie schreibt sehr langweilig seyn soll, findet sie hoffentlich keine Gelegenheit sich zu verderben.«227
Der Wiener Hof reagierte schadenfroh. Erzherzogin Sophie wurde allgemein bedauert, ebenso der Kaiser. Man sah mit Genugtuung, wie Mutter und Sohn wieder näher zusammenrückten und die Kaiserin eine Zeitlang keinen Grund zum Ärgern gab. Erzherzogin Therese schrieb: »Jetzt werden die Familiendiners immer bei der Tante Sophie sein. Ich glaube, so sehr es ihr leid ist, daß der Kaiser seit der Abreise seiner Frau so einsam ist, so wird sie im Stillen hoffen, daß er sich ihr mehr anschließen und ihr vielleicht die meisten seiner Abende weihen wird.« Therese urteilte aus höfischer Sicht, wenn sie über Sisi meinte: »In Wien hat man gar kein Mitleid mit der Kaiserin; es thut mir leid, daß sie sich nicht die Liebe der Leute erwerben konnte.«228 Diese Aussage bezieht sich jedoch hauptsächlich auf die Aristokratie und die höfischen Kreise. Bei den einfachen Leuten war die junge Kaiserin in dieser Zeit noch beliebt.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.