Kitabı oku: «Frauenstimmrecht», sayfa 6
Die 1960er-Jahre: progressive Radikalisierung
Die katastrophale Niederlage von 1959 war für die Schweizer Frauen ernüchternd, provozierte Wut und führte auch zu Resignation. International löste das Abstimmungsergebnis Unverständnis aus, die Menschenrechtskommission der UNO erklärte, sie habe es mit «Enttäuschung» («disappointment») zur Kenntnis genommen.111 Der BSF bekräftigte gleichwohl sein Festhalten am eingeschlagenen Weg der sanften Überzeugungsarbeit der männlichen Stimmberechtigten.112 Der SGF hingegen distanzierte sich von den «schmollenden Frauenstimmrechtlerinnen».113
Neue kritische Töne und radikale Praktiken
Der Entscheid der Männer, die sich weiterhin über die Meinung der weiblichen Mehrheit hinwegsetzten, radikalisierte indessen einen Teil der Basler und der Zürcher Stimmrechtsbefürworterinnen. Von da an organisierten die Zürcherinnen am 1. Februar regelmässig Fackelzüge durch die Stadt. In einer nächtlichen Aktion überklebten sie zudem die Werbeplakate für den Frauenhilfsdienst mit dem Spruch «Nicht ohne Stimmrecht». Das waren in der Nachkriegszeit neue politische Praktiken. Grossen öffentlichen Widerhall provozierten die rund fünfzig Basler Lehrerinnen, die am Tag nach der Abstimmung streikten. Es war ein höchst gesitteter Streik.114 Die Schülerinnen des Mädchengymnasiums wurden am Morgen wieder nach Hause geschickt, und die Lehrerinnen publizierten eine Presseerklärung. Die Behörden sanktionierten die Lehrerinnen. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit waren meist heftig; von den Gegnern wurde der Streik in der ganzen Schweiz negativ rezipiert und die Lehrerinnen fehlender staatspolitischer «Mündigkeit» bezichtigt (dies zum Beispiel auch in der Debatte im Neuenburger Grossen Rat 1959). Man warf ihnen mangelndes Demokratieverständnis vor, weil sie sich dem Mehrheitsentscheid der Männer nicht fügen wollten. Demgegenüber zeigten die Lehrerinnen gerade ein elaboriertes Demokratieverständnis. In ihrer Erklärung kritisierten sie die falsche Universalisierung hinter der Schweizer Demokratie, die von den Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern abstrahiere.115
Neu war Ende der 1950er-Jahre nicht nur, dass im Unterschied zu früher nun zumindest ein Teil der Aktivistinnen bereit war, ein erweitertes Aktionsrepertoire zu nutzen, sondern auch, dass sich kritische Stimmen zur Schweizer Demokratie zu Wort meldeten. Besonders kompromisslos beobachtete 1958 die Anwältin Iris von Roten die Lage der Schweizerinnen in ihrer umfangreichen Studie «Frauen im Laufgitter». Sie analysierte die weibliche Diskriminierung nicht nur in der öffentlichen, sondern auch in der privaten Sphäre und plädierte entsprechend für eine «doppelte Emanzipationsstrategie», beruflich und sexuell.116 Ihr radikaler Ansatz eckte an, die Medien lancierten eine wahre Hetzkampagne gegen sie. Öffentliche Unterstützung fand sie kaum, selbst die Stimmrechtsaktivistinnen distanzierten sich. Eine der wenigen, die ihr Buch verteidigten, war Gertrud Heinzelmann, die Zentralpräsidentin des SVF, die 1960 eine Studie zur Rechtsungleichheit in der Schweiz publizierte. Sie konstatierte eine Fragmentierung und Inkohärenz der Schweizer Rechtslandschaft nach der Einführung des Frauenstimmrechts in drei Westschweizer Kantonen.117 Nach der Abstimmung von 1959 liess Iris von Roten eine kleine, wiederum scharf argumentierende Schrift zur Schweizer Demokratie folgen. Darin demontierte sie die offizielle Heuchelei, welche die Ungerechtigkeit, die den Frauen widerfuhr, hinter den vermeintlichen Spielregeln des politischen Systems der Schweiz verstecke. Ausserdem forderte sie für die Zukunft eine paritätische Geschlechtervertretung, wenn die Demokratie denn ihren Prinzipien gerecht werden sollte.118 Erstmals seit der ersten Hälfte des Jahrhunderts äusserte sich auch wieder ein Mann publizistisch zugunsten des Frauenstimmrechts. Der Geograf, Ökonom und IKRK-Delegierte Max Liniger (1930–2018) kritisierte 1959 in seinen «Réflexions sur l’antiféminisme suisse» die Haltung seiner Schweizer Geschlechtsgenossen, die er als Antifeminismus taxierte. Durch die Wahl dieses Begriffs machte er deutlich, dass die Verweigerung der weiblichen politischen Teilhabe mehr war als ein Gefühl oder eine spontane Reaktion, nämlich eine bewusste politische Abwehr der weiblichen Emanzipation.119 Wie rar eine derartige männliche Stellungnahme war, zeigt die Tatsache, dass er im selben Jahr als Hauptreferent der 49. Generalversammlung des SVF eingeladen wurde.
Heinzelmanns Überlegungen lieferten den Stimmrechtsbefürworterinnen und -befürwortern sowohl neue juristische Argumente als auch neue Aktionsmöglichkeiten. In der Folge testeten in Genf beheimatete oder wohnhafte Schweizerinnen drei verschiedene Arten, ihr kantonales Stimmrecht auszuweiten. Die in Zürich etablierte Gertrud Heinzelmann, die das Genfer Bürgerrecht besass, wollte sich mit 13 anderen Romandes im Zürcher Stimmrechtsregister eintragen lassen. Die in Genf wohnhafte Mathilde de Stockalper liess sich im Wallis als Kandidatin auf eine Wahlliste setzen. Die sozialdemokratische Genfer Rechtsanwältin und die erste Frau, die in der Schweiz einen Grossen Rat präsidierte, Emma Kammacher (1904–1981), rekurrierte 1965 mit 564 weiteren Schweizerinnen gegen die Weigerung der Genfer Regierung, sie an eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen teilhaben zu lassen, an den Bundesrat.120 In allen drei Fällen verliefen die zu einer partiellen Verfassungsrevision alternativen Praktiken erfolglos.
Doch der Weg über eine Verfassungsrevision blieb auch auf kantonaler Ebene steinig. In den über dreissig Abstimmungen der 1960er-Jahre hatten meist nur minimale staatspolitische Reformen auf Gemeindeebene eine Chance. Erst 1966 folgte Basel-Stadt als erster Deutschschweizer Kanton den drei Westschweizer Pionierkantonen mit dem kantonalen und kommunalen Stimm- und Wahlrecht. Bis 1970 gesellten sich noch Basel-Landschaft sowie das Tessin, Wallis, Luzern und Zürich zu dieser Gruppe. Vor der zweiten eidgenössischen Abstimmung vom 7. Februar 1971 besassen also nicht mehr als zehn Kantone das integrale Frauenstimmrecht, wobei die vier letzten erst seit 1970 (siehe Karte 8, S. 197).
1963 trat die Schweiz dem Europarat bei. Die Bundesbehörden erwogen, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) mit Vorbehalten zu unterzeichnen. Für die Frauenorganisationen war das eine Kriegserklärung, schwanden doch so ihre Chancen auf eine eidgenössische Normierung der politischen Partizipation. Ein Beitritt unter diesen Bedingungen hätte eine Klage der Schweizerinnen bei der Europäischen Menschenrechtskommission verhindert.121 Der SVF wies die Mitglieder des Parlaments in einer Eingabe augenblicklich auf die Problematik hin, erreichte aber nur eine provisorische Zurückstellung der Unterzeichnung der EMRK.
Der Bundesrat befand sich in einem Dilemma. Einerseits erhielt die Diskriminierung der Schweizerinnen seit den 1960er-Jahren international wachsende Aufmerksamkeit. Der «Sonderfall» der «ältesten Demokratie der Welt» galt im Ausland zunehmend nicht mehr als bizarre Folklore, sondern als Rückständigkeit und anachronistische Ungerechtigkeit. Am Kongress der International Alliance of Women (ursprünglich IWSA) 1964 in Triest war die Tatsache, dass die Schweiz als einziges Mitgliedsland das Frauenstimmrecht noch nicht eingeführt hatte, prominentes Thema vor der internationalen Presse. Auch die offizielle Schweiz begann dieses Manko als Reputationsschaden wahrzunehmen.122 Innenpolitisch begannen sich in den Medien zudem die Stimmen zu mehren, die nicht nur das Frauenstimmrecht, sondern auch die Gleichstellung der Geschlechter als überfällig bezeichneten. Andererseits betrachteten der Bundesrat und weitere politische Kreise es als ebenso schädlich, wenn nicht gar schädlicher für das internationale Renommee des Landes, länger mit der Unterzeichnung der EMRK abzuwarten. In kurzen zeitlichen Abständen, am 30. November und am 14. Dezember 1965, wurden im Nationalrat zwei Motionen eingereicht, welche die Priorität jeweils unterschiedlich setzten. Der Genfer Regierungsrat Henri Schmitt (1926–1982), bald danach Präsident der FDP Schweiz, der im März mit einer kleinen Anfrage gescheitert war,123 forderte nun mit 13 Mitunterzeichnern den Bundesrat auf, eine neue Vorlage für eine Verfassungsrevision zugunsten des Frauenstimmrechts auszuarbeiten. Er wurde durch eine drei Monate später eingereichte Standesinitiative des Neuenburger Grossen Rates unterstützt. Sie forderte vom Bund zusätzlich die Einführung des Frauenstimmrechts in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Schmitts Motion wurde 1966 dem Bundesrat ohne zeitliche Verbindlichkeit überwiesen, die Neuenburger Standesinitiative ebenfalls. Der Sankt-Galler Sozialdemokrat Mathias Eggenberger (1905–1975) wollte hingegen, zusammen mit den übrigen sechs Fraktionspräsidenten, vom Bundesrat einen Bericht zum Beitritt der Schweiz zur EMRK, denn der Beitritt könne nicht ewig verschoben werden. Die Motion wurde als Postulat angenommen.
Bis 1968, dem Internationalen Jahr der Menschenrechte, geschah nichts. Obschon der SVF am 5. Juni 1966 eine Audienz beim sozialdemokratischen Bundesrat Willy Spühler (1902–1990), Chef des Eidgenössischen Politischen Departements (EPD), gewünscht hatte, um ihm seine Sicht der Dinge darzulegen, musste er fast zwei Jahre, bis zum 7. März 1968, warten. Eingeladen wurde aber nicht der SVF, sondern die Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau als Dachorganisation verschiedener Frauenverbände. Die Vertreterinnen von SVF, BSF, Katholischem Frauenbund und Evangelischem Frauenbund zeigten sich einig: Zwischen ihnen bestand Konsens, die Unterzeichnung der EMRK mit Vorbehalt abzulehnen. Doch genau diese Möglichkeit hatte Spühler, der die internationale Öffnung der Schweiz vorwärtsbringen wollte, am 1. Februar 1968 in einer öffentlichen Rede evoziert.124 Die Vertreterin der SP, Marie Boehlen (1911–1999), äusserte sich am direktesten und forderte den Bundesrat, der sich als Verfechter der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter bezeichnete, zu Taten statt Worten auf. Wie mit der Motion Eggenberger sichtbar wurde, waren die Stimmrechtsaktivistinnen daran, in dieser Frage ihren ältesten Allianzpartner, die SP, zu verlieren. Dass der Bundesrat bereits entschieden hatte, zeigte sich an der Delegiertenversammlung des SVF im Juni 1968. Da erfuhren die Anwesenden von Spühlers Chefbeamten Dr. Heinz Langenbacher (1919–2013) die Konturen des Regierungsszenarios. Die Schweiz als traditionsreiches Land der humanitären Hilfe und als Land der Freiheit und des Friedens, das «stets versucht habe, die Demokratie in grosser Reinheit zu erhalten» – so lautete die Argumentation –, könne sich die Chance, «Modell und Ansporn zu sein», nicht entgehen lassen. Ein Beitritt zur EMRK würde die «Bereinigung der noch bestehenden Unstimmigkeiten» (gemeint war das Frauenstimmrecht) zweifellos fördern, auch wenn in der Demokratie solche Prozesse stets zu «erdauern» seien. Es gehe jetzt darum, Rücksicht auf «höhere Interessen» zu nehmen, nämlich den Schutz der Menschenrechte in der Welt. Mahnend ergänzte der Chefbeamte, dass es der Sache der Menschenrechte keinen Dienst erweisen würde, wenn nun das Frauenstimmrecht unter Druck eingeführt werden müsse. Zum Schluss versicherte er den anwesenden Frauen, dass sowohl er persönlich wie auch das von ihm vertretene Departement voll hinter der Gleichstellung der Frauen und dem Frauenstimmrecht stünden.125
Am 9. Dezember 1968 konkretisierte der Bundesrat seine Europapolitik mit einem Bericht über seine Haltung bezüglich der EMRK.126 Er gab der Unterzeichnung der internationalen Norm Priorität, da er die Zeit für die Einführung des Frauenstimmrechts noch nicht für reif hielt. Er folgte damit nicht nur der Aufforderung der Motion Eggenberger, sondern auch der theoretischen Legitimation des Verfassungsrechtsprofessors Dietrich Schindler (1924–2018), der in einer öffentlichen Stellungnahme die Meinung vertreten hatte, dass die Vorteile einer Unterzeichnung gegenüber den Nachteilen überwiegen würden. Schindler verstieg sich dabei zu einer Demokratiedefinition, welche die Anzahl der Stimmberechtigten und die Anzahl Urnengänge gegeneinander aufwog: «Das Fehlen des Frauenstimmrechts ist eine in der ganzen Welt bekannte Eigenheit der schweizerischen Demokratie, die teilweise immerhin dadurch kompensiert wird, dass die politischen Rechte in der Schweiz eine größere Ausdehnung haben als anderswo.»127 1951 hatte Max Huber, einer seiner Vorgänger an der Universität Zürich, daraus allerdings den umgekehrten Schluss gezogen, dass nämlich durch die grosse Anzahl Abstimmungen in der Schweiz der weibliche Ausschluss umso gravierender sei.128
Der Nationalrat akzeptierte mit 88 zu 80 Stimmen den Vorschlag des Bundesrats nur knapp. Die Unterstützung kam vor allem von der sozialdemokratischen und der konservativ-christlichsozialen Fraktion. Die Opposition seitens der BGB und der Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat basierte auf der Angst vor «fremden Richtern» aus Strassburg. Aus gegensätzlicher Warte lehnten die Parteienvertreter der PdA und ein Teil des LdU eine Unterzeichnung mit Vorbehalten als der Schweiz unwürdig ab, während die FDP unter dem Druck gewerblicher Vertreter argumentativ lavierte. Sie verlangte zwar ebenfalls zuerst die Aufhebung der Vorbehalte, zeigte aber eine grundsätzliche Skepsis gegenüber ausländischen Einflüssen und bemängelte, dass diese Frage nicht einer Volksabstimmung unterworfen werde.129 Für die Sozialdemokraten und ihren Bundesrat war die Frage derart prestigeträchtig, dass Eggenberger, der Motionär und Rapporteur der Kommissionsmehrheit, nicht davor zurückschreckte, den Frauenorganisationen Sturheit vorzuwerfen und sogar drohte, dass dies bei einer kommenden Abstimmung über das Frauenstimmrecht die «Männer negativ beeinflussen könnte».130 Der Ständerat folgte jedoch dem Bundesratsvorschlag nicht. Mit 20 zu 22 Stimmen nahm er die Botschaft des Bundesrats nur zur Kenntnis.
Politik ist ein Kampfsport
Der Bundesrat verharrte danach weiterhin abwartend zum Frauenstimmrecht, immer noch von der Angst einer internationalen Blamage im Falle eines negativen Volksentscheids gelähmt. Erst die unerwartete öffentliche Mobilisierung der Frauenbewegung in einem damals noch unbekannten Umfang drängte ihn endlich zum Handeln: Am 1. März 1969 demonstrierten 5000 Frauen und etliche Männer vor dem Bundeshaus in Bern. Sie skandierten «Frauenstimmrecht ist Menschenrecht» und pfiffen den Bundesrat aus. Die Aktion ging auf die Neue Frauenbewegung zurück. Die sich formierende Frauenbefreiungsbewegung (FBB) hatte am 10. November 1968 die 75-Jahrfeier der Zürcher Sektion des SVF gestört und die Bravheit der Stimmrechtlerinnen kritisiert. Bei diesem Ereignis kollidierten nicht nur zwei Generationen Feministinnen, sondern auch zwei politische Stile, Sprachen und Programmatiken. Für die FBB stellte das Frauenstimmrecht nur eine Diskriminierung unter vielen dar. Sie forderte nichts weniger als die Emanzipation der Frauen und ihre Befreiung von der männlichen Herrschaft. Dafür war sie bereit, provokatorische Aktionsmittel einzusetzen wie anlässlich des jährlichen Fackelzugs der Stimmrechtsaktivistinnen; im eng gezogenen politischen Handlungsrahmen der damaligen Schweiz überschritten sie damit schnell die Toleranzgrenzen. Aus Angst vor weiteren Störaktionen der «progressiven Mädchen», wie sie die NZZ nannte,131 weigerte sich die Mehrheit des SVF danach, am «Marsch nach Bern» teilzunehmen. Die FBB ihrerseits verzichtete auf eine Teilnahme, weil die geplante Demonstration an einem Samstag geplant war, an dem das Parlament nicht tagte.
Die Demonstration war gleichwohl für die damalige Zeit ein Grosserfolg. Wie effektiv der Druck dieser öffentlichen Kundgebung der bis dahin stets in institutionellen Bahnen agierenden Stimmrechtsaktivistinnen auf die Bundesbehörden war, zeigt die Tatsache, dass sich der Bundesrat nur vier Tage später bereit erklärte, endlich auf die Motionen von Fritz Tanner (1923–1996; LdU) vom 4. Juni 1968 sowie die ältere von Henri Schmitt und die Standesinitiative von Neuenburg einzutreten und eine neue Abstimmungsvorlage zu präsentieren. Nachdem somit die behördliche Erstarrung gebrochen worden war, versuchten zwei sozialdemokratische Interventionen (Motion des Zürcher Gewerkschafters Max Arnold, 1908–1998, und Postulat des Basler Rechtsanwalts Andreas Gerwig, 1928–2014) doch noch über den Interpretationsrespektive den Gesetzesweg das Frauenstimmrecht zu implementieren und so die Hürde der Volksabstimmung zu umgehen. Es war ein Zeichen der herrschenden Skepsis gegenüber einem Urnengang und den Effekten der Transformationen der Gesellschaft – doch das Parlament und der Bundesrat gingen nicht darauf ein.
Nach dem Vernehmlassungsverfahren im Sommer 1969 (bei dem der SVF beinahe übergangen worden wäre), legte die Regierung am 23. Dezember 1969 ihre Botschaft vor.132 Sie war mit 42 Seiten vergleichsweise knapp und schlug die Einführung des Frauenstimmrechts über die Partialrevision von Artikel 74 der BV vor. Die Vorlage passierte die eidgenössischen Räte, wenn nicht ganz ohne Diskussion, so doch am Schluss einstimmig. Die letzten Verzögerungsversuche durch die Verschiebung der Abstimmung auf ein Datum nach den Nationalratswahlen im Herbst 1971 wurden ebenso deutlich abgelehnt wie derjenige des Rechtspopulisten James Schwarzenbach (1911–1994), der noch zu diesem Zeitpunkt zuerst eine Konsultativabstimmung unter Frauen durchführen wollte.
Ebenso wenig ging das Parlament auf den Vorschlag Arnolds ein, im Sinne «des Grundsatzes der Rechtsgleichheit» den Absatz zu streichen, dass «Abstimmungen und Wahlen der Kanhtone und Gemeinden weiterhin dem kantonalen Recht vorbehalten» seien. Bundesrat Ludwig von Moos (1910–1990) wehrte den Antrag als «mit der föderativen Struktur unseres Staates nicht vereinbar» ab. Denn «die Bezeichnung und Umschreibung des Staatsund Wahlkörpers» sei eines der wichtigsten Prärogative der Kantone.133 Der katholisch-konservative Innerschweizer Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements hatte in der vorparlamentarischen Phase bereits auf Verwaltungsebene verhindert, dass die Einführung des Frauenstimmrechts durch den Bund auch auf die Kantonal- und Kommunalebene ausgedehnt werde und sich dabei gegen das EPD durchsetzen können. Dieses war nämlich der Meinung, dass ansonsten der Vorbehalt zum Frauenstimmrecht bei der EMRK nicht aufgehoben sei.134 Derselben Meinung war Nationalrat Arnold. Sein parlamentarischer Antrag wurde jedoch mit 16 gegen 122 Stimmen abgelehnt, womit er seine Befürchtung realisiert sah, dass «es im Ermessen der Kantone [liegen bliebe], ob wir in 10, 15 oder 20 Jahren in kantonalen Angelegenheiten noch weibliche Untertanen haben werden».135
Das Ergebnis der Volksabstimmung am 7. Februar 1971 war mit 65,7 Prozent Ja-Stimmen und einer Stimmbeteiligung von 57,7 Prozent eine deutliche Zustimmung zur politischen Teilhabe der Schweizerinnen. Acht Kantone (AR, AI, GL, OW, SZ, SG, TG, UR) lehnten das Begehren aber nach wie vor ab.
Die Akteurinnen und Akteure
Dieses Kapitel zeichnet eine Art Phantombild der zentralen Aktivistinnen und Aktivisten für und gegen das Frauenstimmrecht. Das skizzenhafte Kollektivporträt der Kämpferinnen und Kämpfer für das Stimmrecht fragt nach dem Geschlecht, der sozialen Herkunft, dem familiären Umfeld, dem Beruf, dem Alter, dem Zivilstand, dem weltanschaulich-politischen Hintergrund und den Motiven des Engagements sowie nach dem Wandel dieser Analysekategorien über die Zeit. Es bezieht sich fast ausschliesslich auf die Verbandsspitzen auf ausgewählter lokaler und auf nationaler Ebene.136 Einfache Mitglieder des SVF und Aktivistinnen anderer Frauenorganisationen sowie politischer Parteien, insbesondere der Frauengruppen der beiden Linksparteien SP und KP, bleiben daher ausgeblendet. Für die Mobilisierung der Stimmbürger und den Mentalitätswandel der Menschen brauchte es jedoch zahlreiche Frauen wie Marie Schmid, eine ehemalige Hilfsarbeiterin aus Basel, die vor jedem Urnengang auf der Strasse Flugblätter verteilten, Stände aufstellten und Passantinnen und Passanten ansprachen, um sie zu überzeugen.137 Gegen aussen und in der medialen Öffentlichkeit waren es jedoch die Mitglieder der Leitungsgruppe, die den Frauenstimmrechtskampf repräsentierten. Dies trifft auch auf die Gegnerinnen zu, hier analysiert anhand des Zentralvorstands des 1959 gegründeten Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht.138