Kitabı oku: «Frauenstimmrecht», sayfa 5

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Steigerung des politischen Drucks auf den Bundesrat

Allerdings brachten erst zwei Ereignisse genügend politischen Druck, um den Bundesrat zum Handeln zu bewegen und mit einem neuen Bericht grünes Licht für die erste eidgenössische Abstimmung über das Frauenstimmrecht zu geben.

Erstens hatte am 29. und 30. November 1952 in Genf eine Konsultativabstimmung unter den Schweizerinnen, die seit mindestens drei Monaten im Kanton wohnhaft waren, stattgefunden. Sie ging auf eine PdA-Motion zurück. Ihr Ergebnis war eindeutig: 84,8 Prozent der Frauen hatten sich bei einer Beteiligung von fast sechzig Prozent für die Einführung des integralen Frauenstimmrechts ausgesprochen. In seinem Postulat konnte sich Nationalrat Grendelmeier auf dieses Resultat stützen, da es die stets wiederholte Behauptung entkräftete, die Frauen wollten das Stimmrecht gar nicht. Eine Reihe weiterer konsultativer Abstimmungen, insbesondere in Basel-Stadt und der Stadt Zürich, bestätigten dies.

Zweitens verabschiedete der Bundesrat 1954 auf der Basis des Dringlichkeitsrechts der Kriegsjahre eine Zivilschutzverordnung, die auch die Frauen obligatorisch in die Landesverteidigung einbezog. Die Opposition gegen diese Vorlage, die Frauen neue Pflichten aufoktroyierte, ohne das Recht, darüber mitzuentscheiden, ging weit über den Kreis der Aktivistinnen und Aktivisten für das Frauenstimmrecht hinaus. Der Protest, der bis in die Reihen der Katholikinnen reichte, zwang den Bundesrat, das Projekt über den Weg einer Verfassungsrevision zu realisieren. Zudem modifizierten die Regierung und das Parlament das Projekt in dem Sinn, dass Frauen nur in die Hauswehren, deren Aktionsradius auf den Häuserblock beschränkt war, integriert werden würden. Die obligatorische Dienstpflicht behielten sie aber bei. Während die Politik also – in der Hoffnung auf grössere Akzeptanz – das Projekt auf die traditionelle Geschlechterordnung zuschnitt, sah sie kein Problem darin, den Frauen neue staatliche Pflichten ohne Rechte aufzubürden. Damit mutete sie den Frauen und einem egalitären Demokratieverständnis doch etwas viel zu! Erstmals war der Protest nicht mehr nur diskursiv auf die Presse und Versammlungen beschränkt. Medienwirksam leitete der dynamische von Roten, Präfekt des Bezirks Westlich Raron, in der kleinen Walliser Gemeinde Unterbäch eine provokatorische Aktion ein: Mithilfe des Gemeinderats wurden die Frauen zur Abstimmung über die Zivilschutzvorlage zugelassen. Ihre Stimmen wurden letztlich zwar nicht mitgezählt, doch war die symbolische Brisanz dieses von Fernsehen und Presse multiplizierten Tabubruchs erheblich: Erstmals partizipierten Frauen an der männlich kodierten staatsbürgerlichen Praktik des Urnengangs!

Die Taktik der Frauenorganisationen, im Kalten Krieg Landesverteidigung und Frauenstimmrecht zu verknüpfen, setzte den Bundesrat unter Zugzwang. Obschon es rechtlich keinen Zusammenhang gäbe, meinte Bundesrat Markus Feldmann (1897–1958), hätten die Frauenverbände «einen politischen Zusammenhang geschaffen, indem sie ihre Einstellung zum obligatorischen Hauswehrdienst von der Einräumung der politischen Rechte abhängig machen. Damit sieht sich der Bund in die Zwangslage versetzt, entweder auf das Obligatorium des Hauswehrdienstes zu verzichten, oder den Frauen die verlangten politischen Rechte einzuräumen, oder das Obligatorium gegen den Willen dieser Frauenverbände einzuräumen.»85 Die Frauenorganisationen machten deutlich, dass die nationale Sicherheit von der Loyalität der Gesamtbevölkerung abhängig war und dies wiederum die Integration aller sozialen Gruppen respektive beider Geschlechter verlangte. Auf den Bundesrat übte dies den nötigen Druck aus, endlich einen neuen Bericht zum Frauenstimmrecht vorzulegen.

Eine Bundesratsbotschaft mit Ambivalenzen

Neun Tage vor der Abstimmung über den Zivilschutz, am 22. Februar 1957, erschien die Botschaft des Bundesrats an die Bundesversammlung über die Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts in eidgenössischen Angelegenheiten.86 Erstmals bezog die Schweizer Regierung zugunsten des Frauenstimmrechts Position. Was jahrelanges Lobbying der Frauenverbände nicht zustande gebracht hatte (zwischen 1934 und 1959 hatte der SVF nicht weniger als 43 Eingaben an verschiedene Bundesbehörden gemacht, also durchschnittlich fast zwei pro Jahr87), war durch tagespolitische Erfordernisse zusammen mit der Macht eines männlichen Expertenworts, dank dessen sich die Behörde legitimieren konnte, plötzlich möglich geworden.

In der Tat stützte sich die bundesrätliche Botschaft auf die zurückhaltende Argumentation des angesehenen Staatsrechtlers Werner Kägi (1909–2005).88 In seinem Gutachten, das er im Auftrag des SVF verfasst hatte, plädierte er für die Einführung des Frauenstimmrechts, allerdings nur auf der Basis einer partiellen Verfassungsrevision, eine einfache Neuinterpretation lehnte er ab. Der Bundesrat, der das Erscheinen des Gutachtens abgewartet hatte, um seine Botschaft zu verabschieden, folgte dem von Kägi vorgeschlagenen Verfahren, beharrte also auf einer Volksabstimmung und schloss jeden alternativen Weg aus, was die Chancen des Frauenstimmrechts eher unsicher machte. In zweifacher Hinsicht verringerte die Botschaft sie noch weiter. Erstens gab der Bundesrat den Argumenten der Gegnerschaft darin derart viel Raum und präsentierte sie in einer solch unkritischen Form, dass sie als durchaus legitim erschienen.89 Zweitens schlug er die Abänderung von nicht weniger als 16 Artikeln der Bundesverfassung vor, was die Vorlage als derart gewichtig erscheinen liess, dass sie nur abschreckend wirken konnte. Der Ständerat, der als Erster beriet, reduzierte die Änderungsvorschläge auf ein handliches Mass, akzeptierte die Vorlage aber gleichwohl nur mit 19 gegen 14 Stimmen. Der Nationalrat, der sie im März 1958 behandelte, nahm sie mit 95 gegen 37 Stimmen an.

Intensivierung der Mobilisierung

Inzwischen hatten die Verfechterinnen und Verfechter des Frauenstimmrechts wiederum verschiedene Vorgehensweisen aktiviert und waren erneut gescheitert: Von den sechs kantonalen Abstimmungen, die zwischen 1953 und 1957 stattgefunden hatten, war nur die restriktivste, die Ermächtigung zur Einführung des Stimm- und Wahlrechts in den Bürgergemeinden in Basel-Stadt, akzeptiert worden. (Die Gemeinde Riehen führte es 1958 als erste ein.) Die Ja-Stimmen-Anteile waren zwar im Vergleich zu früheren kantonalen Abstimmungen etwas gestiegen, doch nur moderat: in Zürich zum Beispiel um etwas mehr als sechs Punkte, von 22,5 (1947) auf 28,7 Prozent (1954); in Basel-Stadt um acht Punkte, von 37,1 (1946) auf 45,1 (1954) Prozent. Gescheitert war auch eine erneute Bestrebung von Frauen, sich ins Stimmregister eintragen zu lassen. Im Unterschied zum früheren Versuch durch Jenni handelte es sich nun um über tausend Frauen aus drei Westschweizer Kantonen. Die Initiatorin, die Lausanner Rechtsanwältin Antoinette Quinche (1896–1979), konnte sich nun selbst an das Bundesgericht wenden. Dieses beharrte freilich auf seiner alten Position, erforderlich sei eine partielle Verfassungsrevision. Ein Wandel zeigte sich aber in Bezug auf die inneren Kräfteverhältnisse im richterlichen Gremium: Zwei von sieben Bundesrichtern teilten nun die von Quinche ins Spiel gebrachte Option einer Verfassungsinterpretation.

Im Hinblick auf die Abstimmung von 1959 hatten sich die Frauenorganisationen schon im November 1957 in der Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau zusammengeschlossen. Mit dabei war erstmals auch der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF), allerdings fehlte der SGF. Auch die Gegnerinnen hatten sich neu organisiert: im Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht. Diese Organisation war dauerhafter als die früheren, sie blieb zwischen 1958 und 1971 aktiv.90 Anders als die Befürworterinnen optierte sie für eine nicht gemischte Mitgliedschaft. Die Frauen sollten ohne Männer in der Öffentlichkeit auftreten, um die Sichtweise zu begünstigen, dass die Frauen das Stimmrecht nicht wollten. Die Männer, die sie unterstützten und berieten, sollten eigene Unterstützungskomitees bilden. Es war allerdings einer ihrer männlichen Verbündeten, der katholisch-konservative Nationalrat Karl Hackhofer (1904–1977), der an der zweiten Sitzung des gegnerischen Frauenkomitees erklärte, wie taktisch vorzugehen sei: «Ein Männerkomitee bestehend aus Mitgliedern aller Parteien ist in Vorbereitung. Wir müssen zusammen arbeiten, aber nicht nach aussen. Unsere Hauptaufgabe muss darin bestehen, unsere Stimme überall hörbar zu machen, den Mythos, die Frauen seien jetzt dafür, zu zerstören.»91

Eine nationale Niederlage und drei kantonale Erfolge

Trotz der hohen internen Mobilisierungskapazität der Befürworterinnen fiel das Abstimmungsergebnis am 1. Februar 1959 negativ aus. Mit 66,9 gegen 33,1 Prozent der Stimmen war es eine immense Niederlage. Nur die SP und der LdU hatten die Ja-Parole ausgegeben, der Freisinn und die CVP Stimmfreigabe, die BGB die Nein-Parole. Während die dem Liberalismus nahestehenden Zeitungen wie die NZZ und das Journal de Genève sich für das Frauenstimmrecht aussprachen, äusserten sich das führende katholische Organ Vaterland wie auch der Walliser Bote und der Appenzeller Volksfreund dagegen. In der lateinischen Schweiz hingegen befürworteten auch die katholische La Liberté und das Giornale del Popolo die Vorlage. Die Frauenverbände und ihre Presse ihrerseits waren um grosse Sachlichkeit bemüht gewesen.92

Auf lokaler Ebene zeigten die Abstimmungsergebnisse eine auffällige Tendenz: die Verschiebung der Unterstützung des Frauenstimmrechts von den Arbeiterschichten zu den Angestellten und Teilen des Bürgertums. Die von Peter Frey analysierten Zahlen beziehen sich zwar nur auf die Städte Zürich und Genf, doch ist zu vermuten, dass sie einen allgemeinen Trend repräsentieren. In Zürich überholten die bürgerlichen Kreise nun die Arbeiterkreise, und insbesondere den Kreis 5, der bis dahin die höchsten Zustimmungsraten aufgewiesen hatte. Die Entwicklung setzte bei der kantonalen Abstimmung von 1954 ein und beschleunigte sich 1959. Während in den Kreisen 4 und 5 die Zustimmung zum Frauenstimmrecht nur um 2 Prozentpunkte stieg, erhöhte sie sich in den bürgerlichen Kreisen 2 und 7 um 12 respektive 17 Punkte.93 Auf der Basis etwas weniger konsolidierter Daten weist die Stadt Genf eine similäre Entwicklung auf, allerdings weniger deutlich und leicht zeitverschoben. 1953 zeigten die Arbeiterkreise noch die vergleichsweise höchsten Zustimmungsraten, 1959 und 1960 wurden sie von den relativ jungen Kreisen mit hohem Anteil an Angestellten und Kadern überholt.94

Auf nationaler Ebene zeigten die Abstimmungsresultate ein West-Ost-Gefälle. Während sich in den Kantonen Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden der Ja-Stimmenanteil auf 4,9 respektive 15,5 Prozent belief und in St. Gallen und Thurgau auf 19,3 respektive 19,9 Prozent, befürworteten drei Westschweizer Kantone das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene: Genf mit 60 Prozent Ja-Stimmen, Neuenburg mit 52,2 Prozent und Waadt mit 51,3 Prozent (siehe Karte 4, S. 194). Der Kanton Waadt stimmte gleichzeitig über die Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler und kommunaler Ebene ab. 52,6 Prozent der Stimmberechtigten sagten Ja. Neuenburg folgte am 27. September 1959 mit 53,6 Prozent, Genf am 6. März 1960 mit 55,3 Prozent Ja-Stimmen.

Es stellt sich die Frage, wie es dazu kam.

Die Abstimmung im Kanton Waadt fand auf Vorschlag des freisinnig dominierten Regierungsrats statt. Nachdem er 1957 dem Parlament einen diesbezüglichen Bericht vorgelegt hatte, diskutierte die Legislative am 14. Mai 1958 das «projet de décret», in dem es um Folgendes ging: «[…] d’accorder aux femmes l’égalité politique complète, c’est-à-dire le droit de voter et d’être élues tant sur le plan cantonal que sur le plan communal.» Der Regierungsrat begründete die Verfassungsänderung in erster Linie mit einem föderalistischen Argument. Mit Blick auf die eidgenössische Abstimmung vertrat er die Ansicht, dass es mit dem föderativen Aufbau des Schweizer Staats nicht konform wäre, auf nationaler Ebene ein neues Prinzip einzuführen, das auf kantonaler Ebene fehlte: «Il ne serait dès lors guère conforme à la structure fédérative de notre état que la Constitution fédérale pût consacrer, comme le résultat d’une évolution accomplie des mœurs, un principe qui ne trouverait son expression dans aucun des cantons de la Suisse.» Der Regierungsvorschlag sollte die richtige Ordnung wiederherstellen («rétablir l’ordre normal des choses») und politische Inkohärenzen vermeiden.95 Regierungsbericht und Verfassungsänderungsvorschlag passierten den Rat fast ohne Widerstand. Nur ein Ratsmitglied opponierte, während sich 13 Grossräte dafür aussprachen und ein Grossrat ambivalent Stellung nahm. Politiker der sechs grossen und grösseren Parteien engagierten sich im Abstimmungskomitee. Mit Ausnahme der rechtsextremen Ligue Vaudoise, die im Kanton gut verankert war, sprachen sich alle Parteien, ob aus Überzeugung oder politischem Kalkül, für die Einführung des Frauenstimmrechts aus. Die Stadt Lausanne befürwortete es sogar mit 65,5 Prozent Ja-Stimmen.96

Im Kanton Neuenburg bedurfte es mehrerer Motionen, bevor der Regierungsrat auf das Geschäft eintrat. Er tat dies erst, nachdem eine Mehrheit der Kantonsbürger im Rahmen der eidgenössischen Abstimmung im Februar 1959 das Frauenstimmrecht befürwortet hatte und bereits am nächsten Tag je eine Motion der Liberalen Partei, der rechtsbürgerlichen Parti progressiste und der PdA eine Abstimmung über das integrale Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene verlangte. Sie addierten sich zu den bereits anderthalb Jahre früher eingereichten Motionen der SP und der FDP. Die drei bürgerlichen Parteien (Freisinn, Liberale und Parti progressiste) konnten sich jedoch nicht zur Ja-Parole durchringen, sondern beschlossen Stimmfreiheit! Das Abstimmungsresultat zeigte ein klares Stadt-Land-Gefälle. Das Gewicht der Städte (Neuenburg, La Chaux-de-Fonds, Le Locle) war entscheidend. Eine Besonderheit von Neuenburg lag darin, dass nun auch die im Kanton wohnhaften Ausländerinnen auf kommunaler Ebene das Stimmrecht erhielten!97

Im Kanton Genf begann sich die lokale Sektion des SVF nach der erfolgreichen Konsultativabstimmung der Frauen im November 1952 und der erneuten Ablehnung des Frauenstimmrechts durch die männlichen Stimmbürger ein halbes Jahr später, am 7. Juni 1953, zögerlich zwar und mit internen Differenzen, zu radikalisieren. Erstmals seit den 1920er-Jahren griffen die Stimmrechtsaktivistinnen wieder zu öffentlichen Handlungsformen wie einer Flugblattaktion vor den Abstimmungslokalen, einem Boykottaufruf an die jungen Frauen zur Zeremonie für die Jungbürger (promotions civiques) sowie einer öffentlichen Gedenkveranstaltung ein Jahr nach der Konsultativabstimmung der Frauen. Nach der Gründung der Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau im November 1957 rief Georges Thélin (1890–1963), der Schweizer Jurist, der gerade von seinem Posten als Generalsekretär der NGO Union internationale de protection de l’enfance pensioniert worden war, zur Formierung einer männlichen Genfer Sektion auf, die alsbald 150 Mitglieder zählte. Im Unterschied zu den Waadtländerinnen verzichteten die Genfer Aktivistinnen und Aktivisten darauf, ihre Kontakte zum Regierungsrat spielen zu lassen, um am 1. Februar 1959 gleichzeitig mit der eidgenössischen Abstimmung eine kantonale in die Wege zu leiten. Die Kampagne wurde hauptsächlich von den männlichen Aktivisten geführt, die Frauen sollten explizit im Hintergrund bleiben, wobei notabene eine genau gegenteilige Taktik zu den Deutschschweizer Gegnerinnen und Gegnern gewählt wurde. Mit 60 Prozent Ja-Stimmen war die Abstimmung ein Erfolg, der allerdings durch die geringe Stimmbeteiligung von 45 Prozent etwas gedämpft war. Wenige Tage später, am 18. Februar 1959, reichten drei Abgeordnete bei der Genfer Legislative eine Motion zugunsten des kantonalen Frauenstimmrechts ein. Sie wurde am 4. Juli überwiesen, die Abstimmung auf den 5. und 6. März 1960 festgelegt. Die Stimmrechtsaktivistinnen durften am Radio sprechen. Von den Gegnerinnen und Gegnern wollte sich hingegen niemand exponieren, obschon sie auf Flugblättern und in der Presse eine virulente Kampagne führten98 – ein Hinweis, wie wenig Chancen sie ihrer politischen Positionierung selbst einräumten.

Abkehr vom Sonderfall

Es ist zu fragen, was diese drei kantonalen Erfolge kennzeichnet und welche Erklärungsfaktoren für die im Vergleich zum Rest der Schweiz frühe politische Gleichstellung der Geschlechter angeführt werden können. Dabei lassen sich einige Gemeinsamkeiten finden, die aber nicht in jedem Fall auf jeden Kanton im selben Masse zutreffen. Ferner: Während strukturelle Faktoren objektivierbar sind, trifft dies für kulturelle kaum zu.

Politische Faktoren:

–In allen drei Kantonen entstanden schon früh gut etablierte Stimmrechtsorganisationen: in der Stadt Neuenburg bereits 1905, in La Chaux-de-Fonds, Genf und Lausanne 1908. Ende der 1950er-Jahre zählte der SVF im Kanton Waadt mit rund 1200 Personen am meisten Mitglieder dank der Sektionen Lausanne und Montreux-Vevey. Zwischen der kantonalen Regierung und dem SVF bestand zudem nach dem Zweiten Weltkrieg ein offener Kommunikationskanal. Dies traf auch in Genf zu.

–In den Kantonen Neuenburg und Genf finden sich schon früh und wiederholt politische Auseinandersetzungen über das integrale Frauenstimmrecht: Im Kanton Neuenburg gab es vier Abstimmungen (1919, 1941, 1948, 1959), bevor das Frauenstimmrecht 1959 mit der fünften eingeführt wurde, ebenso im Kanton Genf 1960 (1921, 1940, 1946, 1953). Der Kanton Waadt weicht freilich von diesem Muster ab.99

–Die drei Kantone wiesen historisch vor allem ab dem Zweiten Weltkrieg mit der SP und der PdA eine starke Linke auf, zwei Parteien, die sich seit den 1920er-Jahren auf institutioneller Ebene für das Frauenstimmrecht eingesetzt hatten; zu ihnen stiessen in den 1950er-Jahren Vertreter bürgerlicher Parteien (in erster Linie des Freisinns und der Liberalen). In allen drei Kantonen war auf der Ebene der Legislative und im Rahmen eines Abstimmungskomitees eine Zusammenarbeit zwischen den grossen Parteien zugunsten des Frauenstimmrechts entstanden. In Genf wurde bereits die Motion, die zur Abstimmung von 1953 führte, von den Vertretern von vier Parteien (SP, PdA, Liberale, Christlich-Soziale) eingereicht. In Neuenburg waren es die Vertreter von fünf Parteien. Im Kanton Waadt war es der aus drei Freisinnigen, einem Liberalen und drei Sozialdemokraten zusammengesetzte Regierungsrat, der 1957 die Initiative ergriff.

–In den drei Kantonen manifestierte sich bereits früh ein aktives Engagement von einzelnen Männern aus der politischen und soziokulturellen lokalen Elite; in der Zwischenkriegszeit vor allem aus dem vom Abolitionismus geprägten christlich-sozialen Milieu und aus der SP, ab den 1950er-Jahren waren es wie erwähnt auch Freisinnige und andere Bürgerliche.

–Die Frauen verfügten bereits seit Ende des 19. respektive Beginn des 20. Jahrhunderts über partielle Stimm- und/oder Wahlrechte, sei es in Schulkommissionen und in Kirchenangelegenheiten, sei es in Vormundschaftsbehörden und in Gewerbegerichten. In Genf besassen sie seit 1886 das passive Wahlrecht in Schulkommissionen, im Kanton Waadt seit 1906, in Neuenburg seit 1908. Genf ging auch in Kirchenangelegenheiten voran. Bereits 1891 erteilte die Eglise libre Frauen das aktive Wahlrecht, die reformierte Landeskirche folgte 1910.100 Im Kanton Waadt hatte die reformierte Landeskirche diesen Schritt bereits 1903 getan, in Neuenburg erfolgte dieser 1916, nun aber mit dem aktiven und passiven Wahlrecht. Die Eglise libre des Kantons Waadt ihrerseits führte bereits 1926 die Frauenordination ein. Als erste Kantone nahmen Genf 1910 (allerdings 1914 wieder abgeschafft) und Neuenburg 1916 Frauen in gewerbliche Schiedsgerichte auf. In Neuenburg wurden sie 1927 auch in die Vormundschaftsbehörden wählbar und erhielten damit in Scheidungsprozessen richterliche Funktionen (siehe Karten 1–3, S. 191–193).

Sozioökonomische Faktoren:

–Als die Akzeptanz des Frauenstimmrechts fördernde Faktoren können der Protestantismus (im Unterschied zum Katholizismus), der Grad der Urbanisierung und ein eher zentralistischer Staatsaufbau gelten. Sowohl die Waadt als auch Neuenburg waren konfessionell mehrheitlich protestantisch oder wie im Fall von Genf trotz einer katholischen Mehrheit von confédérés protestantisch dominiert. Zudem waren die drei Kantone stark städtisch geprägt. Sie zählten mit Genf, Lausanne und La Chaux-de-Fonds drei Städte, die unter den zehn grössten der Schweiz figurierten; in Genf, Lausanne und Neuenburg war ferner dank einem ausgebauten Verkehrsnetz das funktionale Stadtgebiet überdurchschnittlich ausgedehnt.101 Ein mehr oder weniger ausgeprägter urbaner Charakter respektive die Existenz grösserer Städte kann als positiver Faktor gewertet werden. Städtische Gemeinden, die in der modernen Schweiz bis in die jüngste Gegenwart durchgehend einen höheren Anteil Frauen aufwiesen (auf dem Land waren hingegen die Männer in der Mehrheit),102 waren und sind Orte, die neue Lebensformen begünstigen und einen relativen Freiraum für weibliche Emanzipation bieten. Die Akzeptanz des Frauenstimmrechts war in den Städten stets signifikant höher als auf dem Land. Horte der Verteidigung von Männerprivilegien finden sich hingegen in den Landgemeinden. Der Widerstand gegen die politische Partizipation neuer Gruppen war in den Gemeinden mit ausgeprägten politischen Vorrechten besonders langdauernd.103 Wohingegen die Gemeinden der drei Westschweizer Kantone über eine geringe politische Autonomie im Vergleich zu den Deutschschweizer Kantonen verfügten.104

–Eine Korrelation lässt sich ferner mit einer modernen Wirtschaftsstruktur und einem hohen Lebensstandard erkennen. Die drei Kantone wiesen 1960 einen hohen Anteil des Sekundär- (v. a. Neuenburg 61%) und des Tertiärsektors (Genf 56%) und einen wenig gewichtigen Primärsektor (Neuenburg 6,4%, Genf 3%) auf, wobei allerdings die Waadt mit 13 Prozent eine Ausnahme bildete. 1950 gehörten Genf und Neuenburg (neben Basel-Stadt und Zürich) zu den Kantonen mit den höchsten Volkseinkommen pro Kopf; die Waadt lag im Schweizer Durchschnitt. Alle drei wiesen ein überdurchschnittliches BIP auf (Genf und Neuenburg deutlich, die Waadt leicht).105 Thomas Held und René Levy konstatieren in ihrem Bericht über die Lage der Frauen in der Schweiz auch für 1970 einen Zusammenhang zwischen Bruttosozialprodukt pro Kopf und Zustimmung zum Frauenstimmrecht.106

Soziokulturelle Faktoren:

–Nicht zuletzt ist die ökonomische Stellung des weiblichen Geschlechts in den drei Kantonen hervorzuheben, die auf eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz der Gleichberechtigung hinweist. Verglichen mit Deutschschweizer Kantonen (mit Ausnahme von Basel-Stadt und Basel-Landschaft sowie dem Tessin) war der Mädchenanteil in den drei Westschweizer Kantonen 1970 in Mittel- und Maturitätsschulen überdurchschnittlich.107 Auch der Zuwachs an weiblichen Studierenden war zwischen 1950/51 und 1960/61 an den Universitäten Lausanne mit 95 Prozent, Neuenburg mit 139 Prozent und Genf mit 120 Prozent im Vergleich zum gesamtschweizerischen Durchschnitt (83%) deutlich höher.108

–Die Kantone Genf und Neuenburg wiesen zwischen 1900 und 1950 eine überdurchschnittliche Frauenerwerbsquote auf. Für den Kanton Waadt galt das allerdings nicht. Zudem lag auch in einigen Deutschschweizer Kantonen wie Zürich und Glarus der Anteil erwerbstätiger Frauen an der weiblichen Bevölkerung über dem Schweizer Durchschnitt.109 Auffällig ist hingegen, dass die Bedeutung der weiblichen Erwerbstätigkeit im Vorfeld der drei Abstimmungen von den kantonalen Behörden positiv hervorgehoben wurde (im Unterschied zum Bundesrat in seiner Botschaft von 1957).

–Schliesslich handelte es sich um «weltoffene» Grenz- und Universitätskantone, die wissenschaftlich, kulturell und im Fall von Genf auch politisch transnational intensiv vernetzt waren und deren Arbeitsmarkt eine hohe Anzahl ausländischer Arbeitskräfte respektive Grenzgängerinnen und Grenzgänger aufwies. Ein Vergleich von Deutschschweizer und Westschweizer Frauenpresse bei den beiden eidgenössischen Abstimmungen zeigt im Übrigen, dass Letztere öfter Vergleiche mit und Bezugnahmen zum Ausland machte, was offenbar in der deutschen Schweiz kaum je der Fall war.110 Einen Einfluss hatte möglicherweise auch die kulturelle Nähe zu Frankreich mit seinem nach dem Zweiten Weltkrieg sozialstaatlich geförderten positiven Frauenmodell der Verbindung von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit.