Kitabı oku: «Streitlösung in der arbeitsrechtlichen Praxis», sayfa 3
III. Die Parteien Arbeitgeber – Gewerkschaft
1. Das arbeitsgerichtliche Verfahren
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In § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ArbGG ist die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte in Urteilsverfahren bestimmt. Das betrifft Streitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen von Tarifverträgen sowie Fragen rund um das Arbeitskampfrecht.
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In § 2a Abs. 1 Nr. 4, 5 und 6 ArbGG wird weiter bei bestimmten Streitigkeiten die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit im Beschlussverfahren begründet, namentlich für die Entscheidung über die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung, Wirksamkeit von Allgemeinverbindlicherklärungen und bestimmter Rechtsverordnungen und Streitigkeiten nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG. Auch in diesen Beschlussverfahren – oder „offline“ davon – besteht jederzeit die Möglichkeit der Parteien, sich auf eine gemeinsame Lösung zu verständigen. Besonderheiten gibt es hier keine.
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Auch hier gibt es die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes, was gerade im Arbeitskampfrecht öfter und presseträchtig vorkommt.
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Als Sonderweg für die Tarifparteien erlaubt es § 101 ArbGG, für bestimmte Streitigkeiten die Arbeitsgerichtsbarkeit auszuschließen und durch ein Schiedsgericht zu ersetzen. Der Gesetzgeber hat einige Rahmenvorgaben für das Verfahren gemacht, z.B. die paritätische Besetzung, § 103 ArbGG. § 107 ArbGG sieht explizit die Möglichkeit eines Vergleichsschlusses zwischen den Parteien vor. Diese Schiedsvereinbarungen finden sich, wenn überhaupt, zumeist in Schlichtungsabkommen zwischen den Tarifparteien.
2. Die Tarifschlichtung
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Bekanntermaßen gibt es eine staatliche Zwangsschlichtung nicht, was einige Rechtswissenschaftler seit jeher kritisieren, insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge. Vereinzelt existieren landesgesetzliche Regelungen, die immerhin die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Landesschlichtungsstellen anbieten, jedoch ohne nennenswerte praktische Relevanz.17 In vielen Tarifverträgen18 ist vereinbart, dass bei Auslegungsstreitigkeiten eine tarifliche Schlichtungsstelle eingesetzt wird, die analog einer erzwingbaren Einigungsstelle eingesetzt werden und verbindlich entscheiden kann. Letzteres selbstverständlich nur, wenn die Tarifparteien dies vorab so festlegen.
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Was nur selten bekannt ist: Die tarifliche Schlichtungsstelle kann auch an Stelle einer betrieblichen Einigungsstelle treten, nämlich dann, wenn ein Tarifvertrag dies bestimmt, § 76 Abs. 8 BetrVG. Da dies aber sehr selten in Tarifverträgen bestimmt wird, sei hier nur kurz angemerkt, dass – mit Ausnahme des § 100 ArbGG – die Regelungen über die betriebliche Einigungsstelle entsprechend gelten, auch was die gerichtliche Überprüfung des Spruches anbelangt.
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Wo die tarifliche Schlichtung ihren bedeutsamsten Einsatz hat, ist sicherlich im Falle eines (drohenden) Arbeitskampfes. Diese Art der Schlichtung ist allerdings zu unterscheiden von der oben genannten tariflichen Schlichtungsstelle. Für eine Schlichtung als Vorschaltelement zu einem Arbeitskampf werden separate Schlichtungsabkommen zwischen den Tarifparteien geschlossen, die häufig erst spontan bei Drohung eines Arbeitskampfes vereinbart werden. Zumeist beinhalten Schlichtungsabkommen zwischen den Tarifparteien für den Fall des Scheiterns von Verhandlungen folgende Kernpunkte: Verlängerung der Friedenspflicht bis zum Abschluss des Schlichtungsverfahrens, verbindliche Vereinbarung für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen, paritätische Besetzung der Schlichtungskommission und Unverbindlichkeit der Entscheidung.19
17 Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, S. 169. 18 So beispielsweise im Bayerischen MTV für die Metall- und Elektroindustrie. 19 MHdB-ArbR/Riecken, § 282 Rn. 2.
B. Die Praxis der arbeitsrechtlichen Streitlösung
I. Die Grundlage jeder Lösung: Psychologie der Verhandlungsführung
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Glücklicherweise hat man es bei der Mediation nicht immer mit hoch eskalierten Konflikten zu tun. Und doch – das grundlegende Dilemma bleibt: Wenn beide nur den Worst Case fürchten, ihn meiden wollen und entsprechend handeln, genau dann – darin besteht das Paradoxon – entsteht der Worst Case mit seinen hohen emotionalen und materiellen Kosten.
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Wenn kein Konsens möglich scheint, liegt meist immer noch der „gute Kompromiss“ in Reichweite. Dieser ist selbstredend nur dann erreichbar, wenn die Parteien nicht um jeden Preis (!) alles gewinnen und nichts verlieren wollen. Im Kleinen (subjektiv) zu „verlieren“, das kann die Katastrophe abwenden, und so verhindern, dass alle im Großen verlieren. Der gute Kompromiss, das wäre die 100 %ige Zustimmung zu einer Lösung, die für mich nur 80 %ig ist.
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Ich will mich all diesen Fragen zunächst theoretisch nähern. Aber: Ist Theorie nicht im wahrsten Sinne des Wortes unpraktisch? Wozu soll es gut sein, über Systemzustände der Kommunikation Bescheid zu wissen, wenn ich als Mediator mit zwei Menschen aus Fleisch und Blut zusammensitze, die von mir erwarten, dass ich irgendetwas mit ihnen mache, das sie im besten Falle weiterbringt?
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Unsere1Erfahrung hat immer wieder gezeigt, dass die grundlegende Kenntnis von Kommunikationsdynamik sehr wohl als guter Routenfinder im Unterholz schwieriger Mediationen dienen kann. Sogar gerade andersherum: Hat man ein klares Verständnis von den zugrunde liegenden Mechanismen, braucht man nicht aufgeregt im Werkzeugkoffer nach dem richtigen Tool zu kramen, das man dann im Zweifelsfall nicht findet. Zudem lenken solche Suchprozesse die Aufmerksamkeit weg von den Klienten hin zum Werkzeug und können dadurch genau das aus dem Auge verlieren, worum es eigentlich geht.
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Ein gesichertes Basiswissen kann so zum Kompass werden, der auch dann noch funktioniert, wenn man mal vom Weg abgekommen ist. Theorie (vom griechischen theorein = sehen, betrachten, wahrnehmen) versorgt uns mit Orientierung. Nicht selten vermitteln wir auch unseren Klienten solche Grundideen, weil sie helfen können, sich selbst und das, „was da läuft“ besser zu verstehen. Wittgenstein hat einmal geschrieben, dass man Tic Tac Toe nur so lange spielen kann, solange man es nicht durchschaut hat. Wer die Systemzustände der Kommunikation erfasst hat, der tut sich schwer, das gleiche Spiel weiterzuspielen. Wir haben Klienten erlebt, die sich dann selbst „blöd vorkommen“, wenn sie das 15. Gegenargument auf das 14. folgen lassen.
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Was also werden Sie hier lesen? Wir beginnen mit dem äußerst spannenden Phänomen „Fairness“. Denn wenn wir Konflikte von außen sehen, dann fragen wir uns ja manchmal: Wieso streiten die beiden überhaupt? Wie kann man sich über Kleinigkeiten so in die Wolle kriegen? Diesen Mechanismus werden wir uns hier vornehmen. Wer in spannungsgeladenen Situationen moderiert, der sollte ihn kennen!
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Dann werfen wir einen Blick auf die Folgen: Was geschieht kommunikativ (und sogar gehirnphysiologisch), wenn die Fairness-Frage tangiert wird? Weshalb und wie geraten dann Interaktionen in einen eskalierenden Modus, den Systemzustand 1?
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Aus diesem Verständnis heraus: Wie sähe ein nicht-eskalierender Zustand aus: der Systemzustand 2?
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Und last but not least: Was bedeutet das alles für den Mediator und die Aufgabe der Mediation? Auch das werden wir Schritt für Schritt und ganz praktisch beleuchten.
1. Die Fairness-Falle
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Niemand liebt das Gefühl, über den Tisch gezogen zu werden! Was man aber wissen muss: Wenn Fragen der Fairness tangiert werden, dann schalten Teile der Vernunft ab! Auch physiologisch. Leider schweigen dann die Gehirnteile, die fürs vernünftige Entscheiden zuständig wären. Wir werden irrational. Herausgefunden hat man das mit Hilfe des sogenannten Ultimatum-Spiels.
Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf einem Langstreckenflug, Economy-Class. Den Mittelplatz hat ein Fluggast erwischt (lassen wir ihn gerade in Las Vegas gewonnen haben), der gelangweilt an ein paar Whiskeys nippt und nach einiger Zeit auf eine neue Idee verfällt: „Also“, meint er und spricht dabei Sie und den Fensterplatz-Kollegen an: „Ich schlage ein kleines Spiel vor. Ich habe hier 5.000 Dollar und Sie“, und damit wendet er sich Ihnen zu, „sagen, wie Sie das Geld gerne aufteilen würden, und zwar zwischen Ihnen und dem Herrn am Fensterplatz.“ Er wendet sich nun diesem zu: „Sie sagen dann, ob Sie die Aufteilung so akzeptieren. Falls ja, gebe ich Ihnen beiden das Geld entsprechend der vorgeschlagenen Teilung. Falls Sie“, immer noch zum Fenster-Gast, „den Deal nicht akzeptieren, tja dann bekommt keiner etwas.“
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So oder ähnlich wurde das Ultimatum-Game in zahlreichen Experimenten durchgeführt.2 Einer teilt eine vorgegebene Summe, der andere nimmt den Deal an oder nicht. Lehnt er ab, dann gehen alle leer aus. Nehmen wir an, der „Teiler“ sagt: 50:50, jeder bekäme dem Beispiel entsprechend 2.500 $ geschenkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der andere dieser Aufteilung zustimmt, ist hier natürlich sehr hoch. Jetzt wird’s aber spannend. Was, wenn der Teiler 4.000 $ für sich, 1.000 $ für den anderen bestimmt? Oder gar 4.900 $ für sich, 100 $ für den anderen? Sie bemerken: Damit wird die Ist-das-fair-Frage aktiviert. Aus den Versuchen weiß man, dass der Deal natürlich umso weniger angenommen wird, je mehr er vom Fifty-Fifty abweicht. Bei 4.900:100 nimmt praktisch niemand mehr die Aufteilung an.3
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Na klar, sagen Sie vielleicht, würde ich auch nicht machen. Interessant ist aber, dass diese Ablehnung vollkommen irrational ist! Da will Ihnen jemand 100 $ schenken, und Sie lehnen ab, werfen 100 $ zum Fenster hinaus? Denn genau so würde sich die Sache darstellen, wenn Sie nichts von den 4.900 $ auf der anderen Seite wüssten. Sie bekämen 100 $ einfach so! Aber dieses Vernunftmodul schaltet ab, sobald es um die Frage der Fairness geht. Sie verzichten, weil der andere mehr bekäme als Sie. Vielleicht wollen Sie ihn auch für seine Unverschämtheit bestrafen. Er soll auch nichts bekommen. Das entspräche der folgenden Anordnung: Werfen Sie 100 $ in diesen Schlitz, dann erreichen Sie, dass Herr XY nichts bekommt.
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Physiologisch verortet man diese Schaltzentrale im präfrontalen Gehirnlappen. Bewertungen und Impulse laufen hier durch, bevor es schließlich zur Entscheidung/Handlung kommt. Es ist sozusagen die letzte Instanz, bevor es zur Sache geht. Müdigkeit, Stress und Unfairness regeln die Leistung dieses Gehirnteils herunter und bremsen die Ratio. Evolutiv hat das wohl damit zu tun, dass Stresssituationen in der Regel nicht durch intensives Nachdenken am besten zu lösen sind. Den Säbelzahntiger im Blick verbietet sich das gedankliche Durchspielen verschiedener Szenarien. In bedrohlichen Situationen ist der Reflex der Reflexion überlegen.
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Was das betrifft, unterscheidet uns nicht viel von unseren nächsten Verwandten:
Der weltbekannte Affenforscher Frans de Waal zeigt Folgendes (das Video ist ein Muss 4 ): Zwei Schimpansen sind darauf trainiert, dem Experimentator ein Steinchen zu geben und erhalten dafür Futter. Sie sitzen nebeneinander in zwei Käfigen, getrennt durch eine Plexiglasscheibe, sie können einander also sehen. Der Forscher lässt sich von jedem ein Steinchen geben, beide bekommen ihre Gurkenscheibe. Alles läuft wunderbar, bis der Experimentator eine kleine Änderung vornimmt: Beide Affen geben wieder ihr Steinchen, Affe A bekommt seine Gurke, aber Affe B wird mit einer Traube „bezahlt“! Als A diese Frechheit sieht, wird er sofort wütend, rüttelt am Käfig, nimmt sein Gurkenscheibchen und schleudert es aus dem Käfig in Richtung Experimentator! Bei der Wiederholung wird’s nicht besser.
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Das ist sehr bemerkenswert. Denn erstens zeigt sich, dass der Ultimatum-Game-Mechanismus schon bei unseren Vorfahren nachweisbar ist und zweitens erweist sich die Futterbilanz als komplett „irrational“. Affe A fährt sein Gurkenkonto ins Minus! Er schädigt sich also selbst! Ganz wie der Überseeflug-Passagier, der 100 $ ausschlägt. Es geht also nicht um die Tatsache des Ärgers oder des Futterneids, sondern um die Tatsache, dass aus Ärger, Wut oder Futterneid auf etwas verzichtet wird, das man bequem haben könnte! Wirf deine Gurke weg, damit Kollege XY keine Traube bekommt!
2. Systemzustand 1: Rein in die Fairness-Falle
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Wer sich in erheblichem Maße unfair behandelt sieht, der wird sich wehren. Diese Erstreaktion lässt sich psychologisch als grundlegender Mechanismus verstehen – und alles mit sich geschehen zu lassen, das wäre auf lange Sicht in der Tat ein gefährliches „Programm“, bei dem auch die Seele Schaden nähme. Schon Kleinkinder entwickeln ihre Identität genau dadurch, dass die Kombination von „ich“ und „nein“ sie Grenzen setzen lässt – oft sehr zum Leidwesen von uns Eltern. Aber nur so entwickeln sich Persönlichkeiten.
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Wehren sich nun zwei gegeneinander, dann wirkt sich das auf den Kommunikationsstil aus – ich nenne ihn hier Zustand 1: Argumente lösen Gegenargumente aus, die wiederum Gegenargumente auslösen und so fort. So wie die Situation beim Duell im Morgengrauen dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die Kombattanten symmetrisch gegenüberstehen und ihre Waffen ziehen, so vollziehen wir diese Anordnung auch kommunikativ. „Symmetrisch“ nennt Watzlawick5 das, und weil es nicht besser wird: symmetrische Eskalation.
Abb. 1: Symmetrische Eskalation: Argumente und Gegenargumente schaukeln sich „tannenbaumartig“ nach oben.
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Das hat Folgen:
– die Lösungswahrscheinlichkeit nimmt ab;
– die schlechte Stimmung nimmt zu;
– Schattierungen verschwinden, schwarz-weiß nimmt zu (Monovalenz);
– die Anzahl der Argumente für das immer Gleiche nimmt zu, die argumentative Waffensammlung wird hervorgeholt (Issue-Lawine);
– die Beteiligten glauben dennoch, dass das bessere Argument, der schärfere Beweis gewinnen kann und muss.
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De Bono spricht hier sogar von der Intelligenzfalle. Denn für jeden Standpunkt lassen sich beliebig viele Gründe finden. Je intelligenter man ist, desto mehr dieser Gründe kann man anführen und umso schärfer, eleganter, aber auch eventuell absurder wird die Argumentation ausfallen.
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Symmetrische Eskalationen sind also psychologisch begründbar und erklärbar; die beteiligten Parteien sehen die Lösung darin, „gewinnen“ und – was noch wichtiger ist – auf keinen Fall verlieren zu wollen. Da dieses Ziel niemals von beiden erreichbar sein kann, wird dieser Lösungsversuch zur Lösungsverhinderung.
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Warum verhalten wir uns so? Im Detail sieht das folgendermaßen aus: Bei zwei Parteien gibt es vier Interaktionszustände:
1. A ist konziliant, B nutzt das aus und zieht A über den Tisch.
2. B ist konziliant, A nutzt das aus und zieht B über den Tisch.
3. Keiner ist konziliant, beide kämpfen um jeden Preis.
4. Beide sind konziliant und kommen daher mit wenig Stress zu akzeptablen Lösungen.
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Zustand 4) wäre am besten, klar. Konzilianz ist aber aus Sicht des Einzelnen gefährlich; um die Bedrohung abzuwenden, treten beide Parteien in die kämpferische Eskalation ein. Für beide ist es offensichtlich die günstigere Wahl, die Kosten für den Kampf in Kauf zu nehmen, als ausgeblutet zu werden. Aus Sicht des Einzelnen ist das sogar rational begründbar; für das Gesamtsystem ist es die Wiege der Katastrophe. Mit folgendem merkwürdigen Befund haben wir es demnach hier zu tun: Die rationale Lösung ist nicht die vernünftige.6 Viele Konflikte eskalieren nach diesem Schema. Beispiel: Aufrüstung während der Zeit des kalten Krieges. Diese Konfliktstruktur ist bekannt, bestens erforscht und pandemisch: In jeder Situation, die die Frage nach Kooperation versus Selbstoptimierung stellt, sind wir mittendrin. Das berühmte Hemd ist mir näher als die Hose und die Summe aller Egoismen gerät zur teuersten Wahl.
3. Systemzustand 2: Raus aus der Fairness-Falle durch Mediation
a) Worum geht es?
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Zustand 1, angetrieben durch das Gefühl verletzter Fairness, eventuell aufgeladen durch moralische Urteile von richtig und falsch – dieser Zustand 1 kennt keinen Austausch und keine Verständigung. Sofern Kommunikation überhaupt noch stattfindet, erschöpft sie sich in symmetrischen Eskalationen (was man auch über Anwälte inszenieren kann).
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Alle Verfahren mediativer Moderation (im Folgenden MM) müssen dazu eine Alternative bieten. In welcher Phase des Gesprächs auch immer wir uns befinden: Das Ziel heißt: Zustand 2 etablieren und Zustand 1 verhindern.
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In diesem Kapitel werde ich kurz beschreiben, was diesen Zustand 2 kennzeichnet. Dann tauchen wir sofort in die Praxis ein und sehen uns an, was die Orientierung an Zustand 2 für MM heißt.
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Anmerkung 1: Mediation und Konfliktmanagement oder Konfliktbearbeitung werden definitorisch wenig oder nach verschiedenen Kriterien unterschieden. Um es kurz zu machen: Die moderativen Ansätze sind praktisch nicht unterscheidbar.7 „Mediation“ wird der historischen Tradition folgend eher im Feld der außergerichtlichen Schlichtung angesiedelt, „Konfliktmanagement“ wird dagegen vorzugsweise in der Domäne des wirtschaftlichen, manchmal auch des familientherapeutischen oder beratenden Kontextes verortet.
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Anmerkung 2: Es gibt eine unüberschaubare Fülle von Veröffentlichungen zu den Themen Konfliktmanagement oder Mediation. Dieser Artikel hat nicht das Ziel, den Methodenkoffer zu füllen – da werden Sie als interessierter Leser schnell fündig werden. Die – vielleicht vermessene – Behauptung ist: Sie brauchen keine hundert Methoden, solange Sie auf dem Leitstrahl der theoretisch hier begründeten Grundidee navigieren: Was immer Sie tun, überführen Sie Zustand 1 in Zustand 2. Für jede Phase der Mediation stellen wir hier eine Kern-„Technik“ vor; deren Mütter, Väter, Geschwister, Söhne, Töchter und weitere Verwandte brauchen wir dann hier nicht. Außerdem werde ich hier auf Details aufmerksam machen, die ich für wichtig, aber in der gängigen Literatur für vernachlässigt halte.
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Was also kennzeichnet diesen jetzt schon oft erwähnten Zustand 2? Es ist unspektakulär und nahezu selbsterklärend, in der praktischen Umsetzung allerdings manchmal recht herausfordernd: Zustand 2 (Watzlawick nennt das „komplementär“) besteht darin, vom Gegeneinander zum Nacheinander zu kommen. Dem Anderen Zeit einzuräumen ist das minimale und notwendige Zugeständnis. MM fordert dies offen, unverblümt und „hart“ ein. Der Moderator reagiert hier schnell und entschlossen (kleine Beispiele folgen). Das Nacheinander kann und soll in einem kontrollierten Nebeneinander sichtbar werden. Dass man sich dabei auch noch gleich verstehen soll, halte ich für maßlos überidealisiert.
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Wichtig: Die Parteien akzeptieren selbst ruppige Interventionen des Moderators, weil sie Schutz bieten und die langersehnte Gerechtigkeit schon im Ablauf sichtbar machen, solange der Moderator auf ungefähre Balance der Redeanteile achtet. Die Argumente pro Redezeit und damit die Redezeit selbst sollte begrenzt werden. Sonst lädt der eine ab und der andere sich auf.
Abb. 2: Wechselseitig komplementäre Interaktion: Erst bekommt A seinen kommunikativen Raum, dann B; kontrolliertes Nacheinander, Nebeneinander als Königsweg zum Miteinander.
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Aus reguliertem Nebeneinander kann langsam ein Miteinander entwickelt werden. Denn erst dann, wenn der Raum für unterschiedliche Perspektiven nicht im sofortigen Dagegen-Sein gleich wieder geschlossen wird, können die Beteiligten auf das Problem oder sogar die Lösung blicken. Das griechische Wort Problemma besteht aus blemma (= Blick) und pro (= nach vorne). Problem: der Blick nach vorne. Die Blickachsen sind also nicht auf das Weiße im Auge des Gegners gerichtet, sondern auf das, was es zu lösen gilt.
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Systemzustand 2 ließe sich also wie folgt markieren: Vom Gegeneinander zum Nacheinander (Nebeneinander) zum Miteinander.