Kitabı oku: «Seewölfe Paket 12», sayfa 15

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Das heisere Organ des Stockmeisters störte Gerhard von Echten in seinen Gedanken.

„Herhören, ihr verdammten Hunde! Ihr habt ab sofort die Ehre, eins der prächtigsten Schiffe im Golf von Paria rudern zu dürfen. Wer sich dieser Ehre unwürdig erweisen sollte, kriegt die Peitsche zu schmecken. Ist das klar?“ Der feiste Kahlkopf blickte mit seinen schmalen kleinen Augen in die Runde. Er nickte zufrieden, als niemand es wagte, einen Laut von sich zu geben. Dann fuhr er fort: „Ich werde euch jetzt zeigen, was ihr zu tun habt. Und gnade euch Gott, wenn das nachher nicht klappt! Wir haben nämlich Order für eine Inspektionsfahrt nach Punta Peñas. He, du!“ Er wandte sich zur Seite und stieß einem der Indios mit dem Peitschenstiel gegen die Schulter. „Hoch mit dir! Zeig den Neuen, wie man pullt!“

Der Eingeborene sprang von seiner Ruderbank auf und packte den Riemen, der wie alle anderen in Ruhestellung arretiert war. Seine beiden Nebenmänner mußten dem Beispiel folgen, denn die drei Riemen einer Bank ließen sich nur gleichzeitig bewegen.

„Aufpassen jetzt!“ brüllte der Stockmeister. „Seht genau her, ihr Mistkerle! Wir fangen an mit dem ersten Takt. Der Vormann steht als erster auf, und die beiden anderen folgen ihm jeweils einen Moment später. Den richtigen Zeitabstand kriegt ihr von selbst raus, wenn ihr erst mal angefangen habt. So! Und jetzt …“ Er deutete auf den Indio, der nach seinen Worten die entsprechenden Bewegungen vollführte. „… einen Schritt vor, rechten Fuß auf die Fußraste und – fallen lassen!“

Der Indio sackte zurück auf seine Bank.

„Damit ihr’s kapiert“, blaffte der Kahlkopf, „durch diesen Bewegungsablauf taucht das Riemenblatt mit einer kurvenförmigen Linie ins Wasser. Weshalb das wichtig ist, braucht ihr nicht zu wissen.“

„Bestmögliche Ausnutzung der Hebelwirkung“, flüsterte Sigmund Haberding.

Gerhard von Echten nickte kaum merklich.

„Sei still!“ zischte er, ohne den Stockmeister aus den Augen zu lassen. Dieser hatte zum Glück nichts bemerkt. Es war sinnlos, wenn sie sich von Peitschenhieben traktieren und dadurch ihre Kraftreserven schmälern ließen. Denn ihre Energie würde rasch dahingeschmolzen sein. Wenn es aber irgendwann eine Chance für sie geben sollte, dann brauchten sie wenigstens ein Mindestmaß an Stehvermögen.

„Jetzt haben wir nur noch den dritten Takt“, fuhr der Kahlkopf mit dröhnender Stimme fort. „Und dieser dritte Takt leitet zugleich wieder den ersten Takt ein. Folgendermaßen: Riemen aus dem Wasser und – aufstehen!“

Der Indio-Vormann und seine Banknachbarn demonstrierten auch diese Bewegung.

„Seht ihr, so einfach ist das. Eigentlich ein Kinderspiel. Ihr könnt froh sein, daß ihr rudern dürft, statt in einem Kerker ohne Licht und Sonne hocken zu müssen.“ Er lachte scheppernd, und dabei sah es aus, als wollten sich die Fettwülste an seinem Oberkörper selbständig machen. „Gut. Die Neuen werden das jetzt mal bankweise und dann alle zusammen üben.“ Er watschelte zwei Schritte in Richtung Achterdeck und zeigte mit der Peitsche auf Gerhard von Echten. „Du bist Vormann, Amigo, und deine Nebenmänner richten sich nach dir! Also los!“

Von Echten gehorchte. Er stellte sich unbeholfener an, als er war, bemühte sich aber, keine schwerwiegenden Fehler zu begehen. Jeder unnötige Peitschenhieb, den er kassierte, konnte sich später als Nachteil erweisen. Nach den ersten vier, fünf Versuchen klappte es zur Zufriedenheit des Stockmeisters.

Die nächsten Bankmannschaften folgten, und sie alle hatten inzwischen begriffen, daß sie sich nach Gerhard von Echtens Beispiel richten und die Peitsche vermeiden mußten. Nach dem abschließenden gemeinsamen Üben stieß der kahlköpfige Koloß einen besänftigten Knurrlaut aus.

„Na fein! Seht zu, daß es genausogut funktioniert, wenn der Capitán nachher an Bord ist. Immerhin“, er setzte ein hinterhältiges Grinsen auf, „müßt ihr euch die Essensrationen erst verdienen. Vergeßt das nicht.“ Er wandte sich abrupt ab und begab sich mit kurzen, schnellen Schritten zurück zur Back, wo er über einen schattigen Stammplatz zum Ausruhen verfügte.

Die Soldaten, die unter dem Kommando des Sargento standen, postierten sich auf dem Plankengang. Offenbar mißtrauten sie den neuen Ruderknechten noch. Erst wenn sie genügend geschunden waren, brauchte man mit etwaiger Aufmüpfigkeit von ihnen nicht mehr zu rechnen.

Die nächste halbe Stunde verrann, ohne daß etwas geschah. Weder die Indios noch die neuen Galeerensträflinge wagten es, ein Wort zu wechseln. Unter der sengenden Sonne rann ihnen allen trotz der Tatenlosigkeit der Schweiß in Strömen über die Haut. Auch den Soldaten war keineswegs behaglich zumute. Sie schwitzten unter ihren Panzern und Helmen und bedachten die Gefangenen, denen sie diesen Einsatz zu verdanken hatten, mit mißbilligenden und teilweise sogar haßerfüllten Blicken.

Unvermittelt wurde die lähmende Stille an Bord durchbrochen.

Schläge einer einzelnen Trommel ertönten im Marschtritt, näherten sich rasch, und es bestand kein Zweifel, daß die „Virgen de Murcia“ das Ziel war. Schon strafften die Soldaten auf dem Plankengang und unter dem Sonnendach ihre Haltung. Der Sargento verharrte zwei Schritte abseits von seinen Männern in Habtachtstellung.

Die Trommelschläge dröhnten jetzt. Schritte polterten auf Holzplanken, und die Männer auf den Ruderbänken spürten, wie das Schiff durch die zusätzliche menschliche Last in kaum merkliche Bewegung geriet.

„Atención!“ brüllte der Sargento. „Achtung!“

Die Soldaten standen schlagartig stocksteif, als hätte man ihnen anstelle des Rückgrats einen Besenstiel in den Rücken geschlagen. Der Unterführer schnarrte seine Meldung herunter.

„Gracias, Sargento“, sagte Capitán Gutiérrez, „danke, danke. Begeben Sie sich mit Ihren Leuten auf die Back. Wir werden ein wenig Verstärkung nötig haben.“

Gerhard von Echten las die Enttäuschung in den Gesichtern der Soldaten. Sie hatten geglaubt, ihre Order wäre mit dem Anketten der Gefangenen beendet gewesen. Aber Gutiérrez dachte nicht daran, sie jetzt schon in das süße Nichtstun der Garnison zu entlassen.

Nachdem die Soldaten der Anordnung gefolgt waren, trat der Capitán mit seinen drei Begleitoffizieren an die Schmuckbalustrade. Gutiérrez hatte seine vermutlich beste Uniform angelegt. Das Wams war mit verschnörkelten goldenen Stickereien besetzt, der schwarze Hut trug Verzierungen im gleichen Muster. Am Gurt aus weichem Schweinsleder hingen Gutiérrez’ Prunkwaffen – links ein Offiziersdolch und rechts eine einschüssige Pistole. Die Griffstücke beider Waffen waren mit Einlegearbeiten und Gravuren in feinstem Silber versehen. Die rote Kniehose des Kommandanten von Macuro endete in mattschimmernden Stulpenstiefeln.

Wohlgefällig ließ Ramón Marcelo Gutiérrez seinen Blick über die neuen Ruderknechte gleiten.

„Wie ich sehe“, stellte er mit falschem Lächeln fest, „habt ihr euch schon recht gut eingelebt, meine lieben deutschen Freunde. Richtet euch nur immer nach allen Vorschriften, und ihr werdet ein feines Leben an Bord meines Schiffes führen. Viel besser, als ihr es eigentlich verdient hättet.“ Er räusperte sich und verschränkte die Arme vor dem fülligen Oberkörper. „Wir unternehmen jetzt eine Inspektionsfahrt nach Punta Peñas, etwa sieben Seemeilen nordöstlich von hier. Achtet mir darauf, daß ihr eure Arbeit ordentlich tut. Ich habe es nicht gern, wenn ich in meiner Ruhe gestört werde, weil das Schiff zu schlingern anfängt.“

Gutiérrez gab ein Handzeichen zum Vorschiff und wandte sich ab. Auf welche Tücken sich die Warnung des Capitán gründete, sollten Gerhard von Echten und seine Männer erst später begreifen. Denn die Schwierigkeiten, mit denen ein Ruderknecht auf einer Galeere bisweilen zu kämpfen hatte, kannten sie alle nicht.

Mittschiffs und auf der Back entstand Wuhling. Die Decksmannschaft, die sich bislang im Logis aufgehalten hatte, löste die Leinen und holte den Buganker ein. Segel wurden nicht gesetzt. Die Gefangenen wagten nicht, sich umzudrehen, denn der Stockmeister war mittlerweile wieder zur Stelle und schritt gemächlich auf dem Plankengang auf und ab, die Hände mit der Peitsche auf den Rücken gelegt.

Während Capitán Gutiérrez und seine Offiziere aus dem Blickfeld der Ruderknechte verschwanden, trat der Trommler an die Schmuckbalustrade und verharrte abwartend.

„Klar zum Ablegen!“ ertönte eine Stimme vom Vorschiff.

Der Stockmeister hob die Peitsche zur Bestätigung und begab sich zum vorderen Ende des Plankengangs, in die Nähe des Trommlers.

„Klar bei Riemen!“ schrie der Kahlköpfige.

Es war wie ein jäher Ruck, der durch die Masse der einhundertfünfzig menschlichen Leiber lief. Der einheitliche Bewegungsablauf funktionierte so präzise, daß der Stockmeister einen mißtrauischen Blick zu den Deutschen warf, als hielte er ihr frühzeitiges Können für Hexerei.

Der erste Trommelschlag erfolgte mit dem zweiten Rudertakt und dann in gleichbleibendem Rhythmus zu jedem weiteren Takt. Rasch nahm die Galeere Fahrt auf. Das Knarren der Riemen auf den Dollen vereinte sich zu einem einförmigen Klang.

Etwa vier Kabellängen von den Piers entfernt ging die „Virgen de Murcia“ auf nordöstlichen Kurs. Auch die Riementechnik, die bei einem solchen Kurswechsel den Mann an der Ruderpinne unterstützte, meisterten die neuen Galeerensträflinge auf Anhieb. An Backbord wurde zweimal drei Takte lang ausgesetzt, während sie an Steuerbord unablässig weiterpullten. Die Kommandos gab der Stockmeister, auf sein Zeichen hin fielen die Backbordruderer wieder in den ursprünglichen Takt ein.

Jemand brüllte einen Befehl vom Achterdeck. Augenblicke später war das Klatschen nackter Fußsohlen auf den Planken zu hören. Die Decksmannschaft enterte in den Wanten auf. Großsegel und Focksegel wurden gesetzt, denn der Wind stand günstig aus Südsüdwest. Das Tuch blähte sich unter der handigen Brise. Die Männer unter Gerhard von Echten wagten nur für einen Moment, sich umzudrehen. Sie sahen, daß die Segel riesige Dämonenfratzen in schillernden Farben trugen. Der Grund für eine solchermaßen grausliche Bemalung mochte darin liegen, daß man auf diese Weise bei den abergläubischen Eingeborenen einen Vorschuß an Respekt erlangte.

Deutlich spürten die Männer auf den Ruderbänken, wie durch die plötzliche Windkraft ein Beben durch den Schiffsrumpf ging und die Fahrt sich abermals steigerte. Dennoch gab es für die Ruderknechte keine Pause. Offenbar, so folgerte Gerhard von Echten, liebte es Capitán Gutiérrez, die Schnelligkeit seines Prunkschiffes bis zur Neige auszukosten.

Noch bewältigten von Echten und seine Gefährten die Arbeit an den Riemen, ohne daß ihnen die Zunge aus dem Hals hing. Lediglich der Schweiß lief ihnen aus allen Poren. Aber sie wußten auch, daß dies nur der Anfang war. Keiner von ihnen mochte daran denken, wie es aussehen würde, wenn das Pullen zu mörderischer Schinderei ausgeartet war. Überdies war die Schlagzahl, die der Trommler vorgab, zur Zeit noch mäßig. Das würde sich schon dann ändern, wenn sie ohne Segel gegen Wind und Seegang zu rudern hatten.

Doch die Schwierigkeiten sollten ihnen schon bald aus einer völlig anderen Richtung drohen. Nachdem sie geraume Zeit ihre Riemenarbeit in unverändertem Gleichklang geleistet hatten, setzten unvermittelt Böen ein. Anfangs vereinzelt, doch dann zunehmend häufiger begann das Segeltuch zu schlagen. Noch trübte kein Wolkenfetzen den Himmel, aber der Golf von Paria kündigte seine Tücken an. Die Decksleute wurden an die Brassen gescheucht. Es half jedoch wenig. Zu oft änderte der Wind jetzt seine Richtung.

Die See wurde kabbelig. Schatten schienen mit den Böen über die Wasseroberfläche zu huschen. Noch lag die mächtige Galeere ruhig im Wellengang, doch häufig schnitten die Riemenblätter jetzt durch die Luft, statt ins Wasser zu tauchen.

Gerhard von Echten und seine Männer hatten Mühe, nicht aus dem Takt zu geraten. Es zeigte sich, daß die Indios über mehr Erfahrung verfügten. Sie verstanden es, sofort auf den etwa fehlenden Gegendruck zu reagieren und ihre Muskelkraft entsprechend zu bremsen.

Das Unvermeidliche geschah auf einer der Backbordbänke.

Der Vormann und sein Nachbar verloren das Gleichgewicht, als ihre Riemen durch leeren Raum wischten. Vergeblich versuchten sie, sich rechtzeitig abzustützen. Eine Kettenreaktion war die Folge. Mit schmetternden Geräuschen verhedderten sich die Riemen der achteren Bänke an Backbord zu einem hölzernen Salat.

Die Decksleute stießen wütende Schreie aus. Unter dem Sonnendach der Heckplattform wurden barsche Befehle laut. Der Stockmeister war eilends zur Stelle und ließ seine Peitsche auf die unglückseligen Ruderknechte niedersausen. Doch es half alles nichts.

Die „Virgen de Murcia“ lief aus dem Ruder und begann zu stampfen.

„Verfluchte Hundesöhne!“ schrie der Stockmeister mit sich überschlagender Stimme. „Hoch die Riemen!“

Das Kommando war wie eine Erlösung. Außenbords flogen die Riemen empor, von den Ruderknechten in Ruhestellung gekantet. Von weitem sah die Galeere jetzt aus wie ein großes Insekt mit feingliedrigen, rechteckigen Flügeln. Die Decksleute arbeiteten fieberhaft an den Brassen, und im nächsten Moment standen die Segel wieder prall vor dem Wind.

Capitán Gutiérrez schob sich mit zornrotem Gesicht an die Schmuckbalustrade. Er stützte sich mit den Händen auf, um sein Gleichgewicht zu halten.

„Stockmeister!“ brüllte er.

Der Kahlköpfige verneigte sich eilfertig.

„Si, mi capitán?“

„Wer waren die Bastarde?“

Wortlos deutete der Stockmeister auf die Bänke der Deutschen an Backbord.

„Ich habe den Verdacht“, sagte Gutiérrez gefährlich leise, „daß sie es absichtlich getan haben, um mich zu ärgern. Jeder von ihnen soll fünf Peitschenhiebe erhalten, damit sie sich solche Dreistigkeiten in Zukunft nicht mehr erlauben!“

„Si, mi capitán!“ schnarrte der kahlköpfige Koloß, und mit fettem Grinsen wandte er sich zur Seite.

Gerhard von Echten schloß die Augen, als die Peitschenschnur zischend herabsauste und auf die ungeschützten Rücken der Männer klatschte. Bei den ersten Hieben bissen sie noch die Zähne zusammen, doch dann konnten sie ihre Schreie nicht mehr unterdrücken.

Gerhard von Echten mochte die Demütigung seiner Männer nicht mit ansehen. Dabei hatte er die vage Ahnung, daß dies nur ein Anfang der Qualen war, die ihnen noch bevorstanden.

4.

„Profos!“

„Sir?“ Edwin Carberry ließ die Männer allein, die damit beschäftigt waren, die gefüllten Wasserfässer in den Laderaum abzufieren. Nach dem Zwischenfall am Strand hatten sie nicht lange suchen müssen, um eine geeignete Wasserstelle zu finden.

„Nimm zehn Mann mit, Ed, und begrabt die Toten. Vergeßt die Musketen nicht.“

„Denkst du etwa, da laufen noch mehr von diesen verfluchten spanischen Affenärschen herum?“ Carberry reckte sein Rammkinn vor.

Der Seewolf zog die Schultern hoch.

„Unser deutscher Freund ist überzeugt, daß es keine weiteren Verfolger gibt. Aber man soll seiner Sache nie zu sicher sein.“

„Aye, aye, Sir. Wenn noch so eine Horde von lausigen Philipps aufkreuzt, werden wir ihnen ein Feuerchen unter dem Hintern entfachen. Und zwar gewaltig! Ho, die werden denken, sie seien mitten im Kombüsenfeuer des Gehörnten gelandet!“ Der Profos bekräftigte seine Prophezeiung mit einem grimmigen Nicken und stapfte zu den Männern zurück.

Hasard drehte sich um. Vor dem Niedergang zum Achterdeck hatte der Kutscher einen provisorischen Behandlungstisch aufgebaut. Seine Instrumente lagen auf einem weißen Tuch. Die Zwillinge hatten heißes Wasser in einer Pütz herangeschleppt, die auf einem Schemel stand. Voller Eifer besorgten die Söhne des Seewolfs alle kleinen Handreichungen für den schmalbrüstigen, dunkelblonden Mann. Dabei fühlten sie sich allem Anschein nach wie die Gehilfen eines großen Doktors.

Johannes Lederer hockte mit schmerzverzerrtem Gesicht inmitten dieser Hilfsbereitschaft. Er hatte die Streifschußwunde an der rechten Schulter mit einer Handbewegung abtun wollen. Aber damit hatte er bei dem Kutscher auf Granit gebissen.

Ben Brighton, Hasards breitschultriger Stellvertreter, lehnte an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und blickte schmunzelnd auf die Prozedur hinunter.

„Einen Moment müssen Sie noch aushalten, Sir“, sagte der Kutscher, dessen richtigen Namen niemand kannte. Bei Sir Anthony Freemont, einem Arzt in Plymouth, war er Kutscher gewesen, und fortan hatte er sich so nennen lassen. An Bord der „Isabella“ versah er die Aufgaben des Kochs und des Feldschers.

„Lieber noch zwei Streifschüsse als eine solche Behandlung!“ stöhnte Lederer, der leidliches Englisch sprach. Letztere Kenntnisse rührten aus jener kurzen Zeit her, die er während der Venezuela-Expeditionen an Bord von Segelschiffen verbracht hatte. Decksleute aus angelsächsischen Breiten fuhren auf allen Schiffen dieser Welt.

„Bitte, Sir, Sie müssen schon stillhalten“, forderte der Kutscher eindringlich. Mit leichter Hand bewegte er die Holzstäbchen mit den Wolltupfern, die zuvor im kochenden Wasser gereinigt worden waren.

Lederer verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse, als der Feldscher der „Isabella“ die letzten festgetrockneten Stoffasern des zerrissenen Hemds aus der offenen Wunde entfernte.

„Wenn es nach unserem Kutscher ginge“, meinte Ben Brighton grinsend, „müßten wir jeden Tag mindestens ein halbes Dutzend Verletzte an Bord haben. Er ist mal wieder ganz in seinem Element.“

„Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht als eine Art Versuchskaninchen, Mister Lederer“, wandte sich der Seewolf an den Deutschen.

Der Kutscher hob empört den Kopf.

„Ich muß doch sehr bitten, Sir. Ich habe niemals behauptet, daß mein medizinisches Wissen allumfassend ist. Aber für eine einfache Wundbehandlung reicht es wahrhaftig aus. Was Mister Brightons Bemerkung betrifft, so möchte ich dem entgegenhalten, daß ich meine Arbeit nicht aus Leidenschaft, sondern allein aus der Notwendigkeit heraus verrichte. Ich denke, es ist nicht angebracht, mich mit einem Quacksalber auf eine Stufe zu stellen.“

Ben Brighton hob die Hände und ließ sie wieder fallen.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Mister Feldscher. Auf die Füße treten wollte ich dir nun wirklich nicht.“

Der Kutscher brummte Unverständliches und fuhr mit seiner Behandlung fort.

Hasard warf einen Blick zu seinem Ersten Offizier und nickte beschwichtigend. Ben war ein Mann, der meist nicht viele Worte verlor. Ließ er sich doch einmal zu einer lässigen Bemerkung hinreißen, wie jetzt, dann trat er auch noch ins Fettnäpfchen. Der Seewolf klopfte dem Kutscher auf die Schulter.

„Niemand will deine Arbeit in den Dreck ziehen. Ist dir eine Laus über die Leber gekrochen, oder kannst du keinen Spaß mehr verstehen?“

„Es handelt sich nur darum, Sir, daß man die Autorität eines Erwachsenen in Gegenwart von Kindern nicht untergraben sollte.“

Hasard zog die Augenbrauen hoch. Die distinguierte Redeweise des Kutschers war allen geläufig. In diesem Fall hatte er sich wohl besonders gewählt ausgedrückt, damit die Zwillinge es nicht begriffen.

„Ich verstehe“, sagte der Seewolf ernst und nickte. „Diesen Aspekt hat Mister Brighton offenkundig nicht in seine Überlegungen einbezogen.“

„Genau das wollte ich zum Ausdruck bringen, Sir.“

Die beiden Jungen starrten abwechselnd ihren Vater und den Kutscher an. Ihre Mienen waren so entgeistert, als redeten die beiden Männer in einer Fremdsprache. Auch Johannes Lederer hatte Mühe, dem Gespräch zu folgen, denn seine Englischkenntnisse reichten nur für eine Unterhaltung auf durchschnittlichem Niveau.

„Haben wir irgendwie Mist gebaut, Dad?“ fragte Philip junior.

„Oder sollen wir irgendwas nicht wissen?“ fügte Hasard junior hinzu.

„Weder — noch“, versicherte der Seewolf. „Es ist alles in Ordnung. Manchmal braucht ihr eben nicht hinzuhören, wenn Erwachsene sich unterhalten.“

Die Zwillinge wechselten einen vielsagenden Blick. Aber sie verkniffen sich die Bemerkung, daß eben jene Erwachsenen es sich manchmal zu einfach machten. Sollten sie etwas Bestimmtes nicht mitkriegen, dann wurden sie wie Kinder behandelt. Sollten sie jedoch Handreichungen erledigen, dann erwartete man von ihnen, daß sie es genauso zuverlässig taten wie ein Erwachsener. Weil sie aber den Kutscher besonders in ihr Herz geschlossen hatten, verzichteten sie darauf, die Sache breitzutreten.

„Nur eine Frage“, sagte der Seewolf gedehnt, „wie lange wird es noch dauern? Es dreht sich darum, daß ich mit unserem Gast ein paar Worte wechseln möchte.“

Der Kutscher lächelte zum ersten Mal wieder.

„Ich bin gleich fertig, Sir. Die Behandlung war unbedingt notwendig. Unser Freund hätte sich sonst den schönsten Wundbrand zugezogen.“

„Ich weiß das durchaus zu schätzen“, sagte Johannes Lederer, „denken Sie bloß nicht, ich wäre ein undankbarer Hund, auch wenn es sich so angehört hat.“

Der Kutscher lächelte abermals, sagte aber nichts.

„Wir sehen uns auf dem Achterdeck“, entschied Hasard und stieg den Niedergang hinauf.

Auf der Kuhl waren Edwin Carberry und die Männer damit beschäftigt, das Beiboot abzufieren. Außer den Schaufeln lagen Waffen auf den Bodenplanken der Jolle.

„Hopp, hopp, bewegt die müden Knochen, ihr Stinte!“ brüllte der Profos. „Wollt ihr im Stehen einschlafen? Reißt euch gefälligst zusammen, oder ich wickle euch ums Ankerspill, daß ihr später nicht mehr wißt, ob ihr Männer oder Kabelgarn seid!“

Für die Männer war es so etwas wie Begleitmusik. Jeder Handgriff, der an Bord der „Isabella“ zu erledigen war, klappte schnell und reibungslos. Selten hatte es auf den sieben Weltmeeren eine Crew gegeben, die so gut aufeinander eingespielt war wie die Männer des Seewolfs. Trotzdem waren Edwin Carberry und seine Sprüche etwas, das keiner von ihnen missen mochte. Ohne den Hintergrund seiner Stimmgewalt fehlte ihnen etwas bei der harten Arbeit an Bord. Und jeder wußte natürlich auch, daß unter der rauhen Schale des Profos’ ein sehr menschlicher Kern steckte.

„Wollt ihr wohl pullen, ihr Bilgenratten!“ grollte Carberry, als das Boot zu Wasser gelassen war. „Himmel, Arsch und Hafergrütze, soll das eine Tagesreise werden bis zum Strand?“

Immerhin lief das Beiboot schon mit rauschender Fahrt dem Küstenstreifen entgegen. Es hinderte den Profos aber nicht, sein Gebrüll fortzusetzen.

Hasard wandte sich mit versonnenem Lächeln seinem Stellvertreter zu. Auf der Kuhl flitzten die Söhne des Seewolfs in Richtung Kombüse, um irgendwelche Gerätschaften oder Instrumente zu holen, die der Kutscher brauchte. Sonst herrschte ausnahmsweise eine geradezu idyllische Ruhe an Bord der Galeone.

Arwenack, der Schimpanse, hockte auf einer Taurolle auf der Back und hatte beide Arme über den Kopf gelegt. Ob er schlief oder sich nur vor der Sonne schützte, war nicht festzustellen. Sir John, der karmesinrote Papagei, saß wohlgefällig und aufgeplustert auf Moses Bills Schulter im Großmars. Will Thorne, der grauhaarige Segelmacher, hatte den Rest der Crew in der Nähe der Kuhlgräting um sich geschart. Sie hatten all das Tuch aus der Segellast geholt, das noch ausgebessert werden mußte. Die Ruhe, die sie nach dem Zwischenfall mit den Spaniern hatten, mußte genutzt werden.

War es nur eine Ruhe vor dem Sturm?

„Ich werde das Gefühl nicht los“, sagte Ben Brighton gedehnt, „daß wir mit den Dons noch eine Menge Ärger kriegen werden.“

„Gefühle müssen sich nicht immer bestätigen.“ Hasard nahm das Spektiv und spähte zum Strand. Ed Carberry und seine Männer hatten mit der Arbeit begonnen. Bob Grey und Al Conroy standen mit schußbereiten Musketen abseits. Das Dickicht war wie eine feindselige Wand, die jeden Moment neues Unheil ausspucken konnte.

„Du weißt genau, wovon ich rede, Sir.“

Der Seewolf ließ den Kieker sinken.

„Ich weiß. Aber das Risiko wäre das gleiche gewesen, wenn wir Trinidad und Tobago nordöstlich umsegelt hätten. Mit den Spaniern müssen wir überall rechnen.“

„Sicher. Hier im Golf von Paria lassen sie uns vielleicht noch in Ruhe. Aber vor uns liegt der Drachensund. Da können sie uns höllisch in die Zwickmühle nehmen, wenn sie es darauf anlegen.“

„Ich kenne deine Theorie, Ben. Gerade das ist es, worüber ich mir von dem Deutschen Aufschluß erhoffe.“

„Ich glaube, es ist mehr als eine Theorie. Es ist verdammt lange her, seit wir zuletzt in der Karibik waren. Die Spanier haben in der Zwischenzeit nicht geschlafen. Wenn sie in der Neuen Welt nicht an Boden verlieren wollen, dann müssen sie ganz einfach etwas tun.“

„Gut. Das leuchtet ein. Aber ebensoviel deutet darauf hin, daß König Philipp sich verzetteln könnte. Die neuen Seewege nach Ostindien gewinnen immer mehr an Bedeutung. Wenn er da den Anschluß verliert, kann es sein, daß andere den Rahm abschöpfen.“

„Trotzdem sollte man die Spanier nicht unterschätzen. Besonders Venezuela dürfte ihnen am Herzen liegen. Silber und andere Edelmetalle soll es hier in unvorstellbaren Mengen geben.“

Hasard nickte. Er wußte, daß Ben Brightons mahnende Worte keineswegs unbegründet waren. Überhaupt hatte der Erste Offizier der „Isabella“ eine gute Nase dafür, wo und wann sich etwaige Schwierigkeiten abzeichnen konnten. Hasard hatte Ben stets ernst genommen. Andererseits war es nicht die Art des Seewolfs, in allen Dingen übervorsichtig zu sein. In diesem Wechselspiel hatten Ben und er sich immer prächtig ergänzt.

Schon als sie vor dem Sturm in den Golf von Paria ausgewichen waren, hatte Ben Brighton seine Bedenken angemeldet. Ben vermutete, daß die Spanier neuerdings verstärkte Aktivitäten an der venezolanischen Küste entfalteten. Nicht unbegründet, denn wenn sie systematisch das Landesinnere zu erforschen gedachten, brauchten sie Ansiedlungen, die ihnen als Stützpunkte dienen konnten.

Bekannt war dem Seewolf auch, welche Rolle Männer wie Johannes Lederer in diesem Zusammenhang spielten. Die Deutschen, die hierzulande ihre vertragsmäßigen Rechte ausschöpfen wollten, wurden den Spaniern einfach zu schlau. Und es war eine verdammt einfache Sache, einen Vertrag für null und nichtig zu erklären. Passende Argumente konnte man sich dafür leicht zurechtlegen.

Johannes Lederer erklomm den Niedergang mit einem weiß leuchtenden Schulterverband. Er verzog verlegen das Gesicht.

„Es sieht aus, als hätte ich eine lebensgefährliche Wunde. Glauben Sie mir, Gentlemen, ich nehme so etwas nicht so ernst.“

„Aber der Kutscher nimmt sein Handwerk ernst“, sagte Ben Brighton lächelnd. „Und dabei läßt er sich von keinem dreinreden.“

„Das habe ich gemerkt.“ Lederer nickte. „Ich möchte Ihnen noch einmal für alles danken, Sir Hasard.“

Der Seewolf zog die Augenbrauen hoch.

„Woher …“

„Überflüssig zu fragen“, fiel ihm Ben Brighton ins Wort. „Das waren deine Herren Söhne. Stimmt’s, Mister Lederer?“

„Nun ja“, antwortete der Deutsche. „Die beiden Jungen haben mir voller Stolz erzählt, daß ihr Vater von Königin Elisabeth zum Ritter geschlagen wurde. Darauf können sie in der Tat stolz sein.“

Hasard winkte ab.

„Hier an Bord sind wir nicht so förmlich. Reden Sie mich an, wie alle anderen es auch tun. Ich heiße Hasard.“

Lederer reichte ihm die Hand.

„Bescheidenheit ist eine Zier, sagt man bei uns.“

„Ein wahres Wort“, meinte Ben Brighton. „Wir sind gespannt auf Ihren Bericht, Johannes.“

Der Deutsche lehnte sich an die Schmuckbalustrade. Einen Moment blickte er gedankenverloren zum Strand hinüber, wo der Profos und die anderen ihre traurige Arbeit verrichteten. Dann wandte er sich wieder den beiden Männern zu.

„Ich kann es noch immer nicht ganz begreifen, daß ich es überlebt habe. Dabei habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir vorstelle, wie es meinen Freunden ergeht.“

Der Seewolf schüttelte energisch den Kopf.

„Die Sache sieht etwas anders aus. Ihre Freunde müssen froh sein, daß Sie fliehen konnten. Andernfalls könnten sie im Kerker verrecken, und kein Mensch würde es jemals erfahren.“

„Sicher, das sage ich mir auch. Von der Vernunft her ist das unbedingt richtig. Aber manchmal sind die Gefühle stärker, und dann denke ich, ich würde mich wohler fühlen, wenn ich alle Schwierigkeiten gemeinsam mit meinen Kameraden durchstehen würde.“

Hasard nickte bedächtig. Schon in der Miene dieses aufrechten Mannes las er, daß dieser jedes Wort so meinte, wie er es sagte. Es gab nicht einen Hauch von Unehrlichkeit an Johannes Lederer. Hasard dachte an seinen eigenen Vater, der gleichfalls Deutscher gewesen war. Nach allem, was er gehört hatte, mußte sein Vater ein Mann von ebenso ehrenhaftem Schlag gewesen sein wie der Gast an Bord der „Isabella“. Vielleicht waren derartige Wesenszüge eine Tugend, die die Deutschen ganz allgemein auszeichnete.

„Wie war das?“ fragte der Seewolf. „Befanden Sie sich mit Ihren Gefährten bereits auf dem Weg ins Landesinnere, als Sie von den Spaniern überrascht wurden?“

„So war es. Wir hatten unseren Stützpunkt nordwestlich von Punta Peñas verlassen, und nach einem knappen Tagesmarsch wurden wir von einem Trupp spanischer Soldaten gestellt. Wir haben natürlich keinen Widerstand geleistet, denn wir glaubten, daß es sich um einen Irrtum handele, der sich rasch aufklären würde, zumal unser Stützpunkt noch nie offen angegriffen wurde. Dabei wäre es den Spaniern ein leichtes, ihn dem Erdboden gleichzumachen. Sie haben aber offiziell nicht erklärt, daß sie den Vertrag von fünfzehnhundertachtundzwanzig für ungültig halten.“

„Das kann ich mir gut vorstellen“, sagte Hasard lächelnd, „denn damit würden sie ernsthafte Probleme heraufbeschwören. Heimlich still und leise geht es besser. Es dürften Jahre vergehen, bis Berichte von Überfällen auf deutsche Expeditionen bis nach Europa gelangen.“

„Allerdings“, sagte Johannes Lederer grimmig. „Nur in diesem Fall werde ich ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Sie haben sich unsere gesamte Ausrüstung unter den Nagel gerissen, ganz zu schweigen davon, daß sie uns an der Ausübung unseres vertragsmäßigen Rechts hinderten. Unser Protest hat nämlich nicht das geringste genutzt. Sie haben meine Freunde in die Festung Macuro verschleppt. Das ist eine neue Ansiedlung direkt am Drachensund.“